Mörder im eigenen Dezernat

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Mörder im eigenen Dezernat
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Denise Remisberger

Mörder im eigenen Dezernat

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

Impressum neobooks

1

Der Verstorbene Kaspar Senn sass gerade mitten in der Altstadt von St. Gallen, allerdings in einer ganz anderen Dimension. Er hörte die vorbeieilenden, miteinander redenden Leute nicht wirklich. Auch der Motorenlärm, der vom Oberen Graben her durch die Luft vibrierte, war ihm ziemlich fern. Dafür wurde er von den Gedanken der Menschen akustisch bombardiert, als befände er sich in einem 3-D-Actionfilm.

Kaspar war noch nicht lange tot. Vor etwa zwei Monaten wurde er erschossen, als er, gutgläubig, wie er war, freundlich auf seinen Arbeitskollegen Servus Blom zuging.

«Es war stockdunkel gewesen und Kaspar hat nichts gesagt. Ich dachte, er wäre ein Bösewicht, der mich umbringen will.»

Da Servus Blom ein Drogenfahnder der Kantonspolizei Zürich war, und das seit über zwanzig Jahren, wurde ihm geglaubt. Er verlor weder seine Arbeit, noch kam er ins Gefängnis. Er wurde einfach nach St. Gallen versetzt. Wie wenn ihn die dort gebrauchen könnten.

«Es war ein Unfall gewesen», wurde befunden und damit hatte es sich gehabt.

Nun aber, im Tod, konnte Kaspar Senn Gedanken lesen. Und die Gedanken des Servus Blom waren nicht nett gewesen, als er gestern über ihm schwebte.

«Ich habe dich gekillt, und niemand hat ’s bemerkt, du naive Nuss. Alle mochten dich. Mich mochte niemand. Ha, das hat dir auch nichts gebracht, deine Allseits-Beliebtheit. Jetzt habe ich dieses stechende Gefühl endlich nicht mehr. Weg ist es. Niemand mehr da, um mich im Neid leiden zu lassen.»

Kaspar Senn war schockiert gewesen, nachdem er dies vernommen hatte, und erholte sich nun im Ansturm von völlig alltäglichen Kopfstimmen, die vom Einkaufen, Kochen und vom Fernsehprogramm erzählten.

2

Auf der Erde, Zeitzone St. Gallen, war es genau 17.00 Uhr.

Birke sass zuhause an ihrem Schreibtisch und bannte die Botschaften des verstorbenen Grossvaters einer ihrer Klientinnen auf Papier. Die Klientin lebte in Zürich, schickte ihre medialen Fragen per Post an Birke und erhielt die Antworten schriftlich zurückgesandt.

3

Laura Peter, als Vorgesetzte von Servus Blom, hätte ihm gerne alles und jedes verboten, doch sie durfte nicht. Als Drogenfahnder im Dienst hatte er auch Rechte. Zum Beispiel das Recht, ein Arschloch zu sein. Laura Peter fand Servus Blom unglaublich unsympathisch. Jetzt stand sie, eine Zigarette rauchend, in ihrem olivfarbenen Trenchcoat und an den klammen Händen fingerlose schwarze Wollhandschuhe, ihr blondes Haar unter die Mütze gestopft, unter einer schummriges Licht verbreitenden Laterne wie einst Lili Marleen und dachte über das patriarchale System nach und was Macht so alles verursachen konnte.

Sie auf alle Fälle hatte zu wenig davon. Zu wenig davon, um richtig bestimmen zu können. Bestimmen tat hier nur der Stellvertretende Polizeichef Nulbert Kies, und der war erstens, ein gebürtiger Zürcher, zweitens, borniert bis zum Abwinken und drittens, magenumdrehend verlogen.

Nulbert Kies und Servus Blom verstanden sich bestens.

Laura Peter dachte darüber nach, wie das Treiben der beiden unterbunden werden konnte, bevor es zu spät war, doch sie wusste nicht, wie. Um eine interne Untersuchungskommission zusammenzustellen, war es viel zu früh. Es gab weder Tote noch Vergewaltigte. Und alle anderen Übertritte wie etwa Demütigen, Quälen, Schubsen, Bedrohen und Erschrecken galten als harmlos.

