Czytaj książkę: «Steirerland», strona 2

Czcionka:

Sandra schmunzelte einmal mehr über die unverblümte Art der Kollegin, die sie durchaus zu schätzen wusste. Auch wenn es oftmals besser gewesen wäre, vorher zu denken und nachher zu sprechen und nicht umgekehrt. »Schon gut, ich kenne diese Weisheit. In einem gewissen Alter muss man sich entscheiden: entweder fürs Gesicht oder für den Hintern«, zeigte sie sich versöhnlich, obgleich sie nicht gedacht hatte, dass sie mit ihren 34 Jahren schon zu dieser Altersgruppe zählte. Aus Sicht der 23-jährigen Miriam wohl aber doch.

Zum Glück hatte sich Bergmann inzwischen dem In­spektionskommandanten zugewandt, sodass ihr ein Kommentar aus seinem Mund wenigstens erspart blieb. »So schnell sieht man sich also wieder«, sprach er ihn an.

»Leider«, meinte der Uniformierte, sichtlich betroffen.

»Das hast du hoffentlich nicht persönlich gemeint. Oder, Stöckler?« Bergmann grinste ihn an, die Daumen im Hosenbund eingehakt.

»Was? Nein. Ich hab den Mord gemeint«, beteuerte der Landpolizist mit unverändert ernster Miene. »Glaubst du, das war derselbe Täter, der den Haselbacher Markus auf dem Gewissen hat?«

»Wenn es kein Nachahmungstäter war, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass der Mörder des Jungwinzers noch einmal zugeschlagen hat. Ist in den letzten Tagen bei euch jemand als vermisst gemeldet worden?«

Stöckler seufzte. »Nicht bei uns. Aber in Leibnitz. Eine Musikgruppe namens ›Trio fatal‹ hat ihren Akkordeonspieler als vermisst gemeldet. Der Mann ist seit Mittwoch abgängig. Die Burschen hätten dort ein Konzert geben sollen. Am Abend zuvor haben s’ das letzte Mal im Kulturhaus in Straden aufgespielt.«

»Volksmusik?« Bergmann verzog das Gesicht, als würde ihm allein der Gedanke an dieses Musikgenre Schmerzen bereiten.

»Nein, leider nicht. Im Kulturhaus spielen s’ meistens Jazz. Das ist nix für mich.«

»Über Geschmack lässt sich nun mal nicht streiten«, ätzte Bergmann.

Stöckler schien seinen sarkastischen Tonfall gar nicht wahrzunehmen. »Mir sind die Kabarettabende dort eh viel lieber. Wir ham ja in unserm Beruf eher wenig zum Lachen. Überhaupt in letzter Zeit«, meinte er.

»Humor ist, wenn man trotzdem lacht«, erwiderte Bergmann süffisant.

Auch dieser Kommentar prallte an Stöckler ab. Von dem Stoiker konnte sie sich noch einige Scheiben abschneiden, stellte Sandra voller Bewunderung fest.

»Habt ihr ein Foto von dem Vermissten? Und seine Daten?«, kam Bergmann zur Sache.

»Hier ist sein Steckbrief. Wir haben ihn im Einsatzwagen für euch ausgedruckt.«

Bergmann und Sandra studierten gemeinsam den Zettel. Die braunen lockigen Haare stimmten mit jenen der Leiche überein, wenngleich sie auf dem Foto etwas kürzer geschnitten waren. Das geschätzte Alter kam ebenfalls hin. Der abgängige Christian Maric hatte am 13. August dieses Jahres seinen 28. Geburtstag gefeiert, der leider auch sein letzter gewesen sein dürfte. Die Beschreibung der Kleidung, die der Tote zuletzt getragen hatte – eine schwarze Hose, ein schwarzes Hemd und ein ebenfalls schwarzes Samtjackett, dazu knöchelhohe graue Sneakers – passte ebenso.

»Gut. Wir kümmern uns dann um alles Weitere. Wo ist denn die Zeugin, die die Leiche gefunden hat?«, fragte Bergmann.

»Bei der Zeugin handelt es sich um die Krenn Waltraud«, erklärte Stöckler den Ermittlern nichts Neues. »Ich hab sie vor einer halben Stunde gehn lassen. Sie war ein bissl groggy und wollt lieber aufm Koglerhof auf ihre Einvernahme warten. Ist ja nimmer die Jüngste, die Traudl. Aber Arzt wollt sie partout keinen haben.«

»Und wo ist dieser Hof?«

Stöckler drehte sich um und deutete zur Anhöhe. »Gleich hinter dem Acker rechts die Kurve hinauf. Nach den Hollerbüschen ist der Koglerhof. Er g’hört der Josefine, die Traudl … die Frau Krenn ist ihre Taufgodl.«

»Ich nehme mal an, das soll Taufpatin heißen«, sagte Bergmann.

