Czytaj książkę: «Rechtliche Impulse»

Czcionka:

Carl von Ossietzky

Rechtliche Impulse

Impressum

Texte: © Copyright by Carl von Ossietzky

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Einführung

Erfurter Urteil

Die Zinne der Partei und andere Rechtsfragen

Der Femeprozess und so weiter

Das lädierte Sakrament und andere Entscheidungen

Bülowplatz

Das Ende der Pressefreiheit und weitere Fälle

Weltbühne-Prozess

Einführung

Anhand des Buches „Ein Lesebuch für unsere Zeit“- Artikel, Rezensionen, Feuilletons aus der Gerichtswelt 1911–1933 von Carl von Ossietzky haben wir aus den umfangreichen Berichten, Aufsätzen und Pressemeldungen sowie Notizen des Autors die Beiträge herausgesucht, die sich um die hier genannte Thematik ranken.

Carl von Ossietzky, geboren am 3. Oktober 1889 in Hamburg und gestorben am 4. Mai 1938 in Berlin, war einer der fähigsten deutscher Journalisten, ein Schriftsteller Pazifist und Friedensnobelpreisträger.

Als Herausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne wurde Ossietzky häufiger wegen Artikeln, die illegale Zustände in der Weimarer Republik und auch den Aufstieg des Nationalsozialismus zum Thema hatten, vor die Justiz gezerrt. Im international aufsehenerregenden Weltbühne-Prozess wurde er 1931 wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Kurz nach seiner Entlassung kamen die Nazis an die Macht. Ossietzky wurde am 28. Februar 1933 widerrechtlich in Haft gesetzt. Als einer der prominentesten politischen Häftlinge wurde Ossietzky unter anderem im KZ Esterwegen besonderes Opfer nationalsozialistischer Willkür. Er wurde häufig misshandelt und gefoltert. 1936 erhielt Ossietzky in einer internationalen Hilfskampagne den Friedensnobelpreis. Im gleichen Jahr wurde er, durch die Torturen schwer erkrankt, unter Polizeiüberwachung in ein Berliner Krankenhaus verlegt. Dort starb er unter Bewachung zwei Jahre später.

1911 sandte Ossietzky seinen ersten Beitrag bei der Wochenzeitung Das freie Volk ein, dem Publikationsorgan der Demokratischen Vereinigung. Aus dieser Initiative entwickelte sich in den Folgejahren eine regelmäßige Mitarbeiterschaft. Ossietzky wurde erstmals Leitartikler einer Zeitschrift. Auch für die Blätter des Deutschen Monistenbundes schrieb er regelmäßig.

1914 machte er auf eine für ihn ungewohnte Weise Bekanntschaft mit der Justiz: Aufgrund des Artikels „Das Erfurter Urteil“ wurde er wegen „öffentlicher Beleidigung“ angeklagt, weil er die preußische Militärjustiz stark kritisiert hatte. Die 200 Mark Geldbuße, zu der er verurteilt wurde, beglich seine Ehefrau Maud, die er am 19. August 1913 geheiratet hatte. Sie war damals in der englischen Frauenrechtsbewegung aktiv. Nach der Heirat unterstützte sie die Pläne ihres Mannes, den Justizdienst zugunsten einer journalistischen Karriere aufzugeben. Im Januar 1914 reichte Ossietzky seine Kündigung ein.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Carl von Ossietzky zunächst als untauglich gemustert. Die kriegsbedingten Veränderungen innerhalb der Medien machten es ihm jedoch unmöglich, seinen Lebensunterhalt weiterhin als militärkritischer und später sogar pazifistischer Journalist zu verdienen. Daher kehrte er im Januar 1915 wieder in den Justizdienst zurück. Im Sommer 1916 wurde er schließlich doch noch eingezogen und als Armierungssoldat an die Westfront geschickt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich wieder von seiner anfänglichen Kriegsbegeisterung gelöst und hielt pazifistische Vorträge in Hamburg, wo er in den Vorstand der dortigen Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) gewählt worden war. Ebenfalls attackierte er im Laufe des Krieges verschiedene Führer des Monistenbundes wie Ernst Haeckel und Wilhelm Ostwald, die in dem Krieg ein Instrument zur weltweiten Durchsetzung der von ihnen als höherstehend angesehenen deutschen Kultur sahen. In seinem 1917 verfassten Manuskript Monismus und Pazifismus wandte sich Ossietzky entschieden gegen eine derartige Auslegung des darwinistischen Entwicklungsgedankens und warf Haeckel und Ostwald „pangermanische Phantastereien auf Kosten der humanistischen Vernunft vor“. Nach Ende des Krieges kehrte Ossietzky nach Hamburg zurück, wo er ein weiteres Mal seinen Dienst bei der Justiz quittierte.

