Czytaj książkę: «Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf»
Dolf Hermannstädter
GOT ME?
Hardcore-Punk als Lebensentwurf
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Trust-Kolumnen 1986 – 2007
FUEGO
Dolf Hermannstädter setzt sich in ungewöhnlich konsequenter Art und Weise mit dem Hauptproblem der Menschen in unserer Gesellschaft auseinander: Mit der permanenten Verwechslung der Erscheinung (wie eine Sache nach außen erscheint) und dem Wesen (was eine Sache, eine subkulturelle Bewegung, das menschliche Zusammenleben bedeuten soll). Was sich wie ein roter Faden eben auch durch die Punk/HC-Bewegung zieht, ist die von Dolf erkannte Tatsache, dass der Mensch nicht ist, was er sein sollte, und das er sein sollte, was er sein könnte. Das macht diese in klarem und nüchternem Stil gehaltenen Kolumnen zu etwas besonderem. Gerade weil doch jeder, der 1979 die Sex Pistols hörte, schon ein Buch darüber geschrieben hat.
Neben der konzentrierten Analyse jeweiliger Szenemoden und dem feinen Gespür für Trends plus einer guten Portion Gesellschaftskritik beharrt Hermannstädter auf der ursprünglichen Forderung von Punk: think for yourself - sich etwas eigendes aufzubauen, ohne dich von den Trends blenden zu lassen.
Wie in fast keinem anderen Bereich gehen bei den Begriffen Punk und Hardcore Wesen und Erscheinung so weit und so widersprüchlich auseinander. Einerseits ein dümmlicher, sich selbst abfeiernder Haufen von Kaputt-Chic. Andererseits eine eventuell noch bescheuertere Veranstaltung von tätowierten Testosteron-Gorillas. Doch für ein tieferes Verständnis, um was es Punk und dem jüngeren Hardcore-Punk eigentlich geht, was ihr Wesen ausmacht, wofür und wogegen sie sind, dafür stehen Dolf Hermannstädters Kolumnen, die zwischen 1986 und 2007 im Musik-Fanzine Trust erschienen sind.
»Living backwards«
Der Laden war ausverkauft, es war heiß und feucht. Als YUPPICIDE endlich die Bühne betraten, gab es kein halten mehr: Die Band verschwand hinter Stage-Divern, die problemlos von den Leuten aufgefangen worden, es wurde getanzt und gepogt, alles verwob sich ineinander. Man sah fast nur glückliche Gesichter, Bier spritzte und YUPPICIDE legten einen Knaller nach dem anderen nach. Unglücklicherweise mussten wir das Konzert früh verlassen, weil die ältere Schwester meines Konzertbegleiters uns vor dem AJZ Bahndamm Wermelskirchen an einem kalten November-Abend 1993 abholte, damit wir beiden Fünfzehnjährigen einigermaßen pünktlich nach Hause kommen. Der Physik-Test am nächsten Tag war miserabel, aber ich hatte etwas live gesehen, was ich vorher nur auf Tape kannte, etwas wildes, aufregendes, freakiges, etwas total abgefahrenes: Hardcore-Punkrock. Schneller als Punk, Texte mit mehr Aussage, keine Macho-Idioten, die Übernahme von guten Elementen der Hippie-Subkultur verbunden mit etwas eigenem und mit besserer Musik und mit mehr oder anderem Spaß.
Dass das alles jedoch für Leute, die seit Beginn der Punkrock-Kultur aktiv waren, längst schon die vierte oder fünfte Generation von Bands war, wusste ich nicht. Dass sich das TRUST-Fanzine seit 1986 damit auseinandersetzt, wusste ich damals jedoch, weil ich mir zu der Zeit das Heft zum ersten Mal gekauft hatte. Ich hätte es damals natürlich nicht geglaubt, dass ich fast 15 Jahre später selber bei dem Heft mitmache, ja, dass es dann das Heft überhaupt noch geben wird und dass ich ein Vorwort zu den gesammelten TRUST-Fanzine-Kolumnen von Mitbegründer, Herausgeber und Chef-Shitworker Dolf schreiben würde.
Wozu soll dieses Kolumnenbuch gut sein? File-it-next-to-the other-Bücher von Leuten, die ihre Wilde-Jugend-Jahrzehnte später abfeiern? Gibt es nicht genügend Romane und Fotobücher und geschichtliche Betrachtungsweisen in Buchform von und über Punkrock, Hardcore, Death-Grind und Calypso-Punk?
