Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs

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Firmung Jugendlicher im interdisziplinären Diskurs
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Christian Lutz

Firmung Jugendlicher

im interdisziplinären Diskurs

Theologie – Ritual – Empirie

Studien

zur Theologie und Praxis

der Seelsorge

103

Herausgegeben von

Erich Garhammer und Hans Hobelsberger

in Verbindung

mit Martina Blasberg-Kuhnke und Johann Pock

Christian Lutz

Firmung Jugendlicher

im interdisziplinären Diskurs

Theologie – Ritual – Empirie


Mein aufrichtiger Dank gilt Prof. Dr. Michael Sievernich SJ und PD Dr. Birgit Hoyer für die Erstellung der Gutachten der Habilitationsarbeit. Ebenso danke ich der Diözese Würzburg für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses zur Veröffentlichung der Arbeit.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2018

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Gestaltung: Hain-Team (www.hain-team.de)

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-04437-4

978-3-429-04951-5 (PDF)

978-3-429-06371-9 (ePub)

INHALT

EINLEITUNG

STAND DER DISKUSSION

METHODE DER ARBEIT

ZIELE DER ARBEIT

AUFBAU DER ARBEIT

1 THEOLOGISCHE GRUNDLEGUNG DES SAKRAMENTES DER FIRMUNG

1.1 NORMATIVE AUSGESTALTUNG DER FIRMUNG IN DEN DOKUMENTEN DES ZWEITEN VATIKANISCHEN KONZILS UND DER POSTKONZILIAREN SYNODEN IN DEUTSCHLAND

1.1.1 Firmung ist Teil der christlichen Initiation

1.1.2 Firmung ist ein ekklesiales Heilszeichen

1.1.3 Firmung ist das besondere Sakrament des Heiligen Geistes zur apostolischen Sendung

1.1.4 Entfaltung dieser Aspekte der Firmung – die Beschlüsse der Synoden

1.1.5 Sachthemen für die interdisziplinäre Arbeit mit der Firmung

1.2 BLICK IN DIE GESCHICHTE DER THEOLOGIE: FIRMUNG VOM AUSGANGSPUNKT BIOGRAPHIE HER GESEHEN - DIE SICHT THOMAS VON AQUINS

