Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 402»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-810-2
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Burt Frederik
Im Tor zur Hölle
Die Kriegsgaleone stieß in den Felsendom vor – das war ihr Untergang …
In den Nachmittagsstunden des 22. Juli 1594 hat der spanische Kampfverband den Hafen von Remedios auf Kuba verlassen – sechs Kriegsgaleonen und drei Kriegskaravellen. Aber noch sechs andere Segler haben sich dem Verband hinzugesellt: schnelle und seetüchtige Schaluppen, armiert mit Drehbassen und besetzt mit Seesoldaten. Capitán Cubera hatte hinzugelernt, denn die sechs Schaluppen sollten ihm als Wachhunde dienen, deren Aufgabe es sein würde, den Verband auf seinem Marsch zur Schlangen-Insel zu umkreisen und abzuschirmen, vor allem in der Nacht. Vielleicht würde es ihnen nun endlich gelingen, den nächtlichen Angreifer zu stellen, der bisher so zäh und erfolgreich zugeschlagen hatte …
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Die Umrisse der Kriegsschiffe waren in der Dunkelheit mehr zu ahnen, als wirklich zu erkennen. Mächtige, drohende Schatten waren es, die der Nordostwind über das Karibische Meer trieb – unaufhaltsam und wie von einem Eigenleben beseelt, das nur den einen unerschütterlichen Willen kannte: Kurs auf die Schlangen-Insel. Tod den blutrünstigen Piraten unter dem Engländer Philip Hasard Killigrew!
Ja, mit ihren schattenhaften Silhouetten wirkten jene Kriegsgaleonen und Kriegskaravellen wie urwelthafte Wesen, deren ruhiges Dahinrauschen ein trügerisches Bild vermittelte. Von den Schaluppen wie von bissigen Wachhunden abgeschirmt, würden sie sich in Minutenschnelle in Feuer und Eisen speiende Ungeheuer verwandeln. Eine geballte, tödliche Vernichtungskraft würde sich dabei entwickeln, gegen die nur ein fast übermenschliches Maß an Entschlossenheit und Tapferkeit zur Verteidigung ausreichen mochte.
Don Juan de Alcazar war kein Mann, der sich von düsteren Stimmungen in einen Gedankenwinkel treiben ließ, in dem es keine Klarheit mehr gab. Auch unter den widrigsten Umständen war er ein Mann der Tatkraft und der nüchternen Überlegtheit. Der Seewolf und seine Gefährten hatten dies erkannt, als er noch im feindlichen Lager gestanden hatte. Jetzt aber, da er sich auf die Seite des Bundes der Korsaren geschlagen hatte, war er bereit, die Ziele seiner neugewonnenen Freunde mit aller Kraft zu verfolgen.
An diesem Abend des 22. Juli Anno 1594 vermochte Don Juan indessen einen Hauch von Unbehagen nicht zu unterdrücken. Sicherlich lag das mehr an der Vorstellung dessen, was den Verteidigern der Schlangen-Insel bevorstand. Würde den Männern um Philip Hasard Killigrew überhaupt genügend Zeit bleiben, um sich auf den unvermeidlichen Großangriff vorzubereiten?
Und wie sah es mit ihren Chancen aus, im Kampf gegen Capitán Cubera zu bestehen? Don Juan kannte den Verbandsführer. Ein erfahrener Seeoffizier, an dem sich schon mancher Gegner die Zähne ausgebissen hatte. Cubera hatte das Seekriegshandwerk in jenen großen Kämpfen erlernt, die sicher noch in den Geschichtsbüchern späterer Jahrhunderte Erwähnung finden würden. Zweifellos war dieser Mann dem Seewolf ebenbürtig.
Die Überlegenheit des in Havanna zusammengestellten und später ergänzten Kampfverbandes beruhte jedoch neben seiner Feuerkraft auch auf der Zahl der an Bord befindlichen Seesoldaten und Seeleute. Insgesamt zweitausend Mann mußten es jetzt wieder sein, gegen die der Bund der Korsaren rein zahlenmäßig wie ein Zwerg wirkte. Nur durch Klugheit und geschickte Taktik konnten Killigrew und seine Freunde gegen diese Übermacht vielleicht bestehen.
