Seewölfe - Piraten der Weltmeere 233

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 233
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-569-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Capitán Juan Sánchez Sarmiento durchmaß den Raum mit unruhigen Schritten. Seine Bewegungen hatten die Gereiztheit einer Raubkatze im Käfig.

Das prasselnde Kaminfeuer vermochte seine Nerven nicht zu beruhigen. Trotz der Wirren der zurückliegenden Geschehnisse hatte jemand Gelegenheit gefunden, die Holzscheite anzuzünden. Für den hochgewachsenen Spanier eine pure Ironie. Zu dem Zeitpunkt, als das Kaminholz von seinen Ordonnanzen bereitgelegt worden war, hatte die Zitadelle von Ferro noch ihren Erbauern gehört, den Repräsentanten der ruhmreichen spanischen Nation.

Jetzt, von einem Tag auf den anderen, symbolisierte das verdammte Kaminfeuer, wie sehr sich die Verhältnisse auf Ferro geändert hatten. Da waren Bastarde, die sich erdreisteten, jenes wärmende Feuer zu entfachen, das eigentlich dem Kommandanten und seinem Offiziersstab vorbehalten war.

Jawohl, Bastarde waren es, die sich hier ins warme Nest gesetzt hatten. Pöbel ohne einen Funken von Anstand und Gottesfurcht.

Es war kühl an diesem Septembermorgen des Jahres 1591.

Ferro, die westlichste und zugleich kleinste der Kanarischen Inseln, war mit dichtem Nebel umhüllt. Noch gab es kein Anzeichen dafür, daß sich die milchigen Schwaden auflösen und die grünen Hügel der Insel entblößen würden.

Capitán Sarmiento blieb zum wiederholten Male vor einem der Fenster stehen, ballte die Hände zu Fäusten und wippte auf den Zehenspitzen. Der Nebel ersparte ihm den Blick auf den Hafen. Nur die „Sevillana“ lag dort noch an der Mole, überladen mit seinen am Leben gebliebenen Männern, deren Stolz von einer wilden Meute irischer Höllenhunde gebrochen worden war. Eben jene Meute hatte die beiden anderen Galeonen noch im Hafen versenkt, ehe sie auch nur Segel setzen konnten.

In ihrer blindwütigen Entschlossenheit, mit der sie die Festung im Handstreich genommen hatten, waren diese Kerle wahrhaftig einem Rudel todesverachtender Wölfe gleich gewesen. Im hintersten Winkel seiner Gedanken mußte Sarmiento allerdings gestehen, daß Trägheit und übersteigerte Selbstsicherheit entscheidend zu dem Debakel beigetragen hatten. Vergeblich versuchte er, diesen Gedanken zu unterdrücken.

Stimmen wurden laut. Rauhe Stimmen, begleitet von hallenden Stiefeltritten.

Capitán Juan Sánchez Sarmiento drehte sich um, legte die Hände auf den Rücken und sah zur Tür, die von außen verriegelt worden war. Außerdem hatten sie einen Wachtposten aufgestellt. Auch das war eine Demütigung. Die irischen Bastarde hielten den stellvertretenden Kommandanten der Zitadelle für so unbedeutend, daß sie ihm nur einen einzigen Posten zugedachten. Und als gefährlich schätzten sie ihn offenbar auch nicht ein, denn sie hatten ihn nicht einmal in Ketten gelegt, geschweige denn gefesselt.

Was sie draußen vor der Tür herumgrölten, verstand er nicht. Ihre keltische Sprache war so rauh und unkontrollierbar wie sie selbst.

Der Riegel bewegte sich klirrend. Dann flog die Tür unter einem Fußtritt auf und krachte gegen die Innenwand aus Quadersteinen. Capitán Sarmiento bemühte sich, Haltung zu bewahren. Hochaufgerichtet blickte er der lärmenden Horde entgegen. Dank seines mittelblonden Haars und seiner beträchtlichen Körpergröße sah Sarmiento nicht aus wie ein typischer Spanier. Auf sein respekteinflößendes Äußeres war er stets stolz gewesen, unterschied es ihn doch von seinen meist kleinwüchsigen und schwarzhaarigen Landsleuten.

