Czytaj książkę: «Morde und andere Gemeinheiten», strona 3

Czcionka:

An der Theke seiner Lieblingskneipe stand Till. Er hatte schon fünf Bier intus und wurde langsam gesprächig.

„Was gibt es Neues?“, verwickelte Frank ihn in ein Gespräch. „Mist, alles ist Mist“, erhielt er als Antwort.

„Wie, alles ist Mist? Was heißt das? Pech mit Autos oder Pech in der Liebe“, versuchte Frank ihn scherzhaft aus der Reserve zu locken. Er bestellte noch zwei Kölsch.

Till schaute ihn an: „Hast du schon mal gehört, dass ich Pech mit Autos habe?“

„OK, dann Pech in der Liebe“, stellte Frank fest.

„Die Weiber sind alle gleich“, seufzte Till und kippte das Bier hinunter, „zwei Korn“, bestellte er gleich darauf über die Theke hinweg.

„Mach mal langsam, Mann“, mahnte Frank, „erzähl doch erst mal, was los ist.“

Till torkelte schon ein bisschen, Frank fasste ihn am Unterarm und dirigierte ihn zu einem freien Tisch in der Ecke. Warum er sich solche Mühe mit Till gab, wusste er eigentlich selbst nicht. Manches Mal hatte ihn sein Instinkt schon einmal auf die richtige Fährte gelockt. Und eine innere Stimme sagte ihm, bleib dran, da ist etwas im Busch. Nach einem weiteren Schnaps brach das ganze Elend aus Till heraus. Wie er Katja kennengelernt hatte, die Zeit, als sie beide zusammen waren, ihre Trennung vor einem Jahr. Bis dann dieser Scheißkerl aus Wuppertal kam, dieser Zuhälter mit seinen Geschenken und Versprechungen. Er sprach das Wort mit Bitterkeit und Hass aus. Wuppertaler? Frank horchte auf. Hatte Theo nicht auch von einem Wuppertaler gesprochen? Er bohrte nach. „Wie heißt er?“

Till wehrte ab: „Weiß ich nicht, will ich auch nicht wissen. Lass mich in Ruh, du kannst mir auch nicht helfen.“

Frank redete ihm beruhigend zu, schlug ihm vor, jetzt Schluss zu machen mit den Bierchen und nach Hause zu gehen. Till schob ihn von sich: „Geh nur, geh du nach Hause, lass mich hier, ich will noch einen trinken.“

Frank zuckte die Achseln und verließ das Lokal. Da hörte er, wie Till ihm einen Namen nachrief und grinste. Jetzt war es einfach.

Frank saß bei Uschi in der Wohnung und trank Kaffee. Er kannte Uschi von früher und wusste, sie war besser als jede Bildzeitung.

„Wo ist Katja“, wollte er wissen.

„Die Katja is oft biem Till“, antwortete Uschi, „Ik jlöv, die wullt hierooen.“

„Wieso“, wollte Frank wissen.

„Weil dä uns Jeld jelehnt hät, vill Jeld, hei mutt janz schön verdeinen. Un Katja sull joo noch ne Utbildung maaken, äwer ik mein, dä Till is ne janz juedde Partie, doo bruckt die nich noch mehr te liehren, weil …“.

Das war ja eine ganz merkwürdige Sache, dachte Frank, Till heult Katja hinterher und besäuft sich vor Kummer, und Uschi brabbelt was vom Heiraten? Da passt ja nichts zusammen. Der Sache musste er jetzt auf den Grund gehen. Sofort begab sich auf die Suche nach Katja.

November

Carsten räkelte sich im Bett: „Zeit aufzustehen“, mahnte er Sven, der seit ein paar Wochen bei ihm lebte. Sven gähnte und erhob sich langsam. „Schon wieder Montag.“ Träge schleppte er sich ins Bad. Sven war Austräger bei einem Paketversand, da musste man aufstehen, ob man wollte oder nicht. Er beneidete Carsten, der als Sozialarbeiter eine, wie er meinte, ruhige Kugel schob und dazu noch viel besser verdiente. Vielleicht kriegte er ihn doch noch dazu, ihm einen Bürojob zu verschaffen. Carsten schaute Sven beim Anziehen zu. Die Chemie zwischen beiden hatte auf Anhieb gestimmt. Sven reichte zwar an Max bei weitem nicht heran. Aber er war längst nicht so anspruchsvoll, wie Max es gewesen war. Als Sven fort war, erhob er sich und ging ins Bad. Er musste sich selbst beeilen, denn er hatte um neun Uhr sein erstes Beratungsgespräch. Als er bei der Bewährungshilfe eintraf, wurde er schon erwartet. Beim Smalltalk mit dem Kollegen erfuhr er von dem Toten, den man in der Wupper gefunden hatte. „Na, das ist ja mal eine Sensation in unserer ruhigen Stadt“, bemerkte er.

