Czytaj książkę: «DER MODDETEKTIV BESIEGT CORONA»

Czcionka:

CHRISTOPHER JUST

Der Moddetektiv besiegt Corona

ROMAN



In Erinnerung an all jene, die der Corona-Seuche zum Opfer fielen

und noch fallen werden.

Dieses Buch beruht auf wahren Begebenheiten.

Die Zeit, in der es spielt, ist noch nicht jetzt,

doch schon sehr bald.

RAPHAEL

Inhalt

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FALLS SIE ES NICHT WISSEN SOLLTEN

THE DAVE SANDEMANN CONVERSATION

DANKSAGUNGEN

CHRISTOPHER JUST BEIMILENA


Heute ist Birgit gestorben. Vielleicht auch gestern, er weiß nicht. Er hat ein Telegramm vom VNAPD bekommen: »Birgit verstorben. Beisetzung morgen. Hochachtungsvoll, Inspector Krambambo.« Das will nichts heißen. Es war vielleicht gestern. Vielleicht auch jemals.

»WHYYYYYYY!« schreiend, fuhr der Moddetektiv aus einem bereits hunderte Male durchlebten, immer an derselben Stelle endenden Traum hoch und fand sich mit tränenüberströmtem Gesicht und steil aufgerichtetem Oberkörper in den schweißgetränkten Laken seines Bettes wieder. Es dauerte mehrere Minuten, bis es ihm gelang, die klammen Fetzen seines finsteren Traumes abzuschütteln und die Fassung einigermaßen wiederzuerlangen.

Sein Kopf kochte, seine Augen pochten, seine Ohren sausten, seine Nase bebte. Sein Gaumen klebte, seine Kehle schnürte, sein Atem rasselte, seine Lunge stach, denn: Es war ein weiterer dieser elenden Tage, an dem seine Stirn schon am Morgen so heiß war, als wäre es bereits Vormittag, doch es war noch zeitig in der Früh, denn wäre es bereits Vormittag, wäre seine Stirn mindestens so heiß wie zu Mittag oder wie am Nachmittag, wo seine Stirn dann allerdings bereits so heiß wäre, als wäre es längst Abend oder er immer noch in New Orleans.

Mit einem Wort: Er fühlte sich miserabel. Und das schon seit Wochen. So konnte das unmöglich weitergehen. Ächzend hievte er sich aus dem Bett, schleppte sich mit wackeligen Knien Richtung Telefon. Der Weg ins Arbeitszimmer dehnte sich in unendliche Weiten, bewegte sich jedoch zugleich mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zu und im selben Moment wieder von ihm fort, während um ihn herum die Stühle, Tische, Lampen – überhaupt alles – fortwährend tanzend die unterschiedlichsten Größen und Formen annahmen. Als er endlich den Schreibtisch erreichte und mit letzter Kraft den Hörer abnahm, kam ihm dessen Gewicht einer Zweihundertfünfzigkilogrammhantel aus Wolle gleich. Mit zittrigem Finger kurbelte er die meistgefragte Zahlenkombination des Universums in die Wählscheibe und machte sich, von supersofter Synthetiksaxophontonbandmusik eingelullt, auf eine längere Wartezeit gefasst.

FOUr HoURS LAtER

(drei Stunden später)

Das scharfe Knacksen eines völlig unerwarteten Abhubs riss ihn jäh aus einem fiebertraumartigen Dämmerzustand. Auf der Suche nach einem Anhaltspunkt blickte er hilflos um sich. Wie lange war er hier gelegen? Es mochten Stunden, Tage, vielleicht sogar Wochen vergangen sein – Minuten waren es jedenfalls nicht gewesen, die Sonne stand bereits im Zenit. Plötzlich beträllerte ein vor unangebrachtem Optimismus triefender Singsang seine Gehörgänge und ließ ihn die Überlegungen auf einen späteren Zeitpunkt vertagen.

»MyCorona, guten Tag, danke, dass Sie unsere 1450-Hotline in Anspruch nehmen, der Anruf kostet Sie neunzehn Dollar pro Minute und Sie sprechen mit Jutta Baumann. Was kann ich für Sie tun?«

»Hallo, Jutta, mein Name ist Der Moddetektiv – ich glaube, ich bin infiziert!«, stieß der Moddetektiv, vom stundenlangen Hängen in der supersoften Synthetiksaxophonwarteschleifenmusiklounge mürbe geworden, heiser hervor.