Auf Anregung Tucholskys hatte sich Siegfried Jacobsohn, Herausgeber der Berliner Wochenzeitschrift Die Weltbühne, von Sommer 1924 an um die Mitarbeit Ossietzkys bemüht. Es sollte noch bis zum April 1926 dauern, bis zum ersten Mal ein politischer Leitartikel von ihm in dem Blatt erschien. Nach Jacobsohns Tod ernannte die Witwe Edith Jacobsohn — nach einem kurzen Interregnum Kurt Tucholskys — Ossietzky zum Herausgeber und Chefredakteur der Weltbühne.

Unter Leitung Ossietzkys behielt die Weltbühne ihre Bedeutung als undogmatisches Forum der radikaldemokratischen, bürgerlichen Linken bei. Dass sich Ossietzky in dieser Funktion großes Renommee erwarb, zeigt auch die Tatsache, dass er nach dem Berliner Blutmai im Mai 1929 den Vorsitz des Ausschusses übernahm, der die Hintergründe für den gewalttätigen Polizeieinsatz klären sollte. Trotzdem war Ossietzky für die Kommunisten „verachtetes und bekämpftes Symbol“ der bürgerlichen Opposition. Die Sozialdemokraten griffen ihn an und belächelten ihn als „Idealisten“. Die Liberalen sahen ihn als „Republikzerstörer“.

Ossietzky behandelte auch in der „Weltbühne“ den Polizistenmord an Bülowplatz. Die NS-Justiz hatte 1934 ein Strafverfahren gegen Erich Mielke wegen des Doppelmords eingeleitet. Das Landgericht Berlin stellte es zunächst ein, weil Mielke flüchtig war. In einem groß angelegten Prozess wurde nach Wiederaufnahme der Ermittlungen im Juni 1934 unter anderem Max Matern wegen seiner Beteiligung am Doppelmord zum Tode verurteilt und hingerichtet und der ebenfalls angeklagte Mittäter und spätere Generalmajor des MfS Erich Wichert zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erließ die Staatsanwaltschaft der Viersektorenstadt Berlin erneut und aus demselben Grund Haftbefehl gegen Mielke, doch beschlagnahmte die sowjetische Besatzungsmacht die Verfahrensakten. Nach der Auflösung der DDR eröffnete das Landgericht Berlin im November 1991 das Hauptverfahren gegen Mielke wegen der „Bülowplatzsache“. Mielke wurde des Mordes angeklagt. Die vom 10. Februar 1992 bis zum 26. Oktober 1993 geführte Verhandlung endete mit seiner Verurteilung wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Die für einen Mord geringe Strafe erklärte sich aus der Besonderheit, dass zwischen Tat und Urteil mehr als 60 Jahre lagen. Ende 1995 wurde Mielke, nachdem er insgesamt mehr als zwei Drittel der sechs Jahre verbüßt hatte, im Alter von 88 Jahren auf Bewährung entlassen.

