Czytaj książkę: «Totensteige», strona 7

Czcionka:

Sie lächelte. »Und, Frau Nerz, falls Sie vorhaben, nichts zu tun, so merken wir es auch, wenn Sie eine PK-Begabung haben. Dann produzieren Sie sozusagen einen Ausschlag ins Minus.«

Ich nicht! Dessen war ich mir sicher. »Und Cipión? Wo soll der solange hin?«

»Ich nehme nicht an, dass er die Schmidt-Maschine beeinflusst. Es gibt keinen Grund, warum er es tun sollte.«

Mein Dackel wurde mir unheimlich. »Könnte er es denn?«

»Schmidt hatte eine Katze. Die hat er in einen eiskalten Verschlag gesperrt. Darin hing eine Wärmelampe, die an seinen Apparat angeschlossen war. Die Lampe ging zufällig an und aus. Doch irgendwann wich sie vom Zufall ab und brannte länger als sie aus war. Die Katze hatte offenbar ein dringendes Bedürfnis nach Wärme gehabt. Leider hat Schmidt den Versuch mit dieser Katze nie wiederholen können.«

»Immer diese Katzen«, sagte ich. Cipión stellte wieder die Ohren und schaute mich mit Augen wie Haselnüsse an. »Schmidts Katze, Schrödingers Katze …«

»Fangen wir an?«

»In drei Teufels Namen.«

Die Parapsychologin verließ das Zimmer, und ich schaute dem Lichtkreis beim Springen zu. Unter keinen Umständen wollte ich hier irgendwas bewegen. Aber die Lichter hatten etwas Suggestives. Es quälte, dass sie so blödsinnig hin und her leuchteten und nicht über den Sechs-Uhr-Punkt hinauskamen. Es störte mich und mein optisches Gleichgewichtsempfinden. Und dann waren sie endlich mal auf der anderen Seite und kamen nicht rauf, rutschten zurück. Es war frustrierend. Es war ärgerlich und sinnlos, dass ich da draufstarrte. Wenn die Lichter einmal zügig den Kreis entlangglitten, war es eine Erholung, eine Erleichterung, eine Befriedigung. So rutschte ich hinein in das Experiment, das ich hatte torpedieren wollen, und auf einmal war ich dabei, zu fordern, dass die Lichter auf der Kreisbahn blieben, es zu wollen. Und wenn es mir gelang, dass sie in die eine Richtung sprangen, war ich stolz wie Oskar.

Als Dr. Derya Barzani hereinwehte und mich erlöste, war das Sonnenviereck, in dem Cipión sich auf die Seite gelegt hatte, um zu schlafen, schon halb von ihm heruntergerutscht. Benommen folgte ich den prallen Waden und schlanken Fesseln in ein Büro am Ende des Gangs, in dem viele Bücher standen. Derya begab sich hinter ihren Schreibtisch und klickte sich mit starrem Blick durch Kurven und Zahlen.

Ich rang um meine Ich-Renaissance und gierte nach einer Kippe. Also runter und raus. Auch Cipión freute sich über die Rückgewinnung seiner Identität als pinkelnder Rüde.

Ein Paar Stockenten durchpflügte das grüne Wasser im Graben. Mein Handy klingelte. Ich hatte es gar nicht leise gestellt, fiel mir auf. Und trotzdem rief Richard erst jetzt an und fragte: »Wo steckst du denn?«

Mir fiel ein, dass ich Dr. Barzani eigentlich nach Rosenfelds Besuch in Neuschwanstein hatte fragen wollen und es nicht getan hatte. »Auf Kalteneck«, antwortete ich. »Ich habe gerade einen PK-Test gemacht und warte auf die Auswertung.« Meine Armbanduhr zeigte halb zwei. »Wieso rufst du erst jetzt an?«

Ich hörte ihn schlucken. Er versuchte meine Frage einzuordnen. Nerz’sche Neckerei oder Gefahr im Verzug? »Störe ich?«

