Czytaj książkę: «Der Hersteller im europäischen Produktsicherheitsrecht», strona 6

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4. Richtlinienkonforme Auslegung

Bei der Auslegung des Herstellerbegriffs ist zudem zu beachten, dass seit 1992 der Herstellerbegriff durch europäisches Recht maßgeblich geprägt wird: Der Herstellerbegriff geht zuletzt auf die Verordnung 765/2008/EU und den Beschluss 768/2008/EG zurück. Daher sind die Grundlagen des Europarechts bei der Auslegung des Herstellerbegriffs als zentrale Faktoren zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist eine rein nationale Perspektive bei der Auslegung des Herstellerbegriffs zu eng, da sie die europarechtlichen Implikationen und die Entstehungsgeschichte des Herstellerbegriffs vernachlässigen würde.132 Folglich ist vornehmlich eine europarechtskonforme Auslegung des Herstellerbegriffs vorzunehmen.

a) Verhältnis zwischen europarechtskonformer und nationaler Auslegung

Soweit nationale und europäische Rechtsakte nebeneinanderstehen, ist ihr Verhältnis zueinander für die Auslegung des Herstellerbegriffs bedeutend. Das europäische Recht könnte nämlich aufgrund seiner grundsätzlichen Vorrangwirkung das nationale Recht derart überlagern, dass lediglich eine Auslegung des Herstellerbegriffs anhand von europäischen Normen geboten sein könnte. Jedoch ist zu beachten, dass das europäische Recht nach seinen Rechtsetzungsnormen wie Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen zu unterscheiden ist, denen jeweils unterschiedliche Rechtskraftwirkungen zukommen. Dadurch ergeben sich folgerichtig Unterschiede in der jeweiligen Bedeutung des Rechtsakts bei der Auslegung des Herstellerbegriffs. Da im europäischen Produktsicherheitsrecht die Normen des New Legislative Frameworks von maßgeblicher Bedeutung sind,133 werden im Folgenden diese Normen auf ihre Art und Rechtskraftwirkung im Verhältnis zur nationalen Rechtsetzung untersucht.

aa) Musterbeschluss

Der Musterbeschluss des New Legislative Frameworks 768/2008/EG ist ein „Beschluss“ nach Art. 288 Abs. 4 AEUV. Ein solcher Beschluss ist nur für seine Adressaten in all seinen Teilen verbindlich. Er hat somit individuelle Geltung und wird in der Regel durch exekutivisches Handeln vollzogen, vor allem durch die Europäische Kommission. Der Adressat des Beschlusses 768/2008/EG ist die Europäische Kommission, wodurch der Musterbeschluss rechtlich keine verbindliche Wirkung für die EU-Mitgliedstaaten entfaltet.134 Dies ergibt sich bereits aus Erwägungsgrund 7 des Musterbeschlusses:

„Auch wenn nicht gesetzlich vorgeschrieben werden kann, die Bestimmungen dieses Beschlusses in künftige Rechtsakte zu übernehmen, sind die Mitgesetzgeber durch den Erlass dieses Beschlusses eine klare politische Verpflichtung eingegangen, die sie in Rechtsakten, die in den Geltungsbereich dieses Beschlusses fallen, einhalten sollten.“

Da der Musterbeschluss lediglich eine verwaltungsinterne Rechtswirkung auf europäischer Ebene entfaltet und für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht verbindlich ist, hat der Musterbeschluss bei der Auslegung des Herstellerbegriffs keine Vorrangwirkung gegenüber der nationalen Gesetzgebung.

bb) EU-Richtlinien

Bei der europarechtskonformen Auslegung sind die EU-Richtlinien von zentraler Bedeutung, die auf der Grundlage des Musterbeschlusses erlassen wurden. Damit ist in einem weiteren Schritt zu klären, wie das Verhältnis zwischen der richtlinienkonformen Auslegung und der Auslegung des nationalen Gesetzes ausgestaltet ist.

