Czytaj książkę: «Das Überlebensprinzip», strona 8

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33. Tag

Die Nacht war schrecklich! Völlig verschwitzt und mit Fieber erwachte ich vom Schlaf. Der Körper wehrte sich so gut er konnte.

„Du musst heute unbedingt noch durchhalten, Michael. Meinst du, du kannst noch selber laufen?“ besorgt fasste Bianca an meine heiße Stirn.

„Habe ich eine andere Wahl?“ langsam setzte ich mich auf. „Ich denke es wird schon gehen. Aber ohne mein Gepäck. Das schaffe ich nicht…“

So ließen wir meine Sachen und das Zelt einfach zurück, aßen unser Frühstück unterwegs und machten uns auf den Weg. Die Anstrengungen waren schon enorm für meinen angeschlagenen Körper. Früher hatte mir mal einer erzählt, dass in den Entwicklungsländern die Menschen teilweise eine Woche oder länger unterwegs waren, bis sie eine Krankenstation erreicht hatten. Nun, mittlerweile ist es hier genauso geworden - es gibt keine Notärzte oder Rettungshubschrauber mehr. Und eigentlich noch nicht einmal eine funktionierende Krankenstation. Was, wenn es dort keine Medikamente mehr gibt? Meine Gedanken darüber machten mir Angst und ich versuchte sie zu verdrängen.

„Ich glaube wir sind gleich da!“ rief Bianca von vorne. „Ich sehe schon die ersten Gebäude.“

Vor uns öffnete sich eine umzäunte Anlage, die einmal ein Park gewesen sein muss. Verschiedene Häuser, Wohnheime und Technikgebäude glotzten uns mit ihren leeren Fenstern und offen stehenden Türen an. Es war die reinste Geisterstadt.

Ich stellte eine ernste und berechtigte Frage: „Sollten wir nicht ein bisschen vorsichtiger sein?“

„Eigentlich hast du recht.“ Bianca überlegte. „Wir müssen ja nicht alle rein gehen. Am besten bleibt ihr beiden hier draußen und habt ein Auge auf das Gelände. Zusammen mit Carlos werde ich mich drinnen mal umschauen.“

„Geht klar!“ bestätigte ich nickend. Als sich Bianca wortlos umdrehte fügte ich noch hinzu: „Schade nur, dass du mir immer noch nicht deine Handynummer gegeben hast - nur um dich bei Gefahr warnen zu können…“

Bianca dreht sich um und grinste: „Bis gleich Jungs. Das schaffe ich schon.“

Ich lächelte, so gut es mir im Moment möglich war, zurück. Dann verschwand sie im Haus. Vor Erschöpfung legte ich mich auf den Boden. Ben hatte mir seine Jacke als Kissen unter dem Kopf zusammen gerollt, so dass ich bequemer auf dem Pflasterbelag liegen konnte. Ich hatte wahnsinniges Kopfweh und Durst. Meine Augen waren heiß, so dass ich sie besser schloss. Wahrscheinlich bin ich dabei sogar eingeschlafen…

-

Dumpf und irgendwie weit weg hörte ich eine Stimme reden. Aber darauf zu antworten schaffte ich einfach nicht. Wieder sprach jemand, aber ich hörte nur einzelne Satzfetzen: „… und dann setze dich noch auf seinen Oberschenkel. Falls er doch zucken sollte, musst du ihn ruhig halten…“ es musste Bianca sein die da redete „… das Bein sieht richtig böse entzündet aus… wenn er Glück hat, dann ist der Virus aber noch nicht im Blutkreislauf verteilt worden…“

Auf einmal spüre ich ein feuchtes, schnelles Wischen in meinem Gesicht „… Carlos! Lass das gefälligst… geh da weg und hör’ auf zu schlecken…“

Ich stöhnte ein wenig, aber ich war einfach zu schwach um etwas sagen oder fragen zu können. Als letztes hörte ich noch: „… gut so, fertig… Jetzt müssen wir noch einen besseren Platz finden bis morgen und dann hoffen wir das Beste!“

An das, was danach geschah, kann ich mich gar nicht mehr erinnern…

34. Tag

„Wie geht es dir?“ sprach mich Bianca an, als ich am Vormittag irgendwann erwachte.

