Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 306»

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© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-703-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Edwin Carberry sah an diesem Tag nachdenklicher aus, als es seine Art war. Der bullige Profos der „Isabella IX.“ hatte sich zum Quarterdecksniedergang an Backbord zurückgezogen, abseits von dem Punkt, um den sich das eigentliche Geschehen abspielte. Für die Affenärsche, so nannte er sie auch in Gedanken, schien es nichts Wichtigeres zu geben.

Dicke, graugelbe Rauchschwaden stiegen dort auf, gleich neben dem Kombüsenschott.

Ed Carberry ließ seinen Blick über die Kuhl der stattlichen neuen „Isabella“ gleiten und begann, die Welt nicht mehr zu verstehen. Da ließen sich diese ausgewachsenen Kerls vom Gestank einhüllen und glaubten auch noch fest daran, daß es ein Lekkerbissen war, was die Kombüsenhengste ihnen auftischten. Ja, in der Tat, der Kutscher und Mac Pellew führten sich auf, als hätten sie den einzig wahren Gaumenkitzel entdeckt.

„Wartet nur ab“, murmelte Carberry vor sich hin, „ich gebe euch noch einen oder zwei Tage, und die verdammten geräucherten Heringe kriechen euch zu den Ohren raus!“

Sein Blick gewann einen Ausdruck von Traurigkeit, je länger er beobachtete, wie sie dem Kutscher und Mac Pellew die Räucherheringe regelrecht aus den Händen rissen. Das begeisterte Gegröle konnte auch ein wenig auf den Aquavit zurückzuführen sein, von dem es eine Kostprobe gab. Aber eine Entschuldigung für das absonderliche Verhalten der Seewölfe war das nach Meinung des Profos’ noch lange nicht. Er begann, von einem saftigen Brocken Fleisch zu träumen, von einem handfesten Bohneneintopf, der einen drei Tage toten Seelord noch wieder in die Stiefel hob.

Eine besorgte Stimme riß ihn aus seinen tiefschürfenden Betrachtungen.

„Alles in Ordnung, Mister Carberry?“

Der Profos schrak auf, blinzelte verwirrt und hob den Kopf. Philip Hasard Killigrew lehnte sich über die Schmuckbalustrade, und seine eisblauen Augen blickten so besorgt, wie es dem Klang seiner Stimme entsprach.

„Was sollte nicht in Ordnung sein, Sir?“ entgegnete Ed Carberry mißtrauisch. Normalerweise redete der Seewolf ihn nicht so förmlich an. Wollte er ihn etwa verspotten, was, wie?

„Ed, ich sehe es dir an der Nasenspitze an. Irgendwas stimmt nicht. Keiner von den anderen hat die Pest oder eine sonstige ansteckende Krankheit. Trotzdem gehst du ihnen aus dem Weg.“ Hasard deutete zu der ausgelassenen Schar seiner Männer, die sich rings um das Kombüsenschott den Heringsrauch um die Ohren wehen ließen.

„Also gut.“ Ed Carberry richtete sich auf und wandte sich mit einem entschlossenen Ruck dem Seewolf zu. „Wenn du es genau wissen willst, Sir, dann will ich es dir sagen: Es paßt mir ganz und gar nicht, daß diese Kombüsenratten aus unserer sauberen ‚Isabella‘ einen Fischkutter machen wollen. Verdammt noch mal, das paßt mir nicht!“

Hasard mußte sich ein Lächeln verkneifen.

„Ed, sei nicht ungerecht. Der Kutscher hat keine Fischernetze eingekauft.“

„Aber einen dreimal verdammten Räucherofen. Und Ferris Tucker, dieses Rübenschwein von einem Schiffszimmermann, hat ihm auch noch beim Aufbau geholfen.“

„Warum gibst du nicht Mac Pellew die Schuld?“

„Keiner hätte auf ihn zu hören brauchen. Mac, dieses alte Schlitzohr, wollte sich mit seinen Bornholmer Räucherheringsgeschichten doch nur aufspielen. Und jetzt haben wir den Salat. In jedem Hafen werden sich die Leute verdrücken, wenn unser stinkender Stinteimer einläuft.“