Walter Brendel

Erfurter Urteil

»Fedja: Und Sie, der Sie an jedem Ersten mit einigen Groschen für Ihre Gemeinheit bezahlt werden, Sie ziehen sich Ihren Uniformrock an und tun sich nun groß über jene Leute, deren kleiner Finger mehr wert ist als Sie im Ganzen und die Sie nicht einmal ins Vorzimmer hineinlassen würden. Sie haben sich hinaufgeschustert und freuen sich nun.

Der Richter: Ich lasse Sie abführen.«

Tolstoi, »Der lebende Leichnam«

Drei Landwehrleute sollen auf fünf Jahre ins Zuchthaus wandern; ein paar andere erhalten bittere Gefängnisstrafen. So entschied das Kriegsgericht zu Erfurt. Grund: Alkoholausschreitungen. Schaden hat es außer der Aufregung nicht gegeben. Was kann man bei einem bürgerlichen Gerichte nicht alles für fünf Jahre Zuchthaus haben! Hunderttausende stehlen, seine Zeit abreißen und nachher als Rentner leben; im Affekt einen Mord begehen, den milde Richter als Totschlag auslegen. Milde Richter! Die militärische Justitia hat nicht nur verbundene Augen, sondern auch verstopfte Ohren und ein gepanzertes Herz. Alkoholausschreitungen sind hässlich. Aber solange der Saufteufel noch eine Großmacht ist, wird nur eine geschwollene Moral einen Stein auf ein paar arme Kerle werfen, die sich in ihrer Weise einen vergnügten Tag gemacht haben.

Seit alten Zeiten zeichnen sich die militärischen Strafen durch besondere Grausamkeit aus. An der wilden Soldateska des Dreißigjährigen Krieges sühnte die beleidigte Gerechtigkeit die zahllosen Untaten mit Spießrutenlaufen, Rad und Galgen. Was wurde damals gehängt! Wie viele Knochen wurden von den Strafwerkzeugen gebrochen! Die Kriegsjustiz sandte mehr Krüppel ins Land als alle Schlachten. Man erzählt von einem alten Haudegen, der als Vorsitzender eines Kriegsgerichts die Sitzung abbrach, indem er das Buch zuklappte und dem Profossen zurief: »Es ist das beste, wir beginnen mit der Exekution!«

Heute kennt die Justiz weder Wippe noch Rad. Nur noch Paragraphen. Aber die eben angeführten Worte des Marschalls von Monluc, die in ihrer rauen Aufrichtigkeit so bezeichnend sind, müssten heute über der Pforte jedes Kriegsgerichtes stehen. Sie sind symbolisch. Und das Bild des alten Kriegsmannes müsste in jedem Sitzungszimmer hängen; denn er hat es erkannt und in wahrhaft klassische Form gebracht, dass es bei der militärischen Justiz nicht auf den Paragraphenplunder, sondern einfach auf die Strafe ankommt. Diese Justiz will nicht prüfen und wägen, wie die bürgerliche – es soll. Sie will auch nicht vergelten. Sie überzahlt. Sie hat die Aufgabe, den »Untertanen« an das Prinzip der Autorität, der unbedingten Disziplin zu erinnern. Sie hat ihm die Grenzen seiner Freiheit zu zeigen. Das bürgerliche Leben bringt eine höchst gefährliche Gleichmacherei mit sich. Also muss daran erinnert werden, dass es noch Klassen gibt. Das ist die Aufgabe der Kriegsgerichte. Der Vorgesetzte wird gestreichelt, der Untergebene gepeitscht. Das unverfälschte Prinzip der Reaktion, nackter Klassenegoismus! Wir entrüsten uns, dass es in Russland noch Kirchenstrafen gibt, Verbannungen ins Kloster usw. Sind wir besser daran? Wehe dem Bürger, der vergisst, dass er an einem Tage im Jahre unter die Zuständigkeit der militärischen Gerichtsbarkeit fällt! Wehe dem, der in die Fußangeln ihres Strafsystems gerät!

