Czytaj książkę: «Dann stirb doch selber»
Von Dagmar Isabell Schmidbauer
Dann stirb doch selber
Kriminalroman
Imprint
Dann stirb doch selber
Dagmar Isabell Schmidbauer
published by: epubli GmbH, Berlin
Copyright: © 2003 Dagmar Isabell Schmidbauer
Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de
Prolog
Angst und Verzweiflung drangen von heute auf morgen in mein ruhiges Leben ein und wenn ich mich richtig besann, dann nahm alles mit dieser verfluchten Wette seinen Anfang.
Neun Monate gaben wir uns Zeit, so lange, wie eine Frau braucht, um ein Kind auszutragen. Im Grunde ging es ja auch um nichts anderes. Harry wollte ein Kind von mir und er musste beweisen, dass er es wert war.
Freitag 16.8.
1. Szene
„Hallo, Magdalena!“ Luigi führte alle fünf Fingerspitzen seiner rechten Hand an die Lippen, küsste sie stellvertretend für mich und sandte sie mir dann durch die Luft entgegen. Ich musste lächeln, es war immer das Gleiche. Neben ihm auf der Theke stand ein Stapel Pappschachteln. Ich hatte meine Bestellung telefonisch vom Büro aus aufgegeben.
„Wer ist der Glückliche, der heute mit dir speisen darf?“ Sein Deutsch war perfekt, der Akzent fast schon wieder antrainiert.
Wie immer ließ ich ihn zappeln. „Harry!“
„Magnifico, weiß der Mann überhaupt, was für ein Glück er hat?“
„Er weiß es und er trägt mich auf Händen, Luigi!“, bestätigte ich, wie immer.
Luigi machte ein schrecklich gefährliches Gesicht. „Wenn nicht, komme ich vorbei und bringe ihn um, sag ihm das!“ Im Geiste hatte ich seine Worte mitgesprochen, es war ein Ritual. Mit unterdrücktem Lächeln nickte ich, zahlte und griff nach meinen Schachteln.
Es war kurz vor sechs, als ich die Haustür aufschloss. Harry war noch nicht da, aber noch dachte ich an nichts Schlimmes, balancierte vorsichtig mein Abendessen durch die Eingangstür, klemmte mir die Post unters Kinn und stieg die Treppe zu unserer Wohnung hinauf.
Der Tag war heiß und die Sonne hatte unsere Wohnung in einen Backofen verwandelt. Hastig riss ich die Fenster auf, zog Rock und Jacke aus, rollte die Strumpfhose herunter und stellte mich unter meine wohlverdiente Dusche. Endlich Freitag, dachte ich, ließ das Wasser lang und angenehm über meinen Körper laufen und schloss die Augen. Eine schreckliche Woche lag hinter mir. Die Hitze klebte in allen Poren und machte die Menschen aggressiv. Harry war nur noch selten zu Hause, und wenn, war er nicht ansprechbar. Jeder von uns hatte seine Arbeit, aber es war einfach zuviel für eine gute Beziehung.
Nur mit einem flauschigen Handtuch um den Körper begann ich den Tisch zu decken. Von Harry keine Spur. Er hatte versprochen, heute früher nach Hause zu kommen, um mit mir etwas zu feiern. Mit einem satten Plopp zog ich den Korken aus der Weinflasche und ließ sie atmen. Er hatte mir nicht gesagt, worum es geht, aber er schien sehr zuversichtlich. Ich polierte die Weingläser noch einmal, richtete das Besteck und legte Streichhölzer für die Kerzen bereit. Dann ging ich ins Schlafzimmer und streifte mir mein leichtes Sommerkleid über. Harry liebte luftige Kleider, er fand sie so herrlich erotisch, am liebsten ohne Slip!