„Himmel noch mal, Ed, Mac und der Kutscher werden nicht jeden Tag Heringe räuchern.“

„Seit Bornholm tun sie nichts anderes.“

„Auf Vorrat. Als Abwechslung für unseren Speiseplan. Die beiden meinen es nur gut.“

„Gut?“ knurrte der Profos. „Was soll daran gut sein? Fisch ist gut für Stubenhocker, die zum Arbeiten nur ihren Grips, einen Federkiel und schön saubere Hände brauchen. Deine Männer, Sir, brauchen Mumm in den Knochen, und den kriegen sie nur von einem ordentlichen Happen Fleisch.“

„Recht hast du, Ed“, sagte der Seewolf geduldig. „Aber einseitige Ernährung ist auch nicht gut. Und du wirst schon sehen, es läuft sich alles von selbst zurecht. In ein paar Tagen haben sie genug von der Heringsräucherei. Warum regst du dich über diese Anfangsbegeisterung auf?“

Der Profos brummelte Unverständliches, schon halb besänftigt. Wenn nicht mal Hasard sich um den guten Eindruck sorgte, den er mit der „Isabella“ erweckte, wozu sich dann noch aufregen?

Die Zeiten, so resümierte Ed Carberry mit einem innerlichen Seufzer, änderten sich eben. Heute segelten sie mit einem Heringsräucherofen unter königlich britischer Flagge. Morgen hatte der Kutscher vielleicht die Idee, eine Schnapsbrennerei an Bord einzurichten. Warum nicht gleich eine ganze Farm mit Kühen, Schweinen, Hühnern, Enten?

Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, denn das Stimmengewirr vorn bei Kombüse und Räucherofen legte sich etwas. Blicke richteten sich nach achtern und folgten Philip und Hasard, den Söhnen des Seewolfs. Philip trug in beiden Händen eine Muck, vorsichtig, um nichts zu verschütten. Hasard begleitete ihn mit den würdevollen Schritten eines Menschen, der sich der Bedeutsamkeit seines Auftrags bewußt ist.

„Wir kriegen Besuch, Ed“, sagte der Seewolf lächelnd. „Hör auf, die beleidigte Leberwurst zu spielen, und vergiß den stinkenden Stinteimer.“

„Der Teufel soll die kleinen Rübenschweine holen, wenn sie sich wieder was ausgedacht haben.“

„Haben Sie nicht, Ed. Die anderen haben sie geschickt.“

Der Profos der „Isabella“ schob sein Rammkinn vor, und ein Grinsen huschte über sein zerklüftetes Narbengesicht. Hasard atmete auf. Es sah so aus, als brauche er mit Edwin nicht länger zu reden wie ein Bauer mit seiner kranken Kuh.

Die Zwillinge blieben stehen, wechselten einen Blick, sahen erst ihren Vater an und dann den Profos.

„Wir haben eine Einladung zu überbringen, Mister Carberry.“ Philip junior räusperte sich, und Hasard junior nickte beipflichtend.

„Ah so, eine Einladung.“ Der Profos kratzte sich am Hinterkopf. Das Ganze mochte harmlos sein. Ganz sicher war er in der Beziehung aber nicht.

Denn die beiden Söhne des Seewolfs taten mal wieder so, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Ed Carberry kannte seine kleinen Rübenschweine jedoch zur Genüge und wußte, wie faustdick sie es hinter den Ohren hatten.

Sicher, sie waren größer geworden, waren keine kleinen Kinder mehr und standen schon tapfer ihren Mann bei den Aufgaben, die sie an Bord zu erledigen hatten. Das änderte aber nichts daran, daß sie immer noch eine Menge Beispiele für ihr Temperament und ihren Starrsinn lieferten. Ho, Edwin Carberry konnte ein Lied davon singen, welche Scherereien sie der „Isabella“-Crew schon bereitet hatten – und das meistens dann, wenn der Seewolf sie seiner höchstpersönlichen Obhut anvertraut hatte.

Und die beiden Lausebengel wußten verdammt genau, daß ihr Mister Carberry noch lange nicht vergessen hatte, was sie sich schon alles geleistet hatten. Denn er hatte sie oft genug aus den verzwickten Situationen herauspauken müssen, in die sie hineingeschlittert waren.

