Seewölfe - Piraten der Weltmeere 295

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 295
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-692-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Es war nichts anderes als die Hölle, die in dieser Nacht ihre Pforten geöffnet hatte. Die Bürger von Concarneau glaubten fest daran, und selbst die tiefsten Kellerräume ihrer Behausungen erschienen ihnen nicht mehr sicher. Ein wahres Teufelskonzert war es, das sich da über dem Hafenstädtchen an der Küste der Bretagne entlud. Die wenigen, die noch einen Blick nach draußen riskierten, in die Schwärze der Nacht, sahen den tobenden Atlantik als einen Höllenschlund, der sich schon gierig geöffnet hatte, um ihr geliebtes Concarneau zu verschlingen.

Sturmböen heulten durch die Gassen, rüttelten mit immer wieder neu aufwallender Wut an den Türen und Fensterläden und wollten ohne Zweifel alle Riegel sprengen, die den Menschen noch Schutz vor den entfesselten Gewalten boten.

Manche hörten die Glocken schon nicht mehr. Seit der Sturm begonnen hatte, vereinte sich ihr heller Klang mit dem Geheul der Böen und wurde bisweilen aufgeregt und angstvoll schrill, dann jedoch wieder dünn und kläglich. Ja, es konnte in der Tat der Eindruck entstehen, daß dort oben im Glokkenturm der Gehörnte persönlich kichernd in den Seilen hüpfte.

Bei all dem tosenden Lärm, der das Städtchen in seinen Grundmauern erbeben ließ, hatten die Schüsse etwas Unbedeutendes. Peitschend dünn klangen sie über die Mauern der Festung hinweg, und ihr Nachhall wurde vom Sturm zerrissen. So waren es nur jene Menschen in unmittelbarer Nähe der Festung, die von dem blutigen Gefecht ahnten, das die brüllenden Naturgewalten zur Begleitmusik herabstufte.

Kleine Wolken von Pulverdampf stiegen vereinzelt von den Zinnen auf, schweflig gelb vom Schein der Fackeln, die dort drinnen noch brannten, doch sehr schnell zerfetzt vom Sturm, der alles Bewegliche mit sich nahm. Undeutlich waren vor dem matten Lichtschein auch die Silhouetten von Männern zu erkennen. Sie bewegten sich geduckt und hastig, und hin wieder blinkten die metallenen Knöpfe ihrer Uniformen, die Schulterstücke und der Stahl der Waffen.

Ein Hornsignal schmetterte durch die Sturmnacht, stark und entschlossen, verglichen mit dem Winseln der Glocken von Concarneau. Ein Marschtrupp stemmte sich gegen den Wind dem Haupttor der Festung entgegen. Die Männer trugen dunkelblaue Uniformen, waren eins mit der Nacht, und die Nägel ihrer Stiefelsohlen verursachten einen harten Rhythmus auf dem Kopfsteinpflaster.

Im Wachturm oberhalb des Haupttors wurde es lebendig. Schultern und Köpfe von Männern zeigten sich im hellen Quadrat des Außenfensters. Scharfe Befehle wurden gebrüllt, und von einer Minute zur anderen verstärkte sich das Musketen- und Pistolenfeuer im Inneren der Festung.

Dann, als das Festungstor eilends geöffnet wurde, hatten die Männer unter dem Stadtkommandanten René Douglas und dem Hafenkapitän Jean-Luc Martier bereits zum Sturmangriff angesetzt. Der Sergeant, der die vierzig Soldaten aus Brest befehligte, war ihnen eine wertvolle Hilfe. Insbesondere René Douglas wußte das taktische Einfühlungsvermögen dieses schneidigen Unteroffiziers zu schätzen, ohne den sie gegen das verwegene Piratenpack kaum eine Chance gehabt hätten.

In gestaffelter Formation stürmten die Soldaten über den weiträumigen Innenhof. Wohlüberlegt feuerten die einzelnen Linien ihre Musketen ab, während die anderen weiter vordrangen.

Den Neuankömmlingen, die soeben das Burgtor durchquerten, verschaffte der Angriff immerhin soviel Zeit, den Wachturm zu betreten und die eng gewundenen Treppenstufen hinaufzuhasten, über die man die Zinnen und die Söller der Festung erreichte.

