Czytaj książkę: «Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber», strona 4

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Ei oder Huhn

Bereits in der Antike wälzten grosse Geister das Henne-Ei-Problem: Wer war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Der griechische Gelehrte Aristoteles (384–322 v. Chr.) stellte die Frage in seinen zoologischen Schriften und entschied sich für die Henne. Das Ziel der Entwicklung eines Lebewesens, erklärt er, sei das voll entwickelte Exemplar, das in seiner ganzen Erscheinung die Art repräsentiere. Und das sei die Henne, nicht das Ei. Ebenfalls für die Henne entschied sich mit vergleichbaren Argumenten ein anderer Grieche. In einer Übersetzung aus dem Jahr 1766 der «Moralischen Abhandlungen» von Plutarch (ca. 45–125) lese ich, etwas könne doch unmöglich «ein Theil eines Dinges seyn, das noch gar nicht da gewesen ist. Daher pflegt auch Niemand zu sagen, der Mensch des Saamens oder die Henne des Eyes, sondern der Saame des Menschen, das Ey der Henne, weil der Saame und das Ey erst nach dem Menschen und der Henne kommen, in diesen ist ihre Entstehung erhalten.»

Georg Philipp Harsdörffer entscheidet sich in seinem «Des Teutschen Secretarii» von 1659 auch für das Huhn, bezieht sich jedoch, wie die meisten Theologen, die dieses Problem diskutieren, auf den Schöpfungsbericht der Bibel und die Macht Gottes:

«Ob nemlich die Henne oder das Ey älter seye? Antwort / die Henne / welche mit allem Geflügel am fünfften Tag der Schöpffung durch Gottes Machtwort erschaffen worden / die Welt benebens (neben) andern zu zieren / und den Menschen zu nutzen.»

In seiner «Logik» von 1829 entscheidet sich der Philosoph und Arzt Ignaz Paul Vitalis Troxler weder für das Huhn noch für das Ei, denn für ihn ist das Henne-Ei-Problem ein reines Sprachproblem, und zwar ein Sophisma Polyzeteseos, d. h. ein Scheinproblem des trügerischen Fragens. Er schreibt:

«Es gibt unendlich viel dergleichen Aufgaben, nämlich bei allen unbestimmten oder unbestimmbaren Verhältnissen, bei welchen eine Bestimmung gefordert wird, z. B. bei einer Kugel, die nicht durch ein Loch geht, die Frage: ob das Loch zu klein, oder die Kugel zu gross? – ob das Huhn vor dem Ei, oder das Ei vor dem Huhn da gewesen? Eben so liesse sich beweisen, man könne gar nicht sterben, denn man könne nicht sterben, wenn man schon todt sey, und man könne nicht sterben, so lange man noch lebe, folglich sey Sterben rein unmöglich.»

Damit hat Troxler jedoch nicht das letzte Wort gesprochen, denn die Frage geht immer noch um. «Bild» titelt am 15. Juli 2010 «Henne-Ei-Problem nach Jahrhunderten gelöst. Forscher sicher: Das Huhn war vor dem Ei da!» Wissenschaftler der englischen Universität Warwick, erklärt der Artikel, hätten herausgefunden, dass für die Schalenbildung des Eis das Protein Ovocledidin-17 (OC-17) notwendig sei. Dieses Protein werde in den Eierstöcken des Huhns produziert. Darum seien die Wissenschaftler überzeugt, zieht «Bild» das Fazit: «Es muss zuerst das Huhn gegeben haben, denn ohne Henne kein OC-17, damit auch keine Schale, also kein Ei.»

Obwohl diese wissenschaftliche Erklärung das Problem nicht wirklich löst, lassen wir es dabei bewenden und wenden uns dem Ei des Kolumbus zu. Die Geschichte zeigt am Beispiel eines Eis, das durch leichtes Eindrücken der Spitze zum Stehen gebracht wird, wie einfach sich schwierige Probleme manchmal lösen lassen. Eine der frühen Fassungen der auf Kolumbus übertragenen Anekdote lesen wir in Johannes P. de Memels (Johannes Prätorius) «Neuaussgebutztem, kurtzweiligen Zeitvertreiber» von 1685:

«Columbus nahm einsmals bey einem grossen Banquet ein Ey / wie es von der Hennen kommen / liess sich einen wol polierten Spiegel geben / und fragte / ob jemand das Ey könte auff den Spiegel stellen / dass es mit einer Spitz den Spiegel berührte / und mit der andern nach dem Bley strack gegen Himmel stünde? Die Sach wurde zwar versucht / aber gantz vergeblich. Da nahm Columbus das Ey / stiess es am spitzesten End auff den Teller / dass es breit und stumpff wurde / und stellte es abgeredter Massen auff den Spiegel. Oho / sagte jederman / das hätten wir auch thun können. Warumb hats aber euer keiner gedacht / noch werckstellig gemacht / sagte Columbus. Ist demnach nichts leichter / als andere tadeln.»