Aber das war alles überhaupt nicht harmlos. Die Psyche eines Menschen konnte auch zerstört werden, nicht nur der Körper. Vor allem, wenn jemand über lange Zeit auf dieser Ebene angegriffen wurde.

Laura Peter spürte, dass eine Katastrophe auf die Polizei zukommen würde und dass Servus Blom und Nulbert Kies die Schuldigen sein würden.

4

Birke traf sich mit Sandro zu einem ausgedehnten Spaziergang, startend beim Hauptbahnhof St. Gallen, wo Birke schon wartete, immer ein paar Schritte gehend, hin und her, um sich warm zu halten. Sandro kam aus Konstanz angereist und trug einen dünnen, mittelbraunen Ledermantel mit breitem Kragen, den er jetzt bis über die Ohren aufgestellt hatte, und einem schmalen Gürtel, der Sandro plus Mantel zusammenhielt. Seine Schultern waren hochgezogen vor Kälte, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, die Zähne aufeinander klappernd und die Nase halb in den Kragen gesteckt. Das Einzige, das nicht fror, schien sein blondbrauner Schopf zu sein.

«Hier ist es saukalt», sagte er zur Begrüssung.

«Du meinst, der eine Hauch Unterschied zu Konstanz macht ’s aus?»

 

«Ja», kam es felsenfest, doch leicht gedämpft aus den Untiefen des Kragens hervor.

Birke, ihren wollenen Nierengurt schön anliegend unter dem dick gefüllten violetten Daunenmantel, lachte schallend.

«Ich weiss, ich sehe aus wie ein schillernder Käfer, aber dafür ist es mir wohlig warm. Wollen wir losmarschieren, damit du hier nicht festfrierst?»

Wenigstens hatte sich Sandro dazu überwunden, robuste winterfeste Stiefel anzuziehen, anstatt seiner üblichen spitz zulaufenden, lederbesohlten Indie-Country-Stiefeletten.

Sie durchquerten das Klosterviertel, ein Teil der St. Galler Altstadt, erklommen haufenweise steilste Holztreppen und erreichten die Drei Weiher, eingebettet in den Nordhang-Hügel der Stadt und darum auch schon hauptsächlich zugefroren.

Über einem der drei Weiher schwebend, entspannte sich Kaspar Senn endlich von seinem abrupten, heimtückisch inszenierten Ableben und fasste langsam, aber sicher den Entschluss, die Art und Weise seiner Ermordung ans Licht zu bringen. Alles, was er konnte, war, die Gedanken der Menschen etwas zu beeinflussen. Nur hörten die Lebendigen selten auf die Verstorbenen. Sie ignorierten die richtigen Eingebungen und taten das Falsche. Erst im äussersten Notfall hörten sie mal zu, aber auch nur, wenn sie nicht schon zu verbittert waren von all den Schicksalsschlägen, die sie frühzeitig hätten abwenden können, hätten sie nur auf die Eingebung gehört, die immer zuallererst im inneren Ohr ertönt. Jeweils nur ganz kurz, aber deutlich.

Also brauchte Kaspar ein Medium.

Darum befand er sich jetzt hier über diesem Weiher, denn hier würde gleich eines aufkreuzen.

Als er seine Seele auf die beiden richtete, die nun daherkamen, entstand ein leuchtend violetter Energiestrom zwischen ihm und der einen der beiden Spazierenden.

«Da schwebt ein Geist über einem der Weiher», sagte Birke zu Sandro.

«Ach, darum fühle ich mich so high. Ich dachte schon, ich hätte zu wenig gegessen.»

«Du bist eben ein sensibler Mann.»

«Und das ist etwas Positives?»

«Oh, ganz bestimmt. Vor allem für uns Frauen.»

«Ich heisse Kaspar Senn.»

Birke richtete ihr inneres Auge auf den Geist und sah den Ablauf seiner Ermordung in ihrem ganzen Zusammenhang in Form eines Bildes, das weitere Bilder in sich barg. Ihr wurde ein bisschen übel.

«Ich heisse Birke.»

«Ich brauche deine Hilfe, Birke, um meine Ermordung in ihrer Wahrheit kundzutun.»

«Das ist eine Riesenaufgabe, mein Lieber.»

«Ich weiss. Aber die Wahrheit ist das Wichtigste.»

«Ja, die Wahrheit ist immer das Wichtigste. Ich helfe dir.»

