Medica

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Ernst Künzl

MEDICA

Die Ärztin


In memoriam Gerhard Koeppel

* 1936 † 2012

120 Seiten mit 54 Abbildungen in Duoton und einer Karte

Titelabbildung: Priesterin aus Antiochien (Antakya).

Mainz Arzneikästchen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 by Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Mainz am Rhein

ISBN 978-3-943904-45-1

Gestaltung: Bild1Druck GmbH, Berlin

Lektorat: Annette Nünnerich-Asmus, Frauke Itzerott, Mascha Schnellbacher

Gestaltung des Titelbildes: Scancomp GmbH, Wiesbaden

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten.

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

Weitere Titel aus unserem Verlagsprogramm finden Sie unter: www.na-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Einleitung­ Ärztinnen des Altertums, des Mittelalters und der Moderne

Der Erfolg der Frauen in der Medizin des 20. Jh.

Heilkundige Frauen des Mittelalters

Der Weg zu den Universitäten

Der Weg der Griechen zur Medizin als Wissenschaft

Krieger und Ärzte vor Troia

Die ersten griechischen Ärzte

Die Mutter des Sokrates und die griechischen Hebammen

Der Durchbruch: Die ersten Ärztinnen der Welt in Griechenland

Das Medizinzentrum in Alexandrien

Die erste greifbare Ärztin der Geschichte: Phanostrate von Acharnai

Geschäftsfähigkeit und Rechtsstellung der griechischen Frau

Die legendäre Ärztin Hagnodike

Musa von Byzantion und Antiochis von Tlos: Zwei griechische Ärztinnen des 2. bis 1. Jh. v. Chr.

Roms Ärztestand und die ersten Ärztinnen in Rom

Der römische Ständestaat – die Medizin in Roms Frühzeit

Der Arztberuf bei den Römern

Antike Autoren – Schulen und Richtungen

Ärztinnen am Schreibtisch: Medizinschriftstellerinnen des Altertums

Der öffentliche Lebenslauf: Inschriften in Stein und Metall

Arztgräber und andere Funde: Beiträge der Archäologie zur Medizingeschichte

Die erste Gemeinschaftspraxis in Rom zur Zeit Caesars

In keiner Weise gleichberechtigt: zur Rechtsstellung der römischen Frau

Mit Skalpell und Zange: Aus römischen Praxen und Operationssälen

Gynäkologie und Geburtshilfe

Operationen, Betäubungsmittel und Wundversorgung

Woher wissen wir, ob es sich um medizinische Instrumente handelt?

Ärztinnen der Hauptstadt

Im Zentrum der Macht: Das Kaiserhaus und seine Ärzte

Gräber von Ärztinnen aus allen Stadtvierteln Roms

Gemeinschaftspraxis beim Überseehafen Roms

Arzthonorare

Heilmasseurinnen

Ärztinnen reichsweit

Metropolen des Westens in Nordafrika, Spanien und Gallien

Im Schatten der Armee: Zwei Ärztinnen an Aare und Neckar

Ärztinnen in den Westprovinzen – Städte und flaches Land

Der griechische und hellenisierte Osten, Länder urbaner Tradition

Im Zeichen von Christus, dem Seelenarzt: christliche Ärztinnen der Spätantike

Römische Ärztinnen und das römische Gesundheitssystem

Literaturauswahl

Abbildungsnachweis

Vorwort

Ich überweise Sie jetzt an die Zahnklinik nach NN. Das sind dort zwar alles Männer, aber Sie können Zutrauen haben und brauchen sich keine Sorgen zu machen; die verstehen ihr Handwerk auch.