»So? Und warum glauben Sie das?«, frug ihn die augenblicklich mit einer Prise Skepsis bewürzte Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Ich fühle mich entsetzlich angeschlagen, habe starke Kopf- und Gliederschmerzen, wahrscheinlich hohes Fieber und –«

»Waren Sie in Italien?«, unterbrach ihn die Stimme mit der Eiseskälte professioneller Teilnahmslosigkeit.

»Ja, war ich!«, krächzte der Moddetektiv genervt.

»Sehr gut. Und wie lange ist das her?«

Der Moddetektiv überlegte. »Drei oder vier Jahre, vielleicht auch länger, ein Scooter-Run hatte mich nach Neapel –«

»Entschuldigen Sie bitte, Sir«, fiel ihm die myCorona-Lady scharf ins Wort, »ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor, meine Frage zielte darauf ab, ob Sie in jüngster Zeit in Italien waren, sagen wir mal, hmm, innerhalb der letzten drei Wochen?«

»Nein, war ich nicht«, grummelte der Moddetektiv kleinlaut und vermeinte am anderen Ende der Leitung das raue Kritzeln eines Kugelschreibers zu vernehmen, der ein Kästchen, neben dem »negativ« stand, ankreuzte.

»Also nicht in Italien gewesen …«, stellte die myCorona-Lady bedauernd fest. Um dann mit frischer Routine fortzufahren: »Und Tirol, Sir, waren Sie in Tirol?«

»Sagen Sie mal, Jette –«

»Jutta!«

»Meinetwegen Jutta, was soll das alles?! Ich spreche hier doch mit der myCorona-Hotline, oder bin ich etwa bei einem verdammten Reisebüro gelandet?!«

»Sir, ich muss Sie bitten, sich im Ton zu mäßigen und meine Fragen zu beantworten«, kam es reichlich reserviert retour. »Also, Sir, waren Sie in Tirol?«

»Tirol?«, stieß der Moddetektiv angeekelt hervor. »Nein, da war ich noch nie, und ich habe auch nicht vor, dort jemals je hinzu-«

»Tststs … Tirol also auch nicht«, murmelte es enttäuscht, während das knisternde Geraschel vertrockneter Dauerwellen ein mitleidiges Kopfschütteln und das im Anschluss folgende Kugelschreibergekrakel ein Ankreuzen des nächsten »Negativ«-Kästchens erahnen ließ. »Gibt es eine Person in Ihrem Haushalt, die an Corona erkrankt ist?«, lautete die im Anschluss an den Moddetektiv gerichtete Frage.

»Ich lebe allein.«

»Lebt allein …«, echote die Stimme am anderen Ende der Leitung verächtlich. Erneutes Kugelschreibernegativangekreuze. Um nach einer kurzen Nachdenkpause seufzend nachzuhaken: »Irgendjemand in Ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis, der Symptome aufweist?«

»Allerdings!«, triumphierte der Moddetektiv. »Mrs. Krambambo!«

»Mrs. Krambambo?«

»Die Frau des Inspectors!«

»Haben Sie diese Mrs. Krambambo in letzter Zeit gesehen?«, frug die Telefonstimme nun argwöhnisch.

»Natürlich nicht! Niemand hat sie jemals gesehen, manch zynisch zerklüftete Zungen behaupten gar, sie existiere überhaupt nicht, vielmehr sei sie bloß eine Erfindung des Inspectors, um den Mörder mit bis zum Erbrechen liebenswerten Details aus seinem Privatleben so lange anzuöden, bis der Tunichtgut letztlich aufgrund blitzeblank gescheuerter Nervenstränge das Handtuch schmisse und alles gestehe, nur damit endlich sein Gesicht als Standbild sowie hernach die Schrift käme und es aus seie, verstehen Sie?«

»Ich verstehe, und, äh, dieser Inspector, haben Sie den in letzter Zeit gesehen?«

»Ebenfalls natürlich nicht, Inspector Krambambo zählt altersbedingt zu den Unberührbaren und ist, wie es sich gehört, selbstverständlich in Quarantäne. Niemand außer seiner Mrs. darf ihn sehen.«

»Von der wir allerdings nicht wissen, ob sie überhaupt existiert …«, gab die myCorona-Lady zu bedenken.

»Nur damit wir uns richtig verstehen: Das ist nicht meine Meinung!«, begohr der Moddetektiv auf, um jedoch gedeftet hintanzustellen: »Aber ja, es gibt diese Gerüchte.«

Letztmaliges, ablehnendes Kugelschreibergekritzel.

