Czytaj książkę: «Seewölfe Paket 11», strona 21

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4.

Heftig zuckten die Flammen der Fackeln, die von den Spaniern entzündet worden waren, auf dem großen freien Platz inmitten der Hütten des Lagers. Ihr Licht warf gespenstische Muster auf die Gesichter der Männer und gab das Mienenspiel von Don Felix Maria Samaniego, der zwischen seine Offiziere und Soldaten getreten war, besonders deutlich wieder.

Es arbeitete in Don Felix’ scharfgeschnittenen, asketischen Zügen. Selten hatte der hagere Mann, der in größter Hast seine Hütte verlassen hatte und nur mit einer dunklen Hose und einem weißen Hemd bekleidet war, derart zum Ausdruck gebracht, was in seinem Innern vorging.

Er fühlte sich zwischen Wut und Ohnmacht hin und her gerissen. Einen Augenblick lang war er versucht, seine Untergebenen wild anzufahren und zu maßregeln, dann aber erlangte er seine Fassung wieder und bezwang sich.

Es hatte keinen Sinn, jetzt zornig herumzubrüllen und sich in einen Tobsuchtsanfall hineinzusteigern. Nur durch kühle Überlegung konnte er sich einen Überblick über die Situation verschaffen und die richtige Entscheidung treffen.

So hielt er auch einen seiner Offiziere zurück, der jetzt vortrat und mit dem Stiefel nach dem toten Sträfling ausholte.

Die Soldaten, die die Flüchtlinge bis in den Busch hinein verfolgt hatten, waren soeben mit dem Leichnam Romeros zurückgekehrt und hatten ihn auf die Mitte der Lichtung geworfen.

Don Felix hatte sich den Bericht der Unteroffiziere schweigend angehört. Längst hatte er angeordnet, daß das Tor des Palisadenlagers wieder verriegelt und doppelt abgesichert wurde, daß ein Trupp von Wachtposten im Inneren der Umzäunung Fackeln anzündete und die Sträflinge einen nach dem anderen durchsuchte.

Irgendwelche Gerätschaften mußten den Gefangenen dazu gedient haben, sich von ihren Ketten zu befreien – und diese Werkzeuge mußten gefunden werden, um jeden Preis.

„Lassen Sie das“, sagte Don Felix jetzt zu seinem Offizier. „Es ist unter unserer Würde, unsere Wut über den Vorfall an einem Toten auszulassen.“

Der Mann fuhr zu ihm herum. „Aber Senor Comandante! Dieser Hund hat einen unserer Soldaten auf brutalste Weise erwürgt!“

„Schweigen Sie!“ sagte der Kommandant scharf. „Er hat mit seinem Leben dafür bezahlt, das genügt mir. Und erwürgen ist immer brutal, das sollte Ihnen Ihr logischer Verstand sagen.“

„Si, Senor.“

Don Felix wies auf den Toten. „Wie war sein Name?“

„Romero, Senor“, antwortete ein Unteroffizier wie aus der Pistole geschossen. „Der Nachname war nicht bekannt. Ein räudiger Bastardhund, Senor. Eine Schande, daß er sich überhaupt als echter Spanier bezeichnen durfte.“

„Ersparen Sie sich Ihren Kommentar“, sagte Don Felix. „Wenn die Posten nicht unaufmerksam gewesen wären, hätten sie bemerkt, daß er etwas vorbereitete und die Möglichkeit hatte, sich seiner Ketten zu entledigen. Sie werden meine Kritik noch zu hören bekommen, Senores, und Sie werden eine Reihe von Vorwürfen über sich ergehen lassen müssen.“

„Si, Senor“, murmelten die Männer.

„Romero“, wiederholte Don Felix. „Der aufsässige Bursche mit den Taschenspielertricks. Ich hatte befohlen, ihn besonders scharf zu bewachen. Und was ist geschehen? Er hat sich selbst und einen seiner Kumpane befreit und ist geflohen.“ Mit strenger, zurechtweisender Miene sah er sich im Kreis seiner Männer um. „Dabei war keine Magie im Spiel, Senores. Er konnte das nur schaffen, weil wir geschlafen haben. Aber zurück zu dem anderen Entflohenen – wie war doch sein Name?“

„Morgan Young.“

„Richtig, Young. Ein ausgefuchster Kerl, der offenbar auch unterschätzt wurde.“

„Im Dschungel wird er nicht weit gelangen“, meinte ein jüngerer Offizier.

