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Das „Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen DSM-5“

Im Mai 2013 erschien die fünfte Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs Psychischer Störungen ([DSM-5] APA, 2013). Die deutsche Übersetzung „Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5“ wurde im Jahr 2015 veröffentlicht (Falkai & Wittchen, 2015). Die Änderungen im DSM-5 wurden aufgrund zahlreicher Kritik am DSM-IV vorgenommen. Die Kritik bezog sich überwiegend auf die kategoriale Anordnung von Störungen und die hohen Prävalenz- und Komorbiditätsraten, auf das Fehlen wichtiger Diagnosen und die häufige Vergabe der Diagnose „Nicht Näher Bezeichnete Störungen“.

Das DSM-5 stellt den Versuch einer stärkeren Harmonisierung von DSM-5 und ICD-11 dar. Es ist ein binäres, kategoriales Klassifikationssystem. Es ist deskriptiv und benennt explizite Kriterien anhand von subjektiv berichteten Symptomen.

Das Ziel der Überarbeitung bestand darin, dimensionale und störungsübergreifende Aspekte stärker zu berücksichtigen. Neu im DSM-5 ist daher ein dimensionaler Zugang zur Diagnostik. Gesundheit und Krankheit werden als Zustände auf einem Kontinuum betrachtet. Psychische Störungen werden nicht als klar abgegrenzte Krankheitsbilder gesehen, sondern als Ausdruck eines fließenden Übergangs von Gesundheit zu Krankheit, wodurch auch Komorbidität leichter berücksichtigt werden kann. Daher wurden neben kategorialen auch dimensionale Diagnosen eingeführt, das heißt, neben der Merkmalsbasierung sind auch operationalisierte Definitionen der Kriterien für psychische Störungen möglich (Skodol, 2012). Man kann hier von einem „zweigleisigen Vorgehen“ oder einer „hybriden“ Konstruktion sprechen. Das Ziel hierbei war es, die Kontinuität der bisherigen diagnostischen Praxis beizubehalten und gleichzeitig eine Grundlage für ein neues dimensionales Paradigma klinischer Persönlichkeitsdiagnostik zu schaffen. Somit können die kategorialen Diagnosen auf dimensionalen Einschätzungen, Funktionsniveau bzw. problematischen Persönlichkeitsmerkmalen basieren (Berberich & Zaudig, 2015).

Dieser neue Zugang wird in der Definition einer psychischen Störung im DSM-5 deutlich: „Eine psychische Störung ist definiert als Syndrom, welches durch klinisch signifikante Störungen in den Kognitionen, in der Emotionsregulation und im Verhalten einer Person charakterisiert ist.“ Und weiter: „Diese Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychologischen, biologischen oder entwicklungsbezogenen Prozessen, die psychischen und seelischen Funktionen zugrunde liegen.“ Schließlich wird auch das subjektive Leiden und die subjektive Einschränkung besonders betont: „Psychische Störungen sind typischerweise verbunden mit bedeutsamen Leiden oder Behinderung hinsichtlich sozialer oder berufs-/ausbildungsbezogener und anderer wichtiger Aktivitäten“ (APA, 2013).

Die wohl größte Veränderung im DSM-5 ist der Verzicht auf das multiaxiale Klassifikationssystem. Die Achsen I–III wurden in ein monoaxiales System integriert. Dies bedeutet, dass die psychischen Störungen sowie die Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen gemeinsam in der Sektion II aufgelistet werden. Diese Sektion, in der die diagnostischen Kriterien und Codes aufgelistet werden, umfasst 22 Kapitel, darunter das Schizophrene Spektrum und andere psychotische Störungen, Bipolare Störungen, Depression, Angststörungen, Zwangsstörungen, Traumabezogene und Stressbezogene Störungen, Dissoziative Störungen, Somatische Symptome und dazugehörige Störungen, Essstörungen usw. Weiters wurde die Kategorie „Nicht Näher Bezeichnete Störungen“ aus DSM-IV durch Unspezifizierte Störungen und Andere Spezifizierte Störungen ersetzt. Damit sollte die Spezifität von Diagnosen erhöht und die Angabe von Gründen ermöglicht werden. In der Diagnosestellung werden im DSM-5 für einige Störungen auch Zusatzkodierungen für den Schweregrad und assoziierte Beschwerden ermöglicht.

