Seewölfe - Piraten der Weltmeere 515

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 515
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-923-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Die Falle

Drake glaubte die „Empress“ sicher – doch O’Flynn drehte den Spieß um …

Heiser brüllend stürmten die Soldaten den Strand hinauf. Den Gegner, den es jetzt noch nicht gab, sollte dieses Gebrüll demoralisieren.

Rufus Quaile fluchte, als der mit dem linken Stiefel irgendwo festhakte. Lang schlug er hin, die Muskete bohrte sich mit dem Lauf in den Sand, der Helm rollte ihm davon. Seine Kameraden stürmten grinsend weiter.

Quaile wollte sich aufrappeln. Ein Tritt in den Hintern schleuderte ihn erneut mit der Nase in den Dreck. Wütend warf er sich herum und stützte sich mit dem Ellenbogen auf.

Mahoney, dieser Schinder von einem Corporal, stand breitbeinig vor ihm. Wieder trat er zu. Diesmal traf er Quaile in die Seite. Der Soldat schrie vor Schmerzen.

Die Hauptpersonen des Romans:

Donegal Daniel O’Flynn – Was ihm und seinen Mannen auf der „Empress“ widerfährt, hätten sie sich auch in den schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen können.

Francis Drake – Wieder einmal ist er zu einem Raid in die Karibik aufgebrochen, aber dunkle Wolken ziehen auf.

John Hawkins – Der alte Admiral ist krank, hat aber immer noch eine scharfe Zunge.

Rufus Quaile – Der Seesoldat aus Schottland wird gezüchtigt und beschließt mit seinem Freund Fintan Stanley, von der Fahne zu gehen.

Mahoney – Der Corporal ist ein Menschenschinder, aber auch seine Bäume wachsen nicht in den Himmel.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

„Mit dir können wir keinen Krieg gewinnen, Quaile“, sagte der Corporal spöttisch. „Es sei denn, die Dons lachen sich tot, wenn sie dich sehen.“

Rufus Quaile streckte sich, überwand die Schmerzen und schaffte es, sich aufzusetzen. Ohnmächtiger Zorn loderte in ihm. Ohne daß er es verhindern konnte, zuckte seine Rechte reflexartig zum Griff des Entermessers. Die Hand noch auf dem Griff, erstarrte er in jähem Erschrecken.

Mahoneys Augen verengten sich. Er zog seine Pistole und ließ sie am langen Arm baumeln.

„Laß dich nicht zu einer Dummheit hinreißen“, sagte der Corporal kaum hörbar. „Du weißt, was Widerstand gegen einen Vorgesetzten bedeutet. Ich habe das Recht, dich auf der Stelle zu töten. Und das würde geschehen, bevor du dein Messer aus der Scheide hast.“

Quaile wußte, daß es kein dummes Zeug war, das der Corporal da faselte. Es hätte den sicheren Tod bedeutet, mit der Blankwaffe auf ihn loszugehen. Nie sollte man etwas überhastet tun, das war immer sein Grundsatz gewesen. Wenn er sich nun doch fast ins Unglück gestürzt hätte, dann lag das an Mahoney, der ihn bis aufs Blut reizte.

Dieser grobschlächtige Kerl, der aussah wie ein vollgefressener Fleischerhund, hatte eine Visage, die tatsächlich an einen Bullenbeißer erinnerte. An diese bärenstarken Kampfhunde erinnerte denn auch sein Verhalten. Außer Schikane, Fußtritten und Prügel war von ihm nicht viel zu erwarten.

Langsam nahm Quaile die Hand vom Messergriff.

„Tut mir leid, Sir“, sagte er mit fester Stimme. „Hab’ mich da vertan. Bedrohen wollte ich Sie ganz gewiß nicht. Muß wohl an dem Sturz liegen, daß mir ein bißchen wirr im Kopf war.“

„Das ist bei dir auch dann der Fall, wenn du nicht auf die Schnauze fliegst.“ Mahoney lachte, und sein mächtiger Oberkörper bewegte sich dabei auf und ab. Es sah aus, als ob sich sein Brustkasten mit einem Hüpfen verselbständigt hätte. Er schüttelte den Kopf in gespieltem Mitleid. „Quaile, Quaile, was bist du doch für eine selten dumme Nuß. Stolperst über deine eigenen Plattfüße! Kann mir schon vorstellen, warum sie dich in deinem schottischen Kuhdorf nicht frei rumlaufen ließen!“ Mahoneys Lachen steigerte sich zu einem Meckern.

