Seewölfe - Piraten der Weltmeere 581

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 581
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-988-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Blutrache

In Sardinien lernen die Arwenacks das Fürchten – aber dann drehen sie den Spieß um

Die Signora war ein Drachen. Groß und breit und mindestens zwei Zentner schwer, stemmte sie die Fäuste in die ausladenden Hüften. Ihre dunklen Augen funkelten böse.

Der kleine Mann hinter dem Verkaufstisch duckte sich. Die Signora war kein feuerspeiender Drache. Aber was der schmallippige Mund unter dem Oberlippenbart auszustoßen vermochte, konnte schlimmer sein als jede Glut.

„Signora Breganza“, sagte er flehentlich, „ich bitte Sie …“

„Was?“ brüllte sie mit einer Donnerstimme, die das gesamte Marktgeschehen von Cagliari übertönte. „Was, in drei Teufels Namen, wollen Sie mich bitten? Einen stinkenden Kadaver für einen fangfrischen Seeteufel zu halten? Das ist Betrug, Signor Nócciolo, glatter Betrug!“

Sie packte eine Schlangengurke von der Länge eines Männerarms …

Die Hauptpersonen des Romans:

Gigliola Nócciolo – mit der schönen, jungen Sardin in der Hafenstadt Cagliari beginnt ein haarsträubendes Abenteuer für die Arwenacks.

Don Marcello Struzzo – ist der mächtigste Mann in der Hafenstadt, aber nicht der beliebteste.

Don Cesare di Montepulciano – stammt zwar aus der Toskana, hat aber die Absicht, in Cagliari das Heft an sich zu reißen.

Blacky – wird für einen Meuchelmörder gehalten und soll einen grausamen Tod sterben.

Edwin Carberry – zieht mit einem Trupp Arwenacks an Land, um die Puppen tanzen zu lassen – und die tanzen dann auch.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf muß einen Zweifrontenkrieg führen, und da geht es um Kopf und Kragen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Unwillkürlich hob Porfirio Nócciolo die Hände und wich zurück.

Signora Breganza holte aus und schlug voller Zorn zu. Es krachte. Die Gurke hatte die blankgescheuerte Tischplatte getroffen. Der Fisch, um den es ging, hüpfte hoch, als sei ihm das Leben neu eingehaucht worden. Mit einem schlaffen Klatschen fiel er zurück.

„Und das?“ ließ sich die große Signora dröhnend vernehmen. Anklagend hielt sie die unversehrte Gurke in die Höhe.

Porfirio Nócciolo barg den Kopf unter den Armen, weil er befürchtete, der zweite Hieb werde ihn treffen. Weiter zurückweichen konnte er nicht, denn hinter ihm stand der zweirädrige, noch halb beladene Handkarren, mit dem er seine Waren zum Markt zu bringen pflegte.

Eine harte Faust riß ihm die Arme herunter.

„Sehen Sie her, Sie Gauner! Sehen Sie sich das an!“

Der Fisch- und Gemüsehändler wagte es, den Kopf ein Stück zu heben. Und am liebsten wäre er im nächsten Moment im Erdboden versunken.

Das zürnende Drachengesicht war nahe vor ihm. Noch näher die beiden Riesenfäuste, die nicht ausschließlich bei der Küchenarbeit zuzupacken verstanden.

Diese beiden Fäuste bogen die Gurke, daß sie ein auf den Kopf gestelltes U bildete.

„Nun?“ donnerte die Baßstimme auf den Händler nieder. „Sicher werden Sie mir jetzt erzählen, daß dieses sonderbar biegsame Etwas erst heute morgen vor Sonnenaufgang von einem fleißigen Bäuerlein geerntet wurde. Und völlig selbstverständlich erwarten Sie, daß ich Ihnen diesen Humbug glaube.“ Sie ließ die Gurke fallen.

Das schon etwas schrumpelige Stück Gemüse hüpfte wie ein geräucherter Aal und blieb neben dem etwa gleich alten Seeteufel liegen.

Die schnurrbärtige Signora packte den Händler am Kragen und zog ihn zu sich heran.