Am Morgen war Harry früh zu einem Kunden gefahren. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fast acht, verdammt, wenn er nicht bald kam, war die Lasagne verdorben. „Magdalena, ich kann dir nichts versprechen, aber ich tu mein Bestes und ich tue es für uns!“, hatte er gesagt, was immer ich mir darunter vorstellen sollte. Vorsichtig mischte ich den Salat. Kochen war nicht meine Stärke, das überließ ich gerne Luigi, denn der verwendete nur frische Zutaten, und das zahlte sich jetzt aus.
Wieder lief ich ans offene Fenster und sah hinaus. Die Vorhänge bauschten sich, ein erfrischendes Lüftchen war aufgezogen. Im Hof standen nur mein Golf und ein paar Kübel mit Tomatenpflanzen, deren Blätter zu viel Sonne abbekommen hatten. Unruhig lief ich im Zimmer auf und ab. Aus eigener Kraft wollte ich etwas erreichen, Karriere machen um jeden Preis. Ich hatte es geschafft, mein Chef brauchte mich, aber ich wusste auch, was mir wichtig war, was ich auf keinen Fall aufgeben wollte. Harry! Er war der Mann, mit dem ich mein ganzes Leben teilen wollte.
Als es dämmerte, zündete ich die Kerzen an und setzte mich in einen Sessel vor den Kamin. Die Stimmung im Raum vertiefte meine Melancholie, erschöpfte meinen Körper, bis ich endlich sein Auto hörte. Langsam stand ich auf, zog meine Lippen nach, bürstete meine Haare und zerstäubte ein unwiderstehliches Parfüm auf meiner Haut. Ein letztes Mal überprüfte ich den Tisch, dann lief ich barfuß die Treppe hinunter, um ihm entgegen zu gehen.
Harry hatte sein Auto in der Verlängerung der Werkstatteinfahrt geparkt, ich hörte ihn rumoren, konnte ihn aber nicht sehen. Die spitzen Steinchen im Hof reizten mich nicht, zu ihm hinüber zu laufen, also blieb ich stehen, wartete und erschrak, als der Motor plötzlich aufheulte und gleich darauf Harrys Wagen an mir vorbeifuhr. Auf dem Beifahrersitz konnte ich einige blonde Haarsträhnen erkennen, die rechts und links neben der Kopfstütze flatterten. „Harry, was soll das!“, schrie ich hinter ihm her. Der Wind wurde stärker, verschluckte meinen hilflosen Schrei. Ein Gewitter lag in der Luft.
Mit gerafftem Kleid rannte ich die Treppe hinauf, schnappte mir Autoschlüssel und ein paar Schuhe und schon war ich wieder unten. Harry war ein forscher Fahrer, doch zu meinem Glück gab es auf der Vornholzstraße zahlreiche Hindernisse. Ich fuhr schneller als sonst, ignorierte alle Bedenken, riskierte fast zu viel. Vor Rasern sollten die bepflanzten Kübel die Kinder schützen, jetzt hoffte ich, keines würde dahinter Verstecken spielen.
Die Vornholzstraße war lang, reichte von den Feldern im Norden bis zur Spitalhofstraße an ihrem südlichen Ende. Dort, an der Einmündung, erkannte ich Harrys Wagen an seiner großen roten Aufschrift. Er bog nach links ab, wollte zur Franz-Josef-Strauß-Brücke, und ich gab Gas, weil ich sehen wollte, was es mit dieser Fahrt auf sich hatte.
Der Wind frischte auf, drückte zur offenen Scheibe herein und wirbelte meine Haare durcheinander. Für einen Moment sah ich nichts mehr und wäre an der ersten Ampel nach der Brücke beinahe auf einen Transporter geknallt, der sich vor meinen Golf drängelte.
Bisher hatten mich Harrys Fahrten kaum interessiert, und nachgefahren war ich ihm auch noch nie, Ehrenwort! Aber bisher hatte ich auch noch nie das Gefühl, er wolle etwas vor mir verbergen. Außerdem interessierte es mich brennend, was das Blondhaar auf seinem Beifahrersitz zu suchen hatte.
