Czytaj książkę: «Mediensoziologie», strona 2

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2.2Unterschiedliche Qualitäten von Medien

An früherer Stelle kam schon der Hinweis, dass mediale Prozesse sowohl eine materiale wie eine symbolische Seite aufweisen. Innis unterscheidet Medien nach zwei Kategorien. Da gibt es zum einen bewegliche Medien wie etwa Papier. Diese Medien sorgen für räumliche Veränderungen. So ermöglicht Papier uns, jemandem einen Brief zu schreiben, der sich nicht am gleichen Ort befindet, was zu einer Erweiterung des Raums führt. Außerdem verweist Innis auf feste Medien, wie etwa Stein. Diese sorgen für zeitliche Veränderungen. Mittels eines Gebäudes aus Stein präsentiert sich eine Regierungsform als dauerhaft. Die Architektur ist deshalb ein interessantes mediensoziologisches [24]Forschungsfeld. Innis beschreibt die Eigenschaften von Medien wie folgt: »Jedes einzelne Kommunikationsmittel spielt eine bedeutende Rolle bei der Verteilung von Wissen in Zeit und Raum, und es ist notwendig, sich mit seinen Charakteristiken auseinanderzusetzen, will man seinen Einfluss auf den jeweiligen kulturellen Schauplatz richtig beurteilen. Je nach seinen Eigenschaften kann solch ein Medium sich entweder besser für die zeitliche als für die räumliche Wissensverbreitung eignen, besonders wenn es schwer, dauerhaft und schlecht zu transportieren ist, oder aber umgekehrt eher für die räumliche als für die zeitliche Wissensverbreitung taugen, besonders wenn es leicht und gut zu transportieren ist. An der relativen Betonung von Zeit und Raum zeigt sich deutlich seine Ausrichtung auf die Kultur, in die es eingebettet ist.« (Innis 1997, S. 95) Noch einmal zusammengefasst: Innis konzeptualisiert gesellschaftlichen Wandel als medientechnologisch induziert. Die räumliche Expansion sowie die zeitliche Stabilisierung von Herrschaft sind laut Innis verbunden mit dem Einsatz bestimmter Kommunikationsmedien. Es geht Innis bei seinen theoretischen Überlegungen in Bezug auf Medien also nicht nur um den Prozess der Informationsübertragung, sondern ganz generell um die Möglichkeiten und die Bedingungen der Wahrnehmung, die durch Medien geprägt sind. Innis interessiert sich dabei vor allen Dingen für den Wandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit. In seinem Werk The bias of communication (1951) entwickelt Innis die These, dass die politische Organisation von Gesellschaften entscheidend von der jeweils dominanten Medientechnologie abhängt. Dass geht so weit, dass Innis die Bildung des modernen Nationalstaates und das Entstehen bürgerlicher Gesellschaften als Resultate der Ablösung der Manuskriptkultur durch den Buchdruck interpretiert. Inwiefern diese Annahmen für die Soziologie plausibel sind, wollen wir in einem nächsten Schritt diskutieren.


3.Medien und Gesellschaft

Die Medientheorie der Kulturwissenschaft hat die These von der Generativität des Mediums auf sehr unterschiedliche und komplexe Weise bearbeitet, worauf wir im Laufe des Buches immer wieder zurückkommen werden. Zur Erinnerung: Unter der Generativität des Mediums wird zum einen verstanden, dass Medien ihren Gegenstand nicht neutral übermitteln, sondern ihm etwas hinzufügen und ihn dadurch prägen. Weiterhin sind Medien als entscheidende Generatoren eines sozialen und kulturellen Wandels anzusehen. Wenn sich Medien verändern, so die These der Medientheorie, ändern sich auch soziale Praktiken. Warum aber sollte sich die Soziologie hiermit beschäftigen? Wozu brauchen wir überhaupt eine Mediensoziologie? Und inwiefern sollte man sich an der Tradition der Kulturwissenschaften orientieren?

