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Czytaj książkę: «Wie Satan starb », strona 6

Czcionka:

»Das leuchtet mir ein,« stimmte der Landrat bei. »Das muß schon jemand sein, der mit Menschen umzugehen versteht.«

»Sehr richtig! Sie haben es erfaßt. Wie wäre es, verehrtester Landrat, wenn Sie sich für die Dauer des Krieges in Ihrem Kreise vertreten ließen und zu uns kämen. Es lebt sich nicht übel jetzt in der Schweiz.«

»Jewiß! jewiß! Das jlaube ich schon. Und wenn man seinem Lande dienen kann, dann soll man nich lange überlejen. Aber als Landrat, Sie begreifen, daß ich mich da nich auf einen xbeliebigen Posten stellen lassen kann.«

»Aber, mein verehrtester Freund, wenn bei uns in Bern nich jrade ein Ihrem Range und Ihrer sozialen Stellung entsprechender Posten frei wäre, so würde ich gar nicht wagen, an Sie heranzutreten.«

»Und worin bestände da hauptsächlich meine Tätigkeit?«

»Das will ich Ihnen sagen, worauf es da hauptsächlich ankommt: Auf Ideen und auf Takt im Umgang mit Menschen.«

»Wenn es das ist,« sagte der Landrat, »dann bin ich Ihr Mann.«

»Abjemacht?« fragte der Baron und streckte dem Landrat die Hand hin. »Ich darf Sie an der zuständigen Stelle in Vorschlag bringen?«

Der Landrat schlug ein und sagte:

»Sie dürfen.«

»Jott sei Dank!« rief der Baron. »Nun werden wir hoffentlich bald unter uns sein.«

Und Moll, der seinen Adel bewußt trug, wußte, was er damit meinte.

VII

An der Grenze versuchte der Landrat eine Verständigung mit Margot herbeizuführen. Er sagte sich, daß diese Reise, bei der er sozusagen als Geschäftsträger fungierte, einer familiär-diplomatischen Mission galt. Da war es unklug, sich mit einem der Kontrahenten zu überwerfen.

So stellte er auch dem Baron seine Beziehungen zu jener Dame dar, die ihnen beiden vor ein paar Stunden rücksichtslos in die Parade gefahren war und sich auf die Seite der Schweizer geschlagen hatte.

»Ich bewundere Ihre Beherrschung und Klugheit,« lobte ihn der Baron. »Sie haben sich auch dieser Dame gegenüber tadellos benommen.«

»So etwas liegt im Blut,« erwiderte der Landrat – »und kann nicht erlernt werden.«

»Jott sei Dank!« stimmte der Baron bei. »Das is es ja, was wir vor der Plebs voraus haben, weshalb wir sozusagen als Diplomaten auf die Welt kommen: Jeist! Würde! Jröße!«

»Mit einem Worte: Adel!« ergänzte der Landrat, und der Baron sagte breit:

»Das is es! – Und daher die Wut des Pöbels. Aber Jattung läßt sich weder wegdiskutieren, noch wegrevolutionieren. Adel ist kein Dunst, sondern ’ne Tatsache. Und ich bleibe auch noch als Chauffeur in erster Linie Baron, während ’n Schuster auf ’m Ministersessel oder als Landrat immer nur ’ne Karikatur sein wird.« —

Der Versuch, sich Margot wieder zu nähern, scheiterte. Der Landrat pürschte sich, als sie in Lindau aus dem Zuge stiegen, an sie heran, faßte an die Krempe seines Huts und sagte:

»Ich jlaube, wir machen im Interesse der Sache, deren wejen wir unterwegs sind, unter den Vorfall von vorhin einen Strich, Verehrteste.«

»I Gott bewahre!« wies sie ihn ab. »Glauben Sie, ich habe Lust, mich mit Ihnen weiter zu kompromittieren?«

Der Landrat dachte an ihre Herkunft, bedauerte sie und nahm es ihr nicht übel.

»Wenn nicht meinetwegen, dann mit Rücksicht auf Peter,« suchte er einzulenken.

»Sobald der Zug in Engelberg ist, stehe ich Ihnen wieder zur Verfügung. Nicht eine Minute früher,« erwiderte Margot und wandte sich von ihm ab.

»Mit der wird es uns nie gelingen, sie zu uns emporzuziehen,« dachte der Landrat. »Die klebt mit beiden Füßen fest im Bürjertum.« Und er beruhigte sich, indem er sich sagte:

»Ein Glück, daß Geld nicht adelt.«

Als man in Romanshorn in den Schweizer Zug einstieg, verlor Margot den Landrat aus den Augen. Sie saß bereits mit den beiden Schweizer Herren, mit denen sie sich angeregt die ganze Fahrt über unterhalten hatte, in ihrem Abteil, als auf dem Bahnsteig schrill die Stimme des Landrats ertönte:

»Schaffner! – Erster Luzern.«

Die Leute sahen zu den Fenstern hinaus. Auf dem Bahnsteig suchte der Landrat, von zwei bepackten Trägern gefolgt, den Zug ab.