Äußerlich ähnelten sich die beiden Jungen wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt, in ihren jugendlichen Jahren, ließen sie erkennen, daß sie als erwachsene Männer einmal alle überragenden Eigenschaften und Fähigkeiten ihres Vaters haben würden.

„Eine Einladung von Mister Larsen“, ergänzte Hasard junior. „Er möchte seinen Dank aussprechen.“

Der Seewolf wandte sich ab, denn er konnte sein Grinsen nicht länger unterdrücken. Und er wollte Ed Carberry, der an diesem Tag offenbar mit dem falschen Bein zuerst aus der Koje gekrochen war, nicht vor den Jungen in Verlegenheit bringen.

Philip junior hielt dem Profos die Muck entgegen, in der eine kristallklare Flüssigkeit schwappte.

„Eine Kostprobe, Sir. Mister Larsen bittet Sie höflich, sich das nicht entgehen zu lassen.“

„Das Wasser des Lebens“, fügte Hasard junior hinzu. „Der Kutscher hat gesagt, das bedeutet ‚Aquavit‘, wenn man es übersetzt. Leider dürfen wir nur dran riechen.“

„Leider?“ knurrte Carberry. Er nahm die Muck und hob sie an. „Paßt auf, daß ich euch nicht den Hosenboden strammziehe, wenn ich euch mit dem Zeug erwische. Das ist nur was für ausgewachsene Kerls. Und man braucht die richtigen Seebeine, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.“ Er schnupperte an dem „Lebenswässerchen“ und kippte es dann mit einem Ruck hinunter. „Ah! Nicht schlecht. Wenigstens tötet es den Heringsgestank ab. Die Nase ist nicht mehr so empfindlich.“ Er stieß sich vom Niedergang ab und behielt die Muck gleich in seiner ankerklüsengroßen Hand. „Vorwärts, Gentlemen! Lassen wir unseren dänischen Jungferntröster nicht länger warten.“

Die beiden Jungen wirbelten herum und liefen freudestrahlend los, vorbei an den mächtigen 25pfündern und den vor der Kuhlgräting festgezurrten Jollen. Auch die Söhne des Seewolfs hatten bereits ein feines Gespür dafür, wenn es Mißstimmungen in der Crew gab. Und gemeinsam mit dem Kutscher, Mac Pellew und den anderen waren sie froh, einen passablen Weg gefunden zu haben, um Edwin Carberry aus seinen rauchumwölkten Gedanken wachzurütteln.

Sie hatten Nils Larsen, den breitschultrigen blonden Dänen, schon mehrmals an diesem Tag hochleben lassen. Er hockte in ihrer Mitte auf einer Taurolle und sprang auf, als der Profos herannahte. Die Zwillinge zogen sich zum Räucherofen zurück und schauten dem Kutscher und Mac Pellew zu, die sich jetzt mit besonderem Eifer darauf konzentrierten, eine neue Ladung Heringe in den Rauch zu schieben.

Alle anderen empfingen den Profos mit freudigem Gebrüll. Ed Carberry schüttelte sich, als er sah, wie Nils Larsen etwas über die Köpfe der Männer hinweg nach außenbords schleuderte. Dieses Etwas hatte er sich gerade zuvor durch die Zähne gezogen, und danach bestand es nur noch aus einem Heringskopf, der mit der Schwanzflosse durch eine borstige Gräte verbunden war. Carberry zwang sich, nicht in die Runde zu blicken, denn die meisten Männer hielten noch eines der goldgelben Räucherbiester in den fettigen Fingern.

Nils Larsen schnappte sich den Krug vom Aquavitfaß, ging strahlend auf den Profos zu und hieb ihm auf die Schulter. Nichts war dem kräftig gebauten Dänen anzumerken, wieviel von dem „Wasser des Lebens“ er schon genossen hatte.

„Ich stehe in deiner Schuld, Mister Carberry!“ rief er lautstark. „Erst nachträglich habe ich mitgekriegt, daß du bereit warst, für mich durch die Hölle zu gehen.“ Er füllte Carberrys Muck aus dem Krug auf.

