Czytaj książkę: «Will haunt you - Dieses Buch wird dich verfolgen»

Czcionka:

Brian Kirk

WILL HAUNT YOU

ROMAN


Titel der englischen Originalausgabe:

WILL HAUNT YOU

1. Auflage

Veröffentlicht durch den

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Frankfurt am Main 2020

www.mantikore-verlag.de

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe

MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK

Text © 2019 Brian Kirk

Deutschsprachige Übersetzung: Jan Enseling

Lektorat & Korrektorat: Anja Koda & Simon Burandt

Satz: Karl-Heinz Zapf

Covergestaltung: Rossitza Atanassova & Matthias Lück

VP: 295-172-01-04-0920

eISBN: 978-3-96188-133-8

Brian Kirk

WILL HAUNT YOU



Ich habe so ein Buch gelesen, wie du es gerade in den Händen hältst. Und dies ist mir zugestoßen. Mache nicht den gleichen Fehler! Bitte, leg es weg! Oder besser noch: Wirf es weg! Dies ist deine letzte Warnung. Blättere um, und du bist auf dich allein gestellt. Nein, das stimmt nicht ganz. Blättere um, und er wird da sein und dir zusehen.


Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Das Buch war das letzte, woran ich dachte, als ich an in jenem Abend zum Auftritt kam. Irgendwas hätte aber meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen sollen, als ich Solomon sah. Die Brandnarbe, die durch den Kragen seinen Hals hinaufkroch. Der gottverdammte Schimmer in seinen Augen.

»Jesse, mein Alter!«, donnerte er, als er mich den dunstigen Raum betreten sah. Solomon ist ein mürrisches Arschloch, kein vergnügter Kumpel, der mich begrüßen würde wie einen heimkehrenden Kriegshelden. »Wie läuft’s?«

Wir gaben uns die Hand, umarmten uns hölzern. Er war heiß. Das hätte ein weiterer Hinweis sein können. Seine Brust und sein Rücken glühten, als hätte er sehr hohes Fieber, aber ich schob es auf die Sommerhitze. Vielleicht das Lampenfieber.

Caspian saß bereits an der Bar und kippte wohl schon seinen dritten Kurzen Jameson. Zwei leere Flaschen lagen wie gefallene Soldaten auf der Theke vor ihm, und ich wusste, was das bedeutete, kannte die Art von Nacht, die es prophezeite. Caspian mit einer Flasche Whiskey war unheilvoller als ein Clown in einer dunklen Gasse.

Und die Erinnerungsfetzen, die der Anblick hervorrief, brachten mich beinahe dazu, umzudrehen und wieder zur Tür hinauszugehen.

Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn ich gegangen wäre. Ich war am Arsch, ganz egal, was ich als Nächstes tat.

Das Begrüßungsritual war kurz. Wir hatten seit einem Jahrzehnt nicht mehr zusammen gespielt, waren aber alle in Kontakt geblieben. Caspian trieb sich immer noch herum – hatte eine Fangemeinde aus Speichelleckern, die ihm überallhin folgte. Solomon arbeitete jetzt für eine Merchandising-Firma, die Bandshirts, Autoaufkleber und anderen billigen Nippes verkaufte. Kevin arbeitete als Tontechniker in einem seriösen Studio und verdiente ganz gut, soweit ich wusste.

Ich hatte … tja, dazu komme ich noch, schätze ich.

Ich war kurz vor dem angesetzten Showbeginn angekommen, um das Vorglühen zu meiden. Die Versuchung war noch immer zu stark. Ich kenne meine Grenzen, und um clean zu bleiben, ist Vermeidung das Beste für mich. Nicht, dass der Full Moon Saloon einen Backstage-Bereich hätte, wo das harte Zeug die Runde macht. Aber trotzdem. Ein Ausrutscher, und ich konnte die letzten sieben Jahre in den Wind schießen. Warum das Risiko eingehen?

