Seewölfe - Piraten der Weltmeere 162

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 162
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-486-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

An diesem Septembertag des Jahres 1588 zeigte sich das Wetter von seiner unfreundlichen Seite. Eine kühle Brise, die den Geruch von Salzwasser und Tang nach Cornwall trieb, ließ den Sommer vergessen und düstere Herbstzeit ahnen. Nebelschwaden, die sich während des ganzen Tages nicht aufgelöst hatten, trieben über die Mill Bay. Regenschwangere Wolken verhüllten den Himmel über der Hafenstadt Plymouth.

Dennoch schien es an diesem Tag in Plymouth nicht einen einzigen Menschen zu geben, dem die Witterung auf das Gemüt schlug. Überschwengliche Freude hatte sie alle gepackt – wie ein Fieber, das in rasender Geschwindigkeit um sich griff. Jeder, der seine Beine noch gebrauchen konnte, war hinausgeeilt an die Piers der Mill Bay. Dorthin, wo sich jenes denkwürdige Geschehen abspielte, das diesen Tag zu einem besonderen Tag in den Geschichtsbüchern von Plymouth werden ließ.

Sie waren heimgekehrt!

Die Sieger.

Die tapferen Männer, die Englands Schicksal zur See zum Guten gewendet hatten. Die Männer, die wieder einmal mitten in die Hölle gesegelt waren, um den Teufel am Schwanz zu ziehen. Doch diesmal hatten sie nahezu Übermenschliches geleistet, die erdrückende Übermacht der Armada geschlagen und die spanischen Galeonen zu Treibholz zerlegt. Die Kunde von dem Sieg über Spaniens einst ruhmreiche Seestreitmacht hatte sich in ganz England wie ein Lauffeuer verbreitet.

Jedermann in Englands Häfen, der bislang schon geheime Bewunderung für die tollkühnen Seefahrer Ihrer Majestät gehegt hatte, schrie diese Bewunderung jetzt hinaus. Niemand übte mehr vornehme Zurückhaltung. Selbst Englands Bürger aus den nobelsten Kreisen gaben sich dem Freudentaumel hin wie einem Rausch.

Philip Hasard Killigrew, Kapitän der „Isabella VIII.“, und Jean Ribault, sein treuer Kampfgefährte, waren sprachlos. Ribaults Zweimast-Karacke „Le Vengeur“ lag neben der schlanken Galeone des Seewolfs an der Pier.

Den Männern an Bord der beiden Schiffe erging es nicht anders als ihren Kapitänen – kaum hatten sie Zeit zum Festmachen gefunden. Mit ohrenbetäubendem Jubel wogte die Menschenmenge der „Isabella“ und der „Vengeur“ entgegen, und hätten die Schiffe ausreichenden Tiefgang gehabt, so hätten sich die Massen mit ihrem frenetischen Freudengeschrei buchstäblich über das Schanzkleid hinweg an Deck ergossen. Hasard hatte Jean Ribault gerade noch rechtzeitig signalisieren können, herüberzueilen. Noch während des Anlegemanövers war Jean Ribault an Land gesprungen und hatte sich schnell und geschickt seinen Weg auf die Kuhl der „Isabella VIII.“ gebahnt. Gemeinsam lenkten Hasard und Jean das Chaos in halbwegs geordnete Bahnen.

Unablässig tönten die freudigen Willkommensrufe vom Kai, zumeist im Chor.

„Ein Hoch den tapferen Seewölfen!“

„Willkommen in Plymouth!“

„Sieger, seid gegrüßt!“

Männer, Frauen und Kinder drängten sich am Kai. Trubel und Geschrei wollten nicht abreißen. Mehrere prunkvolle Kaleschen standen inmitten der Menge. Die Zugpferde schnaubten und tänzelten nervös, und die Kutscher hatten Mühe, die Tiere unter Kontrolle zu halten.

Die Crew der „Vengeur“ hatte sich lachend und winkend am Schanzkleid versammelt. Sie genossen es offensichtlich, von den johlenden Menschen gefeiert zu werden.

Nur auf der „Isabella“ war ein Landgangsteg ausgebracht und rasch wieder eingeholt worden, nachdem der Seewolf die Leute an Bord gelassen hatte, denen er einen Empfang nicht verwehren konnte. Außenbords brandete die Menschenmenge bis an die Beplankung, doch das Schanzkleid war zu hoch, daß sie es erklimmen konnten.

