Seewölfe - Piraten der Weltmeere 529

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 529
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-937-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Davis J. Harbord

Blockadebrecher

Sie sitzen wie die Ratten in der Falle – doch dann heißt es: „Durchbruch mit voller Fahrt!“

Der Posten auf der Westbastion des Forts Victoria am südlichen Ufer der Bai von Amboina rieb sich an diesem frühen Oktobermorgen die Augen und meinte zu träumen. Aber das Bild blieb und war im Licht der aufgehenden Sonne gestochen scharf.

Der Buchteingang dort unten im Westsüdwesten, hinter dem die Banda-See lag, war blockiert! Sechs Schiffe lagen da wie eine Kette, die vom Nordufer bis zum Südufer der Bucht reichte. Sie ankerten Bug an Heck des Vordermanns, die Steuerbord-Breitseite in die Bucht gerichtet. Die Geschützpforten waren geöffnet, die Kanonen ausgerannt.

„Heilige Mutter Gottes“, murmelte der Posten und alarmierte den Wachhabenden.

Auf Befehl des portugiesischen Residenten der Insel Amboina segelte eine halbe Stunde später eine Schaluppe aus dem kleinen Hafen von Fort Victoria. An Bord befand sich ein Teniente, der sich höflich erkundigen sollte, warum man den Eingang zur Bucht versperre. Wiederum eine halbe Stunde später stieg an den Großtoppen der sechs Ankerlieger, die eine Sperre bildeten, die niederländische Flagge hoch.

Fast gleichzeitig brüllten die Steuerbord-Breitseiten der sechs Schiffe auf und spien ihre Eisenladungen aus. Das waren bei zwölf schweren Stücken je Seite zweiundsiebzig Ladungen. Von der Schaluppe, die sich bis auf etwa fünfzig Yards genähert hatte, blieben nur ein paar zerfetzte Planken übrig. Der Teniente und seine sechsköpfige Crew wurden nie wieder gesehen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Dom Manoel de Faria – Der Gouverneur der portugiesischen Besitzungen auf den Molukken steht plötzlich vor einer Situation, die ihm viel Einfallsreichtum abverlangt.

Jacob de Jonge – Der holländische Generalkapitän benutzt die Brechstange, wenn es darum geht, sich durchzusetzen.

Piet Verkerk – Er dient dem Generalkapitän als Sekretär, Schreiber und Dolmetscher – und nebenbei als Spitzel.

Justus Potgieter – Der Kapitän der „Goede Hoope“ nimmt kein Blatt vor den Mund und geigt dem Generalkapitän die Meinung.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf kennt keine Gnade, wenn er es mit Mördern zu tun hat.

Nunes – Der Capitán der Handels-Galeone „Porto“ verliert sein Schiff, weil er mit dem Kopf durch die Wand will.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Anfang Oktober 1596. Hinter der „Santa Barbara“ versank die Küste der chinesischen Provinz Tschekiang. Die Männer an Bord der Galeone konnten zufrieden die Hände reiben. Sie hatten erreicht, was sie wollten und warum sie die weite Reise von der Karibik in das Land des Großen Chan angetreten hatten. Ein Teil der Laderäume war bis unter die Luken mit „Chinesischem Feuer“ vollgepackt.

Ja, sie rieben sich die Hände, die Arwenacks. Bis auf einen, der offenbar wieder einmal seinen knieseligen Tag hatte – knieselig im Sinne von miesepeterig, gemengt mit einem Schuß dumpfer Ahnungen.

Old Donegal Daniel O’Flynn nahm sichtbaren Abstand von den verschalkten Ladeluken, unter denen „das Teufelszeug“, wie er die Brandsätze nannte, lagerte. Er verzog sich weit nach achtern, die Ladeluken aber nicht aus den Augen lassend, als erwarte er jeden Moment, daß sie aufklappten wie jene Kinderschreckkistchen, aus denen beim Öffnen Kastenteufelchen hochfahren.

Dieses seltsame Verhalten erregte wiederum den Argwohn Edwin Carberrys, denn wenn Old Donegal den düsteren Blick drauf hatte, dann war hinter der Kimm etwas nicht in Ordnung.

„Ist was?“ fragte er gallig.

Old Donegal brummte etwas Unverständliches.

