Czytaj książkę: «Tödliche Gier in Bansin»
Elke Pupke
TÖDLICHE GIER IN BANSIN
Inhalt
Den Strandfischern auf Usedom gewidmet.
Prolog
Donnerstag, 04. Juni
Freitag, 05. Juni
Sonnabend, 06. Juni
Dienstag, 09. Juni
Donnerstag, 11. Juni
Freitag, 12. Juni
Sonntag, 14. Juni
Mittwoch, 17. Juni
Donnerstag, 18. Juni
Montag, 22. Juni
Mittwoch, 24. Juni
Donnerstag, 25. Juni
Freitag, 26. Juni
Sonnabend, 27. Juni
Montag, 29. Juni
Montag, 06. Juli
Mittwoch, 08. Juli
Freitag, 10. Juli
Dienstag, 14. Juli
Donnerstag, 16. Juli
Freitag, 17. Juli
Sonnabend, 18. Juli
Mittwoch, 22. Juli
Sonnabend, 25. Juli
Dienstag, 28. Juli
Mittwoch, 29. Juli
Donnerstag, 30. Juli
Freitag, 31. Juli
Sonntag, 2. August
Dienstag, 4. August
Freitag, 7. August
Sonnabend, 8. August
Dienstag, 11. August
Sonnabend 15. August
Sonntag, 16. August
Dienstag, 18. August
Mittwoch, 19. August
Donnerstag, 20. August
Epilog
Den Strandfischern auf Usedom gewidmet.
Prolog
Juni 2018
Es ist ein sehr heller Sommerabend. Die Insel ist voller Touristen, auf den Strandpromenaden drängen sich die Menschen, die Tische in den Restaurants und auf den Terrassen sind alle besetzt, alle Türen stehen offen, von überallher klingen Musik und Stimmengewirr. Saison an der Ostsee.
Hier am Peenestrom, an der Rückseite der Insel Usedom, ist es still. Die wenigen Häuser des kleinen Dorfes liegen verstreut zwischen Bäumen und Gärten. Die Gardinen vor den kleinen Fenstern sind zugezogen, hinter einigen sieht man ein schwaches Licht oder einen helleren Bildschirm. Ein Eichhörnchen klettert einen Baumstamm hinauf, eine Katze schleicht durch das Gras. Nur das Quaken der Frösche und das verschlafene Schnattern einer Ente stören die Stille.
Ein etwas wackliger Holzsteg führt durch das hohe Schilf bis ins tiefere Wasser. Die Frau lässt ihre hochhackigen, mit Strasssteinchen besetzten Sandalen und den pinkfarbenen Bademantel am Ufer liegen. Sie kichert vor sich hin, als sie vorsichtig über den Steg balanciert und sich an der Spitze hinsetzt. Sie ist nicht betrunken, nur sehr vergnügt, mit sich und ihrem Leben zufrieden. Gerade hat sie fast zwei Stunden lang mit ihrer Familie in Polen telefoniert. Die lebt auch in einem kleinen Dorf, aber ihren Lieben geht es nicht so gut, sie müssen hart arbeiten, um sich mit der Landwirtschaft über Wasser zu halten. Sie können auch nicht zu ihrer Hochzeit kommen, leider, sie haben gerade jetzt zu viel zu tun. Aber man wird die Feier in Polen nachholen. Darauf freut sich die Frau, sie malt sich aus, wie sie, elegant gekleidet, mit teuren Geschenken für die Mutter und die Schwestern ins Dorf kommt, wie ihre ehemaligen Freundinnen sie bewundern und beneiden werden.
Die Frau ist nicht mehr ganz jung und nicht mehr ganz schlank, ihr freundliches, rundes Gesicht zeigt Spuren eines abwechslungsreichen Lebens und viele Lachfältchen, das Haar ist etwas zu blond gefärbt.