Es war eine distinguierte Gesellschaft, die sich auf den blankgeschrubbten Decksplanken der Galeone versammelt hatte. Eine kleine Gruppe von elegant gekleideten Ladys und Gentlemen nur – und doch jene Gruppe, die in Plymouth den Ton angab, wie man zu sagen pflegt. Selbst für unbeteiligte Beobachter war es unschwer, festzustellen, daß diesem Empfangskomitee die am Kai wartenden Kaleschen gehörten. Die Kunde von der bevorstehenden Heimkehr der „Isabella VIII.“ und der „Le Vengeur“ war früh genug in der Hafenstadt eingetroffen. Man hatte also Zeit gehabt, Garderobe zu machen und die Pferde anspannen zu lassen. Es ziemte sich nicht für einen Angehörigen der oberen Gesellschaftsschicht, zu Anlässen dieser Art zu Fuß zu gehen.

Schließlich wußte man in Plymouth den besonderen Ruf zu würdigen, den der Kapitän der „Isabella“ spätestens nach der Rückkehr von seiner letzten Weltumsegelung genoß. An Bord dieses Schiffes, auf diesen Decksplanken, hatte Königin Elizabeth I. den Seewolf zum Ritter geschlagen. Dann hatte Sir Hasard Killigrew, wie er sich nun nennen durfte, einen Kaperbrief aus königlicher Hand erhalten. Sonderrechte also, wie sie nur sehr wenigen englischen Seefahrern jemals eingeräumt worden waren.

Ja, die Ladys und Gentlemen von Plymouth wußten die Ehre zu schätzen. Die Ehre, auf eben diesen, von königlichem Fuß geweihten Decksplanken den ruhmreichen Seewolf und seine mutigen Kampfgefährten willkommen zu heißen.

Wegen des Freudengeschreis am Kai war ein Gespräch auf der Kuhl der Galeone nur schwer möglich.

Nach dem Einlaß durch die Pforte im Schanzkleid hatten die Ladys und Gentlemen unter der Führung ihres Bürgermeisters eine kleine Gruppe gebildet. Gemessenen Schrittes näherten sie sich den beiden Kapitänen, die sie beim Großmast höflich lächelnd erwarteten.

Die Männer der Isabella-Crew hatten sich auf das Achterkastell und auf das Vordeck zurückgezogen. Was sich da unten abspielte, bereitete ihnen Unbehagen. Diese hochgeschraubten Rituale, die sich die obere Gesellschaft unter dem Begriff Vornehmheit selbst geschaffen hatte, waren den Seewölfen fremd und sinnlos. Sie, die im Kampf gegen ihre Feinde und im Kampf gegen die Naturgewalten ständig dem Tod ins hohle Auge schauten, hatten nichts übrig für eine Lebensform, die an Standesdünkeln und Regeln für gutes Benehmen gemessen wurde.

Gemischte Gefühle bewegten auch Philip Hasard Killigrew und Jean Ribault. Gewiß, es war ihnen angenehm, so herzlich begrüßt zu werden. Doch der Sieg über Spaniens Armada war der wesentliche Grund für diesen überschwenglichen Empfang.

Ein glorreicher Sieg. Und als solcher sollte er in die Geschichte eingehen. Die öffentliche Meinung wollte es so und konnte nicht anders. Hasard und Jean Ribault konnten es den Menschen nicht einmal verübeln. Niemand hatte miterlebt, was sich nach der Niederlage der Spanier vor den Küsten Englands, Schottlands und Irlands abgespielt hatte. Niemand, der sein Leben an Land lebte, hatte den Leidensweg des geschlagenen Gegners beobachten können. Es war ein menschenunwürdiger Weg gewesen. Für die meisten der von Hunger und Krankheit und Verzweiflung gezeichneten Spanier hatte dieser Weg in der Hölle geendet. Zu viele zweibeinige Hyänen hatte es gegeben, die dem besiegten Gegner nicht das letzte bißchen Würde zugestanden hatten.

Für die Seewölfe lag der Sieg über die Armada weit zurück. Im Vordergrund ihrer Erinnerung standen die hinterhältigen und grausamen Anschläge, die vor Schottland und Irland auf die kläglichen Überreste der spanischen Schiffe und ihrer Besatzungen verübt worden waren. Die Seewölfe hatten geholfen, wo sie helfen konnten. Sie hatten hilflose spanische Crews mit Proviant und Trinkwasser versorgt und ihnen den Rückweg in die Heimat ermöglicht. Dabei hatten sie den eigenen Verbündeten gezeigt, was Fairneß und Menschlichkeit gegenüber einem besiegten Feind bedeuten.