»Schaffner!« rief er noch einmal aus voller Kehle: »Erster Luzern!«

»Der Zug hat nur Zweiter,« erwiderte der Schaffner trocken und ohne sich zu bewegen.

Der Landrat ließ vor Schreck seine Aktenmappe mit der Krone, die in Deutschland bei Bahn- und Postbeamten Wunder wirkte und die er daher auf allen Reisen mit sich führte, fallen und sagte:

»Wa . . .?« – Und da zu seinem größten Erstaunen der Beamte keinerlei Anstalten machte, ihm die Mappe aufzuheben, so faßte er den Entschluß, sich selbst zu bücken und hob die Mappe auf. Dann schrie er laut nach dem Zugführer.

Aus sämtlichen Fenstern sahen jetzt die Reisenden heraus.

»Wie kommt es?« fragte er den Zugführer, »daß der Zug keine erste Klasse hat?«

»Da müssen Sie sich beim Bundesrat erkundigen.«

»Ja, da bleibt einem doch jar nichts anderes übrig, als auf den nächsten Zug zu warten.«

Der Zugführer schwieg dazu.

»Wann jeht der nächste Zug?« fragte der Landrat.

»Um 7 Uhr 10.«

»Das sind ja noch sieben Stunden. Was is denn das für ’n Betrieb? Da sollten Sie mal bei uns in Deutschland sehen! Dabei sind Sie doch hier nicht einmal im Kriege!«

»Aber Sie in der Schweiz!« rief scharf die Stimme eines Deutschen aus dem Zuge.

Der Landrat wandte sich um und sah an dem Fenster eines Kupees zweiter Klasse einen Herrn, der ihn scharf ansah.

»Ich warte auf den nächsten Zug!« rief der Landrat den Trägern zu.

Als er wieder am Ende des Bahnsteiges angelangt war, sagte einer der Träger zu ihm:

»Der Zug 7 Uhr 10 führt auch keine erste Klasse.«

In diesem Augenblick gab der Zugführer das Signal zur Abfahrt.

»Wie? . . . Was? . . .« rief der Landrat verwirrt. »Welcher denn?«

Der Zug setzte sich eben in Bewegung.

»Es gibt auf der Strecke überhaupt keine erste Klasse,« sagte der Träger.

Der Landrat stutzte einen Augenblick, dann fletschte er breit durch die Zähne:

»Schweinerei!« und sprang auf den langsam aus der Halte fahrenden Zug. »Her die Taschen!« rief er den Trägern zu.

»Das ist ja dritter!« rief ein Träger zurück. Der Landrat glaubte, ihn rühre der Schlag. »Notbremse« reagierte sein Gehirn. Aber auf der Plattform, auf der er stand, gab es keine. Eine Tasche flog ihm auf den Fuß, eine zweite ans Knie, die dritte kullerte auf der andern Seite über die Plattform auf das zweite Geleise und ward nicht mehr gesehen.

»Bezahlen!« riefen die Träger und liefen neben dem Zuge her. Der Landrat griff in die Hosentaschen und warf ihnen ein paar Münzen zu. Die bückten sich und riefen:

»Danke!«

Der Zug war schon aus Romanshorn heraus, da stand im Wind und Zug der Landrat noch immer auf der Plattform. Er orientierte sich, wo er war und stellte bald darauf auch das Fehlen der dritten Tasche fest. Unmöglich konnte er hier bis zur nächsten Station stehen bleiben. Der Schaffner kam und sagte:

»Das Stehen auf der Plattform ist verboten und kostet sechs Franken Strafe.«

Der Landrat zahlte und schleppte sich mit den Taschen in das Abteil. Im selben Augenblick spuckte ein italienischer Fahrgast in weitem Bogen über seinen Nachbarn zum Fenster hinaus. Der Landrat zuckte zusammen und stieß mit den Knien an einen Korb mit lebenden Kaninchen, den eine Händlerin auf dem Schoße hielt. Der Korb fiel zu Boden, die Frau schimpfte laut in Schweizer Deutsch, und ein Dutzend der erschrockenen Tiere hüpfte durch den Wagen und verkroch sich hier und da in den Ecken und unter den Bänken. Alles nahm für die Frau Partei und wandte sich gegen den Landrat, der, das Monokel im Auge, hilflos, in jeder Hand eine Tasche, in dem engen Gang stand. Nur soviel verstand er, daß man von ihm verlangte, die Kaninchen wieder einzufangen. Da er wie angewurzelt stand und sich nicht einmal rührte, als eines der Tiere eben vor ihm über den Gang hüpfte, so nahm die Stimmung der Reisenden einen drohenden Charakter an.