Anstelle der Achse IV wurde die Z-Codierung der ICD-10 einbezogen. Zur Erhebung psychosozialer und umgebungsbedingter Probleme sowie des globalen Funktionsniveaus wurde die GAF-Scale durch den World Health Organization Disability Assessment Schedule (WHO-DAS) ersetzt. Er ermöglicht eine Einschätzung der Anpassung vs. Beeinträchtigung in folgenden Bereichen: soziale Beziehungen (Familie, Freunde/Freundinnen), Bewältigung sozialer Situationen, schulische/berufliche Anpassung, Interessen und Freizeitaktivitäten. Die Skalierung erfolgt von 0 (hervorragende Anpassung auf allen Gebieten) bis zu 8 (braucht ständige Betreuung). Die beschriebenen V-Codes des DSM-IV wurden beibe - halten.

Bemerkenswert ist, dass die Perspektive der Entwicklung über die Lebensspanne, aber auch kulturelle Aspekte und Genderunterschiede im DSM-5 besondere Aufmerksamkeit erfahren sollen und Merkmale wie Alter, Geschlecht und Kultur bei der Diagnosestellung berücksichtigt werden.

1.3 Gefahren der Klassifikation

Ein Prinzip der psychiatrischen Klassifikation lautet, dass es nicht darum geht, PatientInnen zu diagnostizieren, sondern psychische Störungen. Aus diesem Grund sollten auch im Sprachgebrauch Ausdrücke vermieden werden, die auf eine Identifizierung der Menschen mit den psychischen Störungen, unter denen sie leiden, hinauslaufen, z. B. die Bezeichnung eines Schizophrenen oder eines geistig Behinderten als solchen. Stattdessen ist zu empfehlen, von Menschen mit einer geistigen Behinderung zu sprechen. Aber damit allein ist es sicher nicht getan. Die Klinische Psychologie muss sich auch mit möglichen Gefahren, die von einer im Medizinsystem verankerten Klassifikation psychischer Störungen ausgehen können, auseinandersetzen.

Die Gefährdung des Patienten/der Patientin, die mit der Verwendung eines psychiatrischen Klassifikationssystems verbunden sein kann, wurde v. a. von SoziologInnen hervorgehoben. VertreterInnen des symbolischen Interaktionismus (z. B. Scheff, 1973) haben darauf hingewiesen, dass die psychiatrische Diagnose den PatientInnen in der gesellschaftlichen Realität eine neue Identität zuweist, ein Prozess, der als „Etikettierung“ bezeichnet wird. Dieser Vorgang entspricht einem bestimmten gesellschaftlichen Mechanismus, der mit einer Ausgrenzung von auffälligem und abweichendem Verhalten verbunden ist und der die Gefahr mit sich bringt, dass das abweichende Verhalten verstärkt und damit eine abweichende Identität – die Identität als AußenseiterIn – begründet wird. In der Folge wurde darauf hingewiesen, dass die Etikettierung als AußenseiterIn vielfach mit einer formellen Abwertung des sozialen Status einhergeht. Folgende Phänomene sind damit gemeint:

– Mit bestimmten Etikettierungen sind negative Assoziationen verbunden.

– Personen, die mit einem Etikett (einer psychiatrischen Diagnose) bezeichnet werden, werden in einem ungünstigeren Licht gesehen.

– Sie werden in einer weniger positiven und angemessenen Weise behandelt.

– Das Verhalten der anderen Menschen hat negative Auswirkungen auf das Bemühen um Anpassung und Zurechtkommen der etikettierten Person.

Die Hypothese, dass die Etikettierung zu negativen Folgen für die Betroffenen führen kann, ist intuitiv nachvollziehbar. Trotzdem muss festgehalten werden, dass die Auswirkungen der Etikettierung von jenen des abweichenden Verhaltens in den meisten Fällen schwer trennbar sind. Im Allgemeinen wird die Information über das Verhalten einer Person ungleich stärker gewichtet als die Information, die aus einer Etikettierung abgeleitet werden kann.