Nach diesen Erlebnissen gab es zu viele Wermutstropfen in der Siegesfreude. Doch andererseits waren Hasard und seine Männer höflich und verständnisvoll genug, um der aufrichtigen Begeisterung dieser Menschen in Plymouth nicht mit Schroffheit zu begegnen.

Der Bürgermeister von Plymouth war ein hochgewachsener Mann mit silbergrauem Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, wo eine weiße Halskrause den Abschluß seiner weinroten Amtsrobe bildete. Lord Mayor Abbot Cummings, so lauteten Titel und Name dieses Mannes, hatte trotz eines entbehrungslosen Lebens kein überschüssiges Fett angesetzt. Die Furchen seines scharfgeschnittenen Gesichts spiegelten Energie und Entschlußfreudigkeit – Eigenschaften, ohne die ein Mann in seinem Amt nicht existieren konnte. Hasard stufte zumindest den Lord Mayor als einen Menschen ein, der sich auf Titel und Würden nichts einbildete.

Über der Brust trug Cummings die goldene Kette mit den Insignien seines Bürgermeisteramtes.

Zwei Schritte vor den beiden Kapitänen verharrte das Komitee. Hasard und Jean Ribault spürten die Blicke, in denen Bewunderung und Neugier zugleich lagen. Besonders waren dies die Blicke der Ladys, die in ihren kostbaren Roben und mit den Duftnoten erlesenen Puders den teuren Hauch einer fremden Welt an Bord brachten.

 

Der Lord Mayor verneigte sich knapp. Dann blickte er den beiden Männern in die Augen. Er mußte seine Stimme erheben, im gegen das Geschrei der Menschenmenge zu bestehen.

„Sir Hasard, Monsieur Ribault! Ich begrüße Sie und Ihre Männer im Namen des Rates der Stadt Plymouth. Diese Stadt ist sich der Ehre bewußt, Sie in ihren Mauern zu wissen. Um dieser Ehre gerecht zu werden, haben sich einige Mitglieder des Stadtrates und ihre Ehefrauen eingefunden.“

Es folgte die Vorstellung der Honoratioren und ihrer Ladys. Die Frau des Bürgermeisters, Lady Bethesda Cummings, war gleichfalls grauhaarig, kräftig gebaut, fast vollschlank. Ihr mit Goldlitzen besetztes Kleid war aus kostbarer Seide gefertigt und stammte mit Sicherheit von einem der hochbezahlten Londoner Schneider.

Nicht minder eindrucksvoll war die Eleganz, die die übrigen Ladys mit ihren Roben und ihren kunstvollen Haartrachten in Szene setzten.

Erster Stellvertreter des Lord Mayor war Anthony Bishop, ein rundlicher kleiner Mann mit leuchtender Glatze. Seine Frau überragte ihn fast um Haupteslänge. Charles Henderson, zweiter stellvertretender Bürgermeister, war zwar etwas größer von Wuchs, trug aber einen mächtigen Bauch vor sich her. Der oberste Geistliche der Stadt, Father Crowley, hatte ein Raubvogelgesicht, das in krassem Widerspruch zu den salbungsvollen Worten stand, mit denen er die Seewölfe in seiner Kirchengemeinde willkommen hieß. Doctor Abraham Shafter, ein untersetzter Mann mit rötlicher Knollennase, gehörte ebenfalls dem Stadtrat an. Desgleichen James Collins, Harvey Shrubbs, Gordon Temble und Hugh Croydon – allesamt von ihrer besseren Hälfte begleitet.

Hasard blickte in die Runde, nachdem sich das Komitee um ihn und Jean Ribault zu einem Halbkreis gruppiert hatte.

„Ladys und Gentlemen, ich bedanke mich für diesen überaus herzlichen Empfang in Plymouth. Diesen Dank spreche ich auch im Namen von Kapitän Ribault und den Besatzungen unserer beiden Schiffe aus.“

Die Ladys und Gentlemen klatschten dezenten Beifall. Der Lord Mayor brauchte einen Moment, bis das Stimmengewirr vom Kai vorübergehend nachließ und es ihm ermöglichte, zu sprechen.

