Czytaj książkę: «»Action!« im Traunsee-Märchenland», strona 2

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2. Kaffeeklatsch bei einer Hexe

Auch die durchsichtigen Damen, die sich zum monatlichen Kaffeeklatsch vor dem Kamin in der gemütlichen Höhle von Kranawitha, versammelt hatten, pressten die durchsichtigen Hände auf die durchsichtigen Ohren. Kranawitha war eine hier sehr bekannte Hexe und lebte im Inneren eines anderen gewaltigen Berges dieser Gegend, dem Feuerkogel.

Vor langer Zeit einmal feierte sie einsam und verlassen, nur von Haustieren umgeben, ihren nicht näher bekannten soundsovielten Geburtstag. Außer einer entfernten Verwandten in Deutschland hatte sie keine Angehörigen mehr. Und so richtige Freunde auch nicht. Zu ihrer deutschen Hexengroßtantenschwägerin pflegte sie seit Ewigkeiten wenig Kontakt. Und zu den nichtrichtigen Freunden schon gar keinen.

Nachdem sie sich also auf ihrer eigenen Party fast zu Tode langweilte, fasste sie einen Entschluss: Wenigstens einmal im Monat musste sie unter Leute. Natürlich waren damit nicht etwa gewöhnliche Menschen gemeint. Kranawitha ging in ihren Keller und ließ kleine blaue Flaschengeister aus einem halbvollen größeren Schnapsbehälter heraus. Die schickte sie nachts als Briefträger mit Zetteln in die umliegenden Schlösser und lud zum Kaffeeklatsch ein.

Die Hexe hatte keine Ahnung, was da so an Geistern in der Gegend herumschwebte. Auf einen kleinen Hinweis musste sie verzichten, denn ihre Boten hatten sich ärgerlicherweise nach dem erledigten Auftrag verflüchtigt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als den Termin abzuwarten.

Kranawitha war erstaunt, dass ihren Einladungen nur sechs Schlossgeister folgten. Noch verwunderter war sie, dass es sich ausschließlich um Damen handelte. Aber es waren sechs lustige Weiber, ebenfalls froh, wenigstens einmal im Monat etwas Abwechslung zu haben. Denn das Geisterleben ist heutzutage auch nicht mehr das, was es einmal war. Ihre männlichen Kollegen fanden es anscheinend unter ihrer Würde, gemeinsam am Tisch mit einer Hexe zu sitzen. So blieben die Damen unter sich.

Die markanteste Erscheinung von ihnen war Miss Molly, amtierendes Hausgespenst von Schloss Cumberland. Eine üppige blonde Schönheit mit einem kleinen Makel: Sie stotterte. Und sie übertraf sich selbst im Erfinden wahnsinniger Liebesgeschichten. Wahrscheinlich hatte es ihr zu Lebzeiten eben daran gemangelt. Sie war auch nie verheiratet gewesen. Über Männer an ihrer Seite konnte man nichts in der Chronik von Schloss Cumberland finden. Auch keine Silbe über ihren mysteriösen Tod. Dabei hatten sich gerade darüber vor langer Zeit alle die Mäuler zerfetzt.

Angeblich wurde Miss Molly von einem Blitz getroffen, als sie auf einer Eiche saß und ein paar junge Edelmänner aus der Nachbarschaft beobachtete. Zu beweisen war das nicht. Allerdings sprach man darüber viele Jahre mit leichter Häme: Selbstverschuldetes Elend! Wahrscheinlich war sie nach dem Blitzschlag vom Baum gefallen. Seither stotterte sie. Miss Molly redete nie darüber. Ansonsten, abgesehen davon, dass sie klatschsüchtig war wie alle anderen der Damen, hatte sie ein schlichtes, ziemlich durchsichtiges Wesen. Aber irgendwie war sie liebenswürdig und für Kranawitha ganz okay. Im Verlauf der Zeit freundeten sich die beiden regelrecht an, was freilich bei den übrigen eine Art Neid hervorrief. Wer konnte schon herumerzählen, dass er mit einer Hexe befreundet war …

Die Zweite im Bunde der Geisterdamen war Emilia, Geisterfreifrau vom Schloss Roith. Ein Gespenst der ganz besonderen Art. Sie war in grauer Vorzeit zu Tode gekommen durch das scharfe Messer eines Kochs, der sie nachts in der Küche erwischte und für eine Diebin hielt. Dabei war sie die Schlossherrin. Sie musste auf ihre Linie achten, war also dürr, aber ungeheuer fresssüchtig. Jede Nacht, sobald ihr Gatte schlief, schlich sie in die Küche und berauschte sich geradezu an gutem Essen.

