Czytaj książkę: «Seewölfe Paket 22», strona 14

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4.

Don Gregorio de la Cuesta verstand plötzlich die Welt nicht mehr, als der düstere Zweidecker – noch während seine Soldaten die Waffen streckten – wie eine geisterhafte Erscheinung fast längsseits der Galeone auftauchte – drohend, mit ausgerannten Stücken und besetzten Drehbassen.

Marc Corbett, Sir Edward und die übrigen Mannen der englischen Crews waren nicht weniger verblüfft, denn auch sie hatten im Getümmel des Enterkampfes nicht mehr auf den Zweidecker geachtet, der in nördliche Richtung davongesegelt war.

O Lord, jetzt würde sich zeigen, welche Ziele dieses unheimliche Schiff verfolgte. Die Situation spitzte sich dramatisch und beängstigend zu. Warum war der Zweidecker zurückgekehrt? Wollte er auch noch dieses Schiff versenken oder gar entern? Oder wollte man verhindern, daß es die Engländer als Prise nahmen? Diese Fragen lagen ihnen schwer auf der Seele.

Don Gregorio de la Cuesta und seine Offiziere allerdings waren in diesem Augenblick fest davon überzeugt, doch in eine Falle geraten zu sein. Das alles sah zu sehr nach Absprache zwischen dem Zweidecker und den Engländern aus. Um so mehr überraschte sie kurze Zeit später das, was tatsächlich geschah.

Jetzt war sie deutlich zu sehen – jene schlanke, rassige Frau, bei der es sich wohl um das „blutrünstige Piratenweib“ handeln mußte, von dem der Bootsmann gesprochen hatte. Don Gregorios Augen hefteten sich wie gebannt auf den Körper dieser Frau, die auf dem Achterdeck stand.

Sir Edward hatte sich gerade zu Marc Corbett und dem gefangenen spanischen Capitán auf das Achterdeck begeben, als auch er wie angewurzelt stehenblieb und zu dem düsteren Schiff mit den beiden Kanonendecks hinüberstarrte.

Plötzlich geriet Bewegung in die Gestalt der Frau, die mit verschränkten Armen vor der Querbalustrade des Achterdecks verhielt. In ihrer Nähe stand ein wüst aussehender Mann, der an einen brutalen Schläger erinnerte.

„Streicht die Flagge, Engländer!“ rief die Frau mit schneidender Stimme. „Wenn ihr diese Aufforderung nicht befolgt, jagen wir eine volle Breitseite in die Galeone!“

Sir Edward und Marc Corbett erblaßten. Don Gregorio aber atmete erleichtert auf, denn nach den Worten des „Piratenweibes“ hatte es den Anschein, als wolle sie die Engländer zur Strecke bringen. Diese Illusion wurde jedoch gleich wieder zerstört.

„Das gleiche gilt natürlich auch für die Spanier“, fuhr die Frau fort, „für den Fall, daß sie Lust verspüren sollten, den Spieß noch einmal umzudrehen.“

Jetzt erschlaffte auch die Gestalt de la Cuestas.

„Verdammt!“ murmelte er erschüttert und wirkte ziemlich hilflos, denn jetzt hatte er überhaupt keinen Durchblick mehr. Wem wollte dieses rassige Weib denn nun an den Kragen – den Engländern oder den Spaniern? Oder gar allen beiden?

Auch die Mannen der „Orion“ und „Dragon“ standen samt ihren Offizieren ziemlich belemmert da und wußten im Augenblick nicht, wie sie sich verhalten sollten.