Die Ungewißheit war es, die Don Juan in verschiedener Hinsicht plagte. Neben dem Schicksal des Bundes der Korsaren ging es vor allem um die Frage, ob er durch seine Störangriffe auf den Verband für genügend Aufschub gesorgt hatte.
Und jetzt, da er vom Achterdeck der Schebecke aus in die Dunkelheit spähte, stand im Vordergrund die Frage, ob der Verband den hartnäckigen Fühlungshalter gesichtet hatte. Mit seinem schwarzen Rumpf, dem roten Schanzkleid und den rotweiß gestreiften Lateinersegeln war der Dreimaster zweifellos nur auf geringe Entfernung zu erkennen. Dennoch konnte man nach den jüngsten Ereignissen nicht mehr ganz sicher sein. Cubera war gewarnt und hatte sich auf die Bedrohung aus dem Dunkel eingerichtet.
Erst in den Nachmittagsstunden dieses zur Neige gehenden Tages hatte Don Juan das Auslaufen des Kampfverbandes aus Remedios beobachtet. Zumindest zu jenem Zeitpunkt konnte er von den Ausgucks des spanischen Verbandes auf keinen Fall bemerkt worden sein. Ankerplatz der Schebecke war die Bucht einer dem Hafenort vorgelagerten Insel gewesen. Dieses Eiland, das zur Gruppe der Cayo-Fragoso-Inseln gehörte, hatte ausgezeichnete Versteckmöglichkeiten geboten.
Als unschätzbarer Vorteil hatten sich überdies die kurzen Pfahlmasten der Schebecke erwiesen. Unter den überhängenden Zweigen des Uferdickichts war der Dreimaster nahezu unsichtbar gewesen. Auch die Möglichkeit des Riemenantriebs erwies sich in solchen Situationen immer wieder als günstig, denn die Schebecke konnte dadurch in problematischen Gewässern rasch und mühelos verholen.
Nach den vorangegangenen Ereignissen hatten Don Juan, Ramón Vigil und die anderen voller Spannung darauf gewartet, welche Entscheidungen Cubera treffen würde.
Noch gemeinsam mit Arne von Manteuffel hatten Don Juan und seine Männer einen weiteren nächtlichen Angriff auf den Verband gefahren, wobei die Ruderanlagen der beiden in Schlußposition segelnden Karavellen beschädigt worden waren. Ausgerechnet hatte es dabei die „Gaviota“ ein zweites Mal getroffen. Dieses Mal allerdings so erheblich, daß die Karavelle – mit einem Notruder versehen – nach Remedios schleichen mußte. Die andere Karavelle hatte es weniger schlimm erwischt. Ihr Ruder war mit Bordmitteln repariert worden.
Wenn er sich vorstellte, wie Capitán Cubera und seine Offiziere angesichts der rätselhaften Angriffe in Wut geraten waren, konnte sich Don Juan auch jetzt noch eines Lächelns nicht erwehren.
Er hatte Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn in dem Hafenort La Isabela, nördlich von Sagua la Grande gelegen, abgesetzt. Der Vetter des Seewolfs mußte unbedingt seine Tarnrolle als deutscher Kaufherr in Havanna wieder aufnehmen. In diesem Punkt waren, sich Arne und Don Juan nach kurzer Besprechung einig gewesen.
Die Schebecke war anschließend der „Gaviota“ nach Remedios gefolgt. Zwei Galeonen, vom Kapitän der Karavelle als Unterstützung für den Kampfverband in Marsch gesetzt, hatten unliebsame Bekanntschaft mit der Feuerkraft und der Wendigkeit des algerischen Dreimasters schließen müssen.
