Czytaj książkę: «Geheimdienste, Agenten, Spione»
Christoph Franceschini
Geheimdienste, Agenten, Spione
Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol
© Edition Raetia, Bozen 2020
Umschlaggestaltung: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it
Umschlagbilder: Titelseite Fotoremix unter Verwendung des Bildes Berretta M34 von Askild Antonsen / CC BY 2.0 / Rückseite StB-Archiv Prag
Druckvorstufe: Typoplus, Frangart
Druck: Lanarepro, Lana
ISBN 978-88-7283-735-1
ISBN Ebook 978-88-7283-760-3
Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.
Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.
Inhalt
Vorwort
Hochzeit in Böhmen
Der Sekretär von Friedl Volgger
Tote Briefkästen am Wiener Prater
Deckname „Puzzi“
Bozner SS-Seilschaft
Der unfolgsame Maler
Der Kurier
Presseagentur als Coverstory
Der geheime Kodex
Aktion „Stelio“
Bozner Schlangengrube
Abrechnung in Brünn
Die Abschaltung
Tragisches Nachspiel
Der Mann mit den vielen Namen
Büro für vertrauliche Angelegenheiten
Informant Franco
Südtiroler Spitzel der italienischen Dienste
Das Interesse der CIA
Bespitzelung der Volkspartei
Bezahlter Standpunkt
SVP-Sitz auf Landeskosten
Operation „Los Angeles“
Der gesuchte Kriegsverbrecher
Polizisten, Faschisten und der Vatikan
Der russische Professor
Die Südtiroler Kommunistenliste
Unter gegenseitiger Beobachtung
Bekannte Bozner Gehilfen
Desdemona und die Brunnenburg
Neuer Arbeitgeber
Großhändler für Geheiminformationen
Persona non grata
Unruhestand in Bozen
Achtung, bewaffneter Aufstand!
„Wir sehen einer Zukunft aus Blut und Feuer entgegen“
Freund Joachim
Das Memorandum des Generals
Die Reaktionen
Mehr Geld für Spitzel
Mazzini in Innsbruck
Vom Anarchisten zum faschistischen Agenten
Der Innsbrucker Generalkonsul
Der faschistische Meisterspion
Ausspähungsziel Bergisel-Bund
Unspektakuläre Erkenntnisse
Die Trennung
Magnagos Übersetzer
Agent „Mumelter“
Verhaftung in Frankfurt
Der Südtirol-Fachmann
Der kommunistische Landessekretär
Eine fragwürdige Figur
Im Zentrum der Macht
Verdacht aus München
Die Ausspähung der SVP
Der Verbindungsmann
Jennys Richter
Pfaundler, Molden & die CIA
BAS-Finanzier und Hauptagent der CIA
„Inglourious Basterds“ in Tirol
Pfaundlers Freiheitslegion
Widerstandskämpfer und Adjutant von Eichmann
„Stay Behind“-Ausflug ins Sarntal
Kennedys Morgenlektüre
Südtirol soll zum „trouble spot“ werden
US-Raketenbasis in Südtirol
Das Waffenlager der Feuernacht
Die Karte für die Feuernacht
Kanonikus Gampers Fluchthelfer
Amtshilfe der österreichischen Abwehr
Die Enthüllungen im „Spiegel“
Die Rosengarten-Treffen
Der polnische Graf im Dienste des BND
Seilschaft alter Spione
Der Henker von Mailand
Der italienische Kollaborateur der Gestapo
Der König des Doppelspiels
Schulung der Südtirol-Terroristen in Prag
Der falsche Bergisel-Bund
Geplante Sprengung der Europabrücke
Der Staatsanwalt: auf einem Auge blind
Ein rechter Waffennarr
Archivierte Wahrheit
„Gladio“-Einsatz in Südtirol
Die Aktion „Europabrücke“
Übliche Bozner Interventionen
Anschläge: BAS, „Ein Tirol“ oder „Gladio“?