Bis ihr eben einmal der Küchenchef auflauerte und von hinten zustach, bevor sie schreien konnte. Sonst hätte er sie ja vielleicht erkannt und verschont. Kein gutes Ende. Für beide tödlich. Denn der Koch wurde natürlich verurteilt und gehängt. Emilia geisterte seither nachts im Freisitz Roith herum, heute ein Hotel, dessen Restaurant als Gourmet-Tempel der Haubenküche weithin bekannt ist. Man munkelte, dass dort ein begnadeter guter Geist in der Küche die Hand im Spiel hätte.

Aber das konnte natürlich auch nur eine landläufige Redensart sein.

Über die anderen Damen und einen Neuzugang soll später berichtet werden, denn nun wurde das ekelhafte Geräusch wirklich unerträglich.

„Er heult wieder“, stöhnte die Gastgeberin und biss sich sofort auf die Lippen. Aber es war heraus. Alle 14 Augen der also inzwischen sieben Geisterfrauen richteten sich fragend auf sie.

„Wer h-h-heult w-w-wieder?“, stammelte aufgeregt Miss Molly. Kranawitha hüllte sich beharrlich in Schweigen. Die durchsichtigen Damen sahen sie fragend an. Nichts. Die Hexe schüttelte entschieden den Kopf, griff nach ihrem Gläschen mit Marillengeist und wandte sich ab. Sie sah übrigens wunderschön aus, denn für jedes der monatlichen Weibertreffen verwandelte sie sich, seit Jahrhunderten im Besitz eines Zauberringes, in eine ansehnliche Person mit prächtigen Gewändern. Die Geisterdamen hatten anscheinend alle die selbe Idee, wie man Kranawitha zum Reden bringen konnte: Sie griffen zu den köstlichen Schokoladentorten aus der Konditorei Baumgartner unten am Ufer des Traunsees. Die standen in großen Massen auf der Kaffeetafel.

Nun wurde eine nach der anderen Richtung Kranawitha gefeuert. Nur wenige verfehlten ihr Ziel.

Entsetzt sah die Hexe, wie sich ihr pinkfarbenes Glitzerkleid in einen beschmadderten Fetzen verwandelte. Ganz ohne Zauberei.

Sie drehte vor lauter Zorn an ihrem Ring. „Schluss mit lustig!“, rief sie hysterisch. Eine übelriechende, giftig grüne Wolke umhüllte sie. Und dann verwandelte sie sich in sich selbst: Kranawitha ohne Kostüm und Maske. Die Geisterdamen wichen zurück. Lange hatten sie die Hexe nicht in ihrer eigentlichen Gestalt zu sehen bekommen.

„M-m-mein G-g-gott – b-b-bist du alt geworden!“, entfuhr es Miss Molly. Kranawitha sah sie wütend an. Die hatte gut reden! An den Geistern ging die Zeit einigermaßen spurlos vorbei, sie hatten das Leben hinter sich. Ihr Geisterdasein war sozusagen der Nachschlag. Aber eigentlich waren sie doch fast in einem Alter. Miss Molly zeigte der Hexe beleidigt einen Vogel. Sie begann sofort von ihrer neuesten Liebschaft zu berichten, einem jungen Geist von nicht einmal 120 Jahren, der sich in die Dachkammer ihres Schlosses verirrt hatte.

Kranawitha lachte scheinheilig auf. „Alte g-g-geile Schachtel!“, giftete sie. Mit ihrer Stotterei ging Miss Molly langsam aber sicher allen auf den Wecker, und ihre Lovestorys fanden doch nur in ihrer Fantasie statt!

Die alte geile Schachtel begann beleidigt herumzujammern.

Die Hexe bereute den Ausrutscher sofort. Sie entschuldigte sich bei ihrer Freundin. Die aber zickte ziemlich herum und ging heulend aufs Klo.