Ein seltsamer Zufall wollte es, dass das Erfurter Urteil in die Zeit fiel, da der Reichstag die größte je an ein Parlament gestellte Militärforderung endgültig zu bewilligen hatte. Nicht der schwärzeste Reaktionär wagte das Urteil zu verteidigen. Nicht einmal der Kriegsminister. Sogar die Liberalen wurden energisch und verlangten ein Notgesetz. Gut gemeint! Aber von vornherein hätte man Kautelen erzwingen müssen; die völlige Neuschaffung des militärischen Rechts wäre mit die wichtigste gewesen. Die Regierung würde sich gesträubt haben – viel mehr noch als in der Frage des Gardeprivilegs. Nun, so hätte man ihre Vorlage ruhig in Scherben gehen lassen müssen.

Aber es wäre töricht, so viel Tatkraft von unseren »bürgerlichen « Politikern zu verlangen. Es hätte sich ja nur um die Gerechtigkeit gehandelt. Wer regt sich deswegen auf? Die Sozialisten und die paar verbohrten Demokraten. Die Herren, die bei jeder Gelegenheit »unser Geistesleben retten«, mögen es sich gesagt sein lassen, dass wir das Erfurter Urteil für einen viel schlimmeren Schlag gegen die Kultur halten als das Verbot von zehn Festspielen.

Der Kriegsminister versicherte, dass die Richter nur ihre Pflicht täten. Das muss man ihnen eben zum Vorwurf machen. Das Gesetz ist grausam. Und nicht einen Fingerbreit weichen sie von seinen harten Paragraphen ab. Nicht einer schenkt der milderen Regung des Herzens Gehör. Nicht einer schreit auf: Das kann ich nicht! Mag es tausendmal Gesetz sein, dagegen bäumt sich mein Gewissen auf. Ich bekenne!

Die Worte, die eingangs dieser Zeilen aus Tolstois Drama zitiert sind, schreit ein zu Tode Gehetzter seinem Richter entgegen. Wir haben genug Opfer wimmern gehört. Ein Richter müsste, von seinen Gefühlen überwältigt, reden. Das wäre in unserer tatenarmen Zeit wie eine Erlösung. Wir sind davor sicher! Die Beamten arbeiten mit derselben Gewissenhaftigkeit, mit der sie an jedem Ersten ihr Gehalt einstreichen. Und nach einem besonders harten Urteil gehen sie ruhig nach Hause, nicht ohne Mitgefühl für den armen Teufel, der das Unglück hatte, in die Klasse hineingeboren zu werden, die nun einmal die Objekte der Gesetzgebung liefern muss.

Die Zinne der Partei und andere Rechtsfragen

Ich las dieser Tage in einem großen Parteiorgan die Mitteilung, dass irgendwo in tiefster Provinz der Funktionär einer andern Partei 30 000 Mark unterschlagen habe, woran das Blatt die freundliche Bemerkung knüpfte: »Das sind nun nach Ansicht dieser Kreise die geeigneten Leute, die Interessen ihrer Klassengenossen zu vertreten. Sie können mein und dein nicht unterscheiden.« Was die bedeutsame Berliner Zeitung hier sagt, ist über allem Zweifel erhaben. Die gegnerische Partei ist bekanntlich immer die Brutstätte aller nur ausdenkbaren Laster, die eigene licht und klar wie Dantes Paradies; und wenn schon mal was passiert, nun, wir sind halt alle Menschen ... Und deshalb, deutscher Mann, wenn du mit einem zusammen bist, der anders denkt als du, so gib auf deine Krawattennadel acht und behüte Frau und Kind gut, denn ein Individuum, das auf ein anderes Parteiprogramm vereidigt ist, bringt schließlich alles fertig ...