Don Juan und seine Männer hatten ihnen die Ruderanlagen zerschossen, und die Galeonen hatten sich beim Rammstoß hoffnungslos ineinander verkeilt. Nachdem der herannahende Kampfverband Hilfe geleistet hatte, war Cubera kurze Zeit später offenbar in Remedios an Land gegangen, um seine weiteren Maßnahmen zu treffen.
Das Ergebnis hatte Don Juan in den Nachmittagsstunden aus sicherem Versteck heraus beobachtet. Nach dem Auslaufen aus Remedios hatte der Verband wieder seine alte Marschformation eingenommen. Vorn in der Mitte segelte das Flaggschiff „San José“, und ihm folgten zu beiden Seiten in Kiellinie je vier Kriegsschiffe. An den beiden Außenflanken der Galeonen und Karavellen segelten wiederum jeweils drei Schaluppen.
Die letztere Beobachtung gefiel Don Juan ganz und gar nicht. Der Verband war also in Remedios mit einer Karavelle und sechs Schaluppen aufgefüllt worden. Insbesondere die Schaluppen spielten dabei eine Rolle, die zu Don Juans Unbehagen beitrug. Eindeutig dienten sie als Aufklärer und würden überdies den Verband vor weiteren Überraschungsangriffen abschirmen.
Es war indessen zu erwarten gewesen, daß Cubera aus den nächtlichen Aktionen des geheimnisvollen Gegners seine Lehre ziehen würde. Das war nun geschehen. Zwar bestand der Verband letzten Endes – trotz der Ergänzung durch die Karavelle – nicht mehr aus zehn, sondern nur noch aus neun Schiffen. Doch diese Verringerung der Kampfkraft wurde durch die Schaluppen zweifellos ausgeglichen.
Bei Wind aus Nordost war der Verband auf die freie See hinausgekreuzt und dann außerhalb der Cayo-Fragoso-Inseln auf Südostkurs gegangen.
Mit ausreichendem Sicherheitsabstand hatte Don Juan die Verfolgung aufgenommen. Er hatte zunächst weit nach Luv ausgeholt und dann nach Einbruch der Dunkelheit die beabsichtigte Position eingenommen. Über Steuerbordbug segelnd, stand die Schebecke vorlich und in Luv des Verbandes auf Parallelkurs, rauschte also an seiner vorderen Backbordflanke dahin.
Ständig rechnete Don Juan damit, daß die drei Schaluppen an eben jener Flanke plötzlich wenden und nach Norden hochstoßen würden. Erst bei einer solchen Reaktion konnte er sicher sein, daß man den Fühlungshalter bemerkt hatte. So aber blieb er weiter im Ungewissen. Denn vor dem schwachen Schimmer der Schiffslaternen waren die schattenhaften Umrisse der Schaluppen zu erkennen, wie sie unbeirrbar den Kurs des Verbandes einhielten.
Nichtsdestoweniger war sich Don Juan darüber im klaren, daß er auf jeden Fall zuerst mit den Schaluppen aneinandergeraten würde.
Er wandte sich für einen Moment ab und ließ seinen Blick über die völlig verdunkelten Decks der Schebecke gleiten. Als bewegungslose Silhouetten harrten die elf Männer seiner Crew auf der Kuhl aus. Während des Nachmittags hatten sie die Geschütze und Handfeuerwaffen überprüft und gereinigt, und die Munitionsvorräte waren gesichtet und geordnet worden. Jetzt waren sämtliche Drehbassen geladen. Der Dreimaster war bereit, dem Verband erneut einen spürbaren Biß in die verwundbare Ferse zu verpassen.
Don Juan ging auf Ramón Vigil zu, der mit unerschütterlicher Ruhe am Ruder stand, und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Wir werden nicht mehr lange warten, Ramón. Aber diesmal wird es eine härtere Nuß, fürchte ich.“
Der Bootsmann wandte den Kopf und lachte verhalten. Seine Zähne blitzten in der Dunkelheit.