»Ich werde die Meute bezahlen,« sagte er trocken.

»Einfangen!« rief ein stämmiger Schweizer und wies unter seine Bank, unter der ängstlich eins der Tiere hervoräugte.

Der Landrat ließ die Taschen los, trat auf die Bank zu, bückte sich, sagte: »au!« fiel in die Knie, kroch an schwerbenageltem, nach allem Möglichen duftendem Schuhzeug vorüber, hielt den Atem an, zwängte mühsam den Kopf unter die Bank und griff nach dem Tier, das mit einem mächtigen Satz an seinem Gesicht vorbei in die Mitte des Ganges sprang. Der Landrat saß fest und erkannte die Unmöglichkeit, sich wieder zu erheben. Ueber ihm war die Bank und an den Seiten war er von dem benagelten Schuhwerk zweier Schweizer Touristen eingeschlossen, das wie eine mit Maschinengewehren bespickte Mauer stand und ihn bedrohte.

Inzwischen berieten die Fahrgäste über sein Schicksal. Der Schweizer, unter dem er saß, wurde überstimmt und es wurde beschlossen, daß er den Marktwert sämtlicher zwölf Kaninchen zu ersetzen habe. Sie traten mit ihm in Verhandlung; er unterwarf sich bedingungslos. Dann halfen sie ihm auf, er zahlte, zwischen zwei Reisenden, die so schon fest zusammenklebten, wurde mühsam eine kleine Spalte geöffnet, der Landrat hineingesetzt – und die Kaninchen von ein paar behenden Schweizern eingefangen. Man setzte sie ihm auf den Schoß, aber da er energisch protestierte und er die Arme nicht bewegen konnte, so wurden sie ihm abgenommen und der beglückten Marktfrau wieder in den Korb gesetzt.

Ein unternehmungslustiger Schweizer schlug vor, die Tiere zu verlosen. Vierundzwanzig Loose, á zwei Franken, wurden ausgegeben; der Landrat erhielt ein Freilos – und gewann. Wohl oder übel mußte er zum Gaudium der Mitreisenden über eine Stunde lang sein buntscheckiges Kaninchen in den Armen halten, das auf seine grauen Schweden genau so wenig Rücksicht nahm, wie auf seinen neuen, eleganten Reiseanzug. So erinnerte, als er völlig derangiert in Luzern ausstieg, nur noch das Monokel an seinen einstigen Glanz.

Margot, die ihn von weitem sah, erschrak. Und in ihrem ersten Schreck vergaß sie das Trennende.

»Ja, was ist denn mit Ihnen?« rief sie ihm zu. »Prachtvoll! Sie sehen ja aus wie ein Bohémien!« – Nichts konnte ihn mehr treffen. »Erst zwei Stunden lang in der Schweiz und schon derart verdemokratisiert. Ich hatte nicht gedacht, daß Sie so schnell umlernen würden. Aber, sehen Sie, Landrätchen, so gefallen Sie mir.«

Sie hakte sich bei ihm ein, und das ungleiche Paar, das elegante, junge Mädchen und der völlig zerzauste Kavalier, erregten allgemeine Aufmerksamkeit.

Der Landrat, der sich innerlich gelobte, dies freie Land nie wieder zu betreten, wagte nicht, das unruhig auf seinem Arm hockende Kaninchen abzusetzen. Er hatte das Gefühl, daß die Hunderte von Menschen, die auf dem Bahnsteig standen, auf ihn losstürmen und ihn zwingen würden, das Tier wieder einzufangen. Wie eine gegen seine Person mobilisierte Masse empfand er das Schweizer Publikum und hatte nur den Wunsch, sich irgendwohin zu verkriechen, wo ihn niemand sah.

»Wer hat Ihnen das entzückende Tier geschenkt?« fragte ihn Margot.

Der Landrat, der nicht wußte, wo ihm der Kopf stand, sagte:

»Ich habe es gewonnen.«

»Wo?« fragte sie erstaunt. »Sie waren doch nirgends.«

»In der Lotterie,« und da der Ausdruck ihres Gesichts besagte, daß sie ihn noch immer nicht verstand, so fügte er hinzu: »Auf ein Freilos.«

Margot zog den Arm von ihm fort und sah ihn ängstlich an. Er hat den Verstand verloren! dachte sie. Aber gleich darauf lächelte sie auch schon beruhigt und dachte: Am Ende, daß er dann normal wird.