Weiter oben, zwanzig Yards entfernt, ertönten die Kommandos von Sergeant Carrigan, der beide Gruppen in Deckung gehen und sich auf den Sturmangriff vorbereiten ließ.

Rufus Quaile mußte alle innere Kraft aufbringen, um sich zusammenzureißen. Das war es. Haargenau das war es immer schon gewesen! Mahoney bildete sich etwas darauf ein, aus dem stinkenden Dreckloch von London zu stammen.

Dort hockten die Menschen so dicht aufeinander, daß alle Augenblicke die schlimmsten Pestilenzen wüteten. Und dann waren sie neidisch auf das Bauernpack, das die frische und reine Landluft atmete und so unverschämt selten krank wurde.

Quaile hatte den Fehler begangen, vor längerer Zeit bei Bier und Rum aus seinen frühen Jahren zu erzählen – darüber, wie er als Findelkind bei einem reichen Farmer in Glenmarren aufgewachsen war, wie man ihn als niedere Arbeitskraft geknechtet und ihm nicht erlaubt hatte, den Hof zu verlassen außer zum sonntäglichen Kirchgang.

Bei Nacht und Nebel war er eines Tages entwischt, hatte sich bis zum nahen Edinburgh durchgeschlagen und sich dann bei einem Rekrutierungskommando der königlichen Lissy für den Dienst in der Navy gemeldet. Seitdem, als Seesoldat, fühlte er sich so frei wie nie zuvor in seinem Leben.

Nur wenn Mahoney, der Schottenhasser, sich über ihn lustig machte, spürte Rufus Quaile jenen Jähzorn in sich aufsteigen, den ihm seine unbekannte schottische Mutter und sein unbekannter schottischer Vater vererbt haben mußten.

Seit der Schinder Mahoney seine Geschichte kannte, nutzte er jede Gelegenheit, um ihn damit zu kujonieren. Niemand sonst in seiner Einheit verhielt sich so niederträchtig. Und es gab eine Menge Engländer, auch etliche Waliser. Die Schotten konnte man an den Fingern zweier Hände abzählen. Aber man vertrug sich, denn man war eine verschworene Gemeinschaft.

Mahoney gehörte nicht zu dieser Gemeinschaft – im Gegensatz zu einigen anderen Sergeants, die eben das bessere Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Männern hatten.

„Darf ich sagen, weshalb ich gestolpert bin?“ fragte Rufus Quaile erbittert.

Mahoney blinzelte und runzelte die Stirn.

„Das habe ich dir doch schon gesagt: Deine eigenen Plattfüße waren schuld dran.“ Wieder wollte er sich ausschütten vor Lachen.

Quaile wartete geduldig, bis sich der bullige Kerl beruhigt hatte. Dann hob er das rechte Bein ein Stück und klappte die Sohle um, die etwa bis zur Mitte des Stiefels lose war.

„Das ist der Grund, Sir. Ich habe mich schon vor drei Wochen beim Bordschuster angemeldet. Aber mir scheint, daß wir im gesamten Verband nur einen von der Sorte haben. Klar, daß der seine Arbeit nicht schafft. Und mit der anderen Ausrüstung ist es auch nicht zum besten bestellt. Unsere Kleidung …“

„Schluß!“ fuhr ihn der Corporal schneidend an. „Ich will das nicht gehört haben. Klar? Weißt du, was dir sonst passieren könnte?“

Quaile schüttelte den Kopf und sah ihn mit großen Augen fragend an.

„Nein, Sir. Warum? Ich habe doch nur gesagt, wie es ist. Davon ist doch nichts erlogen.“

„Was verstehst du schon!“ rief Mahoney schnaubend. „Dein Gerede ist aufmüpfig, verstanden? Damit könntest du andere zur Meuterei anstiften. Hüte dich, verdammter Narr! Wenn ich das Admiral Hawkins melde, läßt er dich gleich an die Rah hängen. So was ist normalerweise ein Fall für das Kriegsgericht. Begriffen?“

Rufus Quaile schluckte trocken hinunter. Ja, er hatte begriffen. Für ihn, den kleinen Seesoldaten, gab es kein Recht, die Dinge beim Namen zu nennen. Wenn er mit halbzerrissenen Stiefeln und schlechtsitzender Kleidung in den Kampf ziehen sollte, dann mußte er das eben als gottgegeben hinnehmen. Ebenso auch die Tatsache, daß er Kanonenfutter war. Die werten Admirale hockten gemütlich auf ihrem alten Hintern und beobachteten mit dem Spektiv, wie sich das primitive Fußvolk auf Befehl die Köpfe einschlagen ließ.