Ich denke, dass dieses Buch mehr als alle anderen eine extrem wichtige Sache aufzeigt: Der »alte Widerspruch« der Punk-HC-DIY-Unkommerziellen-Bewegung; der hohe Anspruch, nachdem alles mehr als nur Musik sein soll(te), der paradoxerweise genau dadurch vermittelt werden soll, dass Bands Musik machen und in ihren Texten darauf hinweisen, dass im Prinzip all das nicht wichtig und längst nicht genug ist, dass es in erster Linie um die kritische Betrachtung der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur geht, um die Veränderung von einem Selber hin zu etwas Gutem, das Leben selber in die Hand nehmen, mit anderen Menschen etwas gemeinsames zu schaffen, für eine selbstbestimmte Kultur kämpfen. Also im Prinzip die Verwirklichung des alten Spruchs von Karl Marx: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, aber es kommt darauf an, sie zu verändern«.
An einigen Kolumnen, besonders an denen Ende der 80iger, merkt man, dass es nicht reicht, die »Politiker«, die »Bosse« etc. abzulehnen, sich sein Nest in der Subkulturszene zu suchen und dann ist man fertig. Falsch! Zum Glück muss man seinen eigenen Kopf immer benutzen, sei es dazu, Prozesse im Mainstream intensiver zu verstehen, sei es dazu, szene-interne Doktrinen, nach der eine Band oder eine Bewegung das und das zu sein hat, zu hinterfragen. Wir sind alle Menschen, wir machen alle Fehler, wir müssen das auch machen, sonst gäbe es nie Fortschritt.
Dolfs Kolumnen zeichnet es aus, dass sie sich nur indirekt mit Musik beschäftigen. Meistens geht es um das Leben, Gedankensprünge, alltägliche Reflexionen. Das zeichnet die Kolumne im Vergleich zu dem üblichen Standard an Kolumnen in der Punk-Fanzine-Kultur sehr aus und bleibt auch etwas besonders in dem Erscheinungsorgan, dem TRUST Fanzine, in dem es in erster Linie um musikalische (und die sie stützende Szene-Infrastruktur) und in zweiter Linie um sozio-kulturelle Inhalte geht.
Vielleicht findet die Ü30-Generation in der Kolumnen- Sammlung, die mit der ersten Ausgabe im Sommer 1986 beginnt und auch noch einundzwanzig Jahre später weiterläuft, ihre eigene Biografie wieder. Eventuell bekommen auch U20-Leser einen Eindruck, wie es damals war – eben genauso wie heute, nur halt völlig anders – vielleicht erkennt man, dass es im Punkrock/HC immer schon von Anfang an Trends und Widersprüche gab zwischen dem, was gesagt und dem, was getan wurde, und dass es vom Beginn an (wir gehen jetzt mal von CRASS aus) eine Gegenbewegung war die etwas neues, etwas bewußteres und konstruktives wollte und will, als der destruktive Punk der Spät-70iger: Hardcore-Punkrock.
Oder eben die »deutsche« Version von »American Hardcore«?
HC-Punk ging und geht im besten Falle immer aufs Ganze: Auf das Leben. Musik beeinflusst nicht das Leben, aber wie viele Menschen hatten Songs im Kopf, als sie ihr Studium oder ihre Ausbildung geschmissen hatten, endlich Schritte vollzogen haben, die längst überfällig waren? Musik und somit auch diese Kolumnensammlung verändert nicht dein Leben, das wäre ja auch zu einfach: Den ersten Schritt muss man immer selber machen, es kann kein anderer für einen machen. Und hier wird es doch kurios: Gibt es nicht genügend Bücher und historische Abrisse, die genau das nicht vermitteln oder die dieser »do it yourself bzw. together«-Mentalität nur eine zeitlich begrenzte Gültigkeit für die 80iger bzw. bis zu GREEN DAYs Dookie zugestehen wollen? Fuck no, die Zeit ist heute, wir leben heute, es ist unsere Zukunft und wir haben es selber in der Hand!