[25]Die spezifische Beschäftigung der Kulturwissenschaften mit Medien ist für die Soziologie interessant, weil diese sich für die Entstehung und für die Veränderung von sozialer Ordnung interessiert. Die entscheidenden Fragen der Soziologie lauten: Wie ist soziale Ordnung möglich? Wie kommt es zu Regelmäßigkeiten im sozialen Ablauf? Wie entstehen Strukturen von Erwartungen, die uns helfen, uns in sozialen Situationen zu orientieren? Für die Mediensoziologie stellt sich hieran anschließend die Frage: Welche Rolle kommt Medien bei der Entstehung und dem Wandel von sozialen Erwartungen zu, also für die Genese und die mögliche Veränderung sozialer Ordnung? Welche Sozialformen entstehen durch Medien? Und wie kann man diese (medien-)soziologisch beschreiben?

Die Mediensoziologie nähert sich dieser Fragestellung auf unterschiedlichen Wegen. Die Rezeptionsforschung beobachtet etwa, welche medialen Inhalte in den Medien dargestellt werden und welche Wissensformen hierdurch entstehen. Exemplarisch könnte man hier die Arbeiten von Angelika Keppler (2006) nennen. Sie zeigt in ihrer Studie zu Gewaltdarstellungen im Fernsehen, wie dieses durch eine permanente Differenzierung zwischen dem Realen und dem Fiktiven den Realitätssinn heutiger Gesellschaften formt. Die Anwendungsforschung untersucht, wie die Inhalte der Medien jenseits ihrer Darstellungsformen etwa im Fernsehen wieder auftauchen. Jo Reichertz (2006) beispielsweise interessiert sich nicht nur für die Analyse medialer Inhalte, sondern auch für deren Gebrauch im praktischen Leben. Er fragt beispielsweise, wie sich im Fernsehen gezeigte Hochzeitsshows auf das Heiratsverhalten von Personen auswirken. Es geht also um die Frage nach dem Wissenstransfer von medialen Inhalten. Die Publikumsanalyse der Cultural Studies (im Überblick Hepp / Krotz 2009; Hepp / Winter 2008) geht wiederum der Frage nach, wie Medien das Publikumsverhalten verändern. Wer kann was wie sagen? Und wer kann das Gesagte auf welche Weise verstehen? Welche Rolle spielt das Medium dabei? Schließlich gehört zur Mediensoziologie auch noch der Forschungsbereich Internet. Zahlreiche Autoren haben sich mit Virtualität und Realität in computerisierter Kommunikation beschäftigt. Diese Perspektiven erscheinen deshalb so interessant, weil der Eigenleistung des Mediums eine angemessene Rolle bei Herstellung und Wandel von Kommunikationspraktiken zugesprochen wird.

Dieses Buch schließt sich der These der Medientheorie an, dass Medien etwas verändern, wenn sie zum Einsatz kommen. Genauer: Hier wird die medientheoretische Annahme, dass Medien ihren Informationen etwas hinzufügen und die Wahrnehmung der Information dabei verändern, als empirische Frage aufgenommen und als Forschungsfrage formuliert: Woran wird der Einfluss von Medien konkret und im Einzelfall sichtbar? Verändern Medien tatsächlich die Wahrnehmung der von ihnen vermittelten Informationen? [26]Wie zeigt sich dies empirisch? In der empirischen Zugangsweise liegt die genuine Eigenleistung einer mediensoziologischen Perspektive. Indem sie mediale Prozesse zunächst relativ schlicht als Übertragungsverhältnisse, die bestimmte Phänomene sichtbar und erfahrbar machen, begreift, löst sie mindestens zwei Probleme: Sie kann auf einen Medienbegriff zurückgreifen, der es ihr ermöglicht, überhaupt erst einmal zu benennen, was man in den Blick nimmt, wenn man von Medien spricht. Gleichzeitig hält sie sich offen genug dafür, unterschiedliche Dinge als Medien zu deklarieren. Gelten nicht nur Massenmedien als Medien, ergibt sich die Frage, was überhaupt zu einem Medium gemacht wird. Was taucht empirisch als Medium auf? Wann wird etwas zu einem Medium gemacht – und wann nicht?


4.Der Arabische Frühling: eine Facebook-Revolution?