Und Schweinehunde wie Mahoney durften außerdem noch ungestraft ihre sämtlichen Launen an dem kleinen Seesoldaten auslassen. Es war ein unwürdiges Leben. Es war genauso unwürdig wie damals in Glenmarren. Gäbe es nicht die grenzenlose Freiheit auf See, wäre dieses Leben für Rufus Quaile schon lange nicht mehr zu ertragen gewesen. Nichts hatte ihn jemals in seinem Leben so sehr beeindruckt wie die endlose Weite des Meeres.

Stets war er bereit gewesen, auf See zum Wachdienst eingeteilt zu werden. Bei Nacht fast allein an Deck zu sein und Zwiesprache mit den Sternen und der Unendlichkeit zu halten, das gab ihm ein Gefühl überschwenglichen Glücks.

Vielleicht lag es daran, so hatte er oft überlegt, daß Glenmarren in einem Tal lag und er dort immer nur die Berghänge und ein Stück vom Himmel gesehen hatte. Auf See hatte er gelernt, wie riesengroß diese Welt sein mußte.

 

Neuerdings aber, in dieser sogenannten Neuen Welt, bereitete ihm der Dienst kaum noch Freude. Die Schikanen Mahoneys wurden immer schlimmer.

„Ja, ich habe begriffen“, sagte Rufus Quaile leise und rappelte sich auf. Er zog die Muskete aus dem Sand und beeilte sich, zu den anderen zu gelangen. Dabei klang die lose Stiefelsohle, als ob jemand im Schrittrhythmus in die Hände klatschte.

Drei Tage waren vergangen, seit Hasard junior den englischen Verband erspäht hatte. Der Beobachtungsposten auf dem Vulkanfelsen war inzwischen allen Männern der „Empress of Sea“ wohlvertraut. Denn Dan O’Flynn hatte angeordnet, den Verband der Admirale Hawkins und Drake Tag und Nacht im Auge zu behalten.

Es war der Vormittag des 3. November 1595, als Dan O’Flynn gemeinsam mit Edwin Carberry auf den Felsen kletterte, um Sven Nyberg und Nils Larsen abzulösen.

„Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete Nyberg und unterdrückte ein Gähnen. „Sie haben wieder ein bißchen Landemanöver geübt, und jetzt fangen sie wieder mal an, Trinkwasser zu bunkern. Langweiliger geht’s kaum noch.“

„Verzieht euch an Bord“, sagte Ed Carberry mit verhaltenem Grollen. „Mac Pellew hat die Kakerlaken aus dem Mehl gezupft und zum Frühstück ein paar feine Pfannkuchen gebacken.“

„Ohne frische Eier?“ entgegnete Larsen mißtrauisch. „Soll das ein Witz sein, oder schmeckt’s tatsächlich?“

„Kein Witz“, sagte Dan O’Flynn lächelnd. „Was eine erfahrene Kombüsenratte ist, die zaubert auch aus den einfachsten Mitteln einen Leckerbissen.“

„Nur Bornholmer Räucherheringe nicht“, sagte Ed Carberry augenzwinkernd. „Da ist sogar der große Mac mit seinem Latein am Ende.“

Die beiden Dänen wechselten einen Blick. Natürlich war ihnen klar, daß sich hier wieder mal ein Scherz auf ihre Kosten anbahnte. Die Bornholmer – und damit meinte man vor allem die goldgelb geräucherten Heringe, weniger die Bewohner der Insel – waren so etwas wie ein Nationalheiligtum. Etwas, dessen man sich überall auf der Welt rühmen konnte, sofern man ein Däne war. Ja, was die Bornholmer anbelangte, war man einfach über alle Sticheleien erhaben.