Nun, Respekt war bei diesem wilden Haufen wohl das, was man am allerwenigsten erwarten konnte.

Gestikulierend und durcheinanderredend quollen sie herein. Der eine überschrie den anderen. Sarmiento war versucht, ein überhebliches Lächeln aufzusetzen. Disziplin schienen sie ebensowenig zu kennen wie all die anderen guten Eigenschaften eines rechtschaffenen Christenmenschen.

Capitán Juan Sánchez Sarmiento fühlte sich in diesem Augenblick wie ein Fels, der die abendländische Kultur zu vertreten und einer Brandung zivilisationsferner Wildheit zu trotzen hatte.

Sie verteilten sich im Raum.

Sarmiento erschrak. Erst jetzt sah er, daß sie den Coronel mitbrachten. Zwei rothaarige Kerle mit breitflächigen Gesichtern, die von der Trunksucht gezeichnet waren, stießen den armen Mann herein und hielten ihn auf ein Zeichen ihres Anführers fest.

Coronel Luis Adriano Barroso Rubio sah wie ein Schatten seiner selbst aus, das Gesicht bleich und eingefallen, die Augen stumpf und glanzlos. Sarmiento erschauerte. Welchen Wechsel diese eine Nacht für den Kommandanten von Ferro mit sich gebracht hatte! Er versuchte, dem Obristen mit seinem Blick Mut zuzusprechen, ihm zu signalisieren, es sei noch längst nicht alles verloren. Doch Sarmiento beschlich das Gefühl, daß Rubio ihn kaum wahrnahm.

Der Anführer der Iren brüllte einen barschen Befehl. Sofort verstummte die Meute.

Nur auf Lautstärke schienen sie zu reagieren. Aber immerhin, sie gehorchten. Sarmiento stellte es mit heimlichen Erstaunen fest.

Brendan O’Connell, so hieß der Anführer, stieß die blonde Frau von sich, die sich eben noch an seinen Oberarm geschmiegt hatte. Ihr Name war Philomena O’Donovan. Mit einem Funkeln in den Augen zog sie sich zurück zum Kamin, wo sie mit trotzigem Gesichtsausdruck vorgab, die Wärme mehr zu genießen als die Nähe ihres Gefährten.

Capitán Sarmiento kannte auch die Namen der übrigen Iren, die in der Meute Führungspositionen innehatten. Mit prahlerischem Stolz hatten sie sich nach der Besetzung der Zitadelle vorgestellt. Für einen weltgewandten Spanier waren irische Namen durchaus einprägsam. Bei seinen bisherigen drei Reisen in die Neue Welt hatte Sarmiento jedesmal an der irischen Westküste Station gemacht. Zu den dortigen Handelshäusern der Iren pflegte Spanien gute Beziehungen.

O’Connell, der Kopf der wilden Meute, hatte einen engen Vertrauten namens James Ryan. Ryan war offenbar Schatzmeister und persönlicher Berater in einer Person. Dann gab es noch die beiden Unterführer Mick Laragh und Liam O’Driscoll. Außer den beiden Kerlen, die den Coronel gepackt hielten, standen noch vier weitere in der Nähe der Tür. Sie gehörten zum Fußvolk, wie Sarmiento feststellte.

„Guten Morgen, Don Juan“, sagte Brendan O’Connell mit spöttischem Grinsen. „Richtig so? Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich so nenne – oder?

Die anderen stimmten ein glucksendes Gelächter an, verstummten aber sofort, als ihr Anführer herrisch abwinkte.

Juan Sánchez Sarmiento zog die linke Augenbraue hoch und maß den Iren mit einem unerschrockenen Blick.

„Ich könnte wohl nichts dagegen tun – Paddy.“

Es war, als hätte ein Donnerschlag die Männer getroffen. Sie starrten den Spanier an, entgeistert und ungläubig. Nur der Coronel, blaß und geistesabwesend, schien von allem nichts zu begreifen.

