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Czytaj książkę: «Wie Satan starb », strona 18

Czcionka:

Das ist die Gerechtigkeit, dachte Margot. Aber der Baron, der sich nicht mehr in der Gewalt hatte, hob die Faust und schlug auf Pia ein.

»Du Dreck!« rief er.

Im selben Augenblick fiel Peter ihm in den Arm und stieß ihn zurück. Er taumelte und glitt auf einen Sessel, der in der Nähe stand.

Margot war an Pia herangetreten und half ihr auf.

»Kommen Sie mit uns,« sagte sie gütig.

»Darf ich das?« fragte ihr Blick. Margot legte ihren Arm um sie und führte sie hinaus.

Inzwischen hatte der Baron einen Briefbeschwerer vom Schreibtisch genommen und war im Begriff, sich damit auf Peter zu stürzen. Der schlug ihn ihm aus der Hand.

»Sie werden mir Rechenschaft geben!« brüllte der Baron. Peter stand unbeweglich, schüttelte den Kopf und sagte in aller Ruhe:

»Ich? – Nein! – Die geben Sie sich gefälligst selbst. Aber gewissenhaft! Und wenn Sie dann noch Achtung vor sich haben, dann stehe ich Ihnen gern Rede und Antwort.«

Peter wandte sich um und ging.

Draußen erwarteten ihn Margot und Pia, die sich schnell einen Mantel übergeworfen hatte.

»Sie ist gut!« sagte Margot. »Und sie will uns helfen, die arme Mutter suchen.«

XXV

Peter und Margot saßen bei Frau Julie von Reinhart und erzählten ihr, was sie alles seit Engelberg gefühlt, gedacht und durchlebt hatten. Daß sie ihre Gefühle bereits in die Tat umgesetzt hätten und nun entschlossen seien, sich nie mehr voneinander zu trennen.

Für Frau Julie kam alles das etwas überraschend. Zwar wußte sie längst, daß Peter eigene Wege ging, sich gesellschaftlich immer mehr emanzipierte und immer bestimmter den Grundsatz vertrat: wir Menschen sind nicht dazu da, einander wirtschaftlich und sozial den Rang abzulaufen und zu bekämpfen, sondern uns zu verstehen, zu lieben und gegenseitig zu helfen.

Und theoretisch hatte Frau Julie dies Programm durchaus gebilligt. Aber sie glaubte nicht an die Möglichkeit seiner Durchführung. Peter ging immer wieder von dem Grundsatz aus: Der Mensch ist gut. Und als ihm Frau Julie das endlich glaubte, mehr freilich unter dem starken Eindruck seines Glaubens und der Güte seines Herzens als aus Ueberzeugung, da fuhr Peter fort:

»Wenn du das zugibst, Mutter, dann gehörst du uns. Denn sieh, Herrschsucht, Habgier und Gewalt Weniger haben die Menschen schließlich dazu gebracht, daß sie ihre wahre Natur verleugneten, sich das Gute mißgönnten, einander bekämpften, haßten, töteten. Wenn nun viele Gütige der wahren Natur des Menschen das Wort redeten und sie anhielten, Gutes zu tun um des Guten willen und ihnen den Stachel, den man ihnen ins Blut trieb, nehmen, so daß sie von Haß, Neid, Habgier, unter denen sie ja doch wie unter einer Krankheit leiden, frei würden, meinst du nicht, daß sie dann freier, glücklicher und zufriedener würden.«

»Ganz gewiß,« stimmte Frau Julie zu. »Und ich für meine Person und vor allem dein gütiger Vater haben immer so gefühlt, wie du, mein Junge. Leider machten es gerade ihm tausenderlei Rücksichten unmöglich, danach zu handeln und zu leben. Die gesellschaftliche Ordnung litt es nicht. Die ganze Welt war eben nicht darauf eingestellt.«