Wir brauchen den Ausdruck das Ei des Kolumbus für eine «überraschend einfache Lösung». «Das Ei des Kolumbus ist unerwünscht», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» vom 23. August 2014, «die Gastrosuisse-Initiative ist nur die jüngste Episode in der jahrealten Debatte um die Mehrwertsteuer».

Älter als die Geschichte vom Ei des Kolumbus ist der Brauch, an Ostern Eier zu färben. Im 12. Jahrhundert führt die Kirche die benedictio ovorum, d. h. die Eiersegnung an Ostern ein und um 1200 erzählt der alemannische Dichter Freidank von gefärbten Eiern: «Ein kint naem ein gemâlet ei / für ander driu oder zwei.» Georg Henisch erwähnt in seiner «Teutschen Sprach und Weissheit» von 1616 «die geferbte ayr / so umb Osteren gessen werden», und Maurus von Griesskirchen, ein Prediger des 17. Jahrhunderts, berichtet: «Wir begehen an heut das hochheilige Osterfest, pflegen einander gefärbte Ayr zu verehren und wollen hierdurch andeuten, das Ayr seye ein Abbildung unsers glorwürdigen von dem Todt aufferstandnen Heiland Jesu.» Eine Legende erzählt: Simon von Kyrene, ein Eierhändler, war mit seinem Eierkorb unterwegs, als er Christus auf dem Weg zur Richtstätte begegnete. Die Soldaten hielten ihn an und zwangen ihn, für Jesus das Kreuz zu tragen. Er stellte seinen Korb ab und tat, wie ihm geheissen war. Als er zu seinem Korb zurückkam, waren alle Eier farbig.

Das Ei machte sich in unserer Sprache noch auf andere Art breit als mit dem Henne-Ei-Problem, dem Ei des Kolumbus und dem Osterei. Es hat es bis in die Sprache der Geometrie geschafft: Ein Oval, benannt nach einem von lateinisch ōvum «Ei» abgeleiteten spätlateinischen Fremdwort, ist eine geschlossene Kurve zwischen Kreis und Ellipse. Die heute kaum mehr benutzte deutsche Bezeichnung dafür war Eirund. Eiform und eiförmig werden hingegen heute noch oft gebraucht. Die eierförmig gepressten Briketts nennen wir Eierbriketts. Die Eihandgranate Modell 17 wurde im Ersten Weltkrieg, Modell 39 im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Soldaten verwendet. Mit ihr konnte man dem Feind ein Ei legen «schaden». Die Redensart öpperem es Ei lege «jemandem zu schaden versuchen» kommt aber nicht von der Handgranate her, sondern vom Kuckuck, der seine Eier in fremde Nester legt. Sie ist in Schweizer Mundarten seit dem 19. Jahrhundert belegt; im ersten Band des «Idiotikons» von 1881 lesen wir: eim es Ei legge «zu schaden suchen».

Unter dem Titel «Ein dickes Ei» berichtet der «Blick» am 4. August 2017 in einem Artikel, dass FDP-Parteipräsidentin Gössi die Renten für Senioren im Ausland infrage stellt. Der Artikel schliesst mit der Bemerkung, Gössi habe «damit ihren möglichen Bundesräten ein nicht minder dickes Ei gelegt». Du dickes Ei oder ach du dickes Ei ist seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Ausruf der Überraschung oder des Ärgers. Ein frühes Beispiel finden wir in Wolf von Niebelschütz’ Roman «Der blaue Kammerherr» von 1949: «‹O du dickes Ei›, sagte er plötzlich, ‹o du ganz dickes Ei: der Türk ist König von Phrygien›.»

Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts meint sich um ungelegte Eier kümmern «sich um Dinge kümmern, die noch nicht spruchreif sind oder einen nichts angehen». Bereits Martin Luther nahm «sorgest für ungelegte eyer» in seine Sprichwörtersammlung auf und erklärte, das meine, «sich Sorge machen über Dinge, die kaum erst in einer entfernten Möglichkeit da sind und in ungewisser, zweifelhafter Ferne liegen». «Viel Wind um ungelegte Eier», titelt der «Weser-Kurier» vom 15. September 2015.