Beruhigende Worte einer deutschen Zahnärztin an eine Patientin im Sommer 2012

Im 20. Jh. wurde der Beruf der Ärztin zu einem bedeutsamen Feld weiblicher Tätigkeit. Dass Frauen als offiziell anerkannte Ärztinnen tätig sein konnten, war im Abendland ein Prozess, der im 19. Jh. begann und der nach dem Zweiten Weltkrieg vollendet wurde. Seitdem sind Praxisschilder weiblicher Ärzte und Doppelpraxen von Frauen und Männern ein selbstverständlicher Anblick an den Häuserwänden unserer Städte. Wie neu dies alles ist, mag man daran ermessen, dass in Deutschland die erste promovierte Ärztin, Dr. Cornelia Erxleben (Halle/Saale), eine Ausnahme des 18. Jh. war und dass noch in den Jahren nach 1871 Frauen, die in der Medizin promovieren wollten, aus Deutschland in die Schweiz gehen mussten.

Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert; die Ärztin ist ein Erfolgsberuf geworden. Gerade deshalb ist es aber von historischem Interesse zu sehen, wo dieser Vorgang einer weiblichen Berufsemanzipation begann: im Altertum Europas, in Griechenland und im Römischen Reich. Das Altertum bietet die Möglichkeit einer Fallstudie für Frauen im Arztberuf in vormoderner Zeit. Dort geschah alles zum ersten Mal:

– gegen 300 v. Chr. praktizierte in der Nähe von Athen eine Griechin namens Phanostrate, die erste Ärztin des Altertums und die erste Ärztin Europas, die wir kennen,

– um 50 v. Chr., im Rom der Regierungszeit Caesars, arbeiteten ein Arzt namens Naevius und seine Frau und Kollegin Naevia in der ersten namentlich bekannten Gemeinschaftspraxis der Geschichte, und

– um Christi Geburt, als Kaiser Augustus regierte, praktizierte im römischen Spanien eine Ärztin, deren Grabbeigaben sie als die erste uns fassbare Chirurgin der Geschichte erweisen.

Ärztinnen waren im Römischen Reich des 1. bis 4. Jh. eine vertraute Erscheinung. Die Stellung der Frauen im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit im antiken Römischen Reich war nicht auf die Hebamme beschränkt. Inschriften wie Grabbeigaben verraten uns, dass Frauen auch als Allgemeinmedizinerinnen, Zahnärztinnen, Gynäkologinnen, Chirurginnen und als Pharmazeutinnen tätig sein konnten. Nicht selten be­tätigten sich Frauen auch als Schriftstellerinnen und publizierten Werke über Heilmittel und medizinische Fragen. Der Frauenanteil an der römischen Ärzteschaft lag bei ca. 5 %; Grund genug, diesen geschichtlich frühen Frauenberuf näher zu betrachten.

 

Zu danken habe ich vielen, jedoch bin ich besonders Helmut Engelmann, Höhr-Grenzhausen, verbunden, der mich an seinem reichen Wissen über die Inschriften des Altertums teilhaben ließ. Eine von uns beiden vor nun fast zwanzig Jahren geplante gemeinsame Schrift über die antiken Ärztinnen kam leider nicht zustande; sie wäre freilich für das rein wissenschaftliche Publikum gedacht gewesen. Besonders danke ich auch Juliane Roderer, München; bei ihrer Literaturagentur fühle ich mich schon seit langen Jahren gut aufgehoben.

Für Hilfe aller Art danke ich Lawrence J. Bliquez, Seattle; Sylvia Brehme, Berlin; Andrea Bußmann, Bonn; Hélène Chew, Saint-Germain-en-Laye; Sylvia Diebner, Rom; Marion Euskirchen, Köln; Klaus-Dietrich Fischer, Mainz; Maria Grazia Granino, Siena; Gian Luca Gregori, Rom; Andreas Hensen, Heidelberg; Ralph Jackson, London; Annemarie Kaufmann-Heinimann, Basel; Susanna Künzl, Eckental; Maria Gabriella Lilli, Rom; Claudia Nauerth, Bad Bergzabern; Friederike Naumann-Steckner, Köln; Vivian Nutton, London; Bernhard Overbeck, München; Alpay Pasinli, Istanbul; Georg Petzl, Köln; Barbara Pferdehirt, Mainz; Gertrud Platz, Berlin; Péter Prohászka, Esztergom; Wolfgang Radt, Berlin; Évelyne Samama, Boulogne; Hugues Savay-Guerraz, Lyon; Hans-Joachim Schalles, Xanten; Matthias Schmandt, Bingen; Ingrid Schoppa, Wiesbaden; Anthony Snodgrass, Cambridge; Viktoria Stuppner, Wien; Dominique Tisserand, Lyon; Peter van Minnen, Ann Arbor; Claudia Waurick, Budenheim; Maria Xagorari-Gleißner, Eckental sowie dem Forschungsarchiv für antike Plastik am Archäologischen Institut der Universität Köln.