Mit meinen mühsam geöffneten Augen blickte ich in ein besorgtes aber sehr hübsches Gesicht mit einer nach vorne gefallenen Haarsträhne. Links neben ihr kniete Ben und hielt meine Hand. Immer wieder schaute er nervös zu Bianca hin und dann wieder auf mich. Ich versuchte zu sprechen, aber mein ganzer Körper tat einfach nur weh - als wenn ich unter die Räder eines Lasters geraten wäre.

„Gut. Denke ich.“ tönte es aus meinem trockenen Mund mit einem fauchig rauen Klang. „Bitte - gebt mir etwas zu trinken.“

Ben stand auf, holte eine der Flaschen mit Wasser. Als er merkte, dass es mir Mühe machte den Kopf anzuheben, legte er seinen zusammengerollten Pullover darunter. Die Flüssigkeit tat meiner Kehle wunderbar gut…! „Danke.“

„Dein Fieber ist nun schon nicht mehr so extrem hoch wie in der vergangenen Nacht. Ich hatte dir übrigens eine etwas stärkere Dosis verabreicht, da mir nicht klar war wie gut erhalten der Impfstoff noch war. Aber du bist ja jung und kräftig. Die nächsten Tage werden zeigen, ob wir den Virus noch rechtzeitig genug abfangen konnten.“ erklärte mir Bianca die Situation.

Trotz Schmerzen ließ ich es mir nicht nehmen ihr Kompliment zu erwidern: „Und du bist wunderhübsch - das wollte ich nur anmerken.“

„Schön, dass deine Wahrnehmung fast wieder hergestellt ist und du schon recht gut auf deine Umgebung reagieren kannst.“ konterte sie. Ein kurzes Lächeln huschte dabei über ihre Wangen.

Allmählich schaute ich mich im Liegen ein wenig um. Wir waren in einer Art Büroraum untergebracht. Auf meine Frage, warum nicht im Krankenhaus selbst, antwortete Bianca nur vage: „Es ist dort sehr - sagen wir mal - unordentlich.“

Nun, ich konnte mir denken aus was beziehungsweise aus wem die „Unordnung“ besteht und fragte daher nicht weiter.

Den restlichen Tag verbrachte ich immer wieder mit ausruhen oder schlafen während die beiden kurz weggingen und neuen Proviant besorgten. Ich hätte mir vor ein paar Jahren nie träumen lassen, dass ich einmal so viele nette und hilfsbereite Menschen um mich herum haben werde, die mich nicht im Stich lassen. So etwas schweißt zusammen!

35. Tag

Eigentlich dachten wir, dass es nun allmählich wieder weitergehen könnte. Die typischen Symptome blieben glücklicherweise aus, was für den Erfolg der Behandlung sprach. Dafür hatte sich meine Wunde aber böse entzündet. Richtig geschwollen war sie nun - warum auch immer das jetzt im Nachhinein noch kam.

„Kannst du im Krankenhaus noch mal nachschauen, ob sie dort etwas dagegen haben?“ fragte ich Bianca während ich verbissen die Schmerzen am Bein zu ertragen versuchte.

Sie schüttelte nur mit dem Kopf: „Das ist sinnlos. Das kann ich mir sparen. Die Apotheke da drin war völlig geplündert und durcheinander. Als damals die Versorgung zusammengebrochen war, ging das Gerenne nach dem letzten Medikament los…“

Sie schaute düster drein, schwieg einen Moment - doch dann erzählte sie uns, wie es drinnen ausschaute: „Stelle die nur mal vor, du wartest auf eine dringende OP und sie wird nicht durchgeführt, weil Medikamente fehlen… oder du warst in Nachbehandlung. Da sind Menschen reihenweise im Krankenhaus gestorben.“ Sie stockt kurz. „Es, es… hat wohl auch Kämpfe gegeben. Und der zuständige Arzt für die Medikamente liegt total verwest vorne über gebeugt auf seinem Schreibtisch - mit einer Tablettenröhre in der Hand…“ Tränen liefen ihr übers Gesicht und halfen Ihrer Seele die Erinnerung los zu bekommen.