Brüder unter Verdacht
Der Kerzenvertreter
Die Brief-Aktion
Aus „Bernardo“ wird „Fausto“
Studie im Auftrag Österreichs
Das Schwein muss weg
Guerilla-Aktionen gegen Carabinieri
Ziel Amplatz
Hans Dietl alias „Hias“
Die „Aktion Andergassen“
Der Anzug des Toten
Mord im Staatsauftrag
Die Kerbler-Brüder
Skeptischer Geheimdienst
Die Terroristenschule
Die geplante Entführung von Jörg Klotz
„Lieber in Tirol sterben“
Angebot: Klotz Entführen
Das fiktive Militärlager
Missglückter Zugriff
„Überraschung zum Schaden von Klotz und Amplatz“
Beretta, Matrikelnummer 616534
Überwachtes Kulturwerk
Kerblers unterstützte Flucht
Römische Schutzherren
Archivierung wegen Homosexualität
Anhang
Anmerkungen
Abkürzungen
Glossar
Personenregister
Bildnachweis
Danksagung
Biografien
Vorwort
Sich bei der Beschäftigung mit geheimen Diensten auf geografische Räume zu konzentrieren, ist ein eher seltenes Unterfangen. Als Hotspots von Spionage gelten gewöhnlich Großstädte. Diese auf klandestine Einrichtungen hin zu untersuchen, kommt jedoch in der akademischen Geheimdienstforschung nicht vor. Allenfalls bot Roger Faligot in den 1990er-Jahren Stadtführungen in Paris an, die mit einem mehrstündigen Fußmarsch von einem nachrichtendienstlich relevanten Gebäude zum anderen verbunden waren. Daher blieb es Journalisten überlassen, auf Spurensuche nach offiziellen und verdeckten Schauplätzen geheimdienstlichen Handelns zu gehen. Kid Möchel tat dies 1997 für die Spionagedrehscheibe Wien in seinem Buch „Der geheime Krieg der Agenten“. Der Journalist Sven Felix Kellerhoff und der Historiker Bernd von Kostka nahmen 2010 Berlin zu Recht als eine „Hauptstadt der Spione“ ins Visier. Zweifellos waren die beiden ehemaligen Viermächte-Städte multinationale Agentenhochburgen. Mit genauen Ortsangaben und Adressen knausern jedoch beide Werke. Sie konzentrierten sich mehr auf die operativen Aspekte des Schattenkriegs.
Nun hat Christoph Franceschini in einer Pionierarbeit unter Beweis gestellt, dass auch das eher rurale Südtirol ein Tummelplatz für Nachrichtendienste war. Als Grenzgebiet war der Landstrich natürlich nachrichtendienstlicher Transitraum. Die Kurierlinien deutscher, österreichischer, italienischer und anderer Geheimdienste verliefen entlang von Eisack und Etsch. Zwischenstopps für die Schleusung von Agenten und Kriegsverbrechern säumten den Weg von Nord nach Süd, aus dem deutschsprachigen Raum Richtung Rom und zurück. In den späten 1940er-Jahren schon stützte sich auch eine Funklinie der „Organisation Gehlen“ (Org.) nach Rom auf eine Station nahe dem Brenner, die ein Pater betrieb. Quer dazu lagen entsprechende Verbindungslinien aus dem norditalienischen Raum über Jugoslawien und Österreich in den sowjetischen Machtbereich.
Franceschini macht jedoch deutlich, dass sich die Rolle Südtirols bei Weitem nicht darauf beschränkte. Vielmehr war seine Heimat auch in bisher unbekanntem Ausmaß Ausgangspunkt und Zielgebiet von Geheimdienstoperationen oft multinationaler Reichweite. Das zeigt sich bereits im ersten Kapitel, in dem es um den tschechoslowakischen Dienst StB (Státní bezpečnost) geht, der im frühen Kalten Krieg ein Netzwerk von elf Südtirolern und ihren Zuträgern vorwiegend zur Militärspionage vor seinen Karren spannen konnte.