Sarmiento empfand noch immer jene herausfordernde Art von Stolz. Wenn es auch Galgenhumor sein mochte, so kümmerte es ihn nicht. Stolz deshalb, weil er diesen Namen kannte, bei dem die Iren so empfindlich reagierten. Stolz auch, weil sein Englisch besser war als ihr von keltischen Brocken durchsetztes Kauderwelsch.

O’Connell trat einen Schritt auf den Capitán zu. Der Anführer der irischen Freibeuter war untersetzt und breitschultrig, hatte rotblondes Haar und einen ebensolchen Vollbart. Er reckte den Kopf vor und blinzelte.

„Wie war das eben, Don Juan?“

„Sie haben es sehr wohl verstanden, Mister O’Connell. Ich sehe keinen Grund, mich zu wiederholen.“

O’Connell furchte die Stirn. Plötzlich wandte er den Kopf zur Seite.

„Habt ihr das gehört?“

„Was?“ knurrte Mick Laragh, ein knochiger und hochgewachsener Mann. Sein bartloses Gesicht war mit Sommersprossen übersät, sein braunes Haar hatte einen rostroten Schimmer.

„Was er gesagt hat, du Affe!“ O’Connell brüllte es.

Laragh schwieg beleidigt.

James Ryan räusperte sich. Er trug einen dunklen Spitzbart, war klein, drahtig und dunkelhaarig und hatte einen füchsischen Gesichtsausdruck.

„Wenn ich richtig verstanden habe, Brendan, dann sieht er keinen Grund, dich noch einmal ‚Paddy‘ zu nennen.“

„Mhm. So war es wohl“, brummte O’Connell und wandte sich wieder dem Capitán zu. „Einmal ist schon zuviel, Don Juan. Ich sehe also keinen Grund, dir dafür nicht eine runterzuhauen.“

Ohne erkennbaren Ansatz schlug O’Connell blitzschnell zu. Seine flache Hand klatschte in das Gesicht des Spaniers. Unter der Wucht des Schlages stürzte Sarmiento zu Boden, doch kein Schmerzenslaut drang über seine Lippen. Als er sich auf die Seite rollte und aufrichten wollte, traf ihn ein Fußtritt von Liam O’Driscoll, einem schwarzhaarigen Riesen mit wildwucherndem Vollbart.

 

Capitán Sarmiento schlug der Länge nach hin, und die Meute johlte vor Vergnügen. Dennoch gab der Spanier keinen Laut von sich, mit dem er seine Niederlage noch betont hätte.

Die blonde Frau stieß sich vom Kamin ab und lief mit wehenden Rökken herbei. Sie war üppig gebaut, und ihre Oberarme konnten an Umfang mit denen eines Mannes leicht mithalten. Tief beugte sie sich über den am Boden Liegenden. Ihr mächtiger Busen war nahe vor seinem Gesicht und schien den Ausschnitt des Leinenhemds sprengen zu wollen. Sie tätschelte seine Wangen, daß es klatschte, und sie kicherte dabei.

„Da gehen dir die Augen über, was, mein Junge? Wenn du jetzt könntest, wie du wolltest, was? Aber das wünsche dir nur nicht, denn du wärst nicht der erste, den Philomena O’Donovan auf dem Zahnfleisch kriechen läßt!“

Die Männer brüllten vor Vergnügen. Brendan O’Connell hielt sich prustend den Bauch.

Die Rechte der Frau zuckte plötzlich vor, klemmte Sarmientos Nase zwischen Zeigefinger und Mittelfinger ein und drehte. Der Spanier schrie auf.

Philomena O’Donovan richtete sich grinsend auf.

„Seht ihr, ihr Lappen? Da muß erst eine schwache, kleine Frau zupakken, um so einen lausigen spanischen Olivenfresser zum Quieken zu bringen!“

Wieder johlten die Männer los. O’Connell schlug seiner Gefährtin begeistert auf das Hinterteil und trieb sie von dem Capitán weg.

Zornrot im Gesicht richtete sich Sarmiento auf. Er rieb sich die Nase, die ein noch dunkleres Rot als seine Gesichtshaut angenommen hatte.

Breitbeinig baute sich Brendan O’Connell vor ihm auf.