»Genau.«

»Von Josefine Kogler«, sagte Bergmann und war drauf und dran, sich den Namen zu notieren.

»Aber nein«, unterbrach Stöckler ihn. »Kogler ist der Vulgoname.«

Sandra und Miriam grinsten einander an.

»Ihr immer mit euren komischen Vulgonamen. Als ob man sich nicht so schon viel zu viele Namen merken müsste«, beschwerte sich der Chefinspektor aus Wien, der lange genug in der Steiermark ermittelte, um an diese ländliche Sitte gewöhnt zu sein.

»Die Josefine heißt Haselbacher mit Nachnamen. Sie ist Schweinebäuerin, baut aber auch Holler und Marillen an«, sagte Stöckler.

»Haselbacher? Wie der tote Winzer?«

Stöckler nickte. »Er war ihr Cousin.«

»Ach so, verstehe. Jeder mit jedem …« Einmal mehr war es Bergmann, der nun grinste, »… verwandt, meine ich.«

»Das macht das Namenmerken doch wiederum um einiges einfacher für dich«, stichelte Sandra.

Bergmann steckte Notizblock, Stift und Steckbrief in die Innentasche seiner Jacke. »Wo steht dein Wagen?«

»Den Feldweg hinunter, dann links. Wir können aber auch den Abstecher zurück durch den Wald nehmen«, meinte Sandra.

Bergmann schüttelte den Kopf und deutete zu einem zivilen Wagen in der Reihe. »Miriam fährt uns zu diesem Hof hinauf. Und nach der Einvernahme zu deinem Auto.«

Sandra starrte ungläubig den schwarzen Audi an. »Wir haben einen neuen Dienstwagen?« Kaum zu fassen, dass der alte VW-Passat in ihrer Abwesenheit gegen einen funkelnagelneuen A6 eingetauscht worden war.

»Da siehst du mal, was dir alles entgangen ist«, meinte Bergmann. »Servus, Stöckler«, verabschiedete er sich vom Inspektionskommandanten.

Der hob seine Hand gemächlich an den Kappenrand. »Pfiat eich«, grüßte der Landpolizist die drei Ermittler aus der Landeshauptstadt und ließ seinen Arm ebenso langsam wieder herabsinken.

4.

Schnüffelnd streckte Bergmann die Nase in die Luft, kaum, dass er aus dem Wagen ausgestiegen war. »Da stinkt’s ja gar nicht mal so arg.«

Sandra wusste, dass der Chefinspektor um Landwirtschaftsbetriebe, die Tiere hielten, nicht nur aus olfaktorischen Gründen einen möglichst großen Bogen machte. »Was ist mit deiner Katzenhaarallergie?«, erkundigte sie sich grinsend.

»Wie weggeblasen. Auch meine anderen Allergien. Seit unserem letzten Fall im Mürzer Oberland. Obwohl ich es ja selbst kaum glauben kann …«

Sandra erinnerte sich noch gut an die Tropfen, die Bergmann einer blinden Naturheilerin abgekauft hatte. Dass diese anscheinend nachhaltig gegen seine Allergien wirkten, überraschte auch sie.

»Die Schweine sind dort oben. Und der Wind kommt aus der anderen Richtung«, sagte Miriam, die wie Sandra auf dem Land aufgewachsen war. Wenngleich die Seiferts in der Oststeiermark keine Vieh-, sondern Apfelbauern waren, war Miriam mit der Natur und mit landwirtschaftlichen Betrieben aller Art bestens vertraut. Den neuen Holzbau mit den vergitterten Seitenwänden und dem Freigelände davor, der etwas abseits auf der anderen Straßenseite lag, hatte sie auf den ersten Blick als Schweinestall identifiziert, auch wenn sich die Tiere vermutlich drinnen in den schattigen Bereichen aufhielten und aus dieser Entfernung nicht zu erkennen waren. Dass die anderen Gebäude des bunt zusammengewürfelten Hofensembles aus früheren Jahrhunderten stammten, verrieten die verschiedenen Baustile. Der hintere Teil des alten gemauerten Schweinestalls war ziemlich verfallen. Der große Schuppen, in dem Sandra landwirtschaftliche Geräte und Fahrzeuge vermutete, war in einem etwas besseren Zustand. Dazwischen watschelte eine Gruppe schnatternder Gänse, die in wenigen Tagen ihren Lebenszweck erfüllt haben und als schmackhafte Martinigansln im Rohr landen würden.