Ein Eiertanz war ursprünglich, wie uns ein Nachschlagewerk aus dem Jahr 1842 erklärt, ein Tanz, «welcher zwischen mehreren Reihen von Eyern, die auf den Boden der Schaubühne hingelegt worden, so ausgeführt wird, dass der Tänzer auf den Zehenspitzen zwischen diesen Eyern hindurch tanzt, ohne ein Ey zu berühren, vielweniger es zu zertreten». In übertragenem Sinn bezeichnen wir heute mit Eiertanz ein «sehr vorsichtiges, gewundenes Verhalten». Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 6. Dezember 2011 titelt: «Eiertanz mit Ausländern».

Wer einen Eiertanz aufführt, eiert nicht, denn eiern meint «ungleichmässig rotieren oder wackelnd gehen». Das Wort kam im 20. Jahrhundert auf und wurde zuerst für ein Rad gebraucht, das nicht rund läuft, weil seine Felge zu einem Ei verformt ist. Neuerdings meint herumeiern auch «sich unklar äussern, sich unschlüssig zeigen, umherirren». In einem Artikel des «Tages-Anzeigers» vom 5. März 2013 sagt Politexperte Michael Hermann: «Man kann auch gemässigte Positionen vertreten, ohne herumzueiern.»

Im Schatz der Redensarten ist das Ei seit der Antike vertreten. Wir sagen auch in der deutschen Sprache zuweilen noch ab ovo, wenn wir «ganz von Anfang an» meinen, z. B. im Satz: Rollen wir die Sache doch mal ab ovo auf. Damit zitieren wir den römischen Dichter Horaz (65–8 v. Chr.), der den Ausdruck in seiner «De arte poetica» braucht.

Der römische Philosoph und Politiker Seneca (ca. 1–65) brauchte den Ausdruck hominem tam similem sibi quam ovo ovum; auf ihn geht unsere Redensart gleichen wie ein Ei dem andern zurück. Bereits 1513 lesen wir beim Niederdeutsch schreibenden Schulmeister Anton Tunnicius: «Eier sint eieren gelyk» und 1586 braucht Johannes Weyer die Redensart in seinem Traktat gegen Gespenster und Zauberer, wenn er schreibt, viele Geschichten seien «als gleich als ein Ey dem andern / ein milch der andern».

Seit dem 16. Jahrhundert können wir jemanden wie ein rohes Ei behandeln bzw. anfassen «mit jemandem äusserst behutsam umgehen». Ein frühes Beispiel finden wir in Friedrich Petris «Der Teutschen Weissheit» von 1605: «Ein Kindbetterin muss man halten und schonen / wie ein roh Ey.» Im Jahr 1687 klagt Arnold Mengering, es gebe Gesellen, die man «wie ein roh Ey halten» müsse. Laut «20 Minuten» vom 17. Oktober 2008 klagte Günter Grass: «Reich-Ranicki wird wie ein rohes Ei behandelt.»

In der «Stuttgarter-Zeitung» vom 18. September 2012 schreibt Theresa Schäfer einen Artikel unter dem Titel «Herzogin Kate: Immer wie aus dem Ei gepellt». Wie aus dem Ei geschält bzw. gepellt, in der Mundart wi us em Ei derhäärchoo «sehr sorgfältig gekleidet, tadellos aussehend» ist seit dem 18. Jahrhundert belegt. In «Der Renommist» von 1761 schreibt Friedrich Wilhelm Zachariä: «Gehst du beständig so, wie aus dem Ey gescheelet.» Und in Adelungs «Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches» von 1774 lesen wir: «Er ist beständig, wie aus dem Ey geschälet, im gemeinen Leben sehr reinlich, zierlich, geputzt.»

Er isch win es ugschalets Ei sagte man in gewissen Schweizer Mundarten von empfindlichen Personen, und wer zimperlich und affektiert auftritt, geit wi uf Eier. Was ganz frisch ist, isch wi us em Ei, und ein unreifer Mensch ist chuum us em Ei gschlüffe oder het no d Eierschalen am Füdle: Dä mues mer nid cho regänte, dä het ja no d Eierschalen am Füdle. Im Roman «Der letzte Gefangene» von 1964 schreibt Heinz G. Konsalik: «Unser Küken mit den Eierschalen am Hintern!»