Der Barmanager gab uns das Zeichen, dass es soweit war, und wir gingen hinüber zur Bühne, um unsere Instrumente einzustellen. Solomon setzte sich auf den Hocker, klopfte auf die Bassdrum, ließ die Snare prasseln. Kevin positionierte sich auf der rechten Seite der Bühne, ich auf der linken. Der Gitarrengurt auf meiner Schulter fühlte sich angenehm an, meine Jim Root Telecaster surrte in meiner Hand. Und in diesem Augenblick kam alles wieder. Die unheimliche Energie, die entsteht, wenn der Verstärker aufgedreht ist und das Publikum auf der richtigen Wellenlänge liegt – selbst in einer halbleeren Spelunke wie dieser.

In der Mitte der Bühne stampfte Caspian zum Takt der Basstrommel mit dem Fuß. Dann, genau zum Einsatz, riss er die Faust hoch, und zum ersten Mal seit zehn Jahren rief er die Toten auf, sich zu erheben. Ein Chor von betrunkenem Grölen ertönte aus der schmalen Menge der wenigen Anhänger, die gekommen waren, um sich ihre liebste Kultband aus einer Ära anzusehen, an die sich kaum erinnerten.

Ich schaute Caspian an und grinste über die Absurdität des Anblicks. Seine ergrauenden Achselhaare flatterten herum wie die Fühler einer kranken Seeanemone. Vor zehn Jahren wäre er oben herum nackt gewesen, glänzendes Öl auf seinen Rockstar-Bauchmuskeln. Heute aber trug er ein Muskelshirt, um seinen herunterhängenden Bierbauch und seine fleischigen Brüste zu verstecken. Wenigstens bekräftigte das Pentagramm, das vorne auf das Shirt gedruckt war, die Wut, die immer noch in seinem alterslosen Herzen tobte. Und die Tattoos auf seinen Armen leuchteten noch immer wie frisches Blut. Solomon hieb nun auf das Pedal ein, ein rituelles Kriegstrommeln, das bis zur Show herunterzählte. Drei, zwei, eins …

Ich schlug die Gitarre so heftig an, wie ich konnte: eine einzige schnelle Bewegung nach unten, die die Uhr um zehn Jahre zurückdrehte und einen so lauten, verzerrten Akkord brüllte, dass einer unserer alten Roadies, Sam Holt, zurücktaumelte und sein Bier fallenließ. Sam wurde aus drei Jobs gefeuert, war von zwei Ehefrauen verlassen worden und verlor die Schlüssel vom Bus öfter, als ich zählen konnte. Aber das war das erste Mal, dass ich jemals gesehen hatte, wie diesem Veteranen das Bier aus der Hand glitt.

Unsere Eröffnungsnummer war »Coffin Dust«, eine Power-Ballade über unerwiderte Liebe, die Caspian geschrieben hatte, als er als Zehntklässler in der Highschool abgeblitzt war. Das Lied war eine schmutzige Metapher dafür, wie seine Exfreundin im Bett gewesen war. Lance Caspian, immer ein Mann von Klasse. Als Nächstes kam »Within a Cage of Hate«. Der Song hat keinen Text, nur Schreie und kehliges Heulen. Das Riff besteht aus nichts weiter, als dass ich mit dem Plektrum so schnell ich kann über die E-Saite harke, während Kevin den Bass dröhnen lässt, als würden Bomben fallen.

Ich spreizte die Beine und ging in die Hocke, nahm eine Pose ein, von der ich mir immer vorgestellt hatte, sie in einer Arena voller kreischender Fans zu zeigen. Passiert war es nie. Das hier musste reichen.

Trotzdem fühlte es sich verdammt gut an.

Die Menge hatte sich nach dem dritten Song aufgelockert, die rund sechzig Leute verteilten sich vor der Bühne. Alte Achtziger-Jahre-Metalheads. Sie trugen ihre Bandshirts immer noch in die zu engen Jeans gesteckt. Die Köpfe ruckten auf steifen Hälsen. Sie klammerten sich an das wenige Haar, das sie noch hatten. Die Arme wütend hochgerissen, Finger zu Teufelshörnern gespreizt.