Aber wie plausibel ist die Herangehensweise der bis hierher nur kurz skizzierten Medientheorie aus soziologischer Perspektive? Dass Medien soziale Ordnung verändern können, wurde am Beispiel der Demonstrationen in Ägypten, die dort seit Dezember 2010 stattgefunden haben, diskutiert. Der sogenannte Arabische Frühling erlangte auch als Facebook-Revolution eine gewisse Berühmtheit. Formate wie Facebook, YouTube und Twitter sollen zum Erfolg der Revolution beigetragen haben. Wir wollen diese vor allen Dingen in den Feuilletons geführte Debatte im Folgenden dazu nutzen, unsere These von der Generativität des Mediums zu diskutieren. Anhand der Arbeiten von Harold A. Innis stellen wir zur Diskussion, inwiefern die These von der Generativität des Mediums am konkreten Fall plausibel wird. Ist es tatsächlich das Medium, das soziale Praktiken prägt? Oder sind es nicht vielmehr die über Medien vermittelten sozialen Praktiken selbst, die für eine Transformierung sozialer Ordnungen sorgen?

Abbildung 2 zeigt eine Facebook-Solidaritätsseite für den ägyptischen Widerstand vom April 2011. Man kann sich anhand dieser Seite fragen, inwiefern sich die Rede von der Generativität des Mediums empirisch bewährt. Was verändert zum Beispiel der Einsatz von Facebook an der politischen Ordnung in Ägypten? Ist es wirklich das soziale Netzwerk, das als Medium für eine veränderte Ordnung sorgt? Oder sind es nicht vielmehr die Zugangsweisen zu der Webseite, die es ohnehin gegeben hätte? Inwiefern tragen Netzwerke wie Facebook zur Transformation von Wahrnehmungsformen bei? Inwiefern werden Personen hier neu aufeinander bezogen?

Ohne diese Fragen an dieser Stelle im Einzelnen zu beantworten, kann man sich zunächst einmal eine soziologische Zugangsweise mit Hilfe der [27]Medientheorie der Kulturwissenschaften erarbeiten. Inwiefern überzeugen deren Thesen noch, wenn man sie auf aktuelle empirische Prozesse anwenden will? Harold A. Innis stellt jedenfalls für das Ägypten der Frühzeit fest: »Die tiefen Erschütterungen, denen die ägyptische Zivilisation beim Übergang von einer absoluten Monarchie zu einer demokratischen Staatsform ausgesetzt war, gingen mit einer Schwerpunktverlagerung von Stein als Kommunikationsmittel (…) auf Papyrus einher.« (Innis 1997, S. 56)


Abb. 2: Facebook Öffentlichkeit Quelle: facebook.de; 04/2011.

Trifft diese These vom Medienwechsel auch für die heutige Gesellschaft zu? Haben soziale Netzwerke im Internet tatsächlich so viel Veränderungspotenzial, dass sie dazu beitragen können, Revolutionen zu befördern? Mediensoziologische Forschungen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während die einen davon ausgehen, dass die Web 2.0-Formate im Internet bedeutend daran beteiligt waren, die Protestbewegungen zu unterstützen (Cohen 2011; Webster 2011), sind andere skeptisch. Sie vermuten eher, dass die Protestbewegungen auch ohne die Unterstützung des Internets stattgefunden hätten (Rich 2011). Wir wollen diese Debatte nicht im Einzelfall nachverfolgen (einen guten Überblick bieten Lim 2012 und Alexander 2011). Spannend ist [28]an dieser Stelle allein der Umstand, dass die medientheoretischen Annahmen der Toronto School aus dem vorigen Jahrhundert nach wie vor relevant sein können, wenn es um die Beschreibung aktueller sozialer Phänomene geht.

FAZIT

Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen:


1.Mediale Prozesse sind Übertragungsverhältnisse, die Phänomene erfahrbar und sichtbar machen. Medien weisen eine materiale und eine symbolische Seite auf. Die Medientheorie der Kulturwissenschaft nimmt mit der Erkenntnis ihren Anfang, dass die Materialität des Mediums eine wichtige Rolle für die Wirkung der übertragenen Information spielt.
2.Die frühe Medientheorie der Toronto School hat dazu beigetragen, einen eigenständigen Blick auf Medien als Forschungsgegenstand zu eröffnen.
3.Harold A. Innis versteht unter Medien die materialen Bedingungen von Übertragungsverhältnissen (Bias of Communication), die sich in Kommunikationsabläufe einschreiben und damit Wissens- und Machtkulturen erzeugen können. Innis zeichnet in seinen Schriften die Entwicklung der modernen westlichen Gesellschaft unter den Bedingungen veränderter Kommunikationsmittel nach. An eine veränderte Medialität wird also eine veränderte Zeitlichkeit, Geschichte und Epochenbildung gebunden.
4.Diese Perspektive ist für die Soziologie interessant, weil sie sich für die Genese sozialer Ordnung interessiert. Die entscheidende Frage der Mediensoziologie lautet also: Wie ist soziale Ordnung möglich und welche Rolle spielen Medien dabei?

