Czytaj książkę: «Der Schundfilm meines Lebens», strona 2

Czcionka:

„Nein, natürlich nicht“, gibt der Producer zurück und klingt jetzt selbst ein wenig ungeduldig. „Also gut, ich sage Ihnen, wie es ist.“

Er macht eine Pause. Ich warte gespannt – und auch ein bisschen ängstlich. Will er mir mitteilen, dass er meine Drehbücher so grottenschlecht findet, dass er lieber nie wieder etwas von mir hören, geschweige denn lesen möchte, und mir deshalb in seiner Verzweiflung andere Filmproduktionsfirmen schmackhaft macht? Habe ich meine Qualitäten so falsch eingeschätzt? Aber warum wurde mein erstes Drehbuch dann angenommen? Etwa aus Mitleid???

Herr Hansen unterbricht meine Gedanken.

„Sehen Sie – ich weiß nicht, was Brigitte geritten hat, sich so für Ihr erstes Skript einzusetzen. Ich meine das über diese Reisegruppe in Italien, deren Mitglieder plötzlich alle den Sinn ihres Lebens erkennen und sich in endlosen Selbstreinigungsprozessen ergehen, und das ganz ohne eine nennenswerte Handlung …“

Ich ziehe deutlich hörbar die Luft durch die Nase ein.

„Sie haben mich gefragt!“, verteidigt sich Herr Hansen energisch. Dann überlegt er es sich anders und seine Stimme nimmt eine weichere Färbung an.

„Vielleicht ist das zu hart formuliert“, gibt er zu. „Aber wie dem auch sei: Solche, die Psyche erforschenden Filme … wie soll ich sagen … die gibt es natürlich auch. Doch in den seltensten Fällen lassen sich damit Quotenerfolge erzielen, und das wissen die Sender. Deshalb ist es extrem schwierig, einen Interessenten für einen – na, ich sag’s mal vorsichtig – ‚anstrengenden‘ Stoff zu finden.“

Ich stoße die Luft geräuschvoll wieder aus.

„Besonders, so lange Sie noch nicht etabliert sind. Da gehen solche Themen gar nicht! Das nimmt Ihnen keine Redaktion ab.“ Nach einer kurzen Pause ergänzt er: „Jedenfalls nicht noch einmal. Keine Ahnung, wie Brigitte das hinbekommen hat, dass Ihr Reisegruppen-Psycho-Drama überhaupt beim Sender diskutiert wurde!“

Ich fühle mich wie vom Lastwagen überfahren. Herr Hansen hält meine Drehbücher scheinbar ganz generell für unverkäuflich? Ich bin sprachlos. Ist der irre? Was glaubt er denn, was Brigitte und ich gemacht haben, damit die Redaktion bei meinem ersten Versuch Interesse zeigte? Nackig Handstand? Eine Hochschwangere und … und ich? Ich schüttele mich kurz. Wie krank muss jemand sein, um so etwas für möglich zu halten? Das muss ich erst einmal verdauen!

Nach einer Weile höre ich von Ferne eine Stimme zu mir sprechen.

„Sind Sie noch dran?“

Ich schlucke.

„Ja“, gebe ich zurück und merke, wie mir ein Frosch im Hals sitzt.

„Weinen Sie jetzt etwa?“, kommt es entsetzt aus dem Hörer.

„Nein“, fauche ich zurück, obwohl mir tatsächlich zum Heulen zumute ist. Ich fühle mich entsetzlich! Bis eben habe ich geglaubt, ich sei eine angehende Drehbuchautorin. Jedenfalls ein bisschen! Und nun bin ich nur eine Zeitverschwendung, die man lieber heute als morgen bei der Konkurrenz sehen würde!

„Solche Stoffe gehen nun einmal ganz schlecht“, erläutert mir der Mann, der eben mein mühevoll aufgebautes Selbstbild als Verfasserin intellektuell anspruchsvoller Drehbücher innerhalb von Minuten zerstört hat. „Das liegt nicht an Ihnen.“

„Woran liegt es dann?“, frage ich, redlich bemüht, jedes Zittern aus meiner Stimme zu verbannen.

„Am Stoff!“, gibt mein Gesprächspartner trocken zurück. „Ich sagte es bereits.“

Der hat Humor! Sein Leben ist ja auch noch heil – im Gegensatz zu meinem. Obwohl … vielleicht heißt das ja …

„Sie meinen also, wenn ich andere Themen verarbeitete, dann wären meine Skripte unter Umständen leichter vermittelbar?“

Ich traue mich kaum, diese Frage zu stellen, aus Angst, er könnte verneinen und meinen, dass es so oder so keinen Zweck hat und ich sollte das mit dem Filmgeschäft lieber lassen, weil Krankenschwester ja auch ein schöner Beruf sei, oder Gärtnerin oder weiß der Teufel was! Doch nun ist die Frage heraus und ich werde mir seine Antwort anhören müssen.