1.3 FIRMUNG VOM AUSGANGSPUNKT GLAUBENSLEBEN HER GESEHEN - DIE SICHT KARL RAHNERS

1.3.1 Firmung ist Auftrag zur Seelsorge im Alltag

1.3.2 Firmung ist Sendung der Kirche in den Alltag

1.3.3 Firmung ist Empfang des charismatischen Geistes

1.3.4 Ergebnis

1.4 FIRMUNG VOM AUSGANGSPUNKT GABE UND AUFGABE HER GESEHEN - DIE SICHT HANS URS VON BALTHASARS

1.4.1 Firmung ist Zugehörigkeit zum universale concretum

1.4.2 Firmung ist Kommen und Mitgehen

1.4.3 Firmung ist Empfänglichkeit und Entscheidung

1.4.4 Ergebnis

1.5 FIRMUNG VOM AUSGANGSPUNKT KOMMUNIKATION HER GESEHEN

1.5.1 Zum Verständnis des Wortes Kommunikation in der Theologie

1.5.2 Firmung in der kommunikativen Theologie

1.5.3 Firmung als Zuspruch und Anspruch bei Patrik Höring

1.5.4 Firmung in Lothar Lies’ eulogischer Struktur

1.6 EIN BLICK AUF DIE KONFIRMATION – ÜBEREINSTIMMUNGEN UND UNTERSCHIEDE ZU DEN SACHFRAGEN ZUR FIRMUNG

1.7 AUFBEREITUNG DER SACHTHEMEN FÜR EINE INTERDISZIPLINÄRE BESCHÄFTIGUNG MIT DER FIRMUNG

2 POTENTIALE RITUELLEN HANDELNS

2.1 KREATIVE VALENZ DER RITUALE – DIE SICHT VICTOR TURNERS

2.1.1 Rituale sind in sozialen Dramen situiert

2.1.2 Rituelle Prozesse

2.1.3 Liminalität

2.1.4 Communitas

2.1.5 Ergebnis

2.2 INTEGRATIVE VALENZ DER RITUALE FÜR DIE GESELLSCHAFT – DIE SICHT CLIFFORD GEERTZ’

2.2.1 Rituale müssen „dicht“ beschrieben werden

2.2.2 Ritual

2.2.2.1 Definitionen

2.2.2.2 Kritiken

2.2.3 „Scheitern“ des Rituals

2.2.4 Ein gelungenes Ritual ist Deep Play

2.2.5 Ritual und Macht

2.2.6 Ergebnis

2.3 INTEGRATIVE VALENZ DER RITUALE FÜR DIE RITUALTEILNEHMER – DIE SICHT MARY DOUGLAS’

2.3.1 Rituale

2.3.2 Rituelle Kommunikation

2.3.3 Grid and Group

2.3.4 Ergebnis

2.4 INTEGRATIVE VALENZ DER RITUALE FÜR DEN LEBENSKONTEXT DER RITUALTEILNEHMER – DIE SICHT CATHERINE BELLS

2.5 TRANSFORMATIVE VALENZ DER RITUALE – DIE SICHT RONALD GRIMES’

2.6 THEOLOGISCHE REZEPTIONEN VON RITUALTHEORIEN BEI CLEMENS SEDMAK UND FLORIAN UHL

2.7 ZUR EFFEKTIVITÄT RITUELLEN HANDELNS – UND EIN BLICK AUF DIE JUGENDWEIHE

2.8 SACHTHEMEN UND ERGEBNISSE DER RITUALTHEORIEN – AUFBEREITUNG FÜR DIE INTERDISZIPLINÄRE ARBEIT

3 JUGENDLICHE RELIGIOSITÄT IN EMPIRISCHER SICHT

3.1 VON DER FASZINATION DES GEGENSTÄNDLICHEN ZUR RELIGIÖSEN SELBSTBESTIMMUNG: RELIGIOSITÄT IN DER KINDHEIT UND IM JUGENDALTER

3.2 JUGENDSTUDIEN AUS DEM AKADEMISCHEN BEREICH

3.2.1 Skepsis und Abhängigkeit gegenüber institutionalisierter Religion nach Andreas Prokopf (2008)

3.2.2 Religiöse Erfahrung als persönliche Plausibilität in der Studie Christoph Bochingers u.a. (2009)

3.2.3 Kreativität im Umgang mit kulturellen Programmen nach Heinz Streib und Carsten Gennerich (2011)

3.2.4 Ergebnis

3.3 JUGENDSTUDIEN IN KIRCHLICHEM AUFTRAG

 