„Eine äußerst unangenehme Situation“, sagte Sir Edward mit einem raschen Seitenblick auf den spanischen Kommandanten und seine Leute. „Sind die Geschütze nicht wenigstens teilweise einsatzbereit?“

„Das schon, Sir“, erwiderte Marc Corbett, ohne die Frau auf dem Zweidecker aus den Augen zu lassen. „Womöglich könnten wir jetzt den Zweidecker mit einer Breitseite eindecken. Bei dieser Entfernung von knapp dreißig Yards wäre das wohl kaum ein Problem, aber ich fürchte, daß die Kerle da drüben auf jeden Fall schneller wären als wir. Im Gegensatz zu uns haben sie gewissermaßen die Hand am Drücker, und wer bei dieser kurzen Distanz zuerst schießt, hat gewonnen.“

„Hm, wirklich verdammt unangenehm“, murmelte Sir Edward. „Und daß die Kerle auf dem Zweidecker zu schießen verstehen, ist uns ja inzwischen allzu sattsam bekannt. Wir würden höchstwahrscheinlich den kürzeren ziehen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Befehle dieses Frauenzimmers zu befolgen, so sehr uns das auch widerstreben mag.“

Für weitere Erörterungen blieb den beiden Männern von der „Orion“ keine Zeit, denn die Stimme der Roten Korsarin tönte erneut zu ihnen herüber.

„Na, haben Sie sich meinen Befehl gründlich genug überlegt, Señores und Gentlemen? Wenn meiner Anordnung nicht sofort Folge geleistet wird, werde ich den Feuerbefehl geben, vielleicht beschleunigt das Ihre Entscheidungsfreudigkeit.“

„Was erwarten Sie von uns, Madam?“ ließ sich jetzt Marc Corbett vernehmen.

„Daß auch ihr Engländer sofort die Waffen fallen laßt!“ rief Siri-Tong zurück. „Danach werdet ihr zehn Engländer und zehn Spanier bestimmen, die die Waffen einsammeln und auf der Kuhl anhäufen.“

Marc Corbett wandte sich zu Sir Edward.

„Tut mir leid, Sir, aber diese Frau scheint es tatsächlich ernst zu meinen. Wenn wir nicht gehorchen, wird es noch größeren Ärger geben.“

„Veranlassen Sie das, was nötig ist“, sagte Sir Edward mit starrem Gesicht. „Wir kommen ohnehin nicht drum herum.“

Der Erste Offizier gab einige Befehle, und die Mannen, deren Enterkampf so hervorragend geglückt war, ließen verhalten fluchend und zähneknirschend die Waffen fallen – wie es zuvor schon die Dons getan hatten.

Marc Corbett bestimmte die Männer, die das Waffenarsenal einzusammeln hatten. Nachdem das geschehen war, wandte er sich an Siri-Tong.

„Ihr Befehl wurde ausgeführt, Madam!“ meldete er. „Es wird niemand Widerstand leisten. Doch alle an Bord dieser Galeone, ob Engländer oder Spanier, wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns erklären könnten, was Sie mit dieser Aktion bezwecken. Schätze gibt es auf diesem Schiff mit Sicherheit nicht, es handelt sich um eine spanische Kriegsgaleone. Wir, die Engländer, haben sie gekapert, weil wir als Schiffbrüchige eine Möglichkeit suchten, diese Insel zu verlassen. Zudem haben uns die Spanier massiv angegriffen, wie Sie wissen.“

„Noch ist es nicht an der Zeit, Rechtfertigungen vorzubringen“, sagte Siri-Tong kalt. „Was ich mit dieser Aktion bezwecke, wird Ihnen schon sehr bald klarwerden. Ich verlange nämlich, daß die beiden Kommandanten und die Offiziere der ‚Orion‘ und ‚Dragon‘ an Bord meines Schiffes kommen.“

Marc Corbett zeigte klar.

„Bedauerlicherweise kann der Kommandant der früheren ‚Dragon‘ diesen Befehl nicht befolgen, Madam!“ rief er dann. „Mister Stewart befindet sich nämlich als Gefangener an Land.“

Als Gefangener? Siri-Tong war überrascht, aber sie verbarg diese Überraschung.

„Dann lassen Sie ihn holen!“ befahl sie.

„In Ordnung, Madam!“ tönte es zurück. „Wir werden uns sofort darum kümmern.“

Marc Corbett beauftragte Arthur Gretton damit, den schurkischen Charles Stewart von der Insel zu holen und bei dieser Gelegenheit auch die Mannen, die dort verblieben waren, von der derzeitigen Lage zu unterrichten.

