Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 579»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-986-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Burt Frederick
Tanz auf dem Vulkan
Am Ätna ist die Hölle los – und der Teufel gibt den Ton an
Ben Brighton betrachtete die hohen Seestiefel, die der Schiffsausrüster als verführerischen Blickfang neben dem Verkaufstresen aufgestellt hatte.
„Wir brauchen Lampenöl und Dochte“, sagte der Seewolf. Er war gemeinsam mit Ben losgezogen, da sie beide die italienische Sprache beherrschten.
Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: „Außerdem Hanf und Kalfaterpech, Garn und …“ Ein Poltern ließ ihn verstummen.
Die Tür des Ladens war aufgeflogen und gegen ein Regal gekracht. Nach einem Zufall hörte sich das nicht an.
Und Signor Modugno, der Schiffsausrüster, erbleichte hinter seinem Tresen.
Philip Hasard Killigrew drehte sich um.
Im Gegenlicht, vor der noch pendelnden Tür, zerrte jemand eine Kiste aus einem Regal. Messingbeschläge klirrten wie ein Scherbenregen zu Boden.
Und dann ging es Schlag auf Schlag …
Die Hauptpersonen des Romans:
Guilielmo Modugno – als sein Vater, Schiffsausrüster in Messina, kaltblütig ermordet wird, greift er zur Selbsthilfe.
Don Vito Borsini – kassiert „Schutzgelder“ und hat alle korrumpiert – vom Hafenkapitän bis zum Kommandanten der Stadtgarde.
Ugo Fiorino – der Tenente der Hafenwache sieht sich außerstande, einen Mord aufzuklären, einen Überfall schon gar nicht.
Ben Brighton – mit Blunderbussen und einer Arwenack-Schar verteidigt er die Schebecke im Hafen von Messina.
Philip Hasard Killigrew – erhält von einem reichen Mann das erstaunliche Angebot, im Mittelmeer für ihn Piraterie zu betreiben.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
1.
Steinguttröge wurden aus den Regalen gewischt und zersprangen krachend auf dem Fußboden. Rauhes, schadenfrohes Gelächter begleitete den Lärm. Laternenglas zersplitterte, harte Stiefelabsätze trampelten auf die Gehäuse. Die Kerle konzentrierten sich auf Zerbrechliches.
Hasard und Ben stießen sich vom Tresen ab, als Dutzende von Mucks zu Boden regneten und zerschellten.
„Nicht, Signori!“ rief Oreste Modugno flehend. „Um Himmels willen, mischen Sie sich nicht ein! Ich bitte Sie …“ Er schwieg, denn er begriff, daß er diese beiden eisenharten Engländer nicht von etwas abbringen konnte, das für sie selbstverständlich war.
Die hohen Regalreihen nahmen viel von dem Licht, das durch die vorderen Fenster fiel. Deshalb waren die Kerle in den engen Gassen zwischen dem Warensortiment nur als Schatten zu erkennen. Tobende Schatten, die sich einen Spaß daraus bereiteten, immer größeren Schaden anzurichten.
Der Seewolf und sein Erster Offizier drangen in zwei nebeneinanderliegende Regalgassen vor. Hasard stieß auf einen Kerl, der eben eine flache, offene Kiste geleert hatte. Steingutflaschen, die Olivenöl enthielten, waren auf dem Boden zerbrochen.
Hasard riß dem Mann die leere Kiste weg und schmetterte sie ihm auf den Schädel. Mit der freien Hand packte er ihn am Kragen, zog ihn zu sich heran und schickte ihn mit zwei knochenharten Fausthieben zu Boden, in die glitschige Brühe aus Steingutscherben und dickflüssigem Öl.
Aus der Nebengasse waren dumpfe Laute von Fausthieben zu vernehmen. Die Getroffenen ließen gurgelnde Laute hören. Bens Stimme war nicht darunter.