„Wir hoffen sehr, Sir Hasard, daß wir Sie und Ihre Gefährten recht lange in unserer Stadt bewirten dürfen. Wegen der geringen Zeit, die wir zur Verfügung hatten, mußten wir mit leeren Händen erscheinen. Doch es ist uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir den Empfang unserer siegreichen Seefahrer noch in würdigerem Rahmen feiern werden.“

Hasard bedankte sich nochmals, wie es ihm überhaupt klar war, daß er sich während des Aufenthalts in Plymouth noch etliche Male für alles mögliche würde bedanken müssen. Das weitere Gespräch verlief in Floskeln, wie es immer dann üblich war, wenn sich Würdenträger an Bord der „Isabella“ einfanden.

Während sich die Männer unterhielten, sonderten sich die Ladys tuschelnd ab. Ihre Blicke, die fast verstohlen waren, glitten über das Schiff. Was an diesem Schiff besonders eindrucksvoll erschien, waren die wild und verwegen aussehenden Männer, diese rauhbeinigen Burschen, die den Ladys allein durch ihr Äußeres einen gelinden Schauer über den Rücken jagten.

Der Seewolf selbst, breitschultrig und schmalhüftig, schwarzhaarig und blauäugig und über sechs Fuß groß, war schon ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Auch der schlanke Jean Ribault, der mit seinen dunklen Haaren so aussah, wie man sich einen Franzosen vorstellte, vermochte in den Ladys Gedanken zu erwecken, die keine von ihnen auch nur im Traum auszusprechen gewagt hätte. Gedanken, die sich aber um so stärker bemerkbar machten je mehr sie den leicht deformierten Körperbau ihrer männlichen Ehehälften mit der geballten Ansammlung von urwüchsiger Männlichkeit an Bord dieses Schiffes verglichen.

In dieser Umgebung an einen Hauch von Sünde zu denken, war den hochwohlgeborenen Ladys schon ein unerhörter Nervenkitzel.

Da war zum Beispiel dieser bullige Kerl, dessen Kreuz an das Format eines massiv-eichenen Wäscheschrankes erinnerte. Edwin Carberry, Profos auf der „Isabella“, lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und stützte sein Rammkinn in beide Hände. Er konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, denn er wußte nur zu gut, daß sein wüstes Narbengesicht Furcht einzuflößen vermochte.

Was er nicht wußte, war, daß er bei den Ladys neben dieser Furcht ein kribbelndes, wohliges Unbehagen hervorrief. Nun, er war eben ein Mann, der mit den Fäusten zuzupakken verstand. Keiner von der Sorte des ewig mürrischen Ehemanns, der allabendlich nichts anderes zu tun wußte, als die Beine im Kaminsessel auszustrecken und sich Pantoffel auf die bestrumpften Füße schieben zu lassen.

Nicht minder eindrucksvoll wirkte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, ein rothaariger Riese mit einem Kreuz so breit wie ein Rahsegel. Und Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, entblößte lachend seine schneeweißen Zahnreihen und ließ die Ladys verschämt den Blick niederschlagen.

Doch sobald sie wieder aufblickten, fuhren sie fort, diese Ausbünde an Augenweide auf Vordeck und Achterkastell zu betrachten. Da war Ben Brighton, erster Offizier und Stellvertreter des Seewolfs. Ein Mann, der ruhig und besonnen aussah, untersetzt, breitschultrig und dunkelblond. Dann Smoky, der Decksälteste, eine bullige Kämpfernatur. Er war es gewohnt, sich seinen Rang immer aufs Neue mit den Fäusten zu erkämpfen.

Und welche furchtbaren Erlebnisse mochte Matt Davies hinter sich haben, der dort, wo sich einmal seine rechte Hand befunden hatte, eine lederne Prothese mit einem spitzgeschliffenen Eisenhaken trug? Mit seinen grauen Haaren sah der kräftig gebaute Matt älter aus als er in Wirklichkeit war. Sicher hätten die Ladys voller Verzückung gelauscht, wenn er über jene Nacht berichtet hätte, die er als Schiffbrüchiger in der Karibik inmitten eines Rudels mordgieriger Haie zugebracht hatte. In dieser einen Nacht, bevor seine Kameraden ihn gerettet hatten, waren seine Haare grau geworden.

Auch Jeff Bowie, ein stämmiger Engländer, der aus Liverpool stammte, trug eine Hakenprothese, allerdings am linken Arm, wo ihm blutrünstige Piranhas vor Jahren die Hand zerfleischt hatten.