„Hä?“ Carberry vergrößerte seine rechte Ohrmuschel mit der gewölbten Rechten, so daß er jetzt ein Elefantenohr zum Lauschen hatte. „Wie war das?“

„Wir haben den Tod an Bord“, sagte Old Donegal mit dumpfer Stimme. „Da braucht nur ein Funken zwischen das Teufelszeug zu fallen – und peng! Und aus!“ Als er „peng!“ sagte, knallte er zur Lautuntermalung die rechte Faust in die linke Handfläche. „Und wir sausen“, fuhr er fort, „wie Sternschnuppen in die Hölle, umglüht von feurigen Schlangen und zuckenden Blitzen. So was hast du noch nicht erlebt!“

Der Profos legte keinen Wert darauf, „so was“, zu erleben, ganz abgesehen davon, daß man von dem Erlebnis nichts hatte. Old Donegal redete mal wieder Stuß.

„Du Spinner“, sagte er kurz und bündig und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Kannst du mir mal verraten, woher und wie ein Funken zwischen die Brandsätze fallen soll? Jeder Mann hier an Bord weiß, daß es strikt verboten ist, sowohl Pulverkammern als auch die betreffenden Laderäume mit brennendem Licht zu betreten. Außerdem sind die Brandsätze in Blechkisten verpackt. Durch die frißt sich kein Funken durch, verdammt noch eins!“

„Ha!“ tönte Old Donegal. „Ha! Und was ist, wenn eine glühende Kanonenkugel das Deck durchschlägt? He, was ist dann?“

„Kann sie gar nicht“, erklärte der Profos.

„Wieso nicht?“

„Weil du an dieser Stelle stehen und sie auffangen wirst, darum!“ Und der Profos grinste.

„Ich?“ fragte Old Donegal langgezogen.

„Ja, du! Hast du nicht mal erzählt, ihr hättet auf eurer alten ‚Empress‘ damals vor neunzig Jahren in der Dingsbums-Schlacht gegen die Türken deren Kugeln immer aufgefangen und wieder zurückgeworfen? Wie nanntet ihr das noch? Ach ja, ‚das türkische Fangballspiel‘, nicht?“

Old Donegal ächzte. Tatsächlich hatte er den Arwenacks vor längerer Zeit dieses haarsträubende Garn einmal vorgesponnen. Daß der Profos das behalten würde, hätte er nicht gedacht. Und jetzt hatte er sich selbst in dieses Garn verwickelt.

„Das war damals ganz anders“, erklärte er unwirsch. „Das hast du falsch verstanden. Die Alis haben uns nicht mit Kanonenkugeln beschossen, sondern Wassermelonen rüberkatapultiert! Du hast mal wieder nicht richtig zugehört, Mister!“

„Da soll doch gleich das Kielschwein quieken!“ wetterte der Profos, erbost über die Unverfrorenheit des alten Zausels, ihn schlichtweg anzulügen. „Du hast von Kanonenkugeln gesprochen! Da laß’ ich mir ’ne Glatze schneiden, wenn das nicht stimmt!“

Aber das brauchte er nicht – Mac Pellew stieg als Zeuge für ihn in den Zeugenstand, und Gary Andrews, und Stenmark, und Sam Roskill und alle jene, die sich damals Old Donegels Garn hatten anhören müssen. Jawohl, nichts da! Er hätte nicht von Wassermelonen, sondern von heißen Kanonenkugeln gesprochen, an denen sie sich sogar die Hände gewärmt hätten, weil’s seinerzeit in den türkischen Gewässern so kalt gewesen wäre, daß den „Empress“-Mannen die Bärte zu Eiszapfen gefroren wären.

Aye, aye, Sir, den ganzen Unsinn, den Old Donegal da verzapft hatte, den tischten sie ihm jetzt wieder auf und widerlegten ihn.

Aber das focht den nicht an, überhaupt nicht. Er blieb stur bei seinen Wassermelonen, griff in seine Garnkiste und erfand flugs eine neue Geschichte von der „Dingsbums-Schlacht“, in der von zerplatzenden Wassermelonen die Rede war, ja sogar von einem Türken, dem er die Wassermelone ins offene Maul geworfen habe!

„Und dann!“ verkündete Old Donegal. „Und dann hat der Ali die Melone doch glatt verschluckt und kriegte einen Bauch wie ’ne schwangere Suleika!“

„Du lieber Gott!“ Der Profos stöhnte und raufte sich die Haare. „Ist das noch zu fassen? Erst labert dieser Seifenbläser von einer Sternschnuppensause in die Hölle, weil ein Funken zwischen unsere Brandsätze fällt, und jetzt spinnt er von melonenschluckenden Alis mit schwangeren Suleikabäuchen!“ Und der Profos dröhnte: „Ich sollte dir auch ’ne Melone ins Maul stopfen, du – du Obertürke!“

Old Donegal setzte zu einer geharnischten Antwort an, doch da war Hasards Stimme zu hören.