Katja hatte sich krankschreiben lassen. Sie fühlte sich so elend wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Und sie hatte Angst, dass alles herauskam. Schon zwei Tage lang hatte sie sich in ihrem Bett verkrochen und niemandem die Tür geöffnet. Auch Jasmin hatte sie nicht die ganze Wahrheit gesagt, nur so viel, wie sie glaubte, preisgeben zu können. Die Geschichte mit Paul und seinen Partys hatte sie gestanden und ihre Angst, von ihm schwanger zu sein. So sehr sie sich die Decke über den Kopf zog, die Bilder verfolgten sie unablässig.

Was war geschehen? Ihrer Mutter hatte sie gesagt, sie sei gestolpert und hingefallen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Das war doch Paul gewesen? Oder hatte er jemanden geschickt? Manchmal hatte Max bei ihm im Auto gesessen. Max, den Paul wie ein Schoßhündchen behandelte, und der manchmal mit auf den Partys war. Jetzt hatte sie von Paul schon seit Tagen nichts mehr gehört. Sollte sie sich darüber freuen? Würde noch etwas Schlimmeres passieren? Sie stand auf, ging ins Bad. Hohläugig starrte ein Gespenst sie aus dem Spiegel an. Sie hatte Durst. Als sie gerade eine Flasche Saft aus dem Kühlschrank holen wollte, klingelte es. Nein, dachte sie, ich mache nicht auf, um keinen Preis in der Welt. Nachher ist es Paul, und dann …? Trotzdem schaute sie durch den Spion und erkannte Frank vor der Tür.

„Meine Mutter ist nicht da“, wollte sie ihn abschütteln.

„Ich möchte dich etwas fragen“, gab er zurück, „mach doch mal kurz auf.“

Zögernd öffnete sie die Tür.

„Till lässt dich grüßen“, begann er noch im Flur, „er würde dich gern wiedersehen. Er macht sich Sorgen um dich.“

Sie begann zu weinen. „Das geht nicht“, schluchzte sie, „auf gar keinen Fall. Ich will ihn nicht mehr sehen.“

„Ist es wegen Paul?“, fragte er geradeheraus.

Entsetzt starrte sie ihn an. „Woher weißt du?“, flüsterte sie, „meine Mutter darf nichts davon wissen, hörst du.“

„Keine Sorge“, beruhigte er sie, „aber du weißt wohl nicht, was inzwischen passiert ist.“

Sie starrte ihn immer noch an.

„Der Mann, den sie aus der Wupper gefischt haben, ist dieser Paul gewesen.“

Ihre Gesichtszüge entgleisten völlig.

„Das, das … glaube ich nicht“, sie flüsterte immer noch, wandte sich um und rannte in die Küche, ohne ihn weiter zu beachten. Er folgte ihr und fand sie in der Küche. Die Abendsonne hüllte den schmucklosen Raum in ein freundliches Licht.

„Paul ist tot“, wiederholte er. „Till hat mir einiges über euch erzählt“, fuhr er dann ruhig fort, „aber er liebt dich trotz allem noch.“

„Till kennt Paul?“, fragte sie ungläubig.

„Er kannte ihn wohl nicht persönlich, aber er hat euch öfter beobachtet und sich dann ein bisschen schlau gemacht über die … Wuppertaler Verhältnisse.“

Sie begann wieder zu weinen. „Es war so furchtbar zum Schluss“, sagte sie, „er hat mich gezwungen …“. Es klingelte. Sie rührte sich nicht. Als es danach noch einmal klingelte, ging Frank zur Tür. Draußen stand Theo und neben ihm ein Unbekannter.

„Was machst du denn hier“, fragte Theo Frank misstrauisch.

„Wir wollen zu Katja Förster“, sagte der Fremde.

„Peter Engel und Theo Hoffmann von der Kripo Gummersbach. Wir müssen Sie zum Mordfall Paul Bockmann befragen.“

Katja erzählte alles, was sie wusste.