»Dann stellt sie um!« rief Peter. »Das ist es ja, was wir wollen. Glaube mir, Mutter, die Dinge haben sich zugespitzt bis zum Aeußersten. Und die Frage ist heute nur noch die: soll die ganze Menschheit weiter der Gewalt Weniger ausgeliefert werden, soll Terror herrschen – von oben oder von unten, das bleibt sich gleich – oder soll die Liebe herrschen? Unter ihr nur kann die Welt bestehen. Dann aber müssen die, die bisher herrschten, zu den Unterdrückten herabsteigen, sich mit ihnen an einen Tisch setzen und ihnen sagen: wir alle sind Brüder und Schwestern, uns alle eint eine Liebe. Wir dürfen nicht mit ansehen und nie mehr dulden, daß ein Bruder oder eine Schwester leidet, so lange es uns gut geht. Und unser aller Glück soll nicht mehr darin bestehen, daß wir Reichtümer sammeln und uns über die erheben, die weniger haben, sondern daß wir mit denen teilen, die entbehren und denen es schlecht geht. Und wer sich von den Lippen abspart, um einem Kranken zu helfen, muß geehrt und geachtet sein und muß mehr gelten als einer, der äußere Ehrenzeichen und Titel besitzt und Millionen. Das muß die Menschheit einsehen. Nicht um der ewigen Seligkeit willen, die man bisher wie eine Prämie für gutes Betragen gläubigen Kindern in Aussicht stellte. Nein! um ihrer selbst, um ihres irdischen Wohlbehagens willen. Es darf nicht mehr heißen: Selig sind die Armen und die Leidtragenden, denn ihrer ist das Himmelreich, sondern: Auf Erden glücklich und angesehen sind, die die Menschen lieben und von ihnen geliebt werden.«

»Mit alledem hast du recht, mein Kind, und du sprichst mir damit aus der Seele,« erwiderte Frau Julie. »Und wenn ihr euch so lieb habt und den dornenvollen Weg, der Menschen Haß in Liebe zu wandeln, gehen wollt, so tut’s. Meinen Segen habt ihr!«

Margot küßte Frau Julie auf Hand und Stirn. Aber die zog sie an sich, nahm Margots Kopf zwischen ihre Hände und küßte sie auf den Mund.

»Du bist von heute ab mein Kind, mein Herz gehört nun auch dir! Meine Liebe zu Peter schließt dich mit ein. Aber mein Herz, das noch die Liebe meines guten Mannes trägt, genau so stark wie am Tage, an dem ich ihn verlor, gibt dir, Margot, auch von seiner Liebe. Es ist das Teuerste, was ich dir geben kann.«

»Ich fühle,« sagte Peter dankbar und gerührt, »daß Vater, du und wir beide durch ein und dieselbe Liebe nun für immer miteinander verbunden sind. Jetzt erst bist du ganz mein, Margot.«

Er fiel vor Frau Julie, die noch immer Margot in den Armen hielt, auf die Knie und ergriff ihre Hand. Margot glitt neben ihn. Frau Julie legte ihre weißen Hände auf Peters und Margots Haupt und sagte:

»An Stelle eures Vaters, meines guten Mannes, segne ich euch, geliebte Kinder. Da er glücklich mit euch gewesen wäre, so bin auch ich es. Haltet fest in eurer Liebe. Dann mag kommen, was will.«

Sie küßte beide. Dann standen sie auf. Und alle drei saßen noch bis in die Nacht beieinander.

XXVI

»Das war eine Feier! Teufel ja! Davon sollte man in Berlin reden! Im fünften Kriegsjahr! Kaviar mit Pellkartoffeln und Butter. Schon in Friedenszeiten eine kleine Sensation. Und der kleine, blasse Russe, der in einem schlecht sitzenden Frack an der Schmalseite der langen Tafel saß, verriet nicht, daß er in seiner Eigenschaft als Gehilfe beim Sowjetgesandten in Berlin dies erlesene Gericht »vermittelt« hatte. Echte Schildkrötensuppe in Tassen.

»Die hatten wir neulich bei uns auch!« protzte Fräulein Oppen laut, damit Frau Kommerzienrat Priester, die brillantenschimmernde Wirtin, es auch ja hörte.

»Warten Sie nur ab!« parierte die über den Tisch hinüber. »Wir sind erst beim Anfang.«

Als der frische Rheinsalm in Butter aufgetragen wurde, trank Frau Kommerzienrat Priester heimlich einem Herrn am Ende des Tisches zu, der ganz wie ein königlicher Lakai aussah und tatsächlich in Küchendiensten Sr. Majestät des Kaisers stand.