»Nein. Aber vor fünf Minuten hättest du mich noch beim Experiment gestört, und es wäre vermutlich misslungen.«

»Ah.« Er entschied sich für seine eigene Richtung: »Ich hatte bis eben zu tun. Dann hast du es noch nicht in den Nachrichten gehört?«

»Was denn?«

»Es hat einen Anschlag auf einen Gefangenentransport gegeben. Juri Katzenjacob saß im Wagen.«

»Ach was!«

»Es sieht nach einem Befreiungsversuch aus. Heftig. Ein Polizeibeamter wurde lebensgefährlich verletzt, einer der Angreifer ist tot. Dem ersten Augenschein nach kam er durch die vorzeitige Explosion eines Sprengsatzes ums Leben. Laut Pass stammt er aus Rumänien. Zwei, womöglich auch drei weitere sind flüchtig. Für den genauen Tathergang wird man die Auswertung der Überwachungskameras abwarten müssen.«

»Krass!« Ich sortierte mich. »Wann war das?«

»Kurz nach halb elf. Katzenjacob sollte zu einem Haftprüfungstermin gebracht werden. Sie haben den Transporter direkt an der Einfahrt angegriffen, vor dem Tor. Du weißt, wo das ist? Cannstatter Straße, hinter der Tankstelle.«

Natürlich wusste ich das. Es war genau hinter der Staatsanwaltschaft.

»Ich habe die Knallerei gehört.«

»Aber warum heute?«, fragte ich. »Was ist heute anders als letzte Woche oder vor zwei Wochen?« Damit konnten meine drei Kontaktaufnahmen nichts zu tun haben, denn eine bewaffnete Befreiung musste vorbereitet werden.

»Letzte Woche war kein Haftprüfungstermin«, antwortete ­Richard.

Das war eine gute Erklärung. »Also eine undichte Stelle bei der Polizei oder in der Justizverwaltung?«

»Von einem Haftprüfungstermin kann jeder wissen, der es wissen will. Die Presse wusste es. Der Anwalt hat es mitgeteilt. Am Freitag hat sich einer vom Stuttgarter Anzeiger bei uns erkundigt, wann genau der Termin ist. Seit einer Stunde versuche ich, ihn aufzutreiben. Zur Arbeit ist er nicht erschienen, er hat sich nicht krankgemeldet, und bei den Streiks der Redakteure gegen Lohnkürzungen ist er auch nicht dabei.«

»Eine Schweinerei ist das. Die wollen doch wirklich die Löhne senken, um fünfundzwanzig Prozent für Neueinsteiger.«

»Ja, Lisa. Aber weswegen ich dich anrufe … Er geht auch nicht ans Handy. Roland Hoffmann heißt er.«

»Kenne ich nicht. Vielleicht einer der neuen Freien.«

Ich hörte Richard enttäuscht ausatmen. »Hätte ja sein können.«

»Ich bin nur noch ganz selten in der Redaktion, weißt du doch. Wo wohnt der Kerl denn?«

»Die Polizei ist schon unterwegs zu ihm.« In so was war die Polizei gut. Auch im Aufspüren von Verbindungen in den osteuropäischen Raum. »Ich hatte nur gehofft, dass du Hoffmann …« Richard stockte bei der unverhofften Sinnhaftigkeit, »zufällig kennst und mir was über ihn sagen kannst.«

Mumpitz, dachte ich, das ist nicht der Grund seines Anrufs. Richard wandte sich sonst auch nicht an mich, wenn es um seinen Job und meine Kollegen ging. »Glaubt ihr denn, er hat was damit zu tun?«

»Wir glauben momentan gar nichts, Lisa. Aber es wäre mir sehr lieb, wenn du in dieser Sache äußerste Zurückhaltung walten ließest. Was machst du auf Kalteneck? Hatten wir nicht gesagt, dass es dort nichts …«

»Sorry«, unterbrach ich ihn. »Ich muss Schluss machen.« Es war nicht mal gelogen, denn soeben trat Dr. Derya Barzani vor die Tür auf die Terrasse. »Ich melde mich nachher.«

14

Fast stolperte sie über Cipión, der sie freundlich begrüßte. Sie mochte keine Hunde, das sah ich ihr an. Ein wenig steifbeinig umrundete sie den Schlappohrunhold. Cipión hingegen mochte Menschen, die keine Hunde mochten, weil sie ihm nicht in die Augen schauten. Das fand er höflich und nett.