»Werden Sie das Tier nun immer mit sich herumtragen?« fragte Margot. »Wird es Ihnen auf die Dauer nicht lästig werden?«

Der Landrat seufzte laut auf und sagte:

»O diese Schweizer!«

»Gefallen sie Ihnen nicht? Ich empfinde ihre natürliche, offene Art wohltuend. Sie heucheln nicht und man weiß bei ihnen, woran man ist.«

Sie hatten eben das Schiff betreten, da sah sich der Landrat schon nach allen Seiten hin um, lief die Treppe zum Deck hinauf und warf das Kaninchen in weitem Bogen in den See. Eine Frau schrie laut auf, eine zweite fiel in Ohnmacht.

Ein Beamter der Dampfschiffgesellschaft fiel ihm in den Arm und fragte:

»Was war das?«

»Ein Hund!« rief eine Dame. »Ein lebender Hund!«

»Ein Kind! Ich habe es deutlich gesehen!« rief eine andre.

Alles drängte auf den Landrat ein. Der Landrat setzte sich zur Wehr und sagte:

»Nein! Ich springe nicht nach.«

Ein Matrose ließ den Rettungsring hinab; ein zweiter riß sich den Rock vom Leibe und sprang ins Wasser.

Irgend etwas plantschte da unten herum.

Margot lachte laut auf.

»Sie hat den Verstand verloren,« sagte ein Herr; und ein andrer trat auf sie zu und fragte:

»War es Ihr Kind?«

Margot, die vor Lachen kein Wort herausbringen konnte, nickte und wies auf eine Stelle im Wasser, an der ein Kreis das Ende des Kaninchens ankündigte.

Der Matrose tauchte eben unter. In atemloser Spannung folgten ihm alle. Ob er es noch lebend emporbringen wird? stand es in aller Augen.

Ein paar Sekunden und der Kopf des Matrosen tauchte wieder auf. Der Oberkörper folgte. In seinem Arm hielt er ein undefinierbares Etwas. Er schwamm an das Schiff heran und ließ sich emporziehen. Ein hundertfaches Bravo begrüßte ihn.

»Gemeinheit!« rief er und warf das tote Kaninchen auf den Boden. Man stritt sich, ob es ein Hund, eine Katze oder ein Kaninchen sei. Nur für ein Kind hielt es niemand mehr.

Der pitschnasse Matrose trat an den Landrat heran und fragte wütend:

»Warum haben Sie denn das nicht gesagt? Da wär’ ich beinahe für so ein Vieh ersoffen.«

Alle stimmten ihm bei und nahmen dem Landrat gegenüber eine drohende Haltung ein. Margot rettete ihn und die Situation, indem sie dem Matrosen einen Hundertfrankschein in die Hand drückte und den Andern zu verstehen gab, daß der Landrat geistig minderwertig sei.

»Warum sperrt man ihn dann nicht ein?« fragte eine Dame. »So etwas läßt man doch nicht frei herumlaufen.«

Margot, die den Gedanken schon in Berlin gehabt, ihn aber nicht ausgesprochen hatte, erwiderte:

»Wir bringen ihn grade in eine Anstalt.«

Das beruhigte alle. Nur der Matrose grinste und widersprach:

»Von mir aus nicht nötig. Für hundert Franken spring ich gern noch mal hinein.«

Der Landrat erholte sich in der frischen Luft, fand die alte Haltung wieder, ließ sich den Koffer in eine Kabine tragen und richtete sich wieder her. Als das Schiff in Stansstadt hielt, war er wieder der Alte.

»Ja, was war bloß mit Ihnen?« fragte ihn Margot.

Er trat dicht an sie heran und zischte ihr ins Ohr:

»Oh! diese Schweizer!«

»Etwas veredelnd haben sie, scheint’s, ja schon auf Sie gewirkt. Sie sprechen nicht mehr so laut.«

Dann stiegen sie in die Bergbahn, die nach Engelberg fuhr; Margot nahm aus ihrer Handtasche ein Buch heraus und reichte es ihm.