„Ich verstehe.“ sagte ich verständnisvoll und blickte ihr ins Gesicht. „Das macht wirklich nicht viel Sinn, denke ich. Aber wo bekommen wir stattdessen etwas her? Mir macht die Entzündung echt Sorgen.“

„Wir werden wohl hinunter in die Stadt gehen müssen um in irgendeiner Apotheke das nötige Medikament zu bekommen.“ Bianca runzelte die Stirn. „Das könnte für uns aber auch ziemlich gefährlich werden. Andererseits kann deine Entzündung ohne die geringste Salbe noch ziemlich übel enden. Besonders gut sieht sie wirklich nicht aus.“ Das hatte ich befürchtet.

„Also gut, wir haben keine andere Wahl. Es sei denn…“

„Es sei denn was?“ Bianca unterbrach mich und schaute mich kritisch an.

„…es sei denn ihr wollt das Risiko nicht eingehen und ich gehe alleine los!“ vervollständigte ich meinen Satz.

„So ein Quatsch! Völliger Blödsinn, was du dir da denkst!“ sie war richtig sauer und auch Ben schüttelte wild mit seinem Kopf während er mich an den Armen griff.

„Du kennst ja noch nicht mal das richtige Medikament beziehungsweise hast keine Ahnung wie man die in dem Lager einer Apotheke findet.“ Da hatte Bianca völlig recht. Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht.

„Außerdem gehören wir zusammen und stehen füreinander ein. Hast du das etwa vergessen?! Ich zumindest habe es satt mich alleine durch den Tag zu kämpfen und bin echt dankbar, dass ich euch Jungs getroffen habe.“ Dabei schaute sie zu Ben herüber. „Und Ben ist doch wie ein Bruder für dich, oder?“

Beide blickten mich fest entschlossen an und warteten auf eine Antwort von mir. Ich lehnte mich zurück und seufzte. Durfte ich ihr Leben riskieren um mein Leben zu retten? Wenn diese Aktion misslingt, könnten wir alle dabei drauf gehen…

„Danke, dass ihr mir beistehen wollt.“ antwortete ich „Ich weiß das sehr zu schätzen und ich denke ihr wisst was ihr tut.“

Ben grinste und nickte zufrieden. Bianca nickte ebenfalls kurz, dann packte sie ihre Sachen zusammen und rief nach ihrem Hund Carlos. Sie wollte so wenig Zeit wie möglich verlieren und noch innerhalb der Morgendämmerung die Aktion abschließen.

-

Es war noch düster als wir das Krankenhausgelände über die Zufahrt verließen. Bianca hatte Carlos an die Leine genommen, so dass er dicht bei uns blieb und nicht herumlief. Auch er merkte wie angespannt die ganze Situation war. Ein komischer, dichter Bodennebel lag vor uns im Tal über der Stadt. Bestimmt hat es da unten einen Fluss, aber warum die Straßen derart vernebelt waren, konnten wir uns nicht erklären. Nun, es hatte zumindest auch einige Vorteile so.

„Wie sollen wir denn eine Apotheke finden?“ fragte ich.

„Keine Ahnung.“ Bianca zuckte mit den Schultern. „Wir gehen einfach runter in die City. Bestimmt haben die bei dieser Größe eine Fußgängerzone.“

Na das kann ja heiter werden, dachte ich. Aber ich behielt diesen Kommentar lieber für mich.