5

Der Elektriker ist ziemlich gut aussehend, dachte Laura Peter, als die Firma, die sie angerufen hatte wegen ihrer Lampen, die alle an die Decke sollten, jemanden bei ihr zuhause vorbeischickte. Gross, schwarze kurze Haare und warme dunkle Augen.

Laura reichte ihm den schweren Kronleuchter, der ins Esszimmer über den Tisch gehängt werden sollte, und schaute dem schönen Elektriker zu, wie er die Leiter erklomm und das Ungetüm an den bunten Kabeln, die aus der Decke hervorquollen, anschloss.

In seiner Arbeitshose steckten mehr Schraubenzieher, als Laura je auf einmal gesehen hatte. Sonst war er eher wortkarg und schaute sie selten an. Sie schlich trotzdem immer hinter ihm her, auch auf die Gefahr hin, ihn zu belästigen. Schliesslich musste sie ihm zeigen, welcher Lüster in welches Zimmer kam.

«Diese beiden hier würde ich auch gerne neu verkabeln lassen», sagte Laura in die Stille hinein und deutete auf ihre beiden Jugendstillampen, die provisorisch an der Wand befestigt waren. Die Kabel daran sahen aus wie vom Wetter zerzaust und waren ausserdem zu kurz für die nächste Steckdose, sodass Laura wegen zehn Zentimeter fehlenden Kabels extra ein ellenlanges Verlängerungskabel in die Ästhetik ihres Schlafzimmers hätte bugsieren müssen.

«Die müsste ich mitnehmen und im Geschäft neu verkabeln, die sind zu speziell, und das nötige Material muss auch zuerst bestellt werden. Will heissen, ich muss wiederkommen.»

Da er ihr den Rücken zudrehte, sah sie nicht, dass er lächelte. Seine Stimme war kontrolliert und verriet nichts.

«Ja, natürlich, ist in Ordnung.»

Auch Laura konnte ausgeglichen tönen, obwohl sie sich darüber freute, dass es noch nicht vorbei war.

«Wie heissen Sie eigentlich?», wollte Laura wissen, als er eine Stunde später am Gehen war.

«Trevor. Also, ich meine natürlich, Engelmann.»

«Trevor Engelmann. Also, Trevor Engelmann, bis bald.»

«Bis auf bald, ja.» Er lächelte schon wieder, doch diesmal sah sie es.

6

Birke drückte sich schlotternd in eine Hausecke gegenüber dem Gebäude der Kantonspolizei, das, passend, im Klosterareal der Altstadt zu finden war. Hier lebten sie auch nach strengen Regeln, die nicht ihre eigenen waren. Fremdbestimmt, sozusagen.

Kaspar schwebte in ihrer Nähe, um auf seinen Mörder zu zeigen, sobald dieser endlich aus den Büroräumen herauskommen würde.

«Da, das ist er. Dieser kugelförmige Zwerg dort mit der Hornbrille.»

Heraus stampfte ein kleiner dicker Mann mit einer strähnigen Frisur auf einem halbkahlen Kopf, eingebettet in zwei heraufgezogene Schultern, mit einem nervösen, ständig das Territorium absuchenden Blick im aufgedunsenen Gesicht.

«Du meine Güte!», rief Birke aus. «Und dem hast du vertraut?»

«Ja, ich bin halt so. Ich weiss.»

«Servus», rief jemand hinter dem Mörder-Fahnder her und wedelte mit einem Blatt Papier in der Luft herum.

Der Rufer war eigentlich ein angenehmer Anblick: gerader Rücken, muskulös, aber nicht zu viel, eine grauweisse Lockenmähne, die ein interessantes Gesicht umwehte, eine grosse Nase, dichte Augenbrauen und gut sichtbare Wangenknochen. Mund und Augen aber hatten nichts Angenehmes: der Mund war ein dünner verkrampfter Strich, die Augen klein und der Ausdruck darin ein bisschen panisch. Immer voll der Angst, etwas einzubüssen, etwas, das er gar nie verdient hatte und darum auch nicht wirklich besass: die natürliche Autorität in einer Kaderposition.

«Und der dort ist der Stellvertretende Polizeichef Nulbert Kies. Die beiden haben sich verbündet.»

«Bei denen in der Aura haben sich ein paar kraterartige Risse gebildet», sandte Birke ihre Beobachtung in Gedanken an Kaspar.