Die Staaten der jungen NATO folgten strategisch der US-amerikanischen Vorgabe, die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten in einem Ring von Norwegen über Italien und Griechenland bis hin zur Türkei einzudämmen. Eine durchgängige Frontlinie ließ sich wegen der Neutralität Österreichs und der Schweiz sowie wegen der Blockfreiheit Jugoslawiens dabei nicht realisieren. Das Bedrohungsszenario der westlichen Militärallianz ging deshalb davon aus, dass die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in der ČSSR, verstärkt durch tschechische Divisionen, unter Missachtung der österreichischen, schweizerischen und jugoslawischen Neutralität im Kriegsfall nach Norditalien einfallen könnte, um einen tiefen Keil zwischen die CENTAG (Central Army Group) und die SOUTHAG (Southern Army Group) in Italien zu treiben. Das ist der militärpolitische Hintergrund für die Militärspionage des StB: die strategische Tiefe der SOUTHAG und deren Streitkräfte im noch bis 1955 besetzten Österreich und der Schweiz sowie im Tito-Staat als potenziellen Operationsraum östlicher Armeen aufzuklären.
Heruntergebrochen auf Beschaffungsaufträge bedeutete dies, die Dislozierung und Infrastruktur von Streitkräften in Erfahrung zu bringen, geheime Aufmarschpläne des italienischen Militärs und selbst ihre Chiffrierverfahren zu beschaffen oder die Weisungen des Pariser Hauptquartiers der alliierten Streitkräfte in Europa zu erbeuten. Als Beifang fielen jedoch auch Informationen über die Südflanke der westlichen Militärallianz in Griechenland und der Türkei sowie auf der iberischen Halbinsel an – ja selbst Rezepturen von italienischen Impfstoffen.
Fast unbemerkt erhalten Leserinnen und Leser, die den spannungsreichen Verläufen folgen, eine Lektion in nachrichtendienstlicher Methodik. Das Potpourri des geheimdienstlichen Handwerks führt doppelte Identitäten und falsche Pässe, Decknamen und Tarnadressen, Erkennungszeichen und Parolen, Schließfächer und tote Briefkästen, Schleusungen über grüne Grenzen und abgelegene Trefforte wie Jagdhütten vor Augen.
Rein theoretisch gibt es zahlreiche Motive, die einen Menschen bewegen, als Agent tätig zu werden: politische Ideale, Rachsucht, Erpressbarkeit oder die Lust am Nervenkitzel. Rein praktisch dominiert aber eine andere Antriebsfeder: das finanzielle Interesse. Geld regiert auch die geheimdienstliche Welt. Die horrenden Summen, die der StB in seine Südtiroler Spione investierte, sprechen in den Armutsjahren der Nachkriegszeit als herausragender Grund Bände dafür und Franceschini bringt auch diese Tatsache auf den Punkt. Implizit muss man jedoch auch in Rechnung stellen, dass es vielen Südtirolern an Loyalität gegenüber dem italienischen Zentralstaat mangelte, der durch die Italianisierung der Region mit Schwerpunkt Bozen diese Abwehrhaltung der Deutschsprachigen nachhaltig schürte.
Spionage ruft nicht nur die allgemeine Spionageabwehr hervor, sondern auch die Krönung nachrichtendienstlichen Handels, die Gegenspionage, d. h. das Eindringen in gegnerische Geheimdienste vornehmlich durch die Gewinnung von Doppelagenten oder „countermen“. Das erste Kapitel zeichnet hier ein faszinierendes Hin und Her von Anwerbung und Überwerbung, von Seitenwechseln und Rivalitäten. Vom gewinnbringenden Verkauf von Falsifikaten über die Lieferung bloßen Spielmaterials bis hin zur selbstgefälligen Übertretung dieses Limits durch den Gedoppelten scheinen alle Facetten von List und Hinterlist auf.