In den Kolumnen gibt es noch zumindest eine weitere wichtige Botschaft, die vermittelt wird und man sollte sie trotz ihrer offensichtlichen Banalität oder Selbstverständlichkeit keineswegs übersehen: HC-Punk ist der Versuch, eine auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen gegründete Gegenkultur zu einem auf Egoismus, Profitsucht und letztendlich menschlich nicht fassbarer Idiotie basierenden kapitalistischer Gesellschaftssystem aufzubauen (oder läuft es für 95% der Aktivisten nicht doch parallel? Heute ein Punk, morgen wieder bei der Bank etc.?). Die Gegenkultur schafft Widersprüche: Im echten Arbeitsleben gibt es Hierarchien, größere Egos, all den ganzen Scheiß, den wir doch nicht wollen, aber dann viel zu oft in der doch so alternativen Kultur wiederfinden, uns darüber empören und zuguter Letzt dann noch dieser Kultur jeglichen Belang absprechen, dass sie ja teilweise noch schlimmer als der so verhasste Mainstream sei.
Dolf ist Dolf in allen Lebensbereichen, wer kann das in dieser Konsequenz schon von sich sagen? Und was ich klasse an ihm finde und was eigentlich selbstverständlich sein sollte, es aber nicht ist: Er ist nett, behandelt neue oder fremde Leute mit Respekt. Vielleicht ist er womöglich zu nett angesichts einer auch seit Anfang an in der Szene vorhandenen »I know more than you«-Mentalität und Praxis? Nein, aber es fällt auf im Vergleich zu vielen Menschen im Mainstream und im Underground, die sich trotz ihres verschiedenen Aussehens und Dresscodes doch so ähneln in ihren Denk- und Verhaltensweisen: Menschenverachtende Intoleranz gegenüber anderen, die nicht so sind wie sie, und destruktive »Me vs. You«-Mentalität. Wir wollen alle dasselbe, vom großen Direktor über den links-radikalen zutättowierten Crust-Punk bis hin zum kleinen Kassierer, nicht wahr? Den Mitmenschen nett behandeln, Freundschaften, Liebe, wild sein, Spaß haben, lachen, Erkennt-nisse gewinnen, was neues sehen, aus Fehlern lernen, »gut und richtig leben so weit es geht«. Haben nicht CRASS schon Ende der 70iger Jahre gesagt: Don´t fight People, fight the System? Müsste ich jetzt nachschauen, aber könnte passen. Wie wollen wir eine neue Welt schaffen, wenn wir genau so schwarz-weiß (nur umgekehrt) wie der Mainstream denken und handeln? All cops are bastards? All parents suck? »Think about it«, würde Dolf wohl sagen und »fuck Mainstream-Gedankengut«, sei es »bei ihnen« oder »im Punk«.
Weist Dolf nicht genügend in seinen Kolumnen darauf hin, dass man sich permanent vor Augen halten muss, dass ein System, was auf dem Grundmechanismus der Warenproduktion »Profit ist wichtig, der Sinn der mit dem Profit erzielten Produkte oder Dienstleistungen ist zweitrangig« basiert, eine endlose Masse von Idiotismus produziert, die Menschen dumm macht bzw. sie nicht befähigt, das zu durchschauen? Natürlich. Dolf wäre allerdings nicht Dolf, wenn er selber nicht auch sehen würde, dass er es wahrscheinlich nicht genug gemacht hat. Was hat sich schon groß verändert seit der ersten Kolumne von 1986? Was in der Antike als die höchste Beschäftigung des Menschen galt, als seine größte Befähigung und als Lebenszweck, Malerei, Theater, Musik, Literatur, ist seit Beginn der kapitalistischen Industriegesellschaft im späten 19.Jahrhundert zu einem der niedersten Bereiche des Menschen degradiert worden, ganz nach der Profitmaxime »Wenn es Geld bringt, radikal ausschlachten, wenn es kein Geld bringt, weg damit«. Das Mittel Geld als Äquivalent für den Warentausch, als Tauschmittel – hat sich zum Zweck verselbstständigt und wir fragen uns nach dem Sinn des Ganzen. Denn trotz des andauernden Beharrens auf Rationalität und Effizienz bleibt einem nur festzustellen, dass dieses System eindeutig durch Irrationalität gekennzeichnet ist. Der Mensch hat es geschafft, atomare Waffen zu entwickeln, die die ganze Menschheit auslöschen können, geschaffen im Interesse einer wahnwitzigen Kriegsindustrie, dabei könnte es doch alles so einfach sein: Durch die andauernde technische Vereinfachung, durch die permanenten technischen Revolutionen könnte es doch möglich sein, den alten Menschheitstraum »Nie wieder Lohnarbeit« zu verwirklichen und wir alle könnten uns auf das echte Leben konzentrierten und nicht wie Hamster im Laufrad der Lohnarbeitsspirale durch das Leben hetzten, immer zu viel zum Sterben, aber zu wenig, um gut zu leben! Aber nein: Es werden Waren produziert, die Profit, aber keinen Sinn bringen und an der Stelle, an der sie Sinn bringen könnten, gibt es jedoch keinen Profit: Oder glaubst du, wenn reiche Nationen wie USA oder Japan von einer ähnlichen Krankheit wie AIDS betroffen wären, dass die Entwicklung eines besseren Impfstoffes ähnlich lang dauern würde wie in afrikanischen Ländern? »Think about it«.