Donnerndes Beifallsgebrüll wurde laut und übertönte für einen Moment das Singen des Windes, der durch Wanten und Pardunen pfiff und die Segel prall füllte.

„Hölle?“ entgegnete der Profos dröhnend. „Hölle, sagst du? Da kennst du mich aber verdammt schlecht, Nils Larsen. Deine dänische Jungfer wäre mit mir durch den siebenten Seefahrerhimmel gegangen.“ Er blickte nun doch in die Runde, feixte und schob das Rammkinn vor. „Allerdings nur eine Nacht lang. Genug für sie, um den Rest ihres Lebens davon zu träumen.“

Die Männer grölten vor Vergnügen. Larsen und Carberry rammten ihre Mucks gegeneinander und ließen den Aquavit durch ihre Kehle brennen.

„Hoho, unser Profos spricht aus Erfahrung!“ rief Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann mit dem roten Haarschopf.

„Wetten, daß er doch weiche Knie gekriegt hätte?“ schrie Matt Davies, der einen Räucherhering an seiner Hakenprothese aufgespießt hatte.

„Weiche Knie? Wobei?“ Batuti, der schwarze Riese aus Gambia, war es, der sich fragend umsah.

Die anderen schütteten sich aus vor Gelächter.

Ed Carberry sah ihn an.

„Vor dem Traualtar, du Einfaltspinsel! So was Feierliches haut den stärksten Seemann aus den Stiefeln.“

Wieder folgte begeistertes Gebrüll. Mac Pellew, der Kombüsenmann, hielt den Moment für angebracht, ein Angebot seiner Räucherkünste an den Mann zu bringen. Auf einer Holzschale trug er einen kleinen Berg fettglänzender Ostseeheringe heran, die er frisch aus dem Rauch geholt hatte. Er deutete eine Verbeugung an und übersah geflissentlich, daß sich das Narbengesicht des Profos’ bedrohlich zu verziehen begann.

„Wir haben alle einen Grund zum Feiern“, sagte er salbungsvoll. „Wir konnten den guten Nils vor dem Joch der Ehe bewahren, noch dazu mit einer Lady, deren Schönheit jede Blume …“

Die Männer grölten von neuem los, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und bogen sich vor Lachen. Denn besagte Lady, die dem armen Nils von seinem Vater zugedacht worden war, konnte jeder aus der „Isabella“-Crew mit Fug und Recht als das Häßlichste bezeichnen, was ihm jemals unter die Augen getreten war.

„… deren Schönheit jede Blume zum Welken gebracht hätte!“ fuhr Mac Pellew fort, nachdem sich die anderen einigermaßen beruhigt hatten. „Es ehrt dich, hochverehrter Mister Carberry, daß du bereit warst, für Nils als Scheinbräutigam einzuspringen. Sei froh, daß die ganze Geschichte nicht so weit gediehen ist. Und letzten Endes habe auch ich einen Grund zur Freude. Denn ich konnte endlich das Rezept für die berühmten Bornholmer Räucherheringe auftreiben. Und die sind wahrhaftig eine gute Unterlage, wenn man einen anständigen dänischen Aquavit zu sich nehmen möchte. Also laß dir das nicht zweimal sagen. Lang zu!“ Er hob die Schale höher.

Carberry hielt sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu.

„Hau ab, du Hering“, grollte er näselnd, „verschwinde mit deiner Dunstwolke, oder …“

Die Worte wurden ihm von den Lippen gerissen. Ein Windstoß, der sich zwischen Fock und Großsegel verirrte, drückte die Rauchsäule aus dem Räucherofen nach unten und hüllte die Männer wie mit einem gelblichgrauen Wattebausch ein.

Aus dem stark riechenden Wattebausch war ein Wutschrei des Profos’ zu hören. Dann tauchte Mac Pellew in wilder Flucht aus dem Räuchernebel auf. Die Schale mit den kostbaren goldgelben Bornholmer Heringen hatte er fallen lassen. Ed Carberry verfolgte ihn mit zwei Schritten Abstand in Richtung Achterdeck.

„Dir ziehe ich die Haut in Streifen von deinem Affenarsch!“ brüllte er, und jeder Mann an Bord der „Isabella“ wußte, daß der gute alte Edwin wieder zu seiner wohlvertrauten Stimmung zurückgefunden hatte.