Der zweite Kerl in Hasards Angriffsrichtung stutzte nur kurz. Dann stürmte er mit einem Wutschrei vorwärts und wollte über seinen am Boden liegenden Kumpan hinweg. Er kalkulierte nicht ein, wie weit sich die Ölbrühe schon ausgebreitet hatte. Noch vor dem Bewußtlosen glitt er aus und stürzte der Faust des Seewolfs entgegen.
Hasard brauchte kein zweites Mal zuzuschlagen.
Angesichts zweier bewußtloser Kumpane wurde der dritte Mann in der Gasse vorsichtiger und wich zurück. Fast sah es so aus, als wollte er die Flucht ergreifen. Hasard fackelte nicht lange. Mit einem federnden Sprung erreichte er den Scherbenhaufen jenseits der Öllache.
Der Mann war schon nahe bei der Tür – breitschultrig und hochgewachsen. Sein kantiges Gesicht, jetzt im Seitenlicht erkennbar, wurde von einem schwarzen Vollbart eingerahmt. Zwischen den zu Schlitzen verengten Lidern funkelten haßerfüllte Augen.
Mit einem Laut, der wie ein Fauchen klang, griff der Bärtige zum Gurt. Ein scharfes, metallisches Geräusch entstand. Die Klinge eines Dolches ließ blitzende Reflexe entstehen, eine schmale, gerade Klinge, die die Länge eines Unterarmes hatte.
Der Seewolf verharrte und spannte die Muskeln. Er hörte, daß Ben noch mit einem oder zwei Gegnern beschäftigt war. Aber die Lage entwickelte sich eindeutig zu seinen Gunsten. Und der Bärtige hatte es erkannt.
Hasard zog das Entermesser. Sein Gegner hatte die größere Bewegungsfreiheit. Trotzdem handelte Hasard nicht nach dem Grundsatz, der da besagt, daß Angriff die beste Verteidigung sei.
„Wer gibt euch das Recht, euch hier wie Vandalen aufzuführen?“ fragte er und blieb dabei äußerlich völlig ruhig.
Der Bärtige zog die Mundwinkel nach unten.
„Das Recht des Stärkeren“, entgegnete er und schnellte los, noch während er die letzte Silbe aussprach.
Hasard hatte erwartet, daß es der andere auf die heimtückische Art versuchen würde. Deshalb gelang es ihm, den zuckenden Dolch mit einer reaktionsschnellen Parade abzuleiten. Der Stoß ging über seinen rechten Oberarm hinweg. Hasard verhinderte den Anprall des Mannes, indem er ihm die linke Faust zwischen die Rippen drosch.
Der Bärtige krümmte sich und wankte zurück. Doch bevor Hasard nachsetzen konnte, hatte der Mann sich bereits wieder gefangen. Innerhalb von einem Atemzug schüttelte er den Schmerz ab. Er stieß einen heiseren Knurrlaut aus, ging erneut zum Angriff über und versuchte es mit einer raffinierten Finte.
Noch im Zustoßen änderte er blitzartig die Stoßrichtung.
Hasards Parade zischte ins Leere. Es gelang ihm noch, sich wegzuducken. Der Dolch riß ihm das Hemd über der linken Schulter auf, knapp neben dem Saum der Lederweste. Die Spitze des schlanken Stahls ritzte seine Haut. Brennender Schmerz zuckte von der kleinen Wunde aus.
Er schaffte es nicht mehr, den Cutlass zur Seite zu reißen. Der Bärtige fiel buchstäblich hinein, durch den unerwarteten eigenen Schwung nach vorn gerissen. Hasard konnte es nicht verhindern. Bis zum Heft durchbohrte die Cutlassklinge den Oberkörper des Mannes.
Er erschlaffte und kippte von dem Seewolf weg.
Hasard schüttelte unwillig den Kopf, während er das Entermesser reinigte und es in der Scheide verstaute.
Ben Brighton erschien in dem freien Raum vor den Regalgassen. Er stieß die Tür zu. Dann sah er den Toten. Schweigend blieb er stehen. Er stellte keine Fragen, denn er wußte, daß Philip Hasard Killigrew nur dann einen Menschen tötete, wenn ihm keine andere Wahl blieb.