Dieses Buch soll im besten Falle alle, die es lesen, dazu auffordern, ihr Leben kritisch zu überdenken und es bei Feststellen des Nichtgefallens zu ändern, es soll im besten Falle alle auffordern, sich dafür einzusetzen, den Politikern, die Sonntags immer so gerne von dem wichtigen »bürgerschaftlichen Engagement« sabbeln und dann Montags ihre Unterschrift unter die Räumung bzw. Mietvertragsauflösung eines weiteren unkommerziellen Wohn-, Lebens- und Kulturprojektes setzen, einen Mittelfinger zu zeigen und sich mit anderen zusammenzuschließen, unkommerzielle Netzwerke zu bilden, ihren eigenen Weg zu gehen, aber zusammen mit anderen.
In diesem Sinne: »Walk together, rock together!«
Jan Röhlk, Juli 2007
Ich traf Dolf auf FUGAZIs erster Europatour 1988. Wir wurden fürs TRUST interviewt und schafften es aufs Titelbild. Zu sehen war ein Foto, auf dem ich bei einer unserer allerersten Shows in die Luft sprang. Der Sprung taugte für ein gutes Foto, war aber auch eine unangenehme und schmerzvolle Erfahrung. Ich denke, das trifft auch auf vieles beim Machen eines Fanzines zu. Um zu schreiben, braucht man eine bestimmte Dreistigkeit und Unverschämtheit, zwei Qualitäten von denen ich glaube, dass Dolf sie im Überfluß hat. Ich bin mir sicher, hätte ich die Geduld, meine rudimentären Deutschkentnisse zu benutzen, um seine Kolumnen über die Jahre zu übersetzen, wahrscheinlich hätte ich ein paar seiner pointierten Meinungen abtörnend gefunden. Wie es so ist, hatte ich nicht die Geduld (oder Fähigkeit) rauszubekommen, über was er sich auf den Seiten vom TRUST so ausgelassen hat. Aber unsere lange Freundschaft hat ihm reichlich Gelegenheit gegeben, mir mitzuteilen, was ich da so verpasst habe. Für mich ist einer der zentralen Lehrsätze von Punk zu meinen, was man sagt. Und ob du nun mit Dolfs verschiedenen Ansichten einverstanden bist oder nicht, ich denke, wir sind uns alle einig, dass er ein »straight-up punk« ist.
Ian MacKaye
Ian interviewt Dolf
Ian: Wenn ich ein Buch voll mit jemandes Kolumnen lese, würde ich gern mehr über die Person erfahren wollen, die sie geschrieben hat. Ich hätte gern den Kontext, aus dem diese Ansichten kommen. Lass uns also damit anfangen: Du bist Augsburger, richtig?
Dolf: Ich bin in Augsburg geboren und aufgewachsen.
I: Hast du Musik gehört vor Punk-Rock?
D: Als ich elf oder zwölf war, hab ich Radio gehört, die Disco Hits oder was auch immer gerade angesagte Musik war, aber ich war viel zu jung, um nach einem bestimmten Genre zu suchen. Das waren meist englischsprachige Songs, das machte es interessant, aber ich hatte noch keinen entwickelten Geschmack für Musik. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Schallplattenkauf in einem echten Plattenladen, ich kaufte mir DEEP PURPLEs »Live in Japan«. Danach noch zwanzig oder dreißig weitere Platten.
I: War das alles Hard-Rock-Zeugs?
D: BLACK SABBATH, SAXON, ein wenig QUEEN, ein bisschen PINK FLOYD …
I: SCORPIONS?
D: Nein, nicht die SCORPIONS, aber MEAT LOAF, MANFRED MANN’S EARTH BAND. Du weißt schon, man braucht Scheiben, bei denen man durchdrehen kann, und welche …
I: Aber keine SCORPIONS? Haben die dir nichts bedeutet?