Vor einem Tritt in den Hintern wurde Mac Pellew nur durch einen langgezogenen Schrei bewahrt, der unvermittelt aus dem Großmars ertönte.

„Land in Sicht! Laaand – in Sicht!“

2.

Man schrieb den 23. Februar des Jahres 1593.

Bei raumem Wind, über Backbordbug segelnd, lief die „Isabella“ mit rauschender Fahrt auf die Küste von Gotland zu. Es war früher Nachmittag, und der Himmel über dem Baltischen Meer versteckte sich hinter dicken grauen Wolken, die einen baldigen Regenguß ankündigten. Die Hafenstadt Wisby schälte sich nach und nach aus dem Dunst heraus, und den Männern, die der Profos zum Aufpacken der Segel in die Wanten hinaufscheuchte, bot sich der beste Ausblick.

Was vor allem ins Auge stach, waren die gewaltigen Mauern und Türme der an einem Hang liegenden Stadt. Mauern, die die Geschichte dieser immer noch wohlhabenden Ansiedlung lebendig werden ließen. Es war eine wildbewegte Vergangenheit, auf die Wisby zurückschauen konnte.

Vor Jahrhunderten waren von hier aus die Wikinger zu ihren Raubzügen aufgebrochen – in Schiffen, die – verglichen mit den jetzigen Ergebnissen der Schiffbaukunst – wirklich nur Nußschalen gewesen waren. Doch sie waren damit sogar über den großen Teich gesegelt, diese rauhen Burschen, die dem Teufel mindestens ebensoviele Ohren abgesegelt hatten, wie es die Seewölfe schon getan hatten. Aber vor allem auch in England und Irland hatten sich die gefürchteten Nordmänner breitgemacht, und ihre Nachfahren lebten dort noch heute in den Städten, die von ihnen gegründet worden waren.

Philip Hasard Killigrew und Ben Brighton, sein Erster Offizier, hatten sich mit ihren Spektiven auf das höher gelegene Achterdeck begeben, während sich die „Isabella“ mit nachlassender Fahrt der Hafeneinmündung von Wisby näherte.

Deutlich waren jetzt die Einzelheiten der an den Hafen grenzenden Gebäude zu erkennen. Der Wohlstand dieser Stadt war unübersehbar. Gotland befand sich in dänischem Besitz, was eine der Ursachen für den Reichtum Wisbys sein mochte. Viele der Kaufmannshäuser stammten noch aus der Blütezeit der Hanse, die sich nun bereits in einem deutlichen Verfall befand. Auch deutsche Kaufleute hatten sich schon vor langer Zeit in Wisby angesiedelt, neben Dänen, Schweden, Finnen und Norwegern.

Von einem Hafenmeister, der sich an Bord begab, wurde der „Isabella“ ein Liegeplatz im inneren Hafenbekken zugewiesen, direkt am Kai. Das vor entfesselten Naturgewalten gut geschützte Hafenbecken beherbergte einen Mastenwald von beträchtlichen Ausmaßen. Die Frachtsegler, die an Piers und Duckdalben vertäut hatten, stammten überwiegend aus den Ländern rings um die Ostsee.

Neben den Skandinaviern gab es etliche deutsche und auch polnische Schiffe. Aber da waren auch mehrere Holländer, von denen der Seewolf wußte, daß sie in jüngster Zeit mit ziemlichen Anstrengungen in den Tuchhandel eingestiegen waren.

Noch während des Anlegemanövers der „Isabella“ scharten sich vor den Lagerhäusern und Kontoren am Kai zahlreiche Neugierige zusammen. Aber auch von den anderen Schiffen waren interessierte Blicke festzustellen, teilweise nicht ohne einen gewissen Neid. Denn die schlanke englische Galeone war von ihrem äußeren Bild her allein schon ungewöhnlich.

Einen Dreimaster dieser neuzeitlichen Bauart hatte hier in Wisby noch niemand zu sehen gekriegt, und den fast ausnahmslos fachmännischen Augen blieb nicht verborgen, daß dieser Segler aus dem fernen Britannien über Eigenschaften verfügte, die man nur ahnen konnte.

