Czytaj książkę: «Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)», strona 14

Czcionka:

Niemals hätte Aztak gedacht, dass er eines Tages froh darüber sein würde, keine Karriere gemacht zu haben. Während er laut keuchend den Hügel hinaufrannte, fielen ihm all die Abende ein, in denen er über ein kalorienreduziertes Proteingetränk gebeugt in einer der schäbigeren Fetthallen gesessen hatte, in denen die Stühle so dicht vor den Tischen standen, dass sich nur wahre Verlierer dort niederlassen konnten. Für ihn war selbst da immer noch genug Platz gewesen und die Scham darüber hatte heißer in ihm gebrannt als der Orydyl-Ofen, an dem er den ganzen Tag arbeitete. Oh, wie hatte er sein Schicksal verflucht, mit den Geistern seiner Ahnen gehadert.

Während Aztak rannte, schwappte seine eine, magere Fettrolle auf und nieder. Hinter sich hörte er ein Grollen, als wäre die Erde im Tal aufgebrochen und Gustruxuteel, der große Verschlinger, sei aus den Ammenmärchen der Kindheit auferstanden, um endlich richtig zu frühstücken. Die Wirklichkeit war zwar anders, aber nicht wirklich besser.

Aztak rang nach Atem und musste anhalten, auch wenn er das Tal noch nicht ganz verlassen hatte. Sein Blut hämmerte im Kopf, als wolle es ihn zum Platzen bringen, und seine Brust schmerzte wie Feuer – dergleichen hatte er noch nie erlebt. Sport jeder Art – und gerade das gewichtverzehrende Laufen! – war in seiner Gesellschaft nur eines: eine Beschäftigung für Verrückte.

Aber lieber verrückt als tot, erinnerte sich Aztak und schaute über die Schulter zurück, um sich noch einmal zu vergewissern.

Die gesamte Talsohle, in der die Fabrik mit dem Orydyl-Ofen gestanden hatte, war nicht mehr zu sehen. Eine fettige schwarze Wolke hing über dem Industriekomplex, von dem die Hälfte bestimmt durch die Explosion zerrissen worden war. Schaudernd erinnerte sich Aztak an das Beben, das durch die Anlage gegangen war. Hätte er nicht heimlich seinen Arbeitsplatz verlassen, um hinter dem Lager einen Happen zu essen, dann wäre er mit dem Ofen zusammen in dem Inferno zu weniger als Asche verbrannt worden. Noch als er aus der zusammenstürzenden Werkshalle floh, hatte er gesehen, wie das ziemlich ungesunde Orydyl in einer hohen, grünlich schwarzen Fontäne aus den Containern schoss – wahrscheinlich verdampfte es jetzt auf den glühenden Gebäuderesten. Und mit ihm die Leiber seiner beneidenswert fetten, aber ziemlich unbeweglichen Vorgesetzten …

Mit Grausen erkannte Aztak, dass die schwarze Wolke sich immer mehr ausdehnte und das Tal hinaufkroch wie eine ganz langsam überkochende Suppe. Er kam zu dem Entschluss, dass er lieber noch ein paar Gramm verlieren und sein Herz strapazieren würde, als darauf zu warten, dass die Suppe ihn einholte. Mühsam wandte er sich um und setzte sich bergan in Trab, eine für Schluttnicks mehr als beachtenswerte Leistung.

So, dachte er mit einem Anflug von Befriedigung durch seinen Schrecken hindurch, so werden Helden geboren …


Zurückblickend konnte Sonja DiMersi nicht behaupten, das Schicksal hätte sich nicht ausreichend angekündigt.

Gleich nach dem Aufstehen fand sie in ihrer elektronischen Post eine Einladung zu einer Schlutterware-Party – wie gewohnt war sie durchweg in großen und teils fetten Buchstaben geschrieben, die wie ein drohender Steinschlag auf dem Display über dem Frühstückstisch hingen. »Groß« und »fett« waren zwei in der Gesellschaft der Schluttnicks sehr angesehene Eigenschaften und die Händlerrasse hatten nie verstanden, dass der Rest der Welt das vielleicht etwas weniger extrem sah.

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Machen Sie sich ein wunderbares Geschenk für die nächste Ewigkeit!!!