D: Ich hatte nichts von den SCORPIONS.
I: Aber sie sind Deutsche!
D: Ich weiß, aber irgendwie … Warte mal, ach ja, ich hab eine Doppel-LP von ihnen, die Live-Scheibe ›Tokyo Tapes‹.
I: Was hast du als junger Teenager gemacht?
D: Ich denke, zu der Zeit haben wir ziemlich viel Alk aus Läden geklaut und uns besoffen, haben im Wald Soldaten gespielt, Bäume gefällt und kleine Lager gebaut.
I: War Mitch (TRUST-Mitgründer) damals dein Freund?
D: Nein, damals noch nicht. Kaum jemanden aus der Zeit hab ich noch auf dem Schirm.
I: Keiner von ihnen wurde also Punk?
D: Nein. Als ich mit Punk anfing, hab ich fast all meine alten Freunde verloren.
I: Das war in den späten Siebzigern?
D: Das erste Mal, als ich Punk-Rock hörte, war 1979, aber zu der Zeit hat er mir nicht gefallen.
I: Wer hat ihn dir vorgespielt?
D: Unser Musiklehrer an der Schule hat uns aufgetragen, Scheiben mitzubringen, die wir mögen, und ich hab den Rocky-Horror-Picture-Show-Soundtrack mitgebracht. Ich war angenervt, weil er nicht aufgelegt wurde, dafür wurden diese dummen SEX PISTOLS gespielt. Wie auch immer, das hab ich mir bald danach anders überlegt.
I: Ich glaube, ich hatte ein ähnliches Erlebnis. Ich mochte Punk-Rock nicht, als ich ihn zum ersten Mal hörte, aber der Sound wollte mich nicht in Ruhe lassen. Ich musste weiter forschen.
D: Genau, ich hab natürlich von diesem Punk-Rock-Ding aus der Bravo erfahren, dem deutschen Teenmagazin, wo über so Sachen berichtet wird wie: »Du wirst vom Zungenkuss nicht schwanger«. Sie brachten Fotos von einigen Londoner Punks mit ihren nietenbesetzten Jacken. Zu ungefähr der gleichen Zeit sah ich ein paar Punks, die so aussahen, in Augsburg. Das hat mich alles schwer beeindruckt.
I: Kanntest du die Leute?
D: Nein, aber ich dachte mir, das müssen ganz schön mutige Spinner sein, wenn sie so rumlaufen. Dann gab es da einen Typen, den ich von der Schule kannte, der wurde immer mehr zum Punk, also hab ich mir mal einen Schwung Schallplatten von ihm ausgeliehen, und es fing an, mir zu gefallen. Das war so in den frühen Achtzigern. Ungefähr zu der Zeit ging ich in denselben Plattenladen, in dem ich die DEEP PURPLE Doppel-LP kaufte. Dort sah ich ein Fanzine mit dem Titel Antz. Ich dachte mir, was ist das? Es sieht nicht aus wie eine richtige Zeitschrift, es sieht aus wie … Ich wußte nicht, wie es aussieht. Irgendwie sah es ein bisschen aus wie eine Schülerzeitung, aber warum sollte es dann in einem Plattenladen verkauft werden?
Ich hab eines aufgeschlagen und begann, einen Artikel zu lesen, in dem sinngemäß stand: »Mann, eine Horde wirklich stocksaurer Punks kam uns auf der Straße entgegen. Sie brüllten ›fucking bullshit!‹«
Dieses ‘fucking bullshit’ hat mich so beeindruckt. Das war so echt, und ich mochte es, also kaufte ich das Fanzine.
I: Hast du jemals was fürs Antz geschrieben?
D: Nein, aber ich hab dann angefangen, für ein anderes Fanzine zu schreiben, das hieß Augsburger Scheißhaus Njus
I: Also in den frühern Achtzigern hast du bei Fanzines mitgemacht. Was hast du den für Musik gehört? Deutsche Bands, britische Bands, amerikanische Bands?
D: Am Anfang hörte ich alles, was ich in die Finger bekam, solange Punk draufstand.
I: Was wäre ein gutes Beispiel für eine Scheibe dieser Zeit, die nie von deinem Schallplattenspieler runterkam?
D: Um genau zu sein, all die Schallplatten waren geliehen und verließen meinen Plattenspieler sofort, nach dem ich sie aufgenommen hatte. Ich konnte es mir nicht leisten, sie zu kaufen.