Kranawitha, schon ein beträchtliches Hexenalter auf dem krummen Buckel, wurde traurig. So hatte sie das doch nicht gemeint. Vor allem tat ihr leid, dass sie Miss Mollys Stotterei nachgemacht hatte. Tränen stiegen ihr in die goldgelben Augen.

Haben Sie schon mal eine Hexe weinen sehen? Es ist fürchterlich, glauben Sie mir. Alle Anwesenden waren jedenfalls nicht daran interessiert, das zu erleben.

„Mädels! Wir wollen uns jetzt den schönen Tag nicht verderben!“, mahnte Emilia. Ganz klar: Sie hatte Hunger. Deshalb sammelte sie nun die halbwegs erhaltenen Tortenbatzen ein und verteilte sie auf die Kuchenteller. Schweigend begannen die Damen zu essen.

3. Wie soll man drehen ohne Torten?

„Wo bleiben die Torten?“ Die Innenrequisiteurin rannte durch den fast fertig eingerichteten Festsaal des Schlosses, gescheucht vom Burger, dem Aufnahmeleiter. Sie stolperte über ein Kabel. Die Beleuchter, die man hier liebevoll Lichtbuben nennt, sahen ihr kopfschüttelnd nach.

„Trampel!“, rief ihr einer von ihnen hinterher. „Aber süßer Trampel!“, ergänzte ein anderer. Doch sofort machten sie sich wieder an die Arbeit. Denn der Burger sah zuerst auf die Uhr und dann zu Bellas Boss.

Der Oberbeleuchter steckte drei Finger in die Höhe, was so viel hieß wie: In drei Minuten steht das Licht.

Die Innenrequisiteurin, die auf den Spitznamen Bella hörte, rieb sich den Fuß und überlegte, ob sie heulen sollte oder nicht. Bingo war sofort zur Stelle und flüsterte, dass der „Trampel“ nicht so ernst zu nehmen war. Sie kannte doch den Herrn Oberbeleuchter. „Der meent det nich so!“

Die Lichtbuben beobachteten die beiden grinsend. „Da bahnt sich was an!“, sagte einer, ein bisschen zu laut. Die anderen lachten.

Hier drinnen war die Stimmung schlagartig besser geworden als auf der Brücke im Dauerregen.

Bei Bella, eine der Jüngsten im Team, handelte es sich um ein hübsches blondes Mädel aus Linz. Als Innenrequisiteurin musste sie dafür sorgen, dass alles, was so an Dingen für die Dreharbeiten gebraucht wurde, an seinem Platz stand. Leider war sie ein bisschen ungeschickt und hatte nicht viel Ahnung. Aber Bella gab sich große Mühe. Deshalb konnten sie fast alle gut leiden. Die Männer natürlich besonders, weil sie eben auch noch blond und hübsch war.

Bella befand sich immer auf der Suche nach ihrem Traumprinzen. Nachdem sie kürzlich festgestellt hatte, dass sich der Burger dafür nicht eignete, war sie nun wieder zu haben.

Draußen goss es noch immer in Strömen, und auch das seltsame Geräusch war weiterhin zu hören. Nicht mehr ganz so laut, aber dauerhaft.

An der Tür zum Saal erschien der völlig durchnässte Fahrer Andreas Franzlhuber, kurz Franzl genannt. Bella sah den Mann fragend an.

„Wo sind die Torten?“ Er zuckte mit den Schultern und bekam einen hochroten Kopf. Franzl war ein Mann aus Ebensee, einem Ort am anderen Ende des glücklichen Sees, quasi gegenüber von Gmunden. Also ein echter Einheimischer. Er zog Bella hinter die halbgeöffnete Tür und flüsterte: „Dem Baumgoatna haums olle Schokotoaten stoin!“

Charly würde übersetzen: „Dem Baumgartner haben sie alle Schokoladentorten geklaut!“ Bella sah Franzl an und griff sich an den Kopf. „Wir wollen drehen, du Depp. Mir ist jetzt nicht nach blöden Witzen!“, fauchte sie. Der Fahrer schluckte. „Bella, das ist kein Witz! Die sind alle fix und fertig in der Konditorei!“ Auch sei das nicht zum ersten Mal passiert. Aber ausgerechnete heute, wo sie für die Fernsehserie liefern sollten, die doch alle so liebten …

„Tür zu!“, brüllte der Tonmeister. „Man versteht ja sein eigenes Wort nicht! Mir ist sowieso schleierhaft, wie ich das hier hinkriegen soll mit dem Regen und diesem Scheißgeräusch!“ Der Tonmann stammte übrigens, genau wie sein Assistent, aus Bayern. Die beiden waren schon so angeeckt wegen ihrer Sprache, dass sie sich das Bayerische ganz und gar verkniffen. Sie hatten nämlich ernsthaft geglaubt, den Österreichern sprachlich nahe zu sein. Was die natürlich geradezu unverschämt fanden.