Wenig später wurde ein englisches Boot mit Arthur Gretton an Bord von sechs unbewaffneten Rudergasten zur Insel gepullt. Ein weiteres Boot nahm Sir Edward und die übrigen Offiziere an Bord, um sie zu dem Zweimaster hinüberzubringen.

Die Rote Korsarin musterte die Gentlemen mit eisigen Blicken. Die Männer konnten nicht verhindern, daß sie ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürten. Alle hatten sich inzwischen auf der „Caribian Queen“ eingefunden, einschließlich des abgesetzten Kommandanten der „Dragon“, Charles Stewart, den man gefesselt an Bord gebracht hatte.

Während sich Siri-Tong an der Querbalustrade des Achterdecks aufhielt, hatten sich die Gentlemen unten auf der Kuhl in einer Reihe aufstellen müssen. So blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als zu der Frau hochzuschauen. In der Tat hatte sich das die Rote Korsarin – sehr zur Genugtuung Barbas – einfallen lassen, um die Offiziere bewußt zu brüskieren.

„Knien sollten sie, Madam“, hatte Barba geflüstert, „knien wie auf einer Kirchenbank.“

Das aber war ihr wohl doch etwas zu weit gegangen, denn es lag nicht in ihrer Absicht, die Männer zu demütigen. Vielmehr ging es ihr darum, die Lage endgültig zu klären und die Ränke und üblen Machenschaften, mit denen die Engländer in der letzten Zeit den Seewolf und seine Männer verfolgt hatten, zu beenden.

Nach kurzem Schweigen räusperte sich Siri-Tong und verschränkte dann abermals die Arme. Ihre mandelförmigen, etwas schräggestellten Augen musterten die Engländer ohne jegliche Scheu. Indem sie sich sämtliche Floskeln ersparte, kam sie ohne Umschweife zur Sache.

„Sie, Mister Corbett“, begann sie, „haben vorhin nach dem Zweck dieser Aktion gefragt. Ich habe Ihnen eine Antwort versprochen, doch dazu ist es allerdings nötig, daß ich etwas weiter aushole und auf Ereignisse der letzten Zeit zurückgreife. Vielleicht werden Sie und die anderen Gentlemen mich dann verstehen.“

„Wir werden uns die größte Mühe geben, Madam“, entgegnete Corbett und deutete sogar eine leichte Verbeugung an. Er, der draufgängerische und tatkräftige Mann, konnte nicht verhindern, daß ihm diese Frau eine ganze Menge Respekt einflößte. O ja, das mußte schon eine ganz besondere Frau sein, die es schaffte, einen solch imposanten Dreimaster mit zwei Kanonendecks zu befehligen und alle die rauhen Kerle, die bei ihr fuhren, im Zaum zu halten. Corbett konnte ihr im stillen die Bewunderung nicht versagen, auch wenn er jetzt – wie die anderen – mit bangem und erwartungsvollem Gesicht zum Achterdeck hochstarrte.

„Da sind also“, fuhr die Rote Korsarin fort, „vier englische Kriegsschiffe und eine Karavelle in die Karibik ausgelaufen, mit dem Auftrag, nach Philip Hasard Killigrew, den man den Seewolf nennt, zu fahnden, ihn zu fangen und nach England zu verbringen, um ihn dort – man höre und staune – wegen Betruges, Unterschlagung sowie Hoch- und Landesverrats vor ein Gericht zu stellen. Eigentlich sollte man annehmen, daß man in England Ehrenmänner mit diesem Auftrag betraut hat. Doch kaum hatten diese fünf Schiffe die Bahama-Inseln erreicht, fielen diese Ehrenmänner, die der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen sollten, über eine spanische Handelsgaleone her, welche, wohlbemerkt, bereits die Flagge gestrichen hatte, und schossen sie brutal zusammen. Mehr noch: Die Besatzung wurde massakriert, nachdem ein gewisser, an dem Unternehmen beteiligter John Killigrew und seine Mannschaft die Galeone geentert hatten …“