Scheiße, ja, dachte ich. Die Toten erheben sich wieder.

Beim sechsten Song dehnte sich die Zeit, und eine Ruhe kam über mich wie das Auge eines tödlichen Sturms. Frieden inmitten der Raserei. Mein Ort des Glücks. Ich stand in dieser Blase der Ruhe und beobachtete, wie der Schweiß unserer alten Fans durch die Gegend spritzte, ihre Gesichter verzerrt zu wütenden Fratzen posthormoneller Tobsucht.

Das Ziehen in meinem Arm hatte vor einigen Songs nachgelassen. Ich konnte die ganze Nacht spielen, wenn nötig. Angesichts dessen, wie die letzten zehn Jahre gelaufen waren, war es genau das, was ich brauchte. Mehr brauchte, als ich geahnt hatte. Und für den Bruchteil eines Augenblicks vermisste ich den Alk nicht mal oder störte mich daran, dass ich in einer Kneipe war. Nicht mal so einem Scheißloch.

Wir kamen gerade zu unserem neunten und letzten Song, als ich zum ersten Mal die Braut in der dritten Reihe wahrnahm, die mich ansah, versuchte, Blickkontakt herzustellen, und ihre Hüften so hypnotisch wiegte, dass sie eine Giftschlange hätte einschläfern können. Sie lächelte, als sie bemerkte, dass ich sie ansah, und zog langsam ihre Bluse hoch, ein verwaschenes, schulterfreies Top mit unserem alten Logo vorne drauf. Ein halbverwester Zombie, der aus der Erde herauskriecht. Dahinter RISING DEAD auf einen schiefen Grabstein gemeißelt. Solomon verkauft die Dinger jetzt für 14,99 $.

Sie zog das Top langsam hoch, Stück für Stück, reizte mich, band die Bewegung in die sich windende Art und Weise ein, wie sie tanzte. Sie war viel jünger als alle anderen, immer noch in ihren Zwanzigern. Sie musste demnach siebzehn oder so gewesen sein, als wir uns aufgelöst hatten. Ich fragte mich, mit welchem von uns sie geschlafen hatte. Nicht mit mir, daran hätte ich mich erinnert. Das hatte überhaupt dazu beigetragen, dass alles den Bach runterging. Manche One-Night-Stands halten ewig, wie ich gelernt habe.

Ihr Bauch war flach und straff, mit einer senkrechten Linie in der Mitte. Gebräunt. In ihrem Bauchnabel steckte ein Stahlstift und, wie ich erkannte, als sie über ihre Lippen leckte, auch einer in ihrer Zunge. Sie wiegte ihre Hüften, gebärfreudige Hüften, murmelte der alte Mann in mir, und hob das Top weiter, um die prallen Unterseiten ihrer Brüste zu zeigen. Nur noch ein paar Zentimeter, dann wären die Milchtüten zu sehen.

Das ist das Schlimmste, wenn man ein Kind hat. Titten bekommen eine neue Bedeutung.

Sie schloss die Lider, als sie das Top nach oben und über die Brust riss, wobei der Stoff eine Sekunde lang an ihren Nippeln hängenblieb. Ich vermasselte den nächsten Akkord, aber das war mir egal. Zu diesem Zeitpunkt produzierten wir ohnehin einen einzigen, fetten Soundorgasmus. Eine Kakophonie aus verzerrten Tönen, die dazu gedacht war, Chaos hervorzurufen. Die Wände dessen niederzureißen, was unser strukturiertes Leben geworden war.

Caspians Stimme wurde leiser und brüchig, was nicht schlimm war. Wir kamen zum letzten Höhepunkt. Keine Zugabe heute Abend. Wir hatten beschlossen, alles auf der Bühne zu lassen. Alles in einem ekstatischen Set zu geben, sodass alle benommen und zitternd dastehen würden.