„Damit Sie es nur wissen, Sie kleiner Betrüger“, sagte sie leise und drohend. „Ich bin kein dummes Ding, das gerade die ersten Ehe- und Hausfrauentage hinter sich hat. Mit mir können Sie so etwas nicht tun. Mit mir nicht!“ Sie stampfte mit dem Fuß auf, daß Porfirio Nócciolo glaubte, der Boden unter seinem Verkaufsstand bebe. „Ich hole jetzt meinen Mann. Er wird Ihnen sagen, mit welchen Konsequenzen Sie zu rechnen haben.“

Sie stieß den fülligen kleinen Händler von sich, so daß er mit dem Rücken gegen die Ladeklappe des Karrens prallte. Mit energischem Griff nahm sie die Gurke und den kantenköpfigen Seeteufel an sich, wandte sich ruckartig um und stapfte los.

Der Händler schüttelte sich, richtete sich auf und schrie: „Signora Breganza! Was Sie da mitnehmen, haben Sie noch nicht bezahlt!“

Die mächtige Frau blieb in zehn Schritten Entfernung stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen. Mit ungläubigem Gesichtsausdruck drehte sie sich um.

„Seit wann werden Beweismittel bezahlt?“ brüllte sie im nächsten Moment. „Sie kriegen die seltenen Stücke wieder, Nócciolo, darauf können Sie sich verlassen! Und Sie werden noch Ihre helle Freude daran haben – wenn Sie damit vor Gericht antanzen dürfen!“ Nach einer abermaligen Kehrtwendung marschierte sie endgültig davon, durch die Gasse, die die grinsenden Schaulustigen eilfertig bildeten.

Porfirio Nócciolos Mund stand noch immer offen, als der Drachen schon außer Sichtweite war. Dem grauhaarigen kleinen Mann fehlten die Worte. Zugleich spürte er Unbehagen in sich heraufkriechen. Wo, zum Teufel, steckte Gigliola? Suchend sah er sich um. Seine Tochter wußte fast immer Rat in den schwierigen Situationen, in die er sich selbst brachte.

„Jetzt braucht er mich“, sagte Gigliola Nócciolo lächelnd. Sie lehnte an einem Stapel leerer Kisten, hinter dem ihr Vater sie nicht sehen konnte. „Jetzt weiß er nämlich nicht mehr weiter. Und trotzdem versucht er immer wieder, einen Dummen zu finden, dem er seinen alten Kram andreht. Dabei müßte er langsam begriffen haben, daß er sich unnötigen Verdruß bereitet.“

„Aber irgendwie muß der arme Kerl doch seine Unkosten decken“, sagte der schwarzhaarige Seefahrer, der bei der jungen Frau einen rosig-zarten Pfirsich gekauft und ein Gespräch mit ihr begonnen hatte. Erst waren es die Blicke der hübschen Signorina gewesen, die ihn davon abgehalten haben, herzhaft in die Frucht zu beißen, und dann der Auftritt des zürnenden Riesenweibs.

Gigliola lachte. Ihr gefiel dieser kräftig gebaute Fremde, der mit seinen schwarzen Haaren, seinen dunklen Augen und dem braunen Teint aussah wie ein Landsmann. Sein Italienisch war nicht gerade perfekt, aber man konnte sich gut mit ihm unterhalten.

Ein Engländer. Einer von diesen Männern, denen man nachsagte, sie seien die rauhesten und verwegensten auf den Weltmeeren. Es bereitete Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten. Denn er wußte eine Menge mehr als die jungen Burschen, die über Cagliari und die Umgebung nie hinausgelangt waren.

„Sicher“, sagte sie. „Er glaubt, es gäbe nur diese eine Methode, die ihm schon in jungen Jahren von seinem Vater eingebleut worden ist. Nur wenn der Warenbestand restlos geräumt ist, erzielst du einen Gewinn. Natürlich mußt du ein bißchen darauf achten, daß die Kunden zufrieden sind vor allem gilt das für Stammkunden. Aber in den seltensten Fällen werden sie merken, daß ein Fisch vor dreißig Stunden und nicht erst vor sechs gefangen wurde.“

„Im Fall der gewaltigen Signora“, sagte der schwarzhaarige Seefahrer lachend, „dürfte es sich um achtundsiebzig Stunden gehandelt haben.“

Gigliola hielt die flache Hand vor den Mund, um nicht loszuprusten.