Dezember

Ab sofort liefen die Ermittlungen in alle möglichen Richtungen, auch die Wuppertaler Polizei wurde eingeschaltet. Man fand heraus, dass Paul nicht nur als Zuhälter in den einschlägigen Kreisen bekannt war, in seinen Wohnungen fand man auch Kokain. Neben Katja hatte er noch zahlreiche andere, sehr junge, „Freundinnen“, die er wie Katja zur Prostitution gezwungen hatte. Seine sogenannten Freunde hatten sich in alle Winde zerstreut.

Am Haus in der Klosterstraße ging die Klingel. Sven schaute durchs Fenster nach unten und rief: „Draußen steht ein Typ. Kennst du ihn?“ Carsten spähte hinunter und sah Max vor der Tür stehen. Ohne auf Sven zu achten, rannte Carsten die Treppe herunter und öffnete ihm. Als er ihn sah, blass und übernächtigt und heruntergekommen, da waren die alten Gefühle unvermittelt wieder da, so stark, so heftig, als sei Max nie gegangen. Ihm stockte der Atem, gern hätte er ihn auf der Stelle in seine Arme genommen, wenn er den Mut gehabt hätte.

„Hilf mir, ich weiß nicht, wohin.“

Ohne ein Wort zog er ihn die Treppe hinauf in die Wohnung.

„Sven, du wolltest doch einkaufen gehen. Hier ist Geld, kauf dir doch die Hose, die du in der Marktstraße gesehen hast. Die steht dir bestimmt gut. Und auf dem Rückweg bringst du noch die Lebensmittel aus dem Bioladen mit, die ich aufgeschrieben habe, bitte gleich. Ich habe eine geschäftliche Unterredung mit diesem Herrn.“ Sven starrte Max an. Das war doch niemals im Leben ein Klient. Das war eher ein … Rivale? Was sollte er aber tun? Zornig nahm er das Geld und verließ die Wohnung.

Max brach völlig zusammen, als sie allein waren. „Es tut mir so leid, dass ich dich verlassen habe für diesen, diesen … Paul, diesen Zuhälter. Hilf mir bitte. Ich brauche Geld, damit ich verschwinden kann.“

„Warum denn verschwinden?“

„Paul ist tot, man hat ihn in der Wupper gefunden. Die glauben vielleicht, ich hätte das getan, weil er so ein Schwein war.“

„Und, hast du es getan?“

„Nein, ich war es nicht, ich schwöre es. Ich habe damit nichts zu tun“, beteuerte Max.

„Aber dann brauchst du doch nicht zu verschwinden.“

„Aber ich will weg.“ Verzweiflung und Angst klangen aus seiner Stimme. Carsten überlegte nicht lange: „Bleib bei mir. Ich mache Schluss mit Sven.“

Max starrte ihn an. „Nein, das geht nicht. Ich muss weg von hier, versteh doch.“ Carsten hielt ihn fest: „Bleib doch, bitte!“ Er griff nach ihm, wollte ihn an sich ziehen, ihn streicheln, ihn besitzen, jetzt, sofort. Max wehrte seine Hand ab, schüttelte den Kopf und öffnete die Tür. „Nein!“ Carsten begriff nicht, wollte nicht verstehen. Max war wieder da, ganz nah, und wollte wieder fort? „Bitte bleib. Lass uns wieder von vorne anfangen.“ Max schüttelte erneut den Kopf, ließ sich aber erschöpft auf die Couch fallen.

„Was ist denn los?“, fragte Carsten liebevoll, „was ist passiert? Vielleicht kann ich dir helfen.“

„Paul ist ein Schwein … gewesen“, begann er, „er hat mich ausgenutzt. Mich, alle, andere Jungs und dann die Mädchen. Stell Dir vor, Mädchen hat er auch gehabt, er war bisexuell, das hätte ich nie gedacht.“ Er holte tief Luft. „Erst war er total großzügig, sogar ein eigenes Appartement habe ich gehabt, und Geld hat er mir gegeben. Dann aber …“, er zögerte, „ … dann aber zwang er mich, mit zu seinen Partys zu gehen. Was da abging, kannst du dir nicht vorstellen!“ Carsten hörte zu, gab keine Gefühlsregung preis. „Da war diese Katja, gerade achtzehn geworden. Eine ganz nette Kleine, die hat er schamlos ausgenutzt und sogar erpresst. Und als die nicht mehr wollte und weglief“, Max schluckte, „da hat er mich hinterhergeschickt, um ihr einen Denkzettel zu verpassen. Ich habe gar nicht gewusst, wie brutal ich sein kann.“ Er schluchzte auf. „Ich kann doch sonst keiner Fliege etwas zuleide tun. Dann bin ich untergetaucht. Habe mich verkrochen, wie ein Obdachloser. Bin herumgelaufen und habe nicht gewusst, wohin. In mein Appartement wollte ich nicht zurück aus Angst vor Paul. Dass er tot ist, habe ich erst in einer Kneipe erfahren. Ich möchte bloß wissen, wer das getan hat!“ Carsten nahm ihn in die Arme. „Du bleibst hier. Wegen Sven überlege ich mir was. Mach dir keine Gedanken. Aber zuerst nimmst du mal ein Bad.“ Max umarmte Carsten dankbar.