Wir hämmerten auf unsere Instrumente ein, so hart wir nur konnten, dann hörten wir genau gleichzeitig auf und ließen den kombinierten Sound gegen die Wände krachen. Ich hatte die Augen geschlossen und stellte mir ein Meer aus Menschen vor. Als ich sie aufmachte, schlug die Realität zu. Die Hälfte des Publikums war gegangen, die Übrigen grölten, als die letzten Töne verklangen und die Rückkopplung aus den Verstärkern krächzte. Der enttäuschende Abschluss einer Show, die zehn Jahre in der Mache gewesen war. Noch etwas, das ich gelernt habe: Wir können unsere Träume niemals voll ausleben.

Klar, es war vielleicht nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber es war trotzdem super. Und als ich mir den harten Kern der Fans ansah, die geblieben waren, und bemerkte, wie das Mädel, das mir seine Möpse gezeigt hatte, sich immer noch wiegte und mir schöne Augen machte, da bedauerte ich nur, dass wir es nicht noch einmal durchziehen konnten. Dies war das letzte Kapitel, der letzte Akt.

Der Bühnenmanager knipste die Scheinwerfer aus und drehte die Lichter über der Bar auf. Der spärliche Applaus ebbte ab, und diejenigen, die geblieben waren, erhoben Ansprüche auf die leeren Hocker.

Caspian trat neben mich. »Wir haben ihnen die scheiß Ärsche aufgerissen«, sagte er und sprach mit dem gekünstelten britischen Akzent, den er sich vor Jahren angewöhnt hatte, um mehr wie Lemmy zu klingen.

Meine Ohren waren taub und klingelten. Wahrscheinlich hatten wir der Hälfte der Zuhörer einen Tinnitus verpasst. »Scheiße, ja, Mann. Wir haben ihnen ihre Gräber geschaufelt.«

Ich drehte mich um und sah Solomon lächeln, während er mit einem leicht benommenen Ausdruck, als wäre er gerade lobotomisiert worden, einen Drumstick zwischen den Fingern drehte. Ganz rechts hatte Kevin die Bassgitarre hingestellt und sich vorgebeugt, um mit einer kraushaarigen Blondine zu reden, deren Ausschnitt tiefer war als der Grand Canyon. Sie war vielleicht irgendwas zwischen fünfunddreißig und fünfzig, was Kevin passte. Sein Typ war alles mit einem Loch.

»Bist du immer noch trocken?«, fragte Caspian.

Ich stellte die Gitarre in den Ständer und nahm mir einen Moment Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Das war eine dumme Frage. Na ja, aber Caspian war ein dummer Mann.

»Klar, Mann. Sieben Jahre.«

»Schade«, sagte Caspian und schüttelte den Kopf. Seine blasse Kopfhaut schimmerte durch die Strähnen seines langen, zurückgegelten Haars. »Andererseits kriegen wir noch eine Runde aufs Haus. Ich nehme deine.«

»Hau rein!«

Ich blieb auf der Bühne, als Caspian und die anderen herunterstiegen und sich einen Weg zur Theke bahnten. Die Leute klopften ihnen auf den Rücken, als sie vorbeigingen, blickten sie dümmlich mit schlaffem Lächeln und trüben Augen an. So hatte einmal unser Leben ausgesehen. Eingezwängt in einen dreckigen Bus, der von Stadt zu Stadt kroch, ließen wir in schmutzigen, halbvollen Kneipen die Trommelfelle von randalierenden Säufern platzen. Und ich hatte jede einzelne Minute geliebt. Aber diese Zeit war vorbei.

Außer heute Abend.

In dieser stinkenden Halle voller Außenseiter waren die Toten wieder auferstanden.

Ein letztes Mal blickte ich von der Bühne und trat dann hinunter. Wieder sterblich.