Die Straßen waren wie ausgestorben. Selbst Autos waren kaum welche zu sehen. Niemand wollte damals mehr sinnlos herumfahren, denn Sprit war kostbar geworden und so blieb jeder erwartungsvoll zu Hause. Trotzdem war alles ungewohnt still. Ich war lange nicht mehr in einer Stadt gewesen - wozu auch? Es war ja viel zu gefährlich. Im Wald war es normal, dass alles ruhig und öde war. Aber hier zwischen all den Häusern störte die Ruhe und meine Erinnerungen kamen wieder hoch. Schon komisch, dass ich sie in all den Jahren nicht vergessen hatte. An einer Bushaltestelle orientierten wir uns an dem abgebildeten Stadtplan wo es lang ging. Wir mussten bestimmt noch eine knappe halbe Stunde tiefer in die Stadt hinein marschieren. Wenn wir nicht vorher schon eine Apotheke im Außenbereich finden würden…

Plötzlich riss mich Bianca aus den Gedanken heraus: „Da, was ist das dort?!“ Wir sprangen sofort in Deckung. Ben hinter ein parkendes Auto. Ich bei einem Hauseingang zwischen die Müllcontainer des Mehrfamilienhauses. Bianca legte sich flach auf den Asphalt an den Randstein, ihr Gewehr im Anschlag bereit. Gespannt blickten wir in die Richtung ihres ausgerichteten Gewehrlaufes. Da hing etwas in der Luft. Es war verdeckt vom Nebel aber dennoch schemenhaft sichtbar. Wir waren schon viel zu nahe dran, um unbemerkt ausweichen zu können.

„Was siehst du?“ flüsterte ich leise zu ihr herüber.

„Nichts genaues. Da hängt was an einem Seil. Nein, es sind sogar mehrere hintereinander!“ sie wurde plötzlich still.

„Was ist?!“ langsam wurde ich richtig nervös.

„Ich gehe näher…“ kam es von der Straße zurück.

Mein Herz blieb fast stehen. Das war das nackte Chaos hier und sie wollte dichter ran? Meine Strategie wäre schnell und lautlos verschwinden gewesen. Hoffentlich provoziert Bianca nicht einen Kampf… Angestrengt versuche ich durch das Grau des Nebels zu blicken. Die Sonne stand noch nicht hoch genug, dass sie einem einen besseren Kontrast bieten würde. Auf einmal sah ich eine Gestalt auf mich zukommen.

„Ich bin’s nur. Es besteht keine Gefahr für uns.“

„Bianca…!“ da sie so plötzlich aus dem Nebel heraustrat hätte ich sie beinahe niedergeschossen! „Was machst du nur für Sachen! Was hast du entdeckt?“ zischelte ich vorwurfsvoll.

„Man, seid ihr Angsthasen. Carlos hätte längst geknurrt wenn dort jemand gewesen wäre.“ Doch dann wurde Bianca ernst: „Was dort an einem zwischen Laternen gespannten Seil baumelt, sind fünf erhängte Männer und Frauen. Sie stinken zwar nicht mehr nach Verwesung, dürften aber kein halbes Jahr alt sein.“

„Und was bedeutet das?“ fragte ich verwirrt und auch Ben, der hinzugekommen war, blickte erschrocken.

„Das bedeutet alles und nichts.“ meinte Bianca. „Wobei - wer macht sich schon die Mühe jemanden umzubringen und dann aufzuhängen? Vielleicht als Warnung?“

„Dann sind wir also nicht alleine in der Stadt?“ fragte ich, wobei die Frage eher rhetorisch gemeint war.

„Wir müssen uns nun ganz auf Carlos Gespür verlassen.“ beruhigte uns Bianca. Aber so richtig zufriedenstellend war ihr Vorschlag nicht. Trotzdem drangen wir weiter in das Innere der Stadt vor…

Wir erreichten schließlich den Einkaufsbereich. Gleich zu Anfang stand dort mitten im Weg neben einer Ampel ein Kinderwagen - er war leer. Überall lagen Müll, Papierreste und Herbstblätter von den Bäumen herum, die nun keine städtischen Angestellten mehr auffegen. Vereinzelt waren Schaufenster eingeworfen und Läden geplündert. Menschliche Spuren sah man aber keine.

„Dort!“ ich zeigte auf die rechte Ladenzeile. „Da ist eine Apotheke.“ Deutlich erkannten wir das Symbol über der Tür.

