Czytaj książkę: «Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule», strona 12
2.5 Zusammenfassung und Fazit
Bildung besteht aus einer Sammlung von stories, denn stories fördern die Identifikation und erhöhen gleichzeitig die Merkfähigkeit (Dietrich Schwanitz)
Kapitel 1 dieser Arbeit hat gezeigt, dass die heutigen Schülerinnen und Schüler eine äußerst heterogene Lerngruppe bilden und in einer überaus komplexen und schnelllebigen Gesellschaft aufwachsen, die mehr denn je zum lebenslangen Lernen aufruft. Nicht umsonst werden auch in den aktuellen Bildungsplänen eine Reihe an Kompetenzen aufgeführt, die die Lernenden erwerben sollen, um in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft erfolgreich bestehen zu können. Dazu gehört auch das Erlernen der englischen Sprache als lingua franca und das Anstreben einer umfassenden interkulturellen kommunikativen Kompetenz (Europarat 2001).
Nachhaltiges Lernen kann allerdings nicht verordnet oder vorbestimmt werden, denn wie sich aus der Darstellung der konstruktivistischen Perspektive noch zeigen wird (vgl. Kapitel 3), ist der Wissenserwerb eine sehr individuelle Sache, die von außen nur begrenzt beeinflusst werden kann. Es stellt sich also die Frage, wie die jungen Menschen zum lebenslangen Lernen motiviert und zugleich auch sinnvoll unterstützt werden können. Dabei geht es weniger um die Vermittlung von deklarativem Wissen als vielmehr um das Aufzeigen von Fragestellungen, Problemlöseverfahren und Lerntechniken, die einen Bezug zur Lebenswelt haben und im Sinne der Handlungskompetenz nachhaltig verwertbar sind. Im Kontext der Aufgabenforschung spricht man von meaningful tasks, die das fremdsprachliche Lernen erleichtern sollen, indem sie an realitätsbezogenen Kommunikationssituationen andocken. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Aufgabenforschung ein äußerst disparates Feld ist, sich an manchen Stellen auch deutlich mit der Motivationsforschung (vgl. Kapitel 4) überschneidet und derzeit noch viele Fragen unbeantwortet sind. Auf der anderen Seite stellt der Storyline Approach eine Möglichkeit dar, um zum einen das Fremdsprachenlernen sinnstiftend und effektiv zu gestalten und zum anderen der Fremdsprachenforschung vielleicht einige erhellende Antworten zu liefern, denn Storyline-Projekte erfüllen weitgehend die von Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth (2006) formulierten und oben aufgeführten Gütekriterien für lernförderliche Aufgaben (vgl. Kapitel 2.4.2).
Im vorliegenden Kapitel wurden einige grundlegenden Prinzipien, Merkmale sowie individuelle Ausprägungen und Facetten des sowohl prozess- als auch produktorientierten Storyline-Konzepts dargestellt. Die Vielzahl und Vielseitigkeit der Entwicklungszweige verdeutlichen, dass der Storyline Approach sich unter den verschiedensten Bedingungen und mit voneinander abweichenden Zielsetzungen als außerordentlich flexibles, multifunktionales und in jeglicher Hinsicht „sinn-volles“ Modell einsetzen lässt, um den heterogenen Voraussetzungen und Bedürfnissen jeglicher Lerngruppen gerecht zu werden. Ob dies auch für das fremdsprachliche Lernen in der Sekundarstufe I zutrifft, sollen Fallstudie 1-6 in Teil B zeigen.
Auf die Frage nach der Verbreitung des Storyline-Konzepts wird auf internationaler Ebene immer wieder beklagt, dass die derzeit zunehmenden Reglementierungen durch Bildungsstandards, Lehrpläne usw. die Schule als Bildungs- und Erziehungseinrichtung offenbar immer mehr zu einer “overly structured institution“ verändern (Letschert 2006, 12), in der ganzheitliches, organisches, integratives und prozessorientiertes Lernen behindert werden. Dazu erschwert die latente „Bedrohung“ durch regelmäßig anstehende nationale und internationale Leistungsvergleichstests und Evaluationen wie PISA das autonome pädagogische und professionelle Handeln der Lehrkräfte im Klassenzimmer und gefährdet somit offensichtlich auch die differenzierte Betreuung bzw. angemessene Förderung der heterogenen Lerngruppen.