Im Hintergrund erschienen nun der Chef, also der Regisseur, seine Assistentin und der Kameramann. Sie gingen herum und besprachen den Ablauf der Szene, die gleich geprobt und dann gedreht werden sollte. Der Blick der Assistentin fiel auf die große Tafel. „Warum sind denn die Torten noch nicht da?“, flüsterte sie entsetzt.

Bella schloss die Tür von draußen. Franzl versicherte ihr gerade, dass die beim Baumgartner schon dabei waren, neue Torten zu backen. Und sie wollten auch versuchen, welche aus den anderen Konditoreien der Stadt zu beschaffen. Was natürlich ärgerlich war, bei diesem großen Auftrag und … Bella unterbrach ihn wütend: „In zehn Minuten sind die Torten da – egal, woher die kommen! Sonst passiert was!“

Das Handy des Fahrers klingelte. Franzl meldete sich und hörte zu. Dann sagte er zu Bella – gleich in Charlys Übersetzung: „Das ist der Baumgartner. Müssen es unbedingt Schokoladentorten sein?“

4. Geschichten nach der Tortenschlacht

„Schokoladentorten sind die Besten!“ seufzte Kranawitha und wischte sich den Mund sauber. Dann kratzte sie die letzten Reste des köstlichen Gebäcks von ihrem bekleckerten Kleid und leckte sich die Finger ab. Auch die Geisterdamen nickten satt und zufrieden. Es war kein Krümelchen von der Tortenschlacht übriggeblieben. Miss Molly war nicht mehr sauer. Und die Gastgeberin hatte ihre gute Laune wiedergefunden. So drehte sie an ihrem Zauberring und wurde wieder eine ansehnliche Dame, diesmal in goldglitzerndem Gewand. Sie ging zur Hausbar und griff nach einer Flasche Zwetschgengeist, der sich wunderbar zur Verdauung eignete. Nicht ganz ohne Hintergedanken. Denn die echten Geister vertrugen die alkoholischen Geister eigentlich nicht. Sie bekamen eine leicht bläuliche Färbung und sahen ziemlich irre aus, wenn sie zu viel hatten.

Und das nun wieder amüsierte die Alte köstlich …

Kranawitha war übrigens eine Hexe, die überhaupt nicht so aussah, wie die hölzernen Abbilder, die in diversen Souvenirläden verscherbelt wurden. Sie zierten weder eine krumme Nase, noch stechende Augen. Ohne Zauber war sie eine verblichene Schönheit mit feuerrotem Haar, bernsteinfarbenen, wachen Augen und unzähligen Falten im Gesicht. Sie hatte sich ihr jugendliches Temperament erhalten und war eine großzügige Gastgeberin. Außer ihrer Vorliebe für absolut verkitschte Glitzerkleider, sagte man ihr einen ganz guten Geschmack nach. Ihre Höhle war wirklich gemütlich und unzählige brennende Fackeln und Kerzen schmückten sie.

In diesem Licht sah Kranawitha nun wieder wesentlich jünger aus. Sie schenkte die Gläser voll und verteilte sie. Die Damen rückten mit ihren Stühlen ein Stückchen weiter auf dem Kamin zu. Durch die Kraft des Feuers erschienen sie alle ein wenig undurchsichtiger. Strahlend schauten sie sich an und prosteten sich zu. In diesem Moment wurde das grausige Geräusch von draußen erneut unerträglich laut.

„Er heult wieder!“, rief die Geisterfreifrau Emilia aus. „W-w-...“ – weiter kam Miss Molly nicht, denn Emilia hielt ihr den Finger auf den Mund. Kranawitha kreischte: „Lange halte ich das nicht mehr aus!“ Miss Molly verstand den Trick und sagte: „Ich auch nicht! Und d-d-deshalb g-g-gehe ich jetzt!“ Auch die anderen erhoben sich.

