Czytaj książkę: «Sicherheit für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst »
Sicherheit für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst
Gefahrensituationen erkennen, Schutzkonzepte entwickeln
Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl
Hochschule für Polizei
und öffentliche Verwaltung (HSPV)
Nordrhein-Westfalen,
Fachbereich Polizei
Nadja Sommer
Dipl. Sozialwirtin,
Agentur für Arbeit, Göttingen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Print ISBN 978-3-415-06608-3
E-ISBN 978-3-415-06610-6
© 2020 Richard Boorberg Verlag
E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Titelfoto: ©DDRockstar – stock.adobe.com
Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart
Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresden
Geleitwort
Längst sind nicht nur Polizisten von Gewalt betroffen, sondern auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diversen Behörden. Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass dieses Handbuch entwickelt wurde und wichtige Aspekte für den täglichen Bedarf aufgreift.
Die Polizei in Essen und Mülheim an der Ruhr setzt beispielsweise mit der BAO Aktionsplan Clan ein besonderes Zeichen gegen Gruppen, die sich unseren Regeln ganz bewusst widersetzen. Dabei haben wir ein besonderes Augenmerk auf Sachverhalte gelegt, bei denen Personen – oftmals ganz unterschwellig – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden unter Druck setzen, um staatliche Maßnahmen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dieser Entwicklung muss seitens der unterschiedlichen Behörden aktiv begegnet werden.
Wir haben in diesem Kontext festgestellt, dass dies nur gemeinsam möglich ist. In dieser Kooperation entwickeln wir gleichzeitig auch mehr Verständnis füreinander und lernen uns in der Zusammenarbeit besser kennen. Im Zuge des Austausches wurde uns seitens der Polizei auch erstmals bewusst, wie häufig Beschäftigte in den unterschiedlichsten Behörden von alltäglichen Beleidigungen oder Anfeindungen betroffen sind, obwohl sie beispielsweise durch Gewährung sozialer Leistungen die Menschen unterstützen. Dabei stellen wir aber auch fest, dass die Hemmschwelle, die Polizei einzuschalten, recht hoch ist.
Häufig existiert eine gewisse Scheu in Ämtern und Behörden, die Polizei hinzuzuziehen, weil man davon ausgeht, dass der erlebte Sachverhalt „nicht ausreichend schlimm genug war“ oder weil ein Auftreten von Polizeibeamten in einer Behörde deren Ansehen schaden könnte. Selbst Tätlichkeiten werden hingenommen, weil die Unsicherheit, ob dies bereits eine Strafanzeige oder polizeiliche Maßnahmen gegen die Person rechtfertigt, sehr groß ist.
Ich bitte Sie in diesen Fällen umzudenken.
Die Polizei ist Ihr Ansprechpartner in allen Fragen der Sicherheit. Wenn Menschen an ihrem Arbeitsplatz Angst verspüren, hat das regelmäßig Gründe, und die sollte man ernstnehmen. Hier möchten wir vor Ort niederschwellig ansetzen, um größere Gefährdungen zu vermeiden. Und dies ist ein Anliegen der Polizei nicht nur hier.
Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Sobald Sie sich bedroht fühlen, Unsicherheit oder sogar Angst empfinden, schalten Sie die Polizei ein. Sie wird eine Einschätzung treffen und weitere Maßnahmen ergreifen. Und haben Sie dabei keine Angst vor einer „Fehlalarmierung“. Informieren Sie uns lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.
Glück auf!
Frank Richter
Polizeipräsident Essen/Mülheim an der Ruhr
Essen im Januar 2020
Danksagung
Das vorliegende Buch ist das Ergebnis diverser Seminare und Gespräche, in denen Erlebnisse geschildert wurden, die die Beschäftigten1 aus den unterschiedlichsten Einrichtungen gemacht haben. Für die Offenheit und das Vertrauen danken wir allen, die ihre Erlebnisse mit uns geteilt und ihre Erfahrungen geschildert haben. Für einige war das Wiedererleben durch die Schilderung sehr belastend und wir hoffen, dass ihre Erfahrungen helfen, wirksame Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und somit weitere Traumata zu verhindern.
Ein ganz besonderer Dank geht zudem an Herrn Syndikusrechtsanwalt Hans-Jörn Bury vom Richard Boorberg Verlag für den stets angenehmen Austausch, die großartige Betreuung und seine Engelsgeduld.