Literatur:

Innis, Harold A. (1951/1997): »Die Medien in den Reichen des Altertums«. In: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Kreuzwege der Kommunikation. Wien. S. 56–66.


[29]II.Marshall McLuhan, Friedrich Kittler: Ein starker Medienbegriff

LEITENDE FRAGEN:

 Warum ist das Medium die Botschaft?

 Warum spielen Medien eine so große Rolle für Gesellschaft?

Wir haben uns bisher in ersten Schritten der medientheoretischen Annahme genähert, dass Medien Botschaften nicht einfach neutral übertragen, sondern ihnen etwas hinzufügen und sie dadurch verändern. Bislang hatten wir diese Annahme auf die Arbeiten von Harold A. Innis zurückgeführt – dem Begründer der frühen Medientheorie der Toronto School, der durch das Werk seines Schülers Marshall McLuhan maßgeblich bekanntgemacht wurde. Dessen meist zitierter Satz »The medium is the message.« (McLuhan 1964, S. 19) hat sich wie ein populärer Slogan in der Öffentlichkeit verbreitet und galt innerhalb der Kulturwissenschaften zunächst einmal als Provokation. Warum dies so ist, soll im Folgenden untersucht werden. In einem weiteren Schritt geht es dann um die Arbeiten des Medienwissenschaftlers Friedrich Kittler. Er hat sich gründlich mit der These auseinandergesetzt, dass Medien generativ sind, ihren Botschaften also etwas hinzufügen und sie nicht unberührt lassen. Friedrich Kittler geht von einem ähnlich starken Wirkungszusammenhang von Medien aus, wie Marshall McLuhan dies tut. Gleichzeitig radikalisiert er zusätzlich dessen Ansatz. Wegen der Parallelen in beiden Werken wollen wir diese in einem gemeinsamen Kapitel vergleichen.

Beide Autoren haben relativ schwer zugängliche Werke hinterlassen. Die Arbeiten von Marshall McLuhan lesen sich zum Teil sehr unsystematisch. McLuhan soll sich zeitlebens ganz bewusst gegen eine lineare Beweisführung gewehrt haben, weil sie ihm als »Zeugnisse einer überkommenen Buchkultur« (Mersch 2006, S. 106) gegolten haben. Und die Arbeiten von Friedrich Kittler scheinen oft genug düster und kryptisch. Dennoch sind beide Autoren wegen ihres bis heute dauernden Einflusses in den Medienwissenschaften die Mühe einer Annäherung wert.


Marshall McLuhan: Das Medium ist die Botschaft

Marshall McLuhan richtet sich mit seiner in der Überschrift noch einmal erwähnten Aussage zunächst gegen eine hermeneutische Tradition in der Literaturwissenschaft. Die Hermeneutik beschäftigt sich mit der (unterschiedlichen) Auslegung von Texten und deren Sinnverstehen. Sie fragt nach dem Bedeutungsgehalt von Inhalten, also nach der Botschaft von Texten. Als Schüler Innis’ macht McLuhan nun aber darauf aufmerksam, dass es nicht der Inhalt eines Mediums sei, für den man sich analytisch zu interessieren habe, sondern das Medium selbst.

Er will den Blick darauf lenken, dass es für die Literaturwissenschaft nicht allein relevant sein kann, die Inhalte von Texten zu analysieren und sich etwa über unterschiedliche Interpretationen von Goethes »Die Leiden des jungen Werther« zu streiten. Aus Sicht von McLuhan geht es vielmehr darum, wahrzunehmen, dass es sich bei Goethes « Werther« um einen Roman handelt, der als gedrucktes Buch einer breiten Öffentlichkeit verfügbar war und deshalb seine große Wirksamkeit entfalten konnte. Die Existenz des Buchdrucks hat unmittelbar dazu beigetragen, dass Goethes Werk seine große Bedeutung erlangte.