»Die Frau versteht es,« flüsterte ein fettleibiger, kleiner Herr mit Glatze seiner weit über die Schultern dekolletierten runden Frau zu. Und die erwiderte:

»Hättest du in Leder statt in Patriotismus gemacht, wir könnten alle Tage Rheinsalm essen.«

Kommerzienrat Priester stand auf und schlug ans Glas. Eine hysterische Dame verschluckte sich, rief laut:

»Hilfe! eine Gräte!« und spuckte ihrem Tischnachbarn, der mit seinen beringten Händen so grob auf ihren nackten Rücken schlug, daß es große, rote Flecke gab, ein Stück Lachs auf den Teller.

»Verehrtes Publikum!« begann Kommerzienrat Priester, in Firma A. W. Priester Leder engros, der zum ersten Male in seinem Leben einen Toast hielt.

Da die hysterische Dame noch immer hustete, so rief erst Frau Priester und dann eine Zahl anderer Gäste:

»Pst! Ruhe! Pst!«

»Ein seltenes und erhabenes Fest,« fuhr Kommerzienrat Priester fort, »das ganz der Größe der Zeit entspricht, in der zu leben wir das Glück haben.«

»Hilfe!« schrie die hysterische Dame. »Ich ersticke!«

Und ihr Nachbar, der gerade das Stück Lachs mit Gräte auf seine Genießbarkeit hin mit Messer und Gabel bearbeitete, wandte sich zu ihr um und sagte:

»Machen Sie keine Witze. Jetzt vor dem jungen Gänsebraten.«

»Gießt ihr Wasser in die Kehle!« rief ein Herr; aber Frau Kommerzienrat Priester opponierte und schrie:

»Unsinn! Gießen Sie ihr Sekt ein! Bei uns gibt’s kein Wasser.«

Der Herr rechts von der Dame führte den Befehl aus, und nun verschluckte sich die hysterische Dame wirklich.

Trotzdem fuhr Kommerzienrat Priester fort:

»Es sind nicht nur lukullische Genüsse, die uns veranlaßt haben, unsere engeren und auch weiteren Freunde zu uns zu bitten. Es ist ein Ereignis von weittragender Bedeutung.«

Zwei Kellner hatten inzwischen auf einen Wink von Frau Priester die hysterische Dame unter den Arm genommen und hinausgeführt. Ihr Tischnachbar atmete auf und dachte: wenn sie nur erstickt und nicht wiederkommt, damit ich in Ruhe essen kann.

»Der deutsche Adel und der deutsche Bürgerstand,« setzte Priester seine Rede fort und wandte sich an den Baron von Posch, der neben seiner strahlenden Braut Melanie saß, »haben in unserem Vaterlande ja nicht erst seit heute Berührungspunkte. Immerhin war es bisher meist der junge und der mittlere Adel, der von den Gewohnheiten seiner Ahnen abwich und zu dem Bürgerstande hinabstieg. Heute aber kann ich Ihnen verkünden, daß auch der Uradel von der Liebe Macht bezwungen . . .«

»Himmlisch!« rief ein junges Mädchen, schlug die Augen nieder und drückte ihr Knie noch fester an das ihres Tischherrn.

». . . von der Liebe Macht bezwungen,« wiederholte der Kommerzienrat pathetisch, »sich von . . .«

». . . ihrem Gelde hat einfangen lassen,« beendete Baron von Zobel, der in der Nähe des Redners saß, leise den Satz.

Da es nur seine allernächste Umgebung hörte, die teils lächelte, teils entrüstet tat, so brachte es den Redner nicht aus dem Konzept. Der machte nur eine kleine Pause und sagte dann:

». . . sich von überlieferten Gebräuchen als modern und praktisch denkender Mensch losgesagt hat.«

»Bravo!« rief mit vollem, fettigem Munde Herr Johannes Koch, ehemals Isi Kohn, jetzt Vorstandsmitglied der Deutschen Vaterlandspartei.

»Und so kann ich denn heute in dem Edlen und Freien Herrn von Posch-Gräfenberg meinen verehrten Schwiegersohn, den Bräutigam meiner ältesten Tochter Melanie, begrüßen.«

Die Ungeduld der Verwandten und Bekannten, die seit Jahren auf die Verkündung dieses Ereignisses gewartet hatten, löste sich statt in einem Hoch- und Beifallsturm in den allgemeinen Ruf:

»Endlich!«

»So sage auch ich,« dachte der Kommerzienrat, sprach es aber nicht aus. Da dies »endlich« jedoch wie ein Vorwurf für den Baron und wie eine Kränkung für ihn und seine Tochter klang, so ging er auf den Zwischenruf ein und sagte:

»Dies freudige Ereignis« – einige Paare grienten und stießen sich unter dem Tische an – »wäre schon früher eingetreten, wenn der Baron in dem seinem Stande eigenen Takt, nicht mit Rücksicht auf unsere Tochter Hilla so lange gezögert hätte.«

Kein Mensch verstand das. Alle sahen neugierig zu ihm auf.