»Ihr Wert liegt bei 3,5«, eröffnete mir die Frau Doktor.

»Kann ich damit noch Auto fahren?«

Sie lachte knapp. »PK-Experimente sind reine Statistik. Viele PK-Experimente hat man wegwerfen müssen, nachdem Statistiker sie nachgeprüft hatten. Es geht hier um äußerst geringe Abweichungen von der Normalverteilung und den kleinen Schwankungen, die das System selbst produziert. Sie verstehen?«

Ich nickte, während es in meinem Hinterkopf grübelte. Wer konnte ein Interesse daran haben, Juri Katzenjacob aus der U- Haft freizubekommen? Hatte er denn Kontakte nach Rumänien? Gab es gar Familienmitglieder, die er gesucht hatte oder die ihn gesucht hatten?

Fragte ich mich damals auf der schattigen Terrasse der Wasserburg Kalteneck aber auch schon, ob Juri womöglich der eine war, der es konnte, der Parapsychopath, der Psychokinetiker, der Channeler, der Übersinnige, der Psi-Agent? Nein. Ich dachte es nicht. Mit keinem noch so versteckten Neuronenhäufchen, das sich später melden und sagen konnte: Ich hab’s geahnt, ich hatte die ganze Zeit so ein blödes Gefühl, hättste mal auf mich gehört!

Vielmehr starrte ich auf das oberste Blatt in Barzanis goldgeschmückter Hand, auf dem eine Zickzacklinie aufstieg wie die Kurve des DAX kurz vor der Tagesschau, und versuchte mich zu konzentrieren. Immerhin ging es um meine künftige Lebenstauglichkeit.

»Wir arbeiten mit dem kritischen Bruch«, dozierte die Dame mit dem Rosenmund, »um zu entscheiden, ob der Grad der Abweichung von der Zufallserwartung signifikant größer ist als die üblichen Zufallsschwankungen. Den KB erhält man, indem man die beobachtete Abweichung durch die Standardabweichung teilt.«

»Geschenkt. Ich vertraue dem Kritischen Bruch. Habe ich den Teufelsapparat nun beeinflusst oder nicht?«

»Nein.«

»Ach so?« Ich war enttäuscht und erleichtert.

»Aber Sie haben eine signifikante Abweichung von der Normalverteilung erzeugt. Und zwar eine außerordentlich hohe.«

Mein innerer Umbau zum Gespenst nahm Gestalt an. »Ich bin an sich schon eine signifikante Abweichung von der Norm.«

»Schauen Sie«, sagte sie, meine verzweifelten Sprüche tapfer missachtend, und trat an mich heran. »Diese Linie bewegt sich weit über der x-Achse, die für die Normalverteilung steht. Das sind Sie. Bei 7000 Versuchen hatten Sie 342 Treffer.«

Das kam mir dann doch nicht so viel vor.