Zwei andere Momente sind gleichfalls zu berücksichtigen:

1. Die Etikettierung eines Menschen als krank löst auch die Tendenz aus, diesem Menschen zu helfen, und sie hat für den Betreffenden auch eine entlastende Funktion.

2. Nach der Etikettierungstheorie ist die Zuschreibung einer abweichenden Identität eine so bedeutungsvolle Tatsache, dass dadurch andere Dinge in den Hintergrund treten: Sonstige Statusdefinitionen werden dadurch überschrieben. Es ist jedoch die Frage, wie generell dies gilt bzw. inwieweit dies nicht eine Funktion der sozialen Distanz darstellt und ob bei geringerer Distanz bzw. beim Wegfall anderer Mechanismen, welche die soziale Distanz aufrechterhalten (z. B. Institutionalisierung), eine Etikettierung tatsächlich so starke Auswirkungen zeigt.

Es erscheint notwendig, die möglichen negativen Folgen für die PatientInnen, die sich aus der psychiatrischen bzw. klinisch-psychologischen Diagnosenstellung ergeben, im Detail zu untersuchen. Bei einer solchen Analyse ist insbesondere darauf zu achten, inwieweit verbreitete Vorurteile, die auf einer Fehlinformation beruhen, eine Rolle spielen und wie diesen Vorurteilen begegnet werden kann. Weiters ist zu klären, ob negative Folgen an bestimmte rechtlich sanktionierte Vorgänge, etwa die zwangsweise Aufnahme in eine psychiatrische Behandlungseinrichtung, geknüpft sind. Auch ist darauf zu achten, wem Informationen über die Diagnose zugänglich gemacht werden und in welcher Form dies geschieht.

Zusammenfassung

Eine Klassifikation erlaubt eine systematische Sammlung von Erfahrungen über die Genese und den Verlauf von Störungen, über Einflussfaktoren auf den Verlauf sowie über den Erfolg von therapeutischen Interventionen bei bestimmten Störungen. Eine reliable Klassifikation bietet eine Reihe an Vorteilen für die wissenschaftliche Kommunikation, aber auch für Zuweisungsentscheidungen und die spezifische Indikationsstellung für Therapien. Zudem kann damit auch die Planung der psychosozialen Versorgung verbessert werden.

Die Anforderungen an ein Klassifikationssystem sind eine möglichst große Reliabilität, ein großer Deckungsumfang sowie eine hohe deskriptive und prädiktive Validität. Um dies zu erreichen, wurden genaue, operationalisierte Kriterien formuliert, die eine einheitliche Diagnose erlauben sollten.

Das derzeit gebräuchlichste Diagnosesystem ist das DSM-5. Es berücksichtigt die unterschiedlichen Dimensionen psychischer Krankheiten durch die Verwendung eines „hybriden“ Modells zur Diagnostik klinischer Störungen. Zudem stellt es auch die Bedeutung der subjektiven Belastung bei psychischen Schwierigkeiten, des kulturellen Hintergrunds, des Alters und Geschlechts der Personen in den Vordergrund.

Bei jeder Klassifikation ist auch die Kehrseite zu beachten, nämlich die Gefahr, dass mit der Zuschreibung einer Diagnose auch eine Etikettierung des Einzelnen erfolgt. Damit wird seine Persönlichkeit auf die Störung festgeschrieben und seine weiteren Möglichkeiten werden eingeschränkt. Mit bestimmten Etikettierungen, insbesondere bei psychischen Störungen, sind negative Assoziationen verbunden. Die Personen werden in einem ungünstigeren Licht gesehen und in einer weniger positiven Weise behandelt. Dieses Verhalten der anderen Menschen hat einerseits negative Auswirkungen auf die Anpassung des Etikettierten. Andererseits können mit einer Etikettierung auch positive Seiten verknüpft sein, nämlich die Bereitschaft von anderen, Hilfe und Unterstützung anzubieten, sowie ein Schutz der betroffenen Person.

Literatur

American Psychiatric Association (APA). (1980). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-III). Washington, DC.