„In Ordnung, Don Juan. Können wir jetzt ein paar vernünftige Töne von Mann zu Mann ausspucken?“

Sarmiento ließ die Hand sinken und atmete tief durch.

„Sie treffen hier die Entscheidungen, Mister O’Connell. Ich habe keine andere Wahl, als das zu akzeptieren.“

„Das hast du schön gesagt, Don Juan. Wirklich, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“ O’Connell trat einen Schritt zur Seite und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf den Coronel, der mehr in den Fäusten seiner beiden Bewacher hing, als daß er auf eigenen Füßen stand. „Sieh dir deinen armen alten Kommandanten an, Don Juan. Ist er nicht zu bedauern? Läufst du nicht über vor Mitleid, wenn du siehst, wie verdammt ihm die ganze Sache an die Nieren geht?“

„Es ist sehr leicht, sich an einem wehrlosen Mann zu vergreifen“, sagte Sarmiento ruhig.

„Oh, komm mir nicht so!“ brüllte O’Connell. „Wir haben den Mann nicht mal mit dem kleinen Finger angefaßt. Ihr spanischen Scheißer müßt endlich mal lernen, von eurem hohen Roß runterzusteigen.“ Seine Stimme senkte sich unvermittelt zum Flüsterton. „Und ich warne dich, Amigo! Wenn du noch mal das Wort ‚Paddy‘ in den Mund nimmst, breche ich dir jeden Knochen einzeln im Leib!“

Sarmiento preßte die Lippen aufeinander. Immer mehr gelangte er zu der Meinung, daß diese Kerle nicht ganz richtig im Kopf waren. So, wie sie sich aufführten, waren sie nichts anderes als ein gottloser Haufen.

Mit welchem Recht traten sie für die Ehre ihres Schutzheiligen St. Patrick ein? Ganz sicher hieß jeder zweite oder dritte von ihnen Patrick, also Paddy, wie überall in Irland. Sie setzten sich über alle Maßstäbe hinweg, die für einen anständigen Christenmenschen galten.

Deutete man das aber an, dann führten sie sich auf, als müßten sie ihre Kirche mit dem eigenen Blut verteidigen. Und das, obwohl eben jene Kirche bestimmt nichts mehr von ihnen wissen wollte.

Ja, sie waren nicht ganz richtig, da oben unter der rotbehaarten Schädeldecke. Sarmiento verbiß sich in die Überzeugung, daß er es schlicht und einfach mit Verrückten zu tun hatte.

„Zur Sache jetzt“, fuhr O’Connell fort. „Daß ihr von eurer hübschen kleinen Insel verschwinden müßt, ist wohl klar. Wir wollen das aber nicht so sang- und klanglos erledigen. Deshalb habe ich dir noch einmal deinen Kommandanten mitgebracht, Don Juan. Sieh ihn dir gut an. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß du ihn so – na, sagen wir, so heil und in einem Stück siehst.“

Abermals stimmten die Iren johlendes Gelächter an, und wieder mußte O’Connell sie zum Verstummen bringen.

„Natürlich ist der Coronel noch Herr seiner Sinne. Damit du siehst, daß wir ihn nicht mißhandelt haben, soll er selbst erklären, wie ich mir die Sache vorstelle.“ Er gab den Bewachern des Obristen einen auffordernden Wink. „Los, laßt ihn reden!“

Capitán Sarmiento begriff den Sinn noch nicht. Stirnrunzelnd sah er zu, wie einer der beiden Bewacher dem Coronel einen Ruck gab.

„He, Señor! Don! Wir wollen eine kleine Ansprache von dir hören! Sag deinem Capitán, was unser Freund Brendan mit dir vorhat!“

Coronel Luis Adriano Barroso Rubio erwachte aus seiner Geistesabwesenheit. Der Kommandant der Zitadelle war von schlanker Statur und mittelgroß. Seine elegante Kleidung trug die Spuren der vergangenen Nacht, die er im Kerker zugebracht hatte. Sarmiento wußte, daß sein Vorgesetzter annähernd sechzig Jahre alt war. Rubios Haar war silbergrau, nur der schmale Oberlippenbart hatte noch die ursprüngliche dunkle Farbe.