Heiligabend

Till klingelte an Katjas Wohnungstür. Uschi öffnete und strahlte, als sie Till sah. „Do beste jo, schön, dann kumm ens ren.“ Katja kam aus der Küche, stockte, als sie Till sah und wandte ihr Gesicht ab. „Katja, komm“, bat Till, „es ist doch alles gut. Ich habe immer darauf gewartet, dass du zurückkommst.“ Uschi staunte, begriff nicht. „Wieso“, fragte sie, „was heißt das, zurückkommen?“ Till beruhigte sie: „Wir hatten uns ein bisschen gezankt, aber jetzt ist alles wieder gut.“ Da strahlte sie wieder: „Jetzt ist Weihnachten, kommt, feiern wir zusammen. Ich habe immer gehofft, ihr hättet dieses Jahr schon geheiratet. Na egal, dann feiern wir eben im neuen Jahr.“

„Mama“, staunte Katja, „seit wann kannst du Hochdeutsch?“

Silvestervormittag

Carsten und Max beschlossen, im Hansecafé zu frühstücken und anschließend zusammen einkaufen zu gehen. Sven war sofort ausgezogen, als ihm klar wurde, dass Kämpfen keinen Sinn machen würde. Im Café suchten sie sich einen Tisch, an dem sie ungestört sein konnten. Leise unterhielten sie sich und planten ihre Zukunft. „Du machst jetzt erst mal dein Studium fertig“, Carsten wollte Max davon überzeugen, es sei besser, das Jurastudium fortzusetzen. Er würde ihm dabei helfen. Max nickte, entschuldigte sich und stand auf, um die schmale Wendeltreppe zu den Toiletten hinunter zu gehen. Am Eingang stieß er mit Katja und Till zusammen, die gerade das Lokal betraten. Seit dem verhängnisvollen Abend auf dem Hausmannsplatz hatte er Katja nicht mehr gesehen. Sie starrte ihn an und wollte sich rasch an ihm vorbeidrücken. „Entschuldigung“, murmelte Max und machte ihr Platz.

„Wer war das“, fragte Till, als sie beide an einem Fenstertisch Platz genommen hatten. Katja schwieg lange, dann sagte sie: „Das ist Max, der war ein Lover von Paul, er ist jetzt wohl wieder mit Carsten zusammen. Von dem hat mir Max mal erzählt, als ich mit ihm in Pauls Wohnung allein war. Es hat ihm bald schon leid getan, dass er sich von Paul hat umgarnen lassen.“

Hast du der Polizei auch davon erzählt?“

„Nein“, entgegnete Katja, „der hat ja mit dem Mord nichts zu tun.“

Till schüttelte zweifelnd den Kopf. „Die haben bis heute aber nicht herausgefunden, wer es war.“

„Ach“, sagte Katja, „lass uns über was anderes reden. Ich bin so froh, wieder bei dir zu sein.“

Ein Tag nach Neujahr

In der Klosterstraße klingelte es an der Haustür. Max schaute hinunter. „Draußen stehen zwei Männer“, berichtete er Carsten, der noch einige Tage Urlaub hatte. „Mach auf“, rief er aus der Küche zurück. Er stand am Herd und bereitete das Essen für beide zu. „Carsten komm bitte mal an die Tür“, rief Max, „ich glaube, die Herren wollen zu dir.“

„Peter Engel von der Kripo Gummersbach und mein Kollege Theo Hoffmann. Wir müssen Sie zum Mordfall Paul Bockmann befragen.“ Carsten erstarrte, dann drehte er sich um, und rannte los, an ihnen vorbei auf den Flur und die Treppe hinunter. Die Männer rannten hinter ihm her, doch er stolperte und stürzte die restlichen Stufen hinab. Unten vor der Haustür blieb er besinnungslos liegen.

