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Czytaj książkę: «Wie Satan starb », strona 9

Czcionka:

Und er erzählte ihr von den furchtbaren Qualen, die er und andre unter den Franzosen erlitten hatten. Aktenmäßig festgelegte Fälle, die er in einem Buche vereinigen, in alle Sprachen übersetzen und in der ganzen Welt verbreiten wollte. »Das Buch der ewigen Schande« sollte es heißen, das Gewissen der Welt sollte es aufrütteln und ein ewiges Denkmal französischer Schande sein.

Peter hatte lange überlegt, ob er ihr alles erzählen sollte. So weit sah er schon in sie hinein, daß er die Wirkung vorausahnte. Er wußte, was er ihr hier einprägte, fiel auf fruchtbaren Boden, war nicht umsonst gesagt. Dies Denkmal der Schande, das er vor ihren Augen errichtete, wirkte nachhaltiger und stärker als vieles, was man in breiten Propagandaschriften und Broschüren zusammentrug. Nur von einem starken Gefühl ging nachhaltige Wirkung aus.

Margot sah längst nicht mehr zu ihm auf. Ihre Augen standen voll Tränen. Sie barg den Kopf in seinen Schoß und, zitternd am ganzen Körper, schluchzte sie erst und weinte dann laut.

»Die Armen!« sagte sie mit tränenerstickter Stimme und umschloß mit zitternden Armen seine Knie. Sie war seiner Erzählung anfangs mit dem Verstande gefolgt, hatte dann aber gefühlsmäßig alles in sich aufgenommen, bildhaft alles vor sich gesehen, als wenn sie es als Zuschauer miterlebte.

»Geh!« sagte sie mit letzter Kraft, und richtete sich auf. »Hilf ihnen!«

Peter saß in dem Sessel, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen, und schmiegte die schmalen Hände an Margots Haar. Jetzt, da sie aufstand, glitten seine Arme schlapp zur Seite; er beugte den Oberkörper nach vorn und starrte vor sich hin.

Margot erschrak.

»Was ist dir, Peter?« fragte sie ängstlich. Peter preßte die Zähne aufeinander, ballte die Fäuste, stand langsam auf, beugte den Oberkörper zurück, duckte sich ein wenig, riß dann plötzlich die Arme hoch, schnellte empor, rief laut:

»Ich komme!«, stürzte nach vorn, öffnete die Fäuste, krallte die Finger, schlug in die Luft, schrie laut:

»Venére!« und stürzte dann, steif wie ein Brett, nach vorn über.

»Mein Gott! Peter!« rief Margot entsetzt, warf sich über ihn, nahm seinen Kopf, streichelte ihn, weinte, redete ihm zu:

»Peter! Mein Peter! Bleibe am Leben! Du bist ja nicht allein! Ich bin bei dir! – Ich weiß es ja, was du leidest. Ich komme mit dir. Wohin du willst. Nur laß mich nicht allein! – Peter!« schrie sie ganz laut: »Ich brauche dich! So höre doch! Ich kann nicht leben ohne dich! Ich will ja alles für dich tun! Alles!« Dann schluchzte sie laut auf und schmiegte sich an ihn. —

Daß Frau Julie, Lux und der Arzt ins Zimmer kamen, merkte Margot nicht.

»Es ist derselbe Anfall wie vor einer Woche,« sagte der Arzt. »Er muß wieder Erschütterndes erlebt oder durchdacht haben.«

»Und sie?« fragte Frau Julie besorgt.

»Ein kleiner Nervenchok. Beides geht vorüber.«

Sie legten Peter ins Bett und trugen dann Margot auf ihr Zimmer.

»Was mögen sie miteinander gehabt haben?« fragte Lux den Arzt, als sie glaubten, Frau Julie beruhigt zu haben und wieder allein waren.

»Mir sah es ganz darnach aus, als hätte Reinhart ihr sein ganzes krankes Herz enthüllt.«

»Und sie?«

Der Arzt zog die Schultern in die Höhe und sagte: »Von dieser Art Kranken geht eine ungeheure Suggestivkraft aus.«

»Sie meinen . . .?« fragte Lux zaghaft, und der Arzt fuhr fort:

»Daß es mich nicht wundern würde, wenn wir morgen statt eines zwei Kranke hätten.«

Da erschrak Lux, schloß die Augen und wußte, daß er Margot liebte. —

Frau Julie saß die ganze Nacht über wach in ihrem Bett und dachte:

»Was soll das werden?«

Nur der Landrat saß unbeschwert mit dem Obersten in der Kneipe und sprach vergnügt von dem ständig steigenden Wert von Grund und Boden und der reinigenden Kraft des Krieges.