»Nicht wahr, Sie hätten gerne etwas zu lesen,« sagte sie. »Dann brauchen Sie mich nicht zu unterhalten. Reizt Sie der Titel nicht? Ich glaube, ich habe Ihren Geschmack getroffen. Pikant und nicht zu hoch!«

Der Landrat nahm das Buch und las: »Das Sofa« von Crébillon. Der Name gefiel ihm nicht. Vermutlich ein Franzose, dachte er. Aber auf Grund der Erfahrungen der letzten Stunden unterdrückte er jeden Widerspruch. Und als er erst angefangen hatte, in dem Buch zu blättern, ließ er es nicht mehr los, rückte sich zurecht und las ohne Unterbrechung, bis Margot ihn nach anderthalb Stunden anstieß und sagte:

»Herr Landrat, Engelberg!«

Da schnalzte er noch einmal mit der Zunge, reichte Margot das Buch und erwiderte:

»Schade!«

»Sollte ich mal wieder in die Verlegenheit kommen, mit Ihnen zu reisen,« sagte Margot, »dann weiß ich, womit ich Sie zähme.« —

VIII

Inzwischen suchte Frau Julie durch Zerstreuungen aller Art ihrem Sohne das viele Denken zu verunmöglichen. Das war in Engelberg, zumal in Kriegszeiten und unter der strengen Aufsicht der Obersten, nicht leicht. Das Grand Hotel Titlis, in dem er mit etwa achtzig Offizieren interniert war, und in dem natürlich auch Frau Julie wohnte, bot zwar alles, was eine unter den Nachwirkungen langer Gefangenschaft in Frankreich leidende Gesundheit und gebrochener Lebensmut brauchten, um sich zu kräftigen und wieder aufzurichten. Aber eine Krankheit wie die, an der Peter litt, benötigte mehr.

Auch Frau Julie sagte sich bald, daß vielleicht am ehesten, wenn nicht gar allein, eine große Leidenschaft, die mehr als nur ein Rausch war, ihn heilen könne. Aber, wo fand man eine Frau, die gescheit war, Gemüt hatte und jene äußeren Reize besaß, die für eine Neigung auf Seiten Peters Vorbedingung waren? Gab es eine solche Frau überhaupt, die alle diese Vorzüge und Tugenden in sich vereinte? Und fand man sie wirklich, war es dann schon sicher, daß auch sie sich zu Peter neigte? – In Margot sah Frau Julie diese Frau ganz und gar nicht. Oberflächlich und in allem ganz nur auf den Effekt gestellt, hielt sie sie einer tieferen Empfindung überhaupt nicht für fähig. Und so quälte sie sich denn mit dem Gedanken, ob es wohl richtig gewesen war, sie kommen zu lassen.

Peter hatte weniger auf Grund der Unterredung mit dem Obersten als aus Ueberdruß am Tage der Ankunft seiner Mutter den Verkehr mit jener Dame abgebrochen. Auch hatte ihm eine Teegesellschaft im Garten des Hotels gezeigt, wie kritiklos er die ersten Tage jeder Frau gegenüber gestanden hatte. Nach seinem Erleben war es nur natürlich, daß er sich der ersten Frau, die ihm begegnete, war sie nur annehmbar, attachierte. Aber jetzt, wo er am gedeckten Teetisch der Gattin des Hoteliers gegenübersaß, die pikant und mit prickelndem Geist die Unterhaltung führte, setzte auch seine Urteilsfähigkeit wieder ein. Mit graziöser Leichtigkeit hob sie das Niveau und machte taktvoll halt, sobald sie wahrnahm, daß die Herren Offiziere ihr nicht mehr zu folgen vermochten. Mit feiner Ironie spielte sie auf die französischen Offiziere an, die vor den deutschen hier zwei Jahre lang interniert waren. Dies und jenes Thema, das sie unauffällig abzubrechen suchte, nahm Peter auf und kam so warm mit ihr ins Gespräch, daß bald eine geistige Verbindung zwischen ihnen hergestellt war. Noch wußte Peter, der von ihr stark beeindruckt war, nicht, daß es vor allem die warme Güte ihres Herzens war, die wohltuend auf ihn wirkte.

Mit dieser Frau und ihrem Manne, dessen schlichtes und treuherziges Wesen Wärme und Behaglichkeit verbreitete, saßen Peter und seine Mutter bis in den Abend hinein. Nie hatte er anders als vom nationalen und militärischen Gesichtspunkt aus mit seinen Kameraden über den Krieg sprechen können. Hier zum ersten Male war es das von jedem Zweck gelöste, rein Menschliche, das ihnen über allen Dingen stand und daher auch in der Beurteilung des Krieges wesentlicher Faktor war. Nicht um den Ruhm, um die nationale Ehre oder gar um materielle Werte ging es ihnen. Höher als alles stellten sie den Menschen. Und sie begriffen nicht, daß die verantwortlichen Leiter angeblicher Kulturstaaten auf sogenannter christlicher Grundlage Millionen junger Menschenleben auf die Schlachtbank nötigten, wider ihren Willen zum Morden zwangen. Alle Leiden des Krieges besprachen sie mit teilnahmsvollem Herzen. Es waren keine neuen Theorien, kaum tiefgeistige Gedanken, was da entwickelt wurde. Es waren viel eher Selbstverständlichkeiten vorurteilsloser und empfindsamer Menschen, die von der Kriegspsychose unberührt geblieben waren. Was aber das Wesentliche war: es waren die ersten logischen Gedankengänge, deren Peter ohne Ausschaltung des Gefühls seit langem wieder fähig war.