Was geschehen war, hatten diese Kerle selbst zu verantworten. Die Verwüstung, die sie schon angerichtet hatten, war schlimm genug. Hasard fluchte innerlich auf sich selbst, weil er nicht schneller reagiert hatte.
Vielleicht hätten Ben und er größeren Schaden verhindern können. Aber was sich hier abgespielt hatte, war einfach unglaublich gewesen, als daß man es ohne Überraschung hätte verdauen können.
Sie hörten die leise Stimme des Schiffsausrüsters.
„Madonna! Madonna mia! Heilige Mutter, warum hast du das geschehen lassen? Jetzt ist alles aus, ich bin verloren!“
Hasard drehte sich ruckartig um. „Was reden Sie da! Diese Strolche richten keinen Schaden mehr an. Wir übergeben sie der Stadtgarde, und dann haben Sie ein für allemal Ruhe.“
„Um Himmels willen, nein, Signor Killigrew!“ rief Modugno und rang die Hände. „Sie würden nichts damit erreichen, und es würde alles nur noch schlimmer werden.“
Hasard schüttelte ungläubig den Kopf und wechselte einen Blick mit Ben Brighton. Ben sah ratlos aus.
„Signor Modugno“, sagte der Seewolf energisch. „Was wird hier gespielt?“ Er deutete mit einer knappen Bewegung auf den Toten. „Dieser Mann hat seinen Tod selbst verschuldet. Ich werde eine entsprechende Aussage zu Protokoll geben, und Sie sind mein Zeuge.“
Modugno streckte abwehrend die Hände aus. „Niemals! Das darf niemals geschehen. Aber es wird sowieso nicht dazu kommen, glauben Sie mir!“
Hasard sah, daß der Mann am ganzen Körper zitterte. Etwas stimmte hier nicht.
„Sagen Sie mal“, sagte der Seewolf, „wäre Ihnen etwa lieber gewesen, wenn die Halunken alles kurz und klein geschlagen hätten?“
Modugno senkte den Kopf und nickte. Sein auf und ab ruckender Adamsapfel zeigte, daß er krampfhaft schluckte.
„Es wäre das kleinere Übel gewesen“, sagte er tonlos.
Die Bewußtlosen kamen zu sich, während Hasard und Ben noch immer irritiert waren. Hasard schnappte sich einen der fünf Kerle und forderte ihn auf, den Toten mitzunehmen und den Fall bei der Stadtgarde zu melden. Er, Philip Hasard Killigrew, Kapitän der im Hafen von Messina liegenden Schebecke, stehe für eine Zeugenvernehmung jederzeit zur Verfügung.
Die Strolche verschwanden, ohne noch ein Wort von sich zu geben.
Gemeinsam mit Oreste Modugno gingen Hasard und Ben zum Verkaufstresen. Der Schiffsausrüster griff unter den Tresen, brachte eine kleine Flasche zum Vorschein, entkorkte sie und trank in kleinen Schlucken.
Mit einem erleichterten Laut setzte er die Flasche ab und hielt sie den Männern hin. „Selbstgebrannt. Das beruhigt die Nerven. Wenn Sie einmal probieren möchten …“
Hasard und Ben lehnten nicht ab. Es war ein Kräuterschnaps, hochprozentig und angenehm mild im Rachen.
„Ich nehme nicht an“, sagte Ben Brighton gedehnt, „daß Sie ausgerechnet jetzt vorhaben, uns in die Geheimnisse des sizilianischen Schnapsbrennens einzuweihen.“
Modugno nahm die Flasche zurück. Er senkte den Blick und schüttelte bedauernd den Kopf.
„Verzeihen Sie, Signori“, murmelte er bedrückt. „Sie müssen einen völlig falschen Eindruck von mir erhalten. Wahrscheinlich liegt es an der Aufregung. Ja, ich gebe zu, daß ich Angst habe. Ich bin sonst nicht der Mann, der beim geringsten Verdruß zur Flasche greift, um seine Nerven zu beruhigen.“
„Nichts für ungut“, entgegnete Ben. „Wir finden diese ganze Geschichte verdammt merkwürdig.“
Modugno nickte. „Ich kann es verstehen, Signori. Für einen Nichteingeweihten …“ Er suchte nach Worten und hob die Schultern.