„Richtig.“

Ich stutze. Moment – hat Herr Hansen das gerade wirklich gesagt? Meint er das tatsächlich? Ich bräuchte nur einen anderen Stoff zu bearbeiten und hätte damit vielleicht eine Chance? Das soll das ganze Problem sein? Warum sagt er das nicht gleich!

„Und … und was sind das für Stoffe, die dafür sorgen könnten, meine Arbeit leichter zu vermitteln?“, frage ich vorsichtig. Noch kann ich nicht glauben, dass die Lösung meiner Probleme so einfach sein soll!

„Ich kann Ihnen natürlich nicht versprechen, dass Sie damit eine Garantie für die Verfilmung sozusagen schon in der Tasche haben“, wiegelt Herr Hansen eilig ab. Fast scheint es ihm leid zu tun, mir Hoffnungen gemacht zu haben. „Ich will nur sagen: Ja, Sie können Drehbücher schreiben, und sogar fernsehtaugliche! Könnten Sie das nicht, hätten Sie Brigitte niemals überzeugt. Wenn Sie es jetzt noch hinbekämen, sich einem Thema zu widmen, das sich auch einem größeren Publikum erschließt … vielleicht mit ein bisschen mehr Handlung, ein bisschen weniger Psychoanalyse, halt ein Drehbuch für einen unterhaltsamen Film, statt depressionsfördernder Kost …“

Ich sauge erneut hörbar Luft durch meine Nasenlöcher ein.

„…wenn es Ihnen also gelänge, sich einem publikumstauglichen Sujet zuzuwenden und das in ein amüsantes Drehbuch zu verpacken, das die Grundlage für einen Film bietet, den man gerne auch noch abends kurz vor dem Einschlafen sieht …“

Gleich werde ich ihn durchs Telefon ziehen, wenn er nicht aufpasst!

Ungerührt ob meiner gekränkten Künstlerseele fährt der Producer fort: „… ja dann – warum nicht? Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Sie den Chef damit überzeugen könnten, und der wiederum einen Sender dazu bringt, das Wagnis einzugehen, mit einem noch unbekannten Autoren zusammenzuarbeiten und einen Film zu produzieren. Aber natürlich müssten Sie das Metier überzeugend bedienen! Ein gutes Drehbuch für eine leichte Liebeskomödie schreiben kann auch nicht jeder.“

„Eine Liebeskomödie?“, hake ich nach und schlucke meinen Unmut herunter über diesen unverschämten Schnösel, der mir gerade ziemlich deutlich an den Kopf geworfen hat, ich sei nicht amüsant und darüber hinaus nicht einmal unterhaltsam!

„Was genau verstehen Sie darunter?“

„Na ja, einen leichten Liebesfilm eben. Sowas geht immer!“, platzt Herr Hansen heraus.

Ich bin irritiert.

„Einen Liebesfilm?“, frage ich hilflos. „So etwas wie ‚Lovestory‘? Oder ‚Frühstück bei Tiffany‘?“

„Um Himmels willen – nun werden Sie doch nicht gleich schon wieder so intellektuell. Drei Nummern einfacher! Ich spreche von einer ganz normalen Liebesgeschichte, wie sie jeden Tag irgendwo um uns herum passieren kann. Sowas wie ‚Jenseits des Verlangens‘ oder ‚Liebeskummer lohnt sich nicht‘ oder eben irgendeine Verfilmung von Rosamunde Pilcher.“

Ich muss davon ausgehen, mich verhört zu haben. Das kann der Mann am anderen Ende der Leitung unmöglich gesagt haben! Herr Hansen trägt mir an, ein Drehbuch für einen waschechten Schundfilm zu schreiben? Mir? Der Frau, die souverän komplexe Charaktere und treffsichere Dialoge entwirft? Der Frau, die die Grundlage für einen psychologisch wegweisenden Film über die tiefen Abgründe in den Seelen ganz alltäglicher Menschen verfasst hat, die sich in der Abgeschiedenheit der italienischen Bergwelt auf ihren innersten Kern besinnen? Einer tiefsinnigen und feingeistigen Intellektuellen, die sich aufgemacht hat, die Qualität zurück ins Fernsehen zu bringen und Menschen und ihre berührenden Geschichten in ihrer ganzen Vielfalt, weit ab von den sattsam bekannten Stereotypen zu erzählen? Ich soll romantische Komödien schreiben? Liebesfilme? TV-Schmachtfetzen? Das ist schlimmer, als nicht unterhaltsam zu sein. Das ist vernichtend!