Don Felix wischte die Bemerkung mit einer herrischen Gebärde fort. „Darauf können wir uns nicht verlassen. Er ist uns entwischt, aber wir stellen jetzt sofort zwei starke Trupps zusammen, die die Suche im Urwald wieder aufnehmen. Ja, Sie haben richtig gehört, Senores. Wir fahnden die ganze Nacht über nach ihm, wenn es sein muß.“

„Senor Comandante“, wagte der Offizier einzuwenden, der vorher nach dem toten Romero hatte treten wollen. „Das dürfte auch für uns lebensgefährlich sein. Sie wissen selbst am besten, welche unangenehmen Überraschungen im Busch auf uns lauern.“

„Zwei zwanzigköpfige Trupps!“ rief Don Felix. „Sie übernehmen es, die Männer auszuwählen. Sie werden bis an die Zähne bewaffnet und mit großen Fackeln ausgerüstet. Die Raubtiere scheuen das Feuer!“

„Zu Befehl, Senor Comandante!“

„Ein dritter Trupp läuft mit zwei Pinassen und einer Schaluppe aus, um dem Engländer den Fluchtweg über die See abzuschneiden!“ fuhr Don Felix mit erhobener Stimme fort. „Acht Mann pro Boot! Wer den Kerl sieht, schießt sofort auf ihn. Ich bin nicht daran interessiert, ihn lebend ins Lager zurückzuholen! Wer ihn erwischt, erhält von mir eine Belohnung!“

„Bei diesem Seegang werden die Boote kentern“, gab der jüngere Offizier zu bedenken. „Ein Sturm droht auszubrechen, Senor!“

Jetzt ballte Don Felix zornig seine Hände zu Fäusten und begann doch zu schreien. „Mit wem habe ich es hier eigentlich zu tun? Mit Feiglingen? Jedes weitere Widerwort wird mit einer Disziplinarstrafe geahndet, merken Sie sich das! Und jetzt befolgen Sie augenblicklich meine Befehle, sonst lernen Sie mich von einer Seite kennen, die Ihnen bislang fremd war!“

Er wollte noch etwas hinzufügen, wurde jedoch durch das Auftauchen eines Soldaten unterbrochen, der von den Palisaden herüberlief und einen Schlegel und ein Scharfeisen vorwies.

„Das haben wir eben bei einem der Sträflinge gefunden, Senor Comandante!“ meldete der aufgeregt.

„Bei wem?“ wollte Don Felix wissen.

„Bei einem Kerl, der Jonny heißt. Er hat sich heftig gegen die Durchsuchung gewehrt. Wir mußten ihn niederschlagen, um die Werkzeuge überhaupt an uns zu bringen.“

„Maldichos ingléses“, sagte der Lagerkommandant, nahm die Gerätschaften aus der Hand des Soldaten entgegen und betrachtete sie nachdenklich. „Diese verdammten Engländer, sie scheinen den Teufel im Leib zu haben. Dieser Jonny wäre also der nächste gewesen, der den Ausbruch aus dem Lager versucht hätte.“

„Anscheinend ja“, meinte ein Teniente, ein Leutnant.

Samaniego fixierte ihn mit einem stechenden Blick. „Anscheinend? Das hier ist ja wohl mehr als anscheinend.“ Er hielt dem Mann den Schlegel und das Scharfeisen hin. „Und das zieht noch etwas nach sich, darauf können Sie alle sich verlassen – nämlich eine genaue Untersuchung der Hintergründe für diese Ungeheuerlichkeit!“

Er gab den Offizieren, von denen einige ziemlich betreten zu Boden sahen, einen Wink, und sie begannen, ihre präzisen Befehle zum Sammeln und Ausrücken zu erteilen.

Rufe tönten durch die Nacht, Soldaten hasteten über den Lagerplatz, holten Musketen, Tromblons und Pistolen und bemannten die Boote, die an den hölzernen Anlegern schlingerten. Die Szene wurde von dem huschenden Licht der Fackeln begleitet.

Don Felix schickte seine Suchtrupps mit der Order los, sich zunächst in südlicher Richtung zu bewegen. Er war sicher, daß Morgan Young versuchen würde, die Küste zu erreichen.