Endlich wechselte der Transporter die Spur und ich konnte gerade noch erkennen, wie Harry weit vor mir auf die Straße nach Regen einbog. Die Ampel sprang auf Rot. Ich wartete und sah, wie immer mehr Autos hinter Harry herfuhren. Mutlos trat ich aufs Gas, aber mein Golf fuhr einfach nicht schnell genug, und jedes Auto, das mich überholte, vergrößerte die Distanz zwischen uns.
Unterdessen hatte der Wind weiter zugenommen und wirbelte immer mehr Staub auf. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich auch heute Überstunden gemacht hätte, dachte ich kurz, aber da schob sich eine andere Frage in mein Bewusstsein: Wohin wollte Harry eigentlich?
Die Autos vor mir wurden langsamer, es schien, als wollten sie mir eine Chance geben, doch dann leuchteten die ersten Warnblinklichter auf. Gleich darauf standen wir.
Aus und vorbei, dachte ich und schloss kurz die Augen. Das Beste, was ich jetzt machen konnte, war nach Hause zu fahren und dort auf ihn zu warten, vor allem wäre es für meine Selbstachtung gut. Stattdessen stand ich in der Schlange und sah von der Donau erlösende Gewitterwolken heranziehen, die in wenigen Minuten den Himmel schwarz färbten. Gespenstisch sah das aus. Ich schaltete das Radio ein. Es knackte laut, als der erste Blitz vom Himmel schoss und der Donner prompt antwortete. Dann war es wieder ruhig und ich legte den Kopf nach hinten. Harry hatte gewusst, dass ich zu Hause war, selbst wenn er mich nicht gesehen haben sollte, mein Golf stand auf dem Parkplatz. Warum war er trotzdem davongefahren?
Aus weiter Ferne hörte ich ein Martinshorn, gleich darauf noch eines. Es hatte also wieder einmal jemanden erwischt. Und dann fragte ich mich, warum sie sich nicht wenigstens geduckt oder ihre Haare zusammengebunden hatte. Mussten sie mir so wehtun?
Als es nach einer kleinen Ewigkeit weiterging, stand auf unserer Spur ein Streifenwagen, der Verkehr wurde über die Gegenfahrbahn geleitet. Das Blinklicht auf dem Dach des Krankenwagens prallte wie eine stumme Mahnung von der Brückenunterseite zurück.
An den Pfeiler der Brücke schmiegte sich ein Auto mit zusammengefalteter Kühlerhaube. Nur die rote Aufschrift schien unversehrt. Der Fahrer war viel zu weit auf den Standstreifen gefahren. Er musste abgelenkt worden sein, kein Mensch fährt so weit nach rechts. Ich folgte dem Winken des Polizisten und kurbelte mein Fenster herunter. „Was ist denn passiert?“, fragte ich, setzte zu einem Rechtfertigungsversuch an, wollte ihm klar machen, dass ich auf keinen Fall hier weg konnte. Dann begann ich zu zittern. Ein greller Blitz erhellte sein Gesicht, als er mich genervt zurückwies. „Fahren Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen!“ Das Donnergrollen zog über mein Auto. Ich hatte nicht mehr die Kraft, etwas entgegenzusetzen. Auf Gaffer sind die Ordnungshüter nicht gut zu sprechen. Obwohl ich doch wirklich einen Grund hatte.
Er saß noch im Auto. Sein Oberkörper war über das Lenkrad gebeugt. Neben dem Wagen stand ein Sanitäter, er hatte das Fenster eingeschlagen, unternahm aber nichts. Aus dem vorgebeugten Kopf floss ein dünnes, rotes Rinnsal, fast nicht zu erkennen. Noch einmal warf ich einen Blick hinüber. Der Fahrer bewegte sich nicht mehr. Ich schluckte, versuchte meine Tränen wegzublinzeln. Er hatte es so eilig gehabt. Kraftlos folgte ich den anderen Autos. Hinter mir wurde bereits gehupt. Keinen interessierte das Schicksal des anderen. Regen setzte ein. Unbarmherzig, als wolle er ganz schnell alle Spuren beseitigen!