Gewünscht werden zwar unisono motivierte Schülerinnen und Schüler, die zu flexiblem und lebenslangem Lernen befähigt bzw. bereit sind, vorgegeben werden von offizieller Seite jedoch meist enggefasste, konkret formulierte, vorweg geplante und somit absehbare Lern- bzw. Lehrziele, und gefordert werden klar isolierbare und eindeutig abprüfbare Ergebnisse, um somit dem vermeintlichen Ziel einer objektiven Leistungsmessung und (internationalen) Vergleichbarkeit näher zu kommen. Ian Barr und Barbara Frame stellen mit Recht fest, dass der seit einiger Zeit erkennbare politische Enthusiasmus für zentrale Lernkontrollen und Evaluationen nicht nur problematisch, sondern auch irreführend ist: “Checking the oil in your car is a sensible thing to do, but hardly every 200 metres!“ (Barr/Frame 2006, 51).1
Auch wenn das Storyline-Modell als solches immer wieder auf positive Resonanz stößt, sieht der Unterrichtsalltag auf Grund der oben genannten Probleme und Hindernisse leider oft anders aus. So resümiert Letschert (2006) aus den Niederlanden: “The acceptance of the idea is great, actual implementation on a large scale in schools however, is relatively modest“ (Ebd., 11). Inwieweit sein pessimistisches Bild tatsächlich bzw. überall zutrifft und ob die Ursachen im Ansatz selbst liegen oder auch übertragbar auf andere anspruchsvolle Lernkonzepte und Unterrichtsmodelle2 sind, müsste durch entsprechende Forschungsarbeiten geklärt werden. Barr und Frame (2006) verweisen in diesem Kontext beispielsweise auf das mancherorts noch immer existierende (und mitunter auch erwartete) traditionelle Lehrerbild, das an Autorität, Gehorsam, Normen und Macht gekoppelt ist und somit innovativen, partnerschaftlichen und offenen Unterrichtskonzepten außerordentlich im Weg steht: “The theory and methods don’t impact because of the culture of teaching and staffrooms and the mythic and durable teacher stereotypes that the profession carries with it“ (Ebd., 55). Aus diesem Grund fordern sie mit Recht nicht nur grundsätzliche Veränderungen im Rahmen der Bildungspolitik, Curriculumentwicklung und Schulorganisation, sondern auch in der Ausbildung von Lehrkräften, um zu ermöglichen und zu gewährleisten, dass sich ganzheitliche und integrative Konzepte im Klassenzimmer nachhaltig durchsetzen können:
The challenge for teacher education is to:
practice what it preaches; i.e. to model values;
give more responsibility to student teachers as learners;
provide an explanation of continuity and change in relation to the professional role of the teacher
make learning truly experiential (Ebd., 57).
Ähnliche Gedanken bezüglich einer effektiven Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften werden auch von Van den Branden (2006b) im Kontext des Task-based Learning formuliert.3
Mir persönlich scheint das Storyline-Konzept als vielversprechende Möglichkeit, um die im vorigen Kapitel genannten Desiderate hinsichtlich des lebenslangen (Fremdsprachen-)Lernens in einer komplexen, schnelllebigen und sich ständig wandelnden Wissensgesellschaft erfolgreich in die Praxis umsetzen zu können – vorausgesetzt, das Modell wird in seiner Ganzheit betrachtet und verstanden. Dies ist allerdings nicht über das Lesen eines einzelnen Fachartikels möglich, sondern erfordert von Lehrenden eine entsprechende pädagogische Einstellung mit vielfältigen und anspruchsvollen Kompetenzen4 sowie eine handlungsorientierte und reflektierte Rezeption des Konzepts, die wiederum den Bogen zur Theorie spannt.5 Dabei darf nicht vergessen werden: Das Lernen und Lehren nach dem Storyline-Modell kann man nicht verordnen! Man muss davon überzeugt sein – wie eine Kollegin aus England: “I began to understand the power of the Storyline method and most importantly the fun which it can bring to teaching, both for the pupils and for the teachers“ (Mitchell-Barrett 2010, 178).