„Eben“, unterbrach sie der stiernackige und verschlagen aussehende Charles Stewart und hielt seine gefesselten Hände hoch. „Das war Killigrew, Madam, und wir sind nicht für ihn verantwortlich.“

„Schweigen Sie!“ fuhr ihn Siri-Tong mit harter Stimme an. „Ich habe Sie nicht nach Ihrer persönlichen Meinung gefragt. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, daß gerade Sie als letzter das Recht haben, den ersten Stein nach einem anderen zu werfen.“

Damit hatte die Rote Korsarin den Nagel auf den Kopf getroffen. Die anderen Männer nickten bestätigend zu ihren Worten, und Arthur Gretton, der Stewart abgesetzt hatte, warf ihm sogar einen zornigen Blick zu.

„Dieser Mann, John Killigrew“, fuhr Siri-Tong unbeirrt fort, „plünderte die spanische Galeone aus, zumal sich dort eine Ladung Goldbarren befand. Um diese Beute für sich behalten zu können, nahm er aus den Reihen seiner Verbündeten einen gewissen Sir Andrew Clifford als Geisel und setzte sich unbehelligt mit seiner Karavelle und der Goldbeute von dem Verband ab. Danach leierte man an Bord der Karavelle den grandiosen Coup – der selbstverständlich mit dem eigentlichen Auftrag nicht das geringste zu tun hatte –, indem man sich sinnlos betrank und außerdem den Entschluß faßte, nach Süden zu segeln, wo man auf den Inseln Frauen zu finden hoffte. Genauer gesagt: Man war entschlossen, irgendwo Indianerweiber aufzutreiben, über die man das Recht zu haben glaubte, sie nach Gutdünken vergewaltigen zu können. Sir Andrew Clifford hingegen konnte mit einer nachgeschleppten Jolle von der Karavelle fliehen und wurde schließlich von Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, aufgegriffen. Ins Verhör genommen, berichtete dieser ‚Ehrenmann‘, mit welchem Ziel die fünf Schiffe aus England ausgelaufen waren. So erfuhr Philip Hasard Killigrew, den vom Charakter her ganze Welten von seinem früheren Pflegevater, John Killigrew, trennen, von den ungeheuerlichen Beschuldigungen, die gegen ihn am königlichen Hof erhoben worden waren.“

Arthur Gretton unterbrach die Rote Korsarin.

„Wenn ich dazu etwas bemerken darf, Madam“, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. „Es war nicht unsere Aufgabe und lag auch nicht in unserer Macht, den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen, die Sie gerade angesprochen haben, zu überprüfen.“

Siri-Tong schüttelte zornig den Kopf.

„Wollen Sie damit sagen, daß Sie und auch diese anderen Männer sich einer Strafexpedition großen Ausmaßes angeschlossen haben, ohne von deren Richtigkeit und Notwendigkeit überzeugt zu sein?“

„Äh – nein, Madam, das wollte ich damit nicht sagen“, erwiderte Gretton sichtlich verlegen. „Man hat uns vielmehr deren Richtigkeit glaubhaft versichert.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, sagte Siri-Tong. „Offensichtlich hat man deren Notwendigkeit sogar der englischen Königin glaubhaft versichert, sonst hätte sie wahrscheinlich niemals diesem Unternehmen zugestimmt. Fest steht auf jeden Fall, daß Sir Andrew Clifford und Sir Henry Battingham, zwei Männer von Adel, aber nicht mit adliger Gesinnung, die Anstifter dieser Intrige waren. Das gleiche trifft auf John Killigrew, den dritten im Bunde, zu. Drei Verbrecher haben es demnach fertiggebracht, einen anderen Mann in Abwesenheit zu verleumden, schmutzige Verdächtigungen auszusprechen und zu erreichen, daß ein Verband zu seiner Gefangennahme in Marsch gesetzt wurde.“

Siri-Tong schwieg hier einen Moment. Sie hatte ruhig und sachlich gesprochen. Jetzt aber wurde ihr Ton eine Nuance schärfer.