Da waren die vielen anderen verwegenen Burschen, die zur fast schon legendären Crew des Seewolfs Killigrew gehörten: Blacky, der schwarzhaarige Kämpfer mit dem bemerkenswert braunen Teint. Pete Ballie, der kleine, stämmige Rudergänger, dessen Fäuste die Größe von Ankerklüsen hatten. Gary Andrews, der hagere Fockmastgast, dem man die unglaubliche Zähigkeit schon von weitem ansah. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, der mit Drehbassen und Culverinen umgehen konnte wie kein Zweiter. Donegal Daniel O’Flynn, der hochgewachsene junge Mann, dessen scharfe Augen vor Unternehmungslust und Mut funkelten. Sam Roskill, der draufgängerische ehemalige Karibik-Pirat. Bob Grey, der drahtige blonde Kerl, der mit seinem Wurfmesser auf zehn Yards Entfernung eine Fliege an die Wand nagelte. Big Old Shane, der frühere Schmied von Arwenack, ein Meister im Bogenschießen und so kraftvoll, daß er einem Gegner mit bloßen Händen die Rippen zu brechen vermochte. Stenmark, der große blonde Schwede, war so reaktionschnell und verwegen wie die anderen Männer der Crew. Und Luke Morgan, der kleine, pfiffig aussehende Engländer, trug eine furchterregende Messernarbe auf der Stirn sowie die Zeichen schwerer Verbrennungen.

Einen eher gemäßigten Eindruck machten dagegen Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, und Old Daniel Donegal O’Flynn, der rauhbeinige Vater des jungen Donegal. Old O’Flynn war zur Fortbewegung auf ein Holzbein angewiesen, das sein Sohn nur in schlechter Erinnerung hatte. Denn mit eben jenem Holzbein pflegte der Alte den kleinen Donegal zu verprügeln, wenn er einen seiner unzähligen Streiche ausgebrütet hatte.

Kleine Rufe des Entzückens wurden aus den Reihen der Ladys laut, als sie Arwenack, den Schimpansen, entdeckten, der hoch oben in den Wanten turnte und durch fröhliches Keckem alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte.

Eine schrille, durchdringende Stimme mischte sich in das Keckern Arwenacks. Eine Stimme, die den vornehmen Ladys und Gentlemen durch Mark und Bein ging und sie gleichzeitig zu einem betroffenen Stirnrunzeln veranlaßte.

„Kakerlaken! Miese Kakerlaken! Euch ziehe ich die Haut in Streifen von euren Affenärschen! Affenärschen! Miese Kakerlaken …“

Moses Bill, der sich aus dem Hintergrund an die Schmuckbalustrade des Achterkastells gedrängt hatte, griff sich den Papagei „Sir John“, zog ihn von seiner Schulter und stopfte ihn hastig unter sein Hemd.

Sir Johns präzise artikulierten Zitate endeten in einem wütenden Zetern, dessen Lautstärke allerdings durch Bills Hemdenstoff gedämpft wurde.

Edwin Carberry verlor das Grinsen aus dem Gesicht und wandte sich verlegen ab. Vorsorglich, denn er wußte, daß er gleich mit einem durchbohrenden Blick Hasards zu rechnen hatte. Schließlich war der immer wiederkehrende Wortschatz des Profos die beste und zugleich schlechteste Schule für den karmesinroten Arara-Papagei.

„Keiner von uns weiß, wo er diese furchtbaren Sprüche gelernt hat“, sagte Hasard laut und deutlich. „Als wir ihn an Bord nahmen, stellte er sich stumm. Erst auf hoher See fing er mit diesen vulgären Redensarten an. Aber da brachten wir es nicht mehr fertig, ihn über Bord zu werfen.“

Edwin Carberry verzog sich außer Sichtweite.

Lord Mayor Abbot Cummings war der einzige, der mit einem verschmitzten Lächeln reagierte. Die übrigen Gentlemen und ihre Ladys verzogen pikiert die Gesichter, um einen Anflug von vornehmer Abscheu auszudrücken.

Der Lord Mayor reichte dem Seewolf und Jean Ribault die Hand.

„Gentlemen, ich bitte Sie beide, eine offizielle Einladung der Stadt Plymouth anzunehmen. Seien Sie heute abend unsere Gäste bei einem Festbankett, das Ihnen zu Ehren gegeben wird.“

Hasard und sein treuer Kampfgefährte bedankten sich höflich und nahmen die Einladung an. Es folgte das Zeremoniell der Verabschiedung. Das Empfangskomitee der Stadt Plymouth gab sich die Ehre, mit der gebotenen Gemessenheit wieder von Bord zu gehen.