XI

Frau Julie, die noch schwer unter dem Schuldbewußtsein gegenüber Aenne litt, war in dieser Nacht mit ihren Gedanken mehr bei Margot als bei ihrem Sohne. Und allem voran setzte sie den Grundsatz: es darf kein zweites Opfer geben! Wenn Peter aber, statt von seinen schweren Gedanken durch sie befreit zu werden, sie mit sich riß, dann war das Unglück nicht mehr abzuwenden. Dann vertieften sie sich immer mehr und richteten sich gegenseitig zugrunde. Und nach dem, was die erste Begegnung gebracht hatte, war dieser Ausgang nur zu wahrscheinlich. So faßte sie denn den festen Entschluß, die beiden Menschen, ehe es zu spät war, voneinander zu trennen.

Peter fühlte sich nach seinem Anfall müde und schwach. Aber seine Stimmung war nicht so trostlos wie sonst. Das Leid der Einsamkeit, das an solchen Tagen besonders schwer auf ihm lastete, empfand er gar nicht. Er hatte nur immer das Gefühl: Ich bin nicht mehr allein. – Und die Sehnsucht, die ihm dann das leidende Bild jedes Einzelnen da unten vor Augen führte, hatte jetzt ein anderes Ziel. Es war Margot, die aufgerichtet vor ihm stand und ihm zurief: »Geh! Hilf ihnen!«

Ja! Er wollte gehen. Mit ihr. Sie mußte bei ihm sein. Denn sie konnte helfen. Mehr als er! Von ihr ging Heilung aus. Er fühlte es an sich selbst. Wenn sich ihr Mitleid mit gütigen Händen auf die kranken Seelen legte, schlossen sich die Wunden und die Herzen heilten.

Margot erwachte nicht leichter als sonst. Nun war auch sie der Liebe erlegen, die sie oft bei ihren Freundinnen verlacht und bespottet hatte. Freilich: durch ihr Herz und ihre Seele ging kein Jubeln und Jauchzen, wie es so schön und sinnig in Romanen hieß, denen ihre Freundinnen nachlebten und nachempfanden. In ihr »flötete« es nicht, wie sie es spöttisch nannte, wenn ihre Freundinnen die Augen verdrehten und in hohen Tönen das Lob des Geliebten sangen. Margot schwebte durchaus nicht im siebenten Himmel. Feierlich und ernst war ihr zumute. Sie fühlte sich eher beschwert. Die leichte, lässige Art, mit der sie bisher allem Geschehen gegenüber gestanden hatte, war verschwunden. Ihr Schicksal hatte sich ohne ihr Zutun erfüllt, und sie empfand ihre Liebe wie eine Weihe, die ihrem Leben Pflicht und Inhalt gab. —

Frau Julie traf am Morgen ihren Sohn so zeitig an wie stets. Es war eben acht Uhr, da betrat er den kleinen Salon, in dem Frau Julie beim Frühstück saß. Er küßte ihr Stirn und Hand und sagte:

»Guten Morgen, Mütterchen.«

»Mein Junge!« erwiderte sie und streichelte ihm die Wange; dann stellte sie, ohne davon zu sprechen, fest, daß er den Anfall gut überstanden hatte.

»Nun?« sagte sie, als er ihr gegenübersaß, »wie geht es dir?«

»Gut, Mama! Ausgezeichnet. Und um es dir gleich zu sagen: Eure Wahl ist gut; diese Margot ist ein seltener Mensch.«

»Das willst du nach dem einen Abend schon beurteilen?«

»Du kannst mich ein Jahr lang mit einer Frau zusammen einsperren, und es ist möglich, daß ich weniger von ihr weiß, als nach diesem einen Abend von Margot.«

»Du hast dich verliebt?«

»Ja und nein. Sie versteht mich, sie fühlt sich in mich hinein, mit einem Wort: Sie ist Geist von meinem Geiste! Und darauf kommt es schließlich an bei zwei Menschen, die nicht, wie fast alle, neben, sondern miteinander leben wollen.«