Schlutterwarestrahlender als eine Supernova, haltbarer als Titanplast …

Sonja musterte den wie üblich mit Superlativen gespickten Text und kam sich vor, als würde der unbekannte Verfasser sie lauthals anschreien. Von den berühmten Schlutterware-Partys hatte sie nur gehört, als wären sie ein Ereignis in einem verborgenen, parallelen Universum, zu dem sie keinen Zutritt hatte, da sie die geheimen Hauswirtschafter-Riten nicht kannte. Diese Einladung versuchte, sie in ein kleines, fast zwei Tagesreisen entferntes System zu locken – auf Vortex Outpost hatten die emsigen Schluttnicks keine Handelserlaubnis. Mit einem leichten Grinsen erinnerte Sonja sich daran, dass es auch Schlutterware gab, die groß genug war, um ein Raumschiff darin luftdicht und über Generationen hinweg zu verpacken. Möglicherweise sollte sie bei Roderick einen Antrag stellen, eine solche Dose zu erwerben, quasi als privates Trockendock für die Ikarus

Noch immer lächelnd löschte Sonja die Werbebotschaft, sah rasch die nachfolgenden Nachrichten durch und fand nichts, was ihre Aufmerksamkeit gefesselt hätte. Mit einem unterdrückten Gähnen räumte sie die Reste ihres Frühstücks zusammen und warf einen Blick auf die Uhr. Wenn sie sich jetzt auf den Weg zur Ikarus machte, dann blieb ihr gerade noch genug Zeit für einen kleinen Umweg … Ein leicht verklärter Ausdruck trat auf das Gesicht des sonst so beherrschten Chiefs. Wenn der Tag so begann, konnte er eigentlich nur gut werden.

Anstatt direkt zum Shuttledock zu gehen und sich zur Ikarus zu begeben, wo einige kleinere Reparaturen auf sie warteten, schlenderte Sonja DiMersi scheinbar müßig durch den kleinen, aber für eine so abgelegene Station erstaunlich gut ausgestatteten Konsumbereich. Trotzdem war Vortex Outpost sicherlich nicht mit den Raumzentren zu vergleichen, die Gästen aus allen Teilen der Galaxis die exotischsten und fremdartigsten Waren und Genüsse bieten konnte. Doch ein wenig abseits der Hauptgänge, unweit des Skizar Quaba, das Thorpa so gerne besuchte, gab es einen stets gut bestückten Verkaufsautomaten, dem die regelmäßigen Besuche Sonja DiMersis galten. Bevor sie sich dem dunkelbraunen, mit altmodischen Goldleisten verzierten Gebilde näherte, sah sie sich beiläufig um und kontrollierte in einer spiegelnden Scheibe, ob auch niemand von der Besatzung zufällig hinter ihr ging. Sicherlich mochte die Crew der Ikarus II durch dick und dünn gehen, und die Ereignisse der letzten Monate hatten sie mehr als nur ein bisschen zusammengeschweißt. Doch es gab Dinge, die einfach nicht zu teilen waren, nicht einmal mit Roderick. Es waren Abgründe, die ihr alleine gehörten.

Mit ein paar raschen Schritten überwand Sonja DiMersi die letzten Meter bis zu dem Automaten und schob ihre Geldkarte in die Leseeinheit. Ihr Finger schwebte kurz über dem Auswahldisplay, dann tippte sie entschlossen auf die Sünde ihrer Wahl.

Einen Moment lang geschah gar nichts, dann erklang ein sonderbares Summen und der Ausgabeschacht öffnete sich. Ein knapp daumengroßes, dunkelbraunes Geschoss raste auf den Chief zu. Mit einem klatschenden Geräusch schlug es an ihrer Schulter auf und verteilte sich zu einem schmierigen Fleck. Verwirrung und Enttäuschung rangen einen Moment lang in Sonjas Gesicht miteinander, dann kündigte ein erneutes Summen den nächsten Angriff an. Mit einem schnellen Sprung zur Seite entkam sie in letzter Sekunde dem diesmal cremeweißen Objekt und sah hilflos zu, wie es an der gegenüberliegenden Wand zerplatze. Ein süßer, nussartiger Geruch breitete sich aus, der rasch stärker wurde, als die nächsten Pralinen aus dem wild gewordenen Automaten katapultiert wurden.