Daß die „Isabella“ nicht allein für friedliche kaufmännische Zwecke gebaut worden war, ließ sich auf den ersten Blick feststellen. Bei einem Registergewicht von runden 550 tons und einer Länge von 52 Yards verfügte die Dreimastgaleone über eine beachtenswerte Armierung. Die geschlossenen Stückpforten verbargen drei 25pfünder auf beiden Seiten des Quarterdecks, je Seite drei 18pfünder auf dem darunterliegenden Deck, vier 25pfünder auf beiden Seiten der Kuhl und drei weitere 17-pfünder pro Seite unter der Back. Außerdem gab es je zwei Drehbassen auf der Back und auf dem Achterdeck.

Während die „Isabella“ vertäut wurde, hatten die Seewölfe Gelegenheit, sich in der näheren Umgebung umzusehen.

„Sieh dir das an!“ sagte Ben Brighton verblüfft.

Hasard blickte in die Richtung, die ihm der Zeigefinger seines Ersten Offiziers wies.

„Ein Spanier“, murmelte Hasard entgeistert.

„Die einzige spanische Galeone in ganz Wisby, wenn mich nicht alles täuscht“, verbesserte Ben. Der Dreimaster, wesentlich plumper und gedrungener gebaut als die „Isabella“, lag nur einen Steinwurf weit entfernt. Zwischen den Spaniern und den Seewölfen befand sich lediglich ein norwegischer Zweimaster.

„Sie entladen Weinfässer“, sagte Hasard, nachdem er das Geschehen bei der spanischen Galeone einen Moment mit dem Kieker beobachtet hatte.

„Das gefällt mir ganz und gar nicht“, knurrte Ben Brighton, was bei seiner sonst zurückhaltenden Art ungewöhnlich war.

Der Seewolf wußte, daß Ben nicht das Löschen der Weinfässer meinte. Spaniern zu begegnen stieß bei jedem an Bord der „Isabella“ sauer auf. Seit sie die hinterhältigen Machenschaften der Dons vor der bretonischen Küste miterlebt hatten, reagierten die Männer unter Philip Hasard Killigrews Kommando gereizt, sobald sie auch nur das Wort „Spanien“ hörten.

Eine Stunde nach dem Festmachen ging Hasard gemeinsam mit Nils Larsen von Bord. Der Hafenmeister hatte beschrieben, wo das Kontor von Jens Johansen zu finden war. Bewußt verzichtete der Seewolf darauf, eine größere Zahl von Männern mitzunehmen. Es konnte unter Umständen wichtig sein, kein großes Aufsehen zu erregen.

Die Schar der Gaffer am Kai hatte sich inzwischen weitgehend verlaufen, und so konnten Hasard und Nils in der nächsten stadteinwärts führenden Gasse untertauchen, ohne daß halb Wisby sie auf ihrem Weg begleitete.

In der Gasse, wie auch am Kai, herrschte das typische rege Treiben einer Hafenstadt. Schiffsausrüster und Kleinhändler schoben schwerbeladene zweirädrige Karren mit beträchtlichem Geschick durch das Gedränge. Marktfrauen, stattlich gebaut und rotgesichtig, priesen ihre Waren an, die sie in Flechtkörben trugen.

Hasard und Nils wußten, daß sich der eigentliche Marktplatz weiter stadteinwärts befand. Doch es lohnte sich für die Bauersfrauen zweifellos, einen Abstecher in die zum Hafen führenden Gassen zu unternehmen. Kaufleute, deren elegante Kleidung auffiel, waren mit gemessenen Schritten zwischen den verschiedenen Lagerhäusern und Kontoren unterwegs.

Über allem schwebten die unverwechselbaren Hafengerüche, wie sie von fremdländischen Gewürzen und anderen Naturprodukten geprägt wurden. Die Häuser, schmalbrüstig und mit hohen Giebeln zur Gasse weisend, waren aus solidem Stein gebaut. Alles in allem herrschten Sauberkeit und Ordnung in Wisby vor.

Hasard sagte es seinem Begleiter, den er vor allem wegen seiner Sprachkenntnisse mitgenommen hatte.