American Psychiatric Association (APA). (1987). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-III-R). Washington, DC. [Deutsche Überarbeitung: Wittchen, H.-U., Saß, H., Zaudig, M., & Koehler, K. (1991). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-III-R). 3. Aufl. Weinheim: Beltz.]

American Psychiatric Association (APA). (1994). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV). Washington, DC.

American Psychiatric Association (APA). (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (5. Aufl). Arlington, VA: American Psychiatric Publishing.

Berberich, G., & Zaudig, M. (2015). Das alternative Modell für Persönlichkeitsstörungen in DSM-5. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 9(3), 155–163.

Cooper, J. E., Kendell, R. E., Gurland, B. J., Sharpe, L., Copeland, J. R. M., & Simon, R. (1972). Psychiatric diagnosis in New York and London. London: Oxford University Press.

Dilling, H., Mombour, W., & Schmidt, M. H. (1991). Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10. Bern: Huber Verlag.

Falkai, P., & Wittchen, H.-U. (Hrsg.). (2015). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5 (Deutsche Ausgabe). Göttingen: Hogrefe.

Garfield, S. L. (1993). Methodological problems in clinical diagnosis. In P. B. Sutker & H. E. Adams (Hrsg.), Comprehensive handbook of psychopathology (2. Aufl.). New York: Plenum Press.

Jaspers, K. (1913/1965). Allgemeine Psychopathologie. Heidelberg: Springer.

Kendell, R. E. (1978). Die Diagnose in der Psychiatrie. Stuttgart: Enke.

Scheff, T. J. (1973). Das Etikett „Geisteskrankheit“. Frankfurt a. M.: S. Fischer.

Skodol, A. E. (2012). Personality disorders in DSM-5. Annual review of clinical psychology, 8, 317–344.

2 Angststörungen

Fast jedes Kind durchlebt im Lauf seiner Entwicklung Phasen besonderer Angst, da Ängste bei Kindern relativ weit verbreitet sind. Die spezifische Art der Ängste hängt mit der Entwicklungsphase zusammen, in der sich die Kinder gerade befinden. Daher ist der Entwicklungshintergrund stets mitzubeachten, wenn man die Entstehung von Angst bei Kindern verstehen möchte. Am frühesten im Kindesalter tritt die Trennungsangst auf, die dadurch hervorgerufen wird, dass sich die Kinder um jene, die ihnen nahestehen, Sorgen machen und Angst haben, dass ihnen etwas zustoßen könnte. Im Kindesalter werden neben der Trennungsangst auch die generalisierte Angststörung, die Panikstörung und die Sozialphobie unterschieden. Relativ häufig werden zudem spezifische Phobien beobachtet.

Für die Definition ist es wichtig, Angst von Furcht und Phobie zu unterscheiden. Furcht bezieht sich immer auf ein konkretes Objekt und meint ein negatives Gefühl der Gefahr oder Bedrohung durch dieses Objekt. Personen haben also immer Furcht vor etwas. Angst hingegen ist ein allgemeines, grundlegendes Gefühl mit negativer Tönung. Angst ist ein oft unbestimmtes, aber überlebensnotwendiges Warnsignal in bedrohlichen Situationen. Schließlich ist eine Phobie eine intensive, überwältigende, aber übertriebene Furcht vor konkreten Objekten oder Situationen, z. B. vor Spinnen, Schlangen oder vor sozialen Situationen.

Angststörungen sind mit einer Prävalenz von über 10 % die häufigsten psychischen Störungen bei Kindern (Wagner et al., 2017; Ihle & Esser, 2002; Merikangas et al., 2010; Costello, Mustillo, Erkanli, Keeler, & Angold, 2003). Sie neigen dazu zu persistieren und häufig entwickeln Kinder mit Angststörungen später auch andere klinische Schwierigkeiten. Es ist daher von großer Bedeutung zu differenzieren, ab wann die Angst klinisch auffällig ist und einer besonderen therapeutischen Intervention bedarf.