I: Hast du frühen britischen Punk gehört, wie 999 und UK SUBS?
D: Nein, der frühe Punk-Rock war nie wirklich mein Ding, ich mochte CRASS, aber in erster Linie wegen den Texten und ihrer Einstellung. Ich mochte einiges an frühem deutschem Punk-Rock, aber fand dann heraus, dass viel von dem doof war.
Dann kam amerikanischer Hardcore, und so wie wir Europäer den amerikanischen Hardcore auslegten, das war mein Ding.
I: Was war deine erste Punk-Show?
D: Ich glaube, es war eine Band aus Augsburg, aber ich kann mich nicht wirklich dran erinnern.
I: Warum kannst du dich nicht erinnern?
D: Weil ich damals keinen Sinn darin sah, Dinge aufzuschreiben.
I: Aber du hast mir grade erzählt, dass du dich genau dran erinnerst, wie du in einen Laden gegangen bist und dort das Antz-Fanzine gesehen hast, das war vor über fünfundzwanzig Jahren. Das hast du dir auch nicht aufgeschrieben. Die Tatsache, dass du dich daran erinnern kannst, aber nicht an die erste Band, die du gesehen hast, zeigt mir, wie dein Filter arbeitet. Das geschriebene Wort hat dich tiefer beeindruckt als die Musik.
D: Das ist wahr. Ich sag den Leuten, die ganze Zeit, dass ich Musik liebe und liebte, aber für mich ist der Inhalt wichtiger als die Musik.
I: Was hast du zuerst geschrieben?
D: Am Anfang hab ich nur Briefe an Leute geschrieben. So sind wir damals alle in Verbindung geblieben. Ich wollte den Leuten meine Ansichten mitteilen. Dann dachte ich ‘Wart mal, das ist ja doof, ich muss doch nicht in jedem scheiß Brief immer wieder aufschreiben, warum man Vegetarier werden soll oder warum Leute in der 3.Welt den Hungertod sterben’. Also hab ich einen kleinen Flyer gemacht, der hieß ‘Dolf Flyer’. Von denen gab es vier Stück, und da hab ich gelernt, wie man die Botschaft mit dem Layout zusammenbringt. Die hab ich dann in die Briefe dazugepackt, als Zusatzinformation. Das mit den Flyern war ein paar Jahre, nachdem die ersten Texte im Augsburger Scheißhaus Njus veröffentlicht wurden.
I: Wirst du die mit ins Buch nehmen?
D: Gute Idee, vielleicht sollte ich das.
I: Hast du als Kind geschrieben? Kreatives schreiben?
D: Ich war wohl bei ein paar Schülerzeitungen mit dabei, aber das war nicht wichtig.
I: Es kommt also nicht so sehr aufs Schreiben an, sondern auf deine Ansichten, die du verbreiten willst. Mit anderen Worten, du liebst nicht das Schreiben, du willst einfach deine Gedanken sprechen lassen.
D: Ja.
I: Weißt du noch, was du in den ersten Fanzines geschrieben hast? Was hast du im Scheißhaus Njus geschrieben? Eine Kolumne, Plattenbesprechungen?
D: Ich glaube, es war ein Live-Review, wie wir Bier trinken, zum Konzert gehen und mehr Bier trinken, oder es war eine Kritik am ›Punk-Konsum‹. Ich glaube, dass ich ziemlich lange dachte, ich wäre nicht die richtige Person, um zu schreiben. Obwohl ich auch schon Szeneberichte fürs Maximumrocknroll (MRR) und Flipside geschrieben hatte. In erster Linie sammelte ich Fanzines, so wie andere Leute Schallplatten sammelten. Ich war ein Fan.
I: Es war für dich komisch, dich im Schreiben zu versuchen?
D: Ja.
I: Welche Fanzines haben dich wirklich inspiriert?
D: Nasty Facts war ziemlich gut.
I: Aus welcher Stadt war das?
D: Aus dem Ruhrgebiet. Winni Wintermeyer von TUDO HOSPITAL hat das rausgebracht. Nasty Facts war wahrscheinlich die größte deutsche Fanzine-Inspiration, aber wirklich umgepustet hat es mich 1983 oder 1984, als mir Dave Dictor (von MDC) jeweils eine Kopie vom MRR und Ripper schickte. Das hat meine Einstellung zu Fanzines geändert.
I: Welche Ausgabe vom MRR war es?