Dergestalt ist der thesenförmige Satz The Medium is the Message zu verstehen: Das Bestimmende für den Inhalt ist das Medium in seiner materialen Form. Nicht was Medien übermitteln zählt, sondern die Materialität des Mediums selbst. Die Qualität des Mediums schreibt sich in die Botschaft ein und verändert deren Gehalt. So macht es gemäß McLuhan einen Unterschied, ob wir eine Nachricht per Telefon übermitteln oder per Eintrag in ein Internetforum – es sind jeweils ganz unterschiedliche Praktiken damit verbunden. Und es sind ganz unterschiedliche Personenkreise involviert.

Dieser Satz richtet sich aber nicht nur gegen die hermeneutische Tradition in der Literaturwissenschaft, sondern auch noch gegen eine weitere Tradition der Medienforschung, nämlich die Medienwirkungsforschung. Diese Medienwirkungsforschung (im Überblick Jäckel 2005) untersucht die medialen Einflüsse auf unsere Einstellungen. Es geht um die von Medien verbreiteten Inhalte, und darum, wie diese Inhalte vom Publikum aufgenommen und rezipiert werden und schließlich im praktischen Alltag Verwendung finden. Aus McLuhans Sicht ist diese Perspektive nicht ausreichend, um die tatsächliche Wirkung von Medien zu erforschen. Medien bezeichnen aus McLuhans Sicht in einem umfassenden Sinn die grundsätzlichen Bedingungen einer Kultur und Struktur einer Gesellschaft.

[31] Infobox:

Marshall McLuhan (»The Medium is the Message«) gilt als populärster Vertreter der Medientheorie der Toronto School. Seine Berühmtheit war sogar so groß, dass er in dem Film von Woody Allen »Annie Hall« (1977) (deutsch: Der Stadtneurotiker) auftrat und sich selbst spielte. Zu seinen Hauptwerken zählen »The Mechanical Bride« (1951), »The Gutenberg Galaxy« (1962) und »Understanding Media« (1964). Aus letzterem Werk stammt auch der oben genannte berühmte Slogan.

Medien stellen die Bedingungen von Sinn, Wahrnehmung, Kommunikation und Sozialität dar. Das Medium gleicht einer Skriptur, einer In-Schrift, einem Surplus, das sich in die Zeichen und ihre Bedeutungen einschreibt und deren hermeneutische Zugänge übersteigt. An die Stelle des Inhalts rückt die Eigenständigkeit der Formate von Medien.

Entschiedener als Kunst und Literatur, als Religion und Philosophie machen Medien und ihre Formate den Menschen im Ganzen aus und bilden jene dominanten Regime, aus denen die Ordnungen des Denkens, die zwischenmenschliche Kommunikation, politisches Handeln und kulturelle Selbstverständnisse hervorgehen. Als Erweiterung der Sinne und Handlungsmöglichkeiten, der Erfahrung und Kommunikation erzeugen Medien für den Menschen Umwelten, in denen er wahrnimmt, sich bewegt und sich entwickelt. Die Medientheorie untersucht die spezifischen Ordnungen medialer Milieus, die durch Buchdruck, Fernsehen, elektrisches Licht oder Verkehr geschaffen werden.

Daraus ergibt sich das von McLuhan geprägte Wortspiel, dass das Medium nicht nur the message ist, sondern auch the massage: »Alle Medien massieren uns gründlich durch. Sie sind dermaßen durchgreifend in ihren persönlichen, politischen, ökonomischen, moralischen, ethischen und sozialen Auswirkungen, dass sie keinen Teil von uns unberührt, unbeeinflusst, unverändert lassen. Das Medium ist Massage.« (McLuhan 1967, S. 26) Dieser Satz entstammt einem 1967 veröffentlichten Buch mit dem Titel The Medium is the Massage: An Inventory of Effects (dt: Das Medium ist die Massage: Eine Bestandsaufnahme der Auswirkungen). Bei den Druckvorbereitungen war ein Schreibfehler unterlaufen, der »Message« in »Massage« verwandelt hatte. McLuhan soll dieser Schreibfehler aber nicht weiter gestört haben. Für ihn drückte sich mit dessen Hilfe genau das aus, was er meinte: Medien sind Umwelten des Menschen, sie bilden Milieus aus, die den Menschen grundlegend in seiner Wahrnehmung prägen. Medien massieren unseren [32]Wahrnehmungsapparat also gründlich durch, schreiben sich in ihn ein und beeinflussen ihn.


