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Fall 5 Maximale Sicherheit › Lösung

Lösung
1. Teil: Vorgehen der MS Ltd gegen den sofort vollziehbaren Bescheid

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Die MS Ltd. kann gegen die Untersagung Widerspruch einlegen. Zur Fortführung ihres Bewachungsunternehmens während des Rechtsstreits und zur Vermeidung der auf die Verfügung gestützten sofortigen Verwaltungsvollstreckung wird die MS Ltd. aber zusätzlich einen Antrag beim zuständigen Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs stellen. Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Aussicht auf Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO

Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist zulässig, soweit alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

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Für einen Antrag beim Verwaltungsgericht auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Da aufdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich sind, richtet sich dies nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Hierzu müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Normen des öffentlichen Rechts ermächtigen oder verpflichten ausschließlich Hoheitsträger als solche. Hier wird um die Rechtmäßigkeit einer Untersagung nach § 15 Abs. 2 GewO und damit um eine Norm gestritten, die einseitig einen Träger staatlicher Gewalt als solchen berechtigt. Da zudem mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und keine abdrängenden Zuweisungen ersichtlich sind, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Statthafte Rechtsschutzform

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Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Antragstellers (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO). Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist statthaft, wenn es der MS Ltd. um die Anordnung bzw Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs geht, mithin in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft wäre (§ 123 Abs. 5 VwGO). Die Fortsetzungsuntersagung nach § 15 Abs. 2 GewO, durch die der MS Ltd. der weitere Betrieb untersagt wird, weist alle Merkmale eines Verwaltungsaktes iSd § 35 S. 1 VwVfG auf. Folglich ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO statthaft.

Da die Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO), kommt dem Widerspruch gegen die Verfügung keine aufschiebende Wirkung zu. Daher ist der Antrag auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO gerichtet.

III. Beteiligungsfähigkeit der MS Ltd

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Die MS Ltd. ist im vorläufigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig und analog § 63 Nr. 1 VwGO Antragstellerin.

Exkurs:

Die für § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO maßgebliche Rechtsfähigkeit der in Irland gegründeten MS Ltd. steht hier nicht in Frage. Bei natürlichen Personen ist die Rechtsfähigkeit nach dem Herkunftsstaat maßgeblich (Art. 7 EGBGB)[1]. Für juristische Personen ist auf das Gesellschaftsstatut abzustellen[2]. Wenn ein Unternehmen, das – wie die MS Ltd. – im Herkunftsstaat seinen effektiven Verwaltungssitz hat und nach seinem Gesellschaftsstatut rechtswirksam errichtet wurde, in Deutschland eine Zweigniederlassung gründet und damit sein Tätigkeitsgebiet ausdehnt, ist es auch in Deutschland rechtsfähig[3]. Europarechtlich umstritten waren hingegen die Konstellationen, in denen ein Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt vorwiegend oder ausschließlich in einen anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsstaat seine Geschäftstätigkeit erbringt (Sitzverlagerung) oder von vornherein nach der Gründung ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist (sog. Scheinauslandsgesellschaften). Die im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht traditionell zugrunde gelegte Sitztheorie, welche eine Begründung der Rechtsfähigkeit für den tatsächlichen Verwaltungssitz durch Neugründung verlangte, ist mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV nicht zu vereinbaren[4]. Gegenüber zuziehenden Unternehmen aus Drittstaaten – dh solchen, die weder der EU noch dem EWR angehören – kommt aber weiter die Sitztheorie zur Anwendung mit der Folge des Gebots einer Neugründung zur Herstellung der Rechtsfähigkeit. Allerdings verschafft der BGH diesen Unternehmen insofern Erleichterungen, als sie zumindest nach den für die OHG und KG (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB) oder die GbR[5] geltenden Grundsätzen rechts- und parteifähig sind[6]. Wegen der insoweit bestehenden vollen Parteifähigkeit sind Unternehmen aus Drittstaaten mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig[7].