Der gepfändete Liebknecht

Ein junger Künstler hat unter schwersten persönlichen Opfern im Berliner Osten eine Arbeiter-Kunst-Ausstellung zusammengebracht. Was da ausgestellt ist, sind zum Teil wesentliche Talentproben; der gewöhnliche kritische Maßstab ist allerdings nicht anzulegen, da die meisten dieser Arbeiten nicht von Berufskünstlern geschaffen und zudem nach schwerem Tageswerk entstanden sind. Jedenfalls ein Unternehmen, das Beachtung und Förderung verdient. Da entdeckte die hochlöbliche Polizei dazwischen einige Bilder und Zeichnungen linksradikaler Tendenz, und sofort wurde die Ausstellung unter Kreuzfeuer genommen, das heißt, man verbot sie nicht, aber belegte den Veranstalter ausgiebig mit Geldstrafen, weil er zu unerlaubter Zeit Besuchern Eintritt gewährte und dergleichen mehr, und als auch das noch nichts fruchtete, meldete sich die – Lustbarkeitssteuer. Und da der arme Mann wirklich nicht in der Lage war, diese Rechnungen zu begleichen, so pfändete man ihm den letzten Stuhl weg, und da auch das noch nicht der beleidigten Gerechtigkeit genügte, so pfändete man aus der Ausstellung einen Bronzekopf Karl Liebknechts; vermutlich weil es das schwerste Stück war. Irgendein Kunstfreund unter den Herren Beamten schien aber doch noch seine Zweifel zu haben, ob nicht am Ende doch mit Ölfarbe zugedeckte Leinewand wertvoller sei, und so schritt man denn zur feierlichen Anfrage an den Ausgepfändeten, wie hoch eigentlich der Wert des gepfändeten »Liebknecht« sei. Da riß dem jungen Manne endlich die Geduld, und er antwortete mit einem unwirschen Briefe, der in verschiedenen Zeitungen wiedergegeben wurde. Ja, der Brief war grob, aber bei weitem nicht grob genug. Ich hätte an seiner Stelle kurz und bündig geantwortet: dass dieser Bronzekopf Liebknechts jedenfalls mehr wert sei als die Gipsköpfe der bürokratischen Schikaneure zusammengenommen.

Majestätsbeleidigung?

Hannover hat seit ein paar Tagen seinen Hochschulskandal. Der Werwolf Haarmann, im vorigen Jahr Sensationsstoff dieser alten, halb welfisch, halb preußisch vermiekerten Beamtenstadt, ist nicht mehr. Mit wehenden Fahnen, die Zähne gebleckt, sind die nationalen Werwölfe auf den Plan getreten. Ihr Angriffsobjekt ist der Professor Theodor Lessing, seit zwanzig Jahren Dozent an der Technischen Hochschule, ein Gelehrter von umfassendem und überfachlichem Wissen, ein Schriftsteller von Unabhängigkeit und eigener Prägung.

Klebt an dem erlauchten Namen Lessing etwas Suspektes? Gotthold Ephraim hatte es mit den evangelischen Orthodoxen zu tun. Theodor erregte im Haarmann-Prozeß die Erbitterung der juristischen Rechtgläubigkeit und wird jetzt zum Zielpunkt des Kesseltreibens der nationalen Orthodoxie.

Theodor Lessing hat am 25. April, also noch vor der Wahl, im »Prager Tagblatt« einen Artikel über Hindenburg veröffentlicht. Keinen Wahlkampfartikel. Eine scharfe psychologische Studie, in menschlich liebenswürdiger Form, was durch einige ironisch flackernde Lichter nicht beeinträchtigt, eher verdeutlicht wird. Kein regulärer Zeitungsartikel. Eher die Abhandlung eines Philosophen, den an den Männern der politischen Bühne allgemein Menschliches in individueller Ausprägung weit mehr interessiert als ihr Programm. Im ganzen Wahlkampf ist kein höflicherer Artikel geschrieben worden.