„Himmel!“ rief Nils Larsen und verdrehte verzückt die Augen. „Ein Königreich würde ich geben – für einen einzigen Bornholmer!“

„Na und?“ entgegnete Ed. „Läßt sich das denn nicht einrichten? Bei nächster Gelegenheit fangen wir ein paar Karibik-Makrelen, dann bringen wir den Räucherofen wieder in Gang, und der Kutscher und Mac Pellew werden in Gemeinschaftsarbeit die schönsten Bornholmer zaubern, die ihr euch vorstellen könnt.“

Die Dänen verzogen entsetzt das Gesicht.

„Makrelen sind keine Heringe“, sagte Sven Nyberg empört. „Und die Karibische See ist nicht die Ostsee.“

„Da sehe ich keinen großen Unterschied.“ Carberry zog die Schultern hoch.

„Wie solltest du auch“, erwiderte Larsen bissig. „Wer keinen richtigen Geschmackssinn hat, merkt so was ja auch nicht. Sven hat natürlich völlig recht. Erstens haben wir hier keine Ostseeheringe, und Makrelen sind kein Ersatz. Zweitens hängt’s von vielen anderen Dingen ab. Das fängt mit dem Salzgehalt des Wassers an, und das hört auf mit dem besonderen Klima von Bornholm, wo sie die Heringe nach dem Räuchern in der frischen Luft aufhängen.“

Dan O’Flynn räusperte sich energisch.

„Ich schlage vor, daß die Gentlemen ihre Diskussion an Bord fortsetzen. Du, Mister Carberry, kannst dich dann später immer noch daran beteiligen.“

Die Dänen zogen los. Dan O’Flynn genoß als derzeitiger Kapitän der „Empress of Sea“ allen Respekt. In mancherlei Hinsicht war der Dienst mit ihm sogar angenehmer als mit dem bisweilen verbohrten Old Donegal. Wegen Beinbruchs auf der „Isabella“ zurückbleiben zu müssen war dem alten Zausel wohl nur dadurch verlockend erschienen, bald zu seiner geliebten Mary, geborene Snugglemouse, zurückkehren zu können, zumal Mary „etwas Kleines“ erwartete.

Dan O’Flynn und Ed Carberry richteten sich auf dem rauhen Vulkanfelsen häuslich ein und beobachteten jene weite Bucht, in der sich am 30. Oktober Entscheidendes entwickelt hatte.

Noch immer lagen die 27 Schiffe vor Anker. Ihre Bucht befand sich etwa eine Meile östlich der Ankerbucht der „Empress of Sea“. Die gerissenen alten Knaben, die den Verband führten, hatten natürlich genau gewußt, daß man hier, an der Südküste von Guadeloupe, verhältnismäßig ungestört war und sich in aller Ruhe auf das vorbereiten konnte, was man plante.

Eben diese Vorbereitungen zogen die Gentlemen Hawkins und Drake denn wohl auch seelenruhig in die Länge. Oder war es etwa Unschlüssigkeit? Bedauerlich, daß man auf die Entfernung nicht hören konnte, was an Bord des Flaggschiffs und der fünf anderen großen Kriegsschiffe gesprochen wurde.

„Da tut sich etwas“, sagte Dan O’Flynn unvermittelt.

„Wo?“ Ed Carberry sah ihn fragend von der Seite an.

Dan, der die schärfsten Augen aller Arwenacks hatte, brachte es glatt fertig, eine Kakerlake zu erspähen, die auf dem Kombüsenschott des Flaggschiffs herumkrabbelte.

„Auf dem Achterdeck bei Hawkins“, erwiderte Dan. „Die Gentlemen versammeln sich. Würde mich nicht wundern, wenn der Admiral gleich höchstpersönlich erscheint.“

Carberry spähte hinunter, nickte und schwieg einen Moment.

„Und auf der ‚Defiance‘ fieren sie ein Beiboot ab!“ rief er unvermittelt. „Scheint wohl so, als ob da ein Admiral den anderen besucht, was, wie?“

„Richtig“, sagte Dan. „Da ist Sir John. Er wird von zwei jungen Offizieren gestützt. Siehst du ihn?“

„Klar.“ Carberry fischte sein Spektiv aus der Lederschlaufe am Hosengürtel, zog es auseinander und hob es ans Auge. „Himmel, Arsch und Zwiebelfisch“, brummte er. „Der ehrenwerte Admiral sieht immer noch aus wie seine eigene Leiche!“

Dan konnte nicht widersprechen. Hawkins mußte ungefähr siebzig Jahre alt sein – für viele Menschen ein Alter, von dem sie nicht einmal zu träumen wagten. Auch Drake, hoch in den Fünfzigern, zählte gewissermaßen schon zu den Greisen, die ihr ungewöhnlich langes Leben gütigen Fügungen des Schicksals verdankten.