2.1 Die Rolle von Furcht und Angst in der Entwicklung von Kindern

Das Angsterleben von Kindern in verschiedenen Entwicklungsphasen spiegelt die Art und Weise ihrer Erfahrung und Vorstellung der Welt wider. Sehr früh, schon von Geburt an, lösen Schmerz sowie laute, rasch ansteigende Geräusche eine Disstress-Reaktion aus, die aus Schreien, Weinen, einer muskulären Anspannung und diffusen Bewegungen besteht. Negative Reaktionen auf visuelle Reize treten ein wenig später in der Entwicklung auf. Diese Reaktionen beziehen sich in erster Linie auf neue Reize, wobei v. a. fremde Personen Furcht auslösen. Die Entwicklung dieser Reaktionen erfolgt allmählich: Zuerst nimmt das Anlächeln ab, schließlich gewinnt ein Ausdruck der Besorgnis die Oberhand. Von dieser Besorgnis lässt sich die Furchtreaktion im engeren Sinn abgrenzen, die durch intensivere Emotionalität, aber auch dadurch gekennzeichnet ist, dass nach einer solchen Reaktion kaum mehr ein Zugehen auf den Fremden erfolgt, während dies nach dem Ausdruck von Besorgnis noch möglich ist.

Etwa ab dem 6. bis 8. Lebensmonat löst eine Trennung von der Mutter bzw. der zentralen Bezugsperson des Kindes eine intensive emotionale Reaktion aus, die durch Weinen, Unruhe, Versuche, der Mutter zu folgen, und wiederholtes Rufen gekennzeichnet ist. Die Intensität dieser Reaktion ist von verschiedenen Faktoren abhängig: der Gegenwart anderer vertrauter Personen, der Fremdheit der Situation, dem Verhalten des Fremden etc. Sie nimmt in den Monaten nach ihrem ersten Auftreten zu, um etwa mit dem 18. Lebensmonat ihren Höhepunkt zu erreichen. Die Abnahme dieser Reaktion erfolgt nur langsam.

Von Beginn an bestehen große interindividuelle Unterschiede darin, wie wahrscheinlich es ist, dass durch eine kurze Abwesenheit der Mutter eine emotionale Reaktion beim Kleinkind hervorgerufen wird. Diese Unterschiede hängen einerseits von der Sicherheit der Bindung zwischen Mutter und Kind ab (Ainsworth, Blehar, Waters, & Wall, 1978), andererseits vom Stand der kognitiven Entwicklung der Kinder. Dieser Entwicklungsstand bedingt ein unterschiedliches Verständnis dafür, dass die Abwesenheit der Mutter nur vorübergehend ist. Für die Intensität der emotionalen Reaktionen lässt sich zudem bereits frühzeitig ein Einfluss des Temperaments der Kinder nachweisen.

Furcht ist in früher Kindheit oft auf aktuelle Ereignisse in der unmittelbaren Umgebung (z. B. spezielle Gegenstände, Geräusche oder die Angst, zu fallen) bezogen. Solche spezifischen Ängste sind bei Kindern häufig. Die Eltern können meist mehrere Gegenstände oder Situationen benennen, vor welchen ihre Kinder Angst haben (Jersild & Holmes, 1935; Lapouse & Monk, 1959). Kinder zeigen auch relativ häufig stärkere Angstreaktionen. Die meisten spezifischen Ängste sind jedoch nur von kurzer Dauer und geringer Intensität. Die Entstehung spezifischer Ängste vor relativ harmlosen Gegenständen steht möglicherweise in Zusammenhang mit der Tendenz von Kindern zu Anthropomorphismus. Das bedeutet, dass sie auch in unbelebten, sich bewegenden Gegenständen und Tieren Absichten und Gefühle sehen (Bauer, 1980). Es könnte sich darin auch eine Tendenz zu stärkerer Externalisation von inneren Erlebnissen ausdrücken.

Einige Ängste zeigen einen klaren Alterstrend. So werden Ängste vor Tieren kaum bei jüngeren Kindern angetroffen, nehmen aber dann deutlich zu und erreichen ihre größte Häufigkeit mit etwa drei Jahren. Nach Bowlby (1973) sind diese Ängste deshalb so häufig, weil Tiere verschiedene Merkmale aufweisen, die für Kinder beängstigend sind: Sie können sich rasch auf die Kinder zubewegen, nähern sich oft unerwartet und plötzlich. Zudem sind sie den Kindern relativ fremd und weisen auch bestimmte visuelle und taktile Merkmale auf – wie etwa windende Bewegungen oder eine pelzige Oberfläche –, die leicht Angst auslösen.