»So, das war’s auch schon, Sir. Bitte bleiben Sie in der Leitung, bis wir Ihren Test ausgewertet haben.« Supersofte Saxophonwarteschleifenmusik flutete den Hörer.

Test? Welcher Test?? Er hatte doch angerufen, um einen Test zu bekommen, da er sich entsetzlich angeschlagen fühlte, starke Kopf- und Gliederschmerzen hatte, zudem wahrscheinlich an hohem Fieber litt, sprich: eindeutig infiziert war! Keine drei Sekunden später meldete sich die my-Corona-Lady Jutta Baumann zurück.

»Sir, sind Sie noch dran?«

»Ja, bin ich!«

»Sir«, perlte es ihm freudig entgegen, »ich darf Sie zu Ihrem Testergebnis beglückwünschen, Sie sind Corona-negativ.«

»Wie bitte?? Welches Testergebnis? Ich wurde noch gar nicht getestet, genau deshalb rufe ich doch an, um endlich an einen dieser scheißverdammten Tests ranzukommen!«

»Sir, die Summe der Antworten auf die an Sie gestellten Nach-dem-Test-ist-vor-dem-Test-Fragen ergab eindeutig, dass Sie Corona-negativ sind und aus diesem Grund keinen weiteren Test benötigen.«

Es einfach nicht glauben könnend, schraubte sich die Stimme des Moddetektivs in kanzlerartige Höhen: »Bloß weil ich in jüngster Zeit nicht in Italien, nicht in Tirol, nicht bei Mrs. Krambambo, alles drei: gewesen bin, bescheinigen Sie, Jutta Baumann, mir, dem Der Moddetektiv, Coronanegativ und deshalb testunwürdig zu –«

Ein letztes Mal fiel ihm die myCorona-Lady mit liebenswürdig säuselndem Singsang ins Wort: »Danke, Sir, dass Sie sich an myCorona-1450 gewendet haben, wir hoffen, Ihnen geholfen zu haben, und wünschen Ihnen noch einen schönen Tag. Bleiben Sie gesund, und vergessen Sie nicht:

Gemeinsam schaffen wir das.«

Der Moddetektiv ballte die Fäuste, bis seine Fingerknöchel schneeweiß hervortraten, und sog, so tief es ihm in seinem momentanen Zustand möglich war, Luft in seine mit ziemlicher Sicherheit entzündete Lunge ein, um Jutta Baumann all seine Wut und Empörung um die Ohren zu brüllen – vergebliche Liebesmüh’, wie er aufgrund des mittlerweile teilnehmerlos an sein Gehör dringenden Tüt-tüt-tüts feststellen musste. Es immer noch nicht glauben könnend, ließ er den Hörer sinken und begab sich, von der Anstrengung des sinnlosen Telefonats stark geschwächt, wie in Trance in die Küche, wo er sich eine Tasse Earl Grant aufbrühte, um damit das erste Purple Heart* des Tages hinunterzuspülen. Als die ersten Wellen leiser Linderung an die Gestade seines geknechteten Gemüts schwappten, steckte er sich eine blaue Rothmans an, dann schlurfte er zurück ins Schlafzimmer, setzte sich aufs Bett und stierte zum Fenster hinaus, wo sich in gnadenloser Obszönität ein wolkenloser Himmel wie ein knallblaues Leichentuch über die sterbende Stadt gespannt hatte.

Er schaltete das Radio an.

»… wurden in Wien–Donaustadt erneut mehrere Personen zu Tode gebissen in ihren Wohnungen aufgefunden. Die Polizei geht davon aus, dass es sich dabei um das Werk sogenannter Plasma-Junkies handelt, die es auf die Antikörper im Blut bereits Genesener abgesehen haben. Zum Aufspüren ihrer Opfer machen sich die Plasma-Junkies die staatlich angeordnete myStatus-Pflicht-App zunutze. In einem eindringlichen Appell richtet sich der Oberarzt des KFJ Hospitals, Dr. Maryland, erneut an die Bevölkerung, und bittet inständig, von derartigen Praktiken abzusehen, da vom bloßen Trinken des Blutes als immun gekennzeichneter Personen keinerlei heilende Wirkung zu erwarten ist.