Nachdem er aus seiner Ohnmacht erwacht war und die Ärzte eine schwere Gehirnerschütterung festgestellt hatten, konnte Carsten einige Tage später befragt werden. Er gestand den Mord an Paul. Er sagte aus, dass er herausgefunden hatte, wo Max abgeblieben war, wo er wohnte, und dass er oft mit nach Wipperfürth fuhr, um Katja abzuholen. Wie er beobachtet hatte, wie Max hinter Katja her lief und sie niederschlug. Wie Max dann über die Wupperbrücke wegrannte, Paul auf den Platz kam und sich an der Putscherfigur über Katja beugte. Wie er dann Angst bekam, dass Paul das Mädchen jetzt umbringen würde. Wie er seinen Beobachtungsposten verließ und Paul angriff, mit ihm kämpfte und ihn schließlich niederschlug, so dass Paul mit dem Kopf auf die Figur prallte und dann noch einmal auf dem Sockel aufschlug. Wie er ihn hinüber zur Wupper zerrte und ihn von der rechten Seite über die Mauer ins Wasser warf. Wie er versuchte, die Spuren zu verwischen und wegrannte, ohne sich noch einmal umzusehen.

Sobald er transportfähig war, wurde er in ein Gefängniskrankenhaus gebracht. Max besuchte ihn noch einige Male, dann begann der Prozess, an dem Max als Zeuge teilnehmen musste. Katja zeigte ihn nicht an.

Erst als Carsten wegen Mordes verurteilt wurde, trennte sich Max von ihm. Für immer.

Die Autorin: Christine Kaula

Christine Kaula lebt in Wipperfürth und ist nach 45-jähriger Berufstätigkeit in der Industrie und später im Verlagswesen inzwischen im Ruhestand. Hier hat sie das geschriebene Wort wieder ganz neu entdeckt. Einige Beiträge hat sie inzwischen veröffentlicht. Zahlreiche Kurzgeschichten hat sie bereits bei Lesungen vorgetragen.

Irmgard Hannoschöck

Die Porzellanmalerinnen

Einführung: Paula und wie sie die Welt sieht

„So, ich muss jetzt los“, ruft Ulla ihr von der Tür aus zu.

„Was, jetzt schon?“ Paula Petrova schaut irritiert auf ihre Armbanduhr.

„Ja, ich hab doch diesen Zweitjob angefangen in Hückeswagen, im Haus Hammerstein. Von hier aus ist es ein Stück bis dahin, gerade bei den ganzen Baustellen im Oberbergischen.“

Paula kann es nicht fassen. „Was? Da putzt du? Na, du hast Nerven.“

Ulla schüttelt verständnislos den Kopf. „Häh? Wieso?“

Paula stemmt die Hände in die Hüften. „Na … weil da mal zu Kriegszeiten einiges so gar nicht astrein gelaufen ist, Ulla. Sag mal, liest du auch mal ein Buch oder die Zeitung, oder so? Und dann hat es doch da diesen mysteriösen Mord gegeben, der erst Jahrzehnte später aufgeklärt wurde … wobei, ob der wirklich aufgeklärt wurde, weiß ich gar nicht so genau …“

Die Geschichte

Mein Unfall war Glück im Unglück. Das merkte ich, als mir der Arzt, kaum war der Gips von meiner gebrochenen Hand ab, Krankengymnastik und Lymphdrainage verschrieb. Die bekam ich in einer der besten Physiotherapie-Praxen in ganz Hückeswagen – nämlich in der von Herrn Sbai am Etapler Platz. Diana, die mich immer an die bezaubernde Jeannie erinnerte, war dort für die Lymphdrainage zuständig. Diese Massage konnte einen ganzen Wellnessurlaub ersetzen. Wäre da nicht Herr Sbai gewesen. Jedes Mal im Anschluss an ihre Massage machte er sich an den steifen Fingern meiner linken Hand zu schaffen und war manchmal knapp davor, vor lauter Schmerzen meine rechte Faust zu kassieren. Bei ihm lernte ich was fürs Leben: richtig hart zu kämpfen.

Die Zeit flog nur so dahin, wenn ich von Diana behandelt wurde, denn in der Nachbarkabine wurde immer zur gleichen Zeit eine ältere Dame von Herrn Sbai wegen ihrer neuen Hüfte behandelt. Sie erzählte in einem fort, und wir hörten ihr alle gebannt zu. Nach der Aldi-Geschichte war auch ich ihr Fan.

Frau Hasenclever, so hieß die alte Dame, war früher verheiratet und hatte einmal zwei Hühner: ein schwarzes und ein weißes. Das schwarze Huhn hieß „Katholisch“ und das weiße Huhn „Evangelisch“. Ich komme aus der Großstadt, wo mir Hühner fremd waren außer als Hühnerfrikassee, und von daher habe ich die Geschichte nicht so ganz verstanden. Auf jeden Fall schob ihr Mann den beiden Hühnern Eier von einem Discounter unter den Hintern und heraus kam ein Küken, das „Aldi“ getauft wurde und ziemlich bescheuert war. Kein Wunder.