Der Wind blies mit unverminderter Kraft in den Dschungel von Sumatra, aber er brachte keine Abkühlung. Die Wolken, die über das grüne Dach der Fieberhölle zogen, öffneten sich nicht zu rauschenden Regenschauern, und die schwüle Luft entlud sich nicht. Nur ab und zu zuckten Blitze, und in längeren Zeitabständen war das Grollen fernen Donners zu vernehmen. Das Inferno der Natur, das sich eigentlich jeden Augenblick hätte entfesseln müssen, fand nicht statt. Zäh und unendlich drükkend war die Atmosphäre der brütenden Feuchtigkeit, durch die Morgan Young voran taumelte.

Er war der völligen Erschöpfung jetzt sehr nah, und seine Nerven wollten nicht mehr mitspielen. Im Nachhinein setzte ihm der Tod Romeros erheblich zu, er konnte das Ereignis doch nicht so schnell verarbeiten, wie er anfangs gedacht hatte.

Die Arbeit unter der mörderischen Hitze, die er Tag für Tag mit den anderen Sträflingen zusammen hatte verrichten müssen, hatte ihre Spuren bei ihm hinterlassen und seine Energien stark herabgesetzt. All die Entbehrungen und Härten der letzten Zeit forderten jetzt ihren Tribut.

Young stand kurz vor dem Zusammenbruch.

Er verharrte und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stamm eines großen, knorrigen Baumes. Er spreizte die Beine ein wenig und stemmte sie fest gegen den Untergrund, denn er wollte nicht zu Boden sinken. Nicht einschlafen, hämmerte er sich immer wieder ein, nur nicht einschlafen, sonst ist alles aus.

Er schloß aber doch die Augen und verfiel für kurze Zeit in einen Zustand des Dahindämmerns. Seine Atemzüge wurden langsamer und regelmäßiger.

Plötzlich riß er die Augen wieder auf. Ganz deutlich hatte er in seiner Nähe eine Bewegung wahrgenommen. Er griff mit der rechten Hand nach dem Säbel, den er in den Hosengurt geschoben hatte. Leise klirrte die Kette, die seine Handschellen verband. Er zog den Säbel heraus, nahm eine geduckte, drohende Haltung ein und blickte sich nach allen Seiten um.

Hatte er sich getäuscht? Hatten ihm seine gereizten Nerven nur etwas vorgegaukelt?

Der Wind wisperte und zischelte in den Büschen und bewegte die Blätter, überall schien Bewegung zu sein. Hier und dort knackte oder raschelte es, überall war das eigentümliche Klagen und Kreischen, Maunzen und Schnattern der Nachtvögel und der anderen Urwaldbewohner zu vernehmen, die zu dieser Stunde wach waren.

Young glaubte aber doch, eine Regung bemerkt zu haben, die mit all dem nichts zu tun hatte, sondern losgelöst war von der übrigen Kulisse des Busches.

Jäh entdeckte er, was es war, und erstarrte vor Schreck.

Wenige Zoll vor seinen nackten Füßen wälzte es sich schwer und träge über den weichen Boden und drohte nach seinen Beinen zu greifen. Young blickte wie gebannt auf das Bild dieses riesigen, häßlichen Leibes, das sich ihm trotz der Dunkelheit in aller Deutlichkeit darbot.

Er hatte von den gewaltigen Schlangen vernommen, die imstande sein sollten, sogar Schweine, Schafe und Ziegen zu erwürgen und zu vertilgen. In der Phantasie der Seeleute gerieten sie zu Ungeheuern, die angeblich jenen Monstren glichen, die in der Tiefsee lauern sollten. Wenn dies auch eine Übertreibung war, so hatte Young doch nie bezweifelt, daß es die übergroßen Bestien wirklich gab, die Boa oder Python genannt wurden.

Einer solchen Riesenschlange war er jetzt begegnet, und sie wollte ihn auf leise, schleppende Art in ihre tödliche Umklammerung nehmen. Er verlieh sich einen inneren Ruck, löste sich aus seiner gelähmten Haltung und entzog sich dem Zugriff des lautlosen Feindes durch einen Sprung.

Das kalte Entsetzen noch im Nakken, hastete er weiter. Was wäre gewesen, wenn sich die Schlange von dem Baum auf ihn herabgeringelt und seinen Hals gepackt hätte, während er eingenickt war? Dann hätte ihm auch der Säbel nichts mehr genutzt, und so träge diese Bestien auch waren, so schnell vermochten sie eine Beute durch das Zusammenziehen ihrer Ringmuskeln ins Jenseits zu befördern.