Des Weiteren häufen sich die brutalen Übergriffe von Anhängern der anfänglich als harmlose Irre eingestuften Sekte der Apokalyptischen Annieser. Wie bekannt wurde, kam es in letzter Zeit wiederholt zu Annies-Attacken, bei denen Mitglieder der Apokalyptischen Annieser, kurz AA genannt, nicht wie vorgeschrieben in ihre Armbeuge niesen, sondern zufällig des Weges kommende Passanten mit einem Trick, den die Polizei aus Sicherheitsgründen nicht bekanntgeben will, dazu veranlassen, den Schutzhelm abzunehmen, um ihnen im Anschluss mitten ins Gesicht zu niesen, zu spucken oder zu husten.

Für die Anhänger der Apokalyptischen Annieser steht laut einer Prophezeiung ihres Führers Coronald Covidel der Weltuntergang kurz bevor. Mitglieder der AA, die sich durch gegenseitiges Anniesen absichtlich infizieren, verweigern Virustests sowie das Tragen der staatlich verpflichteten Plexiglasniesschutzkugeln, verstoßen systematisch gegen die Ausgangsbeschränkungen und verspeisen illegal hergestellte Teigtaschen, die mit dem Auswurf Infizierter gefüllt sind, sogenannte Covideltascherl.

Der Gesundheitsminister rät, sich unbedingt von den Apokalyptischen Anniesern fernzuhalten und diese, sollten Sie ihnen begegnen, umgehend der Polizei zu melden sowie keinesfalls deren Covideltascherl – und sehen sie auch noch so schmackofatze aus – zu konsumieren.

Das waren die Nachrichten.

Und nun zum Wetter mit Verena Schöpfaaaaaaaaaaaaaaaaaa…

Er schaltete das Radio aus.

Was war da bloß so schiefgelaufen? Sogleich musste er mit einem von Bitterkeit zur Fratze verzerrten Grinsen desillusioniert den Kopf schütteln darüber, was denn diese an ihn selbst gestellte Frage sollte – er wusste es natürlich nur zu genau. Alle wussten es mittlerweile natürlich nur zu genau.

Viel zu früh hatte sich die von populistischen Politikern und meinungsmachenden Medien scharfgemachte, völlig bescheuerte Bevölkerung dieses idiotischen Landes kollektiv demaskiert, um die Shoppingmalls, Gartencenter und Parkanlagen zu Abertausenden zu stürmen, kaum dass die von den Wirtschaftsbossen weichgejammerte Regierung eine Lockerung der Ausnahmebestimmungen in Aussicht gestellt hatte. Verdächtig rasch hatte die Infektionskurve begonnen sich abzuflachen, fragwürdig schnell war euphorisch verlautbart worden, dass die Anzahl der Genesenen jene der positiv-getesteten Neuerkrankten überflügelte. Man brauchte bei Mod kein Detektiv sein, um zu erahnen, wie diese Jubelbotschaft zustande kam; man hatte einfach kontinuierlich weniger und weniger getestet, so gesehen also nicht einmal die Unwahrheit gesagt. Eine vom Gesundheitsminister medienwirksam angekündigte Studie, die an zweitausend vom Zufallsprinzip bestimmten Bürgern durchgeführt worden war, um Licht in die Dunkelziffer der unwissentlich Erkrankten zu bringen, wurde, als das Ergebnis feststand, klammheimlich unter den Teppich des Schweigens gekehrt, da sich die daraus gewonnenen Erkenntnisse vernichtend, weil gegenteilig zu der sich offiziell in schwungvoller Talfahrt befindlichen Kontaminationskrümmung ausnahmen. Denn eine Studie, die belegte, dass fünfzehnkommafünfmal so viele Infizierte wie angenommen begierig darauf warteten, endlich wieder Geld ausgeben zu dürfen, konnte man – wenn demnächst die Geschäfte wieder aufsperren sollten – so gut gebrauchen wie ein infektiologischer Oberarzt einen fingerlosen Handschuh aus Brüsseler Spitze.

Und endlich – immerhin hatte es endlose vier Wochen gedauert – durften die vom tatenlos ins Eigenheim einkasernierten, psychisch bereits schwer zerrütteten, dumpf vor sich hin fressenden und kackenden Familien, Lebens- und Wohngemeinschaften, Singles und Einzelindividuen die nicht einen einzigen weiteren Tag erträgliche Folter des Dolcefar-niente hinter sich lassen und hinaus in den Sommer, zurück in den als Normalität verkauften Shoppingirrsinn hüpfen, um endlich, endlich wieder Dinge jenseits von Teigwaren und Hygieneartikeln einzukaufen, endlich wieder überall in der Gegend herumzugehen (selbst wenn sie es zuvor nicht allzu sehr getan hatten), endlich wieder ihre Kredite für trendige Tops, schicke Chinos, freche Frisuren, bodenlange Bärte, bizarre Brillen, surreale Siebenmeilenstiefel, frische Fernsprechgeräte, erstklassige Elektronengehirne, eskapistische SUVs, rasante Rasenmäher, gewaltige Grillstationen, nachbarkeitsneidgenerierende Gartenlauben und so weiter und so fort, aufzustocken.