Die drei LKA-Ermittler strebten auf den modernen Anbau aus Glas und Holz zu, der sich kontrastreich, aber durch die Edelrostfassade doch harmonisch, an das zweistöckige ältere Haupthaus anfügte. Dessen Dachgeschoss war anscheinend im Zuge der letzten Renovierung ausgebaut worden. Wie der neue Schweinestall trug auch der Zubau die Handschrift eines zeitgenössischen Architekten. Über dem Glasportal prangte der Schriftzug ›Kogler Hofladen‹, der in eine Blende aus Edelrostmetall gestanzt war.

»Das Geschäft ist geschlossen«, stellte Bergmann fest, nachdem er vergeblich versucht hatte, die Glastür zu öffnen.

»Ist ja auch Sonntag«, sagte Sandra und trat neben ihm an die Scheibe heran, die im gleißenden Sonnenlicht die Umgebung reflektierte. Um die Spiegelungen weitgehend abzuschirmen, legte sie beide Händen an ihre Wangen und ans Glas an und erhaschte so einen Blick ins Ladeninnere.

»Ganz schön stylish, die Hütte«, hörte sie Miriam hinter ihrem Rücken sagen.

Dasselbe galt auch für drinnen. In den Regalen und auf dem Verkaufstisch reihten sich größtenteils weiß etikettierte Schraubgläser und Flaschen fein säuberlich aneinander. Die lange Kühlvitrine unterhalb des Verkaufspultes war unbeleuchtet, weshalb ihr Inhalt nicht zu erkennen war.

»Hübscher Laden. Alles sehr ansprechend und appetitlich arrangiert«, stellte Sandra fest, ehe sie sich wieder den Kollegen zuwandte.

»Versuchen wir’s mal im Wohnhaus«, schlug Miriam vor.

5.

Die junge Frau, die den LKA-Ermittlern die Tür öffnete, warf auf den ersten Blick alle Klischees über den Haufen, die man landläufig mit einer Schweinebäuerin assoziierte. Ihre langen, schlanken Beine und die schmalen Hüften steckten in hautengen dunkelblauen Stretchjeans. Über dem hellgrauen T-Shirt trug Josefine Haselbacher eine grobmaschige graumelierte Strickweste, die gleichermaßen schick wie lässig an ihr wirkte. Die Naturschönheit mit den braunen Augen und den glänzenden dunkelbraunen Haaren, die am Oberkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, hätte vermutlich auch in einem Jutesack eine blendende Figur abgegeben – bei dem Gardemaß, das ihr schlanker, aber athletischer Körper aufwies. Sie überragte selbst Miriam, die filigraner gebaut war als sie, um zwei bis drei Zentimeter. Sandra fühlte sich mit ihren 1,70 Metern wie ein Zwerg zwischen den beiden jungen Frauen, jenseits der 1,80 Meter.

Dass Bergmann die Landwirtin eine Spur zu lange anstarrte, fiel hoffentlich nur Sandra auf. Das Einzige, was bei näherer Betrachtung den Beruf dieser Frau verriet, waren die rauen Hände mit den kurz geschnittenen Fingernägeln, die an Arbeit sichtlich gewöhnt waren. Die lange, schmale Form der Finger hätte wiederum zu einer Künstlerin gepasst. Aber womöglich steckte eine solche auch noch in dem Mädchen, ging es Sandra durch den Kopf.

»Die Frau Krenn wartet in der Stubn auf Sie«, bat Josefine Haselbacher sie mit klarer Stimme und regional gefärbtem Dialekt herein. Im Haus war Bellen zu hören. Und eine dunklere laute Frauenstimme, die dem Hund befahl, endlich still zu sein.

Waltraud Krenn blieb auf der Eckbank sitzen und hielt den kläffenden weiß-grauen Terrier-Mischling am Halsband zurück. »Jetzt halt’s doch zamm!«, schimpfte sie. »Der Lumpi tut Ihnen nix«, wandte sie sich an die Besucher. »Er will Sie nur begrüßen. Dann gibt er eh gleich wieder Ruh.«

»Lassen Sie ihn doch einfach los«, sagte Bergmann, ehe der Rüde auf ihn zustürmte, um sich von ihm seine Streicheleinheiten zu holen. Bei Hunden kannte der Chefinspektor keine Berührungsängste, wusste Sandra. Ebenso wenig wie sie. Nur bei Deutschen Schäferhunden war sie vorsichtig, was am hohen Risiko-Index dieser Rasse lag. Kampfhunde hin oder her, keine Rasse biss so häufig zu wie der Deutsche Schäferhund, was einschlägige Statistiken immer wieder belegten. »Du hast den Toten also gefunden«, sprach sie den drolligen drahthaarigen Hund an, der ihr nicht einmal bis zu den Knien reichte, und ließ ihn an ihren Fingern schnuppern. Dann setzte sie sich wie die beiden Kollegen zu Frau Krenn an den Tisch. Das Tier entspannte sich und machte zu Füßen seines Frauchens Platz. Nur Josefine lehnte noch immer mit verschränkten Armen am Türrahmen, als überlege sie, ob sie in der Stube bleiben oder diese verlassen sollte.