Young fühlte, wie das Grauen ihn packte und nicht mehr losließ. Er schlug mit dem Säbel um sich, mehr, um sich abzureagieren, als um sich einen Weg zu schaffen, aber auch das nutzte nichts.

Er hatte geglaubt, die See schnell zu erreichen, aber in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Nirgends schien es einen Auslaß aus dem Dschungel zu geben, die „Selvas“, wie der Spanier die Urwälder nannte schienen unendlich zu sein. Die Küste lag in ewiger Ferne, so erschien es Young in diesem Moment jedenfalls.

Hatte er die Orientierung verloren? Lief er im Kreis?

Er grübelte darüber herum und gelangte zu keinem Schluß. Dies steigerte seine Furcht vor dem Ungewissen und die Verzweiflung noch. Immer wieder sah er sich nach links und nach rechts um und blickte über seine Schulter zurück.

Folgte die Riesenschlange ihm? Schlichen ihm Raubkatzen durch das Dikkicht nach, um sich den Zweibeiner zu holen, sobald er vor Erschöpfung zusammenbrach? Glotzten ihn dort nicht weißliche Augen aus der Finsternis an? War das der Orang Utan, der Waldmensch, wie die Malaien und die Ureinwohner Sumatras ihn nannten, oder der Gorilla, ein riesiger und bärenstarker Affe, der einen Mann mühelos zerquetschen konnte?

Morgan Young stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach hin – wieder in den Morast. Fast wäre er auf die Klinge des Säbels gestürzt und hätte sich dabei selbst verletzt.

Er stöhnte in einem Anflug panischer Angst auf. Dann aber siegte die Wut über seine Schwäche, er richtete sich schnell wieder auf und lief weiter.

Einmal glaubte er, hinter sich einen Feuerschein zu sehen, aber das rötliche Licht war bald wieder verschwunden.

Ein Eingeborenendorf? Young hielt es für sehr unwahrscheinlich. Als die Spanier vor zwei Jahren damit begonnen hatten, die Strafkolonie Airdikit einzurichten, hatten die Athjehs oder Bataks – oder wie immer die Eingeborenen dieses Landstrichs sich nennen mochten – ihre Siedlungen in der näheren Umgebung bestimmt aufgegeben, um sich tiefer in den Dschungel zurückzuziehen. Anderenfalls hätten sie riskiert, daß die Spanier sie als Sklaven eingefangen und zur Zwangsarbeit angetrieben hätten.

Nein, Young gab sich auch dieses Mal keinen Illusionen hin. Selbstverständlich waren das die spanischen Soldaten, die die Suche nach ihm unter Zuhilfenahme von Fackeln fortsetzten. Zwar verrieten sie dadurch ihren jeweiligen Aufenthaltsort, aber sie schützten sich gleichzeitig mit dem Feuer vor den Plagegeistern und Räubern des Urwaldes, was sie in diesem Fall gewiß als vorrangig ansahen.

Nur er, Morgan Young, war den Tieren des Dschungels nahezu hilflos ausgeliefert.

Er zuckte zusammen, als er ganz in seiner Nähe ein Grollen vernahm, das ihm durch Mark und Bein ging. Nie und nimmer war das ein Gewitterdonner gewesen – schlimmer, viel schlimmer war die neue Gefahr, die mit diesem furchtbaren Laut zusammenhing.

Der Tiger ist da, dachte Young, und er fühlte, wie ihm die Angst die Kehle zuschnürte.

Romero hatte schon mal einen Tiger gesehen und ihm davon erzählt, wie groß diese gestreiften Raubkatzen waren und wie sehr die Eingeborenen sie fürchteten. Es gab alte, verbitterte Einzelgänger unter den Tigern, die auf Menschenjagd gingen, und sie konnten mit einem einzigen Hieb ihrer Tatze ihr Opfer zerfetzen.

Young erklomm einen Baum, ehe das unheimliche Grollen zum zweitenmal ertönte. Er kletterte so hoch wie irgend möglich in die Krone hinauf, die vom Sturmwind hin und her bewegt wurde, und suchte sich eine Astgabel, in die er sich kauern konnte.

Hier hockte er schließlich, hielt nach Schlangen Ausschau und schickte auch immer wieder Blicke in die Tiefe, um nach dem Tiger zu spähen, der ihn verfolgte.

In dieser Lage konnte er sich selbst riechen. Ja, er stank erbärmlich nach Schweiß, fauligem Schlamm und Angst, und er fühlte sich so sehr erniedrigt wie nie zuvor in seinem Leben.