Die Bar roch nach eingelegten Eiern und schaler Pisse, was ein nostalgisches Stechen hervorrief. So sahen meine bevorzugten Jagdgebiete aus. Orte, an denen man so schäbig sein konnte, wie man nur wollte, und es war allen scheißegal. Ich schloss die Augen und ließ das Gemurmel der Gespräche in meinen Ohren nachhallen, wobei ich in dem allgemeinen Dröhnen Bruchstücke mitbekam. Es war ein beruhigender Laut, leeres Gefasel. Er beschwor Erinnerungen an unzählige Stunden herauf, die ich in genau solchen Räumen verbracht hatte, gebeugt über einem Glas mit kaltem, fahlgelbem Bier. Den Blick auf Sportzusammenfassungen auf den verschwommenen Bildschirmen gerichtet, während der Verstand sich in dem Fluss des Gefasels verliert. Dem Fluss aus Whiskey.

Das Krachen von Schüssen erschreckte mich, und als ich aufblickte, sah ich eine Reihe von Leuten, die leere Schnapsgläser auf die Theke knallten.

»Mehr davon!«, rief Caspian und legte den Arm um die Frau zu seiner Rechten. Darauf folgte ein zustimmendes Gegröl, und der Barkeeper drehte eine Flasche Fireball auf den Kopf.

Schmeckt himmlisch, brennt höllisch.

Lässt dich zur Hölle fahren.

Solomon löste sich von der Theke, seine Augen wässrig, und bahnte sich mit den Schultern einen Weg zu mir herüber.

»Muss doch scheiße für dich sein«, sagte er und blickte mit leichtem Abscheu auf mein Mineralwasser.

»Na ja, was soll man machen?«

»Ist es schwer?«

Ich nahm einen Schluck. Es schmeckte wie Metall. »Alles ist schwer, Mann.«

»Da sagst du was.« Solomons Shirt, das einmal weiß gewesen war, hatte sich am Kragen und unter den Achseln gelblich verfärbt und war inzwischen eine halbe Größe zu klein. »Alk macht es aber leichter.« Ich höre immer noch die Schreie in der Nacht vor Jahren. Ihre, meine. Ich schwöre, sie werden jedes Mal lauter und klarer, wenn ich mich an sie erinnere. »Nicht für mich. Für mich macht er alles viel schwerer.«

»Sicher …« Solomon schweifte ab, und seine Augen wurden glasig, als er seinen Gedanken nachging. Für einen Säufer gibt es nichts Schlimmeres als jemanden, der trocken wird.

Caspian kam mit zwei Bier zu uns; die Klette, die er an der Theke stehengelassen hatte, sah ihm schwermütig hinterher. Er hielt Solomons eins hin.

»Prost, Jungs«, sagte er, und wir stießen die Gläser zusammen, wobei ich mir zugegebenermaßen wie das fünfte Rad am Wagen vorkam. Caspian trank sein Miller Lite in drei Schlucken fast halb leer.

»Hat jemand Kevin gesehen?«, fragte Solomon.

Caspian lachte und stank aus dem Mund. »Der hat eine Dorfmatratze mitgenommen, um sie ordentlich zu bürsten. Hat sich nicht viel geändert bei dem.«

Er bedachte mich mit einem Blick der Enttäuschung. »Was ist mit dir?«, fragte er. »Wie ist das so, hinter einem weißen Lattenzaun eingesperrt zu sein?«

Ich spürte, wir mir die Hitze ins Gesicht stieg. »Scheiße, mein Leben läuft gut, Mann. Ich lebe den Amerikanischen Traum.«

Caspian schlug Solomon auf den Rücken, als dieser gerade einen Schluck trank, wodurch ein weiterer Fleck auf seinem versifften Shirt entstand. »Eher ein beschissener Albtraum. Produzierst Werbejingles, richtig? So viel zum Thema Rock’n’Roll.«

»Richtig, zahlt sich wenigstens aus.«

»Sicher doch. Deshalb heißt es auch ›sich verkaufen‹.«

Eiswürfel zwischen meinen Zähnen zu zermalmen half etwas, aber nicht genug. Ihn erwürgen hätte es vielleicht getan.