1.1Heiße und kalte Medien

Hatte Innis bei seiner qualitativen Differenzierung noch zwischen beweglichen, leichten (Papier) und festen, schweren Medien (Stein) unterschieden, spricht McLuhan von heißen und kalten Medien. Bei ihm richtet sich die Unterscheidung unterschiedlicher Qualitäten von Medien nicht nach räumlichen und zeitlichen Kategorien wie bei Harold A. Innis, sondern nach den verschiedenen Teilnahmegraden, die Medien uns abverlangen.

Mit diesen unterschiedlich hohen Teilnahmegraden befasst sich der erste Teil von Understanding Media (1964). Was ist damit gemeint? Einige Medien, zum Beispiel der Film, beanspruchen einen einzigen Sinn, in diesem Fall der Sehsinn, in solch einer Art und Weise, dass der Zuseher sich nicht mit dem Ausfüllen eines einzigen Bildes beschäftigen muss. Medien, die diese Qualität erfüllen, sind für McLuhan heiße Medien. Dagegen verlangen kalte Medien vom Konsumenten mehr Anstrengung, um die Bedeutung zu bestimmen, sie verlangen also mehrere Sinne, die zur Verständigung erforderlich sind. McLuhan nennt hierfür als Beispiel das Fernsehen. Seine Unterscheidungen beziehen sich eindeutig auf frühere mediale Formate. Mit Film meint er offenbar den Stummfilm, der im Gegensatz zum Fernsehen, nur den Sehsinn abverlangt. Inwiefern McLuhans Unterteilung heute überhaupt noch sinnvoll ist, muss man sich ohnehin fragen, denn der Kinofilm, gezeigt in modernen Lichtspielhäusern beansprucht wohl mindestens ebenso viele Sinne, wie der Fernsehfilm, wenn nicht sogar mehr, denkt man an 3D-Formate. McLuhans Unterscheidung macht jedoch darauf aufmerksam, dass Medien überhaupt unterschiedliche Qualitäten aufweisen können. Diese unterschiedlichen Qualitäten bindet McLuhan dann an den für den Konsum notwendigen Grad an Partizipation (Teilnahme).

McLuhan macht in Bezug auf die qualitative Eigenschaft von Medien noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. Demnach unterliegen Medien einer konstitutionellen Blindheit, sie sind im praktischen Vollzug unerkennbar und treten hinter den durch sie transportierten Inhalt zurück. In Worten McLuhans: »Das Medium ist verborgen, der Inhalt offensichtlich.« (McLuhan 2001, S. 9) Aus McLuhans Sicht ist es deshalb nachvollziehbar, dass sich die Literaturwissenschaft lange Zeit nur mit den Inhalten von Medien, also mit der unterschiedlich möglichen Bedeutung von Texten beschäftigt hat, und nicht mit den medialen Formaten selbst. Medien hätten zwar einen starken Einfluss auf soziale Zusammenhänge, so McLuhan. Gleichzeitig bleiben sie im praktischen Vollzug, in ihrer Verwendung aber [33]nahezu unsichtbar. Sie verschließen sich der Wahrnehmung, indem sie Inhalte transportieren. So denken wir während wir sprechen kaum über die Bedeutung der Sprache nach. Wir sprechen vielmehr quasi wie von selbst, ohne uns klarzumachen, wie Sprache überhaupt funktioniert. Beim Lesen eines Buches reflektieren wir nicht, wie das Buch uns an einem umfassenden Diskurs etwa über Mediensoziologie teilnehmen lässt und uns damit zu einem Publikum, zu einer Öffentlichkeit formiert. Wir denken beim Umblättern der Seiten nicht darüber nach, wie der geschriebene Text lineares Denken befördert, ein Denken in Kausalitäten, in dem B auf A zu folgen hat.