Coronel Rubio räusperte sich. Seine Stimme klang brüchig wie Herbstlaub.

„Diese Männer“, begann er auf Spanisch, „haben einen Plan gefaßt, durch den sie …“

„He, he!“ brüllte O’Connell. „Wenn hier geredet wird, dann Englisch! Das gefällt uns zwar auch nicht viel besser als euer Spanisch, aber wir verlangen ja nicht, daß ihr unsere Sprache sprecht. Also noch mal von vorn, alter Mann!“

Im blassen Gesicht des Coronels zuckte kein Muskel.

„Diese Männer haben einen Plan“, wiederholte er. Sein Englisch war akzentbeladen, doch sonst korrekt. „Sie wollen damit ihre Herrschaft über die Zitadelle von Ferro sichern. Ich soll als Faustpfand dafür hierbleiben, daß keine spanische Galeone es wagen wird, die Festung anzugreifen. Das ist alles, Capitán.“

Sarmiento sperrte den Mund auf. Er brachte kein Wort hervor. Dieses Vorhaben der Iren war ungeheuerlich.

Coronel Rubio brachte ein müdes Lächeln zustande.

„Lassen Sie nur, Sarmiento. Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Ich habe mein Leben gelebt. Dieses Schicksal ist für mich weniger schwer als für einen jungen Mann.“

„Schluß jetzt“, befahl O’Connell. „Das reicht.“ Er wandte sich dem Capitán zu. „Dein Kommandant hat noch eine Kleinigkeit vergessen, Don Juan. Du hast die Aufgabe, die Nachricht so schnell wie möglich weiterzuleiten. Du weißt, wo eure nächsten Stützpunkte sind. Dort wirst du allen maßgeblichen Leuten mitteilen, daß sie bloß nicht den Fehler begehen sollen, Ferro anzugreifen. Unter jedem Angriff würde nämlich euer lieber alter Coronel sehr zu leiden haben. Begriffen?“

„Ja“, sagte Capitán Sarmiento heiser. „Ich habe verstanden.“

Sein Blick traf sich mit dem seines Vorgesetzten, und sein Mitgefühl steigerte sich so sehr, daß er sich beherrschen mußte, um seine Empörung nicht herauszuschreien. Diese Iren wußten nicht, was sie taten. Die Einfachheit ihrer Gedanken spotteten jeder Beschreibung.

Glaubten sie allen Ernstes, daß man ihre Drohung überhaupt zur Kenntnis nehmen würde?

Die Zitadelle von Ferro hatte als westlichster Stützpunkt eine überragende strategische Bedeutung für Spanien. Vielleicht wuchs diese Bedeutung noch, wenn in den nächsten Jahren die Pläne verwirklicht wurden, nach denen der Seeweg nach Indien erschlossen werden sollte.

Wie konnten diese Phantasten annehmen, daß ein einzelner Mann der spanischen Krone wichtiger war als das große politische und wirtschaftliche Ziel?

Im übrigen spielte Coronel Rubio als Offizier längst keine entscheidende Rolle mehr. Er war zu alt. Den Posten auf Ferro hatte er gewissermaßen als Gnadenbrot erhalten, und er wußte das selbst. Die eigentliche Arbeit hatte stets Sarmiento in seiner Funktion als stellvertretender Kommandant geleistet.

Persönlich tat Rubio dem Capitán leid. Mehr als das. Ließ er seine Überlegungen jedoch von seinem Denken als Offizier der spanischen Krone leiten, dann war dieser Mann bereits abgeschrieben.

2.

Old Donegal Daniel O’Flynn legte den Kopf in den Nacken und versuchte den Morgenhimmel zu erkennen. Dunstschwaden verhinderten es noch immer. Der Nebel wollte nicht weichen. Er hing wie eine zähflüssige Suppe über dem Atlantik.