„Keine Sorge“, sagte er voller Zuversicht, „wenn dieser Fettsack von Gouverneur jemals die Schlangen-Insel erreichen sollte, wird er vorher tausend Tode gestorben sein.“
Don Juan mußte grinsen.
„Woher willst du wissen, daß er ein ängstlicher Mensch ist?“
„Ist doch klar.“ Ramón Vigil blies verächtlich die Luft durch die Nase. „Nach allem, was Sie mir von dem Kerl erzählt haben, kann er nur ein feiger Hund sein. Ich frage mich nur, warum er sich an Bord des Flaggschiffs begeben hat.“
„Du meinst, er sollte eigentlich von anderen die Kastanien aus dem Feuer holen lassen?“
„So ungefähr.“
„Nun“, entgegnete Don Juan lächelnd. „Dann würde er aber Gefahr laufen, daß diese anderen mit den heißen Kastanien verschwinden, bevor er sie überhaupt zu sehen kriegt.“ Er klopfte dem Bootsmann abermals auf die Schulter und trat wieder an das Steuerbordschanzkleid des Achterdecks.
Soviel war inzwischen sicher: Dem sehr ehrenwerten Don Antonio de Quintanilla ging es nur in zweiter Linie darum, den angeblich schlimmsten Feind der spanischen Krone, Philip Hasard Killigrew, zu besiegen. An erster Stelle der Überlegungen stand für den geldgierigen Gouverneur die Tatsache, daß auf der Schlangen-Insel offenbar immense Schatzvorräte lagerten. Mit seinen Wurstfingern wollte er tief hineingreifen und sich zu unermeßlichem Reichtum verhelfen.
Don Juan wandte seine Gedanken den vordergründigen Zielen zu, während er abermals zu den Schiffen des Kampfverbandes spähte. Fest stand, daß die Gefahr, um ein Vielfaches höher war, wenn er in dieser Nacht einen erneuten Angriff unternahm. Und die bisherigen Angriffe? Hatten sie trotz aller Erfolge ihren Zweck erfüllt?
Man mußte daran zweifeln.
Seine und die Absicht Arne von Manteuffels war es gewesen, den Verband durch eine hohe Zahl von Ausfällen und Schäden zur Umkehr zu zwingen und dadurch ein sinnloses Blutvergießen zu vermeiden. Don Juan mußte sich eingestehen, daß er mit seinen nächtlichen Aktionen diesem Ziel um nichts näher gerückt war. Statt dessen hielt dieser Schurke von einem Gouverneur mit verbissener Sturheit seinen Kurs, der ihn zur Schlangen-Insel und dem dort erhofften Reichtum führen sollte.
Von den wahren Gründen für diese vermeintliche Sturheit ahnte Don Juan allerdings nichts. So war es nicht etwa der Gouverneur, der die Befehle an Bord der „San José“ gab. Seit dem Mordversuch an Capitán Cubera und seit dem Fluchtversuch in Remedios befand sich Don Antonio de Quintanilla in verschärftem Arrest in einer der Achterdeckskammern; des Flaggschiffs. Bereits zuvor war es Cubera gewesen, der sich aus militärischen Erwägungen heraus entschlossen hatte, das Unternehmen auf jeden Fall durchzuführen.
Wären Don Juan de Alcazar die Zusammenhänge bekannt gewesen, hätte er eine völlig andere Entscheidung getroffen. Als Generalkapitän, ausgestattet mit Sondervollmachten der spanischen Krone, wäre er berechtigt gewesen, Cubera Befehle zu erteilen und ihn zurückzupfeifen. Während Don Juans Flucht in Havanna hatte sich zwar der Gouverneur die Sondervollmachten unter den Nagel gerissen, doch es wäre sicherlich auch ohne dieses Dokument möglich gewesen, die Weisungsbefugnisse durchzusetzen. Aber nach dem Stand der Dinge ließ sich der verhängnisvolle Lauf des Geschehens nicht mehr abwenden.