„Scheint so, als ob du recht hast“, murmelte Dan. „Drüben auf der ‚Defiance‘ gibt sich dein besonderer Freund die Ehre.“

In der Tat erschien Sir Francis Drake an Deck und enterte über die Jakobsleiter in das bereits bemannte Boot ab. Für Carberry war es wie beim ersten Male, am 30. Oktober, als er den Admiral nach langen Jahren wiedergesehen hatte. Die Zeiten, in denen er als Profos auf der „Golden Hind“ gedient hatte, waren in seiner Erinnerung jäh wieder aufgetaucht.

Drake war alt geworden, gewiß, aber er war herrisch wie eh und je. Carberry mußte sich beherrschen, damit ihm die Wut im Bauch auch diesmal nicht den Magen umdrehte. Er konnte nicht vergessen, wie niederträchtig sich der ehrenwerte Sir Francis ihm gegenüber damals verhalten hatte.

2.

Die Männer auf den Duchten der großen Jolle waren einfache Decksleute. Sie pullten mit kraftvollen Zügen, um zu zeigen, wie gut sie ihr Handwerk verstanden. Indessen hatten sie alle die leise Befürchtung, daß der Admiral ihre Bemühungen nicht einmal zur Kenntnis nahm.

Umgekehrt allerdings, wenn auch nur einer von ihnen Nachlässigkeit an den Tag gelegt hätte, wäre eine harte Bestrafung die sofortige Folge gewesen. In so einem Fall konnte es passieren, daß sämtliche Bootsgasten die Neunschwänzige zu spüren kriegten. Einfach, weil es zu schwierig war, den einen Schuldigen herauszufischen. Und weil die kollektive Bestrafung als ein praktikables disziplinarisches Mittel galt. Es führte dazu, daß gewissermaßen einer den anderen erzog.

Sir Francis Drake stand hoch aufgerichtet vor der Achterducht, flankiert von zwei First Lieutenants. Junge Offiziere, die an diesem Tag für den Dienst als Adjutanten eingeteilt worden waren. Drake blickte über die Männer hinweg, die sich aus Furcht vor ihm an den Riemen abmühten.

In den Altersfalten seines harten Gesichts spiegelten sich die Jahre, in denen es von rauher Seeluft und vom feuchten englischen Klima gegerbt worden war. Doch ihm war auch anzusehen, daß er nichts von seiner unbeugsamen Härte verloren hatte. „El Draque“, wie ihn die Spanier nicht ohne Respekt nannten, wollte es noch einmal wissen.

Mit dieser Fahrt, so wurde in der Mannschaft gemunkelt, wollte sich Drake ein Denkmal setzen. Und er wollte den alten Hawkins dabei ausstechen, mit dem er sowieso in ständigem Zank lebte. Für Offiziere und Besatzungen aller 27 Schiffe war dies eindeutig erkennbar.

Niemand konnte indessen verstehen, warum Hawkins und Drake ihre Zwistigkeiten in aller Öffentlichkeit austrugen. Warum, so fragte man sich, taten sie das nicht im stillen Kämmerlein? Offiziere pflegten sich an die Regel zu halten, Auseinandersetzungen niemals vor niederen Dienstgraden auszufechten.

Waren die beiden alten Wölfe schon so versponnen, daß sie sich daran weideten, in aller Öffentlichkeit mit Worten aufeinander loszudreschen?

Die Gedanken, die Sir Francis Drake hinter seinen starren Gesichtszügen bewegten, waren völlig anderer Art. Er hatte um das Gespräch mit Hawkins ersucht, und der alte Erzhalunke hatte wieder einmal lange gezögert, ehe er sich zu einer gnädigen Audienz bequemt hatte. Das sah ihm ähnlich. Erstens wollte er sich aufspielen und seinen Rang als Dienstälterer hervorkehren. Zweitens entsprach es seiner umständlichen Art, hin und her zu überlegen, ehe er zu einer Entscheidung gelangte.