Der Ausdruck seines Gesichts, der Klang seiner Stimme zeigten, daß in seiner zerrissenen Seele doch noch eine Saite klang. Wenn zarte Finger sie behutsam berührten, kam sie in Schwingung und begann zu klingen. Ein Ton, der alle Schwermut trug, zeigte deutlich, wo der Herd der Leiden saß. Konzentriert auf die Gemarterten da unten war sein Schmerz zur Askese geworden. »Vergeistigter Selbstzweck« nannte es der Arzt und meinte damit wohl, daß er alles Körperliche überwunden hatte und im Leiden allein noch des Daseins Zweck sah. Grade durch die Beschränktheit auf diese kleine Gruppe von Menschen konnte sich der Schmerz derart verinnerlichen und vergeistigen; rückte man an die Stelle dieses engbegrenzten Bildes, das immer die gleichen Konturen zeigte, andere im Grundton und in der Stimmung gleiche, erweiterte man den Rahmen ins Riesenhafte ohne die Substanz zu ändern, so begann, um es geistig zu fassen, zunächst einmal auch der Verstand wieder zu funktionieren, und das Gefühl, das sich nun auch anderem zuwandte, büßte, indem es sich verteilte, jene Ausschließlichkeit ein, die sein Gemüt überspannt hatte. – Vertiefte man sich in das Leid eines Einzelnen, so trug man schwerer daran, als wenn man teilnahm an den Schmerzen Aller.

Außer Frau Julie und dem Arzt mühte sich auch Lux, der blonde Husarenoffizier, um Peter. Sein natürliches, offenes Wesen, das von der Ueberhebung und dem steifen Standesbewußtsein vieler seiner Kameraden, die dümmer waren als er, wohltuend abstach, machte ihm schnell überall Freunde.

»Ja, wenn alle wären wie Sie,« sagte ihm eine junge Westschweizerin, »wir würden weniger zur Entente neigen.«

»Wie lange bleiben Sie noch in Engelberg?« fragte Lux.

»Etwa drei Wochen,« gab sie zur Antwort.

Und Lux, der nicht nur ein guter Freund, sondern auch ein guter Patriot war, nahm sich vor, die drei Wochen dazu zu benutzen, um die junge Dame, die aus Genf war und einen großen Anhang hatte, in den drei Wochen zu bekehren. Sie sollte umlernen und als Deutschfreundin in den Kreis ihrer Familie zurückkehren.

Auch mit Peter machte er sie bekannt. Und von seiner Herzlichkeit und der völlig ungezwungenen Art, mit der er sich gab, berührt und überrascht, sagte sie:

»Ich hätte nie gedacht, daß deutsche Offiziere so nett und natürlich sein können.«

Lux sagte:

»Sie kennen uns zu wenig. Die meisten sind wie wir.«

In diesem Augenblick paradierte mit Weltbeherrschermiene und eiskaltem Blick ein Hauptmann vorüber. Er schien es kränkend zu empfinden, daß außer ihm noch andere dasselbe Pflaster traten. Ungnädig streifte er flüchtig die drei, dankte für den Gruß, indem er lässig zwei Finger an die Mütze legte, und hinterließ, als er vorüber war und sie ihm unwillkürlich nachsahen, den peinlichen Eindruck, als wenn er den zum Sitzen bestimmten Teil seines Körpers mit Absicht oder aus Gewohnheit hervorkehrte, um anzudeuten, daß sie ihm alle – gestohlen bleiben könnten.

Und so erwiderte die Dame mit unterdrücktem Lächeln, unter Hinweis auf den Offizier, nur:

»Bitte! Da haben Sie’s! So sind die meisten.«

»Das Schlimme ist,« erwiderte Peter, »daß ein einziger dieser Art mehr Schaden anrichtet als hundert gutmachen können, die sind wie wir. Denn das bleibt haften!«

»Sehr richtig!« sagte die Dame spöttisch. »Ein unvergeßlicher Eindruck.«

Der Hauptmann hatte vor dem Hotel Titlis kehrt gemacht und kam noch einmal bei ihnen vorüber. Diesmal streifte er Lux und Peter mit einem vernichtenden Blick.