Ich selbst würde Storyline heute allerdings nicht mehr als „Methode“ bezeichnen (vgl. z.B. Kocher 1999), sondern eher als umfassendes Lernkonzept (vgl. z.B. Kocher 2016), das auf einer spezifischen pädagogischen und philosophischen Einstellung basiert und den ganzen Menschen im Blick hat, nicht nur einzelne (fremdsprachenbezogene) Fertigkeiten und Teilkompetenzen: “Storyline is in the heart an attitude, not an instrument“ betont Letschert (2006, 31). Dem kann ich nur beipflichten. Schwänke und Plaskitt (2016) behaupten: “Storyline is more than a method; you might call it a pedagogy. Certainly it is a unique approach to active learning (and teaching)“ (Ebd., 54). Storyline ist definitiv kein „schnelles Rezept“, das man unreflektiert kopieren kann, sondern ein kreativer und komplexer Ansatz6, den man verstehen, würdigen und verinnerlichen muss, um Storyline-Projekte konzipieren und implementieren zu können. In Fallstudie 7-9 (Teil B) soll untersucht werden, wie Lehramtsstudierende in diesen Prozess einbezogen werden können.
3 Grundlagen einer konstruktiv(istisch)en Lernkultur
3.1 Einleitung
Sage mir, was du denkst, und ich denke mir, was du meinst (Theodor Bardmann)
Die häufig zu vernehmende Unzufriedenheit mit schulischen Leistungen, die noch dazu in internationalen und nationalen Studien als berechtigt attestiert wird, hat in den vergangenen Jahren zu vielseitigen Überlegungen geführt, die auch für den Fremdsprachenunterricht und die Hochschullehre von Bedeutung sind. Unter dem Vorzeichen der angestrebten Optimierung von Lernprozessen und der Vermittlung von entsprechenden Werkzeugen, die das lebenslange Lernen fördern sollen, beschäftigt man sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen verstärkt mit Theorien und Modellen, die das Problem des „trägen Wissens“ und der Kluft zwischen Wissen und Handeln erklären und vor allem beheben sollen (Gruber u.a. 2000).1 Es stellt sich darüber hinaus immer wieder die generelle Frage danach, wie wir Wissen erwerben und wie wir lernen.
Wirft man einen Blick allein auf die Veröffentlichungen in der Allgemeinen Pädagogik bzw. Didaktik2 sowie in der fachspezifischen Didaktik3 der letzten Jahre, dann gewinnt man den Eindruck, dass konstruktivistische Strömungen im Bildungsbereich immer mehr an Bedeutung gewinnen und „derzeit große Aufmerksamkeit“ erfahren (Haß 2010, 179), obwohl das Gedankengut an sich nichts Neues darstellt, sondern auf eine sehr lange Entwicklung zurückblicken kann. Erst durch die Thematisierung und äußerst kontrovers geführte Diskussion des Radikalen Konstruktivismus ist das konstruktivistische Denken vor einigen Jahren wieder ins Zentrum des Interesses geraten, und zwar auf internationaler Ebene und in ganz unterschiedlichen Bereichen – so auch in der Fremdsprachendidaktik im deutschen Sprachraum. Vergessen scheinen heute so manche Grabenkämpfe, man geht nun offensichtlich dazu über, die Theorie in pädagogische Praxismodelle zu integrieren, was meines Erachtens der aussichtsreichere Weg ist. „Der Konstruktivismus hat sich zu einer der führenden Lerntheorien der Gegenwart entwickelt“, behaupten Urhahne, Wilde, Marsch und Krüger (Urhahne u.a. 2011, 116), und Volkmann (2010, 206) geht mit seiner Aussage sogar noch einen Schritt weiter: „Der Konstruktivismus hat sich als moderne Auffassung des Lehr-Lern-Vorgangs durchgesetzt“.