2. Szene
Magdalena
Niemals hätte ich geglaubt, was mir die Polizisten später erzählten, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.
Als ich unsere Wohnung endlich erreicht hatte, versuchte ich noch immer mir einzureden, dass ich mich getäuscht haben musste, dass es nicht Harry war, der in diesem Auto am Brückenpfeiler saß, mit geöffneten reglosen Augen und einer Blutspur an den Schläfen. Aber es wollte mir nicht gelingen. Ich sah aus dem Fenster in die Nacht und versuchte mir ein anderes, ein schöneres, ein lebendigeres Bild von Harry vorzustellen. Eines, auf dem er lacht. Fast wäre es mir gelungen, doch dann klingelte es an der Tür, und als ich aufmachte, räusperten sich zwei verlegene Polizisten. Der eine war kräftig und groß und trug seine Uniform voller Stolz. Der andere wirkte beinahe lächerlich neben ihm, und das lag nicht nur an seinen blassroten Haaren und dem spärlichen Bartflaum. Beiden sah ich an, dass sie diesen Job nicht gerne machten. Sie suchten nach Worten, die sie nicht finden konnten, weil sie Harry nicht gekannt hatten, und ich wusste auch nicht, was ich an ihrer Stelle gesagt hätte, außer: „Es tut mir leid!“
Ich versuchte mich zu sammeln, spielte weiterhin die Kühle, die das alles nichts anging, wollte es nicht glauben, nicht wahrhaben und sah meinen einzigen Ausweg in der Flucht, genau wie Harry machte ich mich vor der Wahrheit aus dem Staub. Ich begann zu schreien und nahm die folgende Dunkelheit als dankbare Erlösung an!
Samstag 17.8.
3. Szene
Magdalena
Mit dem Gefühl, es gäbe mich nicht mehr, wachte ich am nächsten Tag auf, öffnete vorsichtig die Augen und sah aus dem Fenster. Die Sonne schien mit letzter Kraft zu mir herein. Ich hatte lange geschlafen, weil mein Kopf sich weigerte, das Geschehene zu verstehen. Die apfelgrünen Vorhänge rechts und links der großen Sprossenfenster waren zurückgebunden. Über meinem Körper lag eine leichte Sommerdecke, schwarzweiß kariert. Wie mein Denken. Harry! Tapfer versuchte ich, nicht zu weinen. Wie oft hatten wir in diesem Bett gelegen und gelacht oder uns geliebt. Harry war so feinfühlig, so phantasievoll, einfach wunderbar! Kaum sah ich ihn vor mir, schon huschte ein winziges Lächeln über mein Gesicht. Doch mein Körper war nur noch eine leere Hülle, liegen gelassen und vergessen an einem Platz, an den er einmal gehört hatte. Mein Kopf lag in den Kissen und mein Blick war starr an die Decke gerichtet. Dort tanzten meine Gefühle herum. Der bohrende Schmerz in meinem Körper war allgegenwärtig, schien von nirgendwoher zu kommen und wollte nirgendwohin. Er blieb, wie ein Anhängsel, das sich einfach nicht mehr verscheuchen ließ.
Der Blick auf meinen Wecker wurde von einem halbvollen Wasserglas und einem braunen Pillenglas verstellt. Ich überlegte, wie die Sachen dorthin gekommen sein konnten. Es hatte mit den Polizisten zu tun. Sie hatten Sylvia geholt und die hatte nichts Besseres gewusst, als gleich ihren Chef zu alarmieren. Seine Haare waren viel zu kurz und zu blond, sein Gesicht schrecklich braun und die Falten viel zu tief für seine jugendliche Aufmachung. Sein Poloshirt war ein wenig verschwitzt, vielleicht kam er vom Sport, aber das teure Rasierwasser überdeckte jeden Geruch. Ich hatte jedes Detail an ihm registriert, nur um nicht an Harry denken zu müssen. Und dann hatte er gelächelt, mit seinen wunderbaren Zähnen. Dritte Generation. Sylvia lief die ganze Zeit um ihn herum, und er sagte, er wolle mir eine Spritze geben, damit ich zur Ruhe käme. Dankbar sah ich ihn an, doch, er sollte mir ruhig eine Spritze geben und dann gehen, und Sylvia sollte er am besten gleich mitnehmen, sonst käme sie nur noch auf die Idee, uns etwas Schönes zu kochen.