Ich japse nach Luft: „Das meinen Sie nicht im Ernst!“, keuche ich entsetzt in den Hörer.

Herr Hansen lässt sich davon nicht beeindrucken.

„Warum nicht? Bei so etwas wird gerne eingeschaltet. Und wenn das Skript gut geschrieben ist …“

„… gut geschrieben …“, wiederhole ich und ringe nach Luft. Wie soll denn so etwas auch noch gut geschrieben sein? „Gut geschrieben“ und „Liebesschnulze“ schließen sich aus!

„… dann sind möglicherweise sogar mehrere Sender dafür zu interessieren.“

Es ist mir unmöglich, darauf etwas zu erwidern. Ich fühle mich, als hätte mein Gesprächspartner mir angetragen, zukünftig Dialoge für Verkaufsshows von Miederwaren oder Diätprodukten zu verfassen, weil es zu mehr nicht reicht.

„Hallo?“, tönt es in mein Ohr. „Sind Sie noch da?“

„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, huste ich empört in den Hörer. „Sie sind doch ein seriöses Filmstudio. Sie machen sich über mich lustig!“

Nun fängt mein Gesprächspartner an, Nerven zu zeigen. Er scheint nicht sehr belastbar zu sein.

„Meine gute Frau Wupper, dann schalten Sie doch mal Ihren Fernseher an! Am besten jetzt gleich. Was sehen Sie da auf allen Kanälen, wenn‘s nicht gerade als Telenovela getarnte Daily Soaps sind? Oder Doku-Soaps, Pseudo-Doku-Soaps, Reality Shows, Sitcoms oder eben einfach die niemals aus der Mode kommenden Arztserien?“

Er macht eine Pause, wartet jedoch meine Antwort nicht ab.

„Richtig! Genau solche Filme! Nennen Sie es Schundfilme oder meinetwegen Liebesschnulzen. Sowas verkauft sich! Davon können Filmproduktionsfirmen leben und Drehbuchautoren auch! Warum schreiben Sie eigentlich? Um sich selbst zu verwirklichen oder wollen Sie damit auch Geld verdienen? Diese Entscheidung müssen Sie wohl treffen – so wie es aussieht!“

Das sitzt.

Herr Hansen hat mein Problem in einfache Worte zusammengefasst, unmissverständlich und wahr. Wenn ich meinen Traum weiter leben will, dann werde ich wohl oder übel etwas ändern müssen. Dabei sind womöglich solche Drehbücher für leichtes Heile-Welt-Fernsehen mit möglichst viel Gefühl und möglichst wenig Verstand meine einzige Chance. Diese Erkenntnis trifft mich mit voller Wucht und raubt mir fast den Atem. Ich bin erschüttert!

Ungerührt fährt mein Gesprächspartner fort: „Es ist doch gar nicht so schwer. Im Gegenteil! Sie müssen keine durchgeistigten, anstrengenden Themen, die sowieso nur für schlechte Laune sorgen, in komplizierte Handlungen überführen. Verlassen Sie sich einfach auf das Erfolgsrezept von Hunderten von Autoren. Diese Art von Filmen funktioniert immer nach dem gleichen Muster, an das Sie sich nur halten müssen. Sie schaffen das!“

„Wie … immer nach dem gleichen Muster? Wie meinen Sie das?“, frage ich hilflos.

Dabei will ich das überhaupt nicht wissen. Es scheint mir undenkbar, mich mit dieser Art von Filmen auseinanderzusetzen. Aber wenn es tatsächlich meine einzige Chance sein soll, als Autorin Fuß zu fassen, habe ich dann eine Wahl? Trotzdem fühle ich mich momentan überfordert von dem Vorschlag, Skripte für Filme zu verfassen, von denen niemand, den ich kenne, zugeben würde, sie anzusehen. Wie macht man so etwas? Habe ich selbst überhaupt schon einmal eine richtige Schnulze von Anfang bis Ende gesehen? Aus rein professioneller Neugier natürlich?

„Meine Güte, Frau Wupper – sind Sie überhaupt noch von dieser Welt, oder leben Sie tatsächlich in so einem tiefenpsychologischen Paralleluniversum, wie Ihre Filmideen vermuten lassen?“

Eine Pause entsteht, in der der Producer deutlich hörbar schnauft.