»Melanie und Hilla sind Zwillinge. Aber sie kamen nicht nur gleichzeitig zur Welt, sie lernten auch gleichzeitig gehen, lesen, schreiben, tanzen – kurz: was die eine tat, das tat auch die andere. Und so schwankte der Baron von Posch, mein Schwiegersohn, da die bestehenden Gesetze eine Doppelehe selbst für Zwillinge nicht vorsehen, wem von meinen beiden Töchtern er sich erklären sollte.«

Hilla traten Tränen in die Augen.

»Der seinem Stande eigene Ordnungssinn und sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl ließen ihn meine Tochter Melanie wählen, die durch des Allmächtigen Fügung zwanzig Minuten vor ihrer Schwester Hilla das Licht der Welt erblickte.«

Hilla brach jetzt in lautes Schluchzen aus.

»Aber tröste dich, teure Tochter,« wandte sich der Kommerzienrat an Hilla, »nun, wo der bürgerliche Bann bei uns gebrochen ist und der Uradel seinen feierlichen Einzug in unsere Familie gehalten hat, sind alle trennenden Schranken gefallen. Zwischen der Bourgeoisie auf ihrem Zenith« – er machte eine Pause, um die Wirkung dieses Ausdruckes, der, wie Hillas Tränen und die ganze Rede einstudiert war, auszukosten – »zwischen der Bourgeoisie auf ihrem Zenith« wiederholte er, »und dem Adel besteht nichts Trennendes mehr. In euch, lieber Schwiegersohn und liebe Tochter, vereinigen sich Geburts- und Finanzadel zu einem harmonischen Ganzen. Daher bitte ich Sie, mit mir einzustimmen in ein Hoch auf unser erlauchtes Brautpaar. Es lebe hoch!«

»Hoch!« riefen alle.

»Und noch einmal: Hoch!«

»Und zum dritten Male: Hoch!«

»Hoch!« schallte es abermals durch den Saal.

Dann klangen die Gläser aneinander. Baron Posch klemmte sein Monokel fest und rief dem Kommerzienrat zu:

»Famos, Schwiegerpapa! wirklich janz ausgezeichnet. Der geborene Parlamentarier. – Bei den nächsten Reichstagswahlen mußt de unbedingt kandidieren; bei den Konservativen natürlich; das bist de mir schuldig.«

Der Kommerzienrat dachte bei dem Wort »schuldig« automatisch an die Summe, die ihm der Baron schuldig war und erwiderte:

»Selbstredend, lieber Schwiegersohn.« – Seine Nachbarin, Frau Rosen, Margots Mutter, flüsterte ihm etwas zu, worauf er sich schnell noch einmal erhob und ihm über den Tisch hin zurief:

»Nobleß obliesch!«

Der Baron winkte ihm gönnerhaft mit der Hand zu, worauf wieder Ruhe eintrat, die während des ganzen nächsten Ganges, den jungen Enten mit Gurkensalat, anhielt. Sehr zum Verdruß von Frau Kommerzienrat Priester, die immer darauf wartete, daß eine der Damen nach der Quelle der Enten fragen würde, worauf sie bereits die Antwort und den Preis, plus zehn Prozent Aufschlag, bereit hatte. Aber es tat ihr niemand den Gefallen.

Nach der Ente, während der fortgesetzt Heidsieck, Grand Vin 1904, gereicht wurde, ließ sich ein alter Rückenmärkler von zwei livrierten Dienern, die ihn auch, während er sprach, stützten, in die Höhe heben, klopfte ans Glas nun sagte:

»Verehrte Festgenossen! Als Senior der Freien und Edlen Herren von Posch-Gräfenberg will ich mich als einziger Vertreter der Familie nicht der Pflicht entziehen, für die Worte des Herrn Vorredners zu danken. Auf den materiellen Teil seiner Rede will ich nicht eingehen. Ich habe stets an den Traditionen unseres Hauses festgehalten und niemand kann von mir verlangen, daß ich auf meine alten Tage umlerne. Trotzdem begrüße ich, vor dies fait accompli gestellt, Sie, verehrte Braut, als jüngstes Mitglied des Freiherrlichen Hauses von Posch-Gräfenberg und heiße Sie in unserer Familie willkommen.«