Einleitung­ Ärztinnen des Altertums, des Mittelalters und der Moderne

Der Erfolg der Frauen in der Medizin des 20. Jh.

Auf dem weiten Weg der Frauen zum Arztberuf war der unwichtigste Faktor die Diskriminierung der Frauen als zur ärztlichen Tätigkeit ungeeignet. Dieser Punkt spielte tatsächlich keine Rolle, im Altertum von vorneherein nicht und in der Neuzeit höchstens als Vorwand in Situationen, in denen man glaubte, sich bestimmter Frauen auf diese Weise entledigen zu können. Die beiden Hauptfaktoren waren vielmehr die soziale Herkunft der Ärztinnen und vor allem das jeweilige Ausbildungssystem.

Im Altertum bis in die neueste Zeit war der Arztberuf keine noble Tätigkeit, nicht nobel in dem Sinne, dass aristokratische Gesellschaften sie in Betracht zogen. Für Angehörige der senatorischen und ritterlichen Adelsschichten Roms kam eine handwerkliche Tätigkeit von vorneherein nicht in Betracht und dies galt noch viel mehr für ihre Frauen. Die römischen Senatoren und Ritter verwalteten ihren Besitz, und wenn sie eine öffentliche Tätigkeit ausübten, so war dies die kombinierte militärisch-politische Karriere eines römischen Hochadeligen, welcher im Laufe dieser Ämter sowohl eine Legion kommandierte wie auch als kaiserlicher oder senatorischer Legat eine Provinz verwaltete. Die von allen Ämtern ausgeschlossenen Frauen widmeten sich der Familie oder agierten politisch hinter den Kulissen, was vor allem für die Damen des Kaiserhauses galt. Die römischen Adelsschichten nahmen aber kaum mehr als 1 % der Gesamtbevölkerung des Reiches ein und wie in nachantiker Zeit war der Arztberuf als Handwerksberuf Domäne der Unterschichten, und das galt auch für die Frauen.

Die Frauen im Altertum fanden kein institutionelles Hindernis, sich dem Arztberuf zuzuwenden. Der Grund war einfach der, dass es keine institutionellen Regeln für den Arztberuf gab. Grundsätzlich konnte jeder das Handwerk eines Arztes lernen, denn als ein solches galt dieser Beruf. Es gab im Altertum keine geordneten Berufsausbildungspläne ebenso wenig wie einen qualifizierenden Berufsabschluss; es gab keine Ärztekammern und keine Approbationen.

Entscheidend waren immer die Ausbildungsmöglichkeiten. Die Basis des wissenschaftlichen Erfolgs des Abendlandes seit dem späten Mittelalter waren Europas Universitäten. Bologna 1130, Paris 1200, Oxford 1214, Cambridge 1284, Prag 1348, Wien 1365 und Heidelberg 1386 sind die Heroennamen des bis heute die Bildungssysteme dominierenden Universitätswesens. Seit dem späteren Mittelalter war den Frauen der Zugang zum medizinischen Wissen versperrt. Akademische Titel konnten sie nicht mehr erwerben. Bis ins 19. Jh. hinein waren die Frauen auf die Nebenwege der Hebamme oder auch nur der kenntnisreichen „Weisen Frau“ angewiesen.