„Dann weihen Sie uns ein“, forderte der Seewolf. „Wie es aussieht, stecken wir in Ihren Schwierigkeiten jetzt mittendrin.“
Der Schiffsausrüster nickte abermals. „Das steht außer Frage, Signori. Ich habe versucht, Sie zurückzuhalten. Aber Sie haben nicht auf mich gehört.“
„Wir werfen Ihnen nichts vor“, erwiderte Hasard. „Wir wollen nur wissen, was gespielt wird.“
„Sie sind fremd in Messina“, sagte Modugno seufzend. „Man spürt es. Sonst wüßten Sie, welche Machtverhältnisse hier bestehen. Es gibt einige reiche Familien, adlige Familien, die alles beherrschen. Und sie haben den Kuchen unter sich aufgeteilt. Einer kontrolliert die Bauern, einer die Handelsleute und ein anderer den gesamten Hafen und alles, was damit zu tun hat. Letzterer heißt Don Vito Borsini und ist der schlimmste Menschenverächter auf Gottes Erdboden.“ Der Schiffsausrüster sah sich hastig um, als gäbe es plötzlich heimliche Zuhörer. Er senkte die Stimme zum Flüstern. „Zu einem Einheimischen würde ich darüber niemals sprechen, Signori. Aber bei Ihnen ist es etwas anderes. Ich weiß, daß ich Ihnen vertrauen kann. Denn Sie haben versucht, mir zu helfen. Sie konnten natürlich nicht wissen, daß es keine Hilfe gibt.“
Hasard ging nicht darauf ein. „Sie sagen, Borsini und seinesgleichen kontrollieren bestimmte Bereiche in der Stadt. Wie geschieht das? Was soll damit bezweckt werden, daß sie einen Schlägertrupp losschicken, der eine Ladeneinrichtung demoliert und Waren zerstört?“
„Ich konnte meine Gebühren nicht pünktlich bezahlen“, erwiderte Oreste Modugno mit zitternder Stimme. „Ich hatte um Aufschub gebeten. Nur um eine Woche. Aber Borsini ist ein Teufel. Es interessiert ihn nicht, ob die Geschäfte gut oder schlecht laufen. Er preßt den letzten Blutstropfen aus seinen Opfern heraus, wenn es sein muß.“
„Das heißt“, sagte Ben Brighton und deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Diese Kerle waren Gebühreneintreiber?“
„Nicht direkt“, sagte Modugno. „Ihre Aufgabe war es, mir vor Augen zu führen, wie gefährlich ich ohne den Schutz Don Vitos und seiner Organisation lebe.“
Hasard konnte nur den Kopf schütteln. „Für diesen sogenannten Schutz zahlen Sie Gebühren?“
„So ist es, Signor Killigrew.“
„Das heißt“, entgegnete der Seewolf, „die Gefahren, vor denen dieser saubere Don Vito Sie angeblich beschützt, liefert er im Zweifelsfall selbst. Was dieser Strolch betreibt, ist also nichts anderes als gemeine Erpressung.“
„Sie sehen es absolut richtig, Signor Killigrew. Und fragen Sie mich nicht, warum niemand etwas dagegen tut. Hier stecken alle unter einer Decke. Don Vito hat sie alle gekauft, vom Hafenkapitän bis zum Kommandanten der Stadtgarde. Alles tanzt nach seiner Pfeife. Niemand mischt sich ein. Im Gegenteil, sie ziehen ja alle noch ihren Gewinn daraus, daß man Leute wie mich ausbluten läßt.“
Der Seewolf und sein Erster Offizier sahen sich an. Was sich hier auftat, war ein finsterer Abgrund übelster menschlicher Raffgier.
„Wie hoch sind die Gebühren?“ fragte Hasard.