„Es tut mir leid“, sagt er dann, „war nicht böse gemeint.“

Der Filmschaffende braucht etwas Zeit, um sich zu sammeln. Dann spricht er betont langsam und deutlich, als müsse er einer begriffsstutzigen Vierjährigen die Welt erklären.

„Also mal ganz von vorne: Was sind die Zutaten für einen richtig schönen Spielfilm, wo sie sich am Ende kriegen und alle glücklich sind?“

Er macht eine kurze Kunstpause, dann rattert er sein Wissen gelangweilt herunter wie früher mein alter Geschichtslehrer, wenn er sämtliche Gebietsgewinne und -verluste der preußischen Einigungskriege von 1864 bis 1871 herunterspulte.

„Es ist doch ganz einfach: Eine Frau, möglichst eine ganz normale Frau mit einem ganz normalen Leben, stolpert für sie völlig überraschend in eine große persönliche Katastrophe. Ehemann weg, Job weg, Freunde weg, Geld weg – was Sie wollen und soviel Sie wollen. Die Frau weiß nicht, wie ihr geschieht, und ehe sie sich versieht, ist von ihrem Leben nichts mehr übrig. Nach ein paar rabenschwarzen Szenen, wo sie wirklich von allen Seiten gegrillt wird, sich von jedermann verlassen sowie hoffnungslos dem Untergang geweiht fühlt, findet sie durch irgendein Ereignis neuen Mut und beschließt, sich ihrem Schicksal zu stellen. Sie ändert ihr Leben, erkennt, zu was für großartigen Leistungen sie fähig ist und dass alles gelingt, was sie anfasst, weil sie nun die richtige Einstellung hat. Dazu muss – und das ist ganz wichtig, Frau Wupper! – eine gehörige Portion Romantik in die Geschichte einfließen. Gerne ist es ein unnahbarer, geheimnisvoller Fremder, der zufällig just im finstersten Moment im Leben der Heldin den Schauplatz betritt. Er ist gemeinhin attraktiv, wirkt ansonsten jedoch schwer vermittelbar. Zumindest die Heldin findet ihn zunächst furchtbar – auch deshalb natürlich, weil sie von Männern nach ihrer grenzenlosen Enttäuschung mit ihrem Ex nichts mehr wissen will. Doch irgendwann zeigt der unnahbare Geselle seine groß-artigen Qualitäten, als er ihr bei passender Gelegenheit aus der Patsche hilft – ganz der bescheidene, wortkarge Held, für den das eine Selbstverständlichkeit ist. Nie hätte sie so etwas von dem Mann, mit dem sie zunächst nichts anzufangen wusste, erwartet! Sie sieht ihn in einem völlig neuen Licht und erkennt, dass Vieles, was sie zunächst über ihn dachte, nur ein Missverständnis war oder einfach eine Verzweiflungstat seiner gequälten Seele, die aus einem gebrochenen Herzen resultiert, denn auch er hat Schlimmes durchgemacht und …“

„Schon gut, schon gut, ich habe verstanden!“, brumme ich missmutig in den Hörer.

Oh je, was ist das denn für einer? Frönt Herr Hansen einer geheimen Leidenschaft für derartigen Schund? Als Mann? Wer mag ihn so zugerichtet haben? Vermutlich hat er eine schlimme Kindheit bei einer Mutter hinter sich, die sich schon vormittags mit US-Serien-Wiederholungen betäubte und dabei das Mittagessen anbrennen ließ!

Doch der Experte für die anspruchsbefreite Fernsehunterhaltung ist nicht so leicht zu bremsen.

„Sorgen Sie vor allem dafür, dass die Zuschauerinnen – ja, diese Art von Filmen wird nun mal bevorzugt von Frauen gesehen – sich mit der Hauptperson identifizieren können. Die Heldin muss so sein, wie sie auch sind, und ein Leben leben, wie sie es auch führen könnten. Dabei muss sie natürlich eine wunderbare Persönlichkeit haben: grundgut, sympathisch und dazu noch sehr hübsch, nur eben viel zu bescheiden, um ihre Reize in den Vordergrund zu stellen. Eben genau so, wie sich die Zuschauerinnen selbst auch sehen: eigentlich großartig, aber in ihren heimlichen Qualitäten verkannt. Obwohl die Heldin neben all ihren wunderbaren Eigenschaften natürlich auch ein paar liebenswerte Schwächen hat, sonst wirkt es zu unrealistisch. Aber vor allem“, der Producer holt tief Luft und macht eine bedeutungsvolle Pause, „selbst wenn ihr, also der Heldin, das eigene Leben um die Ohren fliegt und das Schicksal es überhaupt nicht gut mit ihr zu meinen scheint: Sie ist keinesfalls depressiv. Niemals! Sie verdrückt vielleicht ein paar Tränen und schimpft auf die ganze Welt. Sie ist von der Liebe enttäuscht und meinetwegen auch von der besten Freundin. Aber sie hängt maximal zwei Sequenzen lang durch! Sie ist frech und lebensklug und überhaupt niemals tiefgründig! Das will keiner sehen! Niemand will zuhören, wenn sie über die Welt philosophiert oder gar den Sinn des Lebens infrage stellt. Das interessiert niemanden! Also geben Sie ihr um Himmels willen eine komplett andere Persönlichkeit als Ihren sonstigen Heldinnen. Lassen Sie sie einfach ganz normal sein!“