„Und ich sage euch, wir kriegen eine Flaute, bei der die Segel auf und nieder stehen! Verdammt, ich merke das in jeder Faser von meinem Holzbein. Dieses Kribbeln, dieses verfluchte Kribbeln …“

Den alten Seebären störte es nicht, daß niemand hinhörte. Er wußte auch, daß sie sich alle eins grinsten. Es war immer das gleiche mit diesen jungen Kerlen. Nie nahmen sie ernst, was er ihnen prophezeite. Wenn es aber dann tatsächlich passierte, kriegten sie regelmäßig das große Schlottern.

Immerhin hatte er die sieben Weltmeere schon befahren, als die meisten von ihnen noch in den Windeln lagen. Logisch also, daß er eine Menge mehr Geschichten kannte als alle zusammen auf der „Isabella VIII.“.

Die Männer auf dem Achterdeck der schlanken Galeone gaben sich denn auch keine Mühe, ihr Grinsen zu verbergen.

„Keine besondere Leistung“, meinte Ben Brighton, „bei diesem Luftzug auf eine Flaute zu tippen.“

Noch standen die Segel der „Isabella“ prall, aber ihre Fahrt hatte in den frühen Morgenstunden mehr und mehr nachgelassen. Die zuvor kabbelige See hatte sich auf beunruhigende Weise beruhigt.

„Mal den Teufel nicht an die Wand, Ben.“ Philip Hasard Killigrew gab dem Schiffszimmermann die aufgerollten Zeichnungen zurück. Alle Instandsetzungsarbeiten, von Ferris Tucker geplant und peinlich genau festgehalten, waren erledigt. Nichts erinnerte mehr an die Narben, die die Galeone vor den Caicos-Inseln davongetragen hatte. Laut und deutlich fügte der Seewolf hinzu: „Für Schwarzmalerei und Zukunftswunder ist letzten Endes Old Donegal allein zuständig.“

Die Männer, die an der vorderen Schmuckbalustrade des Achterkastells standen, drehten sich nicht um. Der zornige Knurrlaut, der vom Besanmast herübertönte, war indessen nicht zu überhören. Old O’Flynn und die beiden Söhne des Seewolfs waren dort damit beschäftigt, Tauwerk aufzuschießen und die Nagelbank zu klarieren.

Ferris Tucker deutete mit dem Daumen über die Schulter. Der Schiffszimmermann der „Isabella“ war ein rothaariger Riese mit einem Kreuz so breit wie ein Rahsegel.

„Das mit dem Holzbein“, sagte er gedehnt, „würde ich schon glauben.“

Ben Brighton konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Der breitschultrige Erste Offizier und Stellvertreter des Seewolfs schüttelte den Kopf, daß die dunkelblonden Haare flogen.

„Holz lebt nicht, Ferris. Es dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Aber daß es lebt, kannst nicht einmal du mir erzählen.“

„Habe ich auch nicht behauptet“, entgegnete Tucker. „Es geht um etwas ganz anderes. Leute, denen irgendwo ein Körperteil fehlt – ein Arm oder ein Bein –, die haben manchmal die merkwürdigsten Schmerzen. Ich erinnere mich an einen Kerl in der ‚Bloody Mary‘ in Plymouth. Dem hatten sie schon vor zehn Jahren das rechte Bein abgesägt. Trotzdem juckte ihm regelmäßig der rechte große Zeh, den er gar nicht mehr hatte. Immer bei Wetterumschwung.“

„Phantomschmerzen.“ Hasard nickte. „So nennt man das. Eine bekannte Tatsache.“

„Hm“, brummte Ben Brighton. „Laß das den Alten bloß nicht hören, sonst kommt er aus dem Phantasieren nicht mehr heraus.“

Philip Hasard Killigrew nickte. Seine klaren blauen Augen blitzten amüsiert. Mit seiner Körpergröße von mehr als sechs Fuß überragte er die anderen Männer. Breite Schultern und schmale Hüften unterstrichen sein imposantes Äußeres, und seine schwarzen Haare hatten manchen verblüfft, der ihn für einen typischen Engländer hielt.

Das Ziel der „Isabella“, die vor der afrikanischen Küste auf Nordostkurs segelte, war die Straße von Gibraltar.