„Ein Zehntel vom Umsatz.“
„Nicht vom Gewinn?“
„Nein, Signor, das ist ja die Schurkerei. Wir sind gezwungen, unsere Preise zu erhöhen, wenn wir überhaupt noch bestehen wollen. Das Ergebnis ist aber, daß sich die Schiffsführer in anderen Häfen versorgen, wo sie noch preisgünstig bedient werden. Zwangsläufig gehen unsere Umsätze zurück. Und je mehr das der Fall ist, desto mehr fressen die Gebühren unseren eigenen Gewinn auf. Der Tag wird kommen, an dem wir alle unsere Geschäfte schließen können – Segelmacher, Seiler, Zimmerleute, Schiffsausrüster – einfach alle.“
„Aber damit schneidet sich dieser Borsini doch ins eigene Fleisch“, sagte Ben Brighton verwundert. „Wenn es keine Geschäfte mehr gibt, kann er keine Gebühren mehr kassieren.“
Oreste Modugno schüttelte müde den Kopf. „Es geht anders, Signor Brighton. Wenn unsereins fast bankrott ist, schickt Don Vito einen Mittelsmann, der das Geschäft zu einem Spottpreis aufkauft. Da bleibt einem keine andere Wahl, wenn man nicht als Bettler durch die Lande ziehen will. Wenn man Glück hat und nicht zu sehr in Ungnade gefallen ist, darf man in seinem eigenen Laden weiterarbeiten – für einen Hungerlohn, in Diensten von Don Vito.“
„Halten Sie uns auf dem laufenden“, sagte Hasard. „Wir sind für Sie da, wenn es hart auf hart geht. Unsere Einkäufe können wir auch morgen noch erledigen. Brauchen Sie Hilfe, um den Laden wieder in Ordnung zu bringen?“
Modugno wehrte ab. „O nein, nein! Ich stehe ohnehin zu tief in Ihrer Schuld, Signori. Ich werde das gemeinsam mit meinem Sohn erledigen. Wahrscheinlich morgen in aller Frühe. Glauben Sie mir, wir haben Übung darin.“ Er lachte bitter.
2.
Oreste Modugno schloß seinen Laden an diesem Abend eine halbe Stunde früher als gewöhnlich. Mit Kundschaft war ohnehin nicht mehr zu rechnen, und er wollte die Zeit nutzen, um bereits mit den ersten Aufräumungsarbeiten zu beginnen.
Guilielmo, sein Sohn, war mit dem einzigen Gehilfen, den sie noch beschäftigten, im Hafen unterwegs, um Ware auszuliefern.
Wenn die Umsätze weiter zurückgingen, überlegte der Schiffsausrüster niedergeschlagen, würden sie auch den letzten Gehilfen bald entlassen müssen. Dann würde das einst blühende kleine Unternehmen wieder ein armseliger Familienbetrieb sein, der sich noch eine Weile über Wasser halten konnte, bis Don Vito Borsini ihn sich einverleibte.
Im Halbdunkel des Ladens schaufelte er das zerbrochene Steingut in eine Kiste. Es war eine Arbeit, die ihm wehtat. Andererseits konnte er von Glück reden. Die Kerle hatten noch nicht begonnen, die Einrichtung zu zerstören.
Wenn das geschah, war ein Geschäftsinhaber so tief in jenem Teufelskreis aus fälligen „Schutzgebühren“ und sinkenden Umsätzen, daß es keinen Ausweg mehr gab.
Modugno brachte die Kiste mit den Scherben hinaus auf den Hinterhof. Es begann zu dunkeln. Guilielmo mußte jeden Moment eintreffen. Der rundliche Mann beschloß, es gut sein zu lassen und die Arbeit für diesen Tag einzustellen. Er ging noch einmal in den Laden und löschte alle Lampen. Er würde Guilielmo auf dem Hof erwarten.
Gedankenverloren verriegelte er die Hintertür des Ladens.
Gaukelte er sich nicht, selbst etwas vor?