Ich verdrehe die Augen und presse meine Lippen zusammen. Dieser Produzenten-Knecht zerrt gerade gewaltig an meinen Nerven! Darüber hinaus scheint er in seinem Redeschwall gar nicht mehr zu stoppen zu sein.

„Egal, wie schlimm es kommt und welches Unglück auch passiert: In einem Spielfilm, der wenigstens annähernd akzeptable Einschaltquoten erreichen will, ist immer alles lösbar. Es gibt ein Happy End, und das kann gar nicht glücklich genug sein. Und um das zu erreichen, braucht die Hauptperson nicht mehr als ein bisschen Mut und Tatkraft, denn die Fernsehwelt ist bunt und sie dreht sich und alles ist möglich!“

Herr Hansen bemüht sich wirklich sehr – das weiß ich zu schätzen. Seine Begeisterung für dieses Genre ist beinahe rührend! Doch es ist mir nun einmal unmöglich zu glauben, dass eine so lieblose Aneinanderreihung von belanglosen Klischees, die darüber hinaus schon seit Jahrzehnten die Film- und Fernsehwelt beherrschen, zu einem Quoten-Hit führen soll. Es gibt doch schließlich auch noch andere Spielfilme, die von billigem Herzschmerz weit entfernt sind!

Deshalb werfe ich mich mutig in die Bresche, um wenigstens einen Funken Qualität in die Geschichte einfließen zu lassen, die der in seiner Kindheit traumatisierte Heile-Welt-Fanatiker skizziert hat. Zumindest eine Winzigkeit Intellekt muss sein dürfen! Schließlich soll ich doch nicht für den Kinderkanal schreiben. Obwohl: Bernd das Brot sehe ich eigentlich immer ganz gerne …

„Aber es gibt doch schon Tausende von diesen Streifen. Muss sich nicht auch ein Liebesfilm zumindest an irgendeiner Stelle von all den anderen unterscheiden? Vielleicht könnte die Heldin wenigstens ein bisschen reflektiert sein. Wenn sie so eine schlimme Zeit durchleidet, dann kann es doch gar nicht anders sein, als dass ihr Elend sie nach einem psychischen Zusammenbruch zu einem tiefgreifenden inneren Wandel führt, innerhalb dessen sich ihr Weltbild komplett neu zusammensetzt …“

„Um Himmels willen!“, fährt mein Gesprächspartner mir über den Mund. „Nein! Auf gar keinen Fall! Kein Weltbild, nicht tiefgreifend und mit Sicherheit nicht psychisch! Das hat alles absolut gar nichts in einer TV-Romanze verloren! Dann können Sie es gleich lassen.“

Er hört sich ein bisschen hysterisch an, so als hätte ich etwas Unsittliches vorgeschlagen. Meine Güte, von ein wenig Realitätsnähe werden die Zuschauerinnen nicht gleich Blähungen bekommen oder gar daran sterben!

Doch ich gebe mich geschlagen. Ich weiß, wann ich verloren habe, und jetzt ist es soweit. Deshalb beschließe ich, ihn einfach reden zu lassen.