2.

Es waren beinahe düstere Gedanken, die den bulligen Profos auf seinem Rückzug in Richtung Heckbalustrade bewegten. Er spürte, wie sie insgeheim über ihn kicherten. Verdammt, immer dann, wenn er ihnen nicht die Hammelbeine langziehen konnte, amüsierten sie sich über ihn. Immer dann, wenn er gezwungen war, den Mund zu halten.

Und immer war es das verfluchte Federvieh, das es richtig darauf anzulegen schien, ihn herauszufordern. Oder es waren die beiden Lausebengels, die Söhne des Seewolfs, die ihm mit ihrem scheinheiligen Geplapper schon mehr als einmal heiße Ohren verschafft hatten. Aber glücklicherweise hatte es eine Weile Ruhe vor den kleinen Strolchen gegeben. Rechtzeitig vor den Kämpfen mit den Dons hatte Hasard seine Sprößlinge in die Obhut von Doc Freemont gegeben.

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Edwin Carberry über das Hafenbecken. Die Menge, die zu seiner Linken noch immer vor Begeisterung tobte, beachtete er nicht. O ja, sobald hier an Bord wieder normale Verhältnisse herrschten, würde er ihnen allen mächtig Dampf unter dem Hintern machen. Wenn sie dann nicht spurten, diese Himmelhunde, dann würde er ihnen die Haut in Streifen von ihren …

Ed biß sich auf die Lippen und zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken.

Plötzlich war da etwas, das ihn zu einem Blinzeln veranlaßte. Etwas, was erst jetzt in sein Bewußtsein drang. Immerhin war es verzeihlich, daß er es nicht sofort bemerkt hatte. Schließlich hatte er in seinem Leben Hunderte von Häfen gesehen, und irgendwie sahen sie alle gleich aus mit ihren Piers, ihren Speichern, ihren Werften, ihren Docks …

Mit jäh erwachtem Interesse beugte er sich vor.

Da war so ein Dock gleich nebenan, unmittelbar achteraus von der „Isabella“. Und der Kahn, den sie dort aufgeslippt hatten, sah für den Profos so wohlvertraut aus, daß er selbst im Schlaf jede Planke und jeden Fetzen Tuch hätte beschreiben können.

Hölle und Verdammnis, das war …

„Die ‚Revenge‘“, murmelte Ed Carberry entgeistert. Er blinzelte noch einmal und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch es war kein Trugbild. Es war die pure, unglaubliche Wirklichkeit.

Was sich da unter dem grauen Himmel Südenglands ins Baudock verkrochen hatte, war kein geringeres Schiff als die „Revenge“. Das Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Sir Francis Drake in der Schlacht gegen die spanische Armada.

 

Carberrys Verblüffung wich einem belustigten Grinsen, als er sah, woran die Werftarbeiter und Crewmitglieder des stolzen Flaggschiffes eifrig arbeiteten. Es war ein neues Ruderblatt, das sie der „Revenge“ maßgerecht verpaßten.

Im Augenblick allerdings hatten die Männer ihre Hämmer und Sägen beiseitegelegt, denn der Lärm und das Gewühl am Kai waren Grund genug, ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Vor allem der Anblick der „Isabella“ mußte den Revenge-Leuten jetzt wie ein knüppeldicker Dorn im Auge erscheinen.

Das Grinsen des Profos wurde noch breiter, als er einige der Männer aus Admiral Drakes Crew auf dem Achterkastell des Flaggschiffes erkannte. Er konnte sogar ihre Gesichter beobachten, denn die Entfernung betrug kaum mehr als einen Steinwurf. Und es waren verdammt lange Gesichter, die der Empfangstrubel zu Ehren der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ bei ihnen hervorrief.

Die offenkundige Mißstimmung unter Drakes Getreuen gab dem Profos keinerlei Rätsel auf.

Denn für die Ruderblatt-Reparatur war kein anderer als Hasard verantwortlich, der zielsicher der „Revenge“ die Ruderanlage zerschossen und den sehr ehrenwerten, aber auch sehr beutegierigen Admiral Drake damit zur Manövrierunfähigkeit verdammt hatte. Das war in der Nordsee passiert, nachdem die Schlacht gegen die Armada längst entschieden gewesen war.