Während des Telefonates hat sie den süßen Sekt getrunken, den sie so liebt, eine ganze Flasche. Vielleicht wird sie morgen früh Kopfschmerzen haben, doch jetzt geht es ihr gut. Sie geht jeden Abend um diese Zeit im Peenestrom schwimmen, zwischen acht und zehn Uhr, wenn ihr zukünftiger Ehemann die Tagesschau ansieht und danach einen Film, am liebsten einen Krimi.
In Gedanken an das Gespräch mit ihrer jüngeren Schwester, von der sie glühend beneidet wird, immer noch lächelnd, lässt sie die Beine im Wasser baumeln, dann gleitet sie langsam hinein. Es ist noch kühl, angenehm erfrischend.
Die Frau dreht sich auf den Rücken und will sich gerade mit den Füßen vom Steg abstoßen, als ihr Kopf plötzlich unter Wasser gedrückt wird. Der Angriff kommt völlig überraschend und der Kampf ist kurz. Zehn Minuten später treibt der leblose Körper im Wasser.
Roswitha Behrend ist genervt. Sie hätte den Krimi wirklich gern gesehen, aber nun hat sie mittendrin zehn Minuten verpasst und findet den Anschluss nicht mehr. Nur, weil ihre Schwiegermutter mal wieder etwas gesehen hat. Sie sieht dauernd etwas. Einbrecher, Spione, Terroristen. Alles, was gerade im Fernsehen gezeigt wurde, spielt sich für sie hier im Dorf ab. Heute war es eine Frau mit einer roten Mütze, die eine andere Frau im Peenestrom ertränkt hat.
»Da, am Steg«, zeigt sie aufgeregt nach draußen. »Sie hat ihren Kopf unter Wasser gedrückt. Die Enten haben ganz laut geschnattert.«
»Ja, ich rufe dann gleich die Polizei an.« Roswitha verdreht die Augen und ist froh, als ihr Mann endlich aufsteht und sich um seine Mutter kümmert. Sie setzt sich wieder vor den Fernseher, ohne auch nur einen Blick nach draußen, auf den Peenestrom, zu werfen.
Donnerstag, 04. Juni
Berta Kelling schnauft erleichtert, als sie die Pendeltür zur Küche der Pension aufstößt und ihre Einkäufe auf dem Boden abstellt.
»Ich glaub, ich werde langsam alt«, erklärt sie ihrer Nichte Sophie, die dabei ist, die Reste des Frühstücksangebotes im Kühlschrank zu verstauen. Der erhoffte Widerspruch bleibt aus. Sophie nickt nur und wirft einen kurzen Blick auf den prall gefüllten Stoffbeutel und den Einkaufskorb. Den Hinweis, dass die Schlepperei eigentlich unnötig ist, weil sie ihre Tante gern zum Einkaufen gefahren hätte, erspart sie sich.
Zum einen hatten sie diese Diskussion schon oft genug, zum anderen weiß sie, dass es der alten Frau weniger um die Lebensmittelbeschaffung als um die Begegnungen im Ort geht.
Es ist völlig normal, dass Berta erst nach zwei oder drei Stunden von dem nicht mal einen Kilometer entfernten Discounter zurückkehrt. Dann bringt sie zwar nicht das mit, was sie eigentlich einkaufen wollte, dafür aber jede Menge Neuigkeiten.
Sophie hebt den Korb auf den Küchentresen und packt aus. Mit dem frischen Gemüse ist sie zufrieden, über einen Becher Joghurt schüttelt sie den Kopf. »Ich hab den ganzen Kühlschrank voll davon!«
»Ja, ich weiß, aber das Zeug ist mir alles zu süß und zu künstlich. Ich hab mir Naturjoghurt gekauft, da tu ich das Feinfrostobst rein. Schmeckt und ist gesund. Leg mal die Himbeeren in den Tiefkühler. Ich brauche jetzt einen Kaffee.«
Der große runde Stammtisch, an dem sie sich mit ihrer Tasse niederlässt, war mal der Esstisch im vornehmen Haushalt von Bertas Großmutter und ist so alt, wie das Haus selbst. Das wurde vor mehr als hundert Jahren, während der Gründerzeit des Seebades, schon als Pension erbaut, hat zwei Kriege überstanden und war nach fast vierzig Jahren Nutzung als FDGB-Ferienheim beinahe abbruchreif.