»Ja, es sind immer nur sehr kleine Effekte, die wir im Labor beobachten. Aber Sie haben es geschafft. Und dass die Kurve dann abfällt, ist normal.«

»Es ist ja auch anstrengend. Man ermüdet irgendwann.«

»Daran liegt es nicht.«

»Sondern?«

»Es liegt daran, dass Sie den Zufallsgenerator nicht wirklich beeinflusst haben.«

»Sie sind entzückend. Ich liebe Sie!«

Sie wischte sich das Haar hinters Ohr und kniff die Mimik zusammen. »Denken Sie an das, was ich vorhin gesagt habe: Es ist eine unmögliche Aufgabe. Sie können den radioaktiven Zerfall nicht beeinflussen. Sie können ihn nicht stoppen oder beschleunigen. Diese statistischen Ausreißer produziert die Schmidt-Maschine hin und wieder von selbst. Wir nennen das eine Fluktuation. Sie kommt in allen Systemen vor. Abweichungen, Extremzustände. Der springende Punkt ist der: Die Maschine hat die Fluktuation genau in dem Moment erzeugt, als Sie das wollten.«

»Aha. Wie das?«

»Man könnte es vielleicht so erklären: Sie haben sich just in dem Moment ins System eingeschwungen, als es eine Fluktua­tion produzierte. Sie sind Teil des Systems gewesen.«

»Das muss ich jetzt nicht verstehen, oder?«

»Es wäre schön, Sie würden es versuchen. Ich möchte, dass Sie verstehen, was wir daraus schließen. Wir schließen nämlich, dass Psi keine Energie ist, welche die physikalischen Verhältnisse außer Kraft setzt. Es handelt sich hier nicht um eine Kraft. Sie sind kein Sender, der Apparat ist kein Empfänger.«

»Hm.«

»Wenn es eine Kraft gäbe, die von außen auf die Maschine einwirkt, dann müsste man eine Spur davon im radioaktiven Material finden, eine Beschleunigung des Zerfalls, welche die durchschnittliche Zerfallsrate nachweisbar verändert hätte, irgendwas. Aber niemand hat bisher eine solche Spur von Psi gefunden.«

»Und was ist es dann, was da geschieht?«

»Psychokinese ist, wenn ein physikalisches System eine Fluktuation produziert, in dem Moment, wo Sie das wollen. Es ist eine … eine Verschwörung.«

»Ein nicht zufälliges Zusammentreffen …«, stocherte ich.

»Wie ich sage: eine Verschwörung. Der menschliche Geist verschwört sich mit einem physikalischen System und erzeugt eine Abweichung von der Wahrscheinlichkeit.«

Das beeindruckte mich nicht sonderlich. Vielleicht lag es daran, dass ich von mir selten beeindruckt war. Wenn ich was konnte, konnte es nicht viel wert sein.

»Nehmen wir ein Beispiel aus der makrophysikalischen Welt«, sagte Barzani wiederum ziemlich hellsichtig. »Ein Vater setzt seine Tochter, die gerade den Führerschein gemacht hat, ans Steuer. Hinten sitzt der kleine Bruder. Er schnallt sich los, um sich die Jacke anzuziehen. Eine Katze …«

Cipión schaute sich hektisch um und schnüffelte in die Luft.

»… läuft auf die Fahrbahn. Die Tochter legt ein Vollbremsung hin. Dabei verliert sie die Kontrolle über den Wagen. Er prallt gegen einen Poller und dann gegen eine Mülltonne. Der Bruder wird hinausgeschleudert. Aus der Mülltonne fliegt eine Bratpfanne heraus und …«

Ich musste lachen.

»Nicht möglich? Genau das habe ich vor ein paar Tagen in der Zeitung gelesen. Und weiter: Die Bratpfanne trifft den kleinen Bruder am Kopf. Er stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.«

Eben noch gelacht und schon tot. »Eine Verkettung äußerst unglücklicher Umstände.«

»Eben, eine Verkettung!« Sie hob den Finger und nahm mit ihrem Blick meine Augen in die Zange. »Ein System ist entgleist. Dabei hat es jedoch nur das getan, was ihm möglich ist.«

Grauen stieg die Kapillaren meiner Seele empor. »Und Sie meinen, jemand … die Tochter beispielsweise … hat das bewirkt? Nein, ist daran beteiligt, weil der kleine Bruder sie schon lange nervt? Oder der Vater, weil er seit Jahren von finaler Lebensflucht träumt?«