Selbstverständlich machen das Ei, seine Teile, die Eierprodukte und die Eierproduzenten und -verkäufer den grössten Teil des Eierwortschatzes aus, vom Bioei, Freilandei und Osterei, über Eierschale, Eiweiss bzw. Eiklar und Eigelb bzw. Eidotter, die Eierspeisen wie Eierteigwaren, Frischeierteigwaren und Eiercognac bis zum Eierhändler oder früher dem Eiermaa, der Eierfrou, dem Eierbueb oder Eiermeitschi. Im zweiten Band der Erzählung «Waldheimat» von Peter Rosegger (1843–1918) trägt ein Abschnitt den Titel «Als ich Eierbub gewesen». Eine der Geschichten, die man sich von Poppele, vom Burggeist vom Hohenkrähen, erzählt, heisst «Poppele und das Eierwiib». Sie beginnt mit den Worten «Drückende Hitze brütete über dem Hegau, als die Eierfrau von Rielasingen mit der schweren Krätze auf dem Rücken nach Engen zum Markt wanderte».

Das Huhn als Fleischlieferant

Wir behandeln zwar den grössten Teil der Haushühner wie den letzten Dreck, aber ihr Fleisch essen wir in Massen. Weltweit wurden 2018 über 91 Millionen Tonnen Geflügelfleisch verzehrt; in der Schweiz steht das Geflügelfleisch mit 12,5 kg pro Kopf im Jahr beim Fleischkonsum an zweiter Stelle. Schnell wachsende Hybrid-Masthühner mit viel Brustfleisch werden gezüchtet; die männlichen Küken sind unbrauchbar und werden vergast oder geschreddert, was in naher Zukunft verboten werden soll.

In den Hausväterbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts werden die Hühner hingegen gerühmt als Eier- und Fleischlieferanten. Die «Oeconomia ruralis» von 1645 führt sie mit folgenden Worten ein:

«Die Hüner sind einem Hausswirte sehr nützlich und nötig / derwegen man zu sagen pflegt / wer Eyer haben will / der muss der Hüner gatzen (gackern) leiden. Drumb muss ein Wirth viel gute Hüner haben / nit allein umb des woldäwlichen (gut verdaulichen) Fleisches willen / das man bissweilen in den Mahlzeitten brauchen kan / sondern auch umb der Eyer willen.»

Der Ausdruck wer Eier haben will, muss der Hühner Gackern leiden ist eine Redensart mit der Bedeutung «wer etwas haben will, muss auch Unangenehmes, das damit verbunden ist, ertragen», die bereits in der «Teutschen Sprach und Weissheit» von 1616 erwähnt wird. Am 9. Oktober 2016 beginnt die «Süddeutsche Zeitung» einen Artikel über Fluglärm mit den Worten: «Wer Eier haben will, muss der Henne Gackern leiden, so weiss es ein altes Sprichwort. In die moderne Zeit übertragen könnte es lauten: Wer billige Produkte aus den und Reisen in die letzten Winkel der Welt haben will, darf sich über Fluglärm nicht beschweren.»

Wir essen heute am liebsten ganze gebratene junge Hühner, die in Nord- und Mitteldeutschland Brathähnchen heissen, im Süden Deutschlands und in Österreich (Brat)hendl, im deutschen Osten mit dem englischen Lehnwort Broiler «Bratrost, Brathühnchen» und in der deutschsprachigen Schweiz mit dem französischen Lehnwort Poulet «junges Huhn» oder Mischtchratzerli «junger Hahn». Legehennen im Alter von ungefähr 18 Monaten kommen selten als Suppenhühner in die Küche. Noch lieber essen wir nur die leckeren Teile vom Huhn, nämlich Hähnchenbrust und Hähnchenschenkel bzw. Pouletbrust und Pouletschenkel, oder wir bestellen in einem Fastfood-Restaurant einen Chickenburger mit einem ganzen Schnitzel oder einem Schnitzel aus Hähnchenhack, bzw. Chicken-Nuggets, d. h. in Würfel geschnittene Hähnchenbrust, die paniert und schwimmend im Öl gebacken wird.

Zur Verbreitung von Hühnerfleisch als Fastfood trug Harland D. Sanders bei, der 1930 die Kentucky-Fried-Chicken-Kette gründete. Sie fasste 1960 auch in Deutschland Fuss, gehört heute Yum! Brands Incorporation und besitzt in China mehr Restaurants als in den USA. Wie Kentucky Fried Chicken den chinesischen Markt eroberte, ist eine der grossen Erfolgsgeschichten der modernen Ökonomie.

In der alten Küche der frühen Neuzeit verwertete man die ganzen Tiere, auch die Knochen, Füsse und Innereien, die man auskochte für Suppen, Brühen, Bouillons und Sülzen. Man ass sie süss oder salzig, gebraten und gekocht, in Limonen eingemacht, als Brustknödel oder Gehacktes von der Brust, man zerstiess das gekochte Fleisch in einem Mörser zu Mus und ass es als Brotaufstrich oder eingebacken in einer Pastete oder einem Kuchen, man machte Hühnersülze.