Der Vorwortschreiber muss hier der Versuchung widerstehen, den Leserinnen und Lesern die Spannung zu rauben, indem er den Ausgang dieses Schattenkriegs vorwegnimmt. Nur so viel: Aufklärungserfolge des StB und Abwehrerfolge des italienischen „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) halten sich in den 1950er-Jahren wohl die Waage. Auf beiden Seiten waren sie allerdings verbunden mit der Unsicherheit, wer in Spiel und Gegenspiel zu welchem Zeitpunkt der Wahrheit näher kam und Punktsiege zu verzeichnen hatte.
Das zweite Kapitel gibt einen ersten Einblick in die Ausspähung separatistischer Bestrebungen, namentlich ihrer Speerspitze, des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol). Entgegengesetzt hat der italienische Staatsapparat den Loslösungswilligen verschiedene Akteure, voran das „Ufficio Affari Riservati“ (UAR), aber auch die politische Polizei, die sich beide in großem Umfang auf ehemalige Angehörige der faschistischen Geheimdienste stützten und eng mit US-Diensten kooperierten. Der Südtiroler Stützpunkt in der Quästur Bozen führte dabei eine Handvoll Informanten. Nachrichtendienstlichen Seltenheitswert hat dabei die Tatsache, dass Polizisten aus ihren Privatwohnungen heraus als Agentenführer fungieren, selbst über ihren Ruhestand hinaus. Hier wie im Folgenden geht die Darstellung der Entstehungsgeschichte der Dienste und ihrer Struktur fließend in das operative Geschehen über.
Der Hauptfeind der rechten politischen Klasse und ihres mächtigen Stützpfeilers CIA waren jedoch kommunistische Bestrebungen und die im westeuropäischen Vergleich einmalig starke kommunistische Partei PCI. Der Autor macht die Bekämpfung dieses inneren Gegners im dritten Kapitel zunächst an der Biografie des italienischstämmigen CIA-Agenten Joseph Peter Luongo fest, der 1945 in Bozen landete und die Stadt 1996 fluchtartig verließ.
Was folgt, ist ein Feuerwerk teilweise miteinander verwobener Lebensläufe von Agenten, die sich bei den verschiedenen italienischen und US-amerikanischen Spionageorganisationen verdingen, oft genug als Diener mehrerer Herren. Ein Stelldichein gaben sich dabei italienische Faschisten, ehemalige SS-Leute – darunter schwer belastete Kriegsverbrecher – und katholische Geistliche, deren Wege sich in vielen Fällen schon vor 1945 gekreuzt hatten.
Einmal mehr wird in diesem Kapitel deutlich, dass Geheimdienste, die aufgrund gleicher Ziele an demselben Strang ziehen sollten, von Konkurrenzdenken geprägt sind, national zwischen dem US-Militärnachrichtendienst „Counter Intelligence Corps“ (CIC) und der CIA, zwischen dem italienischen Innenministerium und dem SIFAR, länderübergreifend zwischen diesen vier und weiteren Akteuren wie den westdeutschen Diensten von Reinhard Gehlen und Friedrich Wilhelm Heinz. Hinzu kommen agenturinterne Rivalitäten zwischen Alpha-Tieren und der Blick auf das Nachbarland Österreich als operative Basis.