Ich stand auf und sah aus dem Fenster. Die Wolken, die das Gewitter gestern mitgebracht hatte, waren fast alle verschwunden. Wahrscheinlich war es den ganzen Tag schön. Einfach so, als ob nichts geschehen wäre. Von unten hörte ich keinen Laut, die Jungs hatten Ferien.
Unsere Wohnung war ein neu gestaltetes Loft im oberen Stock einer alten Fabrik. Die Werkräume wurden zur Wiedereingliederung junger Leute ins Berufsleben genutzt. Das hörte sich toll an und manchmal klappte es auch.
Auf der Straße fuhren sporadisch Autos vorbei und im Hof radelte Anna mit ihrem neuen Fahrrad. Als es laut krachte, wusste ich, worum es sich handelte. Sie hatte mal wieder die Müllcontainer hinten in der provisorischen Überdachung angefahren.
Auf einmal hielt ich es nicht mehr aus.
„Harry!“, rief ich in die leere Wohnung. Meine Stimme klang rau und brüchig und wenig charmant, aber es war einfach gut, seinen Namen zu rufen. „Harry!“, versuchte ich es gleich noch einmal, ohne auf eine Antwort zu hoffen. Und dann weinte ich und in Gedanken hörte ich meine Mutter sagen: „Weine nur, viel mehr können wir jetzt sowieso nicht machen. Die Leute werden uns aus dem Weg gehen und wie Aussätzige behandeln!“ Daraufhin hatte ich sie ungläubig angesehen. Ich hatte doch nichts verbrochen, warum sollten die Leute das tun?
Langsam ging ich in die Küche, zum Kühlschrank, um mir etwas anderes als dieses fade Wasser, das noch immer neben meinem Bett stand, zu holen. Ich nahm ein Weinglas, warf ein paar Eiswürfel hinein und schenkte Cola drauf, natürlich light. Seit ich Harry kannte, machte ich Diät und quälte mich mit der Vorgabe, endlich abzunehmen und mich nicht von seinen Fressorgien anstecken zu lassen. Harry hatte einen so wunderbaren Körper.
... Eins, zwei, drei, Cha-cha, vier, fünf, sechs, Cha-cha. Frau Heidinger war irgendwo am Rande des Saales und zählte laut vor. Wir standen uns gegenüber, nur eine Armlänge von einander entfernt, nahmen Haltung an und begannen leise mitzuzählen. Ich musste lächeln, wieso hatte er ausgerechnet mich ausgewählt? Auf seiner Brust klebte ein Schildchen mit seinem Namen. Harry! Eins, zwei, drei, Cha-cha, vier, fünf, sechs, Cha-cha. Es waren viele nette junge Leute da, aber keiner schien mir so begehrenswert wie dieser Harry! „Wie wäre es mit uns, Magdalena?“, hatte er gefragt und meine Stimme hatte sich fast überschlagen, als ich „Ja gerne!“ antwortete. Eins, zwei, drei, Cha-cha, drehen, drehen, drehen, Cha-cha. An seiner Hand tänzelte ich herum und landete wieder in seinem Arm. Es war so wunderbar, wie er mich führte und ich mich hingab, und ich hoffte nur, dass keiner auf die Idee kam jetzt nach einer Pause zu schreien.
Zwei Stunden später liefen wir über einen holprigen Feldweg und lachten und zählten noch immer: Eins, zwei, drei, Cha-cha, vier, fünf, sechs, Cha-cha. Auf einmal blieb er stehen, zog mich an sich und küsste mich. Einfach so, ohne zu fragen und ganz wider die feine Etikette. Pfui Teufel, was würde Frau Heidinger jetzt wohl sagen, wenn sie uns sehen könnte, dachte ich und schloss dabei die Augen. Ich reckte mich ihm entgegen, weil er so gut roch und so gut schmeckte und weil er viel größer war als ich. Es war eine wunderbar mondlose Nacht, wie geschaffen, um ein glückliches Paar vor den Augen der Welt zu verstecken.