Borsinis Halunken wären nicht etwa aus eigenem Entschluß abgezogen. Nur durch das beherzte Eingreifen der beiden Engländer hatten sie ihr Zerstörungswerk abbrechen müssen. Wie mochte ihr Auftrag gelautet haben? Hatten sie vielleicht doch die gesamte Einrichtung zerschlagen sollen?
Oreste Modugno erschauerte bei der Erinnerung an das Geschehen. Er trat auf den Hinterhof hinaus. Der Wagenschuppen, das Lagerhaus und der Pferdestall bildeten einen schützenden rechten Winkel, der zur Seitengasse hin von einem Zaun und einem Tor aus mannshohen Planken begrenzt wurde.
Es gab kein Gerümpel auf diesem Hinterhof, keine Spur von Unordnung. Sogar die einachsigen Pferdekarren standen sauber ausgerichtet unter dem Schuppendach.
Guilielmo war ein guter Junge. Kein Mann konnte sich einen besseren Sohn wünschen. Gemeinsam mit ihm bewältigte Oreste nicht nur das Geschäft, sondern auch den Haushalt in dem kleinen Stadthaus, das ihnen gehörte.
Seit seine Frau, Guilielmos Mutter, vor drei Jahren an unerklärlicher Magersucht gestorben war, hatten sie gemeinsam nur noch fester zugepackt. Sie hatten bewiesen, daß sie es schaffen konnten.
Borsinis Halunken hatten einen Toten mitnehmen müssen.
Der Gedanke durchzuckte Modugno, als würde es ihm jetzt erst bewußt. Warum, in aller Welt, blieb er so ruhig? Glaubte er etwa allen Ernstes, Don Vito Borsini würde es mit einem Achselzucken hinnehmen, daß man einen seiner Männer getötet hatte? Und es war in seinem, Oreste Modugnos, Laden geschehen!
Borsinis Handlanger würden ihm vorhalten, er habe die Engländer mit voller Absicht zu seinem Schutz herbestellt. Wie sollte er das Gegenteil beweisen? Er hatte keine Chance. Sie würden ihm sowieso nicht glauben.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Sterne funkelten am Himmel, als hätte jemand ein samtenes Tuch mit daraufgestickten Diamanten über Messina gespannt. Ein Tuch, das sich rasch in ein immer dunkleres Blau verfärbte.
Aus der Ferne war ein leises, dumpfes Grollen zu hören. Es drang tief aus dem Bauch der Erde und schien doch von allem Irdischen losgelöst zu sein, indem es im Nichts schwebte, hervorgerufen durch Umstände, die mit dem menschlichen Verstand nicht zu erklären waren.
Der Ätna ließ sich nun schon seit Tagen in immer kürzeren Abständen vernehmen.
Oreste Modugno sah seine Zukunft in den düstersten Farben. Farben, die der Dunkelheit dieses Abends und der beginnenden Nacht entsprachen und eines Tages von der alles verzehrenden Glut eines Vulkanausbruchs überdeckt werden würden.
Ja, es sah schlimm aus um diese Zukunft. Alle Vorzeichen waren gegen ihn gerichtet. Er mußte mit Guilielmo darüber reden. Der Junge war von jugendlichem Tatendrang erfüllt, und seine Wut gegen Borsini und seine Schergen schwelte schon lange.
Oft hatte Guilielmo unvernünftige Pläne gehabt. Aber vielleicht konnte er zusammen mit den Engländern …
Er brachte den Gedanken nicht zu Ende.
Ein Scharren, das im Wagenschuppen entstand, ließ ihn zusammenzucken. Für eine Reaktion war es zu spät.
Gestalten schnellten aus der Dunkelheit hervor. Eisenharte Fäuste packten den Schiffsausrüster. Er wollte schreien und Guilielmo zu Hilfe rufen, da er bestimmt schon in der Nähe war. Aber eine rauhe Handfläche legte sich auf sein Gesicht, versiegelte ihm die Stimme und nahm ihm die Atemluft.
Sie schleiften ihn weg.