„Er kann es einfach nicht lassen“, sagte sie. „Diesmal hat er wirklich maßlos übertrieben. Und er könnte es so einfach haben. Cagliari ist nämlich ein guter Platz für das Marktgeschäft. Aber Papa liegt mit seinen Verkaufspreisen zu niedrig, dabei könnte er den Verlust durch verdorbene Ware leicht ausgleichen, indem er sich dem Preisniveau der anderen angleicht.“

Blacky zog anerkennend die Mundwinkel nach unten. „Das hört sich fachmännisch an.“

„Ist es auch“, antwortete die hübsche junge Sardin und lächelte stolz. „Papa hat mich in ein Handelshaus geschickt, damit ich dort das Kaufmännische von Grund auf lerne. Es hat mir nicht geschadet. Ich könnte das Geschäft von heute auf morgen übernehmen. Und weil Papa keinen Sohn hat …“

„… hofft er auf einen brauchbaren Schwiegersohn?“

Gigliolas Lächeln wurde spitzbübisch. „So ist es, Marinero. Und ich tue alles, um ihn in der Hoffnung nicht zu enttäuschen. Das bedeutet, ich bin sehr wählerisch.“

„Ich heiße Blacky.“

„Ist das ein Name?“

„Eher ein Spitzname.“ Er tippte mit den Fingerkuppen auf sein Haar. „Die Leute bei denen ich als Rustabout gefahren bin, hatten keine Mühe, sich den auszudenken.“

 

„Was ist das – ein Rustabout?“

„Das jüngste Crewmitglied.“

„Und wie heißt du wirklich?“

„Keine Ahnung.“ Blacky zog die Schultern hoch und grinste verlegen. „Es ist wie mit dem alten Lied: ‚I’m nobody’s child‘ – ‚Ich bin niemandes Kind‘. Ich weiß nicht, woher und von wem ich stamme; ich war einfach irgendwann da.“

„Ein Findelkind also?“ In Gigliolas Miene zeigte sich das Mitgefühl einer Frau, die ihre Mutterinstinkte nicht verbergen konnte.

„Ich nehme es an“, brummte Blacky.

„Ach, kümmere dich nicht darum“, sagte Gigliola. „Namen sind Schall und Rauch. Und was meine und meines Vaters Hoffnung betrifft, spielen sie sowieso keine Rolle.“

Blacky zog überrascht die Brauen hoch. „Ist man hierzulande schon verlobt, wenn man ein Mädchen anspricht? Eins, dessen Namen man noch nicht einmal kennt?“

„Gigliola!“ ertönte eine laute Stimme, die einen Hauch Verzweiflung verriet. „Gigliola, wo steckst du denn?“

Blacky und die junge Sardin lächelten.

„Siehst du“, sagte sie, „so erspart man sich überflüssige Worte.“

„Lauf zu deinem Vater“, entgegnete Blacky. „Ich denke, er braucht wirklich Unterstützung.“

Sie nickte. „Geh nicht fort, Straniero.“

„Hör auf, mich Fremder zu nennen.“

„Oh, Verzeihung, Blacky. Also bleib noch ein bißchen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ein Eheversprechen hast du mir nicht gegeben, ohne es zu wissen. Und sei beruhigt: Ungeprüft würde ich dich sowieso nicht nehmen. Wo gibt es ein Gesetz, das besagt, eine Frau müsse die Katze im Sack kaufen?“

Blacky hob beeindruckt die Augenbrauen und blickte ihr nach. Sie trug ein einfaches Leinenkleid, und doch war ihr Gang atemberaubend. Ihr Vater lugte um die Ecke des Kistenstapels. Seinem bestürzten Gesicht war anzusehen, daß er zur Zeit weniger an einen Schwiegersohn dachte als an einen Weg, sich aus dem Schlamassel herauszuwinden, in den er sich selbst hineingeritten hatte.

Blacky schlenderte ein Stück nach vorn, so daß er sehen konnte, was sich beim Fisch- und Gemüsestand von Vater und Tochter Nócciolo abspielte.

Die Mutter, Porfirios Frau, war nach Gigliolas Geburt, ihres einzigen Kindes gestorben. Eine Amme hatte das kleine Mädchen großgezogen, das seinen Vater jetzt so tatkräftig unterstützte.