„Na, Freunde?“ sagte er. „Seid ihr euch wieder in die Haare geraten?“ Er trat an die Achterdecksbalustrade. „Was ist los, Old Donegal?“

„Nichts“, brummelte Old Donegal.

„Ed?“

„Sir?“ fragte der Profos zurück. Er schien plötzlich maulfaul geworden zu sein.

„Ich fragte, was los sei.“

„Och, gar nichts, Sir, ehrlich.“ Der Profos zupfte an seinem rechten Ohrläppchen.

„Dann muß ich mich wohl verhört haben“, meinte Hasard. „Oder nannte da nicht jemand einen anderen einen Obertürken, dem er eine Wassermelone ins Maul stopfen wollte?“ Hasard räusperte sich. „Spielte da nicht auch eine gewisse Suleika eine Rolle, die guter Hoffnung war? Nun ja, da muß ich mich wohl wirklich geirrt haben. Und ich dachte schon, euch sei etwas aufgefallen.“

 

„Uns? Nein, Sir“, sagte der Profos. „Ist dir was aufgefallen, Old Donegal?“

Der schüttelte den Kopf. „Überhaupt nichts.“

„Was soll uns denn aufgefallen sein, Sir?“ fragte der Profos.

„Ihr seid mir so die richtigen Seeleute“, erwiderte Hasard. „Wir segeln Südkurs. Ist das nichts?“

„Na ja, wir laufen von der Küste ab“, sagte Carberry.

„Ach ja?“ Hasard grinste. „Das täten wir auch, wenn wir Ostkurs segeln würden.“

„Sir, du hast was auf der Pfanne“, sagte Carberry mißtrauisch.

„Stimmt, Ed“, sagte Hasard. „Jetzt bist du mal der Hellseher. Also, Freunde, jetzt wird’s ernst. Und es ist wieder eine Abstimmung fällig. Wir haben das, was wir wollten: die Brandsätze. In Ordnung. Aber hat schon mal jemand von euch darüber nachgedacht, auf welcher Route wir in die Karibik zurücksegeln? Nehmen wir die Ostroute, oder nehmen wir die Westroute? Segeln wir um Kap Hoorn oder ums Kap der Guten Hoffnung? Oder nehmen wir den kürzesten Weg, nämlich wieder über den Isthmus von Tehuantepec, was bedeuten würde, daß wir die gesamte Ladung an Brandsätzen und Gewürzen über Land schleppen und auf der Karibikseite wieder ein Schiff beschaffen müßten? So, jetzt seid ihr dran, ich habe euch die drei Möglichkeiten genannt.“

Da ging das Palaver los. Die Mannen waren auf der Kuhl versammelt, bis auf den Ausguck im Großmars – Jack Finnegan, und den Rudergänger – Stenmark. Auf dem Achterdeck befanden sich Ben Brighton, Don Juan de Alcazar und Dan O’Flynn. Aus der Mittschiffsluke stiegen Big Old Shane und Ferris Tucker, die sich noch einmal um die neue Ladung gekümmert hatten.

Eindeutig war aus dem Palaver herauszuhören, daß die kürzeste Route – die über den Isthmus – den Arwenacks nicht genehm war. Die steckte ihnen noch in den Knochen, weil sie kurz vor dem Ziel – nachdem sie den Isthmus mühsam überquert hatten – von den Dons zur Zwangsarbeit kassiert worden waren.

Carberrys Stimme übertönte grollend das Palaver.

„Bin ich ein verdammter Sandfloh? Lieber segele ich dreimal im Handstand und mit angelegten Ohren um Kap Hoorn als noch einmal wie ein Packesel durch den Urwald zu trotteln und den Mücken als Jungbrunnen zu dienen!“

Old Donegal war ganz seiner Meinung. So weit kam’s noch, daß er den Mücken als Quell ewiger Jugend zur Verfügung stand! Das hatte der Profos trefflich formuliert.

„Nicht mit mir!“ verkündete er und blickte sich wild um, als sei bereits ein Geschwader von Stechmücken im Anflug. „Die Biester sollen gefälligst woanders nuckeln, aber nicht an meinem Jungborn!“

Na, das waren mal wieder Argumente, daß es einem die Schuhe ausziehen konnte. Hasard verschränkte die Arme vor der Brust, denn Carberry legte wieder los, aber nicht wegen des Routenproblems, sondern weil er sich darüber ereiferte, daß Old Donegals Blut ein „Jungborn“ sein sollte.