War Herr Sbai sonst daran interessiert, meine steifen Finger immun gegen eine Folter durch die chinesische Mafia zu machen, so wurde seine Stimme nebenan bei Frau Hasenclever so weich wie Honig. „Erzählen Sie weiter“, forderte er sie auf. Und dann begann sie, über ihre Vergangenheit zu reden.

„Wissen Sie, Herr Sbai, ich habe ursprünglich im „Adler“ in Hinterzarten im Südschwarzwald meine Ausbildung als Hotel- und Gaststättengehilfin gemacht. Das sagt Ihnen vielleicht nichts, aber das war schon damals eines der besten Hotels in ganz Deutschland, ein richtiges Traditionshaus. Vier Jahre nach dem Krieg war ich mit meiner Ausbildung fertig. Ein Jahr später habe ich Frau und Herrn Kaufmann kennengelernt, die auf der Suche nach Personal für ihr „Hotel Haus Hammerstein“ waren. Frau Kaufmann hat mich regelrecht abgeworben. Sie hatte gesehen, wie ich im Adler aufgetreten bin – meine Manieren, mein Umgang mit den Gästen. 1950 sollte ja der Betrieb dort richtig losgehen. Sie haben sich in den besten Häusern in ganz Deutschland persönlich umgesehen. Von Anfang an hatten sie den Grundsatz: kein Personal aus Hückeswagen. Die hätten ja alles, was bei uns oben in Dürhagen los war, in der Stadt breitgetreten und dann wäre Hammerstein nicht das geworden, was es war. Niemals. Ich hatte den Eindruck, dass sie so wenig wie möglich mit den Hückeswagenern zu tun haben wollten. Gut, es war unvermeidlich, dass unsere Nachbarn uns mit Kartoffeln belieferten. Das wäre zu umständlich gewesen, die auch noch aus Hamburg zu beziehen, aber den Fisch zum Beispiel für unsere berühmte Seezunge Walewska haben wir aus Hamburg angeliefert bekommen. Ein Anruf reichte, und am nächsten Tag konnten wir alles vom Bahnhof Krähwinkel abholen. Ja, und als ich zugesagt hatte bei den Kaufmanns, bin ich auch an dem kleinen Bahnhof Krähwinkel angekommen.

Als ich aus dem Zug stieg, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass da irgendwo ein Luxushotel sein könnte. Dann ist der Privatchauffeur von den Kaufmanns vorgefahren und hat mich in das Märchenschloss gefahren. Die beiden Jungs der Kaufmanns erinnerten mich immer an kleine Prinzen.“ Frau Hasenclever geriet ins Schwärmen.

„Viele Jahre habe ich oben in Dürhagen gewohnt, denn als unverheiratete Frau bekam man wegen der Wohnungsnot in Hückeswagen überhaupt keine Wohnung. Die Leute haben ja damals alle aufeinander gehockt. Also blieb mir eh nichts anderes übrig, als mir in Dürhagen bei einem Bauern ein Zimmer anzumieten. Im Winter war man in Dürhagen ganz schön aufgeschmissen, wissen Sie. Bis da die Straßen geräumt waren! Damals kamen die Gäste mit ihren Sommerreifen oft nicht den Berg hoch. Dann hat Frau Kaufmann die Küchenjungen, die die Köche entbehren konnten, runter geschickt, und die haben sich dann in den Kofferraum gesetzt, damit der Wagen hinten schwerer wurde und besser den Berg rauf kam. Runter kamen die aber immer.“ Frau Hasenclever fing an zu kichern. „Hier unten in der Stadt lebt es sich viel bequemer. Alle Einkaufsmöglichkeiten liegen hier jetzt vor meiner Haustür, der Kaufpark, Aldi …“ Herr Sbai griff ein. Dieser Alltagskram interessierte ihn nicht im Mindesten. Er forderte sie auf, sich umzudrehen und kam dann noch mal auf die Nachkriegszeit zurück.