IV. Antragsbefugnis

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Die MS Ltd. müsste analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sein. Hierzu muss sie geltend machen können, durch die sofortige Vollziehbarkeit der Fortsetzungsuntersagung in ihren Rechten verletzt zu sein. Grundsätzlich kann die MS Ltd. eine mögliche Verletzung von § 1 Abs. 1 GewO geltend machen. § 1 Abs. 1 GewO gestattet „jedermann“ den Betrieb eines Gewerbes und damit auch juristischen Personen[8]. Dass die MS Ltd. eine Gesellschaft irischen Rechts ist, ändert hieran nichts, denn auch ausländische juristische Personen sind jedermann iSv § 1 Abs. 1 GewO.

Die Untersagung der Fortsetzung des Betriebs nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO hindert die MS Ltd. daran, den Betrieb ihres Gewerbes ungestört fortzusetzen. Es liegt ein Eingriff in die Gewerbefreiheit vor, der möglicherweise rechtswidrig ist.

Exkurs:

Sollte unter Verkennung des Anwendungsvorrangs des einfachen Rechts zur Begründung der Antragsbefugnis auf Art. 12 Abs. 1 GG abgestellt werden, bedürfte es der Erörterung der Frage, ob Art. 19 Abs. 3 GG erweiternd auf juristische Personen mit Aktionszentrum in einem anderen EU-Staat anzuwenden ist. Dies hat das BVerfG in seinem Grundsatzbeschluss vom 19.7.2011 zu Recht bejaht, sofern das staatliche Handeln ein Tätigwerden im Anwendungsbereich des EU-Rechts betrifft[9]. Sieht man mit dem BVerfG die für die teleologische Erweiterung des Grundrechtsschutzes maßgebliche Diskriminierung im Vorenthalten des spezifischen Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde, so erfasst die Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf EU-Unternehmen auch die sog. Deutschengrundrechte und damit auch Art. 12 Abs. 1 GG. Fraglich ist, ob es einer gesonderten Diskussion des „Deutschen“-Begriffs in Art. 12 Abs. 1 GG bedarf. Dagegen spricht, dass Unternehmen keine Staatsangehörigkeit, sondern allenfalls eine Staatszugehörigkeit haben. Diese bestimmt sich im Übrigen nicht nach der Staatsangehörigkeit der sie beherrschenden Mitglieder, sondern nach dem Verwaltungssitz der Vereinigung in Deutschland bzw. in einem EU-Mitgliedstaat[10]. Gleichwohl hat die 3. Kammer des 2. Senats des BVerfG jüngst die Berufungsfähigkeit von EU-Unternehmen auf Art. 12 GG angezweifelt: In Anbetracht seines eindeutigen Wortlautes könnte eine unionsrechtskonforme Erweiterung des Art. 12 GG auf EU-Unternehmen die Wortlautgrenze übersteigen und zu einer Auslegung contra legem führen. Die Kammer tendiert offenbar dazu, stattdessen im Wege unionsrechtskonformer Auslegung von Art. 2 Abs. 1 GG EU-Unternehmen den von Art. 12 GG gewährleisteten Schutz zuteilwerden zu lassen[11].

Die mögliche Rechtsverletzung durch die sofortige Vollziehbarkeit fällt jedenfalls beim Adressaten der Verfügung mit derjenigen zusammen, die aus dem belastenden Verwaltungsakt selbst resultieren kann. Da die Untersagung der Fortsetzung des Betriebs die MS Ltd. in ihrer Gewerbefreiheit nach § 1 GewO verletzen kann, ist sie auch hinsichtlich der sofortigen Vollziehbarkeit möglicherweise in ihren Rechten verletzt.

Hinweis:

Es ist genauer, wenn im Rahmen der Antragsbefugnis darauf abgestellt wird, ob der Antragsteller durch die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt wird. Allerdings lassen sich eine Rechtsverletzung durch den Verwaltungsakt und diejenige durch dessen Vollzug praktisch kaum trennen. Aus diesem Grund wird im Hinblick auf die Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes die Antragsbefugnis entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO bejaht, wenn im Hauptsacheverfahren die Klagebefugnis wegen der Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht[12].