Und natürlich endlich, endlich, endlich!! – durften wieder alle Omas und Opas besucht werden (selbst wenn man es vor der Krise nicht so sehr getan hatte), die so tapfer in ihren Quarantänen ausgeharrt hatten. Wenn auch diese so lang ersehnten Wiedersehen in den meisten Fällen zum endgültig letzten Mal stattfanden … Denn: Nach kaum zwei Monaten kehrte die Seuche zurück und brach als »Corona 2.0 – THE SECOND WAVE« über die Welt herein. Und gegen diese zweite Welle war Corona Phase 1 bloß ein Gruß aus der Küche, ein Easy-Peasy-Lemon-Squeezy-Frühlingsspaziergang gewesen. Corona 2.0 schlug eine beinharte Bresche ungekannter Breite in die Bevölkerung, es schien, als hätte das verdammte Virus aus seinen Anfängerfehlern gelernt, sämtliche seiner Kinderkrankheiten ausgemerzt, um nun, flügge geworden, aus dem Ärmel zu schütteln, was es wirklich draufhatte.

Zuvörderst wurden die endlich wieder besucht werden gedurften Omas und Opas lückenlos dahingerafft, dicht gefolgt von den Betreibern, Angestellten und Kunden von Bau- und Gartenmärkten sowie den Inhabern der kleinen Läden, sprich: flinke Friseure, niedliche Nagelstudios, intime Waxingwerkstätten und Zeugs, also die, die als Erste wieder aufgesperrt hatten.

Dann waren die Gastronomen, Hoteliers samt ihrer freudig herbeigereisten Gäste sowie die Immobilienbranche an der Reihe; vom irrigen Gerücht, stark gefallener Miet- und Kaufpreise in Scharen angelockt, gaben die Makler den Interessenten bei Wohnungs- und Hausbesichtigungen das Virus im wahrsten Sinn des Wortes über die Türklinke in die Hand. Dicht gefolgt von den Schülern, Studenten und Lehrkräften. Im naiven Glauben, der Peak der Krise sei überwunden, und nicht zuletzt auf massiven Druck genervter Eltern waren die Tore der Bildungsanstalten nach kaum sechswöchiger Pause wieder geöffnet worden. Aus Maturaklassen Maturacluster machend, bediente sich die Seuche ungeniert an den als Speerspitze zurück an die Front geschickten Abiturienten sowie deren weiblichen Pendants. Das Resultat: Ein ganzer Maturajahrgang wurde ausgelöscht.

Enorme Verluste klarerweise auch im öffentlichen Dienst: Polizisten, Bus- und U-Bahnfahrer, Beamte, Müllmänner, Politiker, Ärzte und Krankenhauspersonal, klarerweise allesamt jedweden Geschlechts: zu Abertausenden von Corona 2.0 niedergestreckt.

Es folgte der Sport: Unter dem unglückseligen Begriff »Geisterspiele« wurden die ersten Teams und Athleten verfeinstofflicht, und als dessen ungeachtet auch die Fans wieder in die Stadien Einlass fanden, konnte das Virus nach Herzenslust aus dem Vollen schöpfen.

Wer daraufhin die blauäugige Hoffnung hegte, Corona würde zumindest im Bereich der schönen Künste Milde walten lassen, wurde bitter enttäuscht: Die Seuche entpuppte sich als wahrer Kulturbanause und verlustierte sich genüsslich an Künstlern, Publikum, Personal, Kritikern und Journalisten, kaum dass die Opernhäuser, Theater, Galerien, Museen, Kinos, Clubs und all die übrige bunte Kurzweil wieder in Betrieb genommen worden war.

Hatte er was vergessen? Ach ja, klar: Die Bauarbeiter, die waren schon sehr früh dran gewesen, die Baustellen hatten – sehr zu seinem Leidwesen – kaum eine Woche stillgestanden.