»Dieses Verkaufsgerät ist defekt«, informierte eine angenehm modulierte Computerstimme, während in rascher Folge drei schokoüberzogene Fruchtscheiben wie Shuriken durch den Gang flogen. »Bitte wenden Sie sich an unseren Servicedienst. Dieses Verkaufsgerät ist defekt.«

»Was du nicht sagst«, knurrte Sonja und widerstand der uralten Versuchung, der störrischen Technik auf klassische Weise nachzuhelfen: mit einem kräftigen Tritt. Der Schokoladenfleck auf ihrer Schulter schmolz und breitete sich weiter aus. Seufzend kehrte der Chief dem Pralinenautomaten den Rücken zu und hoffte, dass sie noch einen sauberen Arbeitsoverall in ihrem Schrank hatte.


Seit fast einer halben Stunde wusste Captain Roderick Sentenza, dass es ein Fehler gewesen war, sich auf dieses Interview einzulassen. Er saß mitten im Raum auf einem bequemen Sessel und starrte auf den Paravan, der einen Teil des Zimmers abgrenzte. Dahinter hörte er nervöses Scharren von Klauenfüßen auf dem Kunststoffboden.

Es war nicht so, dass die Fragen, die der Student von Rimund für dieses Gespräch vorbereitet hatte, kompliziert oder langatmig gewesen wären – das Problem lag darin, dass er ihm noch keine einzige gestellt hatte.

Die meisten Rimundi, denen er bisher begegnet war, hatten sich als weltgewandt und selbstsicher erwiesen und in das allgemeine Sozialverhalten des Commonwealth – soweit man von einem solchen ausgehen konnte – eingefügt. Als Sentenza eine Anfrage von einem Studenten erhielt, ob dieser ihm für eine Seminararbeit einige Fragen zum mittlerweile recht bekannten Rettungsdienst von Vortex Outpost stellen dürfte, hatte er gerne zugestimmt. Jetzt musste er einsehen, dass er wieder viel weniger von den Eigentümlichkeiten der Rassen wusste, als er gedacht hatte – auch wenn er fast jeden Tag mit ihnen umging. Sicherlich war es verständlich, dass der Student nervös war, vermutlich wäre (abgesehen von einem Pentakka) jeder Erstsemester etwas befangen gewesen. Bei einem Menschen hätte das Stottern und Schweißausbrüche bedeutet, leicht hysterisches Gelächter an den falschen Stellen und ein ständiges Kneten der Hände. Bei einem Rimundi jedoch …

Gerade als Sentenza innerlich seufzte, lugte der Federschopf des vogelähnlichen Wesens wieder um die Ecke des Paravans. Der Student blinzelte zweimal und wandte dann den Kopf von dem Captain der Ikarus ab, sodass er ihn nur noch aus dem allerletzten Augenwinkel heraus betrachten konnte. So verharrte er einen Moment, bis er sich entschlossen mit einigen raschen Schritten auf Sentenza zubewegte.

»Captain, wenn ich jetzt … zu meiner ersten Frage kommen könnte …«

Ganz langsam, um den Rimundi nicht zu erschrecken, hob Sentenza den Blick, lächelte leicht und nickte nur.

»Wie … würden Sie die grundlegenden ethischen Regeln … der Rettungsmannschaft beschreiben? Ich meine, sicher … Sie retten Leben, helfen Leuten in Not … aber dabei gibt es doch sicherlich auch … ethische Verwicklungen …«

»Da haben Sie recht«, gab Roderick Sentenza unumwunden zu. Die Ereignisse auf der Zuflucht, der Raumstation der religiösen Gemeinschaft der Erleuchteten, hatten sich in seine Erinnerung eingebrannt. Die Anhänger des heiligen Asiano waren zum Teil so sehr in ihrem Glauben verhaftet gewesen, dass sie sich nicht von der Crew der Ikarus aus einer lebensbedrohlichen Situation hatten retten lassen wollen. Einer der Geretteten hatte sich anschließend sogar aus religiöser Überzeugung umgebracht, um doch noch die im letzten Moment verloren geglaubte Erlösung durch den Tod zu erlangen – mit Sentenzas eigener Waffe. Als der Captain sich dieses tragische Ereignis ins Gedächtnis rief, verfinsterte sich sein Gesicht – was sofort zur Folge hatte, dass der Student zurücksprang. Das Vogelwesen starrte ihn kurz an, dann begann es plötzlich höchst geschäftig, einige der Brustfedern zu glätten, was seine gesamte Aufmerksamkeit zu verlangen schien. Diesmal seufzte Sentenza wirklich. Wenn es so weiterging, dann würde es noch eine kleine Ewigkeit dauern, bis er zur Ikarus zurückkehren könnte.