Kranawitha sah sie betroffen an. „Ihr werdet mich doch jetzt nicht schon verlassen, nur weil dieser Vollidiot Erla …“ Zu spät. Es war heraus!

„Erla!“, riefen die Geisterdamen entzückt. Dann sprachen sie alle durcheinander, denn dazu gab es viel zu sagen. Die Jüngste unter ihnen, Geistergräfin Röslein von Bärlauch zu Schloss Ebenzweier, sah die anderen fragend an.

Sie geriet als Letzte mehr oder weniger zufällig in Kranawithas Weiberrunde. Irgendwann einmal hatte Röslein nachts ihr Schloss verlassen, weil ihr stinklangweilig war. Es war Geistern verboten, Kontakt zu normalen Menschen aufzunehmen. Was Röslein sehr bedauerte, denn Ebenzweier war voll davon. Es beherbergte heute eine Berufsschule und die jungen Leute hatten sich im Keller neben einer Weinstube auch ein kleines Theater und eine Disco eingerichtet. Nachdem Röslein jede Nacht die laute Musik von dort hörte, träumte sie immer häufiger, dass es auch irgendwo eine Geisterdisco geben musste. Da machte sie sich halt irgendwann bei Mondschein auf den Weg.

Kranawitha las sie heulend und klappernd vor Kälte kurz vor der Dachstein-Eishöhle auf und brachte sie zu ihrer Bleibe nach Altmünster zurück. Denn Röslein hatte hoffnungslos die Orientierung verloren, keine Geisterdisco gefunden und war ziemlich mit den Nerven runter. Sie tat der Hexe leid, und so bestellte sie Röslein zu ihrem nächsten Weibertreffen. Von da an waren es sieben Geisterdamen. Kranawitha gefiel diese Zahl viel besser. Und die Älteren mochten Röslein von Anfang an.

Als junge Gräfin rein zufällig zu Tode gekommen, weil sie den köstlichen Bärlauch mit den Blättern der giftigen Maiglöckchen verwechselt hatte, war sie als Geisterfräulein erst 200 Jahre alt und noch sehr naiv. So konnten ihr die anderen manche Lebensweisheit aus ihrer Welt nahebringen.

„Wer ist denn Erla?“, frage nun also das Nesthäkchen.

Die sechs übrigen redeten höchst erregt auf das junge Ding ein.

Aber den Erla, den musste man doch kennen! Ein mächtiger Kerl, der nur so vor Kraft strotzte, aber der ganz einsam war …

Kranawitha lief kopfschüttelnd zu ihrem winzigen Bücherschrank, griff nach einem kleinen roten Bändchen und kehrte damit zurück zum Kamin. Mit einer Stimme, um die sie jede Märchenerzählerin beneidet hätte, begann sie zu lesen:

„Träum ich, wach ich? Woher kommen

Meiner Seele all die Bilder,

Die dem wachen Sinn verborgen?

Dunkler Waldsee, Mondesstrahlen,

Nixentreiben, Riesen, Zwerge,

Liebe, Leiden, Leben, Sterben …“

Sie schaute gar nicht mehr ins Buch, konnte den Text auswendig – zu vertraut war ihr das alles. Ein Sommermärchen, wie es kein schöneres gab! Das kennt doch hier in der Gegend jedes Kind. Und plötzlich bekam sie die Stimme eines kleinen Mädchens:

„Durch den nächt’gen Urwald gleitet

Spießbewehrt der Riese Erla.

Leise setzt er seine Sohlen …“

Kranawitha holte tief Luft. Die Geisterdamen nutzten die Gelegenheit und ratterten die Geschichte ohne das Büchlein weiter herunter.

Der Riese, der rannte also immer einsam hier in dieser Gegend herum. Eines Tages, oder besser: Eines nachts, bei Vollmond natürlich, sah er eine Nixe am Laudachsee. Er beobachtete sie eine ganze Weile beim Baden, verliebte sich sofort in sie, nannte sie Blondchen und ließ ihre Träume wahr werden.

„Was denn für Träume?“, fragte Röslein mit glänzenden Augen.

Er brach Felsbrocken aus dem Berg und knallte sie in den Traunsee, eine Insel entstand. Darauf ließ er vom König Rötel und seinen Zwergen ein Schloss für sein Blondchen bauen.