Fazit: Die zweite Coronawelle hatte die Bevölkerung Wiens um mehr als die Hälfte dezimiert.

Dementsprechend rigoros fielen die neuen Bestimmungen aus: Statt Masken (das Virus hatte, während es auf Urlaub war, nicht bloß faul am Strand rumgelegen, sondern die Auszeit genutzt, um ein paar von seinen Andockungsfitzelchen zu optimieren, und konnte nun mühelos durch Zellstoff- und Baumwollgewebe dringen) wurde nun das Tragen von Plexiglasniesschutzkugeln zur Pflicht, wenn man die eigenen vier Wände verlassen wollte.

Den Moddetektiv zog es ohnehin nicht nach draußen, er ekelte sich vor den Menschen. Immer schon war er den in der Überzahl ungepflegten Bewohnern dieser Stadt großräumig ausgewichen und hatte sich stets mit angehaltenem Atem nah an eine Hauswand gequetscht, oder war mit abgewandtem Gesicht an den Gehsteigrand geflüchtet, um an dessen äußerster Kante entlangbalancierend dem Geruchsradius eines dumpf stinkend auf ihn zusteuernden Passanten zu entkommen. Abstand halten war für ihn also nichts Neues. Und die Hände hatte er sich im Gegensatz zu den meisten Einheimischen, denen diese exotische Hygienemaßnahme erst via TV nahegebracht werden musste, auch immer schon gewaschen. Überhaupt hatte sich trotz des Ausnahmezustands für ihn nicht allzu viel verändert, lebte er doch seit der Trennung von Birgit ein Leben, das dem eines Einsiedlers um nichts nachstand. Seine kurzen Spaziergänge beschränkten sich auf die notwendigsten Erledigungen wie Friseurbesuche und Lebensmitteleinkäufe sowie ein gelegentliches Vertreten der unteren Extremitäten. Nur in Ausnahmefällen begab er sich zur Mariahilfer Straße, um ein Eis zu erstehen – doch auch das hatte sich mittlerweile erübrigt, Bortolotti sowie auch der Friseur hatten ebenfalls längst geschlossen.

Dennoch verstand er das ganze Geraunze wegen des Zu-Hause-bleiben-Müssens nicht, hatte es bereits bei der ersten Coronawelle nicht verstanden. Was war denn bloß mit den bescheuerten Leuten los? Da heulten sie fortwährend rum, ihr Leben nicht genießen zu können, weil sie von früh bis spät, tagein, tagaus bis zum Umfallen arbeiten gehen müssten, und wenn sie dann endlich mal daheimbleiben durften, fiel ihnen sogleich die Decke auf den Kopf. Okay, vielleicht war die Decke bei manchen ziemlich niedrig und man stieß sich bald einmal den Schädel an der hässlichen Halogendeckenleuchte an, zudem genoss nicht jeder den Luxus, allein in einer Hundertquadratmeteraltbauwohnung zu logieren, dennoch: Wussten die Leute denn gar nichts mit sich anzufangen? Ein Buch lesen, Musik hören, Schnaps brennen, geschlechtlich verkehren, Bomben bauen, Filme schauen, oder sonst irgendwas tun, was man immer schon hatte tun wollen, wozu einem bisher jedoch die Zeit gefehlt hatte. Nein, die – wie ihnen von der Regierung großzügig beschieden wurde – ach so freiheitsliebenden Bürger dieses Landes hatten mit von Gier geblähten Nüstern, unstet flackerndem Blick, derbei hufescharrend und an den zum Zerreißen gespannten Zügeln zerrend, unerträglich lange vier Wochen!! – das musste er sich mal auf der auf dem trockenen Gaumen klebenden Zunge zergehen lassen,v i e rW o c h e n!! – auf den erlösenden Startschuss gewartet, um, sobald dieser abgefeuert worden war, loszupreschen und zurück in ihre selbstauferlegte Knechtschaft des Kaufrauschs zu galoppieren.