Das Signalgeräusch des Alarms hatte noch nie so herrlich in seinen Ohren geklungen wie in diesem Augenblick. »Es tut mir leid«, begann er knapp, als er aufstand und nach seiner Jacke griff. »Die Ikarus hat einen Notruf empfangen.«

»Oh, ich verstehe … dann vielen Dank … für das Interview …« Der Rimundi gab sich alle Mühe, ruhig stehen zu bleiben und nicht so kläglich auszusehen, wie er sich vermutlich fühlte.

Sentenza hastete zur Tür, wandte sich aber im letzten Moment um. »Wir holen das Gespräch nach, ich melde mich bei Ihnen«, versprach er dem Studenten zu seiner eigenen Überraschung. Sobald ich meine eigenen Hausaufgaben gemacht habe, fügte er in Gedanken hinzu, fest entschlossen, sich eingehender über die Besonderheiten und Verhaltensweisen der verbreitetsten Völker zu informieren, mit denen er zu tun hatte. Das konnte auch nicht viel schwerer werden, als von fünf feindlichen Kreuzern verfolgt durch ein Asteroidenfeld zu einer Rettungsmission zu jagen oder was auch immer ihn gleich erwarten würde.

Er hätte von jedem beliebigen Punkt der Station aus den schnellsten Weg zur Ikarus mit verbundenen Augen gefunden, so wie jedes andere Crewmitglied auch. In einem seiner seltenen humorvollen Moment hatte Doktor Anande bemerkt, dass, wenn die Stationsleitung ohne Vorankündigung ein paar Treppen ausbauen würde, er die ganze Crew in der Medstation zu Gast hätte, weil sie sich wie Lemminge in den Abgrund stürzen würde.

Sentenza war der dritte auf der Brücke der Ikarus – Weenderveen saß an den Startkontrollen und nahm die letzten Einstellungen vor. Es war sonderbar, den Robotiker am Platz des sonst niemals fehlenden Trooid zu sehen, und das unglückliche Gesicht des älteren Mannes drückte deutlich aus, dass es ihm ähnlich erging. Doch der Droid hatte vor zwei Tagen in der Verladestation von Vortex Outpost einen schweren Unfall gehabt, der jeden Menschen ohne Zweifel das Leben gekostet hätte. Die defekte Steuerung eines automatischen Krans hatte einen Container mit medizinischem Gerät für die Ikarus plötzlich quer durch die Halle geschleudert. Sicherlich hätte Trooid ausweichen können, die Reflexe des Droiden waren übermenschlich, doch er war stehen geblieben, um zwei Techniker hinter ihm vor dem Geschoss zu schützen. Sie waren tatsächlich nur leicht verletzt worden, aber als man Trooid unter dem Container geborgen hatte, hatten Weenderveen die Tränen in den Augen gestanden. Selbst die, die wussten, dass »nur« ein Droid vor ihnen lag, hatten sich schaudernd abgewandt. Zum Glück waren die entscheidenden Elemente in ihrer Titanplasthülle unbeschadet geblieben – gewissermaßen das Gehirn und die »Seele« des Droiden, die seine Persönlichkeit ausmachten und seine Erfahrungen beinhalteten. Weenderveen hatte sofort mit der Herstellung eines neuen Körpers für den Droiden begonnen – der Robotiker hatte nichts von seinem alten Wissen und seiner Geschicklichkeit verloren und die Leitung von Vortex Outpost war bereit gewesen, ihm die entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Jetzt jedoch mussten einige der halborganischen Teile des neuen Körpers wachsen und es gab keine Möglichkeit, das zu beschleunigen.