„Das Schlosshotel Orth!“ rief Röslein begeistert aus.

„Blödsinn“, fauchte Kranawitha. „Schlosshotel Orth ist doch die Fernsehserie. Die drehen diese Filmlinge da unten seit etlichen Jahren.“

„W-w-was sind denn F-f-filmlinge?“, wollte nun Miss Molly wissen.

„Eine besondere Spezies der Menschenwichte“, antwortete Kranawitha und winkte ab. Was immer das zu bedeuten hatte.

„Wovon ich rede, das geschah in alter Zeit. Das ist so lange her, da gab’s weder Fernsehen noch anderen Schnickschnack dieser Art.“

Erla ließ also ein Schloss auf die Insel bauen und wollte mit seiner smarten Nixe drin wohnen. „Er schaute zufällig mal in den Traunsee – wie in einen Spiegel. Da wurde ihm schlagartig klar, dass er fürchterlich hässlich war! Und viel zu groß, er passte gar nicht durchs Schlosstor!“, juchzte Miss Molly. Ausnahmsweise ganz und gar ohne Stotterer.

„Und da hat ihn unsere barmherzige Freundin Kranawitha in einen stattlichen Ritter Größe XL verkleinert!“

So zogen Erla und Blondchen als seliges Paar ins Schloss Ort ein. Wie glücklich sie dort lebten, kann man in sämtlichen Märchenbüchern aus dieser Gegend hier nachlesen. Vielleicht haben sie es ja ein bisschen übertrieben. Jedenfalls ahnten die beiden nicht, dass ihre Dauerhochzeit nur einen Sommer währen sollte. Das hatte wohl etwas mit der schlechten Konstitution von Nixen zu tun. Blondchen wurde krank und starb, als es Herbst geworden war, in Erlas Armen. Und er verwandelte sich zurück in einen Riesen. Traurig auf immer meißelte er ihre wunderschönen Formen und ihre edlen Gesichtszüge in den Stein seines Berges. Die da unten nennen den Erlakogel seither „Schlafende Griechin“ – hahahaha – weil sie nicht wissen, dass der Berg eigentlich „Schlafendes Blondchen“ heißen müsste! Das Lachen erstarb auf Kranawithas Lippen. Die sieben Geisterfrauen schwiegen betroffen.

Die Gastgeberin wischte sich eine Träne aus dem linken Augenwinkel. „Unter uns Klosterschwestern“, sagte sie, „ich will mal aus dem Nähkästchen plaudern: Das konnte niemand mit ansehen, wie der Erla gelitten hat. Da hab ich ganz oben angefragt, und daraufhin haben die sich tatsächlich entschlossen, wenigstens einmal in hundert Jahren ein Wiedersehen zu erlauben. Erla konnte es nicht fassen: Alle hundert Jahre durfte er sein geliebtes Blondchen für eine Vollmondnacht in die Arme schließen. Und so geschah es auch. Einmal pro Jahrhundert Liebesnacht am Laudachsee.

„W-w-wieso am L-l-laudachsee?“, fragte Miss Molly. Die Nixe war doch in ihrem Sarg von den Zwergen im Traunsee versenkt worden. Das hatte sie gerade noch einmal schnell in diesem kleinen roten Bändchen nachgelesen! Kranawitha wusste auch darauf eine Antwort. In anderen Büchern stand geschrieben, dass der Sarg mit Blondchen gleich nach ihrem Tod von den Zwergen zum Laudachsee gebuckelt und dort auf den Grund gelassen wurde.

In Wirklichkeit aber war es so: Blondchen lag in ihrem Sarg im Traunsee. Hundert Jahre nach ihrem Tod, also beim ersten Wiedersehn mit Erla, fragte die Nixe, ob sie nicht umziehen könnte mit ihrem Silbersarg. Sie wollte wieder in ihre alte Heimat, in den Laudachsee zurück. Das konnte man verstehen. Denn schließlich ist der Traunsee mit seinen 191 Metern der tiefste See Österreichs. Und wahrscheinlich am Grunde noch viel kälter als oben am Ufer.

Die Geisterdamen, die auch ziemliche Frostbeulen waren, nickten. Ja, das konnte man wirklich verstehen. Erla sorgte also damals für den Umzug.