Etwas später, mit zirka vier Jahren, erreichen Ängste vor der Dunkelheit ihr Maximum. Zu diesen Ängsten trägt bei, dass visuelle Reize in der Dunkelheit schwer interpretierbar sind, die Situation für die Kinder fremdartig wirkt und die Kinder dabei meist allein sind.

Mit dem Alter nehmen diese Ängste ab, es kommt stattdessen zur Angst vor Fantasiegestalten, vor der Dunkelheit, vor dem Alleinsein und Verlassenwerden. Die Ängste vor Geistern, Monstern und Fantasiegestalten werden manchmal als Ausdruck einer Verunsicherung durch den Tod und durch die Möglichkeit eines Verlustes vertrauter Personen und Gegenstände interpretiert (Bauer, 1980).

In der mittleren Kindheit ist auch eine Abnahme der Ängste um die persönliche Sicherheit sowie vor Tieren festzustellen. Mit dem Schuleintritt kommt es zu Ängsten, die auf die Schule bezogen sind und im Zusammenhang mit sozialen Beziehungen stehen. Diese werden nach einem erstmaligen Anstieg im ersten Schuljahr schließlich v. a. im Alter von 9 bis 12 Jahren beobachtet. Auch Sorgen wegen Geldangelegenheiten und vage Ängste um die eigene Identität (etwa ob die Kinder adoptiert wurden) sind ab diesem Alter häufiger zu beobachten.

Bamber (1979) fasste Untersuchungen über Ängste in der Adoleszenz zusammen und stellte eine Persistenz der Ängste vor körperlichen Verletzungen, um persönliche Sicherheit sowie einen Anstieg der Ängste um Sozialkontakte fest. Eine Abnahme würde es hingegen bei den Ängsten vor Tieren, vor der Dunkelheit sowie vor Wasser und Feuer geben. Auch Angstträume würden seltener werden, ebenso die Angst vor Aggression.

Bezüglich der Entstehung von Ängsten bei Kindern gibt es verschiedene Auffassungen:

– Die psychoanalytische Theorie von Freud sah darin eine Externalisation innerer Konflikte; andere Akzente setzte dagegen Bowlby, der Angst im Zusammenhang mit Trennungserfahrungen interpretierte.

– In der Lerntheorie wurde die Konditionierung der Ängste betont.

– Die existenzialistische Tradition fokussierte auf die Verwurzelung der Ängste in der gesamten Lebenserfahrung des Menschen.

– Von anderen (z. B. Lang, 1979) wurde hervorgehoben, dass sich Ängste aus mehreren Reaktionskomponenten (physiologisch, kognitiv, emotional) zusammensetzen und sich klinisch bedeutsame Angst nur quantitativ von normaler Angst unterscheidet. Über die Reaktionskomponenten, v. a. physiologische Reaktionen, gibt es nur wenige Untersuchungen an Kindern.

Die Entwicklung ängstlichen Verhaltens bei Kindern wird durch die parallel auftretende Fähigkeit, diese emotionalen Reaktionen zu kontrollieren, modifiziert. Die Kinder sind über lange Zeit auf die Beziehung zu den Eltern angewiesen, um Sicherheit zu finden. In den ersten Wochen zeigen Kinder eine fast obligatorische Aufmerksamkeit gegenüber neuen Reizen, unabhängig von deren Gehalt, und sind dadurch wie gefangen. Bald jedoch können sie eine gewisse Kontrolle über die durch äußere Reize erzeugte Angst und Erregung ausüben, indem sie den Blick von diesen Reizen abwenden, den Kontakt unterbrechen und sich zurückziehen. Die sich entwickelnde Fähigkeit zur inneren Repräsentation von Erfahrungen und der Erwerb von Sprache ermöglichen eine bessere Differenzierung zwischen harmlosen und potenziell gefahrvollen Reizen sowie eine bessere Kontrolle des Umgangs mit den Angst auslösenden Situationen.