Der Anblick der anderen Person, die schon über ihre Anzeigen gebeugt dasaß, machte Sentenza gleichzeitig sehr froh und sehr besorgt. Zu gerne wäre er zu ihr hinübergegangen, um Sonja DiMersi den Kuss zu gegeben, den sie heute Morgen versäumt hatten, und mit den Fingern durch ihr immer länger werdendes weißes Haar zu streichen. Doch das Lächeln, das ihm sein Chief zuwarf, beinhaltete auch etwas Unerbittliches – keine noch so liebevolle Beziehung zwischen ihnen würde verhindern, dass er bald Rede und Antwort stehen musste. Seitdem Sonja mitbekommen hatte, dass irgendetwas mit der Ikarus nicht den Standards entsprach und er, der Captain, dafür verantwortlich war, litt ihre Liebe unter ein paar kleinen Sprüngen. Er bereute es nicht, die Alien-KI in einem ziemlich unverantwortlichen und unlogischen Alleingang in die Ikarus eingepflanzt zu haben, denn sie hatte ihnen seither mehrfach das Leben gerettet. Die rätselhafte Computerintelligenz steuerte das Schiff besser, als jeder andere Pilot es konnte. Doch spätestens seit dem letzten Glanzstück bei ihrem Konflikt mit der Zuflucht war nicht mehr zu verheimlichen, dass es da etwas gab, einen Geist in der Maschine …

Je eher, desto besser, dachte Roderick Sentenza ergeben. Wenn sich auf dieser Mission eine Gelegenheit ergibt, dann werde ich die Crew über alles aufklären – und hoffen, dass ich es überlebe.

Er nickte Sonja zu, ein stummer Gruß und ein Versprechen, und wunderte sich einen Moment lang darüber, dass ihr Overall an der Schulter mit einer seltsamen braunen Substanz verschmiert war. Doch dann meldeten Anande und Thorpa über die Bordkommunikation ihr Eintreffen und die Hektik des Starts nahm seine Aufmerksamkeit gefangen.


Die Welt, die der kleine Monitor des Raumschiffs zeigte, war dunkel und wenig einladend. Es herrschten stetige -153 Grad auf dem öden Gesteinsklumpen, der kaum Spuren von wirtschaftlich interessanten Elementen enthielt. Dieser Planet war, wie alle anderen in dem winzigen System der bläulichen Sonne, ein halbes Dutzend mal mit immer genaueren und leistungsfähigeren Geräten gescannt worden, bis sein Innerstes ebenso wenig Geheimnisse bot wie seine zernarbte Außenseite. Erst als man sicher sein konnte, dass sich niemand jemals mehr um diese höchst langweilige und unprofitable Welt kümmern würde, hatte man ihm etwas Besonderes eingepflanzt, als hätte man eine Perle in einer lange schon toten Muschel versteckt.

»Und diese Perle wäre in der Lage, die Bevölkerung ganzer Planeten auszulöschen – während sie die Träume einiger weniger erfüllt …«, flüsterte die Frau neben dem Bildschirm tonlos, verharrte kurz und zuckte dann die Schultern. Die Bedrohung, die von der geheimen Station unter der Felskruste ausging, war ihr gleichgültig, ebenso wie die Verlockung, die für sie bei näherem Nachdenken mehr ein Albtraum war als alles andere. Sie sehnte sich nicht nach der Unsterblichkeit … Trotzdem hatte sie eine lange und beschwerliche Reise auf sich genommen, um jetzt hier im Orbit des kleinen Planeten zu kreisen. Und wenn es auch nicht die Suche nach ewigem Leben war, die sie hergetrieben hatte, so doch zumindest der Wunsch nach Überleben.

Schon seit einer kleinen Ewigkeit saß Skyta fast reglos auf einer verschrammten Metallkiste, die Ellenbogen auf die Knie gestützt und in den Händen einen Becher, der längst leer und kalt war. In ihren Augen spiegelten sich die bunten Lichter eines Computerpanels. Der fast drei Meter lange und gut halb so breite Kasten, zu dem die glimmenden Anzeigen gehörten, füllte den größten Teil der Hauptzelle des kleinen Raumschiffs aus. Es blieb nur jeweils links und rechts gerade genug Platz, um nach vorne zu den Steuerkontrollen zu gehen oder nach hinten zum Triebwerksbereich – wenn sie schlafen wollte, spannte Skyta ein Plastnetz als Hängematte quer durch den Raum, sodass es über dem Kasten hing.

Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit stand die zierliche Frau auf, trat dicht an den klobigen Kasten heran und beugte sich vor, um durch die Scheibe zu sehen. Der Mann im Inneren der Kammer war nicht mehr jung, an seinen Schläfen zeigte sich das frostige Grau des Alters und selbst in der Entspannung des künstlichen Tiefschlafes war zwischen seinen Augenbrauen eine tiefe Falte. Er lag völlig reglos, sein Kopf wurde von einem Metallband eingefasst, er atmete nicht einmal. Die Stasiskammer hatte alle Lebensfunktionen des Mannes eingefroren. Er lebte nicht, aber er konnte auch nicht sterben.