V. Einlegung eines Widerspruchs

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Nach § 80 Abs. 5 S. 2 VwGO ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Allerdings muss spätestens mit dem Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ein fristgerechter Widerspruch eingelegt werden, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll[13]. Diese Sachentscheidungsvoraussetzung muss die MS Ltd. erfüllen.

Hinweis:

Eine andere Ansicht ist mit dem Argument vertretbar, das Gebot eines zumindest gleichzeitigen Widerspruchs sei wegen der hiermit verbundenen Verkürzung der Rechtsbehelfsfristen im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG problematisch[14]. Allerdings darf auch nach dieser Ansicht der Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig geworden sein.

VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

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Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis könnte zu verneinen sein, wenn die MS Ltd. zunächst gemäß § 80 Abs. 4 VwGO einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an die Behörde stellen müsste. Jedoch normiert § 80 Abs. 6 S. 1 VwGO abschließend die Fälle, in denen zunächst die Behörde angerufen werden muss.

Ein Antrag der MS Ltd. auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wäre demgemäß zulässig.

B. Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO

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Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, soweit die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht vorliegen (I.) oder das Vollzugsinteresse der Stadtverwaltung S das Interesse des MS Ltd. an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht überwiegt (II.).

I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
1. Zuständige Behörde

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Die Stadtverwaltung müsste für die Anordnung der sofortigen Vollziehung zuständig gewesen sein. Nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist die Behörde zuständig, die auch den Ausgangsbescheid erlassen hat. Die Stadtverwaltung verfügte die Fortsetzungsuntersagung und ordnete die sofortige Vollziehung an. Sie war somit zuständig.

2. Verfahren

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Fraglich ist, ob es vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung einer besonderen Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG bedarf, da die MS Ltd. ausdrücklich nur zu der Untersagung angehört wurde. Eine Anhörung wäre erforderlich, wenn es sich bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung um einen Verwaltungsakt handelt. Dagegen spricht, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung nur einen unselbstständigen Annex zu einem Verwaltungsakt, eine Nebenentscheidung, darstellt[15]. Auch eine analoge Anwendung von § 28 Abs. 1 VwVfG scheidet mangels Regelungslücke aus, da § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 und Abs. 3 VwGO die formellen Anforderungen an die Vollziehbarkeitsanordnung abschließend regeln. Zudem bestehen für ein Vorgehen gegen die Vollziehungsanordnung keine Fristen und sie ist keiner Bestandskraft fähig, so dass kein Bedürfnis für eine Vorverlagerung des Rechtsschutzes besteht[16].

Trotz fehlender Analogievoraussetzungen stellt sich die Frage, ob sich ein Anhörungsgebot unmittelbar aus dem Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG herleiten ließe[17]. Insbesondere im vorliegenden Fall könnte dies damit zu begründen sein, dass eine Anhörung zu der Untersagung nach § 15 Abs. 2 GewO erfolgt ist und – unter Zugrundelegung einer lebensnahen Sachverhaltsauslegung – die Behörde zu diesem Zeitpunkt zumindest in Erwägung gezogen haben muss, die sofortige Vollziehung anzuordnen. Es wäre somit ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, die MS Ltd. auf diese Erwägung hinzuweisen. Jedoch ist hiergegen einzuwenden, dass das Gebot rechtlichen Gehörs nicht absolut gewährleistet wird, sondern Durchbrechungen kennt, wie § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG erweisen. Rechtsstaatlichen Grundsätzen wird dadurch genügt, dass dem Betroffenen vorläufiger Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO zusteht[18]. Die MS Ltd. musste somit zur Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht angehört werden.

3. Form

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Nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Diese Begründung muss über die Begründung des Verwaltungsakts hinausgehen, da gerade das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung darzulegen ist. Die Begründung darf sich nicht in Formeln, der Wiedergabe des Gesetzestextes oder einem Verweis auf die Begründung der Sachentscheidung erschöpfen[19].