„Ja, Dänemark ist ein feines kleines Land“, entgegnete Nils Larsen voller Stolz. „Aber hier auf Gotland gibt es auch eine Menge Schweden. Man braucht sich nur umzuhören.“ Nils beherrschte neben seiner dänischen Muttersprache auch Schwedisch, Deutsch und natürlich Englisch. Überdies konnte er sich auf spanisch recht gut verständigen, denn er war lange genug unter dem Kommando von Jean Ribault in der Karibik gesegelt.

Außer Nils Larsen befanden sich noch Piet Straaten und Jan Ranse „leihweise“ an Bord der „Isabella“. Alle drei stammten aus der Crew Ribaults. Mit dem Schwarzen Segler unter Thorfin Njal, dem Wikinger, waren sie vor der bretonischen Küste auf die Seewölfe gestoßen.

Später in Plymouth hatte Thorfin Hasards Bitte zugestimmt, ihm die drei Männer zur Verfügung zu stellen. Hasard hatte dafür allerdings die letzte gemeinsame Zeche bei Nathaniel Plymson, dem Schankwirt der „Bloody Mary“, zahlen müssen. Der Wikinger und seine Crew befanden sich jetzt auf dem Weg nach Norden. Sie wollten mit dem Schwarzen Segler das legendenumwobene Thule finden.

Philip Hasard Killigrew und Nils Larsen hatten keinen weiten Weg zurückzulegen. Die Gassen, durch zahlreiche Steinstufen untereinander verbunden, führten mit einiger Steigung in die Stadt hinauf. Vom Marktplatz aus konnte man auf die turmbewehrten Mauern und den Hafen blicken. Das unüberschaubare Gewirr der Masten und Rahen war ein eindrucksvolles Bild, deutlich zeichnete sich die „Isabella“ ab, allein schon wegen ihrer Größe und der ungewöhnlich ranken Form.

Das Ziel der beiden Männer befand sich an der Südseite des Stora Torg – so hieß der Markt in der Landessprache – gleich links neben der Kirche St. Katarina. Es handelte sich um ein dreigeschossiges Kontorhaus, aus dessen Giebelluke ein Kranbalken hervorragte. Ein deutliches Zeichen dafür, daß hier auch Waren eingelagert wurden.

Hasard und Nils betraten das Haus und fanden das Hauptkontor gleich hinter dem Eingang, einen Raum mit tiefer Decke, die von wuchtigen Balken getragen wurde. Hasard mußte seinen Kopf einziehen. Von den Fenstern fiel nicht genügend Helligkeit herein, darum sorgen mehrere Öllampen für blakendes Licht.

Der Mann, der hinter einem Stehpult aufblickte, war mittelgroß und beleibt. Seine Halbglatze schimmerte im Lampenlicht. Er hatte eine Knollennase, die seinem Gesicht einen gutmütigen Ausdruck verlieh. Doch während er die Besucher musterte, lag in seinen Augen ein Flakkern, hervorgerufen von unverkennbarer Unsicherheit. Seine Hände rafften fahrig Papiere zusammen und klappten einen Folianten zu, in dem er eben noch Eintragungen vorgenommen hatte.

„Mister Johansen?“ fragte Hasard höflich. „Jens Johansen?“

„Der bin ich. Sie wünschen, meine Herren?“ Die Stimme des Kaufmanns zitterte etwas. Er sah unsicher aus und zögerte offenbar, ob er den Besuchern einen Platz anbieten sollte.

„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, fuhr der Seewolf fort. „Meine Männer und ich stammen aus England. Wir sind daran interessiert, Geschäftsbeziehungen in der Ostsee anzuknüpfen.“

Dies entsprach in knappen Worten der Geheimorder, die Hasard von Lord Cliveden erhalten hatte. Die britische Krone war bestrebt, die hansischen Kaufleute wegen ihrer nachlassenden Leistungsfähigkeit als Zwischenhändler auszuschalten. Direkte Verbindungen sollten mit dem Baltikum aufgenommen werden.

Nils Larsen übersetzte, was der Seewolf gesagt hatte.