»Wir waren am Feldweg spazieren, ausnahmsweise ohne Leine«, erzählte die ältere mollige Frau mit den kurz geschnittenen weißen Haaren. »Ich weiß eh, dass das eigentlich verboten ist, aber …«

»Da sehen Sie mal, wozu sowas führen kann«, unterbrach Bergmann sie. »Das erste Mordopfer, Markus Haselbacher, war ein Verwandter von Ihnen?«, sprach er Josefine unvermittelt an. Die stutzte kurz, ehe sie seiner Aufforderung folgte und sich zu ihnen gesellte.

»Ein entfernter Verwandter«, sagte sie im Hinsetzen. »Der Markus war mein Cousin dritten Grades. Unsere Urgroßeltern waren Geschwister.«

»Trotzdem warts ihr doch recht eng miteinander«, sagte Waltraud Krenn.

»Na ja, er war ja auch mein Lieferant, Traudl«, stellte Josefine klar. »Einer von mehreren. Und ich bin nicht die Einzige, die seinen Wein in ihrem Laden verkauft. Neben meinen und vielen anderen Produkten aus der Region«, sagte sie zu Bergmann gewandt. Mit gesenktem Blick fuhr sie fort. »Sein Tod hat mich natürlich getroffen. Er war ein lieber Kerl, der Markus. Und ein aufstrebender Jungwinzer – Silberberg-Absolvent … Für meinen Geschmack war sein Grauburgunder der beste von allen, und in ein paar Jahren hätt er das Weingut und den Buschenschank von seinem Vater übernehmen sollen.«

Bergmann nickte wissend.

Sandra ging davon aus, dass der Chefinspektor die Biografie des ersten Mordopfers soweit kannte. Im Gegensatz zu ihr. Solange sie nicht auf dem aktuellen Ermittlungsstand war, hielt sie sich lieber im Hintergrund und hörte aufmerksam zu.

»Ja, das war er«, bestätigte Frau Krenn. »Ich hab ihn wie die meisten Kinder hier auf die Welt g’holt. Früher war ich nämlich Hebamme. Schrecklich, dass bei uns so was passieren muss. Und dann auch noch gleich zweimal hintereinander … Nie im Leben hätt ich mir das gedacht. Wer tötet denn so junge Menschen? Und schneidet ihnen Körperteile ab?« Die bisher so resolut wirkende Frau biss sich auf die Lippen, um gegen ihre Tränen anzukämpfen.

Demnach waren dem ersten Opfer auch die Hände abgetrennt worden, schloss Sandra aus ihren Worten. Oder hatte Waltraud Krenn andere Körperteile gemeint?

»Beruhig dich, Traudl. Wart, ich hol dir frische Taschentücher.« Josefine erhob sich. »Mag vielleicht jemand einen Kaffee? Oder was anderes?«, fragte sie in die Runde. »Allerheiligenstriezel wär noch da.«

Bergmann und Miriam nahmen das Kaffeeangebot an. Sandra begnügte sich mit einem Glas Wasser.

»Die Josefine ist mein Patenkind«, erzählte Frau Krenn, inzwischen wieder gefasst, während die junge Frau im Küchenbereich der Stube mit der Kaffeemaschine hantierte. »Sie ist so ein tüchtiges Dirndl. Hat den Hof bald nach der Landwirtschaftsschule von ihrem Onkel Josef übernommen. Nachdem er mim Traktor tödlich verunglückt ist. Der Sepp, ihr Opa, kann sich ja leider um nix mehr kümmern. So, wie der beinander ist.«

»Traudl, es geht hier nicht um mich oder um den Hof«, unterbrach Josefine die Frau aus der anderen Ecke des Raumes.