„Jungborn?“ donnerte der Profos. „Ich höre wohl nicht richtig? An dem gehen die Mücken doch vor Altersschwäche ein!“

„Und bei dir“, schrie Old Donegal, „sehen sie grüne Mäuse, weil du nur noch Schnaps in den Adern hast!“

„Rum ist Lebenssaft!“ wetterte der Profos mit unerschütterlicher Logik. „Außerdem gibt’s keine grünen Mäuse, da kannst du den Kutscher fragen! Nicht wahr, Kutscher?“

Der Kutscher kehrte indigniert auf den Punkt zurück: „Unterhalten wir uns hier über Blut als den Quell ewiger Jugend, oder beraten wir darüber, welche Route wir nehmen sollen?“

„Danke, Kutscher“, sagte Hasard und hatte so ein gewisses Zucken um die Mundwinkel. „Ich darf also aus den bisherigen, sehr interessanten Gedankengängen schließen, daß die kürzere Route über den Isthmus allgemein abgelehnt wird. Oder irre ich? Darf ich um das Handzeichen bitten? Wer ist für diese Route?“

Keine Hand hob sich. Hasard blickte sich um – das gleiche Bild bei Ben, Dan, Stenmark und Don Juan. Auch Jack Finnegan im Großmars hatte keine Ambitionen auf den Trip über den Isthmus.

„Also gut, Freunde“, sagte Hasard, „damit ist die Route über den Isthmus abgehakt. Ihr scheint es nicht sehr eilig zu haben, zum Stützpunkt zurückzukehren, wie?“

„Segeln macht Spaß“, erklärte Carberry für alle, denn sie nickten dazu.

„So? War da nicht ein gewisser Mister Carberry, der vor nicht allzulanger Zeit sagte, es gäbe nur eine Sorte von Verrückten, und das seien jene, die auf Holzeimern übers Wasser schaukelten?“

„Sagte ich das?“ Der Profos kratzte sich hinter dem Ohr und erklärte treuherzig: „Das war nicht so gemeint, Sir, und bezog sich nur darauf, als wir mal bekalmt wurden.“

„Auf den beiden anderen Routen um die jeweiligen Kaps werden wir jede Menge Gelegenheit haben, in Kalmen zu geraten“, erwiderte Hasard.

„Da zieh’ ich die Señorita Barbara mit der Jolle hinter mir her“, erklärte der Profos, „und auch das hundertmal lieber als zu Fuß über den Isthmus.“

„Jaja, ich weiß, auch wenn die Trinkwasserfässer so ausgetrocknet sind, daß du den Finger zwischen die Dauben stecken kannst.“

„Sir“, sagte der Profos gemessen, „ich schlage vor, wir nehmen von den beiden Routen die kürzere, und das ist zweifellos die Westroute ums Kap der Guten Hoffnung, nicht wahr?“

„Das ist richtig, Ed“, erwiderte Hasard, „diese Route würde auch ich vorziehen.“ Er drehte sich zu Dan O’Flynn um. „Was meinst du?“

„Westroute“, sagte Dan, ohne zu zögern, „da sparen wir einige tausend Meilchen.“

„In Ordnung.“ Hasard wandte sich wieder zu den Mannen um. „Sollen wir das noch diskutieren, oder können wir gleich abstimmen?“

„Abstimmen“, sagte der Profos.

„Wer ist gegen die Westroute und möchte lieber um Kap Hoorn segeln?“ fragte Hasard. „Ich bitte um das Handzeichen.“

Die Westroute wurde einstimmig angenommen, niemanden gelüstete es, den Weg um Kap Hoorn zu nehmen.