Inzwischen übertrifft an den aktuellen deutschen Universitäten die Zahl von Medizinstudentinnen die ihrer Kommilitonen und auch in der medizinischen Forschung nahmen die Frauen am Beginn des 21. Jh. bereits ca. 30 % ein. Im aktiven Arztberuf liegt der Frauenanteil inzwischen bei ca. 40 %, was freilich für Führungspositionen z.B. in der Chirurgie noch nicht gilt. Die Zahlen aus der Chirurgie sind deshalb beachtenswert, weil dieser Sektor immer noch eine – relative – männliche Domäne ist.

Insgesamt ist nach 150 Jahren modernen Aufstiegs der Frauen in der Medizin der Punkt der inhaltlichen und numerischen Gleichheit mit den Männern nahezu oder bereits überschritten. Im Jahre 2012 waren schon rund 60 % der im Arztberuf beginnenden Mediziner Frauen. Von diesen Ärztinnen in Deutschland sind allerdings nach einer Umfrage des Jahres 2012 ungefähr ein Drittel mit Teilen ihrer Welt unzufrieden: „mit der Mitbestimmung, ihren Entwicklungschancen am Arbeitsplatz und ihrem Einkommen“. So kann es zu dem erstaunlichen Satz kommen:

„Rund 60 % der Neueinsteiger in den Arztberuf sind Ärztinnen. Ihre berufliche Zufriedenheit wird wesentlich die Zukunft des Gesundheitswesens mitbestimmen“ (Zahlen nach einer Onlineumfrage unter 1.200 Ärztinnen aller Altersgruppen, Fachgebiete und Hierarchieebenen. Quelle: Chirurgische Allgemeine 13, Heft 5, Heidelberg 2012, S. 267).

Angesichts dieser Zahlen möge man den altrömischen Frauenanteil unter den Ärzten, der um die 5 % lag, nicht an unseren Tagen messen. Stellen wir uns aber nur einmal kurz die Könige von Preußen und Bayern des Jahres 1850 vor, denen man sagen würde, dass im nächsten Jahr jeder zwanzigste Arzt in ihren Ländern eine Frau sein würde: Die Majestäten hätten einträchtig den Kopf geschüttelt und niemand hätte ein Wort geglaubt, durften Frauen damals doch das Fach Medizin überhaupt noch nicht studieren.

Heilkundige Frauen des Mittelalters

Heilkundige Frauen gab es freilich in allen Jahrhunderten, auch nachdem um 500 n. Chr. die antike Welt untergegangen war. Die Überlieferungslage zum Ärzte­stand hatte sich in den Jahrhunderten des beginnenden und des hohen Mittel­alters allerdings radikal verändert. Die Kenntnisse der antiken Medizinschriftsteller ging zunächst rapide zurück. Der Aufschwung der Medizin nach dem Jahr 1000, also immerhin ein halbes Jahrtausend nach dem Untergang des Weströmischen Reiches, hing auch mit der zunehmenden Wiederentdeckung der antiken Medizinautoren zusammen. Die Übersetzungen aus Salerno in Süditalien und Toledo in Kastilien spielten hier die entscheidende Rolle.

Wie zu allen Zeiten haben Frauen in der realen Alltagswelt auch des Mittelalters heilkundige Handlungen und Beratungen ausgeübt. Das Feld der Geburtshilfe, die Arbeit der Hebamme, blieb ein weibliches Reservat. Schon aber die Frage, ob die aus der Römerzeit des Altertums aktenkundige Ärztin weiterhin unter dem Namen einer Ärztin tätig war, stößt auf die Probleme der Überlieferungslage.

Das Phänomen der Arztgräber mit Beigaben hörte mit der späten römischen Kaiserzeit der Jahre um 300 n. Chr. auf. Noch schwerer wiegt das Ende der antiken Inschriftensitte. Das Altertum war eine Welt der Inschriften, meist auf Stein, daneben auch auf Metall oder als aufgemalter Wandanschlag an Häuserwänden. Die öffentlichen Plätze der Städte im Römischen Reich waren voller Ehrendenkmäler, Ehrenstatuen und Ehreninschriften. Die vor den Toren der Städte gelegenen Grabmäler trugen Inschriften, die manchmal karg waren, oft aber auch den Lebensweg des Verstorbenen ausführlich schilderten und lobten. Zwar darf man für das Römische Reich annehmen, dass nur ein bescheidener Prozentsatz der Menschen Lesen und Schreiben gelernt hatte; dennoch spielte dies keine Rolle, weil die bestimmende römische Aristokratie schon früh die Sitte Griechenlands der Ehren­inschriften und der beschrifteten Grabmäler übernommen hatte. Und selbst wenn jemand nicht lesen konnte, so ließ er sich eben den Wortlaut vorlesen: Aber eine ordent­liche Grabinschrift gehörte sich einfach.