Heftiges Feuer schlug unterdessen den Soldaten entgegen. Vor dem Haupthaus hatten die Piraten eilends Barrikaden errichtet. Zwei umgestürzte Frachtwagen boten ihnen beste Deckung, desgleichen auch der gemauerte Brunnen in der Mitte des Hofes.

Zwei dieser hartgesottenen Kerle tauchten plötzlich hinter dem Brunnen auf – mit Todesverachtung, denn die Angriffswelle der Soldaten war noch längst nicht gebrochen. Die beiden Piraten mußten mehrere geladene Musketen und Pistolen bereitliegen haben, denn sie feuerten, was das Zeug hielt. Und ihre Kumpane hinter den Barrikaden unterstützten sie nach Kräften.

Der Angriff der Soldaten geriet ins Stocken. Die Schüsse hatten sich zu einem mörderischen Hämmern verdichtet. In den vordersten Linien der Uniformierten gellten markerschütternde Schreie. Während die ersten von ihnen zusammensanken, war es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch die übrigen niedergemäht werden würden.

Bei den Piraten ertönte Gebrüll.

Die schneidende Befehlsstimme des Sergeanten ging darin fast unter. Seine Männer, unter ihnen auch René Douglas und Jean-Luc Martier, hatten sich hingeworfen. Diejenigen, die noch über schußbereite Waffen verfügten, leiteten das Rückzugsgefecht ein.

Einer der Kerle hinter den Barrikaden übertönte das Gebrüll.

„Schießt sie zusammen, diese elenden Bilgenratten! Laßt keinen von ihnen entwischen!“

Abermals verdichtete sich das Feuer der Piraten. Sie hatten ihre Rollen sorgfältig verteilt. Jene, die schossen, und jene, die nachluden, waren bestens aufeinander eingespielt. Das mußten die Soldaten zähneknirschend zugeben. Nein, diese Burschen waren ganz und gar nicht mit den erbärmlichen Galgenstrikken zu vergleichen, mit denen sie es zu Anfang in der Burganlage zu tun gehabt hatten.

Einer der Piraten, wahrscheinlich ihr Anführer, mußte die Bewegung erkannt haben, die auf den Burgmauern entstanden war.

„Volle Deckung!“

Ein Donnern folgte seinem Befehl, als hätte er selbst es ausgelöst. Grellrot stach das Mündungsfeuer von den Zinnen herunter, und der Schuß des Minions klang durch den Nachhall im Innenhof wie eine 17-Pfünder-Kanone.

Gut gezielt hatten sie, die Männer von der Stadtgarde, die zur Verstärkung angerückt waren. Das Pfeifen der Kugel währte nur einen winzigen Sekundenbruchteil. Im Krachen des Einschlags löste sich die gemauerte Brunnenwand in Brocken auf. Die Körper der beiden Piraten, die dort gelauert hatten, wurden wie leblose Gliederpuppen hochgeschleudert. Die Splitter und Gesteinsbrocken suchten ihr Ziel indessen nicht nach Gut und Böse aus. Bei den Soldaten, die – flach auf dem Boden – kaum Deckung hatten, wurden Schmerzensschreie laut.

„Feuer einstellen!“ brüllte der Stadtkommandant René Douglas. „Verdammt noch mal, stellt das Feuer ein!“

Höhnisches Gelächter erklang hinter den umgestürzten Wagen. Dieses Gelächter verfolgte die Soldaten noch, als sie sich schon mit ihren Verwundeten in die Sicherheit des Wachturms zurückgezogen hatten. Fast hatte es den Anschein, als verdankten sie diesen Rückzug der Schadenfreude der Piraten, die sich buchstäblich ausschütten wollten und deshalb nicht sofort einen neuen Kugelhagel auf die Reise schickten.

Keuchend erreichten René Douglas, Jean-Luc Martier und der Sergeant den Wachraum oben im Turm. Dort hatte sich bereits der Kommandant der Stadtgarde eingefunden, ein mittelgroßer Mann mit breiten Schultern und einem schwarzen Vollbart. Seine dunkelblaue Uniform und sein von Pulverdampf geschwärztes Gesicht gaben seinem Aussehen etwas Düsteres.