Durch das Sichtfenster konnte Skyta gerade eben noch die Stelle an der Brust erkennen, an der ein Verband die Wunde bedeckte, die sie nicht – und auch keiner sonst – heilen konnte.

»Manchmal entwickeln sich die Dinge sehr seltsam«, sinnierte sie halblaut, als könnte die reglose Gestalt in der Stasiskammer sie hören. »Wie wird Ihnen das wohl gefallen, Kommandant, wenn das hier wirklich klappen sollte und Sie erfahren, wem Sie Ihre Heilung zu verdanken haben?« Das schmale Lächeln auf Skytas Lippen zeigte echte Amüsiertheit. »Vom Feind zum Verbündeten und dann zum Helfer. Die Leute vom Raumcorps, vor allem von der Ikarus, scheinen ein Talent dafür zu haben, sehr unterschiedliche Leute zu vereinen.« Die Söldnerin dachte an den Kampf in Seer’Tak City, bei dem sie Seite an Seite mit der Ikarus-Crew, Kriegern der Kirche und dem Schmuggler Jason Knight gekämpft hatte – wobei sie sich sicher war, dass nicht einmal der clevere Captain Sentenza wusste, was Jason in früheren Zeiten einmal gewesen war. Es war ein Kampf in ihrem eigenen Interesse gewesen, denn Prinz Joran war letztlich schuld an dem Verrat, der dem Kommandanten fast das Leben gekostet hatte. Die Schwarze Flamme verfolgte Wortbrecher mit aller tödlichen Härte, für die die Söldnerorganisation bekannt war. Trotz ihres Eigennutzes hatte das Raumcorps sich bereit erklärt, Skyta für ihre Hilfe zu entlohnen. Jetzt war sie hier, um den ungewöhnlichen Preis einzufordern.

Skyta kehrte zu den Kontrollen zurück, schob sich in den Hartschalensessel des Piloten und sendete auf der geheimen Frequenz, die sie vom Raumcorps bekommen hatte, ein Grußsignal. Schon kurz darauf erschien das Gesicht einer Frau auf dem Schirm, die ihr freundlich zunickte.

»Wir haben Sie erwartet. Mein Name ist Dr. Anyada Shen – wie Sie sicherlich wissen.« Die Frau strich sich eine Strähne ihres grünlich schwarzen Haares hinter das Ohr und lächelte entschuldigend. »Es ist lange her, dass wir hier Besuch hatten.«

»Ich bin Skyta und danke Ihnen, dass Sie sich bereit erklärt haben, uns behilflich zu sein.«

»Wir haben Ihre Daten erhalten und geprüft – Dr. Krshna und ich sind zu dem gleichen Ergebnis gekommen.« Dr. Shen schien das versteinerte Gesicht der jungen Frau auf ihrem eigenen Bildschirm zu mustern – vielleicht fragte sie sich, was für eine Geschichte hinter alledem stecken mochte. Auch Menschen, deren pure Existenz ein Geheimnis war, waren neugierig. »Der Zustand Ihres Patienten ist äußerst kritisch. Es war gut, dass Doktor Anande seine Fähigkeiten richtig eingeschätzt hat und die Stasis nicht aufgehoben wurde. Wir hatten hier sehr viel mehr Zeit und Ruhe für neue Forschungen«, die Stimme der Frau schwang irgendwo zwischen Zufriedenheit und Bitterkeit, »und wir sind uns sicher, dass wir die Verletzungen heilen und die Gesundheit des Patienten wiederherstellen können.«

Das Geräusch, mit dem Skyta den angehaltenen Atem ausstieß, war zu leise, um von der Kommunikationseinheit übertragen zu werden, und ihr Gesicht zeigte keine Regung. Aber ihre Stimme klang anders, leichter, als sie Dr. Shen antwortete.

»Gut. Dann werde ich jetzt mit der Landung beginnen. In weniger als einer Stunde können Sie mit Ihrer Arbeit anfangen.«


»Sie haben WAS getan?« Die Stimme des Großdirektors überschlug sich so sehr, dass seine letzten Worte fast nicht zu verstehen waren. Er japste und rang wild nach Luft, was bei einem anderen Schluttnick vielleicht die ersten Anzeichen seines baldigen Ablebens gewesen wären. Bei dem ehrwürdigen Vorsitzenden des Direktoriums war das jedoch normal – seine Position in der Hierarchie hatte ihm gewissermaßen den Atem genommen. Selbst sein Spezialsessel konnte die herrlichen Massen nicht so weit aufrecht halten, dass die Lungen eine echte Chance gehabt hätten, ihre Aufgabe zu versehen.