1.2Medien als Verlängerungen menschlicher Organe

Medien sind aus der Sicht McLuhans mehr als Techniken, die wir anwenden: Sie gleichen kompletten Milieus, die uns umhüllen, in denen wir uns bewegen, die uns prägen, und die wir, gleich einer zweiten Haut, nicht abzustreifen vermögen. McLuhan beschreibt Medien als Prothesen, die menschliche Organe verlängern. »Alle Medien sind Erweiterungen bestimmter menschlicher Anlagen – seien sie psychisch oder physisch.« (McLuhan, 1969 S. 26) Medien bezeichnen alle Verlängerungen, Extensionen des menschlichen Körpers und seiner Sinne. Gemeint sind beispielsweise Kleidung, Instrumente, die Brille, das Rad, Bücher, Glühbirnen, Zeitungen, Fernsehen. Am Beispiel der Computermaus und der Fernbedienung wollen wir die Prothesen-These illustrieren:


Abb. 3: Medien als Verlängerung menschlicher Organe Foto: Gabi Blum

[34]Gemäß McLuhan sind Computermaus und Fernbedienung eine Verlängerung des menschlichen Organs Hand. In seiner Ausformung ist das Medium der Gestalt der Hand genau angepasst und erweitert damit die menschlichen Fähigkeiten, hier: die Steuerung einer Maschine. Als Verlängerung des menschlichen Organs wirken die Computermaus und die Fernbedienung gleichzeitig auf die Bewegungsmotorik des Menschen zurück und formen diese. Wie wir Computermaus und Fernbedienung steuern, geben diese uns vor. McLuhan beschreibt also eine Art Zirkelbewegung:. An den menschlichen Körper werden Medien angepasst, sie werden danach geformt. In dieser Ausformung wirken Medien wieder auf die Körper zurück. Die Hand weiß quasi von selbst, was mit Maus und Fernbedienung zu tun ist. Diese Ausführungen mögen vielleicht vergleichsweise banal erscheinen. Macht man sich aber mit McLuhan klar, dass wir permanent von Medien umgeben sind, gewinnt dieser Zugang eine eigentümliche Dynamik: Medien sind Prothesen, die uns als Hilfsmittel zur Verfügung stehen und gleichzeitig unsere Wahrnehmung der Welt formen.

Übungsvorschlag:

Betrachten Sie Formen und Charakteristika von Medien und überlegen Sie, inwiefern Medien Verlängerungen menschlicher Organe darstellen und sie dadurch wiederum prägen. In der Mediensoziologie wurde dies etwa am Beispiels des Mediums Fernsehen untersucht. John Hartley (1999/2001) analysierte, wie Wohnzimmer und Kühlschrank rund um das Fernsehgerät gruppiert und als »Verlängerung« der Praxis des Fernsehens erfunden wurden. So lautet eine seiner Thesen: »Ohne Kühlschrank gäbe es kein Fernsehen.« (Hartley 1999/2001, S. 263). Andere Autoren widmen sich wiederum der Fernbedienung. Sie untersuchen, wie durch die Praxis des Umschaltens das Fernsehen zu einem Medium der Zerstreuung gemacht wird (Winkler 1991).

Dabei ist der Inhalt eines Mediums immer ein weiteres Medium: »(…) the ›content‹ of any medium is always another medium. The content of writing is speech, just as the written word is the content of print, and print is the content of the telegraph.« (McLuhan, 1964 S. 20)

Gemeint ist damit, dass Medien sich selbst fortschreiben, sich ineinander verschränken und wechselseitig interpretieren. Medienentwicklungen setzen also immer schon Medienentwicklungen voraus. Am Computer sehen wir zum Beispiel einen Film an, der auf einem Roman beruht, der auf Schrift [35]beruht, die auf Sprache beruht. Abgeleitet wird hieraus eine Genealogie der Medien, das heißt: Soziale Begebenheiten werden Medienentwicklungen zugeschrieben.


1.3Genealogie der Medien

McLuhan versucht, den Geschichtsverlauf aus der Entstehung der Alphabetschrift herzuleiten. Die Schrift verwandelt gemäß McLuhan die Sprache in eine lineare Struktur und legt damit die Basis für das Zeitalter der Vernunft, der Beweisführung und der diskursiven Argumentation. Andererseits kommt es auch zur Verarmung der mündlichen Rede. Diese Tendenz wird durch die Erfindung des Buchdrucks noch verstärkt. Serialisierung und Massenproduktion werden im Buchdruckzeitalter befördert, so McLuhan. Neue Entwicklungen sind – in Schlagworten zusammengefasst – die Zentralperspektive, die chronologische Erzählung, die Einheitlichkeit des Tons in der Prosa, die Newton’sche Physik, der Individualismus, der freie Markt und die Nationalstaatlichkeit. All dies wird von McLuhan auf den Wechsel der Medien zwischen Schriftzeitalter und Buchdruckzeitalter zurückgeführt.