Blacky biß in den Pfirsich. Das Fruchtfleisch war fest und zuckersüß, ein Genuß, den jeder Seemann nach den Entbehrungen einer monatelangen Seereise zu schätzen wußte.

Für Gigliola blieb keine Zeit, ihrem Vater zu raten, welche Verhandlungstaktik er tunlichst anwenden sollte.

Ein vielstimmiges Raunen entstand in der Umgebung. Überwiegend Frauen waren es, die ihr Feilschen mit gewitzten Handelsleuten abbrachen und in die Richtung spähten, der sich nach und nach alle Aufmerksamkeit zuwandte.

Der Drachen stürmte aus einer Seitengasse, die auf den Marktplatz mündete. Das Steinpflaster schien zu erbeben. Der Mann, den die riesenhafte Signora mitbrachte, war durchaus normalwüchsig. Schlank und einen Kopf kleiner, wirkte er an ihrer Seite jedoch wie ein Zwerg.

Sie zog ihn am linken Unterarm, und er hatte Mühe, Schritt zu halten. Immer wieder stolperte er. In der rechten Hand hielt er den Seeteufel und die Schlangengurke. Fisch und Gemüse schlenkerten wie eine gallertartige Masse, die in längliche Beutel gefüllt worden war.

Der Ehemann der wutentbrannten Riesin – um niemand anders konnte es sich handeln – sah unglücklich und verzweifelt aus.

Porfirio Nócciolo duckte sich hinter seinem Verkaufsstand wie jemand, der einem angreifenden Stier nun nicht mehr ausweichen konnte.

Gigliola Nócciolo hatte sich verteidigungsbereit neben ihrem Vater aufgebaut und verschränkte die Arme, wodurch ihr kecker Busen betont wurde.

Blacky grinste sich eins – wie die meisten anderen Leute auf dem Marktplatz.

Einen halben Schritt vor dem Verkaufsstand blieb das ungleiche Gespann stehen.

Der rundliche kleine Händler erinnerte jetzt an einen krummbeinigen Mischlingshund, der den Zorn eines kampferprobten Bullenbeißers erweckt hat und sich zum ungleichen Kampf stellen muß.

„Fabrizio!“ sagte die Signora mit schneidender, weit hallender Befehlsstimme. „Leg die Beweisstücke auf den Tisch! Vor die Füße werfen sollte man sie ihm, diesem Halsabschneider!“

Fabrizio gehorchte. Vorsichtig, nachdem seine bessere und größere Hälfte seinen Unterarm losgelassen hatte, schob er den schwammigen Seeteufel und die noch schwammigere Gurke auf die Holzplatte.

„Die Beweisstücke für Ihren Betrugsversuch, Signor Nócciolo“, sagte er lahm.

„Weiter!“ bellte Signora Breganza.

„Wir werden den Fall bei einem Gerichtsschreiber zu Protokoll geben“, erklärte Ehemann Fabrizio folgsam.

„Es sei denn …“ Die Signora sagte es mit erhobener Stimme wie ein diktierender Schulmeister.

„Es sei denn, Sie entschuldigen sich meiner Frau gegenüber ordnungsgemäß und ersetzen den entstandenen Schaden“, sagte Fabrizio seinen auswendig gelernten Satz auf.

Porfirio Nócciolo erstarrte. Er gab sich einen Ruck und wollte seine Gegenrede nun nicht mehr zurückhalten.

Aber seine Tochter kam ihm zuvor.

„Welchen Schaden?“ sagte sie energisch. „Durch was soll Ihnen ein Schaden entstanden sein, Signor Breganza? Ihre geschätzte Gemahlin hat weder den Seeteufel noch die Gurke bereits gekauft. Selbst wenn es sich um verdorbene Ware handeln sollte, ist damit der Tatbestand des Betrugs noch lange nicht erfüllt. Als mein Vater diesen Seeteufel und diese Gurke anbot, hat er sie nur als Musterstücke verwendet. Natürlich hätte er im Falle des Verkaufs frische Exemplare herausgegeben.“

Blacky beobachtete etwas Erstaunliches.