Eine Richtlinie ist nach Art. 288 Absatz 2 AEUV nur „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“. Ferner wird von der Europäischen Union „den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“ überlassen. Folglich ist ein Umsetzungsakt der Mitgliedstaaten in Form einer nationalen Norm erforderlich, durch welche die europäische Richtlinie allerdings nicht unverändert umgesetzt werden muss. Vielmehr kann die Richtlinie einen Umsetzungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber vorgeben, innerhalb dessen er frei in der entsprechenden Umsetzung der europäischen Richtlinie ist. Ferner kann der nationale Gesetzgeber die europäische Richtlinie in Teilen überschießend umsetzen, indem er weitergehende Regelungen erlässt, als durch die entsprechende Richtlinie vorgesehen sind.135 Dieser Transformationsakt verliert im Rahmen der Auslegung also an Bedeutung, wenn bei jeder Abweichung zwischen nationalem Recht und Richtlinienrecht stets auf die Richtlinie zurückgegriffen wird. Der vom nationalen Gesetzgeber verfolgte Zweck beim Umsetzen der Richtlinie in nationales Recht ist daher als maßgebliches Element im Rahmen des Auslegungsvorgangs zu beachten.136 Somit hat die Transformation durch den nationalen Gesetzgeber noch immer Bedeutung und ist damit auch mit den bekannten Auslegungsmethoden zu erforschen.137 Außerdem fließt der Wille, eine Richtlinie umzusetzen, jedenfalls über historische Gesichtspunkte, in den Auslegungsprozess mit ein.138 Daher fordert der EuGH in ständiger Rechtsprechung eine an der jeweiligen Richtlinie orientierte Auslegung des nationalen Rechts.139

b) Anwendbarkeit der Auslegungsmethoden nach Savigny auf eine europarechtskonforme Auslegung

Überdies ist klärungsbedürftig, mit welchen Methoden eine europarechtskonforme Auslegung erfolgen kann. Insbesondere ist zu klären, ob die für das deutsche Recht entwickelten Auslegungsmethoden nach Savigny auch auf das Europarecht anwendbar und übertragbar sind. Der fremden Norm – folgt man Savignys Auslegungsmethoden – könnte eine fremde, namentlich deutsche Systematik aufgezwungen werden, die nicht ihrem eigenen Rechtscharakter entspricht. Dies ist jedoch nicht der Fall. Savignys Auslegungskanon statuiert lediglich eine Arbeitstechnik, mit der sich jede Eigenart einer ausländischen Norm in ihrem ausländischen Kontext mit jeder Besonderheit erfassen und ergründen lässt.140 Savignys Auslegungsmethoden wurden zwar ursprünglich für das deutsche Recht geschaffen, stellen aber ein universelles und neutrales Mittel dar, das sich zur Auslegung von Normen aller Rechtsordnungen eignet.141 Nach Ansicht des EuGH gelten zwar für die richtlinienkonforme Auslegung autonome Auslegungsgrundsätze, aber diese stimmen im Wesentlichen mit den bereits dargestellten Auslegungsmethoden überein,142 sodass auf die dargestellten Methoden auch im Rahmen der Auslegung des europäischen Rechts zurückgegriffen werden kann.

Besondere Bedeutung bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat in diesem Zusammenhang der sogenannte „effet utile“. Dieser dem europäischen Recht eigene Auslegungsgrundsatz zielt darauf ab, dem in einer europäischen Norm angelegten Zweck zur Wirksamkeit zu verhelfen.143 Danach ist grundsätzlich diejenige Auslegung vorzuziehen, bei der sich das Unionsrecht am besten und wirkungsvollsten durchsetzt, wenn das nationale Recht unterschiedlich ausgelegt werden kann. Die Entstehungsgeschichte einer unionsrechtlichen Vorschrift kann überdies relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern. Bei der Auslegung des nationalen Umsetzungsrechts ist die EU-Richtlinie schließlich insoweit zu berücksichtigen, wie nach den Regelungsabsichten und dem vom historischen Gesetzgeber verfolgten Zweck im Sinne des effet utile gefragt wird.144

5. Der Herstellerbegriff als unbestimmter Rechtsbegriff?

Um beurteilen zu können, welcher Maßstab an die Auslegung des Herstellerbegriffs zu legen ist, ist vorab zu klären, ob der Herstellerbegriff gegebenenfalls als unbestimmter Rechtsbegriff einzustufen ist. Bei einem unbestimmten Rechtsbegriff handelt es sich um einen Begriff in einer Norm, der auslegungsbedürftig, weil vage ist, und dessen objektiver Sinn sich nicht sofort erschließt.145 Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist für eine Dehnung beziehungsweise Erweiterung des Begriffs zugänglich und kann daher mit eigenen Wertungen ausgefüllt werden.146 Diese Ausfüllbarkeit eines unbestimmten Rechtsbegriffs ist vom Normgeber bewusst gewählt.147 Ein unbestimmter Rechtsbegriff wird daher nicht nur ausgelegt, sondern kann vom Normanwender auch mit eigenen Wertungen ausgefüllt werden.148 Folglich entscheidet die Beurteilung darüber, ob es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, über den Maßstab der Auslegung.