Sir Francis Drake hatte sich nicht gescheut, die zum Wrack geschossene spanische Kriegsgaleone „San Mateo“ wie ein ausgehungerter Geier zu verfolgen, um sie auszuplündern und das Massaker an den längst wehrlosen Spaniern fortzusetzen.

Hasard und Jean Ribault hatten diese menschenunwürdige Verfolgungsjagd verhindert und der „San Mateo“ und ihrer zusammengeschmolzenen Besatzung die Flucht mit Kurs auf Norwegen ermöglicht – indem sie den Geier Drake am Zupakken hinderten und die hilflosen Spanier mit Wasser und Proviant versorgten. Fassungslosigkeit hatte dieser Akt der Menschlichkeit auf beiden Seiten hervorgerufen. Sowohl bei Drake, der einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle erlitt, als auch bei den Spaniern, die soviel Fairneß und Ritterlichkeit von einem Gegner zuvor nicht erlebt hatten.

Edwin Carberry winkte seine Gefährten herbei, und ausnahmsweise verwendete er dazu keinen einzigen seiner poltrigen Sprüche. Ein Fingerzeig des Profos genügte. Die Seewölfe brauchten keine Erklärungen, um zu begreifen, was sich hier, im heimatlichen Hafen Plymouth anbahnte.

Denn die wuterfüllten Blicke der Revenge-Leute sprachen Bände. Hätten diese Blicke Bleikugeln getragen, dann wären sämtliche Mitglieder der Isabella-Crew zersiebt zu Boden gesunken.

„Verdammter Mist“, knurrte Robert Parsons, erster Offizier an Bord des Flaggschiffes „Revenge“. Es storte ihn nicht im geringsten, daß diese höchst unfeine Ausdrucksweise einigen Männern aus der Crew zu Gehör gelangte, die sich in seiner Nähe auf dem Achterdeck befanden.

In dieser Angelegenheit, die den gottverdammten Killigrew und dessen Hundesöhne betraf, waren sie ohnehin eine verschworene Gemeinschaft – vom hochverehrten Admiral Drake bis zum Schiffsjungen. Denn darin, daß sie Killigrew, Ribault und Konsorten bis in den finstersten Schlund der Hölle wünschten, waren sie sich alle einig.

Wieder einmal schienen es die elenden Kerle geradezu darauf angelegt zu haben, im höchst unpassenden Moment auf der Bildfläche zu erscheinen.

Robert Parsons kniff die Lippen zusammen, daß sie einen dünnen Strich bildeten. Die feixenden Visagen dort drüben brachten seine Wut zum Kochen. Er witterte geradezu, daß diese dreimal verdammten Strolche ihnen, den tapferen Männern des ruhmreichen Admirals, wieder alles kaputtmachen würden.

Aber diesmal sollte es ihnen nicht gelingen!

Parsons dachte beinahe wehmutig an die eigene Ankunft in Plymouth Auch die „Revenge“, ihr Kapitän und die gesamte Crew waren nicht minder stürmisch gefeiert worden als diese Bastarde, die das Schwarze unter den Nägeln nicht verdienten.

Letzten Endes war für Sir Francis Drake und seine Crew ein solchermaßen triumphaler Empfang mehr als angebracht gewesen. Daß der Admiral und seine Offiziere den Kampf gegen die Armada so geschildert hatten, wie er eigentlich hätte verlaufen sollen, war nach Parsons’ Meinung durchaus legitim. Diese Stubenhokker an Land begriffen sowieso nicht, welche Bedeutung die Einzelheiten einer Seeschlacht hatten. Also mußte man ihnen die Einzelheiten so erläutern, daß sie es auch verstehen konnten.

Deshalb hatten Drake und seine Getreuen den ehrfürchtig staunenden Bürgern von Plymouth jene Geschichte aufgetischt, von der auch Robert Parsons überzeugt war, daß sie sich in dieser Weise mit Sicherheit hätte zutragen können.

Mitten im härtesten Gefecht so hatte Drake gestenreich berichtet, habe ihnen ein vorwitziger Spanier das Ruder weggeschossen. Und das just in dem Moment, als die „Revenge“ bereits mit Enterkurs auf die „San Martin“ losgegangen sei, das Flaggschiff der Armada. Natürlich hätten er, Drake, und seine Mannen zu diesem Zeitpunkt bereits wesentlich zum Sieg der englischen Flotte beigetragen. Doch ohne das Mißgeschick mit dem Ruder wäre das Schicksal der „San Martin“ besiegelt und damit die Schlacht endgültig entschieden gewesen.