Persönlicher Dank
In der Hochschule Darmstadt (h_da) durfte ich über zwei Jahre lang das Bedrohungsmanagement leiten. Es war eine tolle Zeit, und ich möchte dort allen danken, die mit mir zusammengearbeitet und die mich ins Vertrauen gezogen haben. Ein großer Dank geht dabei an den Präsidenten der Hochschule Darmstadt, Herrn Prof. Dr. Ralph Stengler, der mir alle nötigen Freiräume gelassen hat und mit dem der Austausch stets unkompliziert und herzlich war. Ein ganz lieber Dank geht natürlich an das SSC – Ihr seid ein klasse Team und ich danke Euch von ganzem Herzen für die gemeinsame Zeit. Weiterhin danke ich meiner früheren Büronachbarin Frau Eva Schäfer für den Austausch und ihre unerschütterliche Ruhe. Ein besonderer Dank geht an Herrn Dr. Jens Hoffmann und das Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement (IPBm)2. Vieles, was ich in den Seminaren dort und besonders bei Frau Justine Glaz-Ocik und Herrn Dr. Philipp Horn gelernt habe, hat meine Arbeit und das vorliegende Buch geprägt. Für den Austausch und die Gespräche in der Zeit meiner Tätigkeit im Bedrohungsmanagement der Hochschule Darmstadt möchte ich mich vor allem bei meiner Kollegin Frau Beatrice Wypych bedanken. Sie hat Pionierarbeit an der TU Darmstadt geleistet und stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Als ich im Jobcenter des Landkreises Göttingen und im Jobcenter Darmstadt als Fallmanagerin gearbeitet habe, konnte ich viele Eindrücke und Erfahrungen sammeln. Beide Male hatte ich das Glück, in großartigen Teams zu arbeiten und ich denke jeweils gerne an die Zeit mit Euch zurück.
Dorothee Dienstbühl
Mein Dank gilt meinen Kolleginnen und Kollegen, die mich offen an Ihren Erfahrungen und Erwartungen partizipieren haben lassen. Ebenfalls danke ich den örtlichen Polizeidienststellen, die sich immer wieder gern bereit erklärt haben, Sicherheitstrainings durchzuführen und uns als Ansprechpartner und Berater zur Seite zu stehen. Nicht zuletzt danke ich meinem Arbeitgeber, welcher mir durch das entgegengebrachte Vertrauen Gestaltungsspielräume ermöglicht, um das Thema Sicherheit immer wieder in den Fokus zu rücken.
Gewalt entlädt sich oft bei dem ersten Gesicht, welches eine Organisation verkörpert. In der Regel sind dies Kollegen in Eingangszonen, Infoschaltern oder ähnlichem. Nicht immer haben diese Personen Einfluss auf das eigentliche Anliegen und müssen dennoch überproportional oft mit Aggressionen umgehen. Diesen Kolleginnen und Kollegen widme ich dieses Buch.
Nadja Sommer
Über die Autorinnen
Dorothee Dienstbühl ist Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) in Nordrhein-Westfalen im Fachbereich Polizei. Sie unterrichtet Kriminologie und Soziologie. Vorherige Stationen hatte sie als Leitung des Bedrohungsmanagements der Hochschule Darmstadt, als Fallmanagerin in zwei Jobcentern sowie in der Forschungsassistenz am Ludwig-Meyer-Institut der Georg-August-Universität Göttingen in der Forensischen Psychiatrie. Sie ist ausgebildete Präventionsmanagerin für Stalking und Intimpartnergewalt (IPBm).
Forschungsschwerpunkte: Terrorismus, politischer Extremismus, Radikalisierungsprozesse, Organisierte Kriminalität, sowie spezielle Gewaltphänomene wie Hasskriminalität, Amok und Ehrgewalt.
Nadja Sommer ist Dipl. Sozialwirtin und arbeitet als Teamleiterin für die Bereiche Arbeitsvermittlung und Kundenportale der Agentur für Arbeit Göttingen. Beruflich war sie bereits als Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, sowie als operative Führungskraft in unterschiedlichen Jobcentern als auch Agenturen für Arbeit tätig.
Fachliche Schwerpunkte waren neben Kundenportalen und Arbeitsvermittlung der Bereich Berufsberatung und die Integration von langzeitarbeitslosen Menschen.