»Lieber Peter,« sagte Frau Julie ernst und griff über den Tisch nach seiner Hand. »Du hast viel durchgemacht, und Schweres. Es ist natürlich, daß dein Gemüt darunter gelitten hat. Andre macht es hart, dich hat das Leiden weich gemacht. Es gibt auch seelische Wunden; auch die brauchen Zeit, um zu heilen. Sie heilen schwerer als äußere Wunden. Denn da man sie nicht spürt und sie mit den Augen nicht wahrnimmt, so weiß man meist gar nicht, daß man krank ist und glaubt es nicht, wenn andre es einem sagen. Aber sieh, Peter, wie bei einem Kopfschuß, der an irgendeiner Stelle die Schädeldecke zertrümmert, so daß das Gehirn nur noch unter einer dünnen Schicht liegt und daher, jeder Einwirkung von außen ausgesetzt, auf alles reagiert, was es sonst kaum oder gar nicht empfunden hätte, so wird auch das Gemüt, auf das fortgesetzt Kränkungen und Schmähungen eingewirkt haben, in seiner natürlichen Widerstandskraft erschüttert, liegt sozusagen offen, und reagiert nun nicht mehr in normaler Weise, sondern hundertfach potenziert auf alles, was es sonst vielleicht auch bewegt, aber doch nicht im entferntesten in dem Maße gerührt und erschüttert hätte. Du mußt daher wissen, Peter, und einsehen, oder wenn du es noch nicht einsiehst, so mir doch glauben, daß auch dein Mitleid mit den Unglücklichen, die du verließest, zu weit geht, und daß diese Ausnahmslosigkeit, mit der du alle deine Gefühle auf diesen einen Punkt konzentrierst, nur eine Folge deines wunden und widerstandslosen Gemütes ist. Daher wirkt alles, was diese Widerstandslosigkeit erhöht und dein Mitleid vertieft, genau so, als wenn man in einer Wunde wühlt und dadurch den Heilungsprozeß erschwert oder gar gefährdet. Du mußt mir das glauben, Peter, auch wenn du heute noch nicht wieder soweit hergestellt bist, um es einzusehen.«

»Wenn das wirklich eine Krankheit ist, Mutter,«  erwiderte Peter, »dann habe ich nur den einen Wunsch, nie von ihr zu genesen. Und es wäre ein Glück für die ganze Welt, wenn diese Krankheit epidemisch alle Menschen ergriffe. Denn dann endlich werden sie ihre Konflikte nicht mehr dadurch zum Austrag bringen, daß sie sich gegenseitig abschlachten.«

»Wirke mit, die Menschheit auf diese Höhe zu bringen,« erwiderte Frau Julie lebhaft. »Tue nichts andres als das. Lebe nur diesem einen Ziel und du hast genug Zweck in dein Leben gebracht. Aber laß dich nicht von dieser einen Idee beherrschen. Befreie dich davon! Sage dir immer wieder, daß es eine Zwangsvorstellung ist.«

Peter schüttelte den Kopf.

»Das geht nicht, Mutter!« erwiderte er. »Ich kann nicht gegen mein Gefühl handeln.«

Frau Julie erkannte, daß es nicht möglich war, Peter zu überzeugen. Aber sie fand ihn doch zugänglicher und besonnener; mehr verträumt als besessen, und das gab ihr Hoffnung.

»Ich will dir etwas sagen,« fuhr sie fort. »Es ist dein Recht, mit dir zu machen, was du willst. Und wenn du die Folgen deiner Leiden aus der Gefangenschaft vertiefen willst, statt gegen sie anzukämpfen, so ist das deine Sache!«

»Mutter!« sagte Peter erstaunt. »Wie sprichst du mit mir!«

»Wie es meine Pflicht verlangt. Denn ich dulde nicht, daß du auch noch diese Margot mit in dein Unglück ziehst.«

Peter fuhr auf.

»Margot liebt mich!« sagte er bestimmt.

»Das gibt dir kein Recht, sie krank und unglücklich zu machen.«

»Mutter!« rief Peter empört.

»Ja, bist du denn nicht einmal mehr imstande, soweit zu denken, Peter? Für Menschen, mit denen dich der Zufall zusammengeführt hat, ist dein Mitleid so groß, daß du dich für sie opfern willst. Und gegen diese Margot, die dich liebt und für die auch du, wenn ich nicht irre, gute Gefühle hast, bist du so mitleidlos, daß du sie in deinen Jammer mit hineinziehen willst.«

Peter sah sie betroffen an.

»Wenn es sie doch aber innerlich befriedigt,« sagte er.

»Heute, wo sie in dich verliebt ist, wird sie mit Begeisterung in alles willigen, was du verlangst und womit sie glaubt, dir zu gefallen. Schick sie stehlen dir zuliebe, sie besinnt sich nicht. Aber die Besinnung kommt! Früher oder später. Dann wird sie dich zur Rechenschaft ziehen. Heute quälst du dich mit Vorwürfen, die lediglich die Folge deiner überreizten und erschöpften Nerven sind. Das wird eines Tages von selbst aufhören. Margot gegenüber aber beschwerst du dein Gewissen mit einer Schuld, die kein Arzt und keine Vernunft wegdiskutieren kann.«