„Glauben Sie mir: Dieser Stoff kommt niemals aus der Mode, auch wenn er in über zehn Millionen unterschiedlichen Variationen, in allen Studios der Welt, mit allen nur erdenklichen Namen, Figuren und Frisuren der Heldin bereits verwurstet wurde. So und nicht anders funktioniert ein Spielfilm, bei dem die Zuschauer nicht entsetzt wegzappen oder Schlafstörungen bekommen. Und ich vermute, so ein Drehbuch zu schreiben ist zurzeit Ihre einzige Chance, ins Geschäft zu kommen!“

Ich weiß, dass er recht hat. Die Wahrheit ist furchtbar und dafür hasse ich ihn. Ich bezweifle, jemals wieder eine Drehbuchzeile schreiben zu können, aber etwas in mir sagt, dass sein Vorschlag wirklich der einzige Weg ist, dem feuchten Kellerloch und dem welken Salatblatt zu entgehen. Deshalb nehme ich mir vor, zumindest ernsthaft darüber nachzudenken, das Undenkbare zu tun. Etwas, wofür mich keiner meiner Bekannten jemals wieder auf der Straße grüßen wird und was außerdem der Grund dafür sein wird, dass meine Eltern mich verleugnen werden. Aber ich habe vermutlich keine Wahl: Ich werde versuchen müssen, einen Schundfilm zu schreiben!

*

Die Dämmerung hat schon lange eingesetzt. Dicke Wolken verdunkeln den Himmel zusätzlich, weil aus dem sonnigen Spätsommertag ein nasskalter Herbstanfang geworden ist. Auf einmal peitscht der Wind auch noch Regen auf das Dachflächenfenster über meinem Schreibtisch. Erstaunt blicke ich auf, als ein Blitz über den Himmel zuckt. Ich habe gar nicht bemerkt, was für ein Unheil sich da draußen zusammenbraut. Vermutlich liegt es daran, dass das nichts ist im Vergleich zu meiner Laune!

Schon seit Stunden brüte ich vor mich hin und starre auf den leeren Bildschirm, einen halben Meter vor meinem Gesicht. Ein kleiner, schmaler, schwarzer Balken blinkt auffordernd in der oberen linken Ecke und versucht mich anzutreiben, doch bitte endlich etwas zu schreiben. Aber ich kann nicht, denn mein Kopf ist wie leer gefegt. Nur ganz weit hinten, in einem kleinen Winkel meines Hirns, jagen sich die Gedanken und fabrizieren wirres Zeug, weil ich mir nicht einmal mehr die Mühe mache, sie einzufangen und in sinnvolle Bahnen zu lenken. Ich nehme an, ich stehe unter Schock!

Der Balken blinkt immer noch. Ich schiebe mir den letzten Schokoriegel in den Mund, dann ist die Packung leer, die heute Vormittag noch nicht einmal angebrochen war. Ich werfe einen prüfenden Blick zum Aschenbecher: Ich glaube, einen Stummel könnte ich noch unterbringen, bevor sein Fassungsvermögen endgültig erreicht ist. Die Schachtel beherbergt nur noch zwei Zigaretten. Heute habe ich es definitiv übertrieben mit meiner Qualmerei! Ich zünde mir trotzdem eine von beiden an.

So kann es nicht weitergehen. Ich muss mich entscheiden: Will ich ernsthaft versuchen, ein Drehbuch zu verfassen, das zwar unterhalb jedes für mich denkbaren Niveaus liegt, das aber wenigstens die Chance auf eine Verfilmung in sich birgt? Oder will ich gleich jetzt die Jobbörsen im Internet nach passenden Angeboten durchforsten? Vielleicht habe ich Glück und gerade heute steht ein Stellenangebot im Netz, das zu meinem beruflichen Profil passt?

Ich kann mich nicht dazu durchringen, diese Idee in die Tat umzusetzen. Stattdessen starre ich weiter regungslos auf den blinkenden Cursor in dem hellgrauen Viereck. Er wartet. Leider habe ich nicht die geringste Ahnung worauf, beziehungsweise welche Buchstabenkombination ich ihm über die Tastatur anbieten soll, damit er den Anfang eines Films daraus macht. Einer schlechten Liebeskomödie. Ich seufze. Wie, um Himmels willen, fange ich so eine Klamotte an?

Entschlossen, nun endlich etwas zu schreiben, und sei es auch nur abwegiger Blödsinn, wage ich einen gedanklichen Vorstoß.

Zunächst einmal brauche ich die Hauptfigur, die Filmheldin. Die Worte des Producers kommen mir in den Sinn, dass solche Filme meistens von Frauen gesehen werden und dass diese sich mit der weiblichen Hauptrolle unbedingt identifizieren können sollen. Also muss die Protagonistin eine ganz normale Frau sein. Hm. Aber wie sieht eine normale Frau überhaupt aus?