Bei einem unbestimmten Rechtsbegriff in einer europäischen Richtlinie werden die EU-Mitgliedstaaten zu den Interpreten, welche die mehrdeutigen Formulierungen der Norm – die unbestimmten Rechtsbegriffe – ausfüllen.149 Das führt dazu, dass eine Auslegung an europäischen Zwecken und Zielrichtungen der Richtlinie wieder eingeschränkt wird, da dem interpretierenden Mitgliedstaat vom europäischen Gesetzgeber bewusst ein Freiraum dafür eingeräumt wurde, den unbestimmten Rechtsbegriff mit eigenen Wertungen zu füllen. Die Motive und Ziele des nationalen Gesetzgebers treten bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs dadurch wieder in den Vordergrund.

Vorliegend ist der Herstellerbegriff legaldefiniert. Daraus ist zu schließen, dass die Konkretisierung des Begriffs nicht dem Mitgliedstaat überlassen werden sollte, sondern vielmehr hat der europäische Normgeber den Herstellerbegriff selbst konkretisiert. Dass die Konkretisierung des Normgebers womöglich selbst nicht konkret genug ist, ändert nichts daran, dass der Normgeber nicht den Willen dazu hatte, die Konkretisierung durch den Normanwender vornehmen zu lassen. Demnach ist der Herstellerbegriff kein unbestimmter Rechtsbegriff im vorgenannten Sinne, wodurch sich die teleologische Auslegung des Herstellerbegriffs grundsätzlich am Sinn und Zweck des europäischen Produktsicherheitsrechts auszurichten hat.

110 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 213 f. 111 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap 4, Ziff. 2 f; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 146 ff., 172 ff. 112 Raisch, Juristische Methoden, S. 103 f. 113 Raisch, Juristische Methoden, S. 138; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 23. 114 Raisch, Juristische Methoden, S. 139. 115 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 638; Bumke, Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, S. 49. 116 Raisch, Juristische Methoden, S. 140. 117 Schwacke, Juristische Methodik, S. 125 ff. 118 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 254. 119 Der Begriff „Kandidat“ entstammt der modernen Sprachphilosophie, siehe dazu: Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 194 ff.; Heinrich Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe: Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Philipp Hecks, S. 282. 120 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 195. 121 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 18; Meier/Jocham, JuS 2015, 490, 490 f.; Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 64. 122 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 199 f. 123 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 29 f. 124 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 130. 125 Es kann sich dabei um die Laiensphäre handeln, um Juristen oder Experten, zum Beispiel Ingenieure. 126 Raisch, Juristische Methoden, S. 140 f. 127 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 221. 128 Raisch, Juristische Methoden, S. 140. 129 Als weiteres Beispiel lässt sich der Bienenstich anführen. 130 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 221. 131 Auch die Herstellereigenschaft nach den Fallgruppen 3 und 4 ist jeweils eine Fiktion, vgl. dazu Teil F II. 3. b) sowie die Fallgruppe 5, vgl. dazu Teil F II. 4. a). 132 Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 215; BGHZ 63, 261, 264 f.; EuGH, Urteil vom 10.04.1984 – Rs 14/83 (von Colson und Kamann), S. 1891. 133 Siehe dazu instruktiv Teil B I Nr. 2. 134 Schucht, EUZW 2014, 848, 848. 135 Beispielsweise sind die festgelegten Produktkennzeichnungspflichten in den deutschen ProdSVen stellenweise strenger als in den zugrunde liegenden EU-Richtlinien. 136 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 183 f.; Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 216. 137 diFabio, NJW 1990, 947, 947 ff. 138 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 317; Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 216. 139 Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 220; EuGH, Urteil vom 10.04.1984 – 14/1983 (von Colson und Kamann) = Slg. 1984, 1891. 140 Busse, Die Methoden der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht als richterliches Instrument der Interpretation von nationalem Recht, S. 590. 141 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 699. 142 Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, S. 195 f. 143 Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, S. 275 ff. 144 Suhr, Richtlinienkonforme Auslegung im Privatrecht und nationale Auslegungsmethodik, S. 214; anders nach der objektiv-strengen Theorie, wonach die Absicht des Gesetzgebers zur Umsetzung der Richtlinie bloßes Motiv und damit nicht auslegungsfähig ist. 145 Jestadt: Erichsen/Ehlers/Burgi, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 24. 146 BVerfGE 103, 142, 156. 147 Fischer, Rechtsvergleich zur Umsetzung von Artikel 4a der Richtlinie 89/655/EWG ins nationale Rechtssystem repräsentativ ausgewählter EU-Mitgliedstaaten, S. 12; Schmidt, Konkretisierung von Generalklauseln im europäischen Privatrecht, S. 106. 148 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 136 f.; Fischer, Rechtsvergleich zur Umsetzung von Artikel 4a der Richtlinie 89/655/EWG ins nationale Rechtssystem repräsentativ ausgewählter EU-Mitgliedstaaten, S. 12. 149 Hager, Rechtsmethoden in Europa, S. 250 f.