Hier werden von der Behörde letztlich Argumente herangezogen, mit denen sie schon den Erlass der Untersagung begründet hat. Allerdings wird durch den im Wortlaut unterschiedlichen Begründungsaufwand deutlich, dass sich die Behörde der Warnfunktion des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst war, indem sie das besondere Interesse hinsichtlich des sofortigen Stopps des Bewachungsbetriebs gesondert herausgearbeitet hat. Damit sind die Formanforderungen gewahrt.

Hinweis:

Sollte angenommen werden, die Anordnung sofortiger Vollziehung genüge wegen der unterlassenen Anhörung oder einer unzureichenden Begründung nicht den rechtlichen Anforderungen, stehen die Konsequenzen im Raum. Jedenfalls bei einem Begründungsmangel ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO wegen Rechtswidrigkeit der Vollziehungsanordnung[20] begründet, ohne dass das Gericht in eine materielle Rechtsprüfung einsteigt[21]. Dasselbe wäre anzunehmen, wenn von einem Anhörungsgebot ausgegangen wird[22]. Umstritten ist, ob das Verwaltungsgericht in diesen Fällen die aufschiebende Wirkung wiederherstellt[23] oder nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufhebt[24], um die Verwaltung nicht zu hindern, diese formell korrekt zu wiederholen. Gegen die bloße Aufhebung der Anordnung spricht, dass § 80 Abs. 5 VwGO eine solche Entscheidungsbefugnis nicht vorsieht. Zudem hindert die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung die Verwaltung nicht an einer erneuten Anordnung, da die Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung nur soweit reicht, wie das Gericht in der Sache entschieden hat, also nur hinsichtlich der formellen Rechtswidrigkeit der Anordnung bestünde[25]. Sachliche Unterschiede bestehen zwischen beiden Ansichten aber nicht. Nach beiden Ansichten ist der Antrag ohne weitere Sachprüfung erfolgreich. In der Klausur müsste daher hilfsgutachterlich weitergeprüft werden[26]. Nach richtiger Auffassung scheidet eine Nachholung der ordnungsgemäßen Begründung mit heilender Wirkung im Unterschied zur ordnungsgemäßen Wiederholung der Vollziehungsanordnung aus. Die Warn-, Rechtsschutz- und Kontrollfunktion des Begründungserfordernisses lassen sich nicht mit Erwägungen der Prozessökonomie beiseiteschieben[27].

II. Interessenabwägung

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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in materieller Hinsicht rechtswidrig, wenn das Vollzugsinteresse der Stadt S nicht das Aussetzungsinteresse der MS Ltd. überwiegt. Dabei sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von entscheidender Bedeutung[28]. Stellt sich die Untersagung bei summarischer Prüfung als rechtswidrig dar, kann an deren sofortigem Vollzug kein überwiegendes Interesse bestehen.

Hinweis:

Anders als in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–3 VwGO ist das Vollzugsinteresse in besonderem Maße rechtfertigungsbedürftig, weil der Sofortvollzug nicht auf einer Anordnung des Gesetzgebers, sondern einer solchen der Behörde beruht. Für die (materielle) Rechtmäßigkeit der Anordnung ist deshalb maßgeblich, dass das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse überwiegt[29]. Dies muss im Obersatz zum Ausdruck kommen.

1. Ermächtigungsgrundlage

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Wegen der Gewerbefreiheit nach § 1 Abs. 1 GewO bedarf die Untersagung einer Ermächtigungsgrundlage. Eine solche könnte sich in § 15 Abs. 2 S. 1 GewO finden, der die zuständigen Behörden ermächtigt, die Fortsetzung eines Betriebs zu untersagen, der ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird.

Hinweis:

Grob fehlerhaft wäre ein Abstellen auf § 15 Abs. 2 S. 2 GewO, da die Rechtsfähigkeit einer ausländischen juristischen Person in Deutschland anerkannt ist[30]. Im Übrigen macht der Sachverhalt hinreichend deutlich, dass die Fortsetzungsuntersagung auf die fehlende gewerberechtliche Erlaubnis gestützt wird.