Zornig baute sich René Douglas vor dem Mann von der Stadtgarde auf.

„Sind Sie wahnsinnig geworden, Mercier? Wie konnten Sie diesen Feuerbefehl geben!“ Douglas stemmte die Fäuste in die Hüften. Er war ein großer, schwerer Mann, rotgesichtig und mit einem weißen Oberlippenbärtchen. Mit energischem Ruck zog er den Helm auf seinem Kopf zurecht.

Mercier knurrte unwillig.

„Unterstellen Sie mir nicht irgendwelche Nachlässigkeiten, Douglas! Glauben Sie, ich hätte leichtfertig gehandelt? Mir lag nur daran, Sie zu unterstützen.“

„Sehr gut! Dafür haben wir jetzt drei zusätzliche Verwundete.“ René Douglas wippte auf den Zehenspitzen.

„Meinen Sie, das wäre Absicht von mir gewesen?“ schrie Mercier.

„Messieurs, hören Sie auf damit“, mischte sich Jean-Luc-Martier versöhnlich ein. „Auf diese Art und Weise erreichen wir überhaupt nichts. Es hat keinen Sinn, daß wir uns jetzt über Wenn und Aber ereifern.“ Martier blickte in die Runde. Er war hager und bartlos, sein Gesicht hatte harte Furchen.

„Richtig“, sagte der Sergeant und nickte. „Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Wir müssen auf die Minions verzichten, jedenfalls bei der augenblicklichen unübersichtlichen Lage. Die Stadtgardisten werden uns trotzdem eine wertvolle Hilfe sein, auch ohne die Geschütze.“

„Als Kanonenfutter vielleicht?“ knurrte Mercier eingeschnappt. Er deutète mit einer Kopfbewegung zum Innenhoffenster. Von dort waren jetzt wieder vereinzelte Schüsse zu hören. Die Soldaten bargen ihre toten Kameraden. „Vielleicht darf ich auch einmal meine Meinung äußern. Wenn ich mich nicht sehr täusche, haben wir es da draußen mit einem kleinen Haufen hergelaufener Halunken zu tun. Und wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie vierzig Soldaten zur Verfügung, Messieurs. Ich bringe Ihnen weitere zwanzig Mann. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir erklären würden, wieso trotz dieses Kräfteverhältnisses …“

 

„Unsinn!“ unterbrach ihn der Stadtkommandant mit einer schroffen Handbewegung. „Das sind keine Hergelaufenen, Mercier. Das sind eisenharte Kämpfer. Nichts gegen den Ausbildungsstand der Soldaten …“ er beschrieb eine entschuldigende Geste zu dem Sergeanten hin, „… aber diese Kerle dort unten scheinen darauf gedrillt zu sein, sich sogar mit dem Teufel anzulegen.“

„Ich beschwöre Sie noch einmal, Messieurs“, sagte Jean-Luc Martier, der Hafenkapitän. „Diskussionen bringen uns nichts ein. Im Augenblick ist wichtig, wie viele einsatzfähige Männer wir noch haben. Und dann dürfen wir dem Piratenpack keine Ruhe gewähren.“

Der Sergeant wandte sich ab und verließ den Wachraum mit dem gemurmelten Hinweis, er werde sich um eben jene Einsatzstärke seiner Truppe kümmern.

„Also gut“, murmelte René Douglas, legte die Hände auf den Rücken und wanderte ein paar Schritte auf und ab, wobei er aber vermied, dem Innenhoffenster zu nahe zu geraten. Dann blieb er vor Mercier stehen. „Nehmen Sie es mir nicht übel, mein Freund. Wir schlagen uns nun schon geraume Zeit mit dem Gesindel herum. Vielleicht sind unsere Nerven zu sehr strapaziert.“

Der Sergeant kehrte mit einer knappen Meldung zurück.

„Wir haben zweiunddreißig einsatzbereite Männer, die Leichtverwundeten mitgerechnet.“

„Und die Gegenseite?“ fragte Mercier.