„Ich gehe hinein und schaue nach. Ihr passt draußen auf.“ Biancas Worte waren klar und zielstrebig. Sofort betrat sie furchtlos das Gebäude. Kurze Zeit später war sie wieder draußen: „Fehlanzeige. Wir müssen weitersuchen.“

Doch unsere Suche blieb leider erfolglos. Ich wurde richtig wütend: „Das gibt es doch gar nicht!“

Ben zuckt mit den Achseln. Wir hatten bestimmt nichts übersehen. Bianca aber dachte kurz nach. Schließlich schlug sie vor: „Dann gehen wir eben in das große Einkaufszentrum. Bestimmt haben die da drin eine kleine Filiale.“

„Okay.“ stimmte ich ihr zu. „Aber nicht zu lange.“

Bianca nickte. Ben auch - und los ging es!

Ich weiß nicht was ich eigentlich erwartet hatte, aber vom vergangenen Glanz war nichts mehr zu sehen. Alles war absichtlich kaputt gemacht und zerstört worden. Außerdem war es auch stockfinster da drin. Wohl auch vom Ruß, da es stellenweise gebrannt hatte. Die Rolltreppen standen still, waren aber noch zumindest als Treppe benutzbar um zwischen den vier Etagen wechseln zu können. Trotzdem musste man höllisch aufpassen - an einigen Stellen fehlten Teile des gläsernen Geländers und dahinter gähnte die Tiefe der Einkaufshallen!

Während Ben und Bianca die linke Flanke abgingen, hielt ich mich auf der rechten Seite auf. So hatten wir den Flur möglichst gut unter voller Beobachtung. Trotzdem gab es hier endlose, dunkle Nischen in denen jemand versteckt sein könnte…

„Wie sieht es bei die aus?“ rief Bianca zu mir herüber „Schon was gefunden?“

„Nein. Alles Mögliche an Klamottenläden, Handyshops, Reisebüros oder Dessous - falls dich das interessiert.“ versuchte ich die Anspannung etwas zu entschärfen.

„Werd’ nicht albern!“ zischelte sie zurück „Wir sind verdammt nochmal nicht zum Spaß hier!“

In Biancas Tonfall bemerkte ich eine ziemliche Gereiztheit, aber mich ärgerte das Ganze auch: „Wieso bist du gleich so sauer?! Ich darf doch noch mal einen Witz machen, oder?“

Und so ergab ein Wort das andere. Früher hatte ich wenigstens meine Ruhe und konnte sagen was ich wollte. Immer diese nervigen Vorhaltungen und Verbesserungen! Ach, eigentlich wollte ich doch nur nett sein. Aber wenn so eine verfahrene Situation mal passiert ist, dann hat man eh keine Möglichkeit mehr sich zu entschuldigen…

Doch dann wurde Ben, der sich an unserem Zwiegespräch nicht hatte stören lassen, auf einmal ganz aufgeregt. Er zog Bianca am Ärmel und deutete auf einen schmalen Laden an der Ecke mit zerschlagenem Schaufenster. Überall lagen Glassplitter herum und an der zerstörten Dekoration war kaum zu erkennen um was für ein Geschäft es sich einmal gehandelt hatte. Lediglich das unbeleuchtete rote „A“ über dem Eingang verriet es. Endlich - eine Apotheke!

Vorsichtig näherte sich Bianca diesem Bereich. Wir Jungs gaben ihr - so gut es in der Dunkelheit der fensterlosen Ladenzeile überhaupt möglich war - draußen Seitendeckung. Schließlich betrat sie das Ladeninnere und verschwand hinter der Theke durch die offen stehende Tür ins Lager. Ich hoffte sie wusste, was sie da tat… Draußen war alles ruhig. Carlos war bei uns geblieben und spitzte die Ohren, immer wieder riechend und witternd ob jemand Fremdes in die Nähe käme. Bianca hatte ihn hervorragend darauf abgerichtet und so war er uns eine ausgezeichnete Hilfe. Es hatte bislang eigentlich nur Vorteile sie beide mit in unser Team zu nehmen - wenn ich daran denke, dass wir anfangs panische Angst wegen ihrer Anwesenheit hatten und nicht wussten wie wir uns am besten von ihr entledigen sollten. Das Überlebensprinzip kennt eigentlich keine Ausnahmen. Umso schöner, dass es wohl doch welche gibt! Ja und nett finde ich Bianca eigentlich auch - irgendwie…

Ein leises knurren von Carlos riss mich aus meinen Träumen. Das hätte mir nicht passieren dürfen! Wo war nur meine hundertprozentige Aufmerksamkeit?! Zum Glück kam Bianca gerade von hinten wieder hervor.