D: Ausgabe sechs oder sieben. Ich kann mich erinnern, dass ich ein paar alte Ausgaben von ihnen nachkaufte.
I: Gab es einen bestimmten Aspekt, der dich bei Fanzines anzog?
D: Damals hab ich alles von Anfang bis Ende durchgelesen, weil mich das alles interessiert hat. Ich wollte neue und interessante Ideen kennen lernen, neue Sichtweisen und interessante Leute. Es war also nicht so, dass ich mir nur die Plattenbesprechungen und die Kolumnen ansah.
I: Wann hast du angefangen, für die Zines zu schreiben, die dir Dave geschickt hatte?
D: Ich glaube ziemlich bald dannach, da ich sofort an Tim Yohannan (MRR) und Tim Tonooka (Ripper) schrieb und dann ihre Fanzines hier vertrieb, geschrieben hab ich nur für MRR.
I: Warst du der erste, der MRR in Deutschland vertrieben hat?
D: Das weiß ich nicht, aber ich erinnere mich dran, dass ich der einzige war, der es auf Gigs in Süddeutschland verkaufte.
I: Was waren deine Lieblingskolumnen?
D: Ich denke die von Tim, er erschien mir eher alt, aber immer noch sehr jung im Kopf.
Wenn du damals über dreißig warst, dann warst du entweder ein komplett durchgeknallter Typ oder eben total Mainstream. Es gab so gut wie niemanden, von dem man sagen konnnte: »Hey, seht euch den Typ an, der ist beinah vierzig und immer noch gut drauf«. Zumindest kannte ich niemanden, auf den das zugetroffen hätte.
I: Wann und wie hast du mit dem TRUST angefangen?
D: Das war 1986. Wir hatten immer wieder Treffen von Leuten aus dem ganzen süddeutschen Raum organisiert. Die Treffen waren offen für alle, die ähnliche Ideen hatten und kommen wollten. Am Anfang waren die Treffen sehr klein und wurden dann immer größer.
I: Aus welchem Grund habt ihr die Treffen gemacht? Um was ging es überhaupt? Habt ihr versucht, eine Szene aufzubauen?
D: Ja. Es waren Leute, die amerikanischen Hardcore und den neuen europäischen Hardcore mochten. Wir haben uns getroffen, weil wir keinen Bock hatten, mit den älteren, trinkenden, gewalttätigen, destruktiven Punks von den Konzerten rumzuhängen. Wir waren die jüngeren, nicht gewalttätigen, denkenden, trinkenden, konstruktiven Punks.
I: Wie groß waren diese Treffen?
D: Am Anfang waren da vielleicht drei Autos voll.
I: Zwölf Leute?
D: Ja, zwölf oder fünfzehn Leute. Es waren ja keine Treffen, wo wir uns hinsetzten und den ganzen Abend nur redeten. Wir haben, natürlich, auch was getrunken. Dann hatten wir ein ziemlich großes Treffen, da waren so fünfzig Leute, das war in Heidenheim.
I: Habt ihr euch auf dem Treffen entschieden, das Fanzine zu machen?
D: Ja.
I: War es deine Idee?
D: Es war eine kollektive Idee.
I: Wie viele Leute erklärten sich bereit mitzumachen?
D: So fünf oder sechs Leute: Armin Hoffmann vom X-Mist-Label und den SKEEZICKS, Moses, der dann später das Zap machte, Mitch von NUCLEAR, der neben mir die einzige Person ist, die noch dabei ist, Tomasso von EVERYTHING FALLS APART und NO NO YES NO und Anne, sie war für die Fotos zuständig. Wir haben uns dazu entschieden, TRUST zu gründen, weil es damals kein regelmäßig erscheinendes Fanzine in Deutschland gab. Nun, es gab da einen Typen in Wuppertal, der versuchte das mit dem regelmäßigen erscheinenden Fanzine. Es hieß A+P und sollte alle zwei oder drei Monate erscheinen, aber eigentlich sind alle Versuche, so was zu machen, nach drei oder vier Ausgaben gescheitert. Es gab eine Menge geiler Fanzines, die erschienen aber immer unregelmäßig. Natürlich gab es damals keine ›alternativen‹ Musik-Zeitschriften, du warst schon froh, wenn dir ein Flyer in die Hände gefallen war.
I: Gab es dann noch Anschluss-Treffen mit den gleichen Leuten?