Das Gefühl, unter zunehmendem Zeitdruck zu stehen, hatte sich für Don Juan in den letzten Stunden immer mehr verstärkt. Noch gemeinsam mit Arne hatte er berechnet, wann die Schiffe des Bundes der Korsaren in See gehen konnten, um dem Feind entgegenzusegeln. Voraussetzung dafür war der Erhalt der Brieftaubennachricht gewesen, die den Seewolf und seine Gefährten über das Auslaufen des Verbandes aus Havanna unterrichtete. Wenn die Berechnungen stimmten, mußten die Schiffe des Bundes am Nachmittag des 19. Juli ankerauf gegangen sein und sich seither auf Westkurs befinden.
Der Wind aus Nordosten war günstig. Nach Don Juans. Berechnung der Marschgeschwindigkeit mußte sich der Verband des Seewolfs bereits dem Alten Bahama-Kanal genähert oder ihn erreicht haben. Im günstigsten Fall stand der Verband mittlerweile auf der Höhe von Lobos Cay, wo Don Juan seine erste Begegnung mit Philip Hasard Killigrew gehabt hatte.
Die Erinnerung daran drängte sich machtvoll in sein Bewußtsein und ließ sich nicht auf Anhieb wegwischen. Seinerzeit hatte er dem Mann Auge in Auge gegenübergestanden, der nach dem Willen der spanischen Krone eigentlich sein Todfeind sein sollte. Doch aus dem Duell heraus war er gemeinsam mit Killigrew in eine tödliche Bedrohung durch blutrünstige Marodeure geraten.
Kurz darauf hatte Don Juan erleben müssen, wie ihm der Engländer zum ersten Male das Leben rettete. Und es war nicht bei diesem einen Mal geblieben. Wie auch sein Vetter Arne von Manteuffel, hatte sich Philip Hasard Killigrew als ein fairer Gegner erwiesen – als das, was die Briten einen vollendeten Gentleman nannten.
Mehr und mehr hatte Don Juan erkennen müssen, daß er aus einem ähnlichen Holz geschnitzt war wie jener angebliche gefährliche Pirat. Und die jüngsten Ereignisse in Havanna hatten ihn dazu veranlaßt, sich nach der Offenbarung durch Arne auf die Seite des Bundes der Korsaren zu schlagen.
2.
Der hochgewachsene Spanier zwang sich, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Wenn er aus seinen Berechnungen die richtige Folgerung zog, dann würden der spanische Kampfverband und die Schiffe des Bundes der Korsaren aller Wahrscheinlichkeit nach am frühen Morgen oder in den Vormittagsstunden des nächsten Tages aufeinanderprallen.
Es blieben also nur noch die Stunden der Dunkelheit, um etwas zu unternehmen. Auf Biegen oder Brechen mußte etwas geschehen, wenn es doch noch einen Aufschub geben sollte. Mehr denn je war Don Juan de Alcazar entschlossen, seinen Beitrag zu leisten, damit ein Blutvergießen größten Ausmaßes vermieden würde. Er mußte es einfach wagen, auch wenn durch die Schaluppen das Risiko um ein Vielfaches erhöht wurde.
Er gab sich einen Ruck und stieß sich von der Verschanzung ab. In der Formation des spanischen Verbandes schien sich nichts geändert zu haben. Zumindest deutete nichts darauf hin, daß man die Schebecke bemerkt hatte. Der erneute Überraschungsangriff mußte gelingen.
„Ramón!“ rief Don Juan halblaut. „Männer!“
Die Gesichter, die zu ihm herumruckten, waren in der Dunkelheit als helle Flecken zu erkennen.
„Es geht los“, sagte Don Juan mit metallisch klingender Stimme. „Halse nach Steuerbord. Neuer Kurs Südwest.“
Ramón Vigil wiederholte den Befehl und legte Ruder. An den Schoten bewiesen die Männer, daß sie den Dreimaster aus dem fernen Algerien bereits bestens beherrschten. Der Bug der Schebecke schwang herum, und gleich darauf standen die rot-weißen Segel prall, als der schlanke Dreimaster platt vor dem Wind auf den Verband zujagte.