„Was war denn das Besondere an Haus Hammerstein?“

„Hammerstein war bei Leuten von Rang und Namen unheimlich beliebt. Das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen. Wer da bei uns alles ein und aus ging: Karel Gott, Anneliese Rothenberger, dann die ganzen Industriellen, die bei uns logiert haben, ausländische Gäste, Juliette Greco. Gustav Gründgens hat sogar bei uns gewohnt und hatte eine eigene Telefonleitung. Als wir die genehmigt bekamen, hat uns Herr Kaufmann eine Runde Champagner ausgegeben, so ein Ereignis war das. Was hatten wir zu tun! Sie glauben nicht, wie viel Silber wir geputzt und Gläser poliert haben für die großen Tafeln. Das ganze Geschirr musste zentimetergenau auf dem Tisch liegen. Jeder Stuhl, jede Serviette war exakt ausgerichtet. Darauf hat die Hauptserviererin ganz pingelig geachtet. Das kann man sich als Otto Normalbürger ja gar nicht vorstellen, der ab und an mal in der Stadt essen geht, was da für eine Arbeit drinsteckte, bis das alles bei uns perfekt da stand. Das war eine Choreographie, sage ich Ihnen. Das ist wie beim Fernsehballett. Udo Jürgens ist ja letztens gestorben. 17 Jahr, blondes Haar …“

Diana und ich wollten gerade losprusten, als Herr Sbai Gott sei Dank einen wunden Punkt bei Frau Hasenclever erwischte, und so hörte sie augenblicklich auf, dieses furchtbare Lied zu singen. Herr Sbai fragte sie dann nach ihren Eindrücken zum letzten Auswärtsspiel des VfL Gummersbach. Diana und ich verdrehten die Augen. Herr Sbai war von einer stringenten Gesprächsführung manchmal weit entfernt. Wir flehten wie ein Pantomimenduo, dass er sich nochmal für uns ins Zeug legen möge. Aber Herr Sbai wusste, dass Frau Hasenclever ihre Schmerzen schnell vergessen würde, wenn er mit ihr über Handball sprach. Frau Hasenclever biss an. Diana und ich knurrten in unserer Kabine und redeten über das kommende Altstadtfest.

Bei meinem nächsten Dienstagtermin lag ich entspannt auf der Liege und genoss die sanften Hände von Diana. Herr Sbai besprach gerade mit Frau Hasenclever ein Thema, das irgendwas mit Porzellan zu tun hatte. Worüber Männer berufsbedingt reden können, wundert mich immer wieder, und ich stellte mir vor, wie Herr Sbai mit seiner Frau nach der Arbeit genauso über Porzellan redet und sie sich fragt, ob irgendwas mit ihrem Mann los ist. Frau Hasenclever kam in Fahrt und erzählte uns von ihrem Indisch-Malkurs in Lennep. Wir erfuhren, dass man dort lernte, wie man feine Blütchen und Blättchen auf Porzellan malt. So wie auf den Oma-Services.

„Und in dem Kurs reden wir dann immer von früher. Wissen Sie, wir drei sind alte Freundinnen seit unserer Zeit im ‚Hotel Haus Hammerstein’“, berichtete Frau Hasenclever, und Herr Sbai bedauerte, dass er zu diesem Hobby leider keine Zeit fände. Er sei immer bis spät abends in seiner Praxis und seine zehn Fußballfreunde würden dann auf ihn warten.

„Auf mich wartet niemand, mal abgesehen von ein paar Leuten aus dem Pfarrcäcilienchor, in dem ich mitsinge“, seufzte ich innerlich. Diana musste das irgendwie mitbekommen haben, denn sie fragte mich, ob es mir gut ginge. Ich schaute sie an und nickte. Als Diana fertig war, wartete ich darauf, dass Herr Sbai zu mir in die Kabine kam und mir das Kämpfen beibrachte.

Zu Hause gab ich „Porzellanmalerei“ und „Lennep“ in eine Suchmaschine ein und wurde fündig. Erika Bemme gibt schon seit 1989 Kurse in Indisch-Malerei. Wäre das nicht großartig? Wenn ich bei ihr einen Kurs mitmachen würde, könnte ich noch mehr Geschichten von früher hören. Ich würde mitten im Geschichten-Eldorado leben, wohingegen mein eigenes Leben überhaupt nichts hergab. Natürlich rief ich sofort Frau Bemme an und bekam einen freien Platz schon für morgen in der „Mittwochsgruppe“, wenn ich gewillt war, mit drei betagten Damen zusammen zu sein. Ich jubelte. Noch wusste ich nicht, ob Frau Hasenclever auch dabei wäre, aber in solchen Dingen war ich normalerweise ein Glückspilz. Leider vergaß ich, dass es auch Giftpilze gibt.