»Das wäre eine mögliche Interpretation. Wenigstens einer im Wagen befand sich im Zustand seelischer Instabilität. Dann muss nur eine Kleinigkeit passieren, und das System gerät aus dem Ruder.«

»Und wie muss ich mir diese geistige Instabilität vorstellen?«

»Als ein Nicht-bei-der-Sache-Sein vielleicht. Als Versunkenheit in einem persönlichen Problem, das auf Lösung drängt.«

»Ah so!« Ich war erleichtert. »Also ein schicksalhafter Fehler aus Mangel an Konzentration. Das kommt vor.«

»Unentwegt. Aber entscheidend ist der Moment. Warum passiert der Unfall, als der kleine Bruder sich gerade losgeschnallt hat? Und wie oft liegen Bratpfannen in einer Mülltonne?«

Wieso fiel Sally der Bierhumpen ihres Vaters aus der Hand oder aus dem Regal, als ihr Vater starb? »Okay. Und Sie meinen also, das kann jeder.«

»Nein, keineswegs. Psi-Fähigkeiten hat nicht jeder, man kann sie weder lernen noch üben. Das gilt zumindest für die Labor­situation. Die Forschung hat Psi-Fähigkeiten bestimmten Charaktereigenschaften zuordnen können, ja müssen. Sonst könnten Sie jetzt sagen, die Fluktuation hätte sich auch ereignet, wenn Desirée Motzer an Ihrer Stelle gesessen hätte. Aber das ist nicht so.«

»Und diese Charaktereigenschaften wären?« Ich gierte. Derya war ja an sich nicht zurückhaltend, mir mal kurz meine Identität zu definieren.

»Ängstliche, verklemmte Menschen produzieren jedenfalls keine PK-Effekte. Das kann man sagen. Gesellige, gelassene und extrovertierte schon eher. Es gehört ein gewisses Selbstvertrauen dazu und eine«, sie schmunzelte, »eine starke Maskulinität.«

»Klingt, als hätte man solche Experimente hauptsächlich mit Männern durchgeführt.«

»Keineswegs.« Die zierliche Frau Doktor warf mir einen kurzen Seitenblick zu. »Die große Kulagina, das russische PK-­Medium … Aber von der haben Sie ja schon gehört.«

Ich hatte sie sogar vorhin selbst erwähnt. »Die Meisterin der Salzstreuer.«

»Sie war Soldatin. Sie hatte zwar keine Wahl, abgesehen davon, dass sie Funktechnikerin geworden war, aber Finley sagt, ihr Spirit war sehr maskulin.«

»Was auch immer das ist.«

Derya Barzani lächelte selbstsicher. »Na, Männer sind ja durchaus empfänglich für weibliche Signale. Und wenn sie ­fehlen …«

15

Mit der E-Mail-Adresse von Héctor Quicio, Mitarbeiter bei der AEIP, der Asociación Española de Investigaciones Parapsicológicas, fuhr ich nach Stuttgart zurück. Ich schrieb ihm sofort, ohne den genauen Grund anzugeben. Dann rief ich Richard an.

Roland Hoffmann war wieder aufgetaucht. »Er stand«, erzählte Richard, »im Megastau auf der A8 an der Messe. Da sind beim Parkhaus gestern Abend zwei Gefahrguttransporter zusammengestoßen, einer mit Essigsäure, der andere mit Benzin. Die Autobahn war bis 14 Uhr 30 siebzehn Stunden komplett gesperrt.«

»Hab ich in den Nachrichten gehört.«

»Und Hoffmanns Akku war leer. Und du, was hast du in Kalteneck gemacht?«

»Sozialgeräusche. Und wie war dein Tag?«

»Lisa«, sagte er. »Was in drei Teufels Namen soll das werden?«

»Immerhin weiß ich nun, dass ich eine PK-Begabung habe. Ich bin schon fast fahruntüchtig.«