„Das wäre erledigt“, sagte Hasard. „Allerdings habe ich noch einen Vorschlag, und der hängt mit unserem Südkurs zusammen, den wir bereits segeln. Ich möchte noch hinunter zu den Molukken und von dort aus dann durch die Banda-See in den Indischen Ozean. Die Molukken interessieren mich insofern, als dort der Gewürznelkenanbau intensiv betrieben wird, und zwar von den Portugiesen, das wiederum die Holländer zu ärgern scheint. Ich brauche euch nur an den Mijnheer Beeveren zu erinnern und an das, was wir von Capitán de Figuiera in Davao darüber hörten. Nun denn, mir ging durch den Kopf, Möglichkeiten zu erkunden, die sich auf englische Interessen beziehen. Kapitän Drake hatte bei seiner Weltumsegelung bereits Kontakte zu dem Sultan auf Ternate und brachte auch etwa sechs Tonnen Gewürznelken von dort mit nach Plymouth. Dan sollte euch nachher einmal die betreffende Karte zeigen, damit ihr seht, was das für ein riesiges Inselgebiet ist. Ich bin der Ansicht, daß England dort auch ein Plätzchen finden könnte, um eine Faktorei zu gründen – wohlgemerkt im Einverständnis mit den einheimischen Gentlemen und zu Nutz und Frommen beider Teile. Also Ostindienhandel auf der Basis von Geben und Nehmen. Diesen Gedanken könnte ich bei Hofe oder interessierten englischen Kaufherren in London oder Plymouth vortragen, was bedeuten würde, England anzulaufen, bevor wir in die Karibik zurückkehren. Ich schätze, einige von uns haben nichts dagegen, dort einmal wieder hineinzuschauen, wo sie einst zu Hause waren. Im übrigen ist die Route über Molukken und Banda-See kein Umweg, es bleibt sich gleich, ob wir diesen Kurs wählen oder durch die Sunda-Straße in den Indischen Ozean segeln. Na, was meint ihr?“

Carberry brachte es auf eine Kurzformel und hatte dabei verzückte Augen: „Molukken, Plymouth, ‚Bloody Mary‘!“

„Dachte ich mir doch“, murmelte Hasard. „Du möchtest dem feinsten Plymson mal wieder an die Perücke, Ed.“

„Aber nicht doch, Sir“, sagte der Profos bieder. „Es ist natürlich unerhört wichtig, daß du der Lissy oder den Pfeffersäcken verklarst, wo’s noch Pfeffer und anderen Kram zu holen gibt. Das geht vor, das halte ich auch für gut, damit nicht immer nur einer alleine die Sahne abschöpft und die anderen, die auch mal schlecken wollen, einfach wegboxt. Aye, Sir, ich könnte mir auch vorstellen, daß ich die Lagerverwaltung der Faktorei übernehme, wenn ich mich mal zur Ruhe setze. Da braucht man solche Kerlchen wie mich. Findest du nicht auch?“

Hasard starrte seinen Profos überrascht an. Das waren ja völlig neue Perspektiven!

Dafür ergriff Old Donegal wieder die Gelegenheit, dem Profos was zu verpassen. Er hatte ihm die an Altersschwäche eingehenden Mücken noch nicht verziehen.

„Was denn, du und Lagerverwalter?“ höhnte er. „Dann sind die Rumfässer aber schnell leer!“

Der Profos winke ab. Er war nicht zu erschüttern.

„Du bist ja bloß neidisch“, sagte er.

„Ich hab’ in meiner Rutsche genug Rum!“ zeterte Old Donegal.

„Ja – und ’ne Bratpfanne, die dir dein Schnuckelmäuschen auf den Schädel donnert, wenn du nach deinem Rum schielst“, sagte der Profos grinsend.

„Kinder, Kinder, hört doch bloß mal damit auf, ständig aufeinander herumzuhacken“, sagte Hasard.

„Dieser Mister O’Flynn hat angefangen, Sir“, verteidigte sich Carberry. „Der kann es nicht ertragen, daß ich Lagerverwalter werde und abends einen Rum trinken darf, ohne daß mich jemand deswegen mit der Bratpfanne bedroht.“

„Noch bist du kein Lagerverwalter“, sagte Hasard, „sondern unser Profos, den wir genauso brauchen wie unseren Old Donegal, von dessen Zähigkeit wir uns alle eine Scheibe abschneiden können. Ich kann mich nicht erinnern, daß er beim Fußmarsch über den Isthmus gejammert hätte – und das bei seiner Gehbehinderung! Darüber solltest du mal nachdenken, Mister Carberry, bevor du auf sein Alter anspielst, was ich unfair finde. Ist das klar?“

„Aye, Sir“, sagte der Profos, linste zu Old Donegal und fügte hinzu: „Wenn ich dich beleidigt haben sollte, Mister O’Flynn, dann bitte ich hiermit um Entschuldigung. Außerdem bist du wirklich ein zäher Knochen, und ich schätze, wir werden beide noch so manches Faß Rum vernichten und einander in alter Treue zugetan sein.“

Old Donegal war ein bißchen gewachsen, als Hasard ihn verteidigte. Und jetzt war er versöhnungsbereit und zugleich gerührt über das, was der Profos gesagt hatte.

„In Treue fest, Mister Carberry“, sagte er und reichte ihm die Hand. „Auf daß der Rum nie alle werde!“

Sie schüttelten sich die Hände und klopften einander auf die Schultern.

„Segeln wir über die Molukken?“ fragte Hasard.

Es gab keinen Einwand. Sie waren sich einig. Und sie fanden auch, daß ihr Kapitän recht hatte. Man mußte den Leuten in England sagen, welche ungeahnten Handelsmöglichkeiten sich hier eröffneten. Sie mußten nur genutzt werden.

Und sie beugten sich über die Karte, die Dan O’Flynn auf der Kuhl ausbreitete und im einzelnen erklärte.

2.

Dom Manoel de Faria, Gouverneur der portugiesischen Besitzungen auf den Molukken mit Amtssitz auf der Insel Amboina, verharrte wie gelähmt auf der Westbastion des Forts Viktoria.

Er hatte durchs Spektiv den Weg der Schaluppe zu den sechs Ankerliegern verfolgt und gesehen, wie an allen Toppen die niederländische Flagge gezeigt wurde. Und dann war das Entsetzliche passiert.

Er dachte: Und du hattest zuerst selbst mit der Schaluppe dort hinsehen wollen, dich dann aber für den Teniente de Rossa entschieden – nur aus dem eitlen Grund, daß es einem Gouverneur nicht gut ansteht, vor Kapitänen fremder Schiffe zu erscheinen und nach dem Woher und Wohin zu fragen, so als bäte er um eine Audienz.

Langsam drehte er sich um und blickte in das verbissene Gesicht des Fort-Kommandanten. Capitán da Silvas Lippen waren ein blutleerer Strich.

„Mein Gott“, murmelte der Gouverneur, „sind die denn wahnsinnig? Sechs Schiffe zerschießen ohne Vorwarnung eine kleine Schaluppe, die sich friedlich nähert, um die üblichen Routinefragen zu stellen! Können Sie mir sagen, was das soll, da Silva?“

„Das ist eine Kriegserklärung, Señor Gouverneur“, erwiderte da Silva gepreßt.

„Kriegserklärung? Das sind sechs stark armierte Schiffe mit mindestens einhundertfünfzig Mann an Bord jedes Schiffes. Sie hätten heute nacht das Fort überfallen und einnehmen können, ohne daß wir abwehrbereit gewesen wären!“

„Sie wollen das Fort unversehrt“, entgegnete da Silva. „So leicht ist es auch nicht einzunehmen. Trotz eines nächtlichen Überraschungsangriffes – wir hätten uns erbittert zur Wehr gesetzt. Dazu sind wir da.“

 

„Sie glauben, diese Holländer wollen Amboina in ihren Besitz bringen?“

„Ja, Señor Gouverneur. Unser Schwachpunkt ist nicht das Fort. Es hat eine einzigartige Lage hier am Südufer der langgestreckten Bucht. Aber als es vor sechzehn Jahren hier errichtet wurde, vergaß man, daß ein möglicher Feind von See her die Bucht abriegeln kann – wie es die Holländer jetzt getan haben. Das wäre nicht passiert, wenn die damaligen Baumeister westlich und östlich des Buchteingangs zwei Forts hingesetzt hätten. Mit deren Batterien kann man jeden von See her angreifenden Gegner ins Kreuzfeuer nehmen. Da sie fehlen, sitzen wir in der Falle. Fort Viktoria ist zur belagerten Festung geworden, ohne daß wir uns wehren können. Die Schiffssperre der Holländer liegt weit außerhalb der Reichweite unserer Kanonen.“

„Umgekehrt genauso“, sagte der Gouverneur.