Der gehorsame Ehemann Fabrizio schien seine Umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Ein verklärter Ausdruck trat in sein Gesicht. Er strahlte Gigliola geradezu an.

Blacky trat einen Schritt vor und sah, was sich abspielte. Diese kaufmännisch vorgebildete Händlerstochter war ein verteufeltes kleines Luder. Mit tiefem Augenaufschlag, und indem sie ihren Busen noch ein wenig deutlicher in Szene setzte, brachte sie den armen Kerl völlig in Verwirrung.

Fabrizio rang nach Atem und bemühte sich krampfhaft, seinen angetrauten weiblichen Koloß nichts von seinem Blickkontakt bemerken zu lassen. Wäre eine freundliche Hexe erschienen, um Signora Breganza wegzuhexen – ihr bedauernswerter, unterdrückter Ehemann hätte vermutlich einen Freudenschrei ausgestoßen.

Ein tiefes Grollen entrann sich der Kehle der Signora. „Musterstücke?“ brüllte sie. „Ich höre wohl nicht richtig! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Sie freche kleine Kröte?“

Gigliola wandte den tiefen Blick nicht von dem bemitleidenswerten Fabrizio.

„Das würde ich bei Ihrem Gewicht wohl kaum schaffen“, sagte sie laut und vernehmlich.

Ringsherum auf dem Marktplatz ertönte Gelächter.

Signora Breganza versetzte ihrem träumerischen Mann einen Hieb in die Seite, daß er kopfüber auf die Beweisstücke zustolperte. Mit knapper Not konnte er sich abstützen und sich selbst davor bewahren, daß er den Seeteufel küßte.

„Laß dir das nicht bieten!“ fauchte sie. „Laß es dir nicht bieten, daß deine Frau so beleidigt wird! Unternimm gefälligst etwas! Und sag dem alten Gauner, daß er uns zum Gericht begleiten wird! Jetzt und auf der Stelle!“

„Ich lasse es mir nicht bieten“, sagte Fabrizio mit schwärmerischen Gesichtsausdruck, ohne den Blick von der Glut der dunklen Augen Gigliolas losreißen zu können, „daß meine Frau so belei…“ Seine Stimme versiegte in einem schmachtenden Klang.

„Signora Breganza“, sagte Porfirio Nócciolo, indem er seinen ganzen Mut zusammenraffte, „ich möchte Ihnen etwas vorschlagen. Ich meine, wir könnten die Angelegenheit bereinigen, indem ich Ihnen kostenlos …“

Die Signora hatte ihn nicht beachtet, nicht einmal zugehört. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich jäh auf den Blickwechsel zwischen ihrem Ehesklaven und der Händlerstochter konzentriert. Mit einem röhrenden Wutschrei stürzte die Kolossale auf den Verkaufstisch los und packte zu.

Gigliola konnte nicht mehr ausweichen. Die Signora war zu schnell, erwischte sie am Kragen ihrer Bluse und zog sie nach vorn. Gigliola schrie und wand sich verzweifelt – vergeblich. Ihr Vater versuchte, sie festzuhalten. Fabrizio hängte sich von rechts an sein massiges Eheweib.

Aber der Drachen war mit seiner Kraft allen dreien überlegen.

Blacky konnte es nicht mit ansehen, wie die zauberhafte Gigliola leiden mußte. Kurz entschlossen setzte er sich in Bewegung. Im Vorbeigehen ergriff er eine Scholle, die wahrhaftig fangfrisch zu sein schien. Mit einem weiteren schnellen Schritt näherte er sich der Signora von links und klatschte ihr die Scholle beidseits ins Gesicht.

Sie erstarrte, ließ Gigliola los und schüttelte die lästige Klette an ihrer rechten Körperhälfte ab.

Sie wandte sich zur Seite und war wieder der große, grimmige Bullenbeißer, der von einem vorwitzigen Pinscher angekläfft wurde.

Auf dem Marktplatz kehrte Stille ein.

Die Riesin blickte auf den Mann aus der Crew des Seewolfs hinunter. Einen Moment schien es, als würde sie vor Fassungslosigkeit nicht reagieren können.

Doch jäh packte sie zu, ergriff beide Schultern des schwarzhaarigen Mannes und ließ ihr rechtes Knie ruckartig hochfahren.