Peter saß in Gedanken. Frau Julie hatte nur Mitleid für Margot zu erregen brauchen, und im selben Augenblick war für ihn die Entscheidung auch schon gefallen, sein Entschluß gefaßt. Widerstände gab es ja, sobald sein Mitgefühl einmal erweckt war, nicht zu überwinden. Er griff nach Frau Julies Händen und sagte:

»Liebe, gute Mutter, ich sehe das ein. Wie konnte ich das liebe Geschöpf mit meinem Kummer beschweren?« – Plötzlich sprang er auf und rief: »Mutter, wenn es nun schon zu spät ist! Und sie nicht mehr zurück kann? – Ich fürchte es, Mutter, denn mir selbst geht es ja auch so. Ich habe das Gefühl, als könne ich nie mehr von ihr los.«

»Glaubst du, daß du stark genug bist?« fragte Frau Julie, »mit ihr zu leben, ohne je wieder davon mit ihr zu sprechen?«

Peter schwieg einen Augenblick lang. Dann schüttelte er den Kopf und sagte:

»Nein! Ich bin ganz sicher, daß wir immer davon sprechen müßten. Da wir ja doch in dem Gedanken leben und nicht mehr von ihm loskommen.«

»Dann gibt es gar keine Ueberlegung,« sagte Frau Julie.

»Ihr müßt euch trennen.«

»Weißt du, daß mir der Gedanke gar nicht eingeht?« fragte Peter.

»Gewiß, mein Sohn, ich kann es mir denken. – Und da ich fürchte, daß eine Aussprache euch innerlich womöglich noch enger zusammenschließen würde, so bin ich dafür, daß ihr euch überhaupt nicht mehr seht. Schreibe ihr! Bestimmt und bedingungslos. Für alles andre werde ich sorgen.«

Peter quälte sich sehr.

»Es ist mir nie etwas schwerer gefallen,« sagte er. »Aber, da es sein muß, so soll es geschehen.«

Du darfst nicht etwa gefühlvoll Abschied von ihr nehmen,« sagte Frau Julie. »Das führt nur zu einer neuen Aussprache und endet mit noch engerem Zusammenschluß. Du weißt, wie sehr ich jede Unwahrheit hasse. In diesem Falle aber mußt du zu einer Notlüge greifen und ihr sagen, du seist krank und die Aerzte verböten dir in deinem Interesse – wohlverstanden: in deinem! – die Eingehung einer Ehe.«

»Ich tue alles,« sagte Peter, »wodurch ich es ihr erleichtere.«

Frau Julie sah, wie schwer es ihm wurde. Aber Margots und sein Interesse forderten, daß sie hart blieb, und so suchte sie denn auch seinen Schmerz nicht dadurch zu mildern, daß sie ihm Hoffnung für die Zukunft machte. Denn einmal wußte man nicht, wie lange Peter noch unter diesen schweren Gedanken stehen werde, und es ging nicht an, Margot, die nun bald fünf Jahre auf ihn wartete, abermals zu vertrösten; dann aber stand ja zweifellos dies gemeinsame Gefühl, das sie verband, in irgendeinem Zusammenhang mit Peters krankhaften Gedanken. Und es war zu fürchten, daß eine noch so lose Verbindung den Heilungsprozeß erschwerte.

»Meine liebe Margot!

Es war ein kurzes Glück, das schon heute sein Ende finden soll. Denke dir: die Aerzte sagen, daß ich, um gesund zu werden, dem Gedanken auf eine Ehe für immer entsagen muß. So bedeutungslos mir gestern noch dies Verbot erschienen wäre, heute, wo du mir nahe gekommen bist, empfinde ich es als ein Opfer, dessen Last mich fast erdrückt. Da aber mein Leben auf dem Spiele steht, so habe ich weder die Wahl, noch darf ich zögern. Wir müssen, Margot, die Größe aufbringen. Es war ein kurzer Traum vom Glück, der gewiß noch lange in uns nachklingen wird. Ihn weiterträumen aber, hieße mich selbst aufgeben. Das willst auch du nicht. Mehr kann und will ich nicht sagen, Margot, um uns Notwendiges nicht unnütz zu erschweren. Finde dich damit ab! Ich muß es auch. Als das Glück, das nach schweren Jahren einmal wieder, wenn auch kurz, durch mein Leben ging, wirst du mir unvergessen bleiben. Leb wohl, Margot! Dein

>Peter.«

Er reichte Frau Julie den Brief und sagte:

»Ich habe kaum etwas von meinem Gefühl hineingelegt. Hätte ich ihr geschrieben, wie mir ums Herz ist, Mutter, so hätte uns das nur noch fester aneinander geschlossen.«