Eigentlich müsste ich mir über ihr Aussehen überhaupt keine Gedanken machen, denn das spielt keine Rolle – jedenfalls nicht beim Verfassen eines Drehbuchs. Ich könnte ihr in der knappen Personenbeschreibung des Exposés ein Windhundgesicht, abstehende Ohren und die Figur eines südvietnamesischen Hängebauchschweins verpassen – und für einen Moment gerate ich in Versuchung, genau das zu tun! – doch das ist irrelevant. Das Aussehen wird bei der Besetzung der Rolle entschieden, und da wollen sich die Produzenten, TV-Redakteure, Regisseure und wer sonst noch alles am Set wichtig ist, bestimmt nicht von mir hineinreden lassen. Aber ich brauche ein Bild, eine Vorstellung von dieser Frau, denn in meiner Fantasie muss sie zum Leben erweckt werden. Ich muss vor mir sehen, wie sie sich bewegt, wie sie sich gibt, wie sie spricht, wie sie lacht und überhaupt wie sie ist.

Doch schon an dieser an sich vollkommen unspektakulären Herausforderung droht meine Vorstellungskraft zu scheitern. „Eine ganz normale Frau“ hat Herr Hansen gesagt. Was genau könnte er darunter verstehen?

Unwillkürlich werfe ich einen Blick nach oben ins Dachflächenfenster über meinem Kopf, das ein etwas unscharfes Bild von mir zurückwirft. Könnte eine normale Frau theoretisch so aussehen wie ich?

Mein eigenes schmales, blasses Gesicht mit tiefdunkelbraunen Augen starrt mich an. Meine glatten, dunkelbraunen Haare sind zu einem Zopf zurückgebunden und ein dichter Pony fällt mir in die Stirn und gibt meinem Gesicht etwas Mondänes – jedenfalls hat das meine Friseurin gesagt, als sie mich zu diesem Schnitt überredete. Ich selbst finde mich nicht so mondän, aber der Pony gefällt mir! Meine Figur, na ja, ein bisschen fülliger sind meine 1,72 Meter schon geworden, seit ich meinem Job Adieu gesagt habe. Die Taille war schon schlanker und die Oberschenkel sind etwas stämmig geworden. Aber haben nicht alle Frauen Gewichtsprobleme, manche vielleicht auch nur eingebildete? Dann könnte eine normale Frau theoretisch so aussehen wie ich?

Zumindest das mit dem Gewichtsproblem finde ich überzeugend. Ich notiere im Geiste: Die Hauptfigur ist mollig. Natürlich nur ein ganz klein wenig, denn sie muss ja andererseits auch umwerfend schön sein, was sie selbst in ihrer grenzenlosen Bescheidenheit nur nicht erkennt. Sie macht nicht viel aus sich, sie ist „natürlich“, mit Jeans und Pullover, Hauptsache praktisch, ohne viel Schnickschnack. Erst später wird sie zu einem zauberhaften Schwan werden, einer Schönheit, der sich kaum ein Mann entziehen kann, und schon gar nicht der Held, der schon lange ihre körperlichen Vorzüge erahnte, von denen sie selbst nie Notiz nahm.

Huch!

Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass ich plötzlich genau so denke, wie man denken sollte, wenn man vorhat, eine durchschnittliche Wald-und-Wiesen-Liebesgeschichte fürs Fernsehen zusammenzubasteln. Beängstigend! Ich bin also auf einem guten Weg.

Plötzlich kommt Leben in meine Gehirnwindungen und im Geiste wird meine Filmheldin geboren: Eine Frau, ein bisschen jünger als ich – vielleicht Mitte dreißig? Das hört sich besser an als Anfang vierzig. Außerdem würde ich mich mit Hauptpersonen ab vierzig im Seniorensegment für Liebeskomödien befinden, und die funktionieren meinen spärlichen Erfahrungen als Zuschauer nach völlig anders als das, was Herr Hansen sich vorstellt, und zwar so, dass man sich stets eine betuliche Inge Meysel in der Hauptrolle vorstellen kann!

Ich versuche die Bilder aus meinem Kopf zu kriegen, die gerade entstanden sind. Reiß‘ dich zusammen, Hanna!

Also, die Filmheldin ist Mitte dreißig. Viel jünger sollte sie auch nicht sein, denn es soll ja kein Teenie-Film werden. Schließlich hat Herr Hansen von Fernsehsendern und nicht von einem YouTube-Kanal gesprochen.

Hm, und wie weiter?

Ich denke, die Heldin sollte einsfünfundsechzig Meter groß sein. Ich habe gelesen, dass das die Durchschnittsgröße deutscher Frauen ist. Ich finde das zwar erschreckend winzig, denn ich finde mich schon zu klein mit meinen einszweiundsiebzig, aber darum geht es hier nicht. Es geht um die Norm, und die ist am besten mit dem Durchschnitt abzubilden.