3.3.1 Werte jugendlicher Religiosität nach der Studie Milieus praktisch

3.3.2 Abgrenzung Jugendlicher von der Kirche in der Studie Wie ticken Jugendliche?

3.3.3 Ergebnis

3.4 MENSCHEN ZWISCHEN RELIGIÖSER SELBSTERMÄCHTIGUNG UND EPISTEMISCHER BESCHEIDENHEIT

3.4.1 Transzendenzerfahrung nach Hubert Knoblauch

3.4.2 Religiöse Erfahrung aus der Sicht der systematischen Theologie nach Christoph Schwöbel

3.4.3 Ergebnis

3.5 RELIGIOSITÄT UND IHRE KOMPONENTEN

3.5.1 Erste Definitionsversuche

3.5.2 Eine Definition aus der Religionsphilosophie nach Saskia Wendel

3.5.3 Dimensionen oder Komponenten von Religiosität

3.5.4 Ergebnis

3.6 KOGNITIVE ELEMENTE DER RELIGIOSITÄT IM JUGENDALTER

3.6.1 Psychologie jugendlicher Religiosität nach Bernhard Grom

3.6.2 Religiöses Erleben in den Kognitionswissenschaften

3.6.3 Religiosität und individuelle Kohärenz nach Tatjana Schnell

3.6.4 Ergebnis

3.7 SACHTHEMEN UND DIE ERGEBNISSE DER EMPIRISCHEN WISSENSCHAFTEN

4 INTERDISZIPLINÄRE PERSPEKTIVEN AUF DIE FIRMUNG

4.1 BIOGRAPHIE – BEDEUTUNG DER INTEGRATION AUTONOMER HANDLUNGSFREIHEIT IN DEN FIRMRITUS

4.2 GEMEINSCHAFT – IDENTIFIKATION ALLTÄGLICHER TÄTIGKEITEN ALS ORTE CHRISTLICHEN HANDELNS

4.3 GOTTESBILD – KOMMUNIKATION ZWISCHEN AUTONOMEN UND THEONOMEN SICHTWEISEN

4.4 GABE UND AUFGABE – FÜR DIE FIRMANDEN, FÜR DIE KIRCHE UND FÜR DIE SÄKULAR VERFASSTE GESELLSCHAFT

4.5 GLAUBENSLEBEN – WELTER SCHLIEßUNG ZWISCHEN EXPERTENTUM UND ANFÄNGERTUM

4.6 KOMMUNIKATION – WELTERSCHLIEßUNG ZWISCHEN VERSCHIEDENEN GELTUNGSANSPRÜCHEN

4.7 PASSAGERITUAL – IM KONTEXT DES GEGENWARTSBEZUGS JUGENDLICHER

4.8 FIRMALTER – IN EINER SPÄTMODERNEN WELT

4.9 INTERDISZIPLINÄRE PERSPEKTIVEN

BIBLIOGRAPHIE

Einleitung

Die Firmung gehört zusammen mit der Taufe und der Eucharistie seit frühchristlicher Zeit zu den Sakramenten der Eingliederung in die Kirche. Sie wird Ende des 2. Jahrhunderts von Hippolyth als eigener, vom Bischof vorgenommener Ritus beschrieben, der an die Taufe und die folgenden postbaptismalen Salbungen anschließt. Bereits im 3. Jahrhundert können mit den Fragen zur Kranken- und Ketzertaufe in der Westkirche Tendenzen beobachtet werden, die zur zeitlichen Trennung von Taufe und der Besiegelung durch den Bischof führen. Während sich in der Westkirche ein eigenständiger Ritus der Firmung entwickelte, der vom Bischof vollzogen wird, behielt die Ostkirche die Einheit des Ritus von Taufe, Myronsalbung und Eucharistie bei, wobei besonderes Gewicht auf das vom Bischof geweihte Myron gelegt wird. Trotz gewisser Spannungen zwischen katholischer und orthodoxer Firmtheologie gilt das Sakrament der Firmung unter den Kirchen als unumstritten. Mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, gibt es konfessionelle Differenzen, die mit der Definition eines Sakramentes zusammenhängen1.

Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil forderten die Konzilsväter in der Konstitution über die Heilige Liturgie Sacrosactum Concilium eine Überarbeitung des Firmritus, damit die Firmung als Teil der einen christlichen Initiation wieder besser zur Geltung komme (SC 71). Im Jahr 1971 wurde die Neuregelung in der Apostolischen Konstitution Divinae Consortium Naturae von Papst Paul VI. erlassen2 und im Codex Iuris Canonici verankert3. Für den liturgischen Gebrauch wurden der Ordo Confirmations und der Ordo Initationis Christianae Adultorum erstellt4.

In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu einer vielfältigen theologischen und spirituellen Auseinandersetzung mit der Firmung, zum Beispiel in den Schriften Heribert Mühlens und Günter Biemers. Der 2006 verstorbene Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Theologischen Fakultät Paderborn Heribert Mühlen gilt als Wegbereiter der Beschäftigung mit der Pneumatologie im 20. Jahrhundert und der charismatischen Erneuerung in der katholischen Kirche5. Er unterscheidet fünf Grunderfahrungen christlicher Existenz: die Evangelisation, die persönliche Umkehr, die Taufe mit den übrigen Sakramenten, die Geistesgaben und das kirchliche Amt als „Dienst der Einheit und der Leitung“6. Diese Strukturelemente des christlichen Glaubens treten im Lauf der Kirchengeschichte immer auf, lediglich die Schwerpunktsetzung schwanke von Epoche zu Epoche. In Mühlens Sicht ist allen Sakramenten die Gabe des Heiligen Geistes zur Stärkung eigen. Das muss aber nicht zu einer relativen Inhaltslosigkeit des Sakramentes der Firmung führen; sie wird verstanden als „das sakramentale Zeichen für die apostolische Sukzession der ganzen Kirche“7. Besonders die geschichtliche Dimension der Kirche wird für Mühlen in der Firmung sichtbar, denn sie „zeigt an und bewirkt die Kontinuität mit der Pfingsterfahrung“8.