Kaum dass die heruntergelassenen Rollläden eines Bonbonladens, dessen tristes Abbild bei unzähligen TV-Berichterstattungen zur Illustration der Krise herhalten hatte müssen, abermals hochgekurbelt waren, enterten etliche Tausend Einheimische die Räumlichkeiten der nun wiederauferstandenen Confiserie, um sich mit Süßem einzudecken. Und dies nicht, weil es sie danach gelüstete (denn klebriges Konfekt vertilgt hatten sie während der Quarantänezeit vor den Fernsehgeräten bis zur Verstopfung (hihi, welche Ironie, wozu nun all die Tonnen von Klopapier, die sich in jedem Haushalt bis an die niedrige, auf den Kopf zu fallen drohende Decke stapelten?)), sondern: weil es wieder möglich war. Und so verhielt es sich mit allen Dingen: topfrisiert und von Kopf bis Fuß neu eingekleidet speiste man begeistert auswärts, nachdem man Opernhäuser, Theater und Kinos besucht hatte, zu welchen man mit frisch geleasten SUVs gebraust war – so als wäre die Seuche nichts als ein kurzes Intermezzo, ein bereits in Vergessenheit geratenes Event gewesen. Jene Traumtänzer, die während der Krise von der Chance einer nachhaltigen Veränderung der Welt fantasiert hatten, wurden flugs eines Besseren belehrt, denn wenn sich etwas aus der Geschichte lernen ließ, dann war es dies, dass der Mensch nichts aus der Geschichte lernte, aus dem einfachen Grund, weil die Menschen eben die Menschen waren, und es so lange bleiben würden, bis auch der Allerletzte von ihnen vom Riesenratzefummel Gottes von der Weltkugel wegradiert worden sein würde.

Delfine in den Kanälen Venedigs, Rückgang der CO2-Emissionen um siebzig Prozent, erholsame Stille anstelle des Getöses von im Minutentakt über die Köpfe hinwegbrausenden Jumbojets? – Drauf geschissen! Was nützten einem die blöden Delfine, wenn man nicht hinfliegen konnte, um sie abzufotografieren …

Ein aufforderndes »Mrauz« unterbrach den Moddetektiv in seinem inneren Monolog. Kater Christian war zu ihm auf das Bett und sogleich wieder hinabgesprungen, um, gelegentlich einen vorwurfsvollen Blick zu ihm hochschickend, sich nun in Form eines Unendlichzeichens um und zwischen seinen Unterschenkeln entlangzuschmieren. Das possierliche Gehabe des schneeweißen Tieres mit dem azurblauen Silberblick zwang dem Moddetektiv ein mildes Lächeln ab. Christian … Birgits unfreiwilliges Vermächtnis.

Als ihr Auszug beschlossene Sache war, entsponn sich zwischen ihnen eine hitzige Diskussion über den zukünftigen Wohnsitz des Vierbeiners. Der Moddetektiv plädierte für einen Verbleib Christians, da seine, also des Moddetektivs Wohnung während dessen vierjährigen Aufenthalts in New Orleans längst zur neuen Heimat des Katers geworden war, und weil, wie man weiß, sich Katzen als stark ortsgebundene, kaum jedoch als sich dem Menschen verpflichtete Lebewesen verstehen. Birgit allerdings wollte von all dem nichts wissen, und da sie es gewesen war, die Christian, der ursprünglich zu den unzähligen Besitztümern ihres schwerreichen Onkels Emerald Westminster III gezählt hatte, welcher wie auch sein Komplize Lieutenant Lou Tenant-Tanner aufgrund einer rechtmäßigen Verurteilung zu dreihundertfünfundvierzig Jahren Zuchthaus in einer Anstalt für abnorme Rechtsbrecher verdonnert worden war, sich aus ebendiesem Grunde nicht mehr um das Tier kümmern konnte und es, selbst wenn es ihm möglich gewesen wäre, mit Sicherheit dennoch nicht getan hätte, da der Vierbeiner, sollte man der wirren Aussage des betagten Bösewichtes Glauben schenken, ihn zu sämtlichen jemals von ihm begangenen Verbrechen angestiftet und hernach eiskalt an die Polizei ausgeliefert hatte (der geneigte Leser jedweden Geschlechts mag sich entsinnen*), dementsprechend Christian also von Birgit in die gemeinsame Lebens- und Wohngemeinschaft eingebracht wurde, blieb dem Moddetektiv nichts, als sich ihrem Willen zu fügen, der da lautete: den Kater mit sich zurück in ihr ehemaliges Zuhause nach Westminster Mansion zu nehmen, in welchem sie nach der gescheiterten Beziehung mit dem Privatermittler ihr Turmzimmer im Westflügel wiederbezogen hatte. Punkt.

Der Moddetektiv wurde nachdenklich.