„Acht“, antwortete der Sergeant betreten. „Die zwei, die sich bis zum Brunnen vorgewagt hatten, sind von der Geschützkugel zerrissen worden.“

„Acht Mann“, wiederholte Mercier kopfschüttelnd. „Unglaublich! Acht Strolche, denen wir mit zweiundfünfzig ausgewachsenen Kerlen gegenüberstehen. Da muß es doch wohl mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht in der nächsten halben Stunde klare Verhältnisse schaffen!“

2.

Yves Grammont schnappte sich das Tromblon, das der Mann neben ihm in fliegender Hast geladen hatte. Mit einem federnden Satz schnellte der Anführer der Piraten hinter der Deckung hervor. Hakenschlagend hetzte er auf den Trümmerhaufen zu, der von dem Brunnen übriggeblieben war.

Schüsse peitschten hinter den umgestürzten Wagen, die Grammonts Kumpanen als Barrikaden dienten. Der Feuerschutz erwies sich als wirksam. Nur kläglich erwiderten die Stadtgardisten und Soldaten das Feuer von den Burgmauern herab.

Unbehelligt erreichte Yves Grammont die Brunnenreste. Bevor er sich in Deckung warf, verharrte er einen Atemzug lang, brachte das Tromblon in Anschlag und zog durch. Die Steinschloßwaffe zischte und entlud sich im nächsten Moment mit einem Brüllen. Gehacktes Blei sirrte weitgestreut über den Burghof.

Der kleine Haufen von Soldaten, der sich beim Eingang zum Wachturm drängte, war nicht schnell genug in Sicherheit. Einen oder zwei von ihnen erwischte es. Yves Grammont konnte es nicht genau feststellen, aber er registrierte die Schreie grinsend und mit Genugtuung. Hinter einem der Mauerbrocken fand er Deckung, während seine Kumpane weiterhin die Burgzinnen beharkten.

Atemzüge später verzerrte sich Grammonts bärtiges Gesicht voller Wut. Für seine beiden Männer, die halb von Gesteinstrümmern zugedeckt waren, gab es keine Hilfe mehr. Es war indes keine Trauer, die Yves Grammont empfand. Es war der ohnmächtige Zorn über die zusammenschmelzende Kampfkraft seines Haufens. Aber so schnell gab er sich nicht geschlagen, o nein, so schnell nicht!

Mit einem Handzeichen verklarte er seinen Kumpanen, daß er zu ihnen zurückzukehren gedachte. Augenblicklich verstärkte sich deren Feuer. Grammont sprang auf und hastete von dem Brunnen weg. Auch diesmal schaffte es keiner der Uniformierten oben auf den Burgmauern, ihn mit einem gezielten Schuß zu erwischen. Grammont wußte, daß er sich auf seine eigene Schnelligkeit verlassen konnte. Für so ein bewegtes Ziel brauchte es schon einen Meisterschützen, um ins Schwarze zu treffen.

Mit einem letzten Satz warf sich Grammont hinter den umgestürzten Wagen. Er keuchte. Seine Wunden behinderten ihn immer noch, doch das änderte nichts an seiner eisernen Entschlossenheit, es mit der Übermacht aufzunehmen.

Grammont warf seinem Nebenmann, der für ihn die Waffen zu laden hatte, das Tromblon zu. Durch die Wagenradspeichen spähte der Piratenführer auf den Burghof. Er rückte seine Augenbinde zurecht. Zusammen mit dem dunklen Vollbart verlieh sie ihm ein wildverwegenes Aussehen.

Sein Nachbar, der eine fertiggeladene doppelläufige Pistole für ihn bereithielt, musterte ihn mit einem Seitenblick, in dem Bewunderung zu erkennen war. Ja, dieser Yves Grammont war ein Klotz von einem Kerl. Mit seiner athletischen Statur lehrte er jeden Gegner das Fürchten. Das offene weiße Hemd ließ seine dicht behaarte Brust erkennen, und das Kopftuch bestärkte jenes Bild, das man gemeinhin von einem furchterregenden Piraten hatte.

Nur noch vereinzelt blafften jetzt Schüsse von den Burgmauern herab. Grammont zog fluchend den Kopf ein, als eine der großkalibrigen Musketenkugeln haarscharf vor seiner Nase Splitter aus den Seitenplanken des Wagens riß. Er knirschte wütend mit den Zähnen. Oh, diese Himmelhunde hatten ein leichtes Spiel, solange sie keinen offenen Angriff riskierten. Oben auf ihrer Mauer waren sie sicher wie auf dem Schießstand und brauchten nur genau genug zu zielen, sobald sie eine Nasenspitze hinter den Wagen-Barrikaden zu sehen kriegten.