Vielleicht war der Tiger schon unter ihm? Er konnte es nicht sehen. Er konnte nur ahnen, was unten, auf dem Boden des Urwaldes, geschah, und die Phantasie ließ vor seinem geistigen Auge die schrecklichsten Szenen ablaufen.

Er beschloß, den Rest der Nacht auf dem Baum zu verbringen. Beim Anbruch des neuen Tages würde ihm die Orientierung leichter fallen, vielleicht konnte er dann von seinem luftigen Versteck aus sogar das Meer erkennen.

Und wenn du auch verrecken mußt, dachte er, die See willst du vorher wenigstens noch einmal anschauen.

5.

Im Morgengrauen des neuen Tages waren auf der „Isabella“ immer noch die Manntaue gespannt und die Luken und Niedergänge verschalkt, denn der Seegang hatte nicht abgenommen, und der Sturmwind pfiff nach wie vor bedrohlich genug aus Südsüdwest heran.

Pete Ballie, der zur Morgenwache wieder das Ruderrad übernommen hatte, warf vom Ruderhaus aus argwöhnische Blicke zum Himmel hinauf. Schwarz und schmutziggrau ballten sich dort die Wolken. Sie schoben sich in- und übereinander und schienen sich heftig aneinander zu reiben.

Diese Reibung rief nach Old O’Flynns Behauptung den Gewitterdonner hervor, aber nicht alle Männer an Bord waren auch wirklich davon überzeugt, daß es so war. Old Donegal Daniel O’Flynn war zwar ein alter Geisterseher und Gespensterbeschwörer, der nach seinen eigenen Darstellungen richtige „Gesichter“ hatte, aber ein Gelehrter war er nicht.

Pete richtete seinen Blick nach Backbord und sah durch das linke Fenster des Ruderhauses, daß der Himmel im Süden eine Färbung angenommen hatte, die eine Mischung aus Giftgelb, Dunkelrot und Violett zu sein schien. Egal, wie der Donner entsteht, dachte er, da braut sich auf jeden Fall immer noch höllisch was zusammen, und wir tun gut daran, wenn wir sehr vorsichtig sind.

Er wandte sein Gesicht wieder nach vorn und sah jetzt den Seewolf, der mit einer zusammengerollten Karte unter dem Arm über das Achterdeck balancierte. Mit einer Hand hielt er sich am Manntau fest, erklomm das Quarterdeck und trat zu Pete in das Ruderhaus.

„Ich habe gerade mit Ben Brighton, Shane, Old O’Flynn und Carberry noch einmal die Lage durchgesprochen“, sagte er. Er rollte die Karte auseinander und zeigte sie seinem Rudergänger.

Pete nickte. „Da ist also fast die ganze Südwestküste von Sumatra mitsamt der Straße von Mentawai und den zugehörigen Inseln drauf.“

„Richtig, Pete, und wir befinden uns in unserer jetzigen Position ungefähr hier, wie ich errechnet habe“, sagte Hasard. Er deutete mit der Kuppe seines Zeigefingers auf die südliche Einfahrt der Meeresstraße. „An der winzigen Insel Mega sind wir schon vorbei, jetzt liegen wir etwa auf der Mitte zwischen der Insel Süd-Pagai und einem Küstenstrich rund hundert Meilen nördlich von Bengkulu.“

„Bengkulu?“

„Nach dem Randbemerkungen, mit denen diese Karte versehen ist, ist das ein größeres Dorf der Eingeborenen. Es wird auch Bangkahulu genannt.“

Pete warf noch einen Blick auf die Karte und sagte: „Ich verstehe schon, das ist eine der Roteiros, der Seekarten der Spanier, die wir ihnen seinerzeit abgenommen haben.“

„Ja.“

„Wie gut, daß wir sie haben“, meinte Pete grinsend. „Da wir die Mentawai-Straße noch nie durchsegelt haben, dürfte sie uns vor einigen Überraschungen bewahren.“

„Du sprichst doch wohl hoffentlich nicht von den Überraschungen, die Old O’Flynn andauernd heraufbeschwört?“

„Nein, natürlich nicht“, gab Pete lachend zurück. „Sir, ich meine Riffs und andere Untiefen, tückische Strömungen und sandige Landzungen, die uns im Weg sein könnten. Die Roteiros der Spanier sind in diesen Punkten doch sehr präzise, nicht wahr?“

„Allerdings. Soweit ich festgestellt habe, stellt nur die Insel Pini, die weiter nördlich mitten in der Straße liegt und zu den sogenannten Batu-Inseln zählt, ein großes, aber weithin sichtbares Hindernis für uns dar.“

„Keine Probleme also?“

„Vorerst nicht.“

„Und Bengkulu?“

„Das hat keine Bedeutung für uns. Ich schätze, auch die Spanier benutzen es lediglich als Orientierungsmarke.“

Pete korrigierte die Ruderstellung, dann sah er seinem Kapitän ins Gesicht. „Vielleicht liegen vor und bei Bengkulu aber Seeräuber, die uns noch die Hölle heiß machen könnten.“

„Etwa so wie damals vor Malakka?“ fragte der Seewolf lächelnd.

„Nun, es könnte doch zumindest wahrscheinlich sein, daß sich hier Piratenbanden herumtreiben und die Gewässer verunsichern.“

„Möglich ist alles“, sagte Hasard. „Aber wir können unser Schicksal nicht beeinflussen. Lassen wir die Dinge auf uns zukommen. Wenn wir uns mit Freibeutern, Spaniern oder Portugiesen herumschlagen müssen, dann tun wir das auch. Was ich jetzt für vordringlich halte, ist die Notwendigkeit, uns vor dem Sturm zu schützen.“ Er wies nach Süden. „Nach einer Besserung sieht es mir nicht aus – bei der Gewitterfront, die sich da heranschiebt.“

„Ich habe auch schon darüber nachgedacht.“

„Und was würdest du an meiner Stelle tun?“

„Abfallen und Kurs auf die Küste von Sumatra nehmen, Sir.“

Hasard hob die Augenbrauen. „Nicht auf die nächste Insel?“

„Nein. Das wäre Süd Pagai. Um sie anzulaufen, müßten wir von unserer jetzigen Position aus kreuzen“, antwortete Pete Ballie. „Das wäre ein großer Zeitverlust, außerdem würden wir dem Wetter entgegensegeln.“

„Sehr gut, Pete“, sagte der Seewolf. „Genau das habe ich mir auch gesagt. Wir gehen auf Nordkurs und laufen mit Backstagswind auf die Südwestküste Sumatras zu, die nur noch zwanzig, fünfundzwanzig Meilen entfernt liegen kann. Dort suchen wir uns dann eine Ankerbucht, falls der Sturm uns einholt und losbricht.“

„Aye, Sir.“

Hasard heftete die Karte an der Innenseite der Ruderhaus-Rückwand fest, beugte sich dann etwas hinaus und rief Ben Brighton, der inzwischen auch auf dem Achterdeck eingetroffen war, zu: „Ben, abfallen und Kurs Norden!“

„Aye, Sir, Kurs Norden!“ bestätigte Ben. Er drehte sich zur Kuhl um, hielt sich mit beiden Händen an der Querbalustrade fest und gab den Befehl an Carberry und die Crew weiter.

Der Profos scheuchte die Männer an die Schoten und Brassen.

„Fünf Strich Steuerbord“, sagte Hasard zu Pete.

„Aye, Sir, Ruder fünf Strich Steuerbord!“ Pete ließ das Rad unter seinen schwieligen Händen drehen. Die „Isabella“ fiel ab und richtete ihren Bugspriet genau nach Norden. Ihre Segel stellten sich fast in Querschiffsrichtung, und sie hielt mit zunehmender Fahrt auf Sumatra zu.

Gary Andrews, der an diesem frühen Morgen Bill im Großmars abgelöst hatte, konnte durch seinen Messingkieker bald den grauschwarzen, ausgedehnten Strich erkennen, der sich über der heller werdenden Kimm erhob.

Die große Insel lag vor ihnen.

Morgan Young schreckte aus bizarren, grauenvollen Alpträumen hoch und verlor das Gleichgewicht. Entsetzt klammerte er sich an der Astgabel fest, auf der er in verkrümmter, unbequemer Körperhaltung eingeschlafen war. Er kippte nach links hinunter, konnte sich aber halten. Für einen Augenblick pendelte sein Leib über dem Dickicht, das gut fünfzehn Fuß unter ihm lag, dann fand er die Kraft, sich wieder hochzuziehen.

Er atmete tief durch und blickte sich verstört um. Mit seinen schmutzstarrenden Fingern rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Dann richtete er sich langsam auf der Gabel auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen den oberen Ausläufer des dikken Stammes und spähte in das milchige Licht des jungen Morgens.