Abkürzungsverzeichnis
a. a. O. | an angegebenem Ort |
Abb. | Abbildung |
Abs. | Absatz |
AGG | Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz |
AK | Arbeitskreis |
Allg. M. | allgemeine Meinung |
Alt. | Alternativ |
Art. | Artikel |
AZ | Aktenzeichen |
BAMF | Bundesamt für Migration und Flüchtlinge |
Bd. | Band |
BePo | Bereitschaftspolizei |
BfV | Bundesamt für Verfassungsschutz |
BGBl. | Bundesgesetzblatt |
BGH | Bundesgerichtshof |
BGHSt | Entscheidungen des Bundesgerichthofes in Strafsachen (amtliche Sammlung) (zitiert nach Band und Seite) |
BGS | Bundesgrenzschutz |
BGSG | Bundesgrenzschutzgesetz |
BKA | Bundeskriminalamt |
BKAG | Bundeskriminalamt Gesetz |
BMFSFJ | Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend |
BMI | Bundesministerium des Inneren |
BOS | Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben |
BPol | Bundespolizei |
BPolG | Bundespolizeigesetz |
BtMG | Betäubungsmittelgesetz |
BT-Drucks. | Bundestagsdrucksache |
Ebd. | Ebenda |
EU | Europäische Union |
EuG | Gericht der Europäischen Union |
EuGH | Europäischer Gerichtshof |
FAZ | Frankfurter Allgemeine Zeitung |
FDGO | Freiheitlich Demokratische Grundordnung |
FKS | Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung |
FN | Fußnote |
HG | Häusliche Gewalt |
HSA | Hauptschulabschluss |
i. d. F. | in der Fassung |
i. S.(d.) | im Sinne (des) |
i. V.(m) | in Verbindung (mit) |
i. w. S. | im weitesten Sinne |
Jhd. | Jahrhundert |
Jg. | Jahrgang |
JGG | Jugendgerichtsgesetz |
JGH | Jugendgerichtshilfe |
JVA | Justizvollzugsanstalt |
n. ö. | nicht öffentlich (Quellenangabe) |
PKS | Polizeiliche Kriminalstatistik |
PVB | Polizeivollzugsbeamte |
PD | Polizeidirektion |
PVD | Polizeivollzugsdienst |
Rdn. | Randnummer |
sog. | sogenannte(-s,-r) |
StA | Staatsanwaltschaft |
Stat. Bundesamt | Statistisches Bundesamt |
StGB | Strafgesetzbuch |
StPO | Strafprozessordnung |
StrÄndG | Strafrechtsänderungsgesetz |
StrRG | Strafrechtsreformgesetz |
StrVz | Strafvollzug |
StVStat | Strafverfolgungsstatistik |
SZ | Süddeutsche Zeitung |
u. H. | unter Hinweis |
u. U. | unter Umständen |
u. v. m. | und vieles mehr |
vgl. | vergleiche |
vors. | Vorsätzlich |
WED | Wohnungseinbruchdiebstahl |
z. B. | zum Beispiel |
zit. (in/nach) | zitiert |
Inhaltsverzeichnis
I. Grundlagen
1. Unser Körper als Alarmanlage
2. Aggression und Gewalt
3. Gewalt am Arbeitsplatz
4. Angst und die Reaktionsmuster in Gefährdungssituationen
5. Aggressionsfördernde Faktoren
6. Aggressionsvermeidende/deeskalierende Faktoren
7. Generell deeskalierende Maßnahmen
II. Sicherheit im öffentlichen Dienst
1. Aufkommen von Gewalttaten
2. Unterschiedliche Sicherheitsstandards in Bundes-. Landes- und Kommunalbehörden
3. Rechtliche Grundlagen der Gewaltprävention
4. Implementieren eines Risiko- oder Bedrohungsmanagements
5. Individuelles Sicherheitsgefühl
6. Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz verbessern
7. Anlegen eines innerbehördlichen Notfallordners
8. Checkliste: Sicherheitsbedarfe im Innen- und Außendienst
a) Innendienst
b) Außendienst
III. Betrug und Erschleichen von (Sozial-)Leistungen
1. Zur Psychologie des Betrugs
2. Bedrohungsmanagement
3. Zusammenfassung
IV. Umgang mit aggressiven und gewalttätigen Menschen
1. Aggressive Personen
a) Der Erregungstyp
b) Der emotionale Typ
c) Der instrumentelle Typ
2. Warnverhalten-Typologie
3. Bedrohungsmanagement
a) Umgang mit einer einzelnen aggressiven Person
b) Umgang mit einer aggressiven Gruppe
c) Aggressionen mit Verwendung gefährlicher Gegenstände und Waffen
d) Umgang mit Beleidigungen
4. Verarbeitung der Erlebnisse
5. Zusammenfassung
V. Umgang mit Menschen mit Persönlichkeitsstörungen
1. Allgemeines zu Persönlichkeitsstörungen
2. Ausgewählte Persönlichkeitsstörungen
a) Hauptgruppe 1
b) Hauptgruppe 2
c) Hauptgruppe 3
3. Umgang mit Betroffenen
4. Bedrohungsmanagement
5. Zusammenfassung
VI. Umgang mit suizidalen Personen
1. Risikoeinschätzung
a) Gefährdungskriterien und Erkennungsmerkmale
b) Gefährdungsrisiken
c) Erkennungsmerkmale
d) Hinweise für das Gespräch mit suizidgefährdeten Menschen
2. Bedrohungsmanagement
3. Verarbeitung
4. Zusammenfassung
VII. Umgang mit Personen mit Suchtproblematik
1. Hinweise auf ein Suchtproblem
2. Sucht am Arbeitsplatz
3. Formen der Abhängigkeit
4. Umgang mit Suchterkrankten
a) Suchterkrankungen thematisieren
b) Prävention und Intervention am Arbeitsplatz
5. Zusammenfassung
VIII. Umgang mit querulatorischen Persönlichkeiten und Kollegen
1. Begriff und Allgemeines
2. Typologie
a) Rechtsquerulanten
b) Karrierequerulanten
c) Altruistische Querulanten
d) Kollektiv-Querulanten
e) Ehequerulanten
f) Haftquerulanten
3. Generelle Merkmale und Verhaltensweisen von Querulanten
4. Möglichkeiten und Grenzen im Umgang
5. Aggressionspotential von Querulanten
6. Zusammenfassung
IX. Prävention Terror und Amok
1. Terroristische Anschläge
2. Amok
3. Bedrohungsmanagement
a) Sicherungstechnik, Vorkehrungen und Alarmierung
b) Präventives Täterprofiling
c) Leaking
4. Verhalten im Alarmfall
5. Zusammenfassung
X. Geiselnahmen
1. Prävention
2. Umgang mit dem Täter/den Tätern
3. Zusammenfassung
XI. Bombendrohungen und Bombenalarm
1. Entgegennahme der Bombendrohung
2. Evakuierungsalarm und Verhalten der Beschäftigten
3. Zusammenfassung
XII. Extremismus
1. Formen und Erkennungsmerkmale
2. Gründe für die Entstehung von Extremismus
3. Bedrohungsmanagement
4. Zusammenfassung
XIII. Radikalisierung
1. Radikalisierungsprozesse
2. Erkennen von Radikalisierungsprozessen
3. Bedrohungsmanagement
4. Zusammenfassung
XIV. Umgang mit Reichsbürgern
1. Allgemeines zum Phänomen Reichsbürger
2. Aktuelle Entwicklungen
3. Bedrohungsmanagement
4. Zusammenfassung
XV. Umgang mit Vandalismus und Sachbeschädigung
1. Bedrohungsmanagement
2. Zusammenfassung
XVI. Sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung
1. Definition und Abgrenzung
2. Bedrohungsmanagement
3. Zusammenfassung
XVII. Häusliche Gewalt
1. Allgemeines zu Häuslicher Gewalt
2. Kennzeichen Häuslicher Gewalt
3. Bedrohungsmanagement
4. Zusammenfassung
XVIII. Stalking
1. Wesen und rechtliche Einordnung
2. Stalkertypologien
3. Bedrohungsmanagement
4. Nachstellung und Verfolgung gegen Mitarbeiter
5. Zusammenfassung
XIX. Zum Umgang mit Drohungen
1. Risikoeinschätzung von Drohungen
2. Bedrohungsmanagement
3. Umgang mit anonymen Bedrohungen
4. Zusammenfassung
XX. Krisenintervention und Aufbau eines Krisenstabes
1. Vorgehen nach Lage
2. Aufbau eines Krisenstabes
3. Infrastruktur eines Krisenraumes
4. Intervenierende Krisenkommunikation
XXI. Wenn „es“ passiert ist
1. Krisenkommunikation nach einer Tat
2. Der Prozess der Viktimisierung aus kriminologischer Perspektive
3. Folgen für unmittelbare und mittelbare Opfer
4. Aufgaben der Leitung
XXII. Zusammenfassung: Generelle Anforderungen an einen sicheren Arbeitsplatz
XXIII. Schriftliche Reaktion/Vorlagen
1. Umgang mit Beschwerdebriefen
a) Umgehende Eingangsbestätigung
b) Unterschiedliche Arten von Beschwerden
c) Umgang mit unsachlichen und ungerechtfertigten Beschwerden
d) Beleidigungen
2. Besondere Konstellationen
a) Versagen der Behörde
b) Unsachliches Verhalten der Behörde
3. Erteilung von Hausverboten
Glossar
Kontakte
Stichwortverzeichnis
Vorwort und Einleitung
„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“
Joachim Ringelnatz
Überall, wo unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten oder sich begegnen, entstehen positive Effekte wie Kollegialität, Freundschaft, ein Gemeinschaftsempfinden und ein Miteinander. Aber zum menschlichen Zusammenleben gehören auch negative Dynamiken aufgrund solcher Aufeinandertreffen. Ausufernde Streitigkeiten, Drohungen, Übergriffigkeit und sogar körperliche Gewalt sind hierfür Beispiele. Findet dies am Arbeitsplatz statt, spricht man von Workplace Violence.3
Und längst betreffen Kriminalität und abweichendes Verhalten nicht nur Polizei- und Vollzugsbeamte. Auch Beschäftigte in Jobcentern, Finanzämtern, (Hoch)Schulen und diversen kommunalen Einrichtungen sehen sich zunehmend mit Aggressionen und Gewalt konfrontiert, obwohl gerade sie ihren Dienst für den Bürger versehen. Selbst Rettungskräfte der Feuerwehr und medizinischer Ersthilfe werden zunehmend zum Ziel entladender Aggressionen im öffentlichen Raum. Betroffene und Beobachter berichten von einer Zunahme, die mittlerweile auch die Politik auf den Plan ruft, um die Helfer im Berufsalltag besser zu schützen.4
In der Öffentlichkeit wird das Thema von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst meist nur dann registriert, wenn es zu Tötungsdelikten kommt. Am 16. Januar 2020 attackierte ein 58-Jähriger eine 50-jährige Mitarbeiterin im Jobcenter in Rottweil mit einem Messer und verletzte sie schwer. Die Tat kündigte er zuvor auf Twitter an und kommentierte sie nach Beendigung ebenfalls.5 Doch längst nicht nur in Deutschland finden Gewaltattacken in Tötungsabsicht statt. Am 31. Mai 2019 schockierte ein Amoklauf im US-Bundesstaat Virginia die Öffentlichkeit: Freitagnachmittag stürmte ein 40-jähriger Angestellter in ein Gebäude der Stadtverwaltung von Virginia Beach und tötete zwölf Menschen, vier mussten in Krankenhäusern operiert werden. Elf der Opfer waren Angestellte der Stadt. Augenzeugen berichten von Schüssen, Panik und Todesangst der Anwesenden.6
Im Rahmen der seit April 2016 laufenden dbb-Kampagne „Gefahrenzone Öffentlicher Dienst“ kann man sich einen beinahe tagesaktuellen bundesweiten Überblick über gewaltsame Übergriffe gegen im Öffentlichen Dienst tätige Personen verschaffen.7 Tatsächlich kann einem in sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, vom Einwohnermeldeamt bis hin zu einer Hochschulverwaltung alles an Gewalt und abweichendem Verhalten begegnen. Reichsbürger, Extremisten, Menschen mit Suchtproblemen oder psychischen Störungen oder auch organisiert-kriminelle Strukturen sind behördliches Gegenüber und sie stellen eine enorme Herausforderung und unter Umständen sogar eine Bedrohung für das eigene Leben dar. Zudem können Mitarbeiter von sexueller Gewalt bedroht oder sie können Häuslicher Gewalt und Stalking ausgesetzt sein und Hilfe bedürfen, um weiter ihrer Arbeit nachgehen zu können. Doch auch innerhalb der Dienststellen kann es zu Auseinandersetzungen und Belästigungen kommen, die ein akzeptables Maß überschreiten und in die eingegriffen werden muss, um den Frieden am Arbeitsplatz wiederherzustellen.
Es sind nicht nur besonders exzessive Gewalttaten, die wir in Deutschland beispielsweise durch Amokläufe in Schulen wie in Erfurt und Winnenden bereits erleben mussten.8
Auf die Gefährdung der Beschäftigten wird ebenfalls meist erst dann reagiert, wenn eine schlimme Gewalttat an einem Arbeitsort stattgefunden hat. Doch meist geht es gar nicht um exzessive Gewalttaten. Mitarbeiter im öffentlichen Dienst sind vor allem alltäglicher Gewalt ausgesetzt, die sich nicht nur auf verbale Angriffe und Drohungen beschränken muss. In vielen Einrichtungen, in denen Kundenverkehr besteht, gehört ein Sicherheitsdienst zum Standard. Doch noch immer wird vor allem nicht-physische oder „leichte Gewalt“ zu häufig hingenommen. Zum einen, weil die Beschäftigten es aus dem Gewöhnungseffekt nicht mehr als Übergriff wahrnehmen und zum anderen, weil sie Angst haben, dagegen vorzugehen. Dafür bedarf es der entsprechenden Priorität in der Führungsebene und Rahmenbedingungen in den Behörden, die den Beschäftigten Sicherheit geben.
Für Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen ist nicht fakultativ, sondern eine elementare Aufgabe jeder Führungsebene. Denn Gewalt und Bedrohungen am Arbeitsplatz sind
1. ein ethisches Risiko für jede Behördenleitung, da es eine Verantwortung für die Sicherheit der Mitarbeiter gibt,
2. ein Unternehmensrisiko, da vor allem schwere Gewalttaten zu negativen Folgen führen wie Angstverhalten am Arbeitsplatz, ein entsprechend hoher Krankenstand und auch Reputationsschäden für die Behörde,
3. damit einhergehend auch ein Kostenfaktor, weil Arbeitsausfall als Folge sich als Kosten monetär niederschlägt (z. B. notwendige Einstellung befristeter Arbeitskräfte, Strafzahlungen aufgrund von Verfristungen, etc.),
4. ein gesetzliches Risiko, da möglicherweise Schadenersatzansprüche entstehen können, wenn auf Warnsignale der Gewalt nicht reagiert wurde.9
Häufig verfassen Einrichtungen mit Kundenverkehr Verhaltensregeln, die sichtbar am Eingangs- oder im Wartebereich angebracht sind. Das In-Erinnerung-Rufen bestimmter Benimmregeln ist nie verkehrt, wenn es als Anweisung klar formuliert ist. Gefährder als Personen, die zu Gewalthandlungen neigen, wissen dann, dass in dieser Einrichtung eine Sensibilisierung für das Thema Gewalt existiert. Aber es schützt die Beschäftigten allerdings nicht vor Übergriffigkeiten und Anfeindungen. Sicherheit im öffentlichen Dienst ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis sorgfältig getroffener Maßnahmen.
Um beim Arbeiten dauerhaft produktiv sein zu können, möchten sich Beschäftigte in einem bestimmten Maße wohlfühlen. Dazu ist es wiederum notwendig, dass sie ein Gefühl von Sicherheit an ihrem Arbeitsplatz haben. Entsprechend wichtig ist es, dass Beschäftigte wissen, dass ihr Arbeitgeber ihrer Sicherheit höchste Priorität einräumt. Der Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten erfordert es, Vorkehrungen für den Notfall zu treffen. Jedoch kann keine noch so detaillierte Regelung den absoluten Schutz des Einzelnen gewährleisten; es ist ausgeschlossen, für jede Gefahrensituation ein wirksames Abwehrverhalten gegenüberzustellen. Gefährdungspotentiale zu erkennen, wirksame Schutzkonzepte sowohl strukturell, als auch für den einzelnen Mitarbeiter zu installieren, sind Gegenstand des Handbuches.
Unser Ziel ist es, gesammelte Erfahrungen und Sachverhalte aufzugreifen und Möglichkeiten zum Umgang aufzuzeigen, ohne dabei den Anspruch zu erheben, dass wir damit allgemeingültige Lösungen anbieten können. Das Handbuch soll helfen, Ansätze für Problemlagen zu entwickeln, um die Beschäftigten zu unterstützen, Risiken zu senken, Sicherheitsmängel zu beseitigen und insgesamt zu einem gesteigerten Sicherheitsempfinden am Arbeitsplatz beizutragen. Wenn ein Vorfall passiert ist, bedarf es Maßnahmen zum Wiederherstellen bzw. zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. Sie werden sich, auch nach der Lektüre des Handbuches, nicht sofort auf bedrohliche Momente einstellen oder für solche „präparieren“ können. Das eigene Sicherheitsempfinden zu steigern und Schutzmechanismen zu entwickeln, ist ein Lernprozess, der Übung erfordert.
Wir hoffen, mit den nachfolgenden Ausführungen einige Ansätze zu bieten, die Sie in Ihren Arbeitsalltag integrieren können, und die dazu beitragen, Ihr Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz zu steigern.
Mülheim an der Ruhr/Northeim, im April 2020