II. Rechtserkenntnisquellen

Für die Auslegung des Herstellerbegriffs werden Angaben in den EU-Richtlinien, Verordnungen, Gesetzen und Leitfäden sowie in sonstigen flankierenden Dokumenten und in Entscheidungen des EuGH und BGH als Auslegungshilfe herangezogen. Dabei ist für die Auslegung anhand von Leitfäden und europäischen Richtlinien und Verordnungen bedeutend, welche Bindungswirkung den Leitfäden und den Erwägungsgründen innerhalb europäischer Richtlinien und Verordnungen zukommt.

1. Rechtsnatur und Bindungswirkung von Leitfäden
a) Allgemeines

Um den Herstellerbegriff zu präzisieren, wird eine Reihe von Leitfäden herangezogen, die entweder von der Europäischen Kommission, einer nationalen Behörde oder von einer privaten Organisation herausgegeben wurden.150 Für die Auslegung des Herstellerbegriffs ist es bedeutend, welche Bindungswirkung die Leitfäden für die betroffenen Wirtschaftsakteure und Marktüberwachungsbehörden entfalten. Sofern ihnen keine Gesetzeskraft zukommt, sind sie bei der Auslegung im Verhältnis zum Wortlaut der Norm nicht als gleichwertige Auslegungshilfe anzusehen.

Um zu beurteilen, welche Bindungskraft den Leitfäden für die Auslegung des Herstellerbegriffs zukommt, ist zwischen den Leitfäden von öffentlichen, nationalen Stellen und Behörden, Leitfäden der Europäischen Kommission und Leitfäden von privaten Organisationen zu unterscheiden.

b) Leitfäden von öffentlichen, nationalen Stellen

Leitfäden von öffentlichen, nationalen Stellen sind entweder als normkonkretisierende oder norminterpretierende beziehungsweise gesetzesauslegende Verwaltungsvorschriften einzustufen. Diese Einstufung wirkt sich darauf aus, ob den Leitfäden eine Außenwirkung beziehungsweise eine Bindungswirkung zukommen kann.

Mithilfe von norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften können Verwaltungen Rechtsbegriffe auslegen und ermöglichen somit der öffentlichen Verwaltung die Ausschöpfung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums. Sie geben unter anderen den Behörden Interpretationshilfen und gewährleisten eine einheitliche Anwendung der Gesetze.151 Eine Bindungswirkung für Behörden und Wirtschaftsakteure besteht allerdings nicht.152 Eine direkte Bindungswirkung für die Wirtschaftsteilnehmer würde gegen das Wesentlichkeitsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen, wonach Wesentliches – also beispielsweise alle repressiven Regelungen – durch Gesetz oder durch Rechtsverordnung aufgrund eines Gesetzes zu regeln ist.153 Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, wonach sich die Verwaltung (die Exekutive) grundsätzlich keine eigenen Regeln geben darf.154 Die Regelsetzung ist die Aufgabe der Legislative. Falls die Verwaltung durch den Erlass einer rechtswidrigen Interpretation des Gesetzes die Regelung des Gesetzes abändern könnte, könnte sie damit ihre Bindung an das Gesetz umgehen. Eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift hat nicht den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess durchlaufen und wurde auch nicht aufgrund eines Gesetzes gemäß Art. 80 GG von der Verwaltung als (nationale) Verordnung erlassen.