Gischtschwaden stiegen von der Bugwelle auf und wehten über die Decks. Die Männer standen unerschütterlich, geduckt und mit jeder Faser ihrer Nerven zum Angriff entschlossen.
Nach und nach zeichneten sich die Umrisse der Kriegsschiffe mit schärferen Linien in der Dunkelheit ab. Aus schmalen Augen taxierte Don Juan die zusammenschmelzende Distanz, gleichzeitig lauschte er angestrengt. Jeden Moment mußten die alarmierenden Rufe der Ausgucks auf den Kriegsschiffen zu hören sein. Noch bevor dies geschah, gab er das Kommando zur Kurskorrektur nach Westsüdwest. Wie ein zupackender Falke stieß die Schebecke auf die Flanke des Verbandes zu.
Sekunden später wurde die Stille zerrissen. Gellende Stimmen ertönten, gefolgt von wildem Befehlsgebrüll. Vom Schein der Hecklaternen immer deutlicher gezeichnet, wuchsen die mächtigen Umrisse der Kriegsschiffe buchstäblich auf den heranjagenden Dreimaster zu. Don Juans Männer duckten sich hinter den Drehbassen und harrten auf den Befehl, die schwenkbaren Hinterlader im entscheidenden Moment zu zünden.
Don Juan entschied sich für die zweite Galeone, die in der Backbordkolonne des Verbandes segelte. Diesmal würde er mitten in die Formation der schwimmenden Festungen hineinstoßen und eine weitere Ruderanlage in Trümmer schießen.
Im selben Moment, als er seine Entscheidung traf, durchzuckte es ihn siedendheiß. Die Schaluppen! An Steuerbord voraus schwärmten sie aus, die Wachhunde, die Cubera von der Leine gelassen hatte. Doch es waren keineswegs nur drei, wie er angenommen hatte.
Insgesamt fünf der wendigen Einmaster warfen sich dem Angreifer entgegen. Don Juan erstarrte sekundenlang. Er mußte begreifen, daß Cubera aus den bisherigen Nachtangriffen seine Lehre gezogen und zwei und zwei zusammengezählt hatte. Natürlich hatte er damit gerechnet, daß der Gegner wieder aus der Luvposition angreifen würde. Und so hatte er auf der Steuerbordseite des Verbandes lediglich eine Schaluppe belassen, während er die beiden anderen auf die Backbordseite beordert hatte. Insgesamt fünf Einmaster waren es also, die zum Gegenangriff übergingen.
Don Juan stieß einen Fluch aus. In der Dunkelheit hatte er die Umgruppierung der Schaluppen nicht bemerkt, und auch seinen Männern war dies entgangen. Doch jetzt war es zu spät, eine neue Taktik zu entwickeln. Unversehens hatte sich das Blatt gewendet. Die Männer auf der Schebecke gerieten von der Rolle des Angreifers in die des Verteidigers.
Zwei der Schaluppen lösten sich aus dem Pulk und stießen im Direktkurs auf den Dreimaster zu. Gleichzeitig schwärmten die drei anderen nach Ostnordost aus. Don Juan begriff sofort, während er in Gedanken blitzartig die möglichen Gegenmaßnahmen durchspielte. Ziel der beiden ersten Schaluppen war es, seinen Angriff zu verhindern. Von den drei übrigen Wachhunden sollte er inzwischen in die Zange genommen werden.
Währenddessen setzte sich das Gebrüll an Bord der großen Kriegsschiffe fort. Stückpforten wurden geöffnet, und die ersten Bronzemäuler der Geschütze lugten heraus. Gefechtsbereitschaft hatte wahrscheinlich ohnehin geherrscht. Diesmal wollte es Cubera wissen. Nur noch Minuten, schlimmstenfalls Sekunden konnten vergehen, bis die Galeonen und Karavellen ihre ersten Breitseiten abfeuerten.