„Und wie kam es nun zu dieser 24-Stunden-Regelung?“ Röslein konnte es kaum aushalten vor Ungeduld.

Kranawitha berichtete, dass der Riese nach dem letzten Wiedersehen gewaltig protestiert hatte. Was war eine einzige Nacht? Er wollte wenigstens noch einmal mit seiner Liebsten in das Schloss, dass er für sie bauen ließ. Alles anschauen bei Tageslicht. Einmal mit einer goldenen Kutsche hinausfahren und ihr die schöne Gegend zeigen! Dazu waren sie wohl zu Blondchens Lebzeiten nicht gekommen, weil sie anscheinend nur im Bett lagen. Na gut, dagegen konnte man nichts einwenden. Aber auch gegen den Wunsch Erlas war nichts zu sagen. Goldene Kutsche und ein fotogenes Liebespaar, das würde sicher auf den hiesigen Fremdenverkehr großen Eindruck machen!

Also dehnte man das nächste Rendezvous der beiden großzügig auf einen Tag und eine Nacht aus. Erla war vor Freude wie von Sinnen. Er wollte die Zeit nutzen und bereitete rund um die Uhr dieses 24-Stunden-Fest vor. Irgendwann war alles getan – aber 100 Jahre noch lange nicht um. Der Riese wusste nicht, wie er die Warterei aushalten sollte. So jammerte er von früh bis spät und beklagte sich schließlich bitter bei Kranawitha. Aber sie konnte ihm da nicht unter die Arme greifen.

Die Zeit brauchte nun mal ihre Zeit, um zu vergehen.

Erla wandte sich an Rötel, den Zwergenkönig. Der war immer mit irgendetwas beschäftigt, sozusagen ein begeisterter Heimwerker.

Und er hatte ein außerordentlich fleißiges Völkchen hinter sich. Bei ihm war der liebeskranke Riese an der richtigen Adresse. Rötel setzte ihm allerhand Flausen in den Kopf. Natürlich konnte man mit Erfindergeist und Handwerkergeschick etwas tun, um dem Lauf der Zeit sozusagen auf die Sprünge zu helfen. Erla in seiner Verzweiflung verstand nicht, worauf Rötel hinaus wollte. Der Zwergenkönig erläuterte seine Idee.

Man müsste eine Zeitverkürzungsmaschine bauen.

Der Riese gab sofort zu, dafür viel zu dämlich zu sein. Aber wenn Rötel das übernehmen könnte – er würde ihm jeden Wunsch erfüllen. So begann der Zwergenkönig auf der Stelle mit der Konstruktion besagter Maschine und der Aufstellung eines ellenlangen Wunschzettels.

Wenig später rückte er mit Zeichnungen und Liste bei Erla an. Dem Riesen wurde ganz anders, als er die komplizierten Baupläne für die Maschine sah. Auch mit den vielen Wünschen hatte er so seine Probleme. Aber was sollte er tun? Er versprach also, es würde alles so geschehen, wie Rötel es vorschlug.

Der ließ sich für einige Wochen mit seinen Zwergen in Erlas Höhle nieder. Der Riese half bei der Materialbeschaffung und betätigte sich, wo er konnte, als Hilfsarbeiter. Außerdem schleppte er Essen und Trinken für das kleine Völkchen heran und bediente die Zwerge. Das war, zu Erlas Ärger, ein Punkt auf Rötels Wunschliste.

Die Geisterdamen hingen gespannt an Kranawithas Lippen. Die war sich der Wirkung ihres Berichtes voll bewusst und machte eine Pause. Sie trank ein Schlückchen aus ihrem Schnapsglas. Die Geisterdamen ebenfalls. Zufrieden bemerkte Kranawitha, dass sich bei einigen bereits eine leichte Blaufärbung zeigte …

Sie holte tief Luft und setzte ihren Bericht fort: Eines Tages also war die Arbeit geschafft und die Maschine fertig. Erla richtete für Rötel und seine Leutchen eine große Einweihungsfeier aus. Auch das stand auf dem Wunschzettel. Das Fest sollte drei Tage und drei Nächte dauern. Als es endlich zu Ende war, setzte der Zwergenkönig die Maschine in Betrieb. Bevor er sich mit seinen Kleinen wieder verzog, musste ihm Erla versprechen, immer nur ein bisschen an der Kurbel zu drehen. Keine Übertreibungen! Rötel wollte schließlich keinen Ärger bekommen.