Noch ehe er darüber nachdenken konnte, was sie vorhatten, traf ein Hieb seinen Kopf. Der Schmerz war wie der Explosionsblitz einer großen Schwarzpulverladung. Und dann gab es nur noch endlose, abgrundtiefe Schwärze. Weder von seelischem noch von körperlichem Schmerz befreit, war die Bewußtlosigkeit keine Erlösung für ihn.
Guilielmo Modugno beschleunigte seine Schritte. Er wußte, daß sein Vater ihn bestimmt schon vor einer halben Stunde zurückerwartet hatte. Federico, der Gehilfe, hatte den Einspänner bei sich zu Hause untergestellt, weil er am nächsten Morgen in aller Frühe eine Lieferung Weinkrüge bei einer Töpferei in der Nähe von Messina abholen sollte.
In dem Moment, in dem er in die Seitengasse einbiegen wollte, prallte Guilielmo zurück.
Wie von selbst, war sein Blick als erstes auf das Tor des väterlichen Schiffsausrüsterbetriebes gefallen.
Es schwang auf.
Geistesgegenwärtig huschte Guilielmo in einen Hauseingang, um zu beobachten, was sich dort drüben, zwanzig Yards entfernt, abspielte. Sein Vater hatte nicht das zweite Gesicht, um seine, Guilielmos, Rückkehr zu ahnen, bevor er überhaupt in Sicht war.
Eine schattenhafte Gestalt erschien in dem offenen Torwinkel, spähte sichernd nach beiden Seiten und winkte dann zum Hof hin. Nacheinander huschten sie nun in die Seitengasse. Guilielmo zählte insgesamt sieben Kerle. Der letzte zog das Tor zu.
In der Dunkelheit waren selbst scharfe Konturen kaum zu erkennen. Erst beim zweiten Hinsehen bemerkte der stämmig gebaute junge Mann, daß zwei der Kerle offenbar einen dritten in die Mitte genommen hatten. Sie hielten ihn unter den Achselhöhlen und schleiften ihn mit sich.
Guilielmo erschrak.
Dieser hilflose, anscheinend bewußtlose Mann hatte die Statur seines Vaters.
Sie bewegten sich auf leisen Sohlen. Deshalb war deutlich zu hören, wie die Kappen seiner einfachen Schnallenschuhe über das Steinpflaster schleiften.
Die Kerle schlichen stadteinwärts davon.
Guilielmos Erschrecken wuchs zur Panik. Etwas wie ein glühender Klumpen füllte seinen Magen aus.
Jeden Tag hatten sie damit gerechnet, daß Don Vito seine Schergen schicken würde. Guilielmo preßte die Zähne aufeinander, daß es knirschte. Ausgerechnet jetzt, als sein Vater allein gewesen war, hatte es geschehen müssen!
Kurz entschlossen löste er sich aus dem Hauseingang und folgte den Kerlen mit lautlosen Schritten. Die Dunkelheit schützte ihn. Sie würden ihn nicht entdecken. Er kannte sich mindestens genausogut aus wie sie, wenn nicht besser. Dies war das Hafengebiet, sein zweites Zuhause. Hier konnte ihm niemand ein Schnippchen schlagen. Er kannte alle verborgenen Wege, jeden geheimen Winkel, jede Abkürzung.
Mit einem Abstand von dreißig bis vierzig Schritten blieb er hinter den Kerlen, von denen er überzeugt war, daß es Borsinis Handlanger waren. Sie schleiften seinen Vater noch immer. Neues Entsetzen durchzuckte ihn.
Hatten sie ihn womöglich getötet?
Nein, ausgeschlossen, unmöglich. Das konnten sie nicht tun. So weit waren sie noch niemals gegangen. Gewiß, sie hatten ihre Opfer verprügelt, sie blutig geschlagen – in den schlimmsten Fällen. Aber vor eiskaltem Mord waren sie bisher immer noch zurückgeschreckt.