»Du hast recht, mein Sohn,« sagte Frau Julie und legte ihren Arm um seine Schulter. Er hatte den Kopf gewandt und sah zu ihr auf. »Ob ich wohl noch einmal glücklich werde?« war die Frage, die ihm Frau Julie aus den Augen las. Sie sah ihn lächelnd an, fuhr ihm mit der Hand über die Stirn und sagte:

»Alles wird noch einmal gut, mein Junge! Vergiß nicht, daß du kaum acht Tage aus der Hölle heraus bist. Du mußt die Zusammenhänge erst wieder finden, Peter. Bei dir ist das Menschliche so bloßgelegt, daß dein Gefühl ganz hemmungslos auf alles reagiert. Aber die Zeit ändert das. Wie dir ging es vielen, und sie alle haben zurückgefunden und sind gesund geworden.«

»Auch glücklich?« fragte Peter.

»Auch glücklich!« versicherte Frau Julie.

»Und du glaubst, daß auch ich noch einmal . . .«

»Ganz fest glaube ich daran!«

»So wie früher? – Weißt du noch. Mutter, kurz vor dem Frieden? Wie ich da war?«

»Auch das kommt wieder Peter. Wenn die Jahre und die Erlebnisse dich auch ernster und nachdenklicher gemacht haben.«

»Damals lebte Aenne noch!« sagte Peter mehr vor sich hin.

»Ja, Peter, und wir wollen immer im Guten an sie denken.«

»Als sie noch lebte, wolltest du nichts davon wissen,« erwiderte Peter.

»Die Zeit hat uns alle umlernen lassen,« sagte Frau Julie. »Nicht nur du hast durchgemacht. Auch wir daheim. Mehr als du glaubst. Aber wir dürfen uns nicht gehen lassen. Damit, daß einer mit dem andern mitfühlt und ihn bedauert, ist es nicht getan. Wir müssen aufrichten! Resignieren und sich dem Schmerz hingeben ist ein Luxus, den wir Deutsche uns nicht mehr gestatten dürfen. Das gilt auch für dich, Peter.«

»Du hast wohl recht, Mutter,« sagte Peter traurig.

»Aber erst einmal genieße deine Freiheit! Ein glücklicher Zufall hat dich in die Schweiz geführt. Entsinnst du dich des Worts, das Vater so oft gebrauchte? De montibus sanitas. Von den Bergen kommt die Gesundheit. Gehe hinauf mit deinen Kameraden. Losgelöst von allem, was dich bedrückt! Atme die reine, klare Luft. Und du wirst fühlen, wie alle Schwere von dir abfällt, Peter! Mach dich frei! Frei von allem!«

Peter war aufgestanden.

»Wenn du so zu mir sprichst, Mutter,« gab Peter zur Antwort, »dann ist mir zumute, als wenn wirklich noch einmal alles so kommen könnte, wie es war.«

»Es hängt in erster Linie von dir ab,« sprach ihm Frau Julie zu. »Von der Festigkeit deines Willens.«

Er gab der Mutter die Hand und versprach, es zu versuchen.

Dann ging Frau Julie mit dem Brief für Margot hinaus.

Er ist bleich wie Wachs, dachte sie, als sie den Hotelkorridor entlang in Margots Zimmer ging.

XII

Frau Julie mußte, um zu Margot zu gelangen, beim Zimmer des Landrats vorbei. Sie blieb einen Augenblick stehen und überlegte:

Besser ist es schon, dachte sie, ich sage es ihm jetzt. Schließlich ist er ja dieser Verbindung wegen gereist, hat demnach also auch einen Anspruch darauf, zu erfahren, daß aus der Sache nichts wird. Sie klopfte an.

»Herein!« rief der Landrat, der grade beim Rasieren war. Frau Julie stand kaum in der Tür, da rief er ihr zu:

»Also, was sagst du? Ich habe mich vor Empörung schon dreimal geschnitten. Dreimal! Kommt bei mir sonst nie vor! Mit Rasiermesser, Säbel, Pistole weiß ich umzugehen. – Aber so setz’ dich doch, Mama! – Scheidemann Staatssekretär! Eine liebliche Metamorphose! Nächstens werden sie ’n Droschkenkutscher zum Reichskanzler machen. Du wirst’s erleben. Und unsereiner schlägt und säuft sich drei Jahre lang durch alle möglichen Korps durch, quält sich durch ein halbes Dutzend Examen, knüpft kostspielige gesellschaftliche Verbindungen an, um Mitglied einflußreicher Klubs zu werden, legt sich ’n Rennstall zu, um bei ’m anständigen Kavallerie-Regiment Reserveoffizier zu werden, pflegt nur adligen Verkehr, obgleich das bisweilen verdammt langweilig is, jeht eine Vernunftehe ein, kurz, unsereiner reibt sich auf und tut alles, was ’n mal für ’n Staatssekretärposten qualifizieren könnte – und siehe da! Plötzlich steht die Welt still! – Scheidemann Reichskanzler! Ja, wozu rasier ich mich denn überhaupt, statt bei unseren Portiersleuten ’n Kurs im neuen diplomatischen Ton zu nehmen? – David Staatssekretär! Ausgerechnet! dazu hat sich mein Urgroßvater taufen lassen, damit sein Urenkel Landrat unter Herrn David is!«