Soziologisch betrachtet, könnte hier der Verdacht des Mediendeterminismus aufkommen. Es drängt sich die Frage auf, ob McLuhan den Einfluss von Medien nicht überbetont. Lassen sich wirklich alle sozialen Entwicklungen anhand der Entstehung und Veränderung von Medien erklären? So kann man gerade aus soziologischer Perspektive auf die Bedeutung der Religion bei der Entstehung kapitalistischer Systeme hinweisen, wie Max Weber (1904) dies in seiner Studie zur protestantischen Ethik getan hat. Oder man richtet sein Augenmerk auf Georg Simmels (1903) Ausführungen zur Bedeutung der Großstadt für die Entwicklung des modernen Menschen. In beiden Ansätzen ist von Medienwechseln keine Rede – dennoch wird jeweils auf plausible Weise sozialer Wandel erklärt. McLuhan schlägt allerdings einen so breiten Medienbegriff vor, dass nahezu alle technisch-materialen und symbolischen Formen hierunter fallen können. Insofern geht er tatsächlich von einer maßgeblichen Bedeutung von Medien für die Veränderung von sozialen Prozessen aus.


2.Friedrich Kittler: Medien bestimmen unsere Lage

Nach Friedrich Kittler sind Medien direkt an der Prägung der Menschen und der bestehenden Wahrnehmungsverhältnisse beteiligt. Mit dieser Herangehensweise schließt Kittler zunächst an die Arbeiten von McLuhan an. Auch er richtet sich gegen eine hermeneutische Tradition der Analyse von Medien. [36]Und auch die Medienwirkungsforschung greift aus der Sicht Kittlers zu kurz. Es geht ihm ebenso wie McLuhan vordringlich nicht um die Inhalte der Medien, sondern um ihre materiale Qualität – und darum, wie sich diese Qualität von Medien auf unsere Wahrnehmung auswirken kann. Und ähnlich wie McLuhan fasst Friedrich Kittler diesen Zusammenhang relativ schlaglichtartig in folgendem Satz zusammen: »Medien bestimmen unsere Lage, die trotzdem oder deshalb eine Beschreibung verdient.« (Friedrich Kittler 1986 S. 3).

Infobox:

Friedrich Kittler (1943–2011) hatte seit 1993 den Lehrstuhl für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Berliner Humboldt-Universität inne. Er gilt als einer der einflussreichsten Medientheoretiker in Deutschland. Zu seinen Hauptwerken zählen Aufschreibesysteme 1800/1900 (1985) und Grammophon Film Typewriter (1986). Insbesondere technische Medien spielen in beiden Werken eine bedeutende Rolle.

Ebenso wie Marshall McLuhan gilt Friedrich Kittler als Provokateur innerhalb einer hermeneutisch orientierten Literaturwissenschaft. Medien, so setzt Friedrich Kittlers Medientheorie ein, bestimmen unsere gesamten Wahrnehmungsformen in einem umfassenden Sinn. Unser gesamter Wahrnehmungsapparat, unsere gesamte Welterfahrung ist über Medien vermittelt und damit umfassend durch sie geprägt. Man spricht in Bezug auf Kittlers medientheoretischen Zugang deshalb auch von einem medialem Apriori: Medien gehen allen möglichen Erfahrungsformen voraus, liegen ihnen zugrunde, bedingen sie. Gleichzeitig relativiert Friedrich Kittler aber seine These, wenn er darlegt, dass dieser mediale Wirkungszusammenhang dennoch eine Beschreibung verdient. Damit meint er Folgendes: Es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Medien und Wirklichkeitskonstruktion. Trotz des grundsätzlich endbestimmenden Einflusses von Medien existiert auch in der Medientheorie von Friedrich Kittler eine Spannbreite von Realisierungsmöglichkeiten. Er formuliert dies metaphorisch: »Es passiert so schrecklich viel zwischen Silizium und seinen seelischen Outputs.« (Friedrich Kittler 1994, S. 114)

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