„Ich weiß nicht recht“, erwiderte Johansen zaudernd, wobei er seine Finger knetete. „Ich weiß wirklich nicht, ob Sie bei mir an der richtigen Adresse sind.“

„Ich denke schon.“ Hasard lächelte sanft. „Wir sind nicht auf blauen Dunst hier. Sie wurden uns gewissermaßen empfohlen, Mister Johansen.“

„So?“ Johansen zog die buschigen Brauen hoch. „Dann ist es sicherlich kein Geheimnis, um wen es sich handelt. Sie werden mir doch sagen können, wer diese Empfehlung ausgesprochen hat, nicht wahr?“

Hasard nickte.

„Selbstverständlich. Es handelt sich um den Hafenkapitän von Helsingör, Erik Hornborg. Ich nehme an, er ist kein Unbekannter für Sie.“

Johansens Miene glättete sich, und die Nervosität fiel deutlich sichtbar von ihm ab.

„O nein!“ Er strahlte. „Wenn sich die Dinge so verhalten, ist es etwas ganz anderes. Seien Sie herzlich willkommen, Gentlemen. Und entschuldigen Sie bitte meine anfängliche – hm – Zurückhaltung. Da Sie von Geschäftsbeziehungen im Ostseeraum sprachen, bin ich mir ziemlich sicher, daß Ihr Interesse dem Bernsteinhandel gilt.“

„Sie haben recht“, entgegnete der Seewolf erstaunt. „Aber woher wissen Sie …“

Jens Johansen unterbrach ihn lächelnd mit einer Handbewegung. Er trat hinter seinem Stehpult hervor und faltete die Hände vor dem Bauch.

„Es gibt hierzulande kein Handelsgut, dem augenblicklich größeres Interesse gilt. Der Bernstein ist das Gold der Ostsee. O nein, ich übertreibe nicht, Gentlemen. Es sind damit ebenso viele Gefahren verbunden wie für die Spanier mit den Goldschätzen aus der Neuen Welt.“

„Für die Dons können die Gefahren gar nicht groß genug sein“, sagte Nils Larsen grimmig. „Wir sind an einem ehrlichen Handel interessiert, wir sind nämlich keine Plünderer, Mister Johansen.“

Der Kaufmann streckte abwehrend die Arme aus.

„Verzeihen Sie, Gentlemen, so habe ich das nicht gemeint. Die Gefahren in bezug auf den Bernstein sind besonderer Art.“

„Sie sprechen von dem Monopol?“ fragte Hasard.

„So ist es, Sir. Unsereins muß sehr vorsichtig sein, wissen Sie. Die verschiedenen Landesherren beanspruchen das Recht des Bernsteinhandels ausschließlich für sich, wie Ihnen vielleicht bekannt ist. Seit nun aber König Siegmund von Polen dieses Geschäft an sich zu reißen versucht, haben sich die Schwierigkeiten verschärft.“

„Ich verstehe.“ Hasard nickte. „Je mehr Druck die gekrönten Häupter ausüben, desto mehr blüht der Schwarzhandel.“

„Ich sehe keine Schandtat darin“, erwiderte Johansen. „Meiner Meinung nach gehört der Bernstein demjenigen, der ihn findet. Ob er ihn anschließend behält oder verkauft, nun, das dürfte seine eigene Sache sein.“

„Wovon der polnische König bestimmt nicht überzeugt ist.“

Jens Johansen seufzte tief.

„Leider, leider verhält es sich so. Man hat mir bereits gedroht. Es scheint polnische Agenten zu geben, die sich nicht scheuen, auf dänischem Hoheitsgebiet herumzuschnüffeln. Jedenfalls müssen die Polen erfahren haben, daß ich meinen privaten Bernsteinhandel betreibe.“

Philip Hasard Killigrew verstand nur zu gut, welche Sorgen Johansen bedrückten. Kaufleute hatten meist ein natürliches Rechtsempfinden, das im Gegensatz zu politischen Wirrungen stand. Johansen war ein Mann, der seine Sympathie hatte. Auch nach Hasards Meinung ging es nicht an, daß eine gewisse Sorte von Herrschern überall auf der Welt ihre Ziele immer dann mit brutaler Gewalt durchsetzte, wenn es um das große Geld ging.

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