»Lieber Anton! Ich begreife, daß alles das dich schwer trifft, und ich bin auch bereit, mit dir darüber zu reden, aber jetzt . . .«

»Was gibt es da noch viel zu reden? Die Welt steht Kopp, einfach Kopp. Der preußische Landrat war einmal! Seit Jahrhunderten jeheiligte Bejriffe werden einfach wegrasiert – janz glatt und ohne Spuren zu hinterlassen. Die janze Kultur zum Deibel! Stütze von Thron und Altar war einmal moralischer Führer, politischer Wegweiser, Symbol der Obrigkeit und jottjewollten Abhängigkeiten, alles perdu! Ratzekahl wegrasiert. ’N Dorfschulze mit ausgefransten Hosen und demokratischen Grundsätzen als Landrat-Ersatz. So was sitzt nachher da, wo unsereins mal jesessen hat; statt der Reitpeitsche und ’n Sektkübel Gummiröllchen und ’n Jlas Zuckerwasser auf ’m Tisch. Wird den Bauern und Wilddieben verflucht imponieren.«

»Glauben Sie, daß Ihr Monokel und Ihre polierten Fingernägel ihnen besondere Achtung abgenötigt haben?« fragte Margot, die in einer inneren Unruhe Frau Julie überall gesucht und schließlich auch beim Landrat angeklopft hatte. Da, obgleich sie Stimmen hörte, niemand »herein!« rief, so war sie einfach eingetreten.

Frau Julie und der Landrat, die sie nicht bemerkt hatten, wandten sich zu ihr um.

»Sie hier?« sagten beide.

»Ja! – Was ist denn los? Haben Sie demissioniert?«

»Ja, glauben Sie vielleicht, ich werde mir n’ jüdischen Sozialisten vor die Nase setzen lassen?«

»Das Monokel müßte dann am Ende auch herunter!«

»N’ hoher Staatsbeamter ohne Standesehre und Satisfaktionsfähigkeit«, fuhr der Landrat mit rotem Kopfe fort, »is dasselbe wie ’ne Jroschenzigarre mit ’ner Bock-Leibbinde oder ’ne verwässerte Brauneberger in ’nem Sektkübel. Nischt zu machen!«

»Diese für dich gewiß wichtige Frage löst du vielleicht lieber zu Haus,« sagte Frau Julie. »Dazu sind wir ja schließlich nicht in die Schweiz gereist.«

Der Landrat, der sich erst jetzt bewußt wurde, daß er die Serviette um hatte und ohne Kragen war, brachte sich schnell in Ordnung, bot den Damen Stühle an und sagte:

»Also, was ist?«

»Etwas sehr Trauriges,« sagte Frau Julie. »Es betrifft Peter. Die Aerzte haben ihn noch einmal gründlich untersucht. Das Resultat ist, daß er zwar leben und gesund sein wird, aber nur, wenn er Junggeselle bleibt.«

»Wa . . . wa . . .?« blökte Anton, und Margot, die hilflos Frau Julie anstarrte, fragte:

»Ja . . . warum denn?«

»Das Wichtigste ist, seine Energien zu stärken und alles von ihm fern zu halten, was aus Schwäche, Zuneigung oder aus Gleichgestimmtheit ihm nachgibt oder gar nachfühlt.

Die wenigen Worte sagten Margot genug. Sie sah noch immer Frau Julie an.

»Also, ich soll ihn aufgeben?« fragte sie mit verhaltener Stimme.

Frau Julie trat an sie heran, legte den Arm um sie und sagte:

»Armes Kind! – Daß es so kommen muß, nun, da wir hofften, endlich am Ziel zu sein. – Ich wünschte für Sie, Sie hätten ihn gar nicht erst gesehen. – Sie sind ja auch seit gestern wie umgewandelt. Aber glauben Sie mir, ich erkenne es alle Tage mehr: man darf das Leben nicht so schwer nehmen, es ist des großen Ernstes nicht wert! Suchen Sie, wieder heiter zu werden und die Dinge leicht zu nehmen. Es ist das einzig Mögliche, um nicht zusammenzubrechen.«

Margot schüttelte den Kopf und sagte:

»Nie mehr! – Es ist so traurig alles.«

»Verrückt is es!« sagte der Landrat und ballte die Faust.