Berta hat es 1989 zurückbekommen und hatte bereits schweren Herzens beschlossen, den alten Familienbesitz zu verkaufen. Bis heute ist sie jeden Tag dankbar und glücklich darüber, dass Sophie das Haus übernommen hat.
Die hat es sich damals gründlich überlegt, denn die alte Villa war wirklich in einem üblen Zustand. Zur DDR-Zeit wurde immer nur das Nötigste repariert, es wurde einfach heruntergewohnt. Auch der Denkmalschutz machte die Restaurierung und vor allem Modernisierung nicht gerade billiger.
Aber es hat sich gelohnt. Die Pension ist jetzt eines der schönsten Beispiele für wilhelminische Bäderarchitektur und steht direkt an der Bansiner Strandpromenade mit Blick auf den Strand und die Ostsee. Inzwischen ist sie sogar ganzjährig gut ausgelastet. Sophie wollte in diesem Jahr zwei Mitarbeiter mehr einstellen, um endlich einmal selbst weniger zu arbeiten. Die Pandemie und die damit verbundene Schließung des Hauses hat sie erst einmal ausgebremst.
Der Tisch, an dem Sophie und Berta jetzt ihren Kaffee trinken, steht in einer Nische zwischen der Rückwand der Rezeption und der Küche und ist vom Eingang nicht einsehbar, was mitunter von Vorteil ist, weil die eintretenden Touristen nicht gleich mit den Stammgästen konfrontiert werden. Denen hat Sophie zwar inzwischen das Qualmen verboten und auch die lautstarken Streitgespräche einigermaßen abgewöhnt, aber sie kann nicht immer verhindern, dass die Fischer, manchmal auch die Bauarbeiter, in ihrer Arbeitskleidung am Stammtisch sitzen und ab und an auch respektlose Bemerkungen über die anderen Gäste austauschen.
»Und? Was gibt es Neues in Bansin?«, fragt die Wirtin mehr aus Höflichkeit als aus Interesse. Ihre Tante ist ungewöhnlich ruhig, wirkt nachdenklich. Sicher sinniert sie wieder über Dinge, die sie gar nichts angehen. Wenn ihr das mal jemand sagen würde, wäre sie vermutlich völlig überrascht und würde es gar nicht verstehen. Sie ist nämlich davon überzeugt, dass in Bansin nichts passiert, was sie nichts angeht. Tante Berta kennt beinahe jeden Einwohner und scheut nicht davor zurück, sich auch in deren private Angelegenheiten einzumischen. Dass sie sich mit ihrer Art nicht bei allen beliebt macht, ist ihr völlig egal. Darüber denkt sie nicht einmal nach. Sie tratscht nicht und sie schadet auch niemandem, im Gegenteil, sie versucht nur zu helfen. Ob es den Leuten passt oder nicht.
»Man trifft nicht mehr viele Bansiner«, antwortet sie jetzt etwas missmutig. »Der Ort ist so voller Urlauber, dass du die Einheimischen dazwischen gar nicht mehr findest.«
»Na, Gott sei Dank!« Sophie sieht ihre Tante empört an. »Wolltest du vielleicht, dass es so bleibt wie im Frühjahr? Das war doch gruselig.«
»Ja, schon ein bisschen.« Berta nickt zögerlich. Ihr hat es auch nicht gefallen, dass der Ort monatelang wie ausgestorben war. Sie hat die ganzen achtzig Jahre ihres Lebens in Bansin verbracht und noch nie erlebt, dass es hier so ruhig war. Selbst bei strahlend schönem Wetter im April und Mai war kaum jemand auf der Promenade oder am Strand zu sehen gewesen. Berta hatte es als Vorteil empfunden, dass, wenn man doch einmal jemanden traf, es ein Einheimischer war, mit dem man reden konnte.