Auf dem Achterdeck der „Elizabeth Bonaventure“ hatten sie bereits Aufstellung genommen. Hawkins lehnte an der Heckbalustrade, direkt unter der mächtigen Laterne. Zwei junge Lieutenants standen jedoch auf dem Sprung, um ihn zu stützen, sobald er das geringste Anzeichen von Schwäche zeigte.

Die „Elizabeth Bonaventure“ war ein stolzes Schiff, stark armiert und mit einem aufwendig verzierten Achterkastell. Zusammen mit der „Defiance“, die sich ebenfalls sehen lassen konnte, repräsentierte sie die Stärke Englands, der aufstrebenden Seemacht, die unter ihrer stolzen Königin Elizabeth I. zu immer größerer Schlagkraft ausgebaut wurde.

Ja, Elizabeth gehörte nach Drakes Meinung alle Zukunft. Er war froh, daß sie dieser Mission, die er gemeinschaftlich mit Hawkins durchführte, zugestimmt hatte. Sir Francis schätzte die Königin als eine Person von brillanter Intelligenz. Dagegen verblaßte der spanische Philipp geradezu als Einfaltspinsel.

Die Wesensart der beiden Majestäten versinnbildlichte für so manchen Engländer denn auch die Stellung ihres Inselreichs im Vergleich zu Spanien. Auf der einen Seite Elizabeth – klug, stolz, unbeirrbar und vorausschauend. Auf der anderen Seite Philipp II. – dumm, aufgeblasen, wankelmütig und kurzsichtig. Auf die Dauer – davon waren Drake und seine Gesinnungsgenossen felsenfest überzeugt – würde England den längeren Atem haben. England gehörte die Zukunft.

Der Anfang sollte mit dem Hawkins-Drake-Verband gesetzt werden.

Die Dons mußten endlich einmal mit Pauken und Trompeten darauf hingewiesen werden, daß die Neue Welt nicht ihnen allein gehörte.

Drake kehrte in die Wirklichkeit zurück, als die Jolle auf die hoch und wuchtig aufragende Bordwand des Flaggschiffs zuglitt. Die Bootsgasten stellten die Riemen senkrecht, und der Bootssteurer brachte die Jolle so in Position, daß der Admiral nur zwei Schritte zu tun brauchte, um die Jakobsleiter zu erreichen.

Oben wartete er bei der Pforte im Schanzkleid, bis die beiden First Lieutenants hinter ihm waren. Der Bootsmann der „Elizabeth Bonaventure“ hatte unterdessen sein Erscheinen zum Achterdeck gemeldet. Mit den Adjutanten setzte sich Drake in Bewegung.

Er genoß die Blicke, mit der die Gentlemen von der Schiffsführung ihm entgegensahen. Sie wußten nicht, was sie von ihm zu erwarten hatten. In gewisser Weise war das gut so, denn vor jemandem, der allzu berechenbar war, hatte man gemeinhin weniger Respekt.

Drake enterte über den Backbordniedergang auf. Die First Lieutenants folgten ihm und vergrößerten ihren Abstand auf drei Schritte. Die Offiziere des Flaggschiffs entboten dem Admiral einen gezirkelten Gruß. Drake erwiderte die Ehrbezeigungen und salutierte seinerseits vor Hawkins.

Der alte Admiral hob nur müde die rechte Hand. Seine Gesichtshaut lag bleich, faltig und dünn wie Pergament über den Wangenknochen. Glanzlos ruhten die Augen tief in ihren Höhlen. Sir John Hawkins sah wahrhaftig so aus, wie man sich den wandelnden Tod vorstellte.

 

„Sie wollen mich sprechen“, sagte Hawkins. Es war eine Feststellung, keine Frage. Seine Stimme klang wie brüchiges Segeltuch, das von wechselnden Winden geschlagen wird.

„Ja, Sir“, erwiderte Drake gleichmütig. Er stand kerzengerade, in seinem Gesicht regte sich kein Muskel. „Es handelt sich um die Dauer unseres Aufenthalts.“

Um Hawkins’ blasse Lippen spielte ein Lächeln.

„Es geht Ihnen mal wieder nicht schnell genug, Sir Francis, was?“

„Ich entnehme aus Ihren Worten einen gewissen Spott, den ich für nicht angebracht halte“, entgegnete Drake eisig.