Durch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften kann die Exekutive aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung unbestimmte Rechtsbegriffe, die gerichtlich nur begrenzt überprüft werden können (Beurteilungsspielraum), in rechtssatzmäßiger Weise ausfüllen, womit die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften eine Außenwirkung erlangen können.155 Bei den hier vorliegend verwendeten Leitfäden von öffentlichen nationalen Stellen fehlt allerdings jeglicher normative Anknüpfungspunkt, sodass sie nicht als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift charakterisiert werden können. Mittels der vorliegend herangezogenen Leitfäden sollen keine Regulierungsinteressen des Staats mittels Zwang durchgesetzt werden, sondern die Leitfäden sollen eine Hilfestellung für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer im Stil eines Handbuchs sein. Die Leitfäden dienen nicht dazu, komplexe, sich schnell verändernde technische Sachverhalte anzupassen, sondern sollen lediglich dazu dienen, die betroffenen Normen auszulegen. Damit handelt es sich bei den vorliegenden Leitfäden um gesetzesauslegende beziehungsweise norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, denen grundsätzlich keine rechtliche Bindungswirkung zukommt.

Damit besteht auch für die Gerichtsbarkeit keine Bindungswirkung an die Leitfäden. Allerdings können Gerichte im Rahmen der eigenen Auslegung des Herstellerbegriffs die Interpretation eines Leitfadens heranziehen und somit auch aus eigener Überzeugung vertreten.156

c) Europäische Leitfäden

Neben den nationalen Leitfäden existieren Leitfäden der Europäischen Kommission. Im Gegensatz zu den nationalen Leitfäden wird auf europäischer Ebene nicht zwischen norminterpretierenden und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften unterschieden. Vielmehr handelt es sich bei europäischen Leitfäden um ein eigenes Instrument der europäischen Institutionen: das sogenannte „Soft Law“.157 „Soft Law“158 wird von Europäischen Institutionen erlassen, es erzeugt allerdings keine unmittelbare rechtliche Außenwirkung.159

Rechtlich bindende Regelungen können auf europäischer Ebene nur im Rahmen der im Primärrecht der Europäischen Union festgeschriebenen Handlungsformen erlassen werden. In Art. 288 AEUV sind die verschiedenen Arten der Handlungsarten der Europäischen Union festgelegt. Das sind namentlich Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen, wobei Empfehlungen und Stellungnahmen ausweislich Art. 288 Abs. 5 AEUV nicht rechtlich verbindlich sind. Rechtsverbindlichkeit können Maßnahmen nur dann erlangen, wenn sie eindeutig einer dieser Handlungsformen in Art. 288 Abs. 2 bis 4 AEUV zugeordnet werden können.160 Die Europäische Kommission kann ferner verbindliche Rechtssätze in Form von Durchführungsverordnungen oder Durchführungsbeschlüssen gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV erlassen.161 Hierfür muss der Europäischen Kommission in einem entsprechenden Sekundarrechtsakt die Befugnis übertragen worden sein.162

Die hier zur Auslegung herangezogenen „Leitlinien“ und „Leitfäden“ wurden nicht auf der Grundlage der im Primärecht der Europäischen Union festgeschriebenen Rechtsetzungsverfahren für die in Art. 288, 291 AEUV genannten Rechtsetzungsakte erlassen. Ihnen kommt somit keine unmittelbare rechtliche Wirkung zu. Dazu führt der EuGH aus, dass nach ständiger Rechtsprechung Leitlinien „nicht als Rechtsnorm qualifiziert werden, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat“.163 Allerdings führen die Leitfäden der Europäischen Kommission zu mehr Transparenz, Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit im Vorgehen der Europäischen Kommission. In der Rechtsprechung des EuGH stellen die Leitfäden insoweit einen nützlichen Bezugspunkt dar, weshalb unter anderem eine mittelbare Bindung an die Leitfäden über den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und das Vertrauensschutzprinzip anerkannt wird.164

Die Leitfäden der Europäischen Kommission entfalten folglich keine unmittelbare Rechtswirkung für die Wirtschaftakteure und stellen daher „Soft Law“ dar. Dennoch können ihre Wertungen zumindest mittelbar eine Außenwirkung entfalten, indem sich Marktüberwachungsbehörden durch eine ständige Verwaltungspraxis an die Vorgaben der Leitfäden binden oder Spruchkörper in ihren Entscheidungen die Vorgaben aus den Leitfäden zugrunde legen. Für die Auslegung des Herstellerbegriffs werden die Leitfäden der Europäischen Kommission daher mit einem nötigen Grad an Zurückhaltung herangezogen.

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