Dann fällt mir ein, dass für die weibliche Hauptrolle sicher eine Blondine ausgesucht wird. Blond passt einfach gut zur Heldin einer harmlosen Liebeskomödie. Schließlich ist die Heldin die Gute, und seit jeher sind die Blonden die Guten und die Brünetten die Bösen – jedenfalls in der Art von seichter Unterhaltung, die ich hier zusammenschreiben muss. Ich hingegen mit meinen dunklen Haaren, dem blassen Teint, dem schmalen Gesicht und den ernst dreinblickenden Augen würde bestenfalls in der Verfilmung eines literarischen Klassikers aus dem neunzehnten Jahrhundert die Heldin sein können. Bei einem in der heutigen Zeit angesiedelten LonA – Liebesfilm ohne nennenswerte Aussage – würde der Produzent niemals jemanden wie mich zur engelsgleichen Heldin ohne Fehl und Tadel machen!

Also fasse ich zusammen: Die Heldin hat blonde Locken, eine sehr frauliche Figur mit etwas Bauch und vielen weiblichen Rundungen, denn Weiblichkeit ist bei dieser Art von Filmen ein Muss! Und sie heißt … ach je! Wie heißt denn so jemand?

Nachdenklich kaue ich auf meinen Nägeln herum. Ein passender Name für die Protagonistin einer TV-Romanze muss her! Nicht zu modern, nicht zu altbacken. Wohlklingend, aber nicht zu verspielt, weil sie ja schon blonde Locken hat und in meiner Fantasie aussieht wie eine Putte aus dem Weihnachtssortiment eines Deko-Geschäfts. Oder wie meine ehemalige Kollegin vom Empfang meiner alten Arbeitsstelle, die sich nur für ihr Aussehen und den schönen Herrn Schubert aus dem Controlling interessierte und sich gerne hinter dem Tresen die Nägel lackierte. Wie hieß die noch gleich?

Sibille! Sibille ist gut. Vermutlich guckt so eine auch Liebesfilme?

Der Name passt also. Sie heißt Sibille. Sibille König. Genau! Das hört sich doch schon vielversprechend nach einem schlechten Film an! Außerdem wird sie von allen liebevoll „Billie“ gerufen.

Ich muss mich in Gedanken übergeben. Schrecklich! So eine gequirlte Hundeka… ähm … häufchen! Was mache ich hier eigentlich?

„Deinen Lebensunterhalt sichern“, antwortet mir eine Stimme in meinem Kopf. Sie hört sich ein bisschen wie die meiner Mutter an, was mich erstaunt. Denn unter „Lebensunterhalt sichern“ versteht meine Mama ganz sicher etwas anderes, als sich der Illusion hinzugeben, eine erfolgreiche Drehbuchautorin zu werden!

Ich schlucke, aber recht hat sie, die Stimme. Weiter geht‘s! Was ist der Plot, also das Handlungsgerüst des Films? Worum dreht es sich? Und wie fange ich die Geschichte an?

Die Worte von Herrn Hansen drängen sich mir auf: Die Heldin steckt in der Klemme und ihr ganzes Leben gerät aus den Fugen. Mann weg, Haus weg, Job weg, selbst Freunde hat sie keine.

Hm. Das ist ja echt blöd! Wie soll denn das alles passieren, und auch noch gleichzeitig? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Was, um Himmels willen, muss geschehen, um so ein fatales Ergebnis hervorzurufen?

Ich lehne mich zurück und überlasse es meinem Unterbewussten, Bilder zu dem Thema zu entwickeln. Hmmm … vielleicht hat ihr Mann einen schweren Unfall? Die Nachricht von seinem Unglück bekommt sie telefonisch, als sie gerade bügelt – sein blütenweißes Hemd, das er am nächsten Tag ins Büro anziehen will! Oh ja! Ich sehe es direkt vor mir: Bester Dinge und von nichts als dem alltäglichen Einerlei beschwert, steht Sibille mit einem fröhlichen Lächeln am Bügelbrett in ihrem schicken Wohnzimmer mit den riesigen Fenstern, die den Blick auf einen hübschen Garten freigeben. Eine kleine Idylle! Nichts rasend Schickes, aber hell und gemütlich, eben ein ganz normales Zuhause für ein sympathisches Pärchen. Sie summt vor sich hin, bearbeitet gut gelaunt das weiße Hemd auf dem Bügelbrett und will gerade zum Wäschesprenger greifen, als das Telefon klingelt.

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