Diese Welt verschwand mit den Jahren um 500, und dies nicht nur im Westen, sondern auch im christlichen Reich Ostroms, in Byzanz. Damit verlieren wir eine Hauptquelle über den Ärztinnenberuf, stammen doch unsere Informationen über die antiken Ärztinnen zuerst aus Inschriften, dann erst aus den archäologischen Grabinventaren und aus den Bemerkungen antiker Autoren.

Im Mittelalter sind wir bei dem Fehlen aller Inschriften und auch aller archäologischen Bodenfunde nur auf die Medizinliteratur angewiesen. Hier begegnen uns freilich heilkundige Frauen in beachtlicher Zahl. Der heutige Leser wird mit dem Begriff Medizin im Mittelalter vermutlich zuerst den Namen Hildegard von Bingen verbinden. Diese Gestalt der Jahre 1098–1179 wurde und wird in jüngster Zeit immer berühmter. Es entstand inzwischen eine regelrechte Hildegard von Bingen-Industrie; gibt man den Namen in die aktuellen Suchmaschinen des Internets ein, bekommt man gut 2 Millionen Zitate. Der rezente Ruhm Hildegards entspricht nicht der Situation im Mittelalter, soweit es um die Medizin geht. In der damaligen altdeutschen medizinischen Literatur spielten Hildegards zwei Schriften (Physica, Causae et curae) anscheinend keine Rolle und werden kaum zitiert.

Das berührt jedoch nicht die Frage der Wertschätzung heilkundiger Frauen. Eine Episode aus der Zeit Hildegards und mit einer vergleichbaren Hauptperson steht in der Reinhardsbrunner Briefsammlung: Mitte des 12. Jh. wendet sich der Abt eines thüringischen Klosters an einen Amtsbruder und bittet um Hilfe bei einer Krankheit; man möge ihm bestimmte Arzneien schicken und man möge sich bei einer heilkundigen, berühmten Frau in Sangershausen genau erkundigen, wieviel und wie man von der Medizin einnehmen müsse. Bei dem Kranken handelte es sich um einen Mönch, was belegt, dass Ärztinnen nicht immer allein Frauen behandelten.

Im medizinischen Alltag des Mittelalters waren Frauen in großer Zahl tätig. Ihr Anteil an der Praxis war sicher größer, als es die medizinischen Schriften vermuten lassen. Frauen waren nach der mittelalterlichen Literatur als Hebammen und Pharmazeutinnen, als medizinische Autorinnen und eben auch als Diagnostikerinnen und Ärztinnen tätig. Freilich ergab sich im Laufe der Zeit die Einschränkung, dass Frauen spätestens seit dem 14. Jh. keinen Zugang mehr zu medizinischen Hochschulen bekamen. Im traditionsreichen Salerno konnten Frauen allerdings noch bis zum 14. Jh. den Grad einer Chirurgin erwerben. Die medizinische Hochschule von Salerno in Süditalien war neben Toledo in Spanien in der Vermittlung medizinischer Texte der Griechen, Römer und Muslime maßgebend. Die Universität Salerno existierte bis 1812, die Blütezeit der Salernitaner Medizinschule des Mittelalters war jedoch das 11. und 12. Jh. Für unser Thema sind die in Salerno tätigen Medizinerinnen hervorzuheben, die Mulieres salernitanae. Man hat sie entweder apodiktisch zu Hebammen erklärt oder erwogen, in ihnen doch auch Ärztinnen erkennen zu dürfen. Mit der Frauenheilkunde ist der Name Trotula verbunden, ein Frauenname, den man als Autorin eines Hauptwerkes der Schule von Salerno annahm, eine Schrift über die Leiden der Frauen oder die Heilmittel für Frauen. Inzwischen nimmt man nicht nur die Existenz einer Salernitaner Ärztin (nicht Hebamme) namens Trota an, man hat auch versucht, ihr schriftstellerisches Werk aus der ersten Hälfte des 12. Jh. in Umrissen zu rekonstruieren.