Einer der anderen, die hinter dem zweiten Wagen kauerten, huschte zu Yves Grammont herüber, ein blonder, wieselflinker Mann mit schulterlangem Haar. Die Uniformierten reagierten nicht schnell genug auf seinen Ausbruch. Bleikugeln schlugen sich auf der freien Fläche zwischen den beiden Wagen platt, als der Blonde längst mit einem federnden Satz neben Grammont in Deckung tauchte.

„Was gibt es, Maurice?“ knurrte der Anführer der Piraten.

„Wir haben den Durchgang aufgebrochen, Yves. Nur ein paar Schritte von unserer Deckung entfernt. Diese Land-Kakerlaken haben’s nicht mal mitgekriegt.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zu den Burgzinnen hinauf.

„Und?“ Grammont starrte den Blonden mit funkelnden Augen an. „Denkst du, ich blase zum Rückzug? Glaubst du, ich verkrieche mich wie eine lausige Bilgenratte?“

„Das nicht. Aber es könnte ja sein, daß …“

„Dummes Zeug!“ schnaubte Grammont. „Sieh sie dir doch an, diese armseligen Figuren. Sie haben mehr als fünfzig Mann und schaffen es trotzdem nicht, gegen uns anzustinken. Was für ein erbärmlicher Haufen ist das doch! Ich würde mir selbst in den Hintern treten, wenn ich das Pech hätte, solche Schwachköpfe zu befehligen.“

Maurice, der neben seinem Entermesser zwei schwere Pistolen im Gurt trug, grinste breit.

„Mir würde es nicht anders ergehen. Aber man muß die Dinge auch sehen, wie sie sind. Wenn wir den Seitenbau erreichen, können wir die Kerle besser unter Kontrolle halten. Hier im Hof können wir ihnen zwar zeigen, daß wir zehnmal besser sind als sie. Aber wenn sie’s richtig anstellen, schießen die uns derart zusammen, daß uns Hören und Sehen …“

Was er sonst noch sagen wollte, wurde dem blonden Piraten buchstäblich von den Lippen gerissen.

Ein mörderisches Stakkato von Schüssen setzte so plötzlich ein, so daß selbst Yves Grammont stark zusammenzuckte. Von allen Seiten stachen jetzt die grellroten Mündungsblitze der Musketen herab, und ein konzentrierter Kugelhagel prasselte auf die Deckung der Piraten. Grammont und seinen Kumpanen blieb im Augenblick nichts anderes, als zusammengekrümmt zu verharren.

Der Piratenführer schlug mit der Faust gegen die Wagenbretter. Sein Gebrüll konnten nur die Männer in unmittelbarer Nähe verstehen. Im Krachen der Schüsse ging jeder andere Laut unter.

„Ihr gottverdammten, lausigen Uniformärsche! Ich werde euch den Hintern aufreißen, verlaßt euch drauf! Eure lächerliche Festung legen wir in Schutt und Asche! Und das ganze stinkende Kaff dazu, wenn es sein muß!“

„Rückzug!“ schrie Maurice, der Blonde, seinem Anführer ins Ohr. „Noch haben wir eine Chance!“

Yves Grammont gab ihm mit einem unwilligen Handzeichen zu verstehen, daß er einverstanden war.

Unvermittelt ließ der Feuerzauber nach. Die Phase des Nachladens hatte begonnen. Auch die Soldaten und die Stadtgardisten kochten nur mit Wasser.

Jäh schnellte Grammont hoch und stieß die doppelläufige Pistole über das zersplitterte Wagenholz hinweg. Zweimal kurz hintereinander brüllte die schwere Waffe, und von den nahen Burgzinnen gellte ein Schrei. Eine dunkle Silhouette schraubte sich vor dem düsteren Nachthimmel hoch und kippte langsam vornüber. Der Schrei endete mit einem klatschenden Aufschlag.