Vierzehn Tage nach der Wahl aber wird dieser Artikel zum Anlass genommen, um die Entfernung Lessings von seinem Lehramt zu fordern. Rektor, Senat und Studentenschaft spielen sich gegenseitig in die Hände. Vom Kultusministerium wird die Absetzung Lessings verlangt. In einer Beratung hinter verschlossenen Türen erklärt der Vertreter des Rektors, wenn das Ministerium nicht handle, so handle er »von sich aus«.

Soweit das akademische Hochgericht. Dann zeigen sich die ersten Folgen des Bannspruches. Nächtliche Katzenmusik vor dem Hause des Verfemten, Familienmitglieder werden tätlich bedroht. Das Bestiarium der nationalistischen Presse wird lebendig. Zuerst trompetet der große Kriegselefant, der »Hannoversche Kurier«, los; das ist das Signal auch für die allerkleinsten vaterländischen Schakale und Hyänen. Dann die lieben Kollegen! In der »Niederdeutschen Zeitung« lebt sich ein sicherer Müller aus, Privatdozent. Dieses akademische Stück Unglück wagt es, Lessing den wissenschaftlichen Charakter abzusprechen, faselt von »geistiger Onanie« und »philosophischem Bolschewismus«, nennt das »Prager Tagblatt«, das Organ des liberaldemokratischen Deutschtums in Böhmen!, eine »deutschfeindliche tschechische Zeitung«. Warum schreibt der Mann? Will er durch sein Beispiel demonstrieren, was sich an unseren Hochschulen dozierend herumdrücken darf?

Der Fall Lessing, richtiger: der Fall Technische Hochschule, hat zwei Seiten. Die eine geht den demokratischen Unterrichtsminister an, der hoffentlich knochenhart genug sein wird, die akademische Freiheit wahren und den Herrn stellvertretenden Rektor, den es gelüstet, »von sich aus zu handeln«, bei den stoßbereiten völkischen Büffelhörnern zu packen. Die andere Seite ist wichtiger und prinzipieller. Es heißt rechtzeitig den Anfängen einer neuen Hochkonjunktur von Majestätsbeleidigungs-prozessen zu widerstreben.

Schon jetzt fordern Blätter, die den ersten Präsidenten in den Tod gehetzt haben und sich vor Wonne kugelten, wenn eine Beleidigung Eberts mit 50 Mark »gesühnt« wurde, eine straffe Justiz zum Schutze des Reichsoberhauptes. Die demokratische Presse hat vom Augenblick der Tatsache des Rechtssieges an in musterhafter Weise in Hindenburg nicht mehr den Kandidaten der Gegenpartei erblickt, sondern das von der Mehrheit des Volkes gewählte Oberhaupt der deutschen Republik. Wenn von der Rechten jetzt scharfe Maßnahmen gefordert werden, wenn als erster Theodor Lessings Kopf fallen soll, und noch dazu wegen eines Artikels aus der Wahlzeit, so hat das nichts zu tun mit dem sehr berechtigten Verlangen, den Reichspräsidenten besser als bisher gegen Verleumdung und Besudelung zu schützen. Es steckt dahinter der Versuch, unbequeme Kritiker und Bekämpfer eines sinnlosen Heroenkultes zu treffen, es ist ein Attentat zur Unschädlichmachung von Republikanern, die in der Republik allzu viel Monarchistisches finden. Nichts hat die Zeit Bismarcks und Wilhelms odioser gemacht als die läppischen Majestätsbeleidigungsprozesse, die nur ein Mittel waren zur Niederknittelung der Opposition.

Die ersten Kundgebungen des neuen Reichspräsidenten haben in ihrer sympathischen väterlichen Sprache beruhigend gewirkt. Eine Ära von Hindenburg-Majestätsbeleidigungs-Prozessen dagegen würde augenblicklich eine Differenz zwischen Wort und Praxis offenbar werden lassen und das Zeichen zu neuem innerpolitischem Kampf von unerhörter Gehässigkeit werden.

Der Kampf um Lessing kann die erste Probe aufs Exempel sein.