Wie aber sieht die Unterrichtspraxis aus? Aus meiner Sicht herrschen behavioristische Ansätze mit einem starken Fokus auf Instruktion in vielen Lernkontexten noch immer vor – auch im Fremdsprachenunterricht, wenn man an die sinnentleerten Drills und wenig kommunikativen „Frage-Antwort-Spielchen“ des gängigen Unterrichtsalltags denkt. Offenbar fehlt es vielerorts noch an Konzepten und Modellen, die zeigen, wie die Theorie konkret in die Praxis umgesetzt werden kann. Der Storyline Approach bietet hier meines Erachtens viele Chancen.
Klarzustellen ist zunächst einmal, dass es „den“ Konstruktivismus nicht gibt (auch wenn ich den Begriff aus Gründen der Leserfreundlichkeit hier vorläufig so verwende), sondern dass es sich dabei um eine Denkströmung handelt, die sich aus vielen verschiedenen Einzeldisziplinen speist und auf diese wieder zurückwirkt. Beteiligt sind an der heutigen wissenschaftlichen Diskussion vor allem Philosophie, Biologie, Neurophysiologie, Kybernetik, Sprachwissenschaften, Psychologie und die Pädagogik. Vermutlich ist gerade dies mit ein Grund dafür, dass die Diskussion um konstruktivistische bzw. verwandte Ansätze sehr uneinheitlich und verwirrend geführt wird, da unter dem Begriff „Konstruktion“ ganz unterschiedliche Vorstellungen subsumiert werden, so dass es wohl angemessener wäre, von „Konstruktivismen“ zu sprechen (Reich 2004, 33).4
Disziplinen | Personen | Disziplinen | Personen |
Evolutionstheorie | Riedl | Wissenschaftstheorie | Janich, Mittelstraß |
Neurobiologie | Maturana, Varela | Gehirnforschung | Roth, Singer |
Kognitionsforschung | von Glasersfeld, Mandl | Emotionsforschung | Ciompi |
Kommunikationswissenschaft | Watzlawick | Sprachwissenschaft | Vygotskij |
Wissenssoziologie | Luckmann, Searle | Systemtheorie | Luhmann |
Psychotherapie | Stierlin, Simon | Pädagogik | Reich, Kösel |
Sozialpsychologie | Gergen | Philosophie | Schmidt |
Tab. 1:
Disziplinen des Konstruktivismus und ihre Vertreterinnen bzw. Vertreter (Siebert 2005, 15)
Unbestritten ist dagegen die Tatsache, dass die traditionellen, einseitig behavioristisch geprägten Vorgehensweisen im Unterricht nicht zukunftsfähig sind und deshalb verschiedene Aspekte hinsichtlich der Gestaltung von Lernumgebungen neu bedacht und vor allem auch konkret umgesetzt (!) werden müssen, um die Handlungskompetenz von heterogenen Lerngruppen und somit auch deren Bildungsmotivation und Zukunftschancen zu erhöhen sowie letztendlich den von vielerlei Seiten geäußerten Anspruch des „lebenslangen Lernens“ einlösen zu können. Dies betrifft selbstverständlich auch die Fremdsprachen. Meine Hypothese lautet, dass der Storyline Approach eine Lösung anbieten könnte, um obige Ziele zu realisieren.
In den folgenden Kapiteln werden zunächst einige Vorläufer und Ansätze bzw. Strömungen des konstruktivistischen Denkens erläutert, die als Basis für konstruktivistische Modelle in Theorie und Praxis – wie beispielsweise den Storyline Approach – gelten. Auch hier wird es sich lediglich um eine begrenzte Synopse handeln, da nicht alle Facetten und Details des Konstruktivismus näher beleuchtet werden können und vermutlich auch nicht (mehr) müssen. Anschließend werden darauf aufbauend die Implikationen konstruktivistischen Denkens für die Praxis und die damit verbundenen Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht und die Hochschullehre reflektiert. Wo es sich anbietet, wird direkt an Ort und Stelle kurz auf die Bedeutung einzelner Ansätze für das (Fremdsprachen-)Lernen nach dem Storyline-Modell verwiesen, bevor zum Schluss erörtert wird, inwiefern Storyline ein konstruktivistischer Ansatz ist. Zur konkreten Umsetzung in Schule und Hochschule sollen meine Untersuchungen in Teil B einen Beitrag leisten.