Noch lag die Schebecke mit rauschender Fahrt auf Kurs Westsüdwest. Don Juan zog den Kopf tiefer zwischen die Schultern und preßte die Lippen fester zusammen. Konnte er es trotz allem schaffen, in die Backbordflanke des Verbandes vorzustoßen?
Die Schaluppen, die sich von Steuerbord näherten, waren schnell, viel zu schnell. Auf fast eine Kabellänge war die Distanz zusammengeschrumpft, als Don Juan einsehen mußte, daß sich seine Erfolgsaussichten wie eine Gischtfahne verflüchtigten.
Grellrotes Feuer zuckte an Steuerbord auf. Das unverkennbare trockene Krachen von Drehbassen begleitete die Mündungsblitze. Auf beiden Schaluppen feuerten sie ihre Hinterlader in gut abgestimmter Folge ab. Orgelnd rasten die Eisenkugeln heran und rissen weißschäumende Säulen aus dem Wasser.
„Ramón!“ brüllte Don Juan. „Vier Strich Steuerbord! Und dann Feuer frei! Heizt ihnen ein!“
Zustimmendes, fast begeistertes Gebrüll ertönte von der Kuhl der Schebecke. Die Männer hatten begriffen, in welche Lage sie geraten waren. Ihr Kapitän hatte nicht anders entscheiden können. Unmöglich, noch in die verwundbare Flanke des Verbandes vorzudringen und gewissermaßen im Vorbeigehen ein Ruder zu Klump zu schießen. Jetzt hieß es, sich schleunigst zu verdrücken. Das wiederum war nur möglich, indem man nach Nordwesten hin durch die beginnende Umklammerung der Schaluppen entwich.
Hart krängte der Dreimaster nach Backbord, als Ramón Vigil Ruder gelegt hatte. Bei halbem Wind über Backbord segelnd, gewann die Schebecke doch im Handumdrehen wieder beachtliche Fahrt. Wenn man in dieser Situation überhaupt bestehen konnte, dann nur dank der Wendigkeit dieses Schiffes.
Für einen Moment geriet das Drehbassenfeuer der beiden Schaluppen ins Stocken. Verwirrung breitete sich aus – offenkundig.
„Damit haben sie nicht gerechnet!“ schrie Ramón Vigil.
In der Tat mußte es den Besatzungen der Einmaster so erscheinen, als wolle sich ihnen der fremde Dreimaster in einer Art Verzweiflungstat frontal entgegenwerfen.
„Bugdrehbassen Feuer!“ brüllte Don Juan.
Eine Sekunde später wummerten die Hinterlader los und schickten den Schaluppen ihre Eisenladung entgegen. Ein schwaches Bersten verkündete einen Treffer, wenn auch sicherlich nicht nennenswert.
„Ramón, geh höher an den Wind!“
Der Bootsmann befolgte die Anordnung augenblicklich, und in diesem Moment war es auch mit der Verwirrung an Bord der Schaluppen vorbei. Die Spanier erkannten die Absicht des ihnen unbekannten Gegners. Hart am Wind wollte er sich an ihnen vorbeimogeln und dabei auf Gegenkurs auch die drei übrigen Schaluppen abhängen. Letztere waren eben erst im Begriff, ihren nun nutzlosen Umklammerungsversuch abzubrechen und sich auf eine Verfolgungsjagd einzustellen.
Noch einen Vorteil sah Don Juan in seinem Manöver: Solange er sich an der Luvseite der beiden Angreiferschaluppen befand, war er vor den schweren Geschützen der Kriegsschiffe halbwegs sicher. Denn sie würden nicht riskieren, ihre eigenen Leute durch ihre Breitseiten in Gefahr zu bringen.
Trotzdem blieb der tödliche Wirkungsbereich der Drehbassen, in den die Schebecke nun unweigerlich geriet.
„Backborddrehbassen Feuer!“ befahl Don Juan.