„Nun, vermutlich können Sie so eine Behauptung auch begründen.“

„Allerdings, Sir John. Ich meine, San Juan sollte uns jetzt mehr am Herzen liegen als alles andere. Die Zeit drängt. Je schneller wir nach Puerto Rico segeln, desto sicherer ist uns der Erfolg.“

Das Lächeln schwand aus dem Totenkopf gesteht des alten Admirals.

„Wir werden nichts überstürzen“, sagte Hawkins mit einer plötzlichen Schärfe, die angesichts seiner mutmaßlichen Schwäche nicht zu erwarten gewesen war. Es zeigte sich damit jedoch, daß er keineswegs schon so gebrechlich war, wie er auf den ersten Blick aussah. „Der Ausbildungsstand der Soldaten ist miserabel. Während der Reise über den Atlantik hatten wir bekanntlich keine Gelegenheit, viel daran zu verbessern. Der Waffendrill allein bringt noch lange keinen guten Kämpfer hervor. Die Leute brauchen ein Minimum an Ausbildung. Darauf bestehe ich. Sie werden mich nicht umstimmen, Sir Francis.“

Drake zog zornig die Brauen zusammen. Furchen bildeten sich auf seiner Stirn. Der starrsinnige alte Bastard mußte mal wieder mit dem Kopf durch die Wand.

„In ein paar Tagen mehr oder weniger werden wir den Ausbildungsstand auch nicht wesentlich verbessern“, sagte er frostig. „Außerdem wird die Masse unserer Soldaten den Ausschlag geben. Wenn wir San Juan schleunigst angreifen, werden wir die Übermacht sein. Zögern wir aber immer und immer wieder, werden die Dons ihre Festung weiter ausbauen. Wir müßten dann mit bösen Überraschungen rechnen.“

„Sie widersprechen sich“, sagte Hawkins spöttisch. „Vor Beginn unserer Reise haben Sie die Spanier noch als arglos und tölpelhaft bezeichnet. Jetzt auf einmal sollten sie so raffiniert sein, sich auf eine Gefahr aus heiterem Himmel einzurichten?“

Drake wurde blaß vor Wut.

„Ich lasse mir nicht die Worte im Mund umdrehen!“ fauchte er. „Ich begegne Ihnen mit vernünftigen Überlegungen, und Sie versuchen, mich mit Lächerlichkeiten abzuspeisen. Ich sage es noch einmal: Wir verplempern unsere Zeit.“

Hawkins straffte seine Haltung so unvermittelt, daß seine Adjutanten besorgt in Habtachtstellung gingen. Zornesadern schwollen an den pergamenthäutigen Schläfen des greisen Admirals. Jedes einzelne seiner Worte klang wie eine Ohrfeige.

„Wenn Sie meine Argumente für Lächerlichkeiten halten, sehr Verehrter Sir Francis, dann dürfte unsere Unterredung überflüssig sein. Bitte, betrachten Sie dieses Gespräch daher als beendet. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir demnächst ankerauf gehen und uns einen neuen Ankerplatz für weitere Landeübungen suchen werden. In der Zwischenzeit hat die Ausrüstung der Soldaten verbessert zu werden. Ich erwarte von Ihnen, daß auch Sie sich darum kümmern.“

Sekundenlang starrte Drake den älteren Mann aus zusammengekniffenen Augen an.

„Eines Tages werden Sie begreifen, daß ich recht habe“, zischte Drake.

„Nun, auf diesen Tag bin ich aber gespannt“, entgegnete Hawkins herablassend. „Ich danke Ihnen für die Unterredung, Sir Francis, und erlaube Ihnen, sich abzumelden.“

Drake hob die Rechte zu einem hastigen Gruß und vollführte eine ruckartige Kehrtwendung.

Es war der Vormittag des 4. November, als Dan O’Flynn die Zwillinge auf dem Vulkanfelsen aufsuchte, um sich nach etwaigen Neuigkeiten zu erkundigen.

„Landeübungen und Trinkwasser-Bunkern sind eingestellt worden“, meldete Hasard junior.

„Vorbereitungen zum Auslaufen haben begonnen“, fügte Philip junior hinzu.

Dan stieß einen Pfiff aus. Es überraschte ihn, daß es eine Wende gab. Hatte das Streitgespräch zwischen Drake und Hawkins dazu beigetragen?

Auf jeden Fall schien das offenkundig gespannte Verhältnis zwischen den beiden Admiralen einiges an Zündstoff in sich zu bergen.

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