3.2 Die Ursprünge des Konstruktivismus
Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? (Watzlawick 2002, 10)
Auch wenn heute häufig der Eindruck entsteht, dass der Konstruktivismus ein Paradigma darstellt, das auf neusten Erkenntnissen basiert, muss klargestellt werden, dass konstruktivistisches Denken – je nachdem, wie eng man den Maßstab setzt – bereits eine sehr lange Tradition hat. Hierbei handelt es sich auch nicht etwa um eine einzelne Erkenntnis- oder Wissenschaftstheorie, sondern um eine Denkströmung innerhalb eines äußerst interdisziplinären Forschungsfelds mit ganz unterschiedlichen Modellen, Ansätzen und Standpunkten. Die gemeinsame erkenntnistheoretische Grundannahme besteht jedoch darin, dass die Wirklichkeit des Menschen nicht als objektives Abbild der Realität, sondern als seine eigene, höchst individuelle und aktive Konstruktion aufgefasst wird. Somit distanziert sich der Konstruktivismus von den Positionen des Realismus und „vor allem von ontologischen und metaphysischen Wahrheitsansprüchen“ (Siebert 2005, 11).
Um die mittlerweile äußerst zahlreichen und gleichzeitig sehr unterschiedlichen konstruktivistischen Ansätze verstehen und einordnen zu können, muss man die Wurzeln kennen, die den „Baum der Erkenntnis“ (Maturana/Varela 1987) mit seinen weitreichenden Ästen speisen. Auf die unzähligen „Zweige“ und „Blätter“ des besagten Baumes kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nur begrenzt eingegangen werden, zumal es mir wichtiger scheint, den „Baum“ als Ganzes zu betrachten, als dessen eine „Frucht“ (im Nachhinein gesehen) der Storyline Approach gesehen werden kann.1
3.2.1 Geistesgeschichtliche Einordnung des Konstruktivismus
Die Diskussion zwischen Vertretern des Realismus und Idealismus hat in der Philosophie eine lange Geschichte, wobei es schwierig zu sein scheint, die genauen Ursprünge des konstruktivistischen Gedankenguts aufzudecken.1 Ernst von Glasersfeld (1996) bezeichnet die griechischen Skeptiker (Schule des Pyrrhon von Elis, 360-270 v.Chr.) als die ersten Philosophen, die gegen das realistische Dogma, das unter anderem von Aristoteles (384-322 v.Chr.) vertreten wurde, rebellierten. Falko von Ameln (2004) dagegen verweist auf René Descartes (1596-1650), mit dem „die Reflexion auf die eigene Erkenntnisfähigkeit zum ersten Mal in der Philosophiegeschichte“ auftrat (Ebd., 11). In einer zu Descartes allerdings gegenläufigen Tendenz führten die englischen Empiristen John Locke (1632-1704), George Berkeley (1685-1753) und David Hume (1711-1776) die so genannte cartesianische Reflexion auf das Subjekt fort (von Ameln 2004, 12). Insbesondere Locke betrachtete dabei den Geist eines Neugeborenen als tabula rasa, wohingegen Descartes davon ausging, dass die „von Gott dem Menschen eingegebenen ‘angeborenen Ideen’“ und bestimmte begriffliche Vorstellungen bei der Geburt bereits vorhanden seien (Müller 1996a, 32). Der anglikanische Bischof Berkeley vertrat mit seinen metaphysisch-konstruktivistischen Vorstellungen, dass Sein in nichts anderem besteht, „als Gegenstand des Wahrnehmens und damit Wahrgenommenes zu sein (esse est percipi)“ (von Ameln 2004, 10), eine extreme Position der Idealisten und leugnete – im Gegensatz zu Locke und Hume – explizit die dingliche Realität.
Während Ernst von Glasersfeld (1996) und Klaus Müller (1996a) in Giambattista Vico (1668-1744) den ersten Konstruktivisten im engeren Sinne sehen, da dieser die Ansicht vertrat, dass die Welt nicht ontologisch „wahr“ sei, sondern dass durch Wahrnehmung, Handeln und Erfahrung „unser rationales Wissen von uns selbst konstruiert wird“ (von Glasersfeld 1996, 76) und der Mensch schließlich nur das sicher wissen kann, was er selbst geschaffen hat, betrachtet Falko von Ameln (2004) stattdessen Immanuel Kant (1724-1804) als denjenigen Philosophen, der zum ersten Mal explizit konstruktivistische Positionen detailliert formuliert hat. Kant versuchte, zwischen dem zu realistischen Positionen tendierenden Empirismus und dem idealistischen Rationalismus mit einer neuen Theorie der menschlichen Erkenntnistätigkeit zu vermitteln, die – auf den Punkt gebracht – besagt, dass das Individuum mit Hilfe von Verstand und Vernunft theoretisch und praktisch aktiv die Welt gestaltet (von Ameln 2004, 15).2 Müller (1996a) dagegen behauptet, dass Vico schon circa 70 Jahre vor Kant „eine sachlichere, nicht ins Metaphysische reichende Epistemologie“ angeboten hatte, „indem er den Handlungsbegriff einführte, der bei Kant nur eine marginale Rolle (...) spielt“ (Ebd., 31). Der konstruktivistische Begriff der Viabilität beruft sich angeblich ebenfalls auf Vicos Einsichten (Ebd.), und seine Erkenntnistheorie kommt der genetischen Epistemologie von Jean Piaget recht nahe (von Glasersfeld 1996). Kants Vorstellungen wurden später von Jean Piaget konkretisiert (von Ameln 2004; Buggle 2001).
Edmund Husserl (1859-1938) schließlich richtete sich mit seiner Phänomenologie gegen den aufkommenden „Psychologismus“ in der Erkenntnistheorie. Seine philosophische Denkrichtung vertrat die konstruktivistische Position, dass „Realität nichts Selbständiges darstellt, sondern nur als Produkt des Bewusstseins auftritt, das seine Phänomene erschafft. (...) Die vermeintliche Sicherheit der Existenz der Außenwelt wird (...) – gleichsam in Wiederholung des cartesianischen Zweifels – als fraglich und unbewiesen betrachtet“ (von Ameln 2004, 16).
Der amerikanische Philosoph William James (1842-1910), der zudem als Begründer der amerikanischen Psychologie gilt (Müller 1996a, 32), entwickelte – auch unter dem Einfluss der Evolutionstheorie von Charles Darwin – die Vorstellung, „dass die menschliche Erkenntnisweise im Verlauf der Zeit einer passiven Selektion auf der Grundlage ihrer Tragfähigkeit für praktisches Handeln unterlag“ (von Ameln 2004, 17). Damit kam die biologische Funktion der Erkenntnistätigkeit ins Spiel, die in Kants Vorstellungen fehlte. James war Vertreter des amerikanischen Pragmatismus, dessen Maxime lautet: „Wahr ist, was sich durch seine praktischen Konsequenzen bewährt“ (Müller 1996a, 32). Diese „Nützlichkeitstheorie der Wahrheit“ (Ebd.) fragt nicht nach den Ursprüngen und dem Wesen der Dinge, sondern ist sehr materialistisch angelegt: „Denken und handeln werden in pragmatischer Weise als zielgerichtet oder funktional bestimmt“ (Ebd.).
Dynamismus, Pluralismus sowie Relativismus gelten als Kernpunkte der Denkrichtung von William James, der die Vorstellung eines Universums durch die Idee eines so genannten Multiversums ersetzt, welches aus konkurrierenden Wirklichkeitskonstrukten (Sub-Universa) besteht, „die von Menschen aktiv gestaltet, gelebt und geglaubt werden“ (Ebd., 33). Diese Auffassung beeinflusste später die Handlungstheorie von Mead und den Symbolischen Interaktionismus. Müller (1996a) sieht zudem Parallelen zur späteren evolutionären Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz. James’ Vorstellung einer biologischen Funktion der Erkenntnistätigkeit im Sinne der Arterhaltung ähnelt auch dem Viabilitätskonzept des Konstruktivismus.
John Dewey (1859-1952) geht in Übereinstimmung mit dem Pragmatismus davon aus, dass sich der Wert einer Aktivität vor allem über ihren praktischen Nutzen für das Subjekt zeigt. Erkenntnis wird nicht als rein passiv gesehen, sondern liegt „primär im Handeln im Dienste einer praktischen Problemlösung“ (von Ameln 2004, 17). Sprich: Wissen wird im Handeln aufgebaut und „interaktiv durch ein untersuchendes, neugieriges, experimentierendes Verhalten konstruiert“ (Reich 2012, 71). Lernen wird somit als ein aktiver Prozess verstanden, bei dem die äußere Wirklichkeit nicht abgebildet, sondern Wirklichkeit im Handeln erst hergestellt wird. Impulse aus den Handlungssituationen sowie kontinuierliche und vielseitige Erfahrungen führen schließlich zu Verhaltenseigenschaften (habits), „die dem Wissen einen Kontext, einen interpretativen Rahmen von Verwendung und Bedeutung geben, der für das Lernen unerlässlich ist“ (Ebd., 71). John Dewey gibt mit seinem Ansatz die dualistische Sichtweise von Körper und Geist bzw. Individuum und Gesellschaft auf und vertritt eine kulturtheoretische Perspektive, „die heute wieder hochaktuell ist“ (Ebd.).
Deweys „pragmatische Theorie der Wahrheit als eines Konstruktionsprozesses“ (Hickman 2004, 12), seine stark ausgeprägte demokratische Überzeugung, seine Kunst- und Kulturtheorie, seine Vorstellung, dass sich Lernprozesse nicht vom sozio-kulturellen und historischen Kontext trennen lassen, sein Fokus auf Kommunikation und Interaktion sowie sein „Verständnis des experience“ (Reich 2004, 42), welches wiederum dem Viabilitätskonzept des Konstruktivismus nahekommt, schlagen sich schließlich auch in seiner expliziten Formulierung von pädagogischen Konsequenzen nieder, die einen starken Bezug zu instrumentellem und experimentellem Handeln zum Zweck des Problemlösens aufweisen (learning by doing) und weitgehend auch auf den Storyline Approach zutreffen (vgl. Kapitel 2.3). Er arbeitete das so genannte Fünferschritt-Modell erfolgreichen Lernens aus, entwickelte zusammen mit William H. Kilpatrick ein umfassendes Konzept der Projektmethode und gilt als wichtiger Vertreter einer konstruktivistischen Didaktik.3
Auch Entwicklungen in der modernen Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts beeinflussten die Vorstellungen der Menschen von der Wirklichkeit radikal, als nämlich aufgezeigt wurde, dass „die Wirklichkeit beobachtungsabhängig ist“ (Siebert 2005, 8). So wird Albert Einstein gelegentlich als der berühmteste Konstruktivist bezeichnet. Aber nicht nur Einsteins Relativitätstheorie, sondern auch die von Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger begründete Quantentheorie erschütterte unser Weltbild, da die dort beschriebenen Effekte zum Teil nicht „mit den Gesetzen der klassischen Mechanik (...) erklärbar“ sind (von Ameln 2004, 18). Interessant sind auch die erkenntnistheoretischen Dimensionen der Publikation Laws of Form von George Spencer Brown (1997), die zahlreiche Bezüge zu konstruktivistischen Ansätzen (z.B. zu Maturanas Autopoiesis-Theorie, zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme oder zu Kellys Psychologie der persönlichen Konstrukte) aufweist. Spencer Browns Kernaussage lautet, dass jeder Wahrnehmungsvorgang – und somit auch der Zugang zur Welt – auf dem Treffen von Unterscheidungen beruht.
Die oben aufgeführten Positionen haben nicht nur den interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs angeregt, sondern indirekt und vor allem über den Radikalen Konstruktivismus auch die systemische Praxis und die Pädagogik beeinflusst.