„John Killigrew und seine Mannschaft“, fügte sie hinzu, „wurden in der Bucht dieser Insel von Philip Hasard Killigrew und mir gestellt und überwältigt. Als Ehrenmann forderte der Seewolf, dessen Gradlinigkeit und Fairneß selbst den Spaniern ein Begriff ist, Genugtuung für die schändlichen Verleumdungen seiner Person. Ich habe ihm abgeraten mit der Begründung, Lumpen könnten einem Mann ohne Fehl und Tadel nicht die Ehre nehmen. Doch der Seewolf blieb bei seiner Entscheidung, und ich mußte sie akzeptieren, denn wer eines Mannes Ehre verletzt, muß auch bereit sein, dafür geradezustehen und zu kämpfen. Ich weiß nicht, inwieweit ich von Ihnen erwarten kann, mir in diesem Punkt beizupflichten …“

„Natürlich müssen wir Ihnen da beipflichten, Madam“, sagte Marc Corbett.

Sir Edward und Arthur Gretton nickten bestätigend, während Charles Stewart nur höhnisch grinste.

„Sehen Sie“, sagte Siri-Tong, „nicht mehr und nicht weniger als das forderte Philip Hasard Killigrew von diesen beiden Männern. Jetzt konnten sie ja zeigen, wie ernst ihre Absicht war, im Auftrag der Krone einen Betrüger, Hoch- und Landesverräter zu stellen und im Kampf Mann gegen Mann ihr Ziel durchzufechten. Philip Hasard Killigrew ließ ihnen sogar die Wahl der Waffen. Sir Andrew Clifford als erster wählte die Pistole, John Killigrew den Säbel. Das Pistolenduell fand dort drüben am Strand statt. Die Duellanten sollten sich Rücken an Rücken und mit geladener Pistole aufstellen, dann losmarschieren und durften sich erst umdrehen und schießen, wenn der Befehl ‚Feuer frei!‘ gegeben wurde. Aber was tat der Ehrenmann Andrew Clifford? Nach etwa vier Schritten drehte er sich um und schoß Philip Hasard Killigrew eine Kugel in den Rücken. Clifford büßte für diese feige Tat, denn er wurde von einem Pfeil durchbohrt, den ein Mann aus der Crew des Seewolfs abgeschossen hatte. Dieser Pfeilschuß ersparte uns, Clifford an die Rah zu hängen. Alles weitere wissen Sie, Gentlemen. Was ich jedoch noch nicht weiß, das möchte ich jetzt von Ihnen erfahren: Warum hat dieser Mann“, Siri-Tong deutete auf Charles Stewart, „zusammen mit Männern aus der Crew des John Killigrew in der letzten Nacht noch einmal versucht, das Schiff des Seewolfs zu überfallen? Hatte er dazu einen Auftrag?“

Es war abermals Marc Corbett, der einen Schritt vortrat und erregt den Kopf schüttelte.

„Nein, einen Auftrag hatte er nicht, Madam“, sagte er mit zorniger Stimme. „Mister Stewart hat auf eigene Faust gehandelt, nachdem wir uns zuvor von ihm getrennt hatten. Und nicht nur von ihm hatten wir uns getrennt, sondern auch von der Mannschaft des John Killigrew und von der Adelsgruppe um Sir Henry Battingham. Wir ließen Mister Stewart mit einer der Jollen abziehen. Wir wollten mit ihm nichts mehr zu tun haben, denn er hatte seine Besatzung im Stich gelassen, als die ‚Dragon‘ sank. Für uns war das Grund genug, uns von ihm zu trennen, zumal er vorher versucht hatte, die ‚Orion‘ zu entern, weil sein Schiff im Gefecht beschädigt worden war …“

„Lüge, alles Lüge!“ rief Charles Stewart dazwischen. „Die Kerle wollen sich Ihnen gegenüber nur herausreden, Madam!“

Barba, der mit verschränkten Armen einige Schritte hinter Siri-Tong stand und die Gesprächsszene mit unbewegtem Gesicht verfolgte, setzte sich in Bewegung.