»Ja leider.« Bergmann räusperte sich. Hatte er das eben wirklich gesagt? »Also von vorn, Frau Krenn«, fuhr er fort. »Wann genau haben Sie heute Morgen die Leiche gefunden?«

»Das muss gegen halb zehn gewesen sein. Ich hab nicht auf die Uhr gschaut. Der Lumpi war auf einmal futsch. Ich hab ihn im Wald bellen gehört. Also bin ich hinterher und hab ihn dann im Graben gefunden, neben dem Mann, der dort unten auf dem Bauch gelegen ist. Mir war sofort klar, dass der keinen Arzt mehr braucht. Drum hab ich gleich 133 gewählt. Zum Glück hab ich mein Handy dabeigehabt.«

»Das solltest du immer mitnehmen, wenn du allein spazieren gehst. Für Notfälle …« Josefine stellte das Tablett mit den Getränken, einigen Scheiben des Allerheiligenstriezels und einer Butterdose auf dem massiven Holztisch ab. Dann zog sie eine Packung Taschentücher aus der Westentasche und reichte sie ihrer Taufpatin.

»Dank dir schön, mein Herzl. Ich hab ja eigentlich gehofft, dass es für mich keine Notfälle mehr gibt, nachdem ich zu keinen Geburten mehr muss.« Waltraud Krenn schnäuzte sich lautstark, während Bergmann den Zucker in seinen Kaffee rieseln ließ. Miriam goss Milch in die handbemalte Keramiktasse und nahm ebenfalls einen Schluck.

»Wenn das so weiter geht, kann man sich bei uns ja bald nimmer aus dem Haus trauen«, fuhr Frau Krenn mehr ärgerlich als ängstlich fort, während sie ihren Striezel dick mit Butter bestrich.

Falls sie es tatsächlich mit einem Serienmörder zu tun hatten, passte eine ältere Dame wie Waltraud Krenn wohl kaum in dessen Beuteschema, überlegte Sandra. In beiden Fällen waren junge Männer ermordet und verstümmelt worden. So viel hatte sie inzwischen mitbekommen. Dennoch war es zu früh, um das Gefahrenpotenzial für andere Bevölkerungsgruppen abschätzen zu können.

Bergmann stellte seine Kaffeetasse ab. »Haben Sie den Toten schon einmal gesehen, als er noch gelebt hat?«, fragte er.

»Ich weiß nicht. Von hinten hab ich ihn nicht erkennen können«, meinte Frau Krenn kauend.

»Sie haben seine Position also nicht verändert?«

»Nein.«

»Und auch nichts aus seinen Taschen entwendet?«

Waltraud Krenn schluckte den Bissen in ihrem Mund hinunter. »Wie bitte? Na hearn S’, Sie ham vielleicht Nerven …«

»Reine Routinefrage«, unterbrach Sandra die aufgeregte Frau.

»Ich glaub, ich bin im falschen Film.« Waltraud Krenn lehnte sich erschöpft zurück.

Langsam drehte Bergmann sein Kaffeehäferl auf der Untertasse einmal um die Achse, als wolle er das Blumendekor auf Fehler überprüfen. »Sagt Ihnen der Name Christian Maric etwas?«, fragte er, ohne aufzublicken.

»Maric? Ich kenn einen Buchhändler in Leibnitz, der so heißt. Aber sein Vorname ist Thomas. Der versorgt mich immer mit Kriminalromanen. Die les ich am liebsten. Nur nix Skandinavisches, das ist mir zu düster …« Waltraud Krenn biss erneut von ihrem Stollen ab. Dass sie nun selbst als Zeugin in einen Kriminalfall verwickelt war, schien ihren Appetit nicht zu beeinträchtigen. »Ich bin öfter in Leibnitz. Meine Schwester lebt seit 35 Jahren dort«, erklärte sie mit vollem Mund.

»Und Sie?«, wandte sich Bergmann an Josefine.

»Ich nicht. Ich hab leider wenig Zeit zum Lesen. Wenn, dann bestell ich meine Bücher im Internet. Das ist praktischer.«

»Ich meinte eigentlich, ob Sie einen Herrn Maric kennen«, sagte Bergmann, ungewohnt geduldig.

Josefine lachte auf. »Ach so, entschuldigen Sie bitte … Nein, ich kenn keinen Maric. Weder einen Christian noch einen Thomas«, antwortete sie.

»Ist Maric der Name von dem Toten im Wald?«, erkundigte sich Waltraud Krenn, noch immer kauend.

»Das müssen wir erst überprüfen«, blieb Bergmann vage. »Wann haben Sie Markus Haselbacher denn zum letzten Mal lebend gesehen?«

»Beim Erntedank-Brunch in Neusetz. Am 20. Oktober«, war sich Waltraud Krenn sicher. »Das hab ich aber schon letztens Ihren Kollegen gesagt.«

»Es wurden über 80 Leute befragt, an deren Aussagen ich mich beim besten Willen nicht lückenlos bis ins kleinste Detail erinnere«, meinte Bergmann. »Und wann haben Sie Ihren Cousin zuletzt gesehen, Frau Haselbacher?«

»Auch bei diesem Sonntagsbrunch«, sagte Josefine. »Zwei Tage später hätte er uns Wein liefern sollen. Da war er aber schon tot.«

»Und verraten Sie mir bitte noch einmal, wo Sie beide am Abend des 20. Oktober waren? Zwischen 19 und 22 Uhr?«

»Daheim«, meinte Waltraud Krenn.