„Das ist richtig. Aber die Holländer brauchen auch gar nicht anzugreifen oder Fort Viktoria zu beschießen. Sie können uns aushungern.“

„Aushungern?“ Dom Manoel de Faria lachte hart. „Wie das, Capitán? Wir ernähren uns aus dem Land, Trinkwasser haben wir genug. Da geht den Holländern an Bord ihres Schiffes wohl eher die Puste aus als uns.“

„Entschuldigen Sie, Señor Gouverneur“, erwiderte da Silva. „Ich meinte aushungern im Sinne von lahmlegen. Wir bringen keine Gewürzladung mehr aus Amboina hinaus, und keins unserer Schiffe gelangt in den Hafen hinein. Mit dieser Sperre ist Amboina ein toter Hafen geworden – unser Gewürzhandel ist blockiert, das ist der Zweck der Sperre.“

„Ich verstehe“, murmelte de Faria. Erst allmählich begriff er die ganze Tragweite dessen, was der Capitán angedeutet hatte. Oh, diese Holländer – mit dem einfachen Mittel einer Schiffssperre setzen sie ein Fort matt und außer Gefecht, ohne einen Schuß abzufeuern. Und gleichzeitig blockierten sie die Ausfuhr der Gewürzladungen, vor allem der Gewürznelken.

Amboina war das Zentrum für den Anbau der Gewürznelkenbäume. Dieses Gewürz brachte hohen Gewinn auf den Märkten Europas, und Portugal war es, das davon seit vielen Jahrzehnten profitierte.

Kühne portugiesische Seefahrer wie de Almeida, Cabral, da Gama, D’Albuquerque, Diaz, Serrao – und wie sie alle heißen mochten – hatten den Seeweg nach Osten und zu den Gewürz-Inseln erschlossen, zum Teil unter unsäglichen Strapazen, und jetzt tauchten die Holländer auf, mischten sich in den Gewürzhandel ein und benutzten dazu Mittel, die man nicht anders als brutal und rücksichtslos bezeichnen konnte.

Dom Manoel de Faria wurde bewußt, daß er auf verlorenem Posten stand. Er hatte nicht einmal Kriegsschiffe zur Verfügung, um die Holländer zum Teufel zu jagen. Man war zu sorglos gewesen und hatte sich sicher gefühlt. Das rächte sich jetzt.

Dabei war Don Manoel nicht der Mann, der anderen nichts gönnte. Er vertrat sogar die Ansicht, daß man teilen oder untereinander festlegen sollte, wer mit welchem Handelsprodukt den Markt belieferte. Der Neid des anderen war zwar nie ganz ausgeschlossen, aber doch gemindert, wenn man nach dem Prinzip der Teilung verfuhr.

Dom Manoel war kein Konquistador. Was kriegerische Auseinandersetzungen betraf, da neigte er zu einer eher skeptischen Beurteilung. Die Geschichte hatte gelehrt, daß gewaltsame Eroberungen noch immer Gegengewalt erzeugt hatten. Es war wider die Vernunft, daß sich Menschen gegenseitig zerfleischten.

Der schlanke Mann mit dem klugen Gesicht starrte nachdenklich vor sich hin. Jetzt wurde er, der immer auf Ausgleich bedacht war, selber gezwungen, zum Mittel der Gewalt zu greifen. Nur wie?

Er blickte zum Hafen hinunter. Dort lagen Handelssegler. Gewiß, sie waren gegen Piratenüberfälle armiert, aber diese Armierung reichte nicht aus, um gegen die sechs holländischen Schiffe ins Gefecht zu gehen, die zusammen auf jeder Seite eine Feuerkraft von zweiundsiebzig schweren Stücken hatten, die Drehbassen und leichteren Stücke gar nicht mitgerechnet.

Dom Manoel rieb sich das energische Kinn und Wandte sich wieder an den Capitán. „Was nun? Haben Sie, einen Vorschlag, da Silva, wie wir diesen Burschen beikommen können?“

„Brander, Señor Gouverneur“, erwiderte da Silva. „Wir haben nachts Landwind und könnten die Feuerschiffe gut an die Sperre heranbringen. Wir verfügen noch über einige Schaluppen, die wir dementsprechend umrüsten müßten.“

„Hm, ein guter Vorschlag. Trotzdem gefällt er mir nicht. Ich habe nicht die Absicht, Männer aufzuopfern.“

Der Capitán schüttelte den Kopf. „Da muß ich widersprechen, Señor Gouverneur. Ich würde nur Freiwillige und gute Schwimmer für diese Aktion nehmen. Sie springen ab, wenn sie die Brander auf Zielkurs gebracht haben. Ich müßte mit unserem Feuerwerker sprechen und von ihm die Brenndauer der Lunten berechnen lassen. Zwar werden die Brander auch mit brennbarem Material beladen, aber sie sollen Pulverfässer ans Ziel bringen. Wir brauchen für einen solchen Angriff eine dunkle Nacht. Die Lunten, gut getarnt, werden gezündet, sobald der Brander auf Zielkurs liegt. Der Absprung der jeweiligen Steuerleute erfolgt außerhalb der Reichweite des gegnerischen Feuers.“