Grammonts Horde stimmte ein Triumphgeheul an. Doch es war nur von kurzer Dauer. Keiner von ihnen vermochte später zu sagen, wie es sich genau abgespielt hatte. Möglich, daß sie in der Freude über den glänzenden Schuß ihres Anführers etwas zu unvorsichtig geworden waren. Möglich aber auch, daß sie in der Wuhling ihres beginnenden Rückzugs nicht sorgfältig genug auf Dekkung achteten.

Schlagartig setzte das massierte Musketenfeuer der Uniformierten wieder ein. Sie waren mit dem Nachladen schneller fertiggeworden als Yves Grammont vermutet hatte.

Der Schreck packte ihn, als sein Nebenmann, der für ihn geladen hatte, plötzlich ohne einen Laut zusammensank. Grammont stieß die leergeschossene Doppelläufige unter seinen Gurt und riß dem Sterbenden das Tromblon aus den Händen, das wieder schußbereit war. Der Mann hatte kein Gesicht mehr, die Musketenkugel hatte Furchtbares angerichtet.

Grammont bezwang seine ohnmächtige Wut. Gemeinsam mit Maurice deckte er den Rückzug der anderen. Das Tromblon taugte nicht viel für die größere Distanz. Immer noch prasselten die Musketenkugeln gegen die umgestürzten Wagen.

Grammont schnappte sich die Pistole des Toten, dann auch dessen Pulverflasche und den Kugelbeutel und lud in fliegender Hast die Doppelläufige und die Einschüssige nach. Er gab seinem blonden Kumpan ein Handzeichen.

Maurice nickte.

Federnd schnellte Grammont hoch und lief geduckt zu dem zweiten Wagen hinüber. Maurice feuerte nacheinander zwei Schüsse ab. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß die Kugeln seinem Anführer wie ein wütender Hornissenschwarm folgten. Mit häßlichen Lauten schlug sich das großkalibrige Blei auf dem Kopfsteinpflaster platt.

Grammont erreichte die Deckung unbeschadet, doch im selben Moment gellte ein markerschütternder Schrei. Einen Atemzug lang glaubte er, es hätte Maurice erwischt. Doch dieser war bereits damit beschäftigt, seine Waffen nachzuladen.

Yves Grammont wandte sich um. Einer seiner Männer, die den Durchgang zum Seitenbau schon erreicht hatten, kippte mit hochgerissenen Armen hintenüber. Sein Schrei versiegte, als er hart auf das Steinpflaster schlug.

Grammont brüllte eine Verwünschung zu den Burgmauern hinauf, doch im Höllenlärm der Schüsse ging seine Stimme unter. Nur noch sechs Männer hatte er jetzt. Aber verdammt, deshalb gab er sich nicht geschlagen. Noch lange nicht.

Zähneknirschend brachte er die Doppelläufige in Anschlag, um auch Maurice den Rückzug zu ermöglichen. Der Blonde schaffte es fast mühelos. Nachdem sie nachgeladen hatten, wichen Grammont und sein Kumpan feuernd zurück.

Sie erreichten den schützenden Mauervorsprung in der Nähe des Durchgangs zum Seitenbau. Nur noch drei, vier Schritte brauchten sie jetzt, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Rückzug, den Yves Grammont eben noch weit von sich gewiesen hatte, erwies sich jetzt als einzig rettender Ausweg.

Ein Stöhnen war unvermittelt zu hören, ganz nahe. Grammont stieß mit dem Fuß gegen etwas Weiches. Zu sehen war nichts. Der Schein der wenigen Fakkeln reichte nicht bis hierher.

„Was, zum Teufel, ist das?“ fauchte Grammont.

„Der Gefangene“, antwortete Maurice, der sich neben ihn gedrängt hatte. „Lassen wir ihn zurück! Wir brauchen ihn nicht mehr.“

Grammont war kurz davor, erneut aufzubrausen. Aber er bezwang sich. Die anderen hatten ebenso eigenmächtig entschieden, als sie kurzerhand darauf verzichtet hatten, den Kerl mitzunehmen.