»Man sollte die Insel vielleicht jedes Jahr für zwei Wochen dichtmachen«, überlegt sie jetzt. »Dann könnten wir uns alle erholen und untereinander austauschen.«
»Na, das fehlte noch.« Sophie schüttelt den Kopf. »Auf solche Ideen kannst auch nur du kommen.«
»Nein, das haben einige gesagt, mit denen ich gesprochen habe.«
»Aber bestimmt keiner, der vom Tourismus lebt und das sind ja wohl neunzig Prozent der Bansiner. Die Beamten vielleicht, oder die Rentner, aber denen wäre es auf Dauer auch langweilig.«
Berta antwortet nicht, sie rührt nachdenklich in ihrer Kaffeetasse.
»Nun erzähl schon – was hast du für ein Problem? Oder wer hat ein Problem, um das du dich kümmern musst?« Sophie kennt ihre Tante genau.
Die überhört den gutmütigen Spott. »Ich habe die kleine Jule, die Tochter von Ruben Fux, beim Klauen beobachtet«, erzählt sie. »Sie hat das ziemlich geschickt angestellt, außer mir hat wohl niemand was gemerkt.«
»Und du hast es natürlich auch für dich behalten, denk ich.«
»Ja! Ich wollte die Kleine natürlich darauf ansprechen, aber sie war zu schnell weg.«
»Ist aber pädagogisch nicht sehr sinnvoll. Wenn sie merkt, dass es funktioniert, wird sie es wiederholen und irgendwann richtig in Schwierigkeiten geraten.«
»Ja, ich weiß. Deshalb wollte ich sie ja ansprechen.«
»Was hat sie denn eingesteckt? Süßigkeiten?«
»Nein. Das ist ja das Seltsame. Ein Buch. So einen schnulzigen Heimatroman.«
»Das konntest du erkennen?«
»Ich habe gesehen, wo sie ihn weggenommen hat.« Berta schüttelt nachdenklich den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kind so was liest …«
»Kennst du sie so gut? Wie alt ist das Mädchen eigentlich?«
»Dreizehn oder vierzehn, glaube ich.«
»Ach so? Ich dachte, sie wäre viel jünger. Aber ich kenne sie gar nicht. Wenn Ruben sie erwähnt, hat man den Eindruck, er spricht von einem Kind. Das ist sie dann ja gar nicht mehr. Ich habe in dem Alter auch alles gelesen, was mir in die Finger kam. Besonders gern Liebes-, Arzt und Adelsromane. Was alles so ungefähr das Gleiche war. Die haben wir immer untereinander getauscht. Weißt du noch?«
»Ja, ich weiß. Ihr habt die doch hauptsächlich gelesen, weil sie in der DDR verboten waren. Diese Art der seichten Literatur gab es ja nicht zu kaufen, dafür sehr schöne Kinderbücher.«
»Für Kinderbücher haben wir uns mit vierzehn zu erwachsen gefühlt. Und die Westschmöker hatten immer so ein schönes Happy End.« Sophie überlegt. »Ich glaube, nach der Wende habe ich keinen einzigen von der Sorte mehr gelesen.«
»Na, das hoffe ich doch«, murmelt Berta, mit ihren Gedanken immer noch bei Jule Fux.
»Was denkst du, sollte ich es Ruben erzählen? Oder bringe ich sie damit erst richtig in Schwierigkeiten? Ich will sie nicht anschwärzen, aber vielleicht braucht sie Hilfe …«
»Sicher, aber ob sie die von Ruben bekommt? Ich würde ihn nicht zum Vater des Jahres nominieren. Er spricht doch kaum von seiner Tochter. Wahrscheinlich kümmert er sich nicht viel um sie, weil er mit sich selbst genug zu tun hat.«
»Eben. Vielleicht braucht er mal einen Anstoß, damit er sie wahrnimmt. Ich denke allerdings, er verhält sich ganz normal. Du kannst ihn natürlich nicht mit Andreas Keller vergleichen, der gar kein anderes Thema als seine Kinder kennt.«
»Richtig. Und das ist auf Dauer ziemlich langweilig«, mischt sich Anne ein.