Ganz besonders schätzte man den Kapaun. Entlehnt ist die Bezeichnung für den kastrierten und gemästeten Hahn aus französisch capon, die alte Bezeichnung Kappe, Chappe aus spätlateinisch cāpo. Man übertrug das Wort auf zeugungsunfähige Männer: «Ein Maden oder Kappaun ist ein Mann, der seines Gezeugs nit hat», lesen wir im «Buch der Natur» von 1483. Eine Kastratenehe nannte man Kapaunenheirat. Kapaune galten als eine derart begehrte Leckerei, dass Wohlhabende als Kapaunenfresser beschimpft wurden. Im Jahr 1646 murrten die unzufriedenen Bauern von Knonau gegen ihre Stadtzürcher Herren: «Die Kapuunenfrässer seigend jez schon lang meister gsyn, sie buren wöllend iez auch einmal meister werden.»

Unter Poularde versteht man hingegen ein gemästetes, vor der Geschlechtsreife geschlachtetes oder kastriertes Huhn. Sowohl die Bezeichnung als auch die Haltung von kastrierten Masthennen wurde aus Frankreich importiert. In seiner «Hausmutter in allen ihren Geschäften» von 1778 gibt Christian Friedrich Germershausen seinem Erstaunen Ausdruck, dass dieses vorzügliche Fleisch in deutschen Landen so wenig bekannt ist:

«Die Poularden sind Hühner, welche kastriret worden. Ihr Fleisch ist weit delicater, als das von Kapaunen, oder kastrirten Hähnen. Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, da wir so viele ausländische Moden und Speisen angenommen haben, warum wir nicht Poularden schon längst eingeführet, da wir sie, als ein Landesproduct, eben so gut als die Kapaunen haben können.»

Er verspricht deshalb, seine Leserinnen im zweiten Teil seiner «Hausmutter» über die Aufzucht von Poularden zu unterrichten.

In der Zeit der gnädigen Herren, in der die Bauern noch Abgaben zu entrichten hatten, waren Zinshühner eine begehrte Abgabe. Das Ehrhuhn oder Twinghuhn musste man dem Gerichtsherrn geben, das Vogthuhn dem Vogt, meistens vor der Fasnacht oder im Herbst, deshalb auch Fasnachthuhn bzw. Herbsthuhn genannt, das Gartenhuhn für den Gemüsegarten, das Holzhuhn für den Waldertrag, das Herrenhuhn für den Grundherrn, das Leshuhn dem Pfarrherrn für das Lesen des Wettersegens, das Mooshuhn für das Weiderecht auf einer Sumpfwiese, das Stuffelhuhn für das Weiderecht auf einem Stoppelfeld, das Fürplatte-, Fürstatt- oder Rauchhuhn als Feudalabgabe für jede Feuerstatt usw. Der Erfindungsreichtum der Herren für Ansprüche auf Hühner ihrer Untertanen war offensichtlich fast grenzenlos. Eine Urkunde von 1472 aus Flawil, in welcher mit jegliche sundrige spys «jeder Haushalt» gemeint ist, schreibt vor:

«Es soll ein jegliche sundrige spys in der vogty zuo Flawyl järlichen einem vogt vor fassnacht ein vogthuen geben, das gesund ze gend und ze nemend syg.»

Man stelle sich vor, was für ein Hühnersegen bei einem Dorf von fünfzig bis hundert Haushalten auf den Vogt zukam. Eine Quelle von 1606 hält fest, dass im Jahr 1347 in Hemmental noch 57 Hausleute dem Kloster Allerheiligen in Schaffhausen «järlich das Fasnachthuen geben» mussten.

Geflügel spielte auch bei Festmahlzeiten eine Rolle. Vom 16. bis ins 20. Jahrhundert nannte man ein Festmahl nach der Ernte, nach der Weinlese oder beim Richtfest im Kanton Zürich und in einem Teil der Innerschweiz Krähhanen. Bereits in Josua Maalers «Teütsch spraach» von 1561 lesen wir, dass das Freudenmahl der Schnitter neben Sichellege auch «kräyhanen» genannt wird. Der Zürcher Oberländer Autor Jakob Stutz (1801–1877) schreibt in einem Text, die Schnitter hätten «am Krähane Speck und Küechli, Hammen und Würst» bekommen. Die Bezeichnung hat am ehesten damit zu tun, dass die ausgelassenen Festlichkeiten dauern konnten, bis der Hahn den neuen Tag verkündete.