„Doch!“ zischte Grammont. „Schnapp ihn dir, Maurice, los, los!“

 

Der Blonde gehorchte schweigend. Sie nutzten eine kurze Feuerpause, die die Soldaten und Stadtgardisten einlegten, da sie kein erkennbares Ziel mehr vor Augen hatten. Maurice schleifte den Gefesselten mit sich. Unbehelligt erreichten Grammont und er den Durchgang, in dessen Beginn zwei ihrer Kumpane ausharrten, bereit, ihnen Feuerschutz zu geben.

„Weg hier!“ befahl der Anführer der Piraten. Maurice und er hasteten weiter, während die beiden anderen die schwere Bohlentür zuzogen. Der Innenriegel funktionierte noch, lediglich das äußere Schloß hatten sie aufgebrochen.

Den Seitenbau erreichten sie durch einen Gewölbekeller und über mehrere Steintreppen. Es handelte sich um eins der ehemaligen Gesindehäuser, im nordwestlichen Teil der Festung gelegen. Während sich seine Männer verschanzten, überzeugte sich Yves Grammont von den Vorzügen dieses Gebäudeteils.

Maurice hatte recht gehabt. Hier standen ihre Chancen wesentlich besser. Die Nordseite des Traktes grenzte unmittelbar an freies Gelände, das zur Atlantikküste hin abfiel. Östlich lag Concarneau, und nach Süden und Westen schloß sich die Festungsanlage an.

Es störte keinen der Piraten, daß die Sturmböen durch die leeren Fensterhöhlen pfiffen. Auf Gemütlichkeit waren sie nicht bedacht. Sie wußten ohnehin, daß ihnen nur noch wenige Minuten Ruhe blieben, bis ihnen die Leute des Stadtkommandanten und des Hafenkapitäns erneut auf den Pelz rückten.

Während seine Kumpane die Waffen klarierten, zog sich Grammont mit dem Gefangenen in einen windgeschützten Winkel des leeren Raumes zurück. Der Kerl war zerlumpt gekleidet. Grammont hatte ihn als einzigen aus der Meute der bretonischen Küstenhaie überleben lassen. Denen Anführer, Le Marocain, hatte Grammont eigenhändig ins Jenseits befördert. Er packte den Zerlumpten am Kragen und stieß ihn angewidert gegen die Mauer.

„Rede! Was ist hier passiert? Sag es mir schnell, wenn du ein bißchen an deinem Leben hängst.“

Der Mann zitterte. Nur stockend brachte er die ersten Worte heraus. Dann, mehr und mehr, beflügelte ihn die Hoffnung, daß der Bärtige ihn vielleicht doch am Leben ließ, wenn er nur bereitwillig genug berichtete.

Yves Grammont hörte ruhig zu. Der Wortschwall des Marodeurs ließ sich in einem höchst niederschmetternden Umstand zusammenfassen: Nur um Haaresbreite war ihm, Grammont, der Seewolf entwischt. Dieser britische Hurensohn war zwar vom Regen in die Traufe geraten, aber das änderte nichts daran, daß die Dinge für ihn ungleich besser standen.

Die Soldaten hängten ihn nicht an die nächstbeste Rahnock. Nein, die brachten ihn zu ihrem Stützpunkt, wo dann die höheren Chargen zu entscheiden hatten, was mit dem verdammten Engländer und seiner Mannschaft zu geschehen hatte. Und bis dahin war es ein weiter Weg.

Vieles konnte auf diesem Weg geschehen.

Grammont fragte sich, wo sein Freund Saint-Jacques mit der „Louise II“ blieb. Aber wenn er sich die Dinge richtig zusammenreimte, dann gab es eigentlich nur eine Möglichkeit: Saint-Jacques mußte die Verfolgung des Seewolfs aufgenommen haben.

Easton Terry würgte seine Übelkeit herunter. Hölle und Teufel, er mußte seinen ganzen Widerstandswillen aufbieten, damit er ihm nicht hochkam. Das lag nicht etwa daran, daß ihm das Herz oder wer weiß noch was in die Hose gerutscht war. Für einen, dem keine Seebeine gewachsen waren, gab es dazu allerdings Anlaß genug.

Das Brüllen des Sturm hörte sich in der engen Vorpiek schlimmer an als es in Wirklichkeit sein mochte. Brecher krachten immer wieder auf das Vordeck, und eine ängstliche Natur mochte dabei das Gefühl haben, jeden Moment lebendig begraben zu werden. Und dann, gefesselt und hilflos eingeklemmt zwischen geborstenen Planken, hinabzurauschen in das nasse Grab.