Er sah in die Richtung, aus der der Wind blies – und plötzlich glitt ein Ausdruck tiefster Zufriedenheit über seine Züge. Was da unter den ersten Strahlen der Sonne glitzerte und schäumte, war das Meer. Keine Meile konnte das ihm so vertraute Element entfernt liegen, und dabei hatte er in der Nacht so verzweifelt danach gesucht!

Er stieß ein heiseres Lachen aus. Erst jetzt fiel ihm ein, daß es ratsam war, seinen Körper auf Schlangenbisse zu untersuchen, aber so sehr er auch forschte, er vermochte keine Wunde zu entdecken. Er warf einen Blick zum Erdboden und hielt nach dem Tiger oder anderen Tieren Ausschau, konnte dort unten aber kein einziges Lebewesen entdecken.

Es schien ihm eine glückliche Fügung des Himmels zu sein, daß er von all dem, was ihm seine Träume vorgetäuscht hatten, verschont geblieben war. Er lebte, war unversehrt, und jetzt, im zunehmenden Licht des Tages, wuchs seine Hoffnung auf endgültige Rettung.

In einem Zustand euphorischen Triumphgefühls begann er den Abstieg. Den Säbel hatte er sich wieder in den Gurt gesteckt. Seine zusammengeketteten Hände behinderten ihn zwar in der Bewegung, aber er brachte es dennoch fertig, am Baumstamm hinunterzurutschen, ohne abzustürzen.

So langte er auf dem Dschungelboden an und lief auf das Meer zu. Widerspenstiges Gestrüpp, das ihm den Weg verbaute, trennte er mit entschlossenen Säbelhieben durch. Nichts konnte ihn jetzt noch aufhalten.

Nach etwa dreißig Schritten konnte er das Rauschen der Brandung vernehmen, und jetzt sog er mit der Atemluft auch den salzigen Duft des Wassers ein. Er lachte wieder, stolperte voran und empfand die Freiheit als etwas Großartiges, unendlich Wertvolles, das mehr bedeutete als jeder materielle Reichtum.

Er befand sich in einem derartig heftigen Glückstaumel, daß er die Gefahr fast zu spät bemerkte.

Schräg rechts vor ihm raschelte es im Dickicht, gleich darauf schob sich die Gestalt eines Mannes hervor. Young lief direkt auf ihn zu und prallte fast mit ihm zusammen. Erst wenige Schritte vor dem so unversehens aufgetauchten Mann sah er dessen spitzen Helm, den Brustpanzer und die Kürbishosen, und die Erkenntnis, einem spanischen Soldaten in die Arme gelaufen zu sein, traf ihn wie ein Schock.

Der Soldat war jedoch genauso verblüfft wie Young. Auch er hatte mit einer Begegnung wie dieser nicht gerechnet – nicht nach einer schlaflosen Nacht, in der die bewaffneten Trupps pausenlos nach dem verschwundenen Kettensträfling gesucht und nicht den geringsten Erfolg zu verzeichnen gehabt hatten.

Die Offiziere, die die zwanzigköpfigen Gruppen anführten, hatten schon nach Mitternacht aufgeben wollen, weil sie inzwischen davon überzeugt waren, daß sich der Engländer auf dem Seeweg abgesetzt hatte – irgendwie, schwimmend vielleicht oder mit einem hastig zusammengezimmerten Floß.

Doch Don Felix Maria Samaniego hatte darauf bestanden, daß weitergefahndet wurde. Er war unerbittlich in der Härte seiner Befehle und dem Verlangen, Young wieder in das Lager zurückzuführen.

Kurz vor dem Morgengrauen hatten sich die Gruppenführer für eine neue Taktik entschieden. Sie hatten die Soldaten ausschwärmen lassen. Zoll um Zoll wurde der Busch abgekämmt, und wer doch noch auf den Flüchtling stieß, der sollte einen Musketenschuß in die Luft abgeben.

Der Soldat blickte Morgan Young so entgeistert an, als wäre dieser ein von den Toten Auferstandener. Es war seiner großen Müdigkeit und Verdrossenheit zuzuschreiben, daß er ziemlich spät auf die Entdeckung des Mannes reagierte.

Young indessen zückte seinen Beutesäbel und stürzte sich wutentbrannt auf den Mann.

Der Soldat hob seine Muskete. Er wollte auf Young abdrücken, aber dieser hatte ihn schon erreicht, riß den Säbel in einer gewaltigen, schwungvollen Bewegung hoch und traf mit der Klinge den Schaft der Schußwaffe.