Blacky schaffte es mit Mühe, unter ihrem Griff wegzutauchen und auszuweichen. Sie stieß einen enttäuschten Knurrlaut aus und war in der nächsten Sekunde damit beschäftigt, ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Blacky entfernte sich mit einem federnden Satz vom Verkaufsstand. Er entging damit der drohenden Gefahr, vom mörderischen Lebendgewicht der Signora erdrückt zu werden.

Doch es gelang ihr noch, sich am Rand des Verkaufsstandes festzuhalten. Sie wollte ihre Körpermasse herumwirbeln, um sich auf den vorwitzigen Fremden zu stürzen.

Eine Stimme hielt sie davon ab.

Der Befehl klang fast höflich.

2.

„Seien Sie so nett und stiften Sie keinen Unfrieden, Signora.“

Die Zwei-bis-drei-Zentner-Frau erstarrte.

„Aber – ich …“ Ihr Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Sie brachte kein Wort mehr hervor.

Blacky hatte sich ebenso erstaunt umgewandt wie Fabrizio. Gigliola und ihr Vater wirkten hinter dem Verkaufstisch wie versteinert. Sie starrten an der mächtigen Signora vorbei, die plötzlich wie umgewandelt war. Tatsächlich, sie schien um ein paar Zoll geschrumpft zu sein, so respektvoll war sie geworden.

Die beiden elegant gekleideten Männer fielen nicht einmal besonders auf. Viel auffälliger war nach Blackys Eindruck die rege Geschäftigkeit, die auf dem Marktplatz wieder eingesetzt hatte. Von einer Sekunde zur anderen gab es auf der gesamten Piazza keinen einzigen Neugierigen mehr.

Niemand interessierte sich mehr für das Geschehen beim Stand der Nócciolos. Der Auftritt des Drachens war zur Nebensache geworden. Das Feilschen um Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse stand wieder im Mittelpunkt.

„Komm, Fabrizio“, sagte die Signora tonlos. Sie nahm ihren Ehemann bei der Hand. „Ich glaube, es ist besser, wir gehen nach Hause.“ Sie sah die Eleganten mit ehrfürchtigem Blick an, um festzustellen, wie deren Reaktion war.

„Wir danken für Ihre Einsicht, Signora“, sagte der Ältere der beiden Männer, lächelte und deutete eine Verbeugung an.

Der Drachen trabte davon, den willigen Fabrizio im Schlepp.

Die beiden elegant gekleideten Männer traten näher an den Verkaufsstand Porfirio Nócciolos und seiner Tochter heran. Dabei bedachten sie Blacky mit einem ausgiebigen, forschenden Seitenblick.

Der ältere der Signori war schlank und hatte ein Vogelgesicht. Mit dem glatt zurückgekämmten schwarzen Haar, der spitzen Nase und den dunklen Knopfaugen hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Raben.

Der jüngere Mann, bartlos, mittelblond und kräftig gebaut, schien eine Art Leibwächter zu sein. Im Gegensatz zu dem Rabengesichtigen, der nur einen Dolch mit prunkvoll ziseliertem Griff trug, war der junge Begleiter zusätzlich mit einer Pistole bewaffnet. Auch bei dieser Waffe handelte es sich um ein kostbares Stück.

Der Kolben, seitlich mit silbernen und goldenen Rankenmustern ausgelegt, hatte eine Bodenplatte aus reinem Gold. Zum Zuschlagen war dieser Kolben sicherlich weniger geeignet. Doch daran, daß aus dem Lauf der Waffe Kugeln aus reinem Blei verfeuert werden konnten, bestand nicht der geringste Zweifel.

 

„Ich würde gern erfahren, was vorgefallen ist“, sagte der Rabengesichtige in seiner höflichen und beinahe zurückhaltenden Art.

Blacky spürte indessen, daß dieses Gehabe so falsch war wie das Schnurren einer Katze angesichts einer in die Enge getriebenen Maus.

„Selbstverständlich, Signor Cóstola“, erwiderte Porfirio Nócciolo mit einer tiefen Verbeugung, wobei er sich dem übelriechenden Seeteufel bis auf wenige Zoll näherte.