Der emeritierte Professor für Religionspädagogik an der Universität Freiburg, Günter Biemer, hat sich im Jahr 1973 mit der Theologie und der Praxis der Firmung auseinander gesetzt. Bei seinen Überlegungen geht er von der Situation der römisch-katholischen Kirche in Deutschland aus, in der die Firmung im Jugendalter zeitlich von Taufe und Erstkommunion getrennt gefeiert wird9. Er identifiziert verschiedene Ansätze, die vom Verständnis des Wirkens des Heiligen Geistes ausgehen und denen verschiedene Firmtheologien zugeordnet werden können10. Einzelne Theologen kommen hierbei kaum zu Wort, es handelt sich um eine Zusammenstellung verschiedener möglicher Modelle der Firmtheologien. 1) Der christologische Ansatz. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist das Wirken und die Fülle des Heiligen Geistes in Leben, Sterben und Auferweckung Jesu Christi. 2) Der ekklesiologische Ansatz nimmt auf die Gegenwart des Wirkens Gottes in der Kirche Bezug und entfaltet von hier aus die Theologie der Firmung. 3) Der heilsgeschichtliche Ansatz geht davon aus, dass Gott in den Sakramenten der Kirche handelt und dass Gottes Heilshandeln auch im Tun und Reden der Christen und Christinnen deutlich werden soll. 4) Der anthropologische Ansatz stellt die menschliche Dimension im kirchlichen Handeln deutlich heraus – und kann somit als eine wichtige Ergänzung zu den vorausgehenden Ansätzen verstanden werden, nicht aber als eine alleinige Alternative. 5) Zuletzt nennt Biemer noch den anthropologischsakramentalen Ansatz. Hier wird die biographische Situation von Täuflingen und Firmanden während der Spendung des Sakramentes bedacht. „Da die beiden Initiationssakramente schon einmal getrennt sind, soll diese Tatsache auch einen Sinn haben, nämlich die Verteilung der für die Initiation in die Kirche nötigen anthropologischen Elemente auf die beiden Sakramente“11. Biemer versucht nun, die Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Ansätze herauszustellen und sie in eine ganzheitliche Sichtweise der Firmung zu integrieren:

„Faßt man in diesem Sinne die Leitgedanken aus den verschiedenen Theologien der Firmung zusammen, so erscheint sie als »Teil«-Sakrament der Taufe und als deren Vollendung (sakramental), als die spezifische Eingliederung in die Sukzession des Geistes Jesu Christi (christologisch), als Zeichen für die Glaubensentscheidung (anthropologische Komponente für den Fall der Kindertaufe) und als Zeichen und Auftrag für Engagement und Glaubenszeugnis innerhalb und außerhalb der Kirche (ekklesiologisch)“12.

In einer späteren Veröffentlichung geht Biemer einen anderen Weg, wenn er schreibt: „wem sich die Symbolgeste Gottes in Jesus Christus durch seine Kirche in der Berührung mit dem Taufwasser, beim Kreuzeszeichen des Chrisam, beim Essen und Trinken der eucharistischen Gaben […] erschließt, dem wird die Erfahrung der Begegnung mit dem lebendigen Gott zuteil“13. Offensichtlich führte die Kombination verschiedener Modelle von Firmtheologien nicht dazu, eine breite Übereinstimmung unter Theologen zu erreichen14.

In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden in der katholischen Theologie die Fragen aufgeworfen, ob mit der Theologie der Firmung nicht eine Abwertung der Taufe verbunden wäre und ob seit der Theologie Thomas von Aquins nicht ein Umfunktionieren der christlichen Initiation stattgefunden hätte. So veröffentlichte im Jahr 1974 Jean Amougou-Atangana seine Schrift Ein Sakrament des Geistempfangs? Er identifiziert Unsicherheiten „in der offiziellen katholischen Lehre von der Firmung“15. Deshalb untersucht er die Heilige Schrift und die patristische Tradition, um zu klären, „was für die Firmung vertretbar ist, und entsprechende Vorschläge“16 vorzulegen. Sein Ergebnis lautet, dass die Firmung kein eigenständiges Sakrament sei, sondern „ein an der Taufe partizipierendes Nebensakrament“17. Von diesem Verständnis der Firmung ist auch Ulrich Schwalbachs Arbeit Firmung und religiöse Sozialisation aus dem Jahr 1979 geprägt18. Er untersucht zudem die subjektive Seite der Religion der Firmanden mit Hilfe religionspsychologischer und religionssoziologischer Kategorien und versucht, Konsequenzen für die Praxis der Firmung zu ziehen. Den Rahmen dafür bietet ihm die Gemeindetheologie19. So wünscht er, die „Zusammenarbeit von Familie, Gemeinde und schulischem Religionsunterricht“20 zu stärken.