Ich wusste nichts über Porzellanmalerei. Ich hatte noch nicht einmal Verwendung für neues Porzellan, denn ich hatte alles, was ich benötigte, und mehr zu haben, überstieg meine Vorstellungskraft. Da ich mich für chinesische Kampfkunst interessiere, nahm ich mir vor, einen Teller mit einem Drachenmotiv zu bemalen. Notfalls könnte ich den dann Herrn Sbai schenken, der ein Fan von Bruce Lee war.

Am nächsten Tag erschien ich pünktlich um 15 Uhr zum Indisch-Malkurs und befand mich in einer faszinierenden Welt voller chinesischer Drachen. Drei ältere Damen saßen bereits oben im Atelier und bemalten kunstvoll Tassen, Teller und Kaffeekannen. Frau Bemme erkundigte sich nach meinen Wünschen, suchte mit mir eine geeignete Porzellanschale aus, erklärte mir die Farben und den Umgang mit dem Pinsel und redete mir das Drachenmotiv aus, das ich mir vorgestellt hatte. Das sei nur Könnern vorbehalten. Von Können war ja bei mir gar nicht die Rede. Mir blieb nichts anderes übrig, als ein einfaches Motiv zu malen.

„Wo waren wir denn stehen geblieben, Lisbeth?“, nahm eine Weißhaarige den Gesprächsfaden wieder auf, aber Lisbeth war gerade mit einem Auerhahnmotiv so beschäftigt, dass sie die Weißhaarige gar nicht zu bemerken schien. Konzentriert malte sie an einer Kralle, sah dann auf und sagte, während sie ihr Werk begutachtete: „Ach ja, wir waren bei der Sache mit dem Luftschutzbunker bei den Kaufmanns. Du weißt doch wie das ist, wenn man im Luftschutzkeller sitzt. Da schwört man sich alles Mögliche, wenn man bloß überlebt, bis der Krieg zu Ende ist. Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder so hungern will. Was haben wir in der Zeit nach dem Krieg gehungert. Das war ja sogar noch schlimmer als im Krieg. Gut, dass dein Vater Koch war, nicht wahr, Ruth?“

„Ja, da sagst du was Wahres, Lisbeth“, stimmte sie zu. Lisbeth und Ruth also.

„Hoffentlich ist die dritte Frau die Frau Hasenclever von nebenan?“, flehte ich innerlich. Die kleine alte Frau pinselte gerade an einem Zweig mit Kastanien und malte pingelig jeden einzelnen Stachel. Nun mischte sie sich endlich in die Konversation ein.

„Und warum sollen sich der Herr Kaufmann und der Rudi Behrend im Luftschutzbunker nicht geschworen haben, aus Hammerstein ein Luxushotel zu machen?“ Das war die Stimme von Frau Hasenclever. Mein Herz fing an, vor Glück doppelt so schnell zu schlagen.

„Gertrud, du glaubst immer noch den Blödsinn, den uns Rosa weismachen wollte. Meinst du nicht, dass man weiß Gott andere Sorgen hat, wenn man im Bunker sitzt, als die Planung von einem Luxushotel mit Marmorbädern? Und außerdem: Man munkelt, dass da oben nur einmal ein Bombeneinschlag war, und dabei soll noch nicht einmal viel passiert sein.“

„Ja, was meinst du denn, warum die Kaufmanns ihre Freunde nach Hammerstein eingeladen haben? Da konnten sie ihre Leute aus Remscheid in Sicherheit bringen. Ihr wisst doch ganz genau, wie es in Remscheid aussah nach dem Krieg. Die ganze Stadt lag doch in Schutt und Asche“, sagte Gertrud.

„Woher weißt du das denn so genau mit den Freunden von den Kaufmanns?“, fragte Lisbeth gereizt.

„Das weißt du sehr genau!“ Gertrud sprühte Gift.

„Mein Vater hat auch solche Geschichten erzählt“, warf Ruth ein und lenkte die Blicke auf sich.

„Dein Vater hat schon damals viel erzählt, Ruth“, mischte sich Lisbeth wieder ein. „Der hat sich doch sowieso nur wichtig machen wollen. Was hat der denn in der Küche bei der vielen Arbeit schon mitbekommen? Oder hat er etwa eine ruhige Kugel geschoben und Anneliese Rothenberger auf den Arsch geschaut, wenn sie am Küchenfenster vorbeilief?“ Lisbeth lachte breit und schaute Ruth an, die eine eingeschnappte Schnute zog. „Ach was. Wenn ihr mich fragt, dann hat Rosa das Gerücht in Umlauf gebracht. Sie oder diese Sozibande da oben in Dürhagen.“

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