Die nächsten Kapitel knüpfen an das zweite an und werfen die Frage auf, was die italienischen Sicherheitsbehörden über den 1957 gegründeten „Befreiungsausschuss Südtirol“ tatsächlich wussten. Die Antwort fällt zugunsten der Aufklärungsqualität aus. Der Umfang von 650 aktiven Kämpfern blieb ebenso wenig geheim wie der Schlachtplan zur Erkämpfung der Unabhängigkeit. Ausführlich stellt der Autor einen Höhepunkt der Gewaltausübung, seine Hintergründe und Abläufe dar, die Feuernacht vom Juni 1961, in der die Stromversorgung nicht nur Südtirols, sondern auch norditalienischer Industriezentren durch die Sprengung zahlreicher Strommasten lahmgelegt werden sollte. Vorausgegangen war dem bereits der missglückte Anschlag vom Februar 1960 auf die Rohbauten von Volkswohnhäusern in Meran. Eine weitere Eskalation brachte ein Brandanschlag auf eine für italienische Zuzügler bestimmte Neubausiedlung am Rand von Bozen mit sich. Ein blindwütiger Terrorakt, muss man ergänzen, war dieses Attentat nicht. Der seinerzeit in Innsbruck ansässige Militärhistoriker Heinz von Lichem kannte die Motive der aus Österreich unterstützten Drahtzieher. Es ging ihnen darum, inhaftierte Aktivisten der sogenannten Bumser freizupressen, die von der italienischen Polizei gefoltert worden waren. Und dieses Ziel wurde, verbunden mit der Drohung, weitere Brandanschläge zu verüben, auch erreicht.
Die vom militärischen Nachrichtendienst geforderten drastischen Maßnahmen wie Ausbürgerung von Rückoptanten, Ausweisung österreichischer Staatsbürger oder ein Einreiseverbot für österreichische Politiker stießen auf der politischen Ebene nicht auf Resonanz. Weder die Regierung in Rom noch die in Wien waren an einer Verschärfung der Lage interessiert, die Kräfte des Heeresnachrichtenamts in Innsbruck und italienische Geheimdienste im Sinn hatten.
Mit dem Generalkonsul Luigi Tamburini und einem seiner Agenten versuchte der italienische Dienst am Hotspot der Sympathisantenbewegung für einen Anschluss Südtirols an Österreich in Innsbruck den Bergisel-Bund zu infiltrieren. Die SIFAR-Zentrale in Rom – so der Militärhistoriker Heinz von Lichem – konnte sich aber in der Hauptstadt des Bundeslandes Tirol auch auf zwei andere Verbündete stützen, zum einen vatikanische Kreise im Abschöpfen menschlicher Quellen, zum anderen auf den britischen Partnerdienst MI6, der die Ergebnisse von Abhöroperationen beisteuerte.
Das sechste Kapitel öffnet den Blick auf die Unterwanderung der Südtiroler Kommunisten durch eine Top-Quelle wie den Leiter ihres Bozner Büros Carlo Bernardo Zanetti, dessen Führungsoffizier Franceschini interviewen konnte. Zanetti stand bis zu seiner Enttarnung im Oktober 1952 für jenen hochrangigen Agententypus, der nicht nur hochkarätiges Insiderwissen liefert, sondern auch destruktive Personalentscheidungen einleiten kann. Dass der falsche Professor seine Spitzeldienste dann bis 1978 in ganz anderen Funktionen mit konträrer Stoßrichtung fortsetzte, hat seinen besonderen Reiz.
Es ist der reichhaltige Aktenfundus des US-amerikanischen Nationalarchivs, ergänzt durch Akten des Bundesnachrichtendienstes, der den folgenden Kapiteln über die Aktivitäten des SIFAR, der CIA und des BND Fleisch verleiht. Als Akteure werden zunächst der Pressezar und CIA-Agent Fritz Molden und der Journalist Wolfgang Pfaundler, Unterstützer und Waffenlieferant des BAS und zugleich Zuträger Pullachs, eingeführt. Einmal mehr erweist sich hier Innsbruck als Kampfplatz des verdeckten Krieges zwischen zahlreichen Nachrichtendiensten.