»Hey!« Caspian schlug mir mit der Rückhand gegen den Bauch, und es tat weh. »Ich verarsche dich doch nur, Kumpel! Mir doch egal, ob du dich in die verfickte Mickymaus verwandelst. Wenn es für dich läuft, wenn du wirklich glücklich bist, dann ist das toll. Als Säufer kommt man sowieso nicht weit, so viel steht fest.«

Caspian und seine zweifelhaften Komplimente. Ich hätte lieber warmen Rotz in meinem Glas gehabt als den Sprudel, aber ich trank noch einen Schluck. Alles, womit ich meinen Mund füllen konnte, außer den Worten, die hinauswollten.

Rückblickend waren es nicht die Partys und Cassies Schwangerschaft gewesen, die die Band auseinandergerissen hatten. Sondern Caspian.

Solomons Augen waren glasig und unkoordiniert. Er musste etwas genommen haben, sobald die Show vorbei war, wenn nicht schon vorher. Dann erinnerte ich mich an das Buch. »Hey, Mann, ich hab’ das Buch gelesen, von dem du mir erzählt hast.«

Solomon schien mich nicht zu hören. Er nickte langsam mit dem Kopf, als würde er irgendeinem Drumsolo lauschen, das er nie spielen konnte. Sein verschwitztes, schwarzes Haar klebte an seinem Kopf. Ein öliger Schimmer im Gesicht, der irgendwie modrig roch und ihn aussehen ließ wie warmen Käse.

»Alter.« Ich stieß mit dem Ellenbogen gegen seinen Arm. »Wo fliegst du rum?«

Ein käsiger Mann in einem Slayer-T-Shirt kam herüber und wollte sich ins Gespräch mischen, aber Caspian schloss ihn mit dem Rücken aus. Wir standen in einem lockeren Dreieck und machten alle einen Schritt vorwärts, um es enger zu machen. Inmitten des versoffenen Durcheinanders hatte das etwas Zeremonielles. Das Festmachen eines Knotens.

»Alter!«, schrie ich Solomon ins Gesicht. »Wach auf, verdammte Scheiße.«

Er blinzelte überrascht. »Was? Was ist los?«

Caspian blickte auf der Suche nach einer besseren Gelegenheit durch den Raum, aber ich sah ihm an, dass er zuhörte.

»Das Buch.« Ich sprach jedes Wort langsam und sorgfältig, als würde ich mit meinem hirngeschädigten Sohn sprechen. »Das, von dem du mir erzählt hast. Ich habe es gelesen.«

»Oh.« Solomons Gesicht bekam einen frischen Überzug aus öligem Schweiß. »Was hältst du davon?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Mir tat das Mädchen leid. Ziemlich makabre Lektüre.«

»In deinem kam ein Mädchen vor?«

Ich spürte die Vibration meines Handys an meinem Bein. Durch den Stoff meiner Jeans konnte ich leise den harmonischen Anfang von »Welcome Home (Sanitarium)« hören. Ich sah nach: Cassie rief an. Normalerweise hätte mich das genervt, aber eigentlich fühlte ich mich erleichtert.

Ich hielt mein anderes Ohr zu und ging dran. »Hey, Süße. Was läuft?«

»Hey! Wie war’s?«

Caspian lauschte immer noch. Dieses große, herabhängende, durchlöcherte Ohr war wie eine Satellitenschüssel auf mich gerichtet. Ich legte die Hand über meinen Mund, um etwas Privatsphäre zu haben.