»Schön für dich.«

»Weiß ich noch nicht, Richard. Mein Schicksal bekommt einen ganz anderen Unsinn, wenn ich annehme, ich hätte es selbst verursacht. Das heißt, man verursacht es ja nicht, man ist nur dabei, wenn es passiert, und wenn man nicht dabei wäre, würde es nicht passieren. Verstehst du das?«

»Nein«, sagte er leicht besorgt. »Alles in Ordnung bei dir?«

Wann war je irgendwas in Ordnung bei mir? »Ich möchte mit dir nach Neuschwanstein fahren, Richard.«

Ich hörte ihn atmen. »Okay, wenn dir das so wichtig ist.«

Ich verschluckte mich vor Überraschung. »Wann?«

Zwei Tage später verhaftete man in einem transsilvanischen Dorf zwei Brüder, bei denen sich Spuren des verwendeten Sprengstoffs fanden. Der Gute Tag berichtete, sie hätten gestanden, dass sie zusammen mit einem Cousin aus einem Nachbardorf den Überfall auf den Gefangenentransport in Stuttgart begangen hatten. Den Auftrag hätten sie Anfang Februar über einen Kontakt aus dem kriminellen Milieu erhalten, zusammen mit einer Anzahlung von 30 000 Euro. Bei Ablieferung des Befreiten hätten sie dasselbe noch einmal bekommen sollen. Über den Mann, den sie befreien sollten, hätten sie nichts gewusst. Sie hätten ihn in einem Transporter über die tschechische Grenze bringen und dort auf einem Parkplatz stehen lassen sollen. Nachdem das alles nicht geklappt habe, seien sie zurück in ihr Dorf Viestea de Sus gefahren.

Die Spur zum Auftraggeber endete für die Ermittler nach weiteren vier Tagen in Moskau bei der Leiche des Kontaktmanns aus dem kriminellen Milieu.

Der Presse konnte ich auch entnehmen, dass Juri Katzenjacob sich zu dem Vorgang nicht äußerte und sein Anwalt bessere Schutzmaßnahmen forderte. Über Kontakte Juris nach Osteuropa wurde nichts bekannt, aber der Gute Tag hatte ein Mädchen ausgegraben, noch Schülerin, wegen der es Juri angeblich nach Böblingen gezogen hatte. Eine gewisse Angela K., hübsch und Nichte des Malermeisters, der Juri angestellt hatte. Der Gute Tag zitierte sie auf der Stuttgarter Lokalseite mit den Worten: »Mich hat’s vor ihm gegruselt«, und kolportierte die Geschichte, dass Juri auf einer Landstraße plötzlich angehalten habe, ausgestiegen und zu einem Fuchs gegangen sei, der überfahren am Straßenrand lag. Mit bloßen Händen habe er dem Fuchs die Eingeweide herausgezogen.

Über Facebook fand ich Angela K. auch gleich und schickte ihr die Nachricht, dass ich mich gern mit ihr unterhalten würde. Sie wollte erst nicht, ließ sich dann aber mit Hilfe einiger Scheine zu einer Verabredung nach Stuttgart locken. Allerdings kam sie nicht. Ging auch nicht ans Handy. Der Unfall, der sie wenige Stunden zuvor das Leben gekostet hatte, war spektakulär genug, dass ihn am Abend die Radionachrichten meldeten. Ein Siebzehnjähriger hatte ohne Fahrbegleiter im Auto vom Vater eines Freundes betrunken die Kontrolle verloren und Angelas Fahrrad auf den Kühler genommen. Sie war zwanzig Meter weit geflogen und auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben.

Mich gruselte.