„Soll ich diesen Kerl zur Ruhe bringen, Madam?“ fragte er.

Siri-Tong vollführte eine abwehrende Geste.

„Laß es, Barba“, erwiderte sie. „Wenn es nötig sein sollte, daß du dir die Hände an einem solchen Mann beschmutzt, sage ich es dir.“

Barba trat wieder zurück, nicht ohne dem grobschlächtigen Stewart einen finsteren und vielversprechenden Blick zuzuwerfen.

„Darf ich weiterreden, Madam?“ fragte Marc Corbett höflich.

„Fahren Sie fort.“ Siri-Tong nickte mit ernstem Gesicht.

Der Erste Offizier der „Orion“ räusperte sich.

„Heute morgen kehrte Mister Stewart allein zurück und forderte uns auf, mit den Jollen Ihre beiden Schiffe bei den Pensacola Cays zu überfallen. Wir lehnten das jedoch ab und setzten ihn gefangen.“

„Und was geschah mit der Jolle und den Kerlen von John Killigrew?“ fragte Siri-Tong.

Marc Corbett lächelte beinahe schadenfroh.

„Die Burschen warfen Stewart hier bei der Insel außenbords und segelten davon. Vermutlich, weil sie sich in den Besitz von zwei Goldkisten setzen wollten, die Stewart dem ‚ehrenwerten‘ Sir Henry Battingham mehr oder weniger entwendet hatte, bevor die ‚Dragon‘ unterging.“

„Interessant!“ entfuhr es der Roten Korsarin. Dann warf sie Charles Stewart, der sie mit haßerfüllten Augen anstarrte, einen verächtlichen Blick zu. Nach kurzem Überlegen gab sie den Befehl, den spanischen Verbandsführer auf die „Caribian Queen“ zu holen. „Mal sehen“, sagte sie, „was unsere spanischen Freunde zu berichten haben.“

Kurze Zeit danach hatte sich auch Don Gregorio de la Cuesta zu der Reihe derer gesellt, die nervös von der Kuhl zum Achterdeck hochblickten. Auch er tat es mit recht gemischten Gefühlen, denn im stillen rechnete er mit allem – selbst mit dem Schlimmsten. Was sollte er schon als spanischer Kapitän von den Engländern zu erwarten haben? Oder noch schlimmer: was würde sich dieses Piratenweib wohl einfallen lassen? O ja, Don Gregorio fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut, und als man ihn auf den Zweidecker gebracht hatte, waren seine Knie regelrecht weich geworden.

„Wie ist Ihr Name, Señor?“ fragte Siri-Tong, die die spanische Sprache sehr gut beherrschte.

„Don Gregorio de la Cuesta“, lautete die Antwort, „Kommandant der Kriegsgaleone …“

„Schon gut“, unterbrach ihn Siri-Tong, die von Adelstiteln und hochtrabenden Amtsbezeichnungen nicht sehr viel hielt. „Ich erwarte, daß Sie mir einige Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Vergessen Sie dabei nicht, daß Sie sich in meiner Gewalt befinden.“

Bei diesem Hinweis schluckte Don Gregorio, obwohl er diesen Umstand bisher noch keinen Augenblick vergessen hatte.

„Ich werde wahrheitsgemäß antworten, Señora.“

Siri-Tong konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn sie auf die Kuhl hinunterblickte. Da standen sie, die Befehlshaber und Kommandanten, die sonst so Großen und Mächtigen. Aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, wirkten sie zerknirscht, nervös und verunsichert. Vor allem das hagere Gesicht des Spaniers zeigte eine auffallende Blässe.

„Nun, Señor“, fuhr sie fort, „ich möchte wissen, ob es ein Zufall war, daß Sie mit Ihren beiden Kriegsgaleonen hier auf die schiffbrüchigen Engländer gestoßen sind.“

Don Gregorio schüttelte den Kopf.