»Niederträchtig! Wenn ich nur für ein paar Wochen noch einmal die Zügel in die Hand bekäme!«

»Ihr hattet sie lange genug in Händen!« sagte sie bitter. »Leider! Und was habt ihr damit gemacht? Euch aufgespielt und gebläht in dummer Ueberhebung. Mit Verachtung auf alle herabgesehen, deren Stammbaum und Dummheit nicht an eure heranreichte. Die ganze Welt für euch beansprucht, obschon euer Horizont so begrenzt wie möglich war. Ein ganzes Volk habt ihr auf dem Gewissen, das sich nur zu lange von euch bluffen ließ. Und da verlangst du jetzt, daß man dir noch einmal die Zügel in die Hand gibt? – Nimm es mir nicht übel, lieber Anton, aber ein Volk, das sich euch ein zweites Mal ausliefert, das verdiente nichts anderes als daß es untergeht.«

»Also auch schon sozialistisch anjekränkelt!« sagte der Landrat. »Bis in die eigne Familie ist die verdammte Seuche demnach schon jedrungen. Da heißt’s sich beizeiten isolieren und vor Infektion schützen.«

Frau Julie war diese Ablenkung im Interesse Margots sehr willkommen. Sie hatte absichtlich darauf hingewirkt und hätte, wie stets, dem Landrat nichts erwidert; so sehr dessen unverminderte Arroganz sie reizte. Aber sie wollte Margot Zeit lassen, sich in den Gedanken des Verzichts auf Peter hineinzufinden.

Sie hatte Peters Brief gelesen und weinte bitterlich.

»Dann soll er sein Lebenlang nur von gefühllosen Menschen umgeben sein?« fragte sie traurig.

»Aber nein!« erwiderte Frau Julie. »Nur mit innerlich von ihm abhängigen Menschen darf er sich nicht zusammenschließen. Die kranken Ideen haben sich in ihm so festgesetzt, daß er nach Jahren noch rückfällig würde, wenn er jemanden findet, der sich wie Sie, Margot, seinem Gefühl unterwirft. Es spricht das gewiß für Sie: für Ihre Güte: aber auch für Ihren Verstand, daß Sie ihn so schnell begriffen haben. Gründlicher noch als ich, die ich als Mutter ja ganz unbewußt da die weitere Gefolgschaft versage, wo die Gesundheit in Frage kommt.«

»Und das sollte ich nicht auch können?« fragte Margot.

»Bestimmt nicht!« versicherte Frau Julie. »Denn die Liebe stürmt darüber hinweg und nimmt es erst wahr, wenn es zu spät ist.«

»Ich muß ja auch sagen,« mischte sich der Landrat hinein, »so, wie die Dinge heute liegen, muß man entweder Stange halten oder kapitulieren. Na, und was mich anbelangt: ich halte Stange.«

»Wie meinst du das?« fragte Frau Julie.

»Keine Mischung! Denn jetzt müssen wir zusammenhalten und dürfen uns nichts vergeben.«

»Aber umlernen könntet ihr am Ende,« sagte Frau Julie. »Mein Mann hat es schon zu einer Zeit, zu der man noch vieles hätte zum Guten wenden können, oft und eindringlich gepredigt.«

»Proletarier kann man nich erlernen, liebe Mama! So wenig wie Noblesse! So was wird jeboren. Und man kann am einen wie am andern soviel rumzetern wie man will: hilft nischt! Proletarier bleibt Proletarier. Adel bleibt Adel. – Du wirst sehen, wir müssen nur Stange halten. Dann renkt sich alles wieder ein.«

Frau Julie redete inzwischen Margot zu. Aber es schien, als wenn die ihren Gedanken nachging und gar nicht auf das hörte, was Frau Julie sagte.

»Ich hatte Sie so unbekümmert und heiter in der Erinnerung,« sagte Frau Julie, »und hatte gedacht, daß Sie ihn mit Ihrem Frohsinn ablenken und auf andre Gedanken bringen würden.«

»Das hätte ich auch getan,« erwiderte Margot. »Aber Peter hat in mir das Gefühl geweckt. Und nun verlangen Sie, daß ich es ausschalte. Das könnte nur jemand erreichen, der dieselbe Macht über mich hätte wie er. Und den gibt es nicht! Das fühle ich deutlich.« Und nach einer Weile fügte sie hinzu: »Den wird es nie geben.«

»Es geht Ihnen wie ihm,« erwiderte Frau Julie. »Da hilft nur die Zeit. Aber da sich das Gefühl bei Ihnen noch nicht so vertiefen konnte, so wird es gewiß nicht so schwere Kämpfe kosten. Sie müssen sich immer sagen: er ist krank. Und es wäre für beide kein Glück geworden.«

Margot war außerstande, zu reden. Um so stärker regte sich der Widerspruch in ihr, und sie fühlte, wie grade in dem gemeinsam getragenen Leid für sie das große Glück lag.