Auf eine Antwort von Héctor Quicio wartete ich auch vergeblich. Ich telefonierte mich durch die Uni Alicante, bis man mir mitteilte, dass es dort keine Parapsychologen gab. Ein etwas genauerer Blick ins Internet ergab, dass die AEIP nicht zum Campus gehörte, sondern in einem Stadtteil namens San ­Vicente del Raspeig lag. Ich wählte die Nummer des Departamento de Investigaciones und landete bei einer Maite, die mir erklärte, sie kenne keinen Héctor, aber sie sei auch erst seit März im Institut. Und sie sei auch gerade ganz alleine. Ich solle in einer Stunde wieder anrufen. Da konnte sie mir immerhin sagen, dass ­Héctor das Institut Anfang des Jahres verlassen habe. Sein Vater sei krank geworden, er habe der Mutter mit dem Restaurant helfen müssen. Wo das sei, konnte sie nicht sagen. Eine private E-Mail-Adresse habe sie nicht, sie wolle sich aber erkundigen. Als ich gegen ein Uhr wieder anrief, war Mittagspause. Auch am Nachmittag ging niemand mehr an den Apparat.

Ich fand Héctor Quicio in Facebook. Aber er hatte sein Profil nur für FreundInnen offen, deren er an die tausend besaß. Eine Schnittmenge mit meinen gab es nicht. Ich suchte mir die hübscheste unter den ersten zehn aus und schickte ihr eine Freundschaftsanfrage. Sie hieß Rosario Fornes de la Torre.

Sofort Erfolg hatte ich mit Kitty zu Salm-Kyrburg. Sie erklärte sich bereit, uns mit ihren Leuten zu einer PU zu Tourismusbedingungen ins Schloss Neuschwanstein zu begleiten, vorausgesetzt, ich übernähme die Kosten von Anreise, Parkplatz, Eintritt und Verpflegung. »Und Sie müssen die Eintrittskarten vorbestellen, sonst müssen wir zwei Stunden anstehen.« Ich guckte mir die Internetseite an. Es würde teuer, wenn ich Meisner, den LOStA Krautter, die junge Staatsanwältin Nadja Locher und Roswita Kallweit überreden konnte mitzukommen. Aber waren sie wirklich nötig? Lieber hätte ich Dr. Derya Barzani dabeigehabt – keine Ahnung, warum. Und wie brachte ich das den Leuten bei?

Ich begab mich zur inneren Klärung ins Fitnessstudio. Mit Rücksicht auf die ziependen Narben meiner Schussverletzung hatte ich erst vor anderthalb Monaten wieder angefangen, Judo zu trainieren. Und noch immer fehlten mir Kraft und Ausdauer. In dem Weiber-Studio meines Vertrauens waren die Rudergeräte nicht beliebt. Es gab fünfundzwanzig Crosstrainer, zwanzig Fahrräder und fünfzehn Laufbänder, aber nur zwei Rudergeräte. Dünne Mädchen wackelten sich auf den Steppern die Pobacken ab, dicke saßen auf den Rädern. Mit vier Ave Maria von Nina Hagen ruderte ich mich in den Rausch. Das waren 24 Minuten und fünfeinhalb Kilometer. Der Buena Vista Social Club half danach weiter mit Chan Chan, Orguellecida und Candela. Dann noch mal alles von vorn.

Als ich mit Gummibeinen nach Hause kam, hatte die gute Oma Scheible mir einen Topf saurer Kutteln und Bratkartoffeln in die Küche gestellt. Sie waren noch warm.

Ich nahm den Topf mit in den Salon und stellte den Fernseher an, Nachrichten gucken. Es war der Tag, an dem US-Militärs in einer Villa im pakistanischen Kurort Abbottabat, ihren Angstgegner Osama bin Laden erschossen hatten und aufgeregte Journalisten Obama bin Laden und Barack Osama sagten, die Anschläge auf das World Trade Center in New York auf den neunten Elften legten und bewiesen, dass sie das Töten von Gegnern viel geiler fanden als deren Verhaftung und Anklage.

Ich hatte gerade begonnen, mit großem Löffel die Kutteln zu schlabbern, da rief Richard an. »Kannst du mal bitte schnell ­herüberkommen? Ich sag an der Pforte Bescheid.«

»Was gibt’s? Ich bin gerade …«

»Bitte!« Damit legte er auf.

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