Der Gouverneur überlegte und sagte dann: „Betrachten wir den Branderangriff einmal als ultima ratio – als letztes Mittel, was nicht heißen soll, daß ich ihn ablehne. Sprechen Sie mit dem Feuerwerker, und lassen Sie die nötigen Vorbereitungen treffen. Ich behalte mir vor, ob und wann der Einsatz erfolgt. Vorher möchte ich natürlich genau wissen, wie diese Sache geplant wird. Sie berichten mir darüber, nicht wahr?“

„Selbstverständlich, Señor Gouverneur.“

„Gut.“ Zum ersten Male lächelte Dom Manoel verhalten. „Sie haben den Branderangriff vorgeschlagen, Capitán. Jetzt lachen Sie bitte nicht über meinen Vorschlag. Wie Sie selbst wissen, besteht die Insel Amboina aus zwei Teilen, nämlich dem nördlichen größeren Teil Hitu und dem südlichen kleineren Teil Leitimor. Zwischen beiden Teilen liegt die Bucht – im Westsüdwesten offen, im Ostnordosten geschlossen. Dort, im Ostnordosten, hängen Hitu und Leitimor zusammen, und zwar durch die ziemlich schmale und sandige Landbrücke Baguela. Wie breit schätzen Sie diesen Mini-Isthmus, Capitán?“

„Etwa fünfundzwanzig Schritte, Señor Gouverneur.“

„Schätze ich auch.“ Dom Manoel nickte. „Und die Höhe dieser kleinen Landbrücke dürfte etwa drei bis vier Fuß betragen. Wenn wir nun dort einen Durchstich vornehmen – groß genug für unsere Handelssegler –, dann haben wir einen Ausschlupf, und die Sperre der Holländer ist wirkungslos geworden. Von ihrer Sperre aus können sie auch nicht bis an das ostnordöstliche Ende der Bucht sehen, so daß ihnen verborgen bleibt, wenn wir dort Erdarbeiten vornehmen. Na, was sagen Sie jetzt, Capitán?“

Da Silva hatte verblüfft zugehört. Er war ein etwas hagerer Mann mit einem kantigen, lederhäutigen Gesicht und scharfen grauen Augen. Mit dem Gouverneur verstand er sich ausgezeichnet, so etwas wie Freundschaft – mit dem nötigen Respekt – hatte sich zwischen ihnen entwickelt. Dom Manoel versah sein Gouverneursamt mit Umsicht und klugem Geschick. Dabei war er durch und durch integer. Durchstechereien gab es bei ihm nicht. Er gehörte nicht zu jenen Beamten der spanisch-portugiesischen Krone, die ihr Amt als Pfründe zur persönlichen Bereicherung betrachteten. Alles in allem: Es war gut, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Jetzt sagte der Capitán spontan und impulsiv: „Eine geniale Idee, Señor Gouverneur – und friedlicher als ein Branderangriff.“ Dann stutzte er und fügte hinzu: „Aber wir teilen die Insel. Bisher brachten wir die Ernte drüben von den Plantagen auf Hitu über Baguela hierher zu den Lagerhäusern. Diese Verbindung ist dann unterbrochen.“

Dom Manoel deutete nach drüben zum Nordufer der Bucht und sagte: „Von dort können wir später die Ernte mit einfachen Fährschiffen herüberholen. Das ist sogar ein kürzerer Weg als im Osten der Insel über den bisherigen Landweg. Drüben am anderen Ufer müßten wir entsprechende Stege errichten. Das ist alles und wesentlich praktischer als bisher.“

„Da stimme ich Ihnen bei, Señor Gouverneur.“ Der Capitán blickte zu der schmalen Landenge hinüber, die mit Kokospalmen bewachsen war und tatsächlich erheblich niedriger lag als Hitu und Leitimor. Möglich, daß diese schmale Verbindung früher sogar überhaupt nicht vorhanden gewesen und erst allmählich durch Anschwemmung entstanden war. Das würde ihr niedriges Niveau erklären – im Gegensatz zu den beiden gebirgigen Inselteilen.

Drüben auf Hitu hatte der Salhuto sogar eine Höhe von etwa viertausend Fuß. Und hier auf Leitimor, dem südlichen Inselteil Amboinas, hatte man eine durchschnittliche Höhe über dem Meeresspiegel von etwa zweitausend Fuß gemessen.

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