«Wenn ’s nur das wäre. Sie hecken etwas Konkretes aus, etwas Destruktives. Und es hat mit Beförderung zu tun. Ungerechtfertigter Beförderung, versteht sich.»

Kaspar konzentrierte sich auf die Gedankengänge des Stellvertretenden Polizeichefs.

«Nulbert Kies will Polizeichef werden und will dafür Servus Blom benutzen. Er hat ihm gerade versprochen, ihn zu seinem Stellvertreter zu machen, wenn es dann so weit sein wird. Und dann wollen die beiden hier aufräumen. Nicht nur bei der Kantonspolizei, sondern sie fantasieren auch darüber, gleich die ganze Stadt umzukrempeln. Ich sehe sie schon die Grabenhalle schliessen wegen zu rockiger Musik.»

«So weit dürfen wir es wirklich nicht kommen lassen, Kaspar.»

«Wir müssen den Polizeichef beschützen; auf den haben sie es zuerst und vor allem abgesehen.»

7

Auf dem Nachhauseweg nach ihrem Dienst radelte Laura Peter übers Kopfsteinpflaster, denn auf den St. Galler Strassen wurden sämtliche Fahrräder ignoriert. Irgendwie war es noch nicht ins allgemeine Autofahrerbewusstsein gedrungen, dass es sie überhaupt gab.

Als Laura vor einem Monat, herkommend vom Bohl, am Café Seeger vorbei zum Bahnhof wollte, also geradeaus in einer Spur, in der auch rechts abgebogen werden durfte, wurde sie übersehen und musste händefuchtelnd ihren Weg erkämpfen, während die Ampel bereits auf Gelb umgeschaltet hatte. In anderen Städten befanden sich rechts auf der jeweiligen Spur die Velowege. Hier gab es sie nur stückweise. Durchgehend waren sie ausschliesslich in der Fussgängerzone auf den Pflastersteinen markiert, sodass die Einkaufstaschen der Lädelnden in den Speichen der Velos ihren Widerstand fanden.

Aber um diese Zeit, drei Uhr morgens, hallte das metallene Geräusch von Lauras Fahrgestell die Wände der Altstadt hoch vor lauter Leere.

Als sie um eine Ecke bog, fuhr sie beinahe über ein Paar Beine, das zu jemandem gehörte, der auf dem Boden, an eine Hauswand gelehnt, hockte. Das Kinn des Mannes war auf seine Brust gesunken.

Laura riss einen Stopp, kniete sich neben den Mann und hob seinen Kopf an.

«Gregor», schrie sie entsetzt auf, als sie Polizeichef Gregor Bohlbrühl identifizierte.

Der gab keinen Ton von sich.

Laura rief einen Krankenwagen auf ihrem privaten Handy und wartete, bis er endlich kam, um dann hinter ihm her Richtung Kantonsspital zu radeln.

Weit war es nicht, und bis sie dort ankam, hatten sie Gregor noch nicht mal auf die Intensivstation gelegt.

«Sind Sie eine Verwandte?», quäkte ein Pfleger mit der Kaffeetasse in der Hand und einem gelben Wolljäckchen um die Schultern.

«Geh’n Sie schlafen», rief ihm die hinter der Bahre hereilende Laura zu.

Laura verkrümelte sich in eine Ecke des freudlosen Raumes, in dem der inzwischen leise stöhnende Gregor untersucht wurde.

«Er hat eine Stichverletzung, junge Frau», kommentierte der Arzt, indem er sich kurz zu ihr umdrehte. «Allerdings geht sie nicht sehr tief. So wie der Mantel und der gefütterte Nierengurt des Opfers zerschnitten sind, hat sich der Herr hier noch rechtzeitig abgedreht, sodass das Messer, wahrscheinlich ein dünnes Stilett, abgerutscht ist. Nicht, dass er kein Blut verloren hätte, aber das Ärgste war der Schock, der ihn ohnmächtig werden liess, sodass er weder die Blutung stillen noch aus dieser Kälte in den nächsten Hauseingang kriechen und die Ambulanz hätte verständigen können. Sein Blutkreislauf scheint auch im Normalzustand schwach zu sein. Hätten Sie ihn nicht jetzt gefunden, Frau Peter, wäre er erfroren, noch bevor ihn all sein Blut hätte verlassen können.»

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?