Stand der Diskussion

Wer Veröffentlichungen zur Firmung aus den letzten beiden Jahrzehnten sucht, findet ein unausgewogenes Bild vor: Es existieren zahlreiche Beiträge zum Thema Firmung im katechetischen Bereich, und neue Firmkonzepte werden in Pfarreien, Dekanaten und Diözesen erarbeitet21. Immer wieder wird auch die Ansicht diskutiert, Firmanden hätten mehrheitlich keinen Bezug mehr zu ihren Heimatpfarreien und zum religiösen Leben in der Kirche22. Deshalb überrascht es, dass in den letzten beiden Jahrzehnten in Deutschland lediglich zwei große Untersuchungen veröffentlicht wurden, die sich mit der Firmung in dogmatischer Hinsicht beschäftigten. Diese waren die Arbeit von Manfred Hauke aus dem Jahr 1999 und die Arbeit von Jesaja Langenbacher aus dem Jahr 2010.

Manfred Haukes Habilitationsschrift23 enthält eine detaillierte Übersicht über die Genese und die Entwicklung des Sakramentes der Firmung bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Zeitgenössische theologische Entwürfte oder dogmatische Veröffentlichungen zum Sakrament der Firmung aus der Mitte beziehungsweise dem Ende des 20. Jahrhunderts spielen bei ihm eine untergeordnete Rolle. Hauke wünscht, dass seine Arbeit „vor allem zum systematischen Verständnis der Firmtheologie“24 beiträgt. Ziel seiner Arbeit ist deshalb, aus der biblischen Grundlegung des Firmsakramentes und der historischen Entwicklung der Firmung heraus eine Systematik des Sakramentes der Firmung zu erstellen. Von dieser Basis aus nimmt Hauke auch Stellung zu Fragen um das Firmalter, den Spender der Firmung und zu ökumenischen Fragen wie der Konfirmation oder der so genannten Geisttaufe in pfingstlerischen Bewegungen.

 

Die Promotionsschrift von Jesaja Langenbacher25 ist von der kommunikativen Theologie nach Hilberath und Scharer inspiriert und setzt hier ihren Schwerpunkt. Andere theologische Entwürfe als die der so genannten kommunikativen Theologie spielen bei ihm eine untergeordnete Rolle. Die Arbeit von Hauke wird von ihm überhaupt nicht erwähnt. Ebenso unerwähnt bleiben Anfragen an die aus der Themenzentrierten Interaktion inspirierten kommunikativen Theologie, wie sie beispielsweise von Edmund Arens oder Norbert Mette vorgelegt wurden. Ziel der Arbeit Langenbachers ist es, zu klären, wie die gegenwärtige „Krise in der Lebens- und Glaubenskommunikation der Kirche“26 überwunden werden kann. Dies erscheint ihm durch eine gelungene Kommunikation „zwischen den drei Instanzen Lehramt, Theologie und Glaubens-Basis“27 auf der Grundlage der Themenzentrierten Interaktion möglich.

Eine weitere große theologische Auseinandersetzung mit der Firmung ist die Habilitationsschrift von Patrik C. Höring, die im Jahr 2011 veröffentlicht wurde. In seiner religionspädagogischen Arbeit sucht er nach den „Möglichkeiten von Lernen und Lehren der beteiligten Subjekte“28 in der Firmung und verbindet dies mit der pastoraltheologischen Sichtweise, die für ihn „die Firmung als Sakrament und seine Feier im Kontext und aus der Perspektive der Gemeindetheologie“29 reflektiert. Darüber hinaus möchte er mit Liturgiewissenschaftlern über die Feier der Firmung und der Dogmatik über das Verständnis des Sakramentes in ein Gespräch kommen und auf der Grundlage der theologischen Analyse verschiedener Praxiskonzepte, Hinweise für die Vorbereitung und die Feier der Firmung geben. Eine größere pastoraltheologische Arbeit zur Firmung aus den letzten Jahrzehnten ist mir nicht bekannt.