Niemand begegnete den Kerlen, als sie nach wenigen Minuten in einen anderen Hinterhof schlüpften. Es handelte sich um die Faktorei eines spanischen Handelsmannes, den Guilielmo gut kannte. Der Spanier lebte in einem Stadthaus wie die Modugnos. Um diese Zeit würde in der Faktorei also niemand mehr anwesend sein.
Guilielmo verlangsamte seine Schritte. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Die Angst hämmerte in seinem Brustkorb. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er konnte nicht so verrückt sein, zu versuchen, es mit sieben Gegnern aufzunehmen.
Es lief darauf hinaus, daß er nichts tun konnte, um seinem Vater zu helfen. Eine Tatsache, die ihn fast um den Verstand brachte.
Der Hof der Faktorei war mit einer Steinmauer eingefriedet. Guilielmo schob sich an der Fassade des Haupthauses vorbei und stieg vorsichtig auf den Sockel der Umfassungsmauer.
Indem er sich an den Rundsteinen der Mauerkrone festhielt, zog er sich so weit hoch, daß er einen vorsichtigen Blick riskieren konnte. Zum Glück gab es in der Nähe keine Laterne, deren Licht ihn verraten hätte.
Eine Klinge blitzte.
Ein Dolch.
Mit knapper Mühe konnte Guilielmo verhindern, daß er aufschrie. Im nächsten Moment war alles an ihm wie gelähmt – seine Muskeln, seine Stimmbänder.
Sie hatten seinen Vater auf den Boden gelegt. Einer stach auf ihn ein, immer wieder.
Oreste Modugno bäumte sich nur kurz auf, erwachte aber nicht wieder aus seiner Bewußtlosigkeit.
Tränen rannen über Guilielmos Wangen. Er haßte sich dafür, daß er nichts tat – dafür, daß er zusah, wie sein Vater getötet wurde und dafür, daß er es als einen völlig normalen Vorgang hinnahm. Himmel, er stand einfach da, lugte über die Mauer und sah seinen Vater sterben!
Er begriff in diesem Moment nicht, daß es ein Rest von Vernunft war, der ihn davon abhielt, sich ins Verderben zu stürzen. Ein Instinkt bewahrte ihn vor dem sicheren Tod. Dieser Instinkt war es auch, der sich nach und nach durchsetzte und ihn die Lage überblicken ließ.
Er hätte den Tod seines Vaters unter keinen Umständen verhindern können. Dazu war die Übermacht zu groß. Ihm blieb nur, Rache zu üben. Um das tun zu können, durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das Geschäft galt nichts mehr. Sein künftiges Leben würde auf die Rache ausgerichtet sein.
Er würde nur noch dafür leben, Don Vito Borsini zu vernichten.
Das schwor er sich in diesem Augenblick, während er beobachtete, was sie taten.
Aus einer Remise holten sie einen zweiachsigen Frachtwagen. Andere führten gleichzeitig ein Pferd aus dem Stall ins Freie, dirigierten es in die Gabel und schirrten es an. Dann packten alle mit an, um den langen Steintrog auszuleeren, der als Tränke gedient hatte.
Einer öffnete die Heckklappe des Wagens, und dann wuchteten sie den schweren Trog auf die Ladefläche.
Sie zogen Ketten unter dem Trog hindurch.
Guilielmo Modugno begriff, noch bevor sie seinen toten Vater auf den Wagen hoben. Der Steintrog sollte sein Sarg werden. Sie senkten ihn hinein und spannten die Ketten über seinen leblosen Körper, indem sie Kettenglieder ineinanderschoben und mit Stahlsplinten sicherten.
Ohnmächtiger Zorn schnürte Guilielmos Kehle zu. Er hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Welche Art von Grab hatten sie für seinen armen Vater vorgesehen?
Es gehörte keine große Phantasie dazu, sich das auszumalen.
Die Kerle legten eine Persenning über den Trog mit dem Toten. Zwei Mann stiegen auf den Kutschbock, und der Rest folgte dem Wagen zu Fuß. Sie hatten sich im Hof der Faktorei mit der größten Selbstverständlichkeit bedient.
Darmowy fragment się skończył.