Die Orthodoxen aber sollten rechtzeitig begreifen, dass mit diesem Namen kein Ruhm für sie verknüpft ist.

Adolphe Thiers am 26. Dezember 1871

»Und hier, meine Herren, spreche ich wie immer aus voller Überzeugung, aber glauben Sie mir, Sie, die Sie einen loyalen Versuch mit der Republik machen wollen, und Sie haben recht: dieser Versuch muss ehrlich gemacht werden. Man muss nicht Komödie spielen und eine Regierungsform versuchen wollen mit dem Hintergedanken, sie zu Falle zu bringen. Diesen Versuch muss man ernstlich und aufrichtig machen ... Nein, ich wiederhole es: wir sind keine Komödianten. Wir sind aufrichtige Männer! Wir wollen diesen Versuch ehrlich machen ...«

So Adolphe Thiers, der einmal Minister des Bürgerkönigs gewesen war.

Die Gründer der Dritten Französischen Republik sind ebenso wenig Revolutionäre gewesen wie die der ersten deutschen. Auch der Weg zur republikanischen Verfassung Frankreichs ging über einen niedergeworfenen Proletarieraufstand. Dort Gallifet, hier Noske.

Aber die Pariser Bürgerdemokraten haben gewusst, dass keine neue Regierungsform sich behaupten kann, wenn nicht das gestürzte System völlig entwurzelt und sein Apparat vernichtet wird. Die deutsche Revolution hat einen bis auf die versehentlich abgebrochene kaiserliche Spitze intakten monarchistischen Staatsorganismus übernommen. Der erste Aufruf des Volksbeauftragten Ebert schon betonte: Kontinuität.

»Man muss nicht Komödie spielen und eine Regierungsform versuchen wollen mit dem Hintergedanken, sie zu Fall zu bringen.« Die Weimarer Verfassungsmacher haben so bösartige Hintergedanken kaum gehabt. Sie haben überhaupt nicht viel Gedanken gehabt. Sie haben eine brave, brauchbare, wenn auch im Einzelnen nicht eben wasserdichte Arbeit geleistet, aber vergessen, dass Macht dazu gehört, wenn eine Verfassung funktionieren soll. Sie haben der Kontinuität vertraut. Deshalb bedeutet die Verfassung keine Grundlage, sondern ein Nebenbei. Das Bewusstsein der Kontinuität regiert. Nach sieben Jahren trägt die demokratische Republik noch alle Kennzeichen des Provisoriums.

So kann ein kleiner Untersuchungsrichter dem Staat ungestraft Paroli bieten. Er wirft dem Preußischen Innenministerium Mordbegünstigung vor, während er selbst den ihm übertragenen Fall in bizarr parteiischer, sachlich unmöglicher Art behandelt. Der Justizminister, heißt es, hat das Disziplinarverfahren beantragt. Langes Schweigen. Nach fast einer Woche begibt sich der Vorsitzende des Disziplinarsenates, der Oberlandesgerichtspräsident in Naumburg, endlich nach Magdeburg, um sich den Fall mal anzusehen. Immer mit der Ruhe. Wäre nicht der jüdische Kaufmann Haas, sondern ein preußischer Prinz das Opfer der Inquisitionskünste des Herrn Kölling, der Herr Oberlandesgerichtspräsident hätte das erste beste Flugzeug bestiegen, und jener Kölling wäre noch am selben Tag als amtliche Existenz ausgelöscht worden.

Der Magdeburger Fall ist nicht der schwerste. Es ist viel ärgeres Unrecht geschehen. Aber niemals zeigte sich einleuchtender der Bankrott der Republik vor dem Mechanismus des alten Staates. Und es zeigt sich, dass selbst das Beste davon, das scheinbar Überzeitliche, zu einem Instrument bösartiger Obstruktion und giftigen Unrechts wurde.