„Ich habe das Zeug!“ Ihr Flüstern ließ einen kleinen Triumph durchhören. „Du hast echt Glück - und jetzt nix wie raus hier.“

Gerade als wir los wollten, bemerkte sie das seltsame Verhalten von Carlos. „Was ist los? Seit wann hat er das??“

„Seit eben erst.“ antwortete ich.

„Sicher? Habt ihr denn nicht vorher schon was bemerkt? Carlos ist ja richtig angespannt - hier ist jemand!“

Ihr Vorwurf ärgerte mich zwar aber die Befürchtung, dass jemand den wir nicht sehen konnten hier in der Nähe sein musste, war jetzt wichtiger. Sofort machten wir unsere Waffen scharf und hielten die Munition bereit. Wie viele mochten es wohl sein? Und aus welcher Ecke kamen sie? Wohin sollten wir uns am besten zurückziehen ohne in einen Hinterhalt zu geraten?? Langsam gingen wir zum Ausgang zurück - immer in die Richtung schauend, in die Carlos seine Schnauze hielt und knurrte.

Gerade als wir in das offene, helle Foyer mit der zerbrochenen Lichtkuppel und den stillstehenden Rolltreppen kamen, hörten wir ein kurzes Zischen und ein Pfeil schlug hinter uns gegen die Wand. Sofort warfen wir uns flach auf den Boden. Der hätte uns auch treffen können! Carlos fing laut an zu bellen und wollte sich losreißen, doch Bianca hielt ihn kurz und feste an der Leine zurück.

„Da hinten am Pfeiler bewegt sich was…“ rief ich zu den beiden herüber.

„Wo genau?“

„Bei dem roten Klamottenladen - siehst du mehr?“

Bianca steckte ihre Nase etwas höher über die Sitzbank hinter der sie Schutz genommen hatte. Nur mit den Händen signalisierte sie mir verdeckt, dass sie jemanden im Visier hatte - denn Reden hätte dem anderen ihr Vorhaben verraten. Leider war er trotzdem vorsichtig genug sich nicht einen Millimeter vom Fleck zu bewegen sondern blieb in seinem sicheren Versteck. Was mich irritierte war, dass bislang nur einer gegen uns drei kämpfte. Das war nicht gerade schlau - vor allem wo wir im Begriff waren zu gehen. Ob hier noch mehr Feinde lauerten als nur einer? Vielleicht sogar draußen rund ums Gebäude? Konnte ja sein er sollte uns raustreiben! Mit unserer Reaktion hatte er jedenfalls nicht gerechnet und nun war er in der Bedrängnis - bis die anderen zur Hilfe kommen würden…

Als nach Minuten der Schutzstellung immer noch keine Änderung der Situation möglich war, deutete ich Bianca an, mich als Köder kurz zu zeigen. Damit würden wir den anderen vielleicht aus dem Versteck locken und außer Gefecht setzen. Nachdem sie meine Handzeichen empfangen und verstanden hatte, schüttelte sie wie wild mit dem Kopf. Mir war es aber egal ob sie damit einverstanden war oder nicht. Mit den Fingern zählte ich langsam von drei auf null runter…

Dann ging alles sehr schnell: ich suchte einen neuen Platz um Deckung zu nehmen und rannte in geduckter Haltung eine Stütze weiter vor. Und es passiert genau das, was wir provozieren wollten: der unsichtbare Schütze bemerkte die Veränderung meiner Position zu seinen Ungunsten, spannte den Bogen zum Schuss und musste dafür aber etwas mehr aus seiner Deckung herauskommen. Genau in diesem Moment drückte Bianca ab. Der Pfeil flog irgendwohin an die Decke und prallte an ihr herunter. Der Getroffene sackte vornüber auf das Regal wohinter er sich versteckt hatte. Zunächst reagierte keiner von uns. Dann erhob sich Bianca als weitest Entfernte zu erst. Vorsichtig geduckt kam sie näher. Ich sicherte sie indem ich mit meinem Gewehr auf den Körper des Bogenschützen zielte. Doch dieser bewegt sich nicht mehr. Ben blieb mit Carlos im hinteren Bereich.