Harry nahm mich auf seine Arme und trug mich über eine kleine Brücke, bis zu einer Hütte mitten im Wald. Er ließ mich den Schlüssel aus der Dachrinne fischen und stellte mich erst im Inneren der Hütte wieder auf die Beine. Neugierig sah ich mich im Schein einiger Kerzen um. Es gab einen Schrank mit Geschirr, einen großen, massiven Tisch mit Stühlen und einen Nebenraum. Dort stand ein Bett, groß und einladend. Abwartend blieb ich stehen. „Hast du mich deshalb hergebracht?“, fragte ich und zeigte mit dem Kopf zum Bett.
„Nein, natürlich nicht!“ Er sah sehr ernst aus. „Ich wollte dir nur meine Hütte zeigen!“
Nach dieser schamlosen Lüge trat er einen Schritt auf mich zu, schob seine Hände in meinen Rücken und zog mich gierig an sich. Ich schloss die Augen, spürte wie der Reißverschluss meines Kleides geöffnet wurde und seine Hände meine nackte Haut streichelten. Dagegen blieb seine Zunge beinahe schüchtern in meinem Mund. Mit meinen Händen versuchte ich mich am Tisch abzustützen, aber es war zwecklos. Harry war viel stärker als ich. Er drückte mich nieder und streifte mir dabei mein Kleid vom Körper. Es war ein herrliches Beben, das meinen Körper durchdrang und ihn leicht und frei zurückließ.
Auch Harry hatte sich ausgezogen, nicht ganz, aber es genügte. Und endlich sah ich, was meine Hände bereits während der Tanzstunden erkundet hatten. Ein Männerkörper ohne Wenn und Aber. Er war wunderschön und ich wollte ihn nie wieder hergeben! ...
Mit dem Cola-Glas in der Hand ging ich zu einem der Sessel vor dem Kamin, die mit Tigerfellimitat bezogen waren, und setzte mich. Das hier war mein Lieblingsplatz, und wenn ich irgendwo die Erinnerung an unser erstes Treffen ertragen konnte, dann hier. Der Kamin stammte aus einem französischen Herrenhaus, und im Winter brannte oft ein Feuer darin. Gedankenverloren drehte ich den Stiel des Glases hin und her und sah die dunkle Flüssigkeit herumschwappen. Ich legte die Füße auf den zweiten Sessel und schloss die Augen. Bevor ich Harry kennen lernte, hatte ich mit Männern immer nur versucht, Liebe zu machen! Ich hatte zärtliche Umarmungen und geraubte Küsse genossen, ohne zu ahnen, wie herrlich hemmungsloser Sex sein konnte. Von diesem Tag an war ich für alle Softies für immer verloren. Erst Harry gab mir, was ich brauchte. Quälend zarte Berührungen und gleich darauf fordernde, wilde Küsse, geflüsterte Drohungen und geschriene Versprechen.
... Er drückte mich nieder, um mich endlich zu nehmen und zog mich dann doch noch einmal kraftvoll nach oben: „Komm, wir tanzen Tango!“ Harry lächelte dieses Lächeln, das ich fortan nicht mehr aus meinem Kopf bekommen konnte, ging in Tanzposition und zog mich an seinen Körper. Nackt und heiß summte er die Melodie. Immer enger bewegten sich unsere Körper, Haut an Haut. Ich fühlte ihn bei jeder Bewegung kommen und gehen. Er führte mich mit leichter Hand, weil ich einfach nicht von ihm lassen konnte. Frau Heidinger hätte ihre wahre Freude an uns gehabt, außer vielleicht, wenn sie gewusst hätte, wie ruchlos wir ihn interpretierten. Aber der Tango ist nun einmal ein ruchloser Tanz, und daher landete ich bei der letzten Drehung auf der Tischplatte. Bäuchlings. Harry packte mich von hinten, drückte meine Beine auseinander und drang tief in mich ein. Ich stöhnte laut auf. Nie zuvor hatte ich eine derart heiße Nacht erlebt.