Unabhängigkeit des Richters? Die Hugenberg-Presse höhnt: Einst war sie das Palladium des Liberalismus, heute rüttelt ihr Demokraten zuerst daran! Zunächst: richterliche Unabhängigkeit hat unterm alten Regime niemals bestanden; einzelne starke Charaktere haben sich wohl durchzusetzen gewusst, das Gros schwankte wie Rohr im Wind. Aber Unabhängigkeit hat niemals und nirgends Privileg zur Rechtsverletzung bedeutet. Grade der in seinen Entscheidungen freie Richter hat die doppelte Pflicht, nur seinem Gewissen zu folgen und ... von seinem Verstand Gebrauch zu machen. In das deutsche Richtertum aber ist ein Überheblichkeitskoller gefahren, wie er sich wahrscheinlich nur noch in der Reichswehr findet. Und damit ist selbst für diesen Staat die Grenze des Erträglichen erreicht. Eine zweite Institution wie die Reichswehr: nein, das geht nicht. Die Reichswehr, das weiß jeder denkende Republikaner (nicht jeder spricht es aus, allerdings), zählt nicht zu den republikanischen Institutionen. Sie kostet eine Stange Geld, aber tangiert uns nicht weiter. Vegetiert dahin wie eine Art Naturschutzpark, profanen Besuchern verboten. Der Fall Justiz ist ernster. Die Justiz ist dem Alltag tausendfältig verhaftet: Schicksal, Hoffnung, Rettung und Verderb für Unzählige. Eine Justiz mit den Allüren der Reichswehr, das trägt die Anarchie mitten in die Gesellschaft, viel gründlicher, als es gelernte Umstürzler jemals könnten – das unterhöhlt den Staat. Das absolute Königtum des schwarzen Talars als Monarchieersatz, das ist schlimmer als die erbliche Monarchie.

Joseph Wirth hat in seinem Aufruf für die Republikanische Union mitgeteilt, dass im Spätherbst dieses Jahres entscheidende Ereignisse stattfinden würden. Das ist orphisch dunkel und trotzdem nicht so schrecklich, wie es klingt. Entscheidende Ereignisse? Wenn es doch einmal soweit wäre!

Ein Tigerbiss ist besser, als bei lebendigem Leibe von Würmern zernagt zu werden. Was braucht die Reaktion eigentlich noch? Eine Bastion muss sie noch nehmen, und hier vollendet sich langsam die Umzingelung: das preußische Innenministerium.

Nein, Doktor Joseph Wirth, es geht nicht mehr um die dramatische Entladung entscheidender Wendungen. Die Reaktion denkt gar nicht daran, die Republik in die Luft zu sprengen: sie hat sie fest und lässt sie unter ihren Händen allmählich verfallen. Sie beherrscht die republikanischen Institutionen und verwaltet sie so, dass die Demokratie ad absurdum geführt scheint. Das ist viel bequemer als Umsturz.

... wenn das alles vorüber ist, werden wir uns die Augen reiben. Wir hatten die Republik und haben nichts von ihr gewusst. Wir sind in Ägypten gewesen und haben die Pyramiden nicht gesehen. (Text für die Verfassungspredigt vom 11. August.)

Die Wehrverbände, Stahlhelm voran, haben die sächsischen Volksparteiler vor die Entscheidung gestellt: entweder schwarzweißroter Block bei den Landtagswahlen im Oktober oder Ausstoßung aus der nationalen Gemeinde. Einstweilen sträubt sich das offizielle Parteiorgan noch tapfer. Das ist der erste Versuch, die seit langer Zeit von Herrn Jarres und Herrn von Gayl propagierten Einigungspläne in die Praxis umzusetzen: Rechtsblock unter Stahlhelm-Patronat.

Wenn aber die Volkspartei in Sachsen nach rechts abschwimmt, was wird dann aus den biedern Regierungssozialisten, die der Großen Koalition zuliebe die Partei gesprengt haben? Bittere Lektion für die Hilferdinge, die noch immer an die Große Koalition glauben.

Die Weltbühne, 11. Januar 1927

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