Schließlich war Bianca ganz nahe herangekommen. Sie stieß den Körper an und dreht ihn um: „Leider tot. Ich habe ihn an der Schläfe getroffen. War nicht so geplant.“

„Kann man nun nicht mehr ändern. Ich frage mich nur warum er alleine gegen drei kämpfen wollte. Zumal wir auf dem Rückweg waren. Das macht keinen Sinn.“

Langsam erhob auch ich mich und kam zu ihr herüber. Bevor wir uns aber eine Strategie zum heimlichen Verlassen dieses Einkaufszentrums überlegen konnten, ertönte plötzlich hinter uns eine fremde Stimme: „Keine hektische Bewegung! Habe mir ja schon sowas gedacht…“ tönte es kalt und ruhig vom anderen Ende des Lichthofes herüber „Werft sofort die Waffen weg!“

Was nun? Auf keinen Fall wollten wir die Waffen aus der Hand legen - dann würde man uns abknallen wie ein Kaninchen! Ich schielte zu Bianca herüber ohne den Kopf zu bewegen. Sie suchte ebenfalls den Blickkontakt zu mir. Sie zwinkerte zweimal mit den Augen. Das Zeichen kannte ich - es bedeutete „nein“. Als Antwort zwinkerte auch zweimal. Dann zeigte sie mir die blanken weißen Zähne - „Kampf!“ Schnell überlegte ich: Warum hatte der andere uns nicht sofort niedergestreckt? Seine Opfer anzusprechen zerstörte ihm doch jeden Vorteil. Vielleicht hatte er auch keine Schusswaffe wie wir und war uns deswegen unterlegen? Scheinbar musste er erst näher an uns herankommen um besser treffen zu können. Oder wollte er uns lebend? Aber ganz egal was wir nun machten - nur einer von uns beiden würde wahrscheinlich überleben wenn wir uns gleichzeitig umdrehen. Bianca oder mich würde der erste Schuss des Gegners treffen… Unsere einzige Hoffnung war Ben der im Hintergrund noch unentdeckt war - aber nur Bianca und ich hatten Gewehre!

„Los, wird’s bald?! Waffen weg!“ tönte es ungeduldig und brutal herüber.

Dann ging alles blitzschnell: ich gab Bianca ein Zeichen und zeigte ebenfalls meine blanken Zähne - „Kampf!“ Sofort wandten wir uns herum, rissen unsere Waffen hoch und drückten fast zeitgleich ab in die Richtung woher die Stimme kam. Die dunkle Gestalt schien nicht gerade überrascht zu sein und warf sich hinter der Bank am Rande des offen, klaffenden Atriums auf den Boden. Auch wir sprangen sofort flach in Deckung, wobei uns jeglicher Schutz fehlte. Die Kugeln des Gegners schlugen nur knapp von uns entfernt in den Natursteinfußboden ein. Er hatte also doch ein Gewehr! Wir hatten keine Chance!

Doch dann passierte etwas Unerwartetes. Es war Carlos, der sich bislang still mit Ben in einem Laden auf der anderen Seite versteckt gehalten hatte, der auf einmal losrannte. Ohne zu bellen warf er sich knurrend im vollen Lauf von hinten auf sein Opfer und biss ihm in den rechten Arm. Dieser versuchte ihn vergeblich ein paar Mal abzuschütteln und griff schließlich seitlich an seinen Gürtel nach einem Messer. Als Bianca die Klinge aufblitzen sah, rief sie laut: „Carlos, fass!“ Sofort schnappte der Hund nach der Kehle des unter ihm Liegenden. Dieser stieß sich blitzartig mit beiden Beinen weiter weg um den scharfen Zähnen des Hundes auszuweichen - hatte aber dabei vergessen, dass er bereits am Rand des offenen Atriums lag…