2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit

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Die sachliche Zuständigkeit der Stadtverwaltung von S für die Fortsetzungsuntersagung nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO ergibt sich aus § 1 ZuVO Rh-Pf Gewerberecht.

Hinweis:

Die Zuständigkeit bestimmt sich gemäß § 155 Abs. 2 GewO nach Landesrecht.

b) Verfahren

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Laut Sachverhalt wurde die MS Ltd. gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG angehört.

c) Form

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Formverstöße sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt eine Begründung für die Fortsetzungsuntersagung gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG vor.

3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Tatbestandliche Voraussetzungen

133

Nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebs verhindert werden, wenn ein Gewerbe ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben wird. Fraglich ist deshalb, ob der Betrieb des Bewachungsgewerbes erlaubnisbedürftig ist. Die Erlaubnisbedürftigkeit könnte sich aus § 34a GewO ergeben. Nach § 34a Abs. 1 S. 1 GewO bedarf der Erlaubnis, wer gewerbsmäßig Leben oder Eigentum fremder Personen bewachen will.

Vorausgesetzter Gegenstand der Bewachung ist ua das fremde Eigentum. Maßgeblich hierfür sind nicht die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse[31]. Selbst wenn in den Juwelier- und Handygeschäften Waren angeboten werden, die nicht im Eigentum des Ladeninhabers stehen, liegt folglich fremdes Eigentum als Bewachungsgegenstand vor.

Fraglich ist hingegen, ob die Tätigkeit der Mitarbeiter der MS Ltd. die Kriterien der Bewachung erfüllt. Bewachung ist die auf den Schutz fremden Eigentums gerichtete aktive personale Obhutstätigkeit[32]. Nach dem Sachverhalt beobachten die Mitarbeiter der MS Ltd. aktiv das Verhalten der Kundschaft in den Geschäften und beschränken sich nicht auf passive Tätigkeiten zB eines „Haushüters“[33]. Fraglich könnte aber – in Abgrenzung zu Detekteien iSv § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GewO – die Schutzintention dieser Tätigkeit sein, denn nach dem Sachverhalt schreiten die Mitarbeiter erst dann ein, sobald ein Ladendieb mit der weggenommenen Ware die Kassenzone passiert hat. Allerdings führt diese „Gewahrsamslockerung“ bezogen auf den Eigentumsschutz nicht zu einer Ablehnung des Merkmals der Bewachung. Das Abwarten der Mitarbeiter vor dem Zugriff dient vor allem Beweiszwecken. Es ist nicht gleichzusetzen mit der Ermittlungstätigkeit von Detektiven und rechnet noch der präventiven Bewachung zu[34].

Schließlich setzt die Erlaubnispflicht die Gewerbsmäßigkeit der Bewachung fremden Eigentums voraus. Dies erfordert eine selbstständige, auf Dauer angelegte Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht. Die MS Ltd. übernimmt die Bewachung selbstständig und fungiert nicht etwa als angestellter „Werkschutz“. Sie ist auch dauerhaft mit Gewinnerzielungsabsicht tätig. Folglich liegen die Voraussetzungen der Erlaubnisbedürftigkeit nach § 34a Abs. 1 GewO vor.

Hinweis:

In Anbetracht dahingehender vereinzelter Stimmen in Judikatur und Schrifttum[35] wäre es vertretbar, die Erlaubnispflicht nach § 34a Abs. 1 GewO mangels Bewachungstätigkeit abzulehnen. In diesem Fall würde sich die Frage der Vereinbarkeit der Genehmigungspflicht mit dem unionalen Primärrecht nicht mehr stellen. Da die Bearbeiter/innen aber zu einer erschöpfenden Diskussion der aufgeworfenen Rechtsfragen angehalten sind, sind auch in diesem Fall Ausführungen zur Vereinbarkeit mit Europarecht zu erwarten.

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9783811469044
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