Die Muskete ruckte hoch. Der Soldat drückte noch ab, aber der Schuß blaffte in den Morgenhimmel.

Morgan Young trat mit dem Fuß zu, erwischte die Hüfte des Spaniers und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er hatte den Säbel mit beiden Fäusten gepackt, hieb noch einmal zu und traf wieder die Muskete. Klirrend strich die Schneide der Klinge über den Eisenlauf und wetzte sich schartig daran. Aber der Streich genügte, um dem Soldaten die Muskete aus den Händen zu reißen. Er hatte vorgehabt, sie Morgan Young auf den Kopf zu schmettern, doch dieses Vorhaben war nun vereitelt.

Der Spanier stolperte rückwärts und stürzte ins Dickicht. Er stieß einen hellen Laut des Entsetzens aus, griff mit der rechten Hand an die Hüfte und zerrte die Steinschloßpistole aus dem Gurt.

Young ließ den Säbel auf ihn niedersausen. Er traf den rechten Arm des Gegners, hob seine Waffe wieder an, schlug noch einmal zu und zielte diesmal auf den ungeschützten Hals.

Auch dieser Streich ging nicht fehl.

Ein erstickter Schrei war der letzte Laut, den der Soldat von sich gab, dann sank er zur Seite und rührte sich nicht mehr.

Young wandte sich ab und lief weiter, durch das Unterholz des Dschungels zur See. Er hatte das Bild des sterbenden Soldaten auch noch vor sich, als der Blättervorhang des Urwaldes aufriß und den Blick auf die Brandung freigab.

Er fluchte, als er sah, wie hoch die Wellen schlugen, aber er wußte auch, daß er keine andere Wahl mehr hatte. Er mußte auf das Meer hinaus, denn binnen weniger Minuten würden die Kameraden des toten Soldaten im Busch zusammengelaufen sein. Der Schuß hatte sie alarmiert, sie mußten die Leiche finden. Sie würden die gnadenlose Jagd erneut aufnehmen, und diesmal endete sie unweigerlich tödlich für Young, wenn er nicht sofort das Land verließ.

Er sah sich nach einem Hilfsmittel für seine Flucht um.

Ein Floß konnte er sich nicht mehr bauen. Damit durfte er sich nicht aufhalten, die Spanier würden ihm dafür keine Zeit lassen.

Er entdeckte ganz in seiner Nähe einen ungefähr einen Yard langen, dicken Baumstumpf, der hart am Rand des bewachsenen Ufers lag und von der gischtenden Brandung überspült wurde.

Dorthin wandte er sich und bückte sich, um den Stumpf ins Wasser zu schieben.

Er hob seinen Blick etwas, spähte wieder über die Brandung und die tanzenden Wogen auf die See – und dann glaubte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen.

Genau von Süden her segelte ein Schiff heran und war jetzt schon mit bloßem Auge so deutlich zu erkennen, daß Morgan Young es einwandfrei als eine Galeone identifizierte.

In ihrem Großtopp schlug die Flagge hin und her, die Young auch auf eine größere Distanz noch wiedererkannt hätte: der „White Ensign“ – die weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz darauf.

„Engländer“, stammelte Young wie von Sinnen. „Herr im Himmel, ich danke dir, daß du mir dieses Schiff geschickt hast.“

Dann begann er wild zu winken.

Gary Andrews richtete sich hoch auf und stieß einen verblüfften Laut aus. Er wäre jetzt glatt über die Segeltuchumrandung des Großmarses gekippt, wenn er sich nicht am Großmast festgebunden hätte. Er spähte durch seinen Kieker, um sich zu vergewissern, daß er sich beim ersten Hinsehen nicht getäuscht hatte.

Dann brüllte er zum Deck hinunter: „Weißer Mann Backbord voraus! Er winkt uns zu!“

Hasard war immer noch auf dem Quarterdeck und hatte Garys Ruf deutlich vernommen. Er legte den Kopf in den Nacken und schrie durch das Rauschen der Fluten und das Singen des Windes: „Kannst du aus seinen Signalen ersehen, was er von uns will?“

„Nein, Sir! Er steht am Ufer und gebärdet sich wie ein Verrückter!“

„Wie sieht er aus?“

„Ausgesprochen dreckig und zerlumpt, Sir!“

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1982 str. 21 ilustracje
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9783954395002
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