»Wir haben nicht wirklich eine andere Wahl, Ehrwürdiger«, knirschte der stellvertretende Vorsitzende Saktek von seinem Platz aus und hob die Hand in einer pathetischen Geste – unter dem Brokat seiner weiten Robe schwang das Fleisch des fetten Armes noch eine Zeit lang nach. »Der Brand in der Orydyl-Fabrik ist außer Kontrolle geraten und die entstehenden Giftschwaden überziehen bereits den halben Hauptkontinent.«

Eine holografische Darstellung erschien über ihnen an der Decke – da das Direktorium es bevorzugte, aus Sitzungen Liegungen zu machen, war es so für alle am bequemsten. In schrillen Farben waren die Umrisse der Landmassen von Schluttnick Prime zu erkennen – und eine große, wabernde Wolke, die irgendein Techniker mit Sinn für Ästhetik in sattem Rosa eingefärbt hatte. Sie bedeckte in der Tat einen großen Teil des Kontinents und breitete sich weiter aus.

»Aber mussten Sie deswegen gleich das Raumcorps um Hilfe bitten!«, jammerte der Großdirektor. Er benutzte seinen Augenspreizer, um Wagenpolster und Lider so weit auseinanderzuschieben, dass er das ganze Hologramm erkennen konnte. »Es sieht doch gar nicht so schlimm aus! Nette Farbe … Was macht diese Wolke?«

»Sie verursacht starke Verätzungen …« Mit einem Wedeln seines Fingers änderte Saktek die Darstellung – Großaufnahmen von Schluttnicks erschienen über ihnen. Die grünliche, blasse Haut der Verletzten warf Blasen, die mit einer rötlichen Flüssigkeit angefüllt zu sein schienen. Ein ersticktes Gurgeln aus dem Sessel des Großdirektors nahm Saktek als Aufforderung, zur emotional weniger belastenden Schemadarstellung zurückzukehren.

»Was ist mit unseren eigenen … wie nennt man das … ach ja, Sicherheitsmaßnahmen?«

»Die Kalkulation hat damals ergeben, dass sie sich nicht rechnen. Die Wahrscheinlichkeit eines solches Zwischenfalls war einfach zu klein, um Profite durch Sonderausgaben zu beschneiden.«

»Heißt das, wir haben keine?«

Saktek seufzte.

Der Großdirektor ließ ihn, wie man so sagte, nicht von der Gabel.

»Wie haben keine, Eure Ehrwürdigkeit.«

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus wie erkaltete Buttersoße. Vermutlich überlegte der Großdirektor, wen er für diese unglücklichen Umstände zur Abmagerungskur schicken konnte, aber Saktek machte sich keine Sorgen. Er besaß Unterlagen, die belegten, dass er damals nicht für Sparmaßnahmen bei der Sicherheit gestimmt hatte – er hatte die Bereiche Medizin und Militär vorgeschlagen.

»Nun gut«, ließ sich der Großdirektor resigniert vernehmen. »Wann werden die … Hilfsmannschaften des Raumcorps eintreffen?«

»Bergungs- und Technikereinheiten brauchen noch etwas, aber wir erwarten den Rettungskreuzer Ikarus innerhalb der nächsten Stunden. Sie haben umfassende medizinische Hilfe zugesagt.«

»Dann wird es hier also bald von diesen dürren Raumcorpsleuten nur so wimmeln, die da und dort ein Pflaster kleben und dafür mit beiden Händen an unserem Profit graben werden.« Er seufzte. »Geben Sie Instruktionen heraus, Saktek – man soll den Medizinern und den ganzen anderen Besserwissern auch dann Folge leisten, wenn ihr Bauchumfang sie wie Versager aussehen lässt. Andere Welten, andere Sitten.« Die Augen des Großdirektors funkelten in dem tiefen Versteck der sie umgebenden Wülste. »Vielleicht ist das alles gar keine so üble Idee, Saktek. Wie groß ist unser Anteil an den Handelslinien des Raumcorps?«