Im Mittelmeer, so hoffte Hasard, würden sie jener geheimnisvollen Seekarte auf den Grund gehen können, deren Zeichen ihnen bislang immer noch ein Rätsel waren. Jetzt allerdings, nachdem der handige Südwest über Nacht abgeflaut war, sah es nicht mehr so aus, als ob sie Gibraltar in einem zügigen Törn erreichen würden.

Wie zur Bestätigung ließ das Großsegel plötzlich ein müdes Klatschen hören.

Die Blicke aller Männer richteten sich nach oben, und da war sie, diese häßliche Wellenbewegung, die durch das Tuch lief. Noch einmal blähte es sich, als wollte es sich gegen das Unvermeidliche auflehnen. Aber dann folgte wieder jenes Klatschen, und es pflanzte sich wie eine ansteckende Krankheit auf die übrigen Segel fort.

 

Großmars-, Fock- und Vormarssegel und schließlich auch das Lateinsegel am Besanmast stimmten in das Konzert ein, dessen schlagende Lautmalerei der gesamten Crew einen Schauer über den Rücken jagte.

„Seht ihr!“ Old Donegal Daniel O’Flynn blickte die beiden Söhne des Seewolfs triumphierend an. „Habe ich nun recht gehabt oder nicht?“

„Natürlich, Mister O’Flynn“, sagte Hasard junior artig.

„Du hast doch meistens recht, Sir“, fügte Philip junior hinzu.

Der alte O’Flynn lächelte geschmeichelt. Die Zwillinge waren so ziemlich die einzigen an Bord, die seinen Geschichten noch immer mit Spannung lauschten. So störte es ihn wenig, daß er kaum noch erwachsene Zuhörer fand. Dafür entschädigte ihn die Begeisterung in den Augen der Jungen.

Äußerlich ähnelten sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt, mit ihren knapp elf Lebensjahren, standen sie ihren Mann bei den kleinen Arbeiten, die sie zu verrichten hatten.

Old O’Flynn lehnte sich an den Besanmast und würdigte die Männer bei der Schmuckbalustrade keines Blickes.

„Wißt ihr“, sagte er zu den Zwillingen und senkte seine Stimme, wie im Verschwörerton, „ich kann euch sogar jetzt schon voraussagen, was als nächstes passiert.“

„Wirklich?“ Hasard junior sah ihn mit großen Augen an.

„Was ist es? Bitte erzähl es uns, Sir.“ Philip junior hob Sir John, den karmesinroten Ara-Papagei, von der Nagelbank und setzte ihn auf seine Schulter, als müsse es auch der Vogel für die nun folgende Geschichte bequemer haben.

Sir John wiegte sich hin und her, stieß ein heiseres Krächzen aus und plusterte sein Gefieder auf. Er fuhr mit dem Schnabel durch das Haar des Jungen und genoß es offenkundig, alle Aufmerksamkeit für sich zu haben. Denn Arwenack, der Schimpanse, hatte es vorgezogen, im Logis zu bleiben, wo der Rest der Crew noch mit der Morgenmahlzeit beschäftigt war.

„Da gibt es nicht viel zu sagen“, begann der alte O’Flynn. „Es ist nur so, daß wir auch ohne Wind weiter auf Nordostkurs laufen werden.“

Die beiden Jungen sperrten den Mund auf.

„Ohne Wind?“ fragte Hasard junior.

„So ist es. Natürlich nur mit sehr geringer Fahrt. Aber euer Vater und alle anderen Schlaumeier werden nachher aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Wenn ich alles richtig mitgekriegt habe, sind wir nämlich nur noch ein paar Seemeilen von den Kanarischen Inseln entfernt. Und da gibt es so eine merkwürdige Erscheinung. Manche behaupten, es wäre eine ganz einfache Meeresströmung. Aber das ist es nicht allein. Ich habe von Sachen gehört, die hier passiert sind …“ Old O’Flynn schüttelte sich und legte eine Pause ein, um die Spannung der Jungen zu steigern.

Ihre Blicke hingen wie gebannt an seinen Lippen.