Nein, Easton Terry, der breitschultrige, muskelbepackte Korsar, war kein Mann, der sich von Stimmungen dieser Art deprimieren ließ. Seine Lage war miserabel und so gut wie hoffnungslos, na gut. Und es hätte ihm gewiß besser gefallen, jetzt mit beiden Füßen auf den Decksplanken zu stehen und den Böen und Brechern zu trotzen. Aber das alles – die Fesseln und die Enge der stockfinsteren Vorpiek – war noch lange kein Grund, sich in ein winselndes Häufchen Elend voller Selbstmitleid zu verwandeln.

Nein, es war der Gestank, der Terrys Übelkeit hervorrief.

Seit der Sturm begonnen hatte, spuckte sich einer der beiden Franzosen die Seele aus dem Hals. Oder waren es alle beide?

Terry vermochte nicht mehr genau zu unterscheiden, ob das fortwährende Stöhnen, Keuchen und Husten nur von einem seiner Mitgefangenen oder von beiden herrührte. In einer Ecke der Vorpiek, nach Backbord hin, hatte er Halt zwischen den Zurrings eines Fasses gefunden.

Die Franzosen waren da wesentlich ungeschickter. Jedesmal, wenn das Schiff hart nach Backbord krängte, kriegte er etwas ab – einen Stiefel, der sich in seine Magengrube drückte, einen Ellenbogen, der sich in seinen Brustkasten bohrte, oder ein Knie, das sich wesentlich unangenehmere Körperteile aussuchte.

Jedesmal überschüttete Easton Terry die beiden Kerle mit Flüchen und Beschimpfungen. Aber es half alles nichts. Wer auch immer es war, er setzte seine Speierei ununterbrochen fort, und auch sonst gab es von den beiden keine Reaktion.

„Seid ihr total blöd, Frenchies?“ schrie Terry, als es für einen Moment ruhiger wurde. Der Sturm schien eine Atempause einzulegen. „Statt hier die Bude vollzukotzen und wie Hampelmänner durch die Gegend zu purzeln, solltet ihr lieber euren Grips anstrengen!“

Er horchte in die Finsternis. Keine Antwort. Nur dieses Würgen. Immer noch. Der Teufel mochte wissen, was der Kerl alles aus seinem Magen herausholte. Vielleicht versuchte er, ihn von innen nach außen zu stülpen.

„Wenn ihr meine Sprache nicht versteht, dann müßt ihr es sagen!“ Terry hatte die beiden Soldaten kaum richtig zu sehen gekriegt. Nur zu dem Zeitpunkt, als der Bastard Killigrew sie zusammen mit ihm in die Vorpiek geworfen hatte. Und dann noch ein paarmal, wenn der Fraß aus der Kombüse gebracht worden war.

Meist hatten das die Söhne des Seewolfs besorgt, diese beiden kleinen Strolche, die Philip Hasard Killigrew wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Eine Chance, sie zu überrumpeln, hatte es trotzdem nicht gegeben. Immer hatte einer von den anderen draußen vor dem offenen Schott gestanden. Meist Carberry, dieses Urvieh von einem Profos, mit dessen Fäusten Terry nicht unbedingt näher bekannt werden wollte.

Einmal hatte der Wikinger, dieser behelmte Affe, die Zwillinge beaufsichtigt. Nein, für die Crew des Seewolfs und alle anderen, die mit ihm verbündet waren, hatte Easton Terry kein einziges gutes Wort mehr.

Auch die Erinnerung an den gemeinsamen Auftrag, mit dem Philip Hasard Killigrew und er den Hafen von Plymouth verlassen hatten, war verblaßt. Killigrew hatte sich als ein Kerl erwiesen, der zuviel von seinem verdammten Ehrgefühl hielt. Terry wünschte sich, dem verhaßten Gegner noch einmal gegenüberzustehen. Nur ein einziges Mal noch. Eine zweite Niederlage würde es nicht geben. Verdammt noch mal, nein, ein zweites Mal sollte ihn der Bastard Killigrew nicht kleinkriegen.

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