„Zuvor“, sagte Cóstola gedehnt, „sorgen Sie bitte dafür, daß wir unter uns sind.“ Mit einer ruckartigen Handbewegung wies er zur Seite, und abermals spürte Blacky, wie ihn die Raben-Knopfaugen prüfend abtasteten. Ebenso die schmalen Augen des Leibwächters.

„Mit Verlaub“, sagte Gigliola. Sie hörte sich jetzt lammfromm an. „Der Signore ist ein guter Freund von mir. Er hat alles miterlebt und wird nötigenfalls zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können.“

Blacky unterdrückte ein Grinsen. Es war wirklich beeindruckend, wie gekonnt Gigliola mit dem kaufmännisch-juristischen Jargon umging, den sie sich während ihrer Lehrjahre angeeignet hatte.

Die beiden Eleganten wandten sich ihm zu. Sie trugen blitzblanke Schnallenschuhe, weiße Strümpfe und Beinkleider aus weichem, schwarzem Leder, das bei nur flüchtigem Hinsehen wie Samt wirkte. Das Wams des Mannes namens Cóstola war aus Streifen von schwarzem Samt und roter Seide zusammengefügt und mit kunstvollen Stickereien aus Silberfäden verziert.

Das große Barett, das er sonst auf dem Rabenkopf zu tragen pflegte, hing in einer Schlaufe an der linken Hüftseite seines Wamses. Die Oberbekleidung des jüngeren Mannes war aus einfachem schwarzem Stoff gefertigt und hatte etwas Uniformhaftes. Über eine Kopfbedeckung schien er nicht zu verfügen.

Blacky rang sich zu einem Gruß durch, der noch halbwegs freundlich klang. Der öligen Höflichkeit dieser sardischen Gentlemen konnte er beim besten Willen nicht nacheifern.

„Oh, Sie stammen nicht aus Sardinien?“ rief Cóstola, als hätte er ein sorgsam gehütetes Geheimnis aufgedeckt. „Wenn ich Ihren Akzent richtig deute, sind Sie auch kein Italiener und ein Spanier schon gar nicht.“

„Sie deuten richtig“, entgegnete Blacky und nickte. „Ich bin Engländer.“

„Ah, wie interessant!“ Cóstola faltete die Hände über der Magengegend. „Ein Engländer in diesen von Spanien beherrschten Gewässern! Sehr mutig, Signor, wirklich sehr mutig.“

„Meine Freunde und ich sind Seefahrer. Wir führen keinen Privatkrieg.“

„Also Handelsfahrer?“

„So kann man es nennen.“

„Haben Sie auch einen Namen?“

Der breitschultrige Mann aus der Crew des Seewolfs grinste. „Ich werde Blacky genannt. Aber es wurde schon mehrfach angezweifelt, ob man das als einen Namen bezeichnen kann.“

„Oh, ich kann mir gut vorstellen, wie so etwas entsteht“, erwiderte der Rabengesichtige mit hochgezogenen Brauen. „In Seefahrerkreisen gelten besondere Gesetze, nicht wahr? Mit der Namensgebung, wie mit vielen anderen Dingen, nimmt man es da nicht übermäßig genau. Habe ich recht?“

„Sie kennen sich aus“, antwortete Blacky und wunderte sich insgeheim, daß der andere seinen Spott nicht zu bemerken schien.

Cóstola lächelte, sah Blacky noch einen Moment schweigend an und wandte sich dann dem Händler und seiner Tochter zu. Der Leibwächter folgte dem Beispiel des Rabengesichtigen. Mit einer knappen Handbewegung forderte er Porfirio Nócciolo auf, zu berichten.

Der Händler schilderte das Geschehen und übernahm dabei die Version, die sich Gigliola ausgedacht hatte. Cóstola nickte und rümpfte die Nase, als er den Seeteufel einer kurzen Prüfung unterzog. Der Leibwächter tat es ihm auch diesmal nach. Er hatte etwas Papageienhaftes.