D: Ja. Das erstaunliche war: Normalerweise, wenn Leute so eine kollektive Idee haben – passiert oft nicht viel mehr. Aber in dem Fall vom TRUST war die erste Ausgabe zwei Monate später fertig.
I: Wer war auf dem Titelbild der ersten Ausgabe?
D: Es war eine Collage. Eine Menge Fotos von Leuten, die tanzten, stagedivten, pogten, slammten, und das alles zusammengepackt.
I: War ein Statement auf dem Titelbild?
D: SÜDDEUTSCHES HARDCORE MAGAZIN
I: Ich schreibe ja nicht viel, hab aber herausgefunden, dass wenn ich mal was schreibe, es oft vorkommt, dass man kaum Reaktionen von den Leuten bekommt. Ich glaube, das ist eins der Dinge, die Fanzine-Schreiber inspiriert, ungeheuerliche Dinge von sich zu geben. Sie versuchen, irgendeine Form von Reaktion zu bekommen. Habt ihr viel Reaktion auf die erste Ausgabe erhalten?
D: Es scheint, dass wir früher viel mehr Reaktion bekommen haben als heute, aber es waren meist mündliche Kommentare von Leuten auf Konzerten oder am Telefon. Die haben dann gefragt: »Warum hast du dies oder das geschrieben?« oder »Das war gut oder schlecht«, aber es war auch häufig so, dass es gar kein Feedback gab, und ich den Eindruck hatte, wir können schreiben, was wir wollen …
I: … »Ich esse Scheiße zum Frühstück!«
D: … genau, und die Leute würden nicht reagieren. An dem Punkt hab ich erkannt, dass es nicht unser Problem war. Ich hatte noch nie das Bedürfnis, etwas zu schreiben, nur um eine Reaktion darauf zu bekommen.
I: Hast du je was geschrieben und dann später realisiert, dass du jemandes Gefühle verletzt hast? Vielleicht etwas, das nicht so gut von dir überlegt war, oder etwas, das die Leute wirklich sauer auf dich werden ließ?
D: Ich weiß, dass sich Leute geärgert haben, aber ich weiß nicht wirklich, ob das meine Kolumnen waren oder das ganze Heft. Ich kann mich auf jeden Fall nicht dran erinnern, dass irgendwas die Leute so genervt hätte, dass sie mir das Fahrrad abfackeln wollten.
I: Welche Band hast du als erstes interviewt?
D: Da müsste ich nachschauen.
I: Ich kann nicht glauben, dass du dich an solche Sachen nicht erinnern kannst.
D: Vielleicht waren es RAW POWER aus Italien.
I: Wie war dein Englisch früher?
D: Es war nicht so gut, aber da ich die ganze Zeit viel Übung hatte, entwickelte es sich.
I: Wie ist dein Italienisch?
D: Kein Italienisch.
I: Wie hast du RAW POWER interviewt?
D: In Englisch.
I: Ich glaube, du hast damals viel zu Übersetzen gehabt.
D: Ja, viel Übersetzen und viel Tippen.
I: Ich finde das total interessant, dass ich dich seit so vielen Jahren kenne, und in der Zeit haben wir beide uns sehr viel unterhalten. Zum Glück sprichst du Englisch, und obwohl dein Englisch sehr gut ist, fehlen die Details und Nuancen einer Muttersprache. Es scheint mir, dass wenn ich fließend Deutsch sprechen würde, meine Wahrnehmung von dir als Person auch ganz anders sein könnte. Wie wir andere wahrnehmen, kann ernsthaft davon beeinträchtigt sein, wie sie sprechen. Da du viele Bands auf Englisch interviewt hast, amerikanische Bands und britische Bands ebenso wie Bands aus anderen europäischen Ländern, stelle ich mir vor, dass diese Beziehungen durch die subtilen Aspekte dessen, wie du gesprochen hast, verändert wurden. Es muß beeinflußt haben, wie die Leute dich wahrgenommen haben.
D: Ich glaub mein Englisch ist okay, in erster Line, weil ich es schon so lange benutze. Mein Grundstock ist Schulenglisch, aber was man dort lernt, sind nur die grundlegenden Dinge. Ich begann, die Sprache zu nutzen, um all diesen Leuten auf der ganzen Welt zu schreiben, weil die Sprache eben von den meisten verstanden wird. Aber es stimmt schon, es wäre gut, wenn du sehr gut Deutsch sprechen würdest, dann könnte ich das gleiche noch mal auf Deutsch sagen, um exakt auszudrücken, was ich sagen will.