„Da hat es mal einen spanischen Kapitän gegeben“, fuhr der Alte fort. „Ihr erinnert euch an Venezuela?“

Philip und Hasard nickten eifrig. Die Geschehnisse, in die die Isabella-Crew am Drachensund verwikkelt gewesen war, lagen noch nicht allzu lange zurück.

„Nun, der Name dieses Kapitäns ist mir entfallen. Spielt auch keine Rolle. Es muß jedenfalls schon zwanzig Jahre her sein, daß dieser Don am Orinoco eine Silberladung an Bord nahm. Vorher mußte er sich mit einem Eingeborenenstamm herumschlagen. Die Wilden wurden zwar besiegt, aber ihr Medizinmann verfluchte das Schiff, und er prophezeite, daß es vor einer fernen Küste ohne Winde in den Schlund der Hölle hinabgezogen würde. Nun …“ Old O’Flynn räusperte sich krächzend und kratzte an seinem Holzbein. „Dieses verdammte Kribbeln will und will nicht aufhören.“

„Weiter!“ drängte Philip junior.

„Nun, was soll ich sagen? Die spanische Galeone mit dem Bauch voller Silber geriet tatsächlich südwestlich der Kanarischen Inseln in eine Flaute. Und genau wie wir uns wundern werden, wunderte sich der Kapitän über diese merkwürdige Strömung. Er hat es in seinem Logbuch notiert. Es befand sich in seiner Kiste, die Jahre später von Seeleuten aus dem Wasser gefischt wurde. Mit seiner letzten Eintragung berichtete der Spanier, daß das Meer glatt wie ein Spiegel gewesen wäre und sich kein Lufthauch geregt hätte. Trotzdem soll da aber eine unerklärliche Macht gewesen sein, die das Schiff immer tiefer hinabzog. Von da an war die Galeone für alle Zeiten verschollen. Vielleicht gehört sie jetzt zu den Geisterschiffen, die manchmal in einer Sturmnacht irgendwo auf den Weltmeeren zu sehen sind.“

„Und wenn es nun die Bohrwürmer waren?“ wandte Hasard junior zaghaft ein. „Die können einen Schiffsrumpf doch auch so durchlöchern, bis …“

„Nein, nein. Das hat der Kapitän alles überprüfen lassen. Ihr müßt euch nun mal damit abfinden, Leute, daß es zwischen Himmel und Erde gewisse Sachen gibt, für die unser menschlicher Verstand einfach zu armselig ist.“

Voller Genugtuung bemerkte Old Donegal Daniel O’Flynn, wie die Söhne des Seewolfs erschauerten.

Eine Donnerstimme, die von der Kuhl herauftönte, riß sie aus ihren düsteren Gedanken.

„Hurtig, hurtig, ihr faulen Rübenschweine! Das könnte euch so passen, was, wie? Erst den Bauch vollschlagen und dann nicht mehr mit dem Hintern hochkommen! Davor wird euch euer Profos bewahren, ihr Stinte! Schwingt die Pützen und schrubbt es euch von der Seele, was euch bedrückt! Wenn ich mich nicht gleich in den Decksplanken spiegeln kann, ziehe ich euch …“

„… die Haut in Streifen von euren Affenärschen!“ fiel ein heiserer Chor von Männerstimmen ein.

„Ho, ho! Ihr habt wohl euren spaßigen Tag!“ brüllte Edwin Carberry. Der Profos der „Isabella“ hatte sich beim Großmast aufgebaut und schob herausfordernd sein mächtiges Rammkinn vor. Er stemmte die Fäuste in die Hüften, wodurch seine bullige Statur noch eindrucksvoller wirkte. „Denkt ihr etwa, wenn der Wind stillsteht, heißt das für euch auch Stillstand, was, wie? Himmel, Arsch und Kabeljau, wenn ihr lausigen Bilgenratten glaubt, daß ihr euch auf die faule Haut legen könnt, dann wird euch gleich der Schlag treffen!“ Carberry blickte in die Runde. „He, Mister Roskill, das hab ich auch schon mal schneller gesehen! Sieht so aus, als ob deine lahmen Knochen nur noch für den Kombüsendienst taugen. Schaffst du’s noch, oder brauchst du Hilfe?“

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