Gefährliche Geheimdienstgranden des Dritten Reichs wie der SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny oder der ehemalige Adjutant von Adolf Eichmann Otto von Bolschwing spielen im Nationalitätenkonflikt ungeachtet ihrer mörderischen Vergangenheit eine wichtige Rolle, die Franceschini minutiös nachzeichnet. Aber auch militärpolitische Themen wie die Stationierung taktischer Atomraketen vom Typ Honest John oder der Aufbau von Flucht- und Versorgungsrouten der „Stay Behind“-Netze im äußersten Norden Südtirols blitzen auf. Im zehnten Kapitel macht Franceschini dann deutlich, dass diese als „Gladio“-Netzwerk bekannt gewordenen Kriegsvorbereitungen zum verdeckten Kampf hinter den feindlichen Linien auch in Südtirol zum Aufbau geheimer Waffenlager, zu amerikanisch-italienischen Manövern und zu Sabotageplanungen bis hin zur Sprengung der Europabrücke führten. „Gladio“-Angehörige schürten auch die innenpolitische Spannung, indem sie Attentate verübten, die dann dem BAS in die Schuhe geschoben wurden. Provokationen dieser Art stehen selbst hinter der Neuauflage des Bombenterrors in den 1980er-Jahren.
Vom spionagetechnischen Klein-Klein schafft der Autor immer wieder den Sprung auf die weltpolitische Bühne, dort beispielsweise, wo es um die Berichterstattung über die brisante Lage in Südtirol für US-Präsident John F. Kennedy oder die Diskussionen im österreichischen Staatsapparat geht. Besonderen Geheimdienstmitarbeitern widmet Franceschini informative Kästen, die ein weites Spektrum unterschiedlichster Agententypen und ihrer Schicksale widerspiegeln. Da werden auch posthum zu Lebzeiten unentdeckte Südtiroler Spione entlarvt. Zu den interessantesten Miszellen zählt die Geschichte einer Agentin des israelischen „Mossad“, die in Südtirol rechtsextremistischen Organisationen nachspürt.
Abgerundet wird der erste Band durch die gründlich recherchierte Geschichte eines von den italienischen Diensten in Auftrag gegebenen Mordanschlags vom September 1964, bei dem ein Nordtiroler Journalist einen BAS-Aktivisten tötet, einen zweiten schwer verletzt. Dieser Fall wirkt bis heute fort, da die italienischen Behörden den Mörder noch immer decken.
Den studierten Historiker erkennt man in der Recherche, im Erschließen einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen, in erster Linie eines reichhaltigen Fundus von Primärquellen. Das Spektrum reicht dabei von Sach- und Personalakten der italienischen Dienste, Unterlagen der Justizbehörden bis hin zu Nachlässen, Dokumenten aus dem US-Nationalarchiv und zahlreichen Archivalien aus Prag. Die Auswertung der Literatur und Presse sowie Interviews mit aufgespürten Zeitzeugen oder ihren Nachkommen ergänzen die immense Fleißarbeit.
Den praktizierenden Journalisten spürt man am klugen Aufbau der Kapitel und der flüssigen Schreibe. Die turbulenten Ereignisse finden ihren Widerhall in der herausfordernden Dynamik des Textes. Franceschini arbeitet dabei mit einer Vielzahl wörtlicher Zitate. Das lässt den Zeitgeist atmen, die damalige Denkungsart und das konspirative Verklauseln in geheimdienstlichen Briefschaften nachempfinden.
In diesem ersten Band dominieren die nachrichtendienstlichen Hintergründe, Personen und Aktionen, die im Zusammenhang mit dem teils brutal ausgetragenen Nationalitätenkonflikt stehen. Der zweite Band legt seinen Fokus auf die Aktionen des bundesdeutschen Nachrichtendienstes (BND), die Ausspähung der Südtiroler Patriotenszene durch die ostdeutsche Staatssicherheit (STASI) und die Bespitzelung der Südtiroler Linken.
Den beiden Bänden ist über eine Heimatgeschichte des Klandestinen für die Südtiroler Landsleute hinaus eine breite Leserschaft zu wünschen.
Weilheim, im November 2020
Erich Schmidt-Eenboom