»Im übrigen«, sagte der Landrat, »glauben Se ja nich, daß, was Sie da kennen jelernt haben, etwa Peter is. Lassen Se den mal erst drei Monate weiter sein. Ich sage Ihnen, da denken Se anders.«

»Ich kenne ihn!« verteidigte sie ihn lebhaft. »Ich habe tiefer in ihn hineingesehen als Sie während der ganzen Jahre.«

»Na, das möchte ich denn doch ganz erjebenst bezweifeln. Leider habe ich mich jründlicher mit ihm respektive seinen Aventüren befassen müssen als mir lieb war.«

»Das besagt gar nichts!«

»Sie scheinen ja ’ne sehr aufjeklärte Dame zu sein; Sie passen in die neue Zeit. Denn wenn schon Thron und Altar ihrer zuverlässigen Stützen beraubt werden, dann fängt das Jelände der Ehe auch bald an zu wackeln.«

»Das sind ja alles Phrasen!« sagte Margot.

»Wie? Was? Thron, Altar, Ehe nennen Sie Phrasen?

Das is ja der Bolschewismus in Reinkultur. Das fehlte uns jrade noch in der Familie.«

»So dreh ihr doch nicht das Wort im Munde um,« sagte Frau Julie ungehalten. »Wenn jemand alles zu Phrasen erniedrigt, so bist das du und deinesgleichen. Denn laute Schlagworte und leere Redensarten sind bei euch doch der Ersatz für das, was euch alles fehlt: das Gemüt!«

»Liebe Mutter,« protestierte der Landrat, »vielleicht eröffnest du mir, gegen wen sich deine Offensive eijentlich richtet. Wenn ich recht im Bilde bin, so hast du die Absicht, in Peters und im Interesse von uns allen, dies Fräulein da abzusägen und nich mich.«

So unangenehm Frau Julie diese Taktlosigkeit empfand, so hoffte sie doch, daß Margot, wenn auch nur für Augenblicke, in ihrem Kummer dadurch abgelenkt würde. Sie hätte sie sonst längst in ihren Salon geführt. Auch sagte sie sich, daß die Aussicht, zu diesem Manne in nahe verwandtschaftliche Beziehungen zu treten, Margot nicht grade in ihrem Widerstand festigen werde.

Aber Frau Julie irrte. Margot berührte von alledem nichts. Sie prüfte sich, ohne dem Landrat die geringste Beachtung zu schenken, lediglich daraufhin, ob sie imstande wäre, sich mit Peter unter Ausschaltung dessen, was ihn so stark bewegte und was ja letzten Endes auch der Anlaß ihres Zusammenschlusses gewesen war, zu verbinden. War sie ehrlich zu sich selbst, so mußte sie sagen: nein! Denn schon in dem äußeren Bilde, das sie sich von Peter machte, stand deutlich das Leid, um dessenwillen sie bei seinem Anblick so tiefe Rührung empfunden hatte. Es war mit ihm verwachsen, mit ihm eins geworden, und hatte auch sie so stark ergriffen, daß es weniger Mitleid mit ihm und mehr das gleiche Gefühl war, das sie mit ihm verband. Sie hatte ihren Entschluß gefaßt, stand auf und trat an Frau Julie heran:

»Bitte begleiten Sie mich zu Peter!« sagte sie.

Frau Julie sah sie groß an.

»Wenn Sie ihm noch etwas zu sagen haben,« erwiderte sie, »so tun Sie es in beider Interesse bitte auf schriftlichem Wege. – Ich weiß, es ist hart. Und es tut mir weh, Sie darum bitten zu müssen. Aber sehen Sie, Kind, ich denke dabei in erster Linie an Sie. Ich habe eine schwere Verantwortung auf mich genommen, indem ich Sie zu meinem kranken Sohne führte. Ich hätte mir sagen müssen, daß auch die Schmerzen der Seele sich von Mensch zu Menschen übertragen. Ich kannte Sie doch; wenn auch nur flüchtig. Aber ich sehe die Veränderung in Ihnen und ich fürchte, daß eine nochmalige Aussprache Ihnen sehr schaden kann.«

»Ich müßte auch nicht, was Sie noch miteinander zu besprechen hätten,« sagte der Landrat.

Margot zitterte am ganzen Körper, und unter Hinweis auf den Landrat sagte sie zu Frau Julie: