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Die fürsorgliche Henne

Wir können uns heute kaum mehr vorstellen, dass das Huhn für den Menschen einst die treusorgende Hausmutter symbolisierte. Der Schutz Gottes wird in der Bibel wiederholt mit dem Bild des Muttervogels illustriert, der seine Flügel schützend über seine Jungen hält. In Matthäus 23, 37 wird explizit die Henne genannt:

«Wie oft wollte ich deine (d. h. Jerusalems) Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt.»

In der lateinischen «Vulgata» lautet die Textstelle: gallina congregat pullos suos sub alas. Luther schreibt dazu: «Diese Gleichnis hie von der Hennen und iren Küchlin / ist dem Geist gar eine lustige / fröliche / hübsche Gleichnis.» Das positive Bild der Henne, das bereits in der frühchristlichen Literatur belegt werden kann, vermittelt die Literatur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit weiter: die Henne ist fürsorglich und fleissig. So schreibt Konrad von Megenberg in seinem «Buch der Natur», dem ersten deutschsprachigen Tierbuch (um 1350):

«Gallina haizt ain henn. Augustinus spricht, daz diu henn die art hab, daz si gar vleizig und fürsihtig sei gegen irn kindlein, wan si sament (sammelt) si under ir flügel und füert si und beschirmt si vor dem weien oder vor dem hüenrarn (Falken).»

Auch im 17. Jahrhundert wird die Henne wortreich gelobt, z. B. vom Barockdichter Georg Philipp Harsdörffer in seinem «Poetischen Trichter» von 1648 als Sinnbild für eine gute Hausmutter:

«Die Eyer Mutter / ist stark / wild oder zahm / dess Haanen frommes Weib / die weisse / freche / bekräntzte / zarte / junge Eyrreiche Hänne die ihre Küchlein liebt / kluckt / gatzet / gackelt etc. Die Hänne hat die Deutung einer guten Hausmutter.»

Im 18. Jahrhundert hält die positive Einschätzung der Henne weiterhin an. Doch dem dummen Huhn begegnen wir auch bereits im Mittelalter. Im «Reinfried von Braunschweig», einem nur teilweise erhaltenen Versroman vom Ende des 13. Jahrhunderts, belehrt uns der Erzähler, wer es zulasse, dass er sich verliebe, obwohl er keine Aussicht auf Erfolg hat, der handle wie ein «tumbez huon daz brüetet / ein tôtez ei». Schondoch, ein Dichter des ausgehenden 14. Jahrhunderts, bezichtigt in einem seiner Gedichte jemanden, er sei tumber dan ein huon. Man konnte auch handeln wie ein toubez huon «stumpfsinniges, einfältiges Huhn»; der in Basel wirkende Dichter Konrad von Würzburg (um 1220–1287) braucht den Ausdruck wiederholt. In einigen mittelalterlichen Texten steht das Huhn für etwas Geringes oder gar Wertloses. Man gibt etwas umb ein huon «um nichts», für die Heiden sei ein Christ als ein huon, also wertlos. Jemandem konnte man drohen, ihn zu (zer)brechen als ein huon.

Zu einem sehr häufig gebrauchten, abschätzigen Ausdruck wurde dummes Huhn nicht im Zeitalter der Aufklärung, sondern im Zeitalter der bürgerlichen Überheblichkeit, im 19. Jahrhundert, weil das Bild der fürsorglichen oder gar mutigen Henne allmählich verblasste und weil viele, auch in der Gelehrtenwelt, das Huhn tatsächlich für dumm hielten, was man damals bereits in der Schule lernte:

«Das Huhn ist auch ein Thier. Es wohnt im Stall, ist scheu und dumm», doziert Friedrich Krumbachers «Lesebuch für das erste Schuljahr», das 1855 bereits in der zehnten Auflage vorliegt. In seinem «Bilderschmuck der deutschen Sprache» von 1886 will uns Herman Schrader weismachen, das redensartliche dumme Huhn sei tatsächlich dumm:

«Das Wort Huhn, in verächtlichem Sinne, dient als Schimpfwort, z. B. du bist ein dummes Huhn (in der That sind die Hühner sehr einfältig).»

Das dumme Huhn

Eine Frau oder ein Mädchen können wir, einer langen Tradition folgend, abschätzig als Huhn bezeichnen und sagen: Du Huhn, kannst du dich denn nicht konzentrieren? Eher nur herablassend ist das wohl aus dem afroamerikanischen Slang stammende Chick «junge Frau», das seit 1927 im amerikanischen Englisch belegt ist: He is going out with a real cool chick. Es ist heute im Deutschen als Lehnwort so bekannt, dass Alexandra Reinwarth und Susanne Glanzner im Buch «Der Chick-Code. Das Gesetzbuch für Chicks und den Umgang mit Bros» von 2011 Lebensregeln für Chicks formuliert haben. Auch im Französischen ist poule meist abwertend und bezeichnet eine leicht zu erobernde Frau oder eine Mätresse. Raimond Queneau erzählt in «Pierrot mon ami» von 1942 von einer «belle poule», Blaise Cendrars in «Bourlinguer» von 1948 von einer «poule de luxe».

Seit den 1990er-Jahren hat sich im Mittelbernischen henne zu einem Verstärkungswort mit der Bedeutung «sehr», verstärkt uhenne «ausserordentlich», entwickelt. Etwas kann hennegeil, henneschöön, hennegäbig oder uhenneguet, uhennekuul sein. In der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 14. Februar 2014 schreibt Urs Bühler in der Glosse «Eins zu null für das Hähnchen»: «Das Resultat schmeckte so, wie es zwar kein Berliner, aber jeder Berner formulieren würde: ‹henne guet›.» Und Reto Stifel ist in seiner Berndeutsch geschriebenen Mundartkolumne in der «Engadiner Post» vom 21. Februar 2015 begeistert vom Wort umepäägge: «Aber das Wort umepäägge gfaut mir haut henne guet», schwärmt er. Woher henne als Verstärkungswort kommt, weiss ich nicht. Ich wage folgende Vermutung: Denjenigen, die das Wort in Umlauf gebracht haben, hat wohl das etwas grobe sou- in Wörtern wie souschöön, souguet nicht behagt, vielleicht weil sie da oder dort gemahnt wurden, das gehöre sich nicht. Also ersetzten sie sprachspielerisch sou durch henne und sagten fortan henneschöön, henneguet. Und siehe da, ihre spielerische Alternative setzte sich durch.

Besonders hartnäckig ist am Huhn das Eigenschaftswort dumm haften geblieben. Auch wenn wir heute mehr über Tiere wissen, die Frauen emanzipiert sind und den Männern deshalb der Ausruf du dummes Huhn und Bemerkungen wie die benehmen sich wie dumme Hühner weniger leicht über die Lippen gehen mögen als auch schon, sind sie unserer Alltagssprache nicht fremd. Beklopptes Huhn, blödes Huhn, doofes Huhn, einfältiges Huhn, eingebildetes Huhn, geiles Huhn bzw. geile Henne, irres Huhn, krankes Huhn, schräges Huhn, verklemmtes Huhn, aussehen wie ein gerupftes Huhn, aufgescheuchte Hühner, gackernde Hühner und verrückte Hühner sind, auf Frauen gemünzt, gang und gäbe. Sogar Frauen, die sich über sich selbst ärgern, soll manchmal der Ausdruck ich dummes Huhn entwischen. Weil wir das Huhn für dumm halten, sagen wir da lachen ja die Hühner, wenn wir meinen «das ist einfach unsinnig, lächerlich». In Sten Reens Roman «Kornblum» von 2010 heisst es von einer Frau in expliziter Sprache, «dass sie ein saudummes, hohles Huhn war, ein gefallsüchtiges Arschloch».

Dem faulen Huhn begegnen wir nicht erst in Janoschs Geschichte «Hans Hansens Trine ist ein faules Huhn», sondern bereits 1675 beim Barockdichter Michael Kongehl: «pakke dich / du faules Huhn». Das fidele Huhn kann sowohl einen Mann als auch eine Frau bezeichnen; «der Jörgele war ein fideles Huhn», schreibt Ludwig Ganghofer in «Lebenslauf eines Optimisten» von 1909–1911. In einigen Mundarten der deutschsprachigen Schweiz bezeichnet e gschupfts Huen eine «närrische Person». Der Dichter Joachim Ringelnatz schrieb Fanny von Deeters in einem Brief vom 6. April 1926: «Du bist ein geschupftes Huhn.»

Sogar den Ausdruck wilde Hühner, mit dem man eigentlich nicht domestizierte Hühnervögel wie den Fasan und das Auerhuhn bezeichnet, übertrugen wir auf Frauen, vor allem seit 1973, als die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke ihre sehr erfolgreiche siebenteilige Buchserie «Die wilden Hühner» begann, von denen «Die wilden Hühner» (2006), «Die wilden Hühner und die Liebe» (2007) und «Die wilden Hühner und das Leben» (2009) verfilmt wurden. Ab 2010 zog der Kinderbuchautor Thomas Schmid mit der Kinderbuchserie «Die wilden Küken» nach, die bis heute über ein Dutzend Bücher zählt.

Dem Vorurteil, das Huhn sei dumm, widersprach der Verhaltensforscher Erich Baeumer. Er forschte fünfzig Jahre lang über die Haushühner und veröffentlichte seine Erkenntnisse 1964 in einem Buch mit dem ironisch gemeinten Titel «Das dumme Huhn – Verhalten des Haushuhns». Viele Zeitungen nahmen in den vergangenen Jahren das Thema auf, z. B. die «Aargauer Zeitung» mit «Von wegen dummes Huhn! – Hühner können zählen und führen sich für Sex hinters Licht» 2016; der «Kurier» mit «Von wegen dummes Huhn», der «Standard» mit «Wie dumm Hühner wirklich sind» und die «Welt» mit «Huhn: Von wegen dumm, das Geflügel ist ziemlich schlau» 2017; der «Blick» mit «Der Ausdruck ‹dummes Huhn› stimmt so nicht» 2018. Die Zeitungsartikel häuften sich in dieser Zeit, weil 2013 das Buch «Das Huhn», herausgegeben von Joseph Barber, erschienen war und weil 2017 die Hirn- und Verhaltensforscherin Lori Marino den viel beachteten wissenschaftlichen Artikel «Thinking Chickens: a review of cognition, emotion, and behavior in the domestic chicken» veröffentlicht hatte. Auffallen muss, dass sowohl Baeumer als auch die meisten Zeitungsartikel sich auf den Ausdruck dummes Huhn bezogen; was deutlich macht, wie oft wir ihn brauchen.

Doch die Mär vom dummen Huhn wird bis heute weiterverbreitet. Der Trickfilm «Fine Feathered Friend» von 1942 aus der Tom-und-Jerry-Serie von Hanna und Barbera hiess in der deutschen Übersetzung «Tom und das dumme Huhn». Schobert & Black veröffentlichten 1973 mit Ulrich Roski das Lied «Dummes Huhn, was nun». Der Inder Idries Shah (1924–1996), der in England lebte, erzählte die Sufigeschichte «The Silly Chicken – das dumme Huhn», die von Jeff Jackson illustriert 2015 als sehr erfolgreiches Kinderbuch erschien. Darin versetzt ein Huhn eine ganze Stadt mit seinen erfundenen Geschichten in Aufruhr. Die Leute glauben ihm, ohne nach seiner Glaubwürdigkeit zu fragen.

Für noch dümmer als das Huhn hielten viele ältere Autoren die erst im 17. Jahrhundert nach Europa eingeführte Pute oder das Truthuhn, welches bis ins 19. Jahrhundert auch welsches, türkisches, indianisches oder kalekutisches Huhn genannt wurde, weil man damals den aus Nordamerika stammenden Exoten in Indien beheimatete. «Die welschen Hühner [sind] so dumm», behauptet der Autor des «Magazins des Ausserordentlichen in der Natur, der Kunst und im Menschenleben» von 1816, «dass sie oft nicht sehen, wo sie hintreten». Dem widerspricht 1863 ganz zaghaft der Autor eines landwirtschaftlichen Handbuches: «Viele halten die Truthühner für sehr dumm – nach meinen Beobachtungen sind sie es jedoch nicht so sehr», schreibt er.

Die Dummheit der Pute und des Puters könnte aus dem Französischen ins Deutsche entlehnt worden sein, denn dort heisst bête comme un dindon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts «sehr dumm» und c’est un dindon «er ist ein Dummkopf». Auch die Bezeichnung dindonière «Putenhirtin» konnte man abwertend im Sinne von «dummer Dorftrampel» verwenden. Bereits 1790 wurde der dumme Truthahn deutsch. Im deutschsprachigen Schauspiel «Das Gallerie-Gemählde» behauptet eine Figur: «Der Mensch ist so dumm, wie ein Truthahn.» Zu Beginn des 19. Jahrhunderts finden wir dumm wie ein Puter in einem deutsch-französischen Wörterbuch und 1860 erklärt Johannes Leunis in der «Synopsis der Naturgeschichte des Tierreichs», der Puter sei sehr kampflustig, zänkisch und sehr dumm, «daher die Redensarten: dumm wie ein Puter; Puterjunker d. h. ein einfältiger, dummer Landjunker; putern, d. h. schnell und unverständlich reden». Heute sagen wir nicht mehr er ist dumm wie ein Puter, sondern sie ist eine dumme Pute bzw. dumm wie eine Pute, seltener sie ist eine dumme Trute, und verwenden damit einen Ausdruck, der seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt ist. Auch von der blöden Pute liest man seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts oft. Die Bezeichnungen Pute und Trute beziehen sich übrigens lautmalend auf das Kollern der Tiere.

Auch die dumme Gans läuft dem dummen Huhn noch den Rang ab. Sie ist seit dem 18. Jahrhundert sehr verbreitet: «Lucretia war eine dumme Gans» (1746), «[sie] stellete sich nicht anders als eine dumme Gans an» (1748), «weil dieses Thier sehr dumm ist, so nennet man im gemeinen Leben einen dummen einfältigen Menschen eine dumme Gans» (1777).

Doch zurück zum Huhn. In Andreas Corvinus’ «Fons Latinitatis» von 1633 wird lateinisches Ambulatrix mit «Gassenhun» übersetzt, das in Denzlers Überarbeitung von 1715 erweitert wird zu «Gassenhun / weib so stäts auff der gassen / ein ausfrau / nicht hausfrau». Eine neugierige Frau ist nach einer Quelle von 1863 hingegen ein Gwunderhuen.

In den Mundarten der deutschsprachigen Schweiz unterstellt man mit dem Wort hüennere «unbedacht, kopflos gehen oder herumrennen» dem Huhn noch eine weitere negative Eigenschaft, die man auf den Menschen überträgt. Was hüennerisch eso uf d Straass use, kann ich ein Kind, das ohne zu schauen auf die Strasse tritt, vorwurfsvoll fragen. Ein Mensch kann desumehüennere oder umehüenere «ziellos herumgehen». Er kann Termine, Abmachungen bzw. Sachen verhüennere «durcheinanderbringen bzw. so verlegen, dass man sie nicht mehr findet». Eine Frau, die etwas verhüenneret, kann von sich behaupten, i bin es Huen oder i bin es stuurms Huen. Muss jemand mit einer neuen Situation zu Rande kommen, kann ich sagen: Er isch no chli verhüenneret «durcheinander», aber das besseret de scho. Ein Durcheinander ist ein Ghüenner oder eine Hüennerete.

Die Hühner, die auf der Suche nach Futter scheinbar ziellos durch die Gegend hüennere, lassen überall ihren Kot fallen. Diese Eigenart kommt in der Redewendung la lige wi d Hüenner dr Dräck «überall herumliegen lassen, unordentlich sein» und in der Ostschweizer Wendung all Henneschiss «immer wieder» zum Ausdruck.

Mit den Hühnern zu Bett

Wer Hühner hält, muss sie am Abend eintreiben und im Stall einschliessen, um sie vor Füchsen, Mardern und Nachtraubvögeln zu schützen; d Hüenner itue, heisst das in der Mundart. «Hüener iitue u Chüngle mischte», schreibt Stef Stauffer im Roman «Hingerhang» von 2018. Als Redensart im übertragenen Sinn gebraucht, meint öpperem d Hüenner itue, «jemanden zurechtweisen». Die Hühner suchen ihre Schlafstelle auf, sobald die Dämmerung einsetzt. Wer mit den Hühnern zu Bett geht und mit den Hühnern aufsteht, mundartlich mit de Hüenner undere geit u mit de Hüenner ufsteit, «geht früh zu Bett und steht früh auf», und zwar seit dem 16. Jahrhundert: «Wer will frühe auffstehen / der muss mit den Hünern zu beth gehen», heisst es 1602 in «Der Teutschen Weissheit». Auch im Französischen und Englischen ist se coucher avec les poules und se lever avec les poules bzw. to go to bed with the chicken seit dem 18. Jahrhundert belegt.

In den traditionellen Hühnerhäusern setzten sich die Hühner zum Schlafen auf eine erhöhte Sitzstange, welche Sedel oder Sädel genannt wurde. Sedel «Sitz, Heimstatt» ist ein mit siedeln, Siedler, Siedlung verwandtes Erbwort. Ds Huen sädlet sech, sagt man; i ga z Sädel meint im übertragenen Sinn «ich gehe ins Bett, ich lege mich zur Ruhe», wer sech sädlet «lässt sich nieder, sitzt ab».

Ein blindes Huhn findet auch einmal ein Korn oder auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn kann ich sagen, wenn ich meine «zufällig gelingt (selbst dem Unfähigsten) mal etwas». Der älteste mir bekannte Beleg stammt aus Rollenhagens «Froschmeuseler» von 1595: «Ein blind Hun findt auch wol ein Korn.» Dieselbe Form der Redensart ist auch in «Der Teutschen Weissheit» belegt und scheint die älteste zu sein. In der «Historia meteorologica» von 1651 lesen wir jedoch, wer Wetterphänomene voraussage, ohne sich an Regeln zu halten, lande nur zufällig einen Treffer «oder findet wie ein blind Huhn eine Erbeiss (Erbse)». Auch im Schauspiel «Der pedantische Irrthum» von 1673 sagt eine Figur: «Ein blind Huhn findet auch einmahl eine Erbse.» Zudem findet im «Hannoverischen Magazin» von 1779 «auch ein blindes Huhn ein Haberkorn» und in Sophiens von Karlitz «Heiratsmaximen» von 1786 erwischt ein Freier «ein Mädel, wie ein blindes Huhn ein Gerstenkorn».

Statt vom blinden Huhn ist in vielen Belegen seit dem 16. Jahrhundert vom blinden Hahn die Rede: Wir lesen, dass «ein blinder Han ein Körnle gefunden» habe (1595) und «ein blinder Han find auch ein Gersten körnlin» (1630) bzw. «ein Weizenkörndl» (1929). Philipp Balthasar Sinold von Schütz behauptet in seiner «Europäischen Fama» von 1707 von einem General, er habe «von seinen befochtenen Siegen kein grösseres Glücke, als ein blinder Hahn, der zuweilen eine Erbse findet». Sowohl Huhn als auch Hahn sind also möglich und das Korn kann auch ein Körnle sein, ein Gersten-, Weizen- oder Haferkorn bzw. eine Erbse.

Der griechische Fabeldichter Phaedrus, der in der Zeit um Christi Geburt lebte, schrieb eine Fabel, welche Gotthold Ephraim Lessing unter dem Titel «Die blinde Henne» ins Deutsche übersetzte: Eine blinde Henne scharrt fleissig, und sooft sie ein Korn ausscharrt, pickt es ihr eine sehende Henne weg. Ein Zusammenhang zwischen Fabel und Redensart ist nicht wahrscheinlich.

Der Redensart vom blinden Huhn, welches ein Korn oder eine Erbse findet, begegnen wir auch im Niederländischen, Dänischen, Schwedischen und Französischen. Sie gehört zu einer Gruppe verwandter Redensarten, in denen ein blindes Lebewesen etwas findet, z. B. eine Taube: In Joachim Manzels «Spicilegium historico-philologicum» von 1701 habe ich einen ersten Beleg gefunden für «eine blinde Taube findet auch zuweilen eine gute Erbse». «Seltner werden Cardinäle, in ihrer jetzigen Lage, einen guten Papst treffen, als blinde Tauben eine Erbse finden», behauptet Schlötzers «Stats-Anzeiger» von 1786. Diese Redensart steht sogar noch im «Protokoll des ordentlichen Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden» von 1953: «Es gibt ja auch blinde Tauben, die ebenfalls mal eine Erbse finden.»

In vielen deutschen Mundarten belegt ist die Redensart auch eine blinde Sau findet mal eine Eichel, so z. B. im Aargauischen, es hät scho mängi blindi Suu en Eichle gfunde, und im Seealemannischen, s hot scho oft e blinde Sau e Eichel gfunde. Im Jahr 1780 predigt der legendäre Wiesenpater aus dem bayerischen Ismaning: «Wenn sich ein grosser Sünder auf’m Todtbeth bekehrt, so ist’s grad so viel, als wenn eine blinde Sau eine Eichel find’t.» In etwas anderer Form lesen wir sie in «Mahomets und Türcken Grewel (Gräuel)» von 1664: «wie eine blinde Sau ein Ruben (Rübe) erwischt». Sogar im Buch «Pennsylvania-German dialect» von 1989 finden wir «e blindi Sau find aa ebmools en Ärbs».

Die Redensart gibt es sogar mit der blinden Kuh. In seinem Buch «Die Thiere in der indogermanischen Mythologie» von 1874 legt Angelo de Gubernatis die Redensart wie eine blinde Kuh eine Erbse findet gleich mythologisch aus:

«Das deutsche Sprichwort ‹Wie eine blinde Kuh eine Erbse findet› wird jetzt zur Bezeichnung einer Unmöglichkeit angewendet; und doch findet in dem Mythus die blinde Kuh (oder die Nacht) wirklich die Erbse oder Bohne (den Mond), welche in jeder Hinsicht identisch ist.»

Das ist ein gewagter Schluss, wenn man sieht, mit wie vielen Tieren diese Redensart vorkommt. Manchmal findet die blinde Kuh auch eine Eichel oder eine Erdbeere, wie in der Rottenburger Redensart da hat einmal eine blinde Kuh eine Erdbeere gefunden, die in Wanders «Sprichwörter-Lexikon» von 1870 aufgeführt ist.

Ebenfalls verbreitet ist die Redensart vom Blinden, der ein Hufeisen findet. Belegt ist sie bereits 1541 in Sebastian Francks Sprichwörtersammlung in der Form «es findt auch ye ein blinder ein hufeisen» und in einem Faust-Buch von 1681: «Es findet bisweilen auch der Blinde ein Hufeisen / und eine blinde Henne ein Körnlein.»

Ich habe mit dir noch ein Hühnchen zu rupfen, mit diir han i non es Hüendli z rupfe meint seit der Mitte des 19. Jahrhunderts «ich habe mit dir noch etwas zu bereinigen». Älter und seit der Mitte des 18. Jahrhunderts belegt ist mit jemandem ein Hühnchen zu pflücken haben. Der Schriftsteller und Sprachforscher Johann Christoph Gottsched führt in seiner «Deutschen Sprachkunst» von 1752 «mit einem ein Hühnchen pflücken» auf. In dieser Form nimmt Adelung die Redensart 1798 in sein Wörterbuch auf: «Wir haben noch ein Hühnchen mit einander zu pflücken, figürlich, wir haben noch eine unangenehme Sache mit einander auszumachen.» Diese Form ist bis heute vor allem im Norden Deutschlands gebräuchlich.

Jean de la Fontaine (1621–1695) erzählt uns die Fabel «La poule aux œufs d’or – Das Huhn mit den goldenen Eiern», die auf den Griechen Phaedrus zurückgeht. Sie handelt von einem Geizhals, der eine Henne besitzt, welche ihm goldene Eier legt. Weil er in ihrem Innern einen grossen Schatz vermutet, tötet er sie und beraubt sich so der Quelle seines Reichtums. Aufgrund dieser Geschichte entstand die Redensart das Huhn, das goldene Eier legt, schlachten «sich seiner Lebensgrundlage berauben». Die deutsche Übersetzung des Berichts «Reise durch Auvergne» von 1791 erzählt, wie vulkanische Grasböden unter den Pflug genommen werden und nach einmaliger Ernte zerstört zurückbleiben: «So betrügt sich die gierige Unwissenheit. Sie öfnet das Huhn um goldene Eier und tödtet es», klagt der Erzähler. Auf «focus online» lesen wir in einem Artikel vom 7. Oktober 2017 über den Autohersteller Skoda: «Niemand schlachtet das Huhn, das goldene Eier legt.» Seit dem 20. Jahrhundert begegnet man auch der Form die Gans, die goldene Eier legt, töten oder schlachten.