Krähhahn wird aber auch ein meist junger Hahn genannt, der am Morgen kräht. In einer historischen Rechtsquelle des Fronhofs Lohmar aus dem 16. Jahrhundert wird unter den männlichen Tieren auf dem Hof der Kreyhanen erwähnt. Kreyhan, Krehan, Krähhahn sind bis heute verbreitete Familiennamen. Auch Huhn, Hühnlein, Henne, Hahn, Guller, Gockel und Göckelmann sind Familiennamen geworden.

Damit bin ich mit dem Huhn, das nicht dumm, sondern nützlich ist und uns viel wert sein sollte, am Ende.

Kuh, Stier und Ochse
Herkunft und Benennung

Als die Menschen der Jungsteinzeit sich daran machten, den Auerochsen zu domestizieren, lebten sie schon mit Hund, Ziege und Schaf. Die ältesten Funde, die auf domestizierte Hausrinder hinweisen, stammen aus Turkestan (8000 v. Chr.) und Griechenland (6500 v. Chr.). Man nimmt heute an, dass die Domestizierung des Auerochsen zum Hausrind bei verschiedenen Gemeinschaften Eurasiens ab ungefähr 11 000 v. Chr. ihren Anfang nahm. Wie die Menschen es anstellten, ein derart mächtiges Tier zum Haustier zu machen, und weshalb Kühe in den ersten Jahrtausenden, bis in die frühe Neuzeit, immer kleiner wurden, ist bis heute nicht geklärt.

Die Rinder hatten von Anfang an einen hohen Stellenwert. Bis in vorgeschichtliche Zeiten lässt sich nachweisen, dass Kuh und Stier als Symbole der Fruchtbarkeit verehrt wurden. In den Mythologien verschiedener Gemeinschaften galten sie als Himmelsgottheiten; Zeus konnte sich in einen Stier verwandeln. In der Welt viehzüchtender Gemeinschaften lieferten Rinder nicht nur Milch, aus der Butter und Käse gemacht wurde, und Fleisch. Man benutzte sie auch zum Ziehen und Tragen von Lasten und für rituelle Zwecke. Die Haut junger Tiere verarbeitete man zu Pergament, die der älteren zu Leder für Schuhe, Kleidungsstücke, Beutel, Taschen, Scheiden, Gürtel und Riemen aller Art. Aus dem Haar wurde Filz hergestellt oder man brauchte es als Zusatz beim Mörtelmachen und als Polstermaterial. Aus Knochen stellte man Kämme und Knöpfe her und schnitzte Figuren und Zierrat oder kochte sie aus bei der Leim- und Seifenherstellung. Die Hörner verarbeitete man zu Blasinstrumenten, Kämmen, Scheiben von Laternen, Behältern für Wetzsteine, Griffen von Messern und Essbesteck sowie Werkzeugen. Aus Sehnen stellte man Armbrust- und Bogensehnen her sowie Angeln für Türen, Dreschflegel und Glockenklöppel. Aus dem Talg machte man Brennmaterial für Talglichter, zudem Seife und Schmiermittel. Die Därme brauchte man für Wursthäute oder medizinisch, um Wunden zu schützen. Aus der Harnblase stellte man Sackpfeifen her oder brauchte sie als Ersatz für Fensterglas, manchmal auch als Schwimmhilfe. Die Exkremente verwertete man als Düngemittel. Das alles und noch mehr beschreibt der fahrende Dichter König vom Odenwald aus dem 14. Jahrhundert in einem Gedicht von 238 Versen, welches das Lob der Kuh besingt.

Ein Gedicht aus der neusten Zeit, das ich anfüge, lobt nicht, es trauert. Es heisst «Rinderwahnsinn», befindet sich im Nachlass von Heiner Müller (1929–1995) und lautet: «Der Stier ist geschlachtet befallen vom Rinder- / Wahnsinn der Fortschritt lässt keine Kuh aus das Fleisch / Fault auf der Zunge Schwimm selber Europa». Diese beiden Gedichte umspannen die ganze Geschichte des menschlichen Umgangs mit dem Rindvieh vom Mythos über die Nutzung in der vorindustriellen Welt bis zum Elend der industriell betriebenen Massenviehzucht mit Massentötungen in Seuchenzeiten.

Kühe gehören, wie viele andere Haustiere auch, zum Vieh. Das Erbwort Vieh hat einen sehr weiten Bedeutungsumfang. Es bezeichnet in einem umfassenden Sinn «Nutztiere der Haus- und Landwirtschaft»; man spricht ja von Gross-, Klein- oder Schmal- und Federvieh. Ein «Allgemeines Oeconomisches Lexicon» aus dem Jahr 1731 umreisst die Bedeutung des Wortes so:

«Vieh, darunter werden begriffen allerley zahme Thiere, so zum Nutzen einer Hauswirthschafft gehalten, und folgender Gestalt unterschieden werden: Nemlich in Zug-Vieh, womit Ochsen und Pferde, Last-Vieh, womit Pferde, Esel und Maul-Thiere, Zucht-Vieh, womit das tragende und junge Vieh, Melck-Vieh, womit das, so Milch giebt, Güst- oder Gälte-Vieh, womit das, so weder tragend noch melck ist, Mast- und Schlacht-Vieh, womit das, so zur Mast und zum Schlachten ausgesetzet, gemeinet wird, und endlich allerley Feder-Vieh an Gänsen, Enten, Truthünern, gemeinen Hünern, Tauben etc.»

Das Wort Vieh, das verwandt ist mit lateinisch pecus «(Klein)vieh, Schafe» und griechisch pókos, pékos «abgerupfte, abgeschorene Schafwolle, Vlies», geht zurück auf eine Wurzel mit der Bedeutung «rupfen» und meint ursprünglich wohl «was zu rupfen oder zu scheren ist, das Wolltier». In vielen alten Sprachen bedeutete das Wort neben «Nutztiere» auch «Besitz, Eigentum, Geld», so im Lateinischen pecūnia «Vermögen, Habe, Besitz, Geld». Bereits bei Homer lesen wir von «vierrinderigen Frauen», «zwölfrinderigen Gefässen» und «hundertrinderigen Sklaven»; das Rind war also Wertmassstab. Von altsächsischem fehu «Vieh, Besitz» ist Feudum «Lehngut» abgeleitet, worauf feudal zurückgeht. Das deutet darauf hin, dass Vieh in früher Zeit als Tausch- und Zahlungsmittel verwendet wurde und einen Gradmesser für Besitz darstellte. Klein- und Federvieh wurde nicht immer einzeln gehandelt, sondern oft überhaupt, als geschätzte Menge, ohne das einzelne Tier zu zählen. In einem deutsch-italienischen Wörterbuch von 1700 ist «überhaupt kaufen» übersetzt mit «comprare all’ in grosso». Daraus hat sich die heutige Bedeutung «insgesamt, ganz und gar» entwickelt.

Seinen ganzen Viehbestand kann ein Bauer in den Deutschschweizer Mundarten als Bsatzig, Ghirt, abgeleitet von hirten «füttern», Gvicht, Haab, Läbwaar, Veechli oder Veechstand bezeichnen. In Gotthelfs Roman «Uli der Knecht» von 1846/49 sagt Johannes zu Uli, er habe Geld «höchstens für die Bsatzig», d. h. das nötige Vieh im Stall. In einer Urkunde von 1756 aus dem bernischen Konolfingen lesen wir, dass «die zum Schutz der Wälder vor dem Weidevieh gemachten Gräben» von Zeit zu Zeit ausgeräumt werden müssten, «damit die Lebwahr nicht darübergehen könne». Ein Stück Vieh ist meistens ein Haupt, Höiptli oder Schwanz. Der Valser Johann Josef Jörger schreibt im Roman «Der hellig Garta» von 1920: «Kei Schwanz ist-er am erste Tag z’verchaufe cho.» Wir sagen heute noch: Kein Schwanz «niemand» ist gekommen.

Das Wort Kuh, ein Erbwort, das vermutlich lautmalend ist, hat in der deutschen Sprache einen anderen Bedeutungsumfang als die verwandten Wörter in unseren Nachbarsprachen. Wir bezeichnen damit nicht nur unser Haustier, sondern auch die Weibchen verschiedener Wildtiere, z. B. Hirschkuh, Elchkuh, Elefantenkuh, Giraffenkuh, Walkuh, Robbenkuh und eine Wassersäugerart, die Seekuh.

Rind und Rindvieh bezeichnen einerseits als Gattungsbezeichnung ganz allgemein das Hausrind. Andererseits ist Rind die Bezeichnung der Altersstufe zwischen Kalb und Kuh. Dieses Rind oder Rindli wird in Deutschland Rinn, Färse, in Süddeutschland und Österreich Kalbele bzw. Kalbin, neben Schumpen für das jüngere Rind, in der Schweiz auch Guschti bzw. Galtli genannt. Das Wort Rind, wahrscheinlich aus dem Westgermanischen entlehnt, bedeutet ursprünglich wohl «Hornträger». Das Erbwort Färse ist das Femininum zu Farre(n) «junger Stier» und meint wohl ursprünglich «junge Kuh, die zum ersten Mal zum Stier kommt». Das Erbwort Kalb mit der Ableitung Kalbin meint ursprünglich einfach «Tierjunges, Leibesfrucht, was die Kuh kalbt». Guschti hingegen, eine Ableitung von güst, mundartlich guscht «keine Milch gebend, trockenstehend», ist die junge Kuh, die noch keine Milch gibt. Auch eine Kuh vor dem Kalben gibt keine Milch, si geit guscht. Guscht geht wohl zurück auf ein Wort mit der Bedeutung «dürr, unfruchtbar».