»Die wandelnde Ententepropaganda!« sagte die Dame. »Aber kommen Sie, wir sind ihm scheint’s hier im Wege.«

Gegen Abend war die übliche Offiziersversammlung. Im Saal der Kuranstalt versammelten sich die Herren Offiziere, bewegten, begrüßten und unterhielten sich vom Wetter, von der Verpflegung, von neu angekommenen Frauen und vom bewilligten oder verweigerten Urlaub nach Luzern. Diese wie ein stürmisches Meer in steter Bewegung rauschende Masse erstarrte plötzlich zu Eis; spiegelglatt und unbeweglich verschmolz sie in eins. Sechshundert Körper erstarrten wie vom Schlage getroffen. Unterschiedslos standen sie wie Pfähle, die sich nur im Ausmaß voneinander unterschieden. Jedes Persönlichkeitsmerkmal war verschwunden.

»Guten Morgen, meine Herren!« sagte der Oberst, als er in den Saal trat. Warf einen Blick auf die Offiziere und kommandierte: »Rührt euch!«

Zaghaft und kantig setzte die Bewegung wieder ein. Wie bei einem aufgezogenen Mechanismus setzten sie im selben Augenblick steif das rechte Bein nach vorn.

»Meine Herren,« begann der Oberst und machte zunächst einige dienstliche Mitteilungen. Das geschah in dem üblichen militärischen Ton. Dann aber ließ er die Stimme warm anschwellen und man fühlte, daß, was er nun sagte, wirklich aus dem Herzen kam. »Meine Herren!« schmetterte er in den Saal. »Ich muß es leider immer wieder sagen: Vergessen Sie nicht, daß wir hier die Gastfreundschaft der Schweiz genießen und daher alles vermeiden müssen, was irgendwie Anstoß und Aergernis erregen könnte. Da wir leider nicht mehr draußen für unser Vaterland kämpfen können, so ist es doppelt unsere Pflicht, hier Sympathien für die Schweiz zu werben. Meine Herren, das können wir! Und das wollen wir! Das setzt vor allem ein würdiges Auftreten voraus. Aber, meine Herren, ist das würdig, wenn deutsche Offiziere ihrem Stand soviel vergeben und sich« – des Obersten Stimme zitterte vor Erregung – »hier mit Saaltöchtern abgeben?« In empörtem Murmeln äußerte sich das verletzte Standesbewußtsein. Der blonde Husar errötete und senkte den Kopf. »Es ist mir hinterbracht worden,« fuhr der Oberst fort, »und zwar von durchaus zuverlässiger Seite« – der steife Hauptmann räusperte sich – »daß gestern nachmittag um fünf Uhr fünfzehn, also am hellerlichten Tage, ein Offizier sich stehend mit einer Saaltochter, die auf einer Bank saß und – denken Sie, meine Herren! – gar nicht daran dachte, aufzustehen, über zwanzig Minuten lang unterhalten hat! Ja, meine Herren, da hört doch alles auf! Aber etwas noch viel Schlimmeres ist geschehen! Denken Sie, zwei unserer Herren unterhalten sich auf offener Straße mit einer Dame in französischer Sprache, und schämen sich nicht, als sie sich von einem ihrer Kameraden beobachtet sehen« – der Hauptmann verzog den Mund – »die nächste Konditorei aufzusuchen, wo sie immer in Gesellschaft dieser Dame und immer Französisch sprechend, fast eine Stunde lang verweilten. Meine Herren, das gehört sich nicht. Das kompromittiert Sie und uns alle. Derartige Verstöße werde ich von heute ab auf das allerstrengste bestrafen.« – Er wandte sich an Lux und Peter. »Ich untersage Ihnen diesen Verkehr. Schlimm genug, daß man das erst verbieten muß! Im übrigen: eh’ ich’s vergesse: Saaltöchter sind keine Kellnerinnen, das heißt, Kellnerinnen sind se doch, aber anders als bei uns. Saaltöchter sind anständige Mädchen und aus achtbaren Familien. Behandeln Sie sie dementsprechend.« – In Lux’ Gehirn gab es ein kleines Durcheinander, das bedenklichen Charakter annahm, als der Oberst schloß: »Und zum Schluß nochmals: Unterlassen Sie alles, was übel auffallen und Anstoß erregen könnte; tun Sie alles, was uns in der Schweiz Sympathien wirbt.« – Er legte die Hand an die Mütze, zum Zeichen, daß die Versammlung beendet war.

Lux und Peter sahen sich an und staunten.

»Ich red’ mit ihm,« sagte Lux. Peter riet ab und erwiderte:

»Er wird dich nicht verstehn.«

»Ich versuch’s.« —

»Wie?« polterte der Oberst ehrlich entrüstet, als Lux ihm die Zusammenhänge erklärte: »Und das verteidigen Sie noch?«

»Weil Herr Oberst doch sagten, wir sollen Sympathien für Deutschland erwerben.«

»Aber auf würdige, anständige Art, ohne unserem Stande etwas zu vergeben,« erwiderte der Oberst.