Methode der Arbeit

In der vorliegenden pastoraltheologischen Arbeit wird die Kontextualität theologischer Forschung und der Glaubenspraxis der Kirche im Hinblick auf das Sakrament der Firmung bearbeitet. Das bedeutet, dass mit der kirchlichen Praxis „auch Lebenspraxis und Handlungsformen der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft“30 in den Blick genommen werden. Es geht damit um „die Praxis der Kirche in der Vielfalt ihrer institutionellen oder personalen Vollzugsformen, ohne sich den Blick auf andere Praxisformen zu verbieten“31. Dieser pastoraltheologische Charakter soll mittels einer interdisziplinären Zusammenschau eingelöst werden.

Interdisziplinarität ist laut Norbert Mette gewährleistet, wenn verschiedene wissenschaftliche Disziplinen oder Forscher einen gemeinsamen Forschungsgegenstand bearbeiten, wobei keinem der wissenschaftlichen Zugänge eine untergeordnete Funktion zukommen darf. An der „Präzisierung der Fragestellung u. der Hypothesenbildung bis hin z. Interpretation der Ergebnisse“32 sind alle ausgewählten wissenschaftlichen Zugänge gemeinsam beteiligt33. Interdisziplinär zu arbeiten führt in der Theologie dazu, mittels nichttheologischer wissenschaftlicher Zugänge eine zeitgemäße Darlegung des christlichen Glaubens zu ermöglichen und um des Wohls der Menschen willen die befreienden Erinnerungen der Glaubenspraxis der Kirche in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen34. Die Entwicklung einer hierfür benötigten interdisziplinären Logik oder Methodologie bezeichnete Norbert Mette im Jahr 1996 noch als anfänglich35.

Im Jahr 2010 veröffentlichte Johannes Först seine Habilitationsschrift, die sich mit einer theologischen Methodologie der Rezeption religionsbezogener Daten beschäftigte36. In dieser Arbeit wird eine sachgerechte pastoraltheologische Rezeption empirischer Religionsforschung vorgestellt. Johannes Först plädiert für eine indirekte empirische Theologie37: Wegen der Ausdifferenzierung verschiedener wissenschaftlicher Fächer und Disziplinen kommt es zu einer Pluralität der Wirklichkeitsdeutungen, so dass Lexemen wie Religion oder Glaube unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben wird. Somit verbietet sich eine direkte Relecture der Forschungsergebnisse empirischer Wissenschaften, neben den Ergebnissen muss der gesamte Forschungsprozess mit seiner jeweils eigenen Binnenlogik wahrgenommen werden38. Ergebnisse empirischer Wissenschaften können im theologischen Rezeptionsprozess anders interpretiert werden, weil der erkenntnistheoretische Standort der Theologie ein anderer ist und die Glaubensgeschichte der jüdisch-christlichen Tradition inkludiert, wodurch sich andersartige Handlungsperspektiven ergeben können, als sie empirische Wissenschaften zu Tage fördern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass empirische Wissenschaften Religion als sozial beobachtbares Phänomen bearbeiten, und daher von der Transzendentalität der Transzendenzerfahrung absehen. Die von der Theologie zu leistende Aufgabe besteht in der glaubensbezogenen Interpretation „der Daten empirischer Religionsforschung, in dem Sinne, sie als ‚Orte’ einer möglichen Vernehmbarkeit der Offenbarung zu deuten“39.