»Hast du noch ein paar Brötchen vom Frühstück übrig?«
Ohne die Antwort auf die rhetorische Frage abzuwarten, holt sie sich eine Tasse Kaffee und setzt sich mit auf die Eckbank. Sie streckt die langen Beine unter dem Tisch aus. Der Kater, den sie etwas beiseitegeschoben hat, miaut empört, geht dann aber in ein behagliches Schnurren über, als Anne ihn auf den Schoß nimmt und hinter den Ohren krault.
Sophie ist zwar in Berlin aufgewachsen, hat ihre Schulferien jedoch immer bei ihrer Tante in Bansin verbracht und Anne ist seit ihrer Kindheit ihre beste Freundin. Äußerlich könnten die gleichaltrigen Frauen kaum unterschiedlicher sein: Sophie kaum mittelgroß und zierlich, mit den gleichen strahlend blauen Augen wie ihre Tante Berta und Anne, deren naturroter Lockenkopf aus jeder Menschenansammlung herausragt. Aber sie verstehen sich ohne viele Worte, haben denselben Humor und das gleiche gestörte Verhältnis zu Männern, mit denen sie beide schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Anne hält sich häufiger in der Pension auf, als in ihrer kleinen Wohnung in einem Hinterhaus am Waldrand und betrachtet ihre Freundin und deren Tante als ihre Familie.
Etwas unzufrieden betrachtet sie jetzt das Tablett, das Sophie vor sie hingestellt hat. Zwei frische Brötchen, Wurst, Käse, Butter …
»Nutella gibt es nicht mehr und zwei Brötchen reichen. Nachher jammerst du wieder, weil du die Hose nicht mehr zukriegst. Besser wären allerdings Vollkornbrot und Quark.«
Anne greift schnell zu einem Brötchen und schneidet es auf. »Was ist denn mit Andreas und seinen Gören?«, wechselt sie das Thema.
»Gar nichts. Es geht eigentlich um Rubens Tochter.« Sophie erzählt, was passiert ist.
»Ich will sie wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen«, fügt Berta hinzu, »aber ich fürchte, dass sie schon drinsteckt.«
Anne kennt Bertas Helfersyndrom und nimmt die Sache nicht so ernst. »Sie ist ein Teenager, da macht man schon mal Blödsinn. Vielleicht war es eine Mutprobe. Oder sie liest gern Liebesromane und schämt sich, einen zu kaufen. Ich glaube, sie ist ein bisschen verklemmt, wirkt jedenfalls sehr schüchtern.«
»Kennst du sie denn?«, fragt Sophie erstaunt.
»Na ja, vom Sehen eben. Sie wohnt doch bei mir im Vorderhaus.«
»Ja, natürlich«, fällt es Berta ein. »Du musst sie ja von klein auf kennen. Was hältst du von ihr?«
Anne zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Gar nichts eigentlich. Ich glaube, ich habe schon seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie grüßt, sieht einen dabei aber nicht an. Irgendwie sieht sie immer traurig aus. Kann schon sein, dass sie Probleme hat, vermutlich mit ihrer Mutter.«
»Trinkt die wirklich?«, fragt Sophie. »Ruben deutete es ja immer mal an, aber er scheint es nicht so ernst zu nehmen, er macht sich eher darüber lustig.«
»Natürlich trinkt sie«, behauptet Berta verärgert. »Deshalb wechselt sie auch dauernd die Arbeitsstellen. Ruben mag das ja lustig finden, aber für seine Tochter, besonders in dem Alter, ist es das bestimmt nicht.«
Sie trinkt ihren Kaffee aus und weiß immer noch nicht, ob sie mit Ruben Fux über seine Tochter sprechen soll oder lieber nicht. Jedenfalls wird sie das Mädchen im Auge behalten.
Freitag, 05. Juni
Paul Plötz nimmt seine Schirmmütze ab, wischt mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und blickt über die Dünen hinweg zum Strand.