Der Mund des Vizedirektors verzog sich, als hätte er auf etwas Bitteres gebissen. »Welcher Anteil, Euer Ehrwürden?«

»Oh!«

Aber bedeutete das nicht auch, dass es einen riesigen potenziellen Markt gab, der nach den Segnungen der so umfassend einsetzbaren Schlutterware nahezu gierte? Wenn das Raumcorps nur etwas … nun … einladender und kooperationsbereiter wäre. Vielleicht bot sich bei diesem Kontakt die Möglichkeit, die Grenzen aufzuweichen. Arme Schluttnicks in Not brauchten nach der Katastrophe neue Einnahmequellen, um der leidenden Bevölkerung zu helfen? Der Großdirektor kaute im Stillen eine Weile auf dem Gedanken herum und kam zu dem Schluss, dass er nicht selbst seine Pfunde dafür ins Spiel werfen würde.

»Saktek, der Rettungskreuzer Ikarus kommt hierher? Ich erinnere mich da an einen Bericht des Flugdirektors Paknak, er hatte schon mal mit ihnen zu tun, hm?«

»Ja, Eure Vielfaltigkeit. Er hat sie damals aus dem Weltraum gefischt.« Leider erwies sich die Dankbarkeit des Raumcorps dafür als sehr begrenzt, trotz (oder wegen?) Paknaks beharrlichen Hinweisen darauf, wie selbstlos und großzügig er gehandelt hatte.

Vielleicht hatten ihm die Menschen diese Sache mit der Selbstlosigkeit zu gut abgekauft. Der Großdirektor grunzte zufrieden. »Sagen Sie Paknak Bescheid, Saktek. Er soll zusehen, wie sich diese Gelegenheit nutzen lässt, und sich an die Fersen der Rettungsleute heften. Ihm wird schon was einfallen. Stellen Sie ihm den Sektordirektor in Aussicht – satte 50 Kilo mehr auf den Rippen! Das wird ihn motivieren …«

Saktek nickte schweigend und winkte seinem Botenläufer, einem jungen Schluttnick mit so wenig Masse, dass er noch fast alle Treppen und Gänge des alten Direktoriumspalastes benutzen konnte. Paknak war zurzeit in der Stadt, seine siebzehn Frauen beendeten gerade ihren Fruchtbarkeitszyklus. Wenn er den Auftrag des Großdirektors erledigte, konnte er vielleicht noch zwei oder drei dazunehmen – und er würde den Profit des Direktoriums enorm erhöhen. Wenn er versagte, durfte er allerdings schon mal mit Kalorienzählen anfangen, aber das war dann sein eigenes Fett und nicht das des Vizedirektors. Saktek summte zufrieden vor sich hin.


Es war sicherlich ungewöhnlich für den Captain eines Raumschiffes, sich Schwierigkeiten herbeizuwünschen. Roderick Sentenza saß auf dem Pilotensessel in der Zentrale der Ikarus und ein Teil von ihm freute sich darüber, wieder einmal die Steuerung eines so perfekten Schiffes wie der Ikarus in der Hand zu haben.

Sie waren auf dem Weg nach Schluttnick Prime, wo eine Chemiefabrik explodiert war, um die ersten Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Später würde das Raumcorps größere Einheiten zur Versorgung der Bevölkerung schicken – die passionierten Händler waren selber auf einen Unfall dieses Ausmaßes nicht vorbereitet. Vermutlich schadeten solche Vorkehrungen dem Gewinn. Kurz dachte Sentenza darüber nach, warum sie nicht eine dieser gigantischen Schlutterware-Boxen über die beschädigte Industrieanlage gestülpt hatten, denn die Plastcontainer galten als fast unzerstörbar. Die Vorstellung von einer planetoidengroßen Frischhaltebox mit einem von den Schluttnicks so geschätzten dezenten Blumendesign ließ ihn unwillkürlich grinsen, aber das Lächeln erstarb schnell wieder.

Es würde noch einige Stunden dauern, bis sie den Hauptplaneten des Händlervolkes erreicht hatten, und das ganze Weltall schien sich heute entschlossen zu haben, still und ruhig und friedlich zu sein. Keine feindlichen Aliens, keine Asteroidenschauer, keine Rettungsmissionen am Rande. Nichts, was eine willkommene Ausrede dafür gewesen wäre, das Gespräch über die KI der Ikarus weiter hinauszuschieben …