„Und nun, ihr Lieben, überlegt mal. Ist es nicht so, dass alle Menschen unentwegt jammern und klagen: Die Zeit rennt von Jahr zu Jahr schneller dahin?“ Alle nickten. Genau. Selbst die Geisterdamen verspürten hin und wieder das Dahinrasen der Zeit. Immer schneller und schneller verging sie.

„Der Erla draht an seinem Rad!“ „Dreht!“ fügte Fräulein Spitz, eine der anwesenden Geisterdamen, spitz ein. „Nicht jeder hier spricht Dialekt!“

Kranawitha verdrehte genervt die Augen und setzte ihren Bericht fort. „Der Riese hatte zwar versprochen, das geschickt zu tun, damit es nicht so auffällt. Aber manchmal, wenn er es gar nicht mehr aushalten konnte, heulte er derartig und drahte oder drehte einfach ein bisschen schneller.“ Er heulte übrigens immer öfter. Das war auch an diesem dauernden Regenwetter zu merken …

„B-b-blödsinn!“ Miss Molly war überzeugt, dass ihnen Kranawitha ein Märchen erzählt hatte. Zwar unterhaltsam und ganz nett, aber jeder wusste doch, wie das damals mit Erla ausgegangen war. Sie tippte auf das kleine rote Büchlein. „Der R-r-regen kann nicht von unten nach oben r-r-regnen! Der Erla hat sich s-s-seinerzeit in den Tr-tr-traunsee gestürzt, nachdem er bildhauerisch tätig war. Das steht nicht nur in diesem Märchen, das hab ich d-d-damals selbst im S-s-sagen-Kurier gelesen.“ „Man darf nicht alles glauben, was in der Zeitung steht“, erwiderte Kranawitha milde. Außerdem war ihr schnurzpiepe, in welcher Fassung der Sage Erlas Ende so oder so beschrieben wurde. Sie wusste es einfach besser, da sie durch die Verkleinerung des Riesen in die Angelegenheit involviert war.

Die durchsichtigen, inzwischen hellblauen Weiber kicherten. So richtig ernst nehmen konnten sie die ganze Sache wohl alle nicht. Vielleicht hatte sich Kranawitha die Story mit der Maschine wirklich nur ausgedacht?! Ihr Gesicht verfinsterte sich. „I dazöh do da koan Schmoarn! Äh – ich meine: Ich erzähl doch hier keinen Scheiß!“

Sie rauschte durch die Halle und tippte an eine Felsensäule. Die Wand öffnete sich und gab eine Art überdimensionales Bullauge frei. Staunend betrachteten die Geisterdamen das Ding. Kranawitha berührte die Mattschiebe, aber nichts passierte. „Wo hab ich denn nun wieder die Fernbedienung?“, murmelte sie und sah sich suchend um. Sie entdeckte das kleine Gerät unter dem Kopf eines schlafenden schwarzen Bären in der Ecke. Sie schob das Tier ärgerlich beiseite.

Früher waren die Bären wenigstens noch zu einigen Kunststücken fähig. Die führten sie vor, wenn Kranawitha Besuch hatte. Ihre Gäste spendeten immer ganz entzückt Beifall. In den letzten Jahren aber waren die dicken Tiere so faul geworden, dass sie nur noch in der Höhle herumlagen und pennten.

Die Hexe nahm also die Fernbedienung, und kaum hatte sie auf einen der Knöpfe gedrückt, erschien auf dem runden Bildschirm ein ziemlich trostloses Etwas. Das war der Gipfel eines Berges, wolkenverhangen. „Der Traunstein!“ Obendrauf eine Art graues Gestrüpp. Aber plötzlich bewegte es sich, und drehte sich um.

Kreischend sahen die Geisterdamen nun direkt in das verheulte Gesicht des Riesen Erla. Das Gestrüpp entpuppte sich als sein langes Haar, das wirr und ungepflegt in einen riesigen Bart überging. Erla heulte und seine Tränen ergossen sich in Bächen die Felswände des Berges hinab. Dazu jammerte er derartig, dass einen das große Grausen überkam. Endlich war allen schlagartig klar, dass dies jenes fürchterliche Geräusch war! Der Riese sah traurig und voller Sehnsucht hinunter zum Schloss Ort.

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