Peter mischte sich in das Gespräch:

»Ich hielt diese Art für anständig.«

»Schlimm genug! Sie sind nun doch wohl vom Gegenteil überzeugt?«

»Nein, Herr Oberst!«

Der Oberst fuhr zurück.

»Ich würde es für dumm, unanständig und schädlich halten, wenn wir den Verkehr mit dieser Dame plötzlich und unmotiviert abbrächen!«

»Wie? was?« rief der Oberst entsetzt und wiederholte: »Dumm! unmotiviert! schädlich! Meine Befehle? Herr Oberleutnant, sind Sie des Teufels? Drei Tage Arrest! Und wenn Sie dann noch nicht den Sinn meines Befehles erfaßt haben, dann fehlt Ihnen ganz einfach jedes Standesbewußtsein.«

»Allerdings, Herr Oberst, das fehlt mir.«

»Sie sind toll!« fuhr er ihn ab.

Peter schüttelte den Kopf und sagte leise.

»Nein! Toll nicht. Krank vielleicht.«

Der Oberst hatte jetzt einen krebsroten Kopf.

»Die Krankheit werde ich Ihnen austreiben!« brüllte er ihn an. »Darauf können Sie sich verlassen.« – Dann wandte er ihm den Rücken und ließ ihn stehen.

Draußen erwartete ihn der Hauptmann.

»Da kann man sich nicht wundern,« sagte der Oberst erregt, »daß man hier noch immer auf Sympathien für die Franzosen stößt! Wenn Kerls sich so aufführen wie dieser Reinhart.«

»Ich hielt’s für meine Pflicht, Herr Oberst, jehorsamst Meldung zu erstatten.«

»Selbstredend! Ich bin Ihnen sehr dankbar. Wären alle wie Sie, es gäbe bald keinen Deutschenfeind mehr.«

»Sehr schmeichelhaft, Herr Oberst. Werde weiter bemüht sein, durch standesgemäßes Auftreten für unser Vaterland im Ausland zu wirken.«

Und er hielt Wort. Denn als er eine halbe Stunde später in dem wie Samstag stets von Einheimischen überfüllten Coiffeurladen saß und der Gehilfe ihn etwas gewissenhaft einseifte, trieb er ihn an.

»Vorwärts! mehr Zug jefälligst. Ich fahre nach Luzern.« Von der Kasse im Innern des Ladens her rief ihm der Besitzer, der grade den Einheimischen die militärische und politische Lage der letzten Woche in durchaus deutschfreundlichem Sinne explizierte, zu:

»Verzeihung, Herr Hauptmann, seit dem 15. August fährt die Bahn eine Viertelstunde später.«

Der Hauptmann schob den Gehilfen zur Seite, drehte sich nach dem Innern des Ladens hin um und rief dem Besitzer so breit wie möglich zu:

»Ich pflege mich nicht mit Coiffeuren zu unterhalten.«

Das Bild dieses Hauptmanns prägte sich unauslöschlich in die Gehirnkästen sämtlicher anwesenden Schweizer ein, in denen er von nun ab zeitlebens als der Typ des deutschen Offiziers fortlebte.

Um so schneller verwischte sich bei der Genfer Dame der gute Eindruck von Peter und Lux. Die gingen ihr befehlsgemäß aus dem Wege, was sich trotz aller Vorsicht und allem Takt in diesem kleinen Orte unauffällig nicht bewirken ließ. Und es war nur natürlich, daß sie aus dem veränderten Verhalten ihre Schlüsse zog und hinter der anfänglichen Freundlichkeit allerhand vermutete und es nicht grade zugunsten der beiden auslegte.

Von den Offizieren nahm wohl die Mehrzahl einen bitteren Geschmack von der Versammlung mit; viele aber stimmten dem Obersten zu und waren entrüstet wie er.

»Es herrscht ein falscher Geist in unseren Kreisen,« sagte Lux.

Peter sah tiefer und erwiderte:

»Es fehlt ihnen der menschliche Zug. Und daher der Zusammenhang von Mensch, zu Menschen. Sie betrachten die Welt von dem engbegrenzten Gesichtswinkel des Exerzierplatzes aus und müssen daher zu schiefen Urteilen kommen. Ihr Verstand marschiert in langsamem Schritt, und wo bei uns das Herz sitzt, haben sie das Standesbewußtsein. Daher das scharf Trennende zwischen ihnen und allen, die nicht zu ihnen gehören. Alles an ihnen ist uniformiert; selbst das Gefühl; und wenn sie in Badehosen herumlaufen, so erkennt man auf hundert Schritte doch noch den uniformierten Menschen.«