»Kann das jemand bezeugen?«

»Nein. Ich bin Witwe und leb allein mit dem Lumpi.« Der letzte Bissen vom Germgebäck verschwand in ihrem Mund.

»Und Sie?«

»Ich war auch daheim.«

»Wann sind Sie nach Hause gekommen?«

»Zwischen 15 und 16 Uhr«, antwortete Waltraud Krenn und wischte ihre Finger mit der Serviette ab.

»Auch so um diese Zeit herum. Leider taugt mein Opa als Zeuge nix«, sagte Josefine.

»Der Sepp ist dement«, fügte die ältere Frau hinzu.

»Verstehe. Und wo waren Sie von Dienstag auf Mittwoch dieser Woche?«

»Zu Hause«, wiederholte Frau Krenn.

»Da war doch dieses Jazzkonzert …«, überlegte Josefine laut.

»Genau. Waren Sie dort?«

»Ja.«

»Allein?«

»Ich bin allein ins Kulturhaus und allein wieder nach Hause gefahren. Vor dem Konzert hab ich ein paar Leute dort getroffen und mit ihnen geplaudert.«

Sandra notierte sich die Namen. »Und nach dem Konzert?«

»Bin ich gleich gegangen, weil ich nochmal nach dem Opa schauen wollt.«

»Wer arbeitet denn sonst noch bei Ihnen auf dem Hof?«, fragte Bergmann weiter. »Sie können das alles doch unmöglich allein schaffen. Die Schweinezucht, das Obst, der Laden …«

»Nicht zu vergessen meine eigenen Produkte«, sagte Josefine nicht ohne Stolz. »Die meisten Ideen sind auf meinem Mist gewachsen. Wie das Sugo vom Wollschwein oder die Wollschweintrüffeln. Der Vater hilft mir bei den Rezepten. Er ist Fleischhauer in Straden und für die Veredelung zuständig.«

»Sie züchten Mangalitza-Schweine«, meldete sich Miriam erstmals zu Wort.

»Ja. Ich hab auf Mangalitza-Haltung umgestellt, nachdem ich den Hof vom Onkel übernommen hab. Das ist eine alte, robuste Fettschweinerasse, die wegen der früher beliebteren Fleischschweinerassen hierzulande beinahe ausgestorben wär. Mit dem dichten Haarkleid und der dicken Speckschicht können sich die Wollschweine, wie sie auch genannt werden, das ganze Jahr über im Freien aufhalten. Anders als die üblichen Schweinerassen, die im Winter draußen erfrieren und im Sommer einen Sonnenbrand nach dem andern kriegen täten. Langsam ist diese Rasse wieder im Kommen. In der Region sind es inzwischen vier Landwirte, die Wollschweine züchten. Ab und zu werden auch Turok-Schweine mit höherem Muskelanteil eingekreuzt, um die Fleischqualität zu verbessern.«

»Deine Qualität hat aber auch ihren Preis«, warf Waltraud Krenn ein.

»Billigfleisch und artgerechte Tierhaltung sind halt schwer vereinbar. Man muss ja auch nicht jeden Tag Fleisch essen, Traudl. Bevor ich billiges Fleisch aus dem Supermarkt kauf, verzicht ich lieber ganz drauf. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Wenn ich mich an die armen Viecher vom Onkel erinner … Auf den Vollspaltenböden haben s’ nicht wühlen können, sich aber umso leichter verletzt. Die Muttersäue sind wochenlang in den Kästen eingepfercht gewesen, angeblich, damit s’ die Wuggerln beim Säugen nicht zerquetschen. Die haben sich nicht einmal umdrehen können.