Viehbauern unterscheiden manchmal bis zu fünf Altersstufen, deshalb ist der Wortschatz der Dialekte in Viehzuchtgebieten reich an Wörtern. Im Appenzellischen unterscheidet man z. B. laut dem «Sprachatlas der deutschen Schweiz» vom jüngsten bis zum ältesten Rindvieh zwischen Chälbli, Busli, Galteli, Galtlig und Chue, im Berner Oberland verbreitet zwischen Chalb, Rinderli, Mänse, Ziitchue und Chue. In der deutschen Pfalz lauten die Bezeichnungen Kalf, Raipling bzw. Rauwe, Rend, Kalbin bzw. Kalwen, Kauh. Busli ist ursprünglich wohl ein Lockruf, Galteli und Galtlig bezeichnen wie Guschti das Rind, das keine Milch gibt, abgeleitet von galt «keine Milch gebend, trockenstehend». Mänse, in der Tiroler Mundart Mänze, Manze, ist abgeleitet von mans «nicht trächtig sein», wohl von lateinisch mancus «verstümmelt, mangelhaft», und Ziitchue bezeichnet «eine Kuh, die noch nicht gekalbt hat». In einer Quelle von 1667 lesen wir: «Ein Kalb, so schon etwas gross ist, ein Zeitkühlin oder Kalbelin.» Raibling, eine Ableitung von Raup, meint wohl ein Tier, dem man die Milch geraubt hat, denn es bezeichnet das Kalb, nachdem es von der Milch entwöhnt wurde. In einer Anzeige für ein «Kegelschieben» in der «Mittelfränkischen Zeitung» von 1849 steht «Erster Preis: Ein Kalb oder Raibling, Werth 20 Gulden». Im «Bayerischen Wörterbuch» von 1836 ist aufgeführt: «Der Raup, des Raupen, der Räupling, auch: die Raup, (Franken) einjähriges Stück Rindvieh.»

Beim männlichen Tier sind die Bezeichnungen sehr vielfältig. Stier und das ursprünglich niederdeutsche Bulle bezeichnen das zeugungsfähige Tier. Stier ist wohl ein altes Lehnwort, verwandt mit griechisch tauros, das unter dem Einfluss einheimischer Wörter das s- am Anfang erhielt und ursprünglich vielleicht «der Stattliche» bedeutete. Bulle, vermuten die Etymologen, geht auf ein Wort für das Zeugungsglied zurück, das dann auf das ganze Tier übertragen wurde.

Die verbreitetsten Deutschschweizer Mundartbezeichnungen sind Muni, Hage und Pfarr. Die Bezeichnung Muni bezieht sich auf das dumpfe Brüllen des Tiers, Hage ist vielleicht abgeleitet von hegen «unterhalten, pflegen» und Pfarr ist die Mundartform des Erbwortes Farre(n) «Stier». Weil der Pfarrer in der traditionellen bäuerlichen Gemeinschaft vielerorts den Pfarr oder Pfarrstier für seine Gemeinde hielt, war man oft der irrigen Meinung, Pfarr gehe auf Pfarrer zurück. In den 1891 herausgegebenen «Österreichischen Weisthümern» ist die Rede vom «pfarrstier, so herr pfarrer zu halten hat».

Das Wort Ochs(e), das möglicherweise aus einer unbekannten nicht-indogermanischen Sprache entlehnt ist, benannte als vermutlich älteste Bezeichnung des männlichen Tiers ursprünglich sowohl den unbeschnittenen Fasel-, Herd-, Spring-, Stamm- oder Zuchtochsen als auch den kastrierten Acker-, Pflug- oder Zugochsen bzw. den Mast- oder Schlachtochsen. Der Herdochs wird bereits im deutsch-lateinischen Wörterbuch (1536) von Dasypodius erwähnt. In der «Teutschen Sprach und Weissheit» von 1616 ist der Faselochs aufgeführt neben dem Brielochs, Brummer, Prümmel und Ramm, der die Kuh rammt «stösst», mit der Definition, «Mann der Kuhe / den man zur zucht lauffen lässt». Zum Ochs ist in dieser Schrift angemerkt, er sei ein «geschnittener Ochs […] / den man darumb schneidet / dass er desto bass den Pflueg ziehen / und desto bass gemästet werden» könne.