Es kam wie, es kommen musste: er bekam Übergewicht, rutschte kopfüber mit einem erschreckten Schrei ins Loch und versuchte mit den Händen noch hektisch einen Halt zu finden - dabei erwischt er ein Bein von Carlos! Genutzt hatte es ihm nichts. Beide stürzten die Etagen hinunter bis ins Untergeschoss. Bianca wurde kreidebleich. Vorsichtig blickte ich über den Rand der Decke hinunter. In der tiefen Dunkelheit da unten war nicht viel zu sehen. Nichts bewegte sich, kein Laut war zu hören. Unmöglich diesen Sturz überlebt haben zu können!

Nun war auch Ben am Rand erschienen und blickte erschrocken in die Tiefe. Mein Augenmerk lag aber mehr auf Bianca. Sie hatte sich bisher nicht einen Zentimeter von der Stelle bewegt. Überhaupt - sie schien mir merkwürdig steif und still zu sein.

„Bianca“ flüstere ich „was ist mit dir?“

Ich ging auf sie zu. Ihre Wangen und Kinn waren nass vor endlosen Tränen. Stille Tränen ohne ein Stöhnen oder Schluchzen. Die Augen waren zwar offen, blickten aber an mir vorbei. Das konnte ein Schock sein! Behutsam berührte ich sie mit meinen Händen an ihren Schultern. Dann wischte ich ihr die Wangen mit meiner Hand ein wenig trocken, doch weitere Tränen liefen immer wieder nach.

Plötzlich blickten ihre Pupillen einen kurzen Moment in meine Richtung - na immer hin, Kontaktaufnahme war wieder möglich!

„Komm, wir müssen gehen.“

Bianca nickte stumm. Aber ob sie das wirklich begriffen hatte, konnte ich mir nicht vorstellen. Bestimmt hatte sie gerade einen tiefen Schock erlitten. So nahm ich sie an der Hand und führte sie durch das Dunkel dieses Einkaufszentrum hindurch. Doch welchen Ausgang sollten wir nehmen? Mein Verdacht, dass hier noch mehr Menschen lauerten, bestätigt sich kurz vor dem Ausgang. Ich hörte Stimmen…

„Wieso dauert das so lange? Die sollten die Fremden doch nur aufscheuchen und uns in die Arme treiben.“

„Da ist bestimmt was schief gelaufen. Sollen wir nachschauen?“

„Das ist doch nicht dein Ernst! Da drinnen ist es viel zu dunkel und verwinkelt. Wenn die sich darin einnisten, haben wir ein echtes Problem.“

Jetzt verstand ich langsam. Der Feind hatte selber Angst vor uns und glaubt dass wir bleiben wollten. Nun, verhandeln würde nicht möglich sein - jeder wollte nur überleben. So machten wir kehrt, gingen hinunter in die tiefere Ebene und fanden den Zugang zur Tiefgarage. Am Ende des großflächigen Säulenraums führte eine Rampe wieder nach oben. Hell strahlte die Sonne in das düstere dieser kalten Halle. Es war bestimmt schon längst Mittagszeit und viel zu riskant durch die Stadt zu laufen. So richteten wir uns in einen kleinen Transporter ein, von dem aus wir einen guten Blick auf die Rampe hatten. Jetzt hieß es einfach nur auf den Schutz der Nacht warten. Biancas Zustand war nicht besser geworden. Völlig teilnahmslos machte sie alles mit, was wir ihr sagten. Wenigstens hatte sie sich in eine Ecke des Transporters zusammengekauert und war erschöpft eingeschlafen. In der Zwischenzeit konnte ich mich endlich mal um meine geschwollene Wunde kümmern. Das war ja schließlich der eigentliche Grund für unsere Expedition gewesen…

Kaum dass die Dämmerung eingesetzt hatte, wagten wir uns zur Rampe rüber. Während Ben die linke Flanke absicherte, hielt ich mich mit Bianca rechts. Vorsichtig blickte ich über den Betonrand. Die Luft war rein - und wir verließen diese Stadt.