Natürlich hat sich die Landwirtschaft stark verändert. Immer mehr Leute müssen ernährt werden, die immer weniger für Lebensmittel bezahlen wollen. Gleichzeitig werden die Bauern immer weniger, weil sie bei den niedrigen Schweinepreisen nicht überleben können. Wir sind gezwungen, uns zusätzliche Standbeine zu suchen und auf Konsumenten zu hoffen, die den Wert unserer Lebensmittel zu schätzen wissen und dafür auch angemessen bezahlen. Andernfalls geht’s eben nur mit Massenproduktion. Wobei es nicht nur die schwarzen Schafe gibt, die in der Zeitung stehen, wenn zum Beispiel die Lüftung im Großstall ausfällt und 1.800 Tiere elendiglich verrecken. Aber solange die Masse der Konsumenten nicht bereit ist, mehr Geld fürs Fleisch auszugeben, wird’s Missstände in der Tierhaltung geben. Wer die Bauern zwingt, möglichst günstig zu produzieren, braucht sich dann auch nicht über Tierquälerei aufregen.«

»Wie viele Schweine leben denn auf Ihrem Hof?«, fragte Miriam.

»Maximal 120. Für mehr ist nicht genug Platz. Die können sich drinnen im Stall, aber auch draußen im Freigehege aufhalten. Ganz wie sie mögen. Aber mit dem sprechenden Ferkel, das frech über die Wiese hüpft, hat das kaum was zu tun. Solche Werbungen gaukeln den Leuten ein völlig falsches idyllisches Landwirtschaftsbild vor, das mit der Realität überhaupt nix zu tun hat.«

»Wollschweine leben doch auch länger, bis sie geschlachtet werden. Nicht wahr?«, kehrte Miriam zur Mangalitza-Rasse zurück.

»Genau. Geschlachtet werden die Tiere erst im Alter von 18 Monaten bis zwei Jahre. Wir füttern nur Weizen, Gerste, angereichert mit Proteinen und Spurenelementen. Keinen Mais. Von dem her legen sie nicht so rasch zu wie die üblichen Mastschweine. Und das Fleisch ist auch gsünder, reich an Omega-3-Fettsäuren und cholesterinarm. Schmecken tut’s sowieso besser.«

»Schlachten Sie auch selber?«, fragte Bergmann.

»Hausschlachtungen gibt’s bei uns schon lang keine mehr. Unmöglich bei den heutigen Hygienevorschriften, außer für den Eigenbedarf am Hof. Wir haben einen Schlachter in der Nähe von Fehring. Ein kleiner Familienbetrieb. Die Schweindln werden dort zu Tode gestreichelt. Na ja, fast …« Josefine lächelte Bergmann an, was seine Wirkung nicht verfehlte. Wieder sah er sie einen Augenblick zu lange an, anstatt ihren Vortrag über Schweinehaltung zu unterbrechen, was er normalerweise längst getan hätte. Stattdessen trank er seinen Kaffee aus.

»Wenn’s ans Schlachten geht, führe ich drei bis vier Tiere mit dem Anhänger zum Schlachter. Dort bleiben sie dann mindestens einen Tag lang auf der Weide«, erzählte Josefine weiter, »damit sie den Transportstress abbauen können. Obwohl der Schlachthof eh nur eine halbe Stunde von uns entfernt ist. Da hält sich die Aufregung in Grenzen. Und wenn’s gar nicht damit rechnen, werden’s mit der Elektrozange betäubt, bevor ihr artgerechtes Schweineleben endet.«

Warum Bergmann Josefine an dieser Stelle anlächelte, war Sandra ein Rätsel. Augenscheinlich war hingegen, dass er sich mehr für die Landwirtin als für die Zeugin, die die Leiche gefunden hatte, interessierte. Was bestimmt nicht an den Wollschweinen oder irgendwelchen Delikatessen lag. »Kümmern Sie sich auch um den Verkauf der Produkte?«, fragte er weiter.

»Ich hab den Hofladen erst im vergangenen Jahr ausgebaut, um meine Produkte noch besser direkt vermarkten zu können. Ich bau ja auch Holler und Marillen an, um mit der Landwirtschaft über die Runden zu kommen. Wir verkaufen auch andere Produkte aus der Region, sofern die Qualität passt: Wein, Kürbiskernöl, Gemüseprodukte wie Chutneys und Saucen, Obstbrände und und und. Alles, was das fruchtbare Vulkanland so hergibt und was unsere Leut daraus produzieren. Weil der neue Hofladen von Anfang an recht eingeschlagen hat, hab ich die Irmi als Verkäuferin eingstellt.«

»Irmi?«, griff Bergmann den Namen auf.

»Die Kolleritsch Irmgard. Sie ist aus Bad Gleichenberg.«

»Ach ja, Frau Kolleritsch. Wir haben sie im Zuge unserer Ermittlungen schon einvernommen. Hier schließt sich also der Kreis …«

»Welcher Kreis?«, fragte Waltraud Krenn skeptisch.

Bergmann ging auf ihre Frage nicht ein. »Ist Frau Kolleritsch hier?«, wollte er wissen.