Ich fühlte, wie er sich zwang innezuhalten, wollte protestieren, konnte es aber nicht, weil er mir die Hand auf den Mund legte, bis ich ganz still hielt und mich nicht mehr rührte. Erst dann löste er den Griff und fuhr mit einer schier unerträglichen Sanftheit die Konturen meines Gesichtes nach. Über das Kinn bis zum Hals, wo er kurz anhielt und sich mit seinen Lippen zu meinem Ohr herunterbeugte.
„Schön brav sein, sonst...“, er fasste meinen Hals fester und drückte kurz, aber heftig zu. Bevor ich in Panik geraten konnte, hatte er schon wieder losgelassen. Ein heißer Schauer durchzog meinen Körper und die folgende Sanftheit machte alles noch viel schlimmer. Noch nie hatte ein Mann derartige Spielchen mit mir gespielt ...
Bei dem Gedanken daran zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ich war tatsächlich erregt. Beinahe konnte ich ihn spüren, und das machte mich verlegen, weil ich vielleicht nicht an so etwas denken sollte, jetzt, wo Harry tot war. Aber andererseits würde es nie wieder einen Mann wie Harry für mich geben, da war es doch nur recht, wenn ich mich noch sehr lange an ihn und seine Leidenschaft erinnern konnte!
Auf einmal liefen mir die Tränen über die Wangen. Die Cola in meiner Hand war ganz warm geworden und schmeckte scheußlich. Cola Light kann man nur eisgekühlt trinken. So wie man nur in ganz heißen Nächten stilvoll Tango tanzen kann. Krampfhaft hielt ich mich an meinem Glas fest. Es war so schön gewesen damals, dass es ein ganzes Leben gereicht hätte, dachte ich und drückte fester, weil es jetzt ein ganzes Leben reichen musste.
Harry war tot, lag auf einer kalten Bahre, in einem sterilen Raum. Ich wollte es mir nicht vorstellen, ebenso wenig wie ich es sehen wollte. Auf einmal zersprang das Glas in meiner Hand und Blut tropfte in meinen Schoß. Hastig sprang ich auf, lief ins Bad, drehte das kalte Wasser auf und ließ es mir über die Wunde laufen, bis die Blutung nachließ.
Der Innenarchitekt hatte einen Traum entworfen und dabei weder an Material noch an Ideen gespart. Wände und Badewanne waren mit portugiesischem Estremonzmarmor verkleidet und rund um das Fenster waren Schränke eingebaut. Aus dem großen goldbelegten Spiegel schaute mir mein trauriges Gesicht entgegen. Ich ging näher heran. Irgendwie wirkte alles so unpersönlich, so fremd. Meine Augen waren rotgeweint, die Wangen hohl, der Mund hing schlaff nach unten. Ich zwang mich zu einem Lächeln. Harry würde es nicht gefallen, wenn er mich so sehen könnte. Mit Hilfe einer Pinzette entfernte ich zwei kleine Glassplitter. Dann wickelte ich ein frisches weißes Handtuch um die Wunde und setzte mich auf die Stufen, die die Badewanne umgaben. Auf der breiten Ablage dahinter stand eine Vase mit roten Rosen und einige Duftkerzen.
Die Badewanne war so groß, dass zwei Erwachsene ohne Probleme darin Platz fanden, vorausgesetzt, sie wollten nicht auf Distanz gehen. Ich schaute zu Boden. Die Fransen der hellen Badematte waren zerzaust, ich bückte mich und zupfte sie zurecht. Danach durchwühlte ich die Wohnung. Ich musste etwas finden, das sich festhalten ließ und mir irgendwann die Frage beantwortete: Was war schief gelaufen in unserer Beziehung?