„Nein, das war kein Zufall, Señora“, erwiderte er. „Meine Schiffe befanden sich im Fort St. Augustine an der amerikanischen Ostküste. Als der englische Verband vorbeisegelte, erhielt ich den Auftrag, auszulaufen, um – nun ja, um die Absichten der Engländer zu überprüfen …“

„Aha“, sagte Siri-Tong. „Und was sollten Sie nach dieser Überprüfung, wie Sie das nennen, tun? Sollten Sie nach St. Augustine zurückkehren, um Bericht zu erstatten?“

„Nein, Señora, das heißt, später schon, aber …“

„Aber?“

„Zunächst hatte ich, wie bereits gesagt, den Auftrag, den Engländern nachzuspüren. Dann sollte ich Havanna anlaufen und den Gouverneur wegen dieses Verbandes warnen.“

„Und wie erfuhren Sie dann, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gab?“

Der Capitán zuckte hilflos mit den Schultern.

„Das ergab sich fast von allein, Señora“, berichtete er. „Wir sichteten am heutigen Vormittag eine mit Westkurs segelnde Jolle, die wir stoppten und durchsuchten. Dabei entdeckten wir zwei Kisten mit Goldbarren, die den Stempel der Münze von Potosi aufwiesen. Wir waren deshalb davon überzeugt, es mit Piraten zu tun zu haben und sahen uns genötigt, die Jollenbesatzung gefangenzunehmen. Dabei erfuhren wir durch das Verhör eines englischen Bootsmanns, der O’Leary heißt, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gäbe. Da die Grand Cays nicht weit entfernt waren, sind wir hierher gesegelt.“

Siri-Tongs Hände ballten sich zu Fäusten.

„War das alles, was Sie von diesem O’Leary erfahren haben?“

Der Spanier senkte einen Augenblick den Kopf, dann aber redete er weiter, wohl wissend, daß er keine andere Wahl hatte.

„Nein, das war nicht alles, Señora. Der Bootsmann berichtete auch über die Ziele und Aufgaben des englischen Verbandes, und – und er sagte auch, wo El Lobo del Mar, der Seewolf, zu finden sei. Daraufhin habe ich die Engländer drüben auf der Insel zur Kapitulation aufgefordert. Angegriffen habe ich sie erst, nachdem sie sich geweigert hatten, sich zu ergeben.“

Die Rote Korsarin nickte. Alle Mosaiksteinchen paßten überraschend gut zusammen, deshalb war sie auch davon überzeugt, daß Don Gregorio die Wahrheit gesagt hatte.

„Den Ausgang dieses Kampfes kenne ich“, fuhr sie fort. „Wie aber sah Ihr weiteres Vorhaben aus – im Hinblick auf das, was O’Leary ausgeplaudert hatte?“

„Danach“, erwiderte der Spanier, „wollte ich versuchen, den Seewolf zu finden und zu stellen, und zwar noch vor der Fahrt nach Havanna.“

„Gerade so hatte ich mir das gedacht“, sagte Siri-Tong. „Wie viele Kerle befanden sich bei O’Leary, und was geschah mit ihnen?“

„Es waren sechzehn, Señora. Ich nahm sie als Gefangene zunächst an Bord meines Schiffes, dann aber wurden sie von der Galeone da drüben wegen der besseren Platzverhältnisse übernommen. Dort befinden sie sich jetzt noch in der Vorpiek hinter Schloß und Riegel.“

Marc Corbett und die anderen Engländer, die dem in Spanisch geführten Gespräch folgen konnten, horchten auf. Siri-Tong aber traf ihre ersten Entscheidungen.

„Ich danke Ihnen, Señor, daß Sie meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet haben“, sagte sie. „Und nun sollen Sie erfahren, was mit Ihnen und Ihren Landsleuten geschehen soll.“

Don Gregorios Gesicht verkrampfte sich in banger Erwartung. Was, um Himmels willen, hatte sich dieses Piratenweib ausgedacht? Eigentlich war diese Frau nicht nur hübsch und energisch, sondern machte auch einen anständigen Eindruck. Irgendwie wollte das landläufige Bild einer Piratin nicht zu ihr passen. Aber das konnte auch täuschen, das würde sich gleich herausstellen.