Natürlich hatten auch die Bürger von Plymouth schon von, Killigrews wahnwitzigem Branderangriff vor Calais gehört. Deshalb jetzt auch dieser Zirkus bei der Ankunft der „Isabella“ und der „Le Vengeur“. Aber Admiral Drake hatte nur lächelnd abgewinkt, als der Lord Mayor die Sprache auf diesen angeblich entscheidenden Branderangriff brachte. Das sei eine zwingende Maßnahme gewesen, die von jedem anderen Kapitän der königlichen englischen Flotte mit der gleichen Schlagkraft ausgeführt worden wäre.

Schließlich, so sagte Parsons zu sich selbst, hatten sich die Bastarde unter Killigrew und Ribault ohnehin eine unglaubliche Frechheit herausgenommen, als sie den Angriff der „Revenge“ auf die „San Mateo“ verhinderten. Ein ehrenhafter englischer Seefahrer mußte sich schämen, daß es solche Disziplinlosigkeiten innerhalb der eigenen Flotte überhaupt gab.

Je länger Parsons darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß Admiral Drake völlig korrekt gehandelt hatte. Es war sogar seine Pflicht gewesen, den Vorfall in der Nordsee zu verschweigen. Denn diese Dreistigkeit, die auf Killigrews Konto ging, war ganz einfach eine Schande für die gesamte Navy.

Ja, im Grunde konnte Killigrew froh sein, wenn niemand erfuhr, was er sich geleistet hatte. Der Mistkerl mußte sogar dankbar sein, daß Admiral Drake sich so generös verhielt und die Unverschämtheit eines Emporkömmlings nicht ans Tageslicht brachte. Immerhin hatte die Sache in der Nordsee allem die Krone aufgesetzt, was Killigrew sich vorher schon geleistet hatte.

Robert Parsons’ Gedankengänge führten so weit, daß er nach einer Weile fest an das glaubte, was er sich selbst einredete.

Aber natürlich würden diese Bastarde sich selbst wieder ins beste Licht rücken. Diese Hundesöhne, die sich selbst in maßloser Übertreibung als Seewölfe bezeichneten.

Moses Bill blickte mit leuchtenden Augen zu seinem Kapitän auf, als dieser ihm einen ledernen Geldbeutel in die Hand drückte.

„Ich verlasse mich auf dich, mein Junge“, sagte Philip Hasard Killigrew ernst. „Du wirst dir ein gutes Pferd nehmen und zu Doc Freemonts Landsitz am River Tavy reiten. Du übergibst ihm diese Botschaft.“ Hasard reichte dem Schiffsjungen einen zusammengerollten und versiegelten Brief. „Darin steht, daß ich den Doctor mit meinen Söhnen hier in Plymouth erwarte. Erledige deinen Auftrag gut, Bill.“

„Ja, Sir.“ Strahlend verstaute Bill den Brief und den Lederbeutel unter seinem Hemd, das er sorgsam wieder zuknöpfte. Dann blickte er noch einmal in die Runde, voller Stolz.

Die Augen der Männer spiegelten väterliches Wohlwollen, Freundschaftlichkeit und Güte. Sie alle ersetzten ihm, dem aufgeweckten schwarzhaarigen Jungen, den Vater. Sie wußten, welcher Vertrauensbeweis es war, daß Hasard ihn damit beauftragte, die Zwillinge zurück an Bord zu holen. Die Gedanken, die die Männer der „Isabella“ in diesem Moment bewegten, gerieten ins Melancholische. Bill verkörperte für sie ein Stück eigene Vergangenheit, und wenn sie auch oftmals fluchten und wetterten und ihre Wut an ihm ausließen, so wußten sie doch nur zu gut, wie schwer er es an Bord hatte. Sie alle hatten einmal auf diese oder ähnliche Weise angefangen, ein Seefahrer zu werden. Und Bill war fest entschlossen, sich an Bord von Philip Hasard Killigrews Schiff zu bewähren. Daß er jetzt diesen Auftrag erhalten hatte, bewies ihm, daß er auf dem richtigen Weg war. Seinen Traum, auch einmal ein richtiger Seewolf zu werden, träumte er seit damals. Seit die Männer ihn auf Jamaica aufgelesen hatten. Dort hatte er seinen Vater verloren, mit dem er zusammen auf dem englischen Schiff „Sea-Eagle“ gefahren war, bevor sie beide in spanische Gefangenschaft gerieten.

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