Noch während er die letzten Silben ausstieß, hastete er zur Backbordverschanzung des Achterdecks und packte den dort befindlichen Hinterlader. Mit einem Ruck schwenkte er das geladene Bronzerohr nach Backbord voraus.
Mit einem kurzen Seitenblick sah er, daß sich Ramón Vigil hinter dem Ruder duckte. Auf den Bootsmann war Verlaß. Mit eisernen Fäusten würde er sie aus dem Geschoßhagel herausbringen.
Am Schanzkleid der Kuhl brüllten die ersten Drehbassen los. José Buarcos und Jorge Matteo, die beiden Männer von der gesunkenen Karavelle, waren unter den Schützen. Es mußte ein seltsames Gefühl für sie sein, auf die eigenen Landsleute zu feuern. Aber sie hatten sich den Zielsetzungen ihres neuen Kapitäns verschrieben, und sie wußten, daß es nicht Don Juans Absicht war, Menschen sinnlos niederzumetzeln.
Auch auf den beiden Schaluppen blitzte es jetzt auf, spärlich noch. Die Männer auf der Schebecke zogen die Köpfe ein, während sie nachluden. Jaulend zischten die Geschosse über die Verschanzung hinweg, und nur eine der Eisenkugeln streifte das Steuerbordschanzkleid mit schmetterndem Klang.
Don Juan erkannte die Absicht der Schaluppenführer. Der Kollisionskurs war ihnen zu riskant. Vielmehr waren sie kaum merklich abgefallen. Mit dem Bug nach Südsüdost und in versetzter Position lauerten sie darauf, der vorbeirauschenden Schebecke die vollen Ladungen ihrer Backbordrohre zu verpassen.
Mit schmalen Augen taxierte Don Juan die Distanz. Nicht mehr als eine halbe Kabellänge würde er von den Schaluppen entfernt sein, wenn sie sich für einen Moment auf gleicher Höhe befanden. Und an Steuerbord achteraus formierten sich die ersten beiden Wachhunde zur Verfolgung.
Mit jedem Yard, den die Schebecke indessen auf Kurs Nordnordwest hinter sich brachte, vergrößerte sich die Entfernung zu den Galeonen und Karavellen des Verbandes.
Das Feuer auf den Schaluppen war jetzt eingestellt worden. Sekunden des Belauerns setzten ein. Denn nur noch Sekunden würde es dauern, bis der Dreimaster den gefährlichen Bereich erreichte. Innerlich von eiskalter Ruhe erfüllt, schätzte Don Juan die winzige Zeitspanne ab. Der Vorteil des ersten Schusses war in dieser Lage von größter Bedeutung – sinnvoll aber nur dann, wenn einem auf Anhieb ein Treffer gelang, der das Zielaufnehmen des Gegners durcheinanderbrachte. Letzteres war bei den beweglich gelagerten Drehbassen eben nur allzu leicht möglich.
„Feuer!“ rief Don Juan mit Donnerstimme und stieß im selben Moment die Lunte seines Hinterladers ins Zündloch.
Zehn weitere Drehbassen an der Backbordseite des Dreimasters ließen sprühende Funken ihres Zündkrauts aufsteigen.
Hart krängte die Schebecke nach Steuerbord, als die elf Geschützrohre fast im selben Sekundenbruchteil losbrüllten. Grelle Feuerzungen leckten nach außenbords. Im nächsten Augenblick mußten sich die Männer in Deckung werfen. Denn das Krachen ihrer eigenen Rohre wurde vom Feuer der Drehbassen des Gegners überlagert.
Ein Schwarm von Geschossen rauschte heran. Etliche lagen zu kurz und verwandelten das Wasser an Backbord der Schebecke in einen Fontänenwald. Weitere Kugeln rasten über Hauptdeck und Achterdeck. Berstende Einschläge gingen den Männern durch Mark und Bein. Ramón Vigil hing fast am Ruder, aber es gelang ihm dennoch, um keinen einzigen Strich vom Kurs abzuweichen.
Darmowy fragment się skończył.