In mittelalterlichen Schriften werden die Mulieres salernitanae des Öfteren zitiert, und das nicht allein bei Problemen der Frauenheilkunde. Eine Ärztin Abella schrieb angeblich ein Werk in Versen (wie es üblich war) über die Schwarze Galle; Rebecca Guarna aus Salerno publizierte medizinische Versgedichte über das Fieber und über den Urin. Andere namentlich genannte Salernitaner Medizinerinnen waren Sigelgaita, Mercurias, Francesca Romano und Constanza Calenda. Eine Ärztin aus Katalonien nannte sich im Jahre 1188 in einem Grundstücksvertrag ganz selbstverständlich „ego Dulcia, medica“ (Ich, Dulcia, Ärztin).

 

Aus der gleichen Zeit, dem 12. Jh., hören wir nach langen Jahrhunderten wieder etwas von einer Ärztin im griechischen Byzanz: Im Pantokratorspital Konstantinopels hatte man einen Frauenflügel eingerichtet, den zwei Ärzte leiteten, denen eine Ärztin (iátraina) unterstellt war. Die Ärztinnen von Salerno waren in der Welt des Mittelalters nicht allein.

Der Weg zu den Universitäten

Salerno, wo Frauen hatten Medizin studieren können, war auf diesem Gebiet kein Vorbild geworden. Die maßgebenden Hochschulen des späten Mittelalters, angefangen von Bologna und Pavia in Norditalien, über Montpellier in Südfrankreich bis zum einflussreichen Paris, setzten diese Linie nicht fort. Außerhalb der Schulmedizin waren heilkundige Frauen allenthalben im späten Mittelalter und früher Neuzeit tätig. Aber sie waren eben von den Akademien und Zünften ausgeschlossen und es dauerte viele Generationen, bis sich auf diesem Gebiet etwas änderte.

Dies ist der Grund, weshalb der Fall Erxleben bis heute eine so große Beachtung erfuhr. Der harte, doch erfolgreiche Lebensweg der Frau Dr. Dorothea Erxleben, geb. Leporin (1715–1762) hat ein Zeichen gesetzt. Das Fräulein Leporin begann 1741 mit dem Studium der Medizin in Halle/Saale und setzte auch nach ihrer Heirat mit dem Pfarrer Erxleben und der Geburt ihrer vier Kinder das Studium fort. Sie promovierte 1754 im Alter von fast 40 Jahren in Halle mit einer auf Latein verfassten Dissertation; ihre lateinisch gehaltene Dankesrede rühmte der Dekan als einer antiken Römerin würdig. Die ausnahmsweise erteilte Promotionserlaubnis kam direkt vom preußischen König Friedrich II. Frau Dr. Erxleben meisterte danach in Quedlinburg ein Leben als Ärztin, Pfarrersfrau und Mutter von neun Kindern (vier eigenen und fünf Stiefkindern). Die Universität Halle-Wittenberg ehrte sie mit einer bronzenen Bildnisbüste und mit einem seit 1994 vergebenen Dorothea-Erxleben-Preis für hervorragende medizinische Dissertationen oder entsprechende Leistungen (Abb. 1).


Abb. 1 Dorothea Christiane Erxleben. Bronzebüste Universität Halle-Wittenberg, von Marianne Traube, 1994. Universitätsklinikum Halle-Kröllwitz, Foyer.