Wie hatte es bloß geschehen können, dass es so weit, dass es bis zum Äußersten und darüber hinaus gekommen war? Zum zweiten Mal an diesem Tag musste er mit einem von Bitterkeit zur tragischen Fratze verzerrten Gesicht desillusioniert den unfrisierten Kopf schütteln, darüber, was denn diese an ihn selbst gestellte Frage solle – auch in diesem Fall wusste er die Antwort natürlich nur zu genau. Was hatte er denn erwartet? Dass Birgit, während er in New Orleans einem Phantom namens Jerry hinterherjagte, daheim im sexy Negligé mit einem achtgängigen Menü auf den Knien seiner Wiederkehr entgegenfieberte? Und das ganze vier Jahre lang?? Denn so lange hatte seine anfänglich für ein paar Tage geplante Abwesenheit letztendlich gedauert. Er hatte sich zunehmend in etwas verrannt, war vom Hundertsten ins Tausendste gekommen, den unsinnigsten Hinweisen gefolgt, hatte irrwitzige Zufälle als Zeichen gedeutet, die ihn auf kurz oder lang auf eine tedsichere Fährte führen würden.

Gut, da waren auch die verdammten Opiumhöhlen gewesen, in die er sich, von der trügerischen Hoffnung geleitet, im Rausch des Rauchs transzendente Erkenntnisse über den Verbleib des verschollenen Freundes zu erlangen, zu Beginn der NOLA-Years* gelegentlich, mit fortschreitender Zeitdauer regelmäßig und zuletzt ganztäglich geflüchtet hatte, um The Big Easy in der Horizontalen an sich vorüberziehen zu lassen. Und kein Ort der Welt war besser dafür geeignet gewesen als New Orleans, eine Stadt, in der die Zeit nahezu stillstand, und so gut wie nichts geschah, während in der restlichen Welt vier Jahre vergingen, in Tokio sogar acht.

Und wenn er sich selbst gegenüber schon mal so ehrlich war, und das war er: Er war nicht bloß wegen Jerry völlig überstürzt nach New Orleans aufgebrochen, auch wenn es ihm vorerst nicht bewusst gewesen war, und er es lange Zeit nicht wahrhaben hatte wollen: In echt hatte er es mit der Angst zu tun bekommen. Mit der Angst vor Zugeständnissen, mit der Angst vor einer Veränderung in seinem Leben, mit der Angst vor einer gemeinsamen Zukunft mit Birgit. Mit der Angst vor der Liebe seines Lebens. Angst, sich aufzugeben, sich zu verlieren und fortan nicht mehr der sein zu können, der er bisher gewesen war: ein einsamer Desperado, ein Outcast, ein Cowboy, der tut, was er tun muss, und es nur tun kann, wenn er lonesome bleibt.

Und so kam es, wie es kommen musste: Als er eines diesig über dem French Quarter dräuenden Morgens, nachdem er bei dem Versuch sich aus dem Bett zu hieven auf einem bananenschalengemusterten Teppich ausgerutscht war (wie tief war er eigentlich gesunken, wie ein billiger Clown auf einer Bananenschale auszurutschen, noch dazu einer unrutschigen, die bloß aus in einen hässlichen Teppich eingewebtem, gelbem Zwirn bestand???), um sich der Länge nach aufgeschlagen auf den staubigen Dielen des Schlafzimmers wiederzufinden, wo ihm ein durch die leise vor dem Fenster mit den Blättern flimmernden Kronen jahrhundertealter Platanen stiebender Windstoß gemeinsam mit dem schweren, öligen Duft des Mississippi die süßlichen, sämtlicher seiner Poren entsteigenden Opiatausdünstungen in die blutende Nase fächerte, und er sich wütend übers Gesicht fahrend, hart zwischen den geschlossen Backenzähnen »Es reicht … vier Jahre sind genug« hervorgestoßen hatte, New Orleans von einem Tag auf den anderen, Hals über Kopf verließ, war es alles andere als unverständlich, dass Birgit ihn bei seiner Rückkehr vor vollendete Tatsachen stellte.

Von den Jahren der ungewissen Warterei und den fortwährenden Enttäuschungen zusehends zermürbt, hatte sie schließlich ihr einst abgebrochenes Schauspielstudium zur Zerstreuung wiederaufgenommen und sich dort – sie hatte sich lange dagegen gewehrt, und es war erst im vierten Jahr der Abwesenheit des Moddetektivs dazu gekommen – in einen aufstrebenden Jungschauspieler verliebt. Aufstrebender Jungschauspieler … des Moddetektivs Zunge rollte sich noch jetzt zur Wutwurst, wenn er an das Kerlchen dachte.