»Ähm … gut, Süße.« Vor meinem inneren Auge sah ich die Frau, die ihr Top hob, wobei ihre Nippel vibrierten wie ein Feder-Türstopper. »Ein bisschen eingerostet. Aber trotzdem gut gelaufen. Die Leute hatten Spaß.«

»Natürlich hatten sie das.« Ich konnte Cassies Lächeln hören. Konnte ihre perfekten, elfenbeinfarbenen Zähne sehen, an denen der Dreck abperlte. Ich fragte mich, ob ihre Gelüste immer noch so schlimm waren wie meine. Wenn ja, dann versteckte sie sie gut. Schien stattdessen vom Muttersein high zu werden. Ihre Dröhnung bekam sich durchs morgendliche Kuscheln, abendliche Bäder und unschuldiges »Ich hab’ dich lieb«.

Für mich fühlte sich das Vatersein so an wie ein permanenter Kater.

»Ich bin froh, dass du die Gelegenheit hattest«, sagte Cassie. »Das hast du gebraucht.«

Der Dunst aus Zigarettenrauch war dicht, aber nicht so, dass er die stechende Feuchtigkeit in meinen Augen erklärte. »Ja, also …«

»Also, wie lange bleibst du noch weg? Ich meine, kommst du klar?«

Ich blickte durch die Neige von Mineralwasser auf den Grund meines Glases. Der weinrote Boden wirkte wie ein rundes, verschwommenes Zehncentstück. Ein gieriges schwarzes Loch mit einem Gravitationsfeld, das mich niemals loslassen würde, bis es mich eingesaugt und lediglich ein Rülpsen zurückgelassen hätte.

Ich nahm die Hand vom Mund und sprach lauter als nötig, damit Caspian mich verstehen konnte. »Ja, ich lass es gleich gut sein. Ich bin dann …«

Seine Hand schoss vor wie ein wütender Mungo und packte das Handy. »Ist das die reizende Cassie Wheeler? Wie geht’s dir, meine Liebe?«

Das Lächeln des Scheißkerls wirkte bedrohlich. Missbräuchlich, wenn man so etwas von einem Lächeln sagen konnte. Soweit ich wusste, hatte er schon zweimal versucht, Cassie zu ficken. Beim ersten Mal hatte ich ihm eins aufs Maul gehauen und damit einen Kampf angefangen, der zwanzig irrsinnige Sekunden gedauert hatte und nach dem wir zerschunden und voller Blut gewesen waren. Am nächsten Abend gingen wir saufen und legten am Ende die Arme umeinander. Beim zweiten Mal hatte Caspian einfach mit den Schultern gezuckt, als wollte er sagen: »Was hast du erwartet?« Dieses Mal übersprangen wir die Prügelei und gingen gleich zum versöhnenden Besäufnis über – auf Caspians Rechnung. Es war seine Art, sich hintenrum zu entschuldigen. Er hatte es wahrscheinlich noch öfter versucht, und Cassie hatte einfach nichts gesagt. Bei Männern wie Lance Caspian gab es nicht viel zu sagen. Er machte es weniger aus Lust denn aus Bosheit.

Caspians Augen wurden glasig, als er dem zuhörte, was Cassie zu sagen hatte. »Hör mal, Liebes. Die Toten ruhen nicht. Das hier passiert nur einmal in zehn Jahren, und ich muss mich jetzt loseisen. Dein Junge macht sich prächtig, du musst dir keine Sorgen machen. Wir schicken ihn gesund und munter nach Hause, und ihr könnt zu eurem aufregenden, spontanen Leben der Kindererziehung zurück. Okay? Ciao.«

Er unterbrach die Verbindung und steckte das Handy in seine Gesäßtasche.

»Alter«, sagte ich.

Caspian streckte die Hand aus schüttelte den Kopf. »Nichts da. Junge, ich rette dich vor dir selbst.«

Dann kam die Kleine, die mir ihre Titten gezeigt hatte. Und mit einem angeborenen sechsten Sinn trat Caspian beiseite und ließ sie durch.

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