Das bedeutet: Der Diskurs mit anderen Wissenschaften ist notwendig, um theologische Inhalte in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen und nicht anderen Wissenschaften gegenüber in Sprachlosigkeit zu verharren. Andere Wissenschaften können dazu beitragen, den rituellen Vollzug und den Kontext der Firmung besser zu verstehen und sie im Hinblick auf die pastorale Praxis besser zu situieren. Dabei muss in einer interdisziplinären Perspektive erstens die Forschungslogik anderer wissenschaftlicher Arbeiten dargestellt werden. Zweitens müssen Ergebnisse anderer Wissenschaften aus dem Blickwinkel der Theologie gegebenenfalls neu interpretiert werden, um das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und so weitere Optionen für die pastorale Praxis zu eröffnen. Und drittens werden die Ergebnisse anderer Wissenschaften als Orte einer möglichen Wahrnehmbarkeit der Offenbarung zu überprüfen sein, was potentiell zu einem besseren Verständnis der Firmung dient. Es gibt verschiedene Perspektiven, die für eine pastoraltheologische, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Firmung wichtig erscheinen wie interkulturelle, ikonographische, religionspsychologische oder sprachwissenschaftliche Fächer. In der Arbeit werden hierfür Ritualwissenschaften und empirische Sozialwissenschaften gewählt, weil somit die Lebenspraxis und Handlungsformen der Firmanden untersucht werden können.

Die Ritualwissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst interdisziplinär angelegt sind40. Dadurch sind Wissenschaftler, die sich mit Ritualen beschäftigen, an den Verständigungsprozess mit anderen Wissenschaften gewohnt und darauf bedacht, von Wissenschaftlern aus anderen Fachgebieten rezipiert werden zu können. In den Anfängen der Ritualwissenschaft wurde die Frage nach Ritualen eng mit der Frage nach Religion oder Gottesdienst verbunden41 und in den letzten Jahrzehnten auf symbolische Handlungen allgemein ausgeweitet. Rituale werden nun verstanden als „lebensweltliche Scharniere, die durch ihren ethischen und ästhetischen Gehalt eine unhintergehbare Sicherheit in den Zeiten der Unübersichtlichkeit gewähren sollen“42. Die verschiedenen Theorien bieten eine Bandbreite an Optionen für eine umfangreiche Diskussion, auch in der Theologie. So plädiert der emeritierte Professor für Exegese des Alten Testaments an der Universität Paderborn, Bernhard Lang, für einen Paradigmenwechsel, da die Ritualtheorie neue Themen, neue Fragestellungen und neue Antworten in die Theologie einbringen kann43. Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann hat die Potentiale der Ritualwissenschaften für die Liturgiewissenschaft herausgestellt, sie „können nur zum Schaden der Liturgiewissenschaft ignoriert werden“44, allerdings „nicht auf Kosten der theologischen Linie des Faches“45. Im Bereich der systematischen Theologie haben Florian Uhl und Clemens Sedmak Rituale mittels der Perspektive des Symbols fruchtbar gemacht46.

Für eine pastoraltheologische Rezeption von Ritualtheorien erscheint es sinnvoll, sowohl ältere Darstellungen zu wählen, die ein umfangreiches theoretisches Fundament zum Verständnis eines Rituals bieten, als auch neuere Ansätze zu untersuchen, die der Ausweitung des Verständnisses von Ritualen Rechnung tragen. Aus dem Bereich der klassisch gewordenen Ritualtheorien sind dies die Ausführungen Victor Turners, Clifford Geertz’ und Mary Douglas’. Victor Turners berühmtes Werk hebt die kreative Kraft der Rituale hervor. Während Clifford Geertz in der Tradition Max Webers47 die integrative Valenz der Rituale auf die Gesellschaft darstellt, arbeitet Mary Douglas in der Tradition Émile Durkheims48 die integrative Valenz der Gesellschaft auf die Ritualteilnehmer heraus. Aus dem Bereich der Veröffentlichungen jüngeren Datums werden die Darstellungen von Catherine Bell und Ronald Grimes gewählt. Hierbei werden die integrative Valenz der Rituale für den Lebenskontext der Ritualteilnehmer und die transformative Valenz von Ritualen in den Mittelpunkt gestellt.

Anders als die Ritualwissenschaften kann in der Pastoraltheologie auf eine lange Rezeptionsgeschichte empirischer, sozialwissenschaftlicher Arbeiten und Arbeitsweisen geblickt werden. Es wurde sogar die Forderung erhoben, die Praktische Theologie müsse selbst empirisch werden und durch eine empirische Methodologie erweitert werden. Johannes A. van der Ven hat dies als „Intradisziplinarität“49 gekennzeichnet. Die vorliegende Arbeit versteht sich interdisziplinär, indem sie empirische Arbeiten heranzieht und analysiert, um einen längeren Zeitraum zu überblicken und nicht nur zu punktuellen Einsichten zu kommen. Für eine interdisziplinäre pastoraltheologische Auseinandersetzung mit Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Arbeiten werden sowohl Religionssoziologien ausgewählt, die das Thema Transzendenz / Religiosität auf umfassende Weise behandeln, als auch einzelne empirische Umfragen.