„Nun“, sagte der Rabengesichtige mit der Gewichtigkeit eines über alle Alltäglichkeiten erhabenen weisen Mannes. „Wir wollen den Vorfall nicht aufbauschen, mein lieber Nócciolo. Aber über eins müssen wir uns doch wohl im klaren sein: Es geht beim besten Willen nicht, daß auf dieser Piazza, in dieser Stadt, mit verdorbener Ware gehandelt wird. Und die Geschichte mit den Musterexemplaren wollen Sie mir doch wohl nicht ernsthaft unterjubeln, nicht wahr?“

Porfirio preßte die Lippen aufeinander und blickte betreten auf den Tisch mit den „Beweisstücken“.

Gigliola holte tief Luft und wollte zu einer energischen Erwiderung ansetzen.

Doch Cóstola sorgte mit einer dämpfenden Handbewegung dafür, daß sie nicht erst den Mund auftat.

„Ziehen wir einen Schlußstrich“, sagte er mit unvermittelter Schärfe. „Ich werde Don Marcello vorerst nichts über den Vorfall berichten. Sie wissen, daß er es nicht schätzt, wenn die von ihm protegierten Händler einen schlechten Ruf erlangen. Sollte ich oder ein anderer aus unserem Freundeskreis aber noch einmal etwas Derartiges hören, werde ich gezwungen sein, Don Marcello die ungeschminkte Wahrheit offenzulegen. Sie wissen, was das bedeutet, Nócciolo.“

Der Händler senkte den Kopf wie ein kleiner Junge, der von seinem Vater bei einem bösen Streich ertappt worden ist. Auch Gigliola, vor wenigen Minuten noch voller Kampfeswillen, wagte kein Widerwort mehr.

Die beiden Eleganten wandten sich ab, bedachten Blacky noch mit einem letzten prüfenden Seitenblick und stolzierten über die Piazza davon. Überall zwischen den Marktständen wurden sie ehrerbietig gegrüßt.

Blacky trat auf den Verkaufsstand zu.

„Ich will mich nicht einmischen“, sagte er. „Da ich aber schon als Zeuge benannt wurde, würde ich doch gern erfahren, was es bedeutet, wenn dieser Don Marcello die ungeschminkte Wahrheit erfährt.“

„Um Himmels willen!“ flüsterte Porfirio Nócciolo erschrocken. „Hüten Sie Ihre Zunge, junger Freund!“

„Das ist Blacky, Papa“, erklärte Gigliola rasch. „Wir haben uns vorhin kennengelernt, als du mit der Signora …“

Nócciolo richtete flehentlich die Augen nach oben. „Der Himmel bewahre mich vor weiteren Begegnungen dieser Art! Mein Gott, was habe ich nur verbrochen, daß mir so ein Unglück widerfahren muß!“

„Das weißt du genau“, sagte Gigliola mit neu erwachender Energie. „Hättest du nicht versucht, der Signora den stinkenden Seeteufel aufzuschwatzen, wäre überhaupt nichts passiert.“

„Wer, zum Teufel, ist Don Marcello?“ fragte Blacky hartnäckig. „Und wer ist dieser Cóstola, daß ihr vor ihm kuscht?“

Porfirio Nócciolo sah ihn mit geweiteten Augen an, als hätte er einen schlimmen Frevel begangen.

Gigliola war realistischer. „Du kannst es natürlich nicht wissen“, sagte sie. „Don Marcello Struzzo ist der mächtigste Mann in der Stadt. Wer auf seiner Seite steht, ist seiner Schutzorganisation angeschlossen, das heißt, es kann ihm nie etwas passieren. Man muß allerdings gewisse Bedingungen erfüllen.“

„Zum Beispiel eine Schutzgebühr zahlen“, sagte Blacky grimmig.

„Woher weißt du das?“ entgegnete Gigliola erstaunt.

„Wir waren in Sizilien. Da haben sie ähnlich merkwürdige Gepflogenheiten.“

„Für uns ist das absolut nicht merkwürdig, Blacky. Wir müssen uns nach den geltenden Machtverhältnissen richten. Don Marcello ist daran interessiert, daß unsere Geschäfte gut laufen. Denn die Schutzgebühr wird nach der Höhe des Umsatzes berechnet. Deshalb hat Signor Cóstola natürlich sofort eingegriffen, als er sah, daß es hier einen Streit gab. Signor Cóstola ist Don Marcellos engster Vertrauter und sein Stellvertreter.“

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?