Der Fall Erxleben war ein Monument persönlicher Tüchtigkeit und Integrität. Als Ärztin war sie ein historisches Versprechen an die Frauen der Zukunft, aber kein Zeichen einer konkreten Möglichkeit. Eben weil die Hochschulen den Frauen noch versperrt waren, konnte sie nur durch königliche Förderung ihren Weg finden. Die Ärztinnen des Altertums brauchten keine königlichen oder adeligen Wohltäter, denn sie hatten keine Universitätshürden zu überwinden. Die Hindernisse der Frauen im Altertum lagen in der rechtlich minderen Stellung der Frau allgemein, und an der hat kein Kaiser Roms etwas geändert – Heide oder Christ. Für Frau Dr. Erxleben war die Ausnahmeerlaubnis des Preußenkönigs entscheidend, der dabei die Rolle des fürstlichen Wohltäters spielte. Aber das war nur ein vorläufiges, einsames Zeichen am Himmel. Der nächste wirklich wichtige Schritt war dann der Aufstieg des Dritten Standes nach den Revolutionen zwischen 1789 und 1848, an dem die studierwilligen Frauen allerdings wieder erst mit einiger Verzögerung teilhaben durften.

Der Erfolg moderner Ärztinnen ist umso bemerkenswerter, als man in Deutschland erst seit etwas mehr als hundert Jahren Frauen das Medizinstudium erlaubt. Den Geburtsjahrgängen der Zeit um 1850, die im Zweiten Deutschen Kaiserreich nach 1871 an die Universitäten hätten gehen können, war die medizinische Promotion noch nicht erlaubt. Die beiden deutschen „Fräulein Doctores“, Emilie Lehmus aus Fürth (1841–1932) und Franziska Tiburtius aus Rügen (1843–1927), promovierten 1875 und 1876 an der Universität Zürich, nicht in Deutschland.

Dennoch war insgesamt die zweite Hälfte des 19. Jh. der Durchbruch. Frauen wurden an den Hochschulen zum Medizinstudium zugelassen, die Zeit der weiblichen Parallelwelten der Hebammen und Kräuterfrauen ging zu Ende. Das wilhelminische Deutschland war der letzte Staat des Abendlandes, der sich dazu durchrang: Erst 1899 ließ man in Deutschland Frauen zum Medizinstudium zu, und dies später als nicht nur in den USA (wo dies schon seit 1850 möglich war), sondern auch später als in Frankreich (1863), in der Schweiz (1864) und sogar später als in Griechenland (1890). Im Berliner Reichstag verursachte 1876 die Erwähnung der Möglichkeit von Ärztinnen minutenlange Heiterkeit.

Wie rasch sich die Dinge in wenigen Jahren entwickeln konnten, verrät ein Schlaglicht auf die „Frauenfrage“ an der Harvard-Universität in Cambridge/USA. Als in Deutschland noch lange keine Rede davon war, dass Frauen Medizin studierten, sprach man in Harvard im Jahre 1878 bereits vom Problem einer zu starken Zahl von Frauen in der Medizin. Anderthalb Jahrhunderte später lag im Jahre 2012 der Frauenanteil unter den Medizinstudenten in Harvard bei ca. 50 %; die vorausschauende Sorge der Männer war begründet.

Eine der unerfreulichen, unerwarteten und dennoch großen Chancen für Ärztinnen war der Erste Weltkrieg. Als die Welt des europäischen Adels in den Schlammfeldern Flanderns, den Gräben Verduns und den Weiten Galiziens zugrunde ging, waren die Frauen zur Stelle, in vorher unerhörter Weise die Rolle der Männer zu übernehmen. Das britische Women’s Hospital Corps richtete schon im September 1914 im Pariser Hotel Claridge ein Militärkrankenhaus ein, das nur verwundete Männer von der Front als Patienten aufnahm und das nur Frauen als Chirurginnen, Ärztinnen und Betreuerinnen aufwies. Andere Einrichtungen dieser Art kamen unter dem Zwang des Großen Krieges hinzu. Trotz aller Hindernisse konnte man nach 1918 nicht wieder auf den Status quo ante zurückkehren. Heute, hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, sind Ärztinnen zu einem bestimmenden Faktor des Medizinbetriebes geworden.