„Sie werden mit Ihren Männern die Galeone verlassen“, entschied sie. „Die englischen Gefangenen, die Sie in die Vorpiek gesperrt haben und bei denen es sich um Lumpenkerle des Mister John Killigrew handelt, werden Sie mitnehmen.“ Süffisant fügte sie hinzu: „Ich betrachte diese Kerle nach wie vor als Ihre Gefangenen.“

Don Gregorio sah sie verblüfft an. Hatte sie wirklich gesagt, er könne die Galeone verlassen? Bei Gott, und er hatte sich im Geiste schon an einer Rah baumeln sehen!

„Im übrigen“, führ die Rote Korsarin fort, „können Sie Ihre Jollen mit an Land nehmen, ebenso Hieb- und Stichwaffen. Die Mitnahme von Schußwaffen erlaube ich nicht. Andererseits habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie einige Werkzeuge mitnehmen wollen, um die Hütten wieder aufzubauen, die Sie selber zerschossen haben. Für immer werden Sie wohl nicht auf dieser Insel festsitzen, denn Sie haben ja die Möglichkeit, eine Jolle zur Küste von Florida hinübersegeln zu lassen, um von St. Augustine Hilfe anzufordern.“

Don Gregorio de la Cuesta atmete erleichtert auf. Tonnenschwere Lasten fielen ihm von der Seele, obwohl es nicht gerade erfreulich war, sein Schiff aufgeben zu müssen und auf einer Insel ausgesetzt zu werden. Aber er hatte Schlimmeres erwartet – für sich und seine Landsleute. Offenbar hatte er doch den richtigen Eindruck von dieser Frau gewonnen, die gemäß den Schilderungen des englischen Bootsmannes ein „blutrünstiges Piratenweib“ sein sollte. O’Leary hatte ohne Zweifel stark übertrieben. Er selbst war inzwischen fast schon geneigt, ein Prachtweib in ihr zu sehen.

Für einige Augenblicke floß Don Gregorio fast über vor Dankbarkeit, ja, er fühlte sich sogar genötigt, einen erlesenen Kratzfuß zu zelebrieren.

„Ich danke Ihnen zutiefst für Ihre Großzügigkeit, Señora“, sagte er, „und ich bin entzückt, Sie kennengelernt zu haben. Ich kann nur versichern, daß Sie mich und meine Landsleute fair behandelt haben.“

Darüber wunderten sich auch die Engländer, die ebenfalls weit Schlimmeres erwartet hatten.

Als erster räusperte sich Marc Corbett.

„Ich muß Sie darauf hinweisen, Madam“, sagte er, „daß sich drüben an Land noch etwa vierzig unserer Leute befinden, die zurückgeblieben sind, um uns Feuerschutz zu geben.“

„Nachdem sie sich ergeben haben, werden sie herübergeholt auf die spanische Galeone“, sagte Siri-Tong. „Ihre Waffen sind in einem gesonderten Boot unterzubringen.“

Mit dieser Entscheidung hatte Marc Corbett gerechnet, aber da war noch etwas, was geklärt werden mußte.

„Außerdem, Madam“, fuhr er fort, „befinden sich noch sieben Gentlemen aus dem Kreis des Sir Henry Battingham sowie zwölf Kerle des John Killigrew auf der Insel …“

„Dort werden sie auch bleiben“, unterbrach ihn Siri-Tong schroff. „Meinetwegen können sie den Spaniern Gesellschaft leisten.“

Don Gregorio de la Cuesta wurde von der Roten Korsarin entlassen, um das Übersetzen zur Insel zu organisieren. Einige Mannen von der „Caribian Queen“ wurden damit beauftragt, die Vorgänge zu überwachen.

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