Bei den empirischen Umfragen wurde darauf geachtet, Arbeiten aus dem akademischen Bereich zu wählen sowie Studien, die im direkten Auftrag der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland erstellt wurden. Damit soll auch die Meinung des Pädagogen Heiner Barz, der an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf lehrt, überprüft werden, Studien im Auftrag der Kirche oder theologischer Fakultäten betrieben Schönrederei50. Die empirischen Studien theologischer Fakultäten von Hans-Georg Ziebertz und Andreas Prokopf, die Untersuchung der Religiosität Jugendlicher der Pädagogen Heinz Streib und Carsten Gennerich und die soziologischen Studien von Christoph Bochinger, Martin Engelbrecht und Winfried Gebhardt decken den Zeitraum der Jahre 2003 - 2011 ab. Die Studien Milieus-praktisch und Wie ticken Jugendliche? aus den Jahren 2008 und 2012 sind von kirchlichen Einrichtungen in Auftrag gegeben worden. Gemeinsamkeiten zeigen sich in diesen Studien in der Typologisierung der Religiosität Jugendlicher, in der Bedeutung subjektiver persönlicher Erfahrung und der Ablehnung eines antropomorphen Gottesbildes. Deshalb werden zur weiteren Auseinandersetzung mit jugendlicher Religiosität soziologische Entwürfe gewählt, die das Thema der Transzendenzerfahrung in den Mittelpunkt stellen sowie Arbeiten, die sich mit dem Phänomen persönlicher Religiosität beschäftigen. Als Folie zur Darstellung der Religiosität Jugendlicher werden Darstellungen der Religiosität der Kindheit untersucht, was die Dynamik des Entwicklungsprozesses von der Kindheit ins Jugendalter deutlich macht.

Zur Verknüpfung der einzelnen wissenschaftlichen Beiträge dient ein Raster von Kriterien zum Fokussieren und zur Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Disziplinen. Dieses heuristische Raster enthält sachthemen, die sowohl theologische als auch anthropologische Bedeutung haben und mit deren Hilfe sowohl ritualtheoretische als auch empirische Arbeiten befragt werden. Die Kriterien werden aus der Analyse der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils hergeleitet und anhand theologischer, ritualtheoretischer und empirischer Beiträge überprüft. Dadurch werden die Einsichten der verschiedenen wissenschaftlichen Beiträge für das schlusskapitel gebündelt. Es handelt sich dabei um die folgenden 8 Kriterien: Biographie, Gemeinschaft, Gottesbild, Gabe und Aufgabe, Glaubensleben, Kommunikation, Passageritual und Alter. Grundsätzlich geht es dabei um Fragen, in theologischen, ritualtheoretischen und empirischen Beiträgen dargestellt und diskutiert werden können:

Tabelle 1: Erklärung der Kriterien


Das Kriterium….thematisiert Aussagen zu.
Biographie…der individuellen, persönlichen Entwicklung eines Menschen.
Gemeinschaft…der Gemeinschaft von Glaubenden oder der Gesellschaft, innerhalb derer ein Ritual durchgeführt wird.
Gottesbild…den Aussagen zum Verständnis der Transzendenz.
Gabe und Aufgabe…der Frage, was Menschen in der Firmung beziehungsweise einem Ritual oder dem Vollzug von persönlicher Religiosität zugesprochen / erfahren wird und welches Aktivierungspotential freigesetzt wird.
Glaubensleben…dem persönlichen Leben in einer Glaubensgemeinschaft, beziehungsweise dem Erfahren von Transzendenz.
Kommunikation…der persönlichen Beziehung zu Gott beziehungsweise der erfahrenen Transzendenz.
Passageritual…der Art und Weise eines Übergangs, der im Ritus oder in einem Ritual erfahren wird.
Alter…dem für die Teilnahme an einem Ritual postulierten oder gewünschten Alter.

Ziele der Arbeit