»Das sieht ja aus wie sonst im August«, sagt er zu Arno, seinem Kollegen, der hinter ihm aus der Bude getreten ist. »Hat Sophie nicht gesagt, die dürfen nur 60 % der Betten vermieten? Kontrolliert das einer? Ich glaub, sie ist die Einzige die sich daran hält. Die anderen bescheißen alle.«
»Glaub ich nicht. Die Hoteliers werden sich schon daranhalten. Die Gäste weichen in die Ferienwohnungen aus. Sogar bei uns im Dorf ist alles vermietet.«
»Stimmt. Bei uns in Sallenthin auch. Das ist doch mal gut.« Paul drückt die abgegriffene blaue Mütze wieder auf die schweißnassen Haare. »Deshalb sind auch so viele Radfahrer unterwegs. Die reine Pest ist das.«
Arno erwidert nichts. Er fährt selbst oft mit dem Rad zu seiner Arbeit am Strand und weiß, dass sein älterer Kollege ihn nur provozieren will. Außerdem wäre es ein Wunder, wenn Paul nicht auch etwas Negatives an einer eigentlich guten Sache finden würde.
Dabei hat der heute richtig gute Laune. Zufrieden betrachtet er die Aale, die sich noch in der Kiste winden. So einen guten Fang wie in diesem Jahr hatten sie schon lange nicht mehr.
Einen Teil der Fische hat Arno schon gesäubert, er steckt sie jetzt auf Metallspieße, um sie dann in den Rauch zu hängen.
Berta tritt heran und sieht ihm wohlwollend zu. Sie mag den ruhigen Fischer und hofft seit Jahren, dass aus der eher losen Liaison zwischen ihm und der zehn Jahre älteren Sophie endlich eine feste Beziehung wird.
»Willst du alles räuchern oder habt ihr noch ein paar für uns übrig?«, fragt sie jetzt.
Paul Plötz weist stolz auf die Kisten. »Kannst so viel haben, wie du willst. Arno bringt sie dir nachher hoch. Nimmst du lieber den dünnen oder auch ein paar dicke?«
»Ist egal. Den dünnen koch ich weiß, hab mir schon Dill mitgebracht und Petersilienwurzeln. Und eine Fischsuppe mach ich auch noch. Den Mittelaal werde ich braten, den dicken wohl auch, den schneide ich in dünne Scheiben.«
»Den ganz dicken Aal kannst du auch sauer einkochen«, schlägt Paul vor. »Der ist so fett, der geliert von ganz allein, da brauchst du gar nichts zu machen.«
»Ja, hast recht. Das hab ich schon lange nicht mehr gemacht.«
Berta freut sich. Auch so ein Gespräch hatten sie schon lange nicht mehr. In den vergangenen Jahren war sie froh, wenn sie Aal für den Eigenverbrauch hatten, in der Gaststätte wurde er deswegen selten angeboten.
»Schade, dass wir nicht alle Tische besetzen dürfen«, bedauert sie. »Die Gäste stehen Schlange vor der Tür. Wir könnten momentan doppelt so viel Umsatz machen.«
»Ja, hoffentlich ist dieser Mist bald vorbei.« Der Fischer seufzt. »Meine Frau hat beschlossen, dass ich jetzt einkaufen soll. Sie bildet sich ein, dass sie unter dieser Maske keine Luft kriegt. Und du weißt ja, wie gern ich das mache. Ich finde doch gar nichts in dieser großen Halle. Warum gibt es eigentlich keine kleinen Läden mehr?«
Berta lacht. Sie kennt Paul Plötz schon seit über siebzig Jahren, sein ganzes Leben lang. Ihre Familien waren befreundet und auch zu DDR-Zeiten, als das nicht erlaubt war, hat er sie mit Fisch versorgt. Außerdem ist er seit jeher Stammgast im Kehr wieder. Schon immer haben sie Freud und Leid und alle Probleme geteilt. Sie lässt ihn auch jetzt nicht im Stich.
»Dann bring mir deinen Einkaufszettel mit, ich mach das schon«, schlägt sie vor. »Mich stört an den Masken nur, dass man die Leute dahinter so schlecht so erkennt.«