»Nein. Am Sonntag hat die Irmi frei. Genau wie der Fipsl, der sich um die Schweindln kümmert und mir auch sonst am Hof zur Hand geht. Er wohnt in der Dachkammer.« Sie deutete zur dunklen Holzbalkendecke. »Und der Großvater nebenan.«

»Fipsl?«

»Philipp. Blasl Philipp.«

»Ihr Knecht?«

Josefine lachte hell auf.

»Knechte und Mägde gibt’s schon lange nimmer«, meldete sich Waltraud Krenn zu Wort. »Landwirtschaftliche Hilfskräfte, heißen die heutzutag. Man darf ja auch nimmer Neger sagen. Aber warum löchern Sie eigentlich die Josefine? Ich hab den Toten doch gfunden.«

Das fragte sich Sandra schon die längste Zeit.

»Routinefragen«, erwiderte Bergmann. »Schließlich liegt der Hof in der Nähe beider Leichenfundorte. Ihr Helfer wohnt also in der Mansarde?«

»Ja. Ich hab den Fipsl vom Onkel übernommen. Er ist ein bissl behindert. Von dem her ist er ziemlich menschenscheu. Aber er ist am Hof gut eingearbeitet und auch ansonsten ein braver Kerl«, erklärte Josefine.

»Herr Blasl ist wie alt?«

»Der Fipsl ist jetzt 23«, antwortete Waltraud Krenn, ohne lange nachzudenken. »Bei der Geburt hat sich die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt. Deswegen war das Gehirn eine Zeitlang nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Er hat eine Monospastik am linken Bein. So was kommt leider vor.« Waltraud Krenn seufzte. Ganz hatte sie den folgenschweren Zwischenfall von damals wohl nicht verwunden.

»Immerhin hast du ihm das Leben gerettet, Traudl«, tröstete Josefine ihre Patentante. »Und seit der letzten OP kommt er doch auch viel besser zurecht.«

Waltraud Krenn nickte.

»Der Fipsl ist glücklich hier am Hof. Die Arbeit macht ihm riesigen Spaß. Er liebt die Schweindln, und es fehlt ihm an nix«, sagte Josefine.

»Du behandelst ihn ja auch viel besser, als der Josef es seinerzeit getan hat. Gott hab ihn selig«, sagte Waltraud Krenn.

»Das ist nicht besonders schwer. Aber lassen wir das. Über Tote soll man nicht schlecht reden«, entgegnete Josefine.

»Wurde Herr Blasl nach Herrn Haselbachers Tod von der Polizei befragt?«, wollte Bergmann wissen.

»Ja«, bestätigte Josefine. »Er kann sich nicht so gut artikulieren, deshalb war ich bei der Befragung dabei. Ich bin seine langsame, schwer verständliche Sprache gewöhnt. Wir waren beide hier am Hof. Das steht bestimmt im Protokoll.«

Bergmann verzichtete auf eine weitere Befragung des Gehilfen. »Und Ihr dementer Großvater wohnt im Nebengebäude. Wurde der einvernommen?«, fragte er.

Josefine nickte. »Das hat aber nix gebracht. Die Krankheit ist zu weit fortgeschritten.«

»Der Sepp wird vom mobilen Pflegedienst betreut. Er hat’s Rennerte, wie man so schön sagt. Er poscht alle Augenblick ab und wird woanders wieder aufgeklaubt. Dabei ist er eh schon ganz wacklert unterwegs. Es streut ihn auch dauernd her. Drum hab ich ihm vor ein paar Wochen einen Rollstuhl besorgt. Die Josefine hat eh schon genug um die Ohren.« Waltraud Krenn griff nach einem weiteren Stück Stollen, um dieses wie schon zuvor mit Butter zu bestreichen. »Wolln S’ nicht doch ein Stück kosten? Den hab ich gebacken, weil die Josefine ja keine Oma mehr hat. Von der Tradition her machen das bei uns die Großmütter zu Allerheiligen, wissen S’?«

Sandra hätte das Angebot gern angenommen, wären sie privat hier gewesen. So aber winkte sie erneut ab, wie Bergmann und Miriam auch.

Josefine seufzte. »Letztens wär der Opa fast vom Bus überfahren worden …«

»In einem Pflegeheim für Demenzkranke wär er auf alle Fälle besser aufgehoben. Aber das kann sich ja kein Mensch leisten. Warum wir als einziges Bundesland einen Pflegeregress haben und für pflegebedürftige Angehörige zur Kasse gebeten werden, versteht sowieso niemand. So viel zur hochgelobten Reformpartnerschaft«, mokierte sich Waltraud Krenn über die steirische Landespolitik.

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