»Steh’ auf!« rief Frau Kommerzienrat Priester ihrer Tochter zu. Aber Frau Rosen winkte ab und sagte laut:

»Unsinn, Kind, bleiben Sie sitzen!« worauf die arme Melanie in die höchste Verlegenheit geriet und sich abwechselnd erhob und wieder setzte, bis der Baron sie mit einem energischen Griff auf den Stuhl drückte und ihr wütend zuflüsterte:

»Zum Donnerwetter! so sitz’ schon still!«

»Ich will hoffen,« fuhr der Baron in seiner Rede, die Frau Priester bereits zu Tränen rührte, fort, »daß Sie sich nun auch dem Geiste nach von dem Alten lossagen und sich bemühen werden, wie wir zu denken und zu fühlen, damit Sie nicht nur äußerlich die bevorzugte Stellung, die Sie sich durch die Ehe mit meinem Neffen erringen, einnehmen – wenigstens, soweit sich Angeborenes und durch Jahrhunderte Ueberkommenes überhaupt anlernen läßt. In dieser Erwartung hebe ich mein Glas und trinke namens derer von Posch-Axeldorf-Axelhöhle«, in diesem Augenblick flitzte die ganze Gesellschaft wie elektrisiert von den Stühlen – »auf Ihr Wohl und das meines Neffen.«

Das Hoch, das alle erwartet hatten, blieb aus. Der alte Baron trank, während alle standen und andächtig zu ihm emporschauten, sein Glas aus und ließ sich dann in den eigens für ihn bereitgestellten Sessel gleiten.

Als er saß, rief der Landrat von Moll, der in seiner Nähe saß:

»Bravo!« und klatschte in die Hände, worauf ein allgemeines Bravorufen und Händeklatschen einsetzte, für das nicht die geringste Veranlassung vorlag und das dem alten Herrn, der froh war, sich seiner Pflicht entledigt zu haben, denn auch äußerst unangenehm schien.

»Ihre Tochter muß aufstehen und sich bedanken,« flüsterte Frau Rosen dem Kommerzienrat Priester zu. Im selben Augenblick hatte der Baron seine Braut schon ziemlich unsanft bei der Hand genommen und zu seinem Onkel geführt.

»Küß ihm die Hand!« befahl er ihr, als sie in seiner Nähe waren.

Melanie, die kugelrund und ein Tolpatsch war, goß dabei dem alten Herrn den eiskalten Sekt über die Frackhosen, so daß der unwillig die Hand zurückzog und sich abwandte.

»Verzeih’!« flüsterte der junge Baron seinem Onkel zu. Der maß ihn mit einem verächtlichen Blick und sagte leise:

»Schäm’ dich!«

Die Gäste, die alles das nur sahen, aber nicht verstanden, taten sehr interessiert und setzten, als Melanie dem Greis die Hand küßte, ein teilnahmvolles Lächeln auf. Dann wandten sie sich dem nächsten Gange: kleinen Rehfilets mit Riesentrüffeln zu, sperrten die Mäuler weit auf und sagten:

»Ah!«

»Darf man die Quelle erfahren, Frau Kommerzienrat?« fragte neugierig ein Herr.

»Eignes Gewächs,« erwiderte Frau Priester.

»Wie? – das Reh oder die Trüffeln?«

»Beides,« erwiderte sie; ließ sich aber, als sie jetzt mehr als sechzig Augen fragend trafen, auf keine Details ein, sondern sagte: »Man hat eben seine Verbindungen.«

Der Landrat von Moll hatte auf das andere Brautpaar, das unter den Gästen war, reden wollen. Aber Peter und Margot hatten es sich verbeten.

»Wir sind nur gekommen,« hatte Peter gesagt, »weil Baron Posch sich durch uns gekränkt fühlte und weil wir ihm zeigen wollten, daß es unsere Absicht war, ihn zu überzeugen, aber nicht ihn zu kränken.«

»Das schließt nicht aus, daß man ein paar Worte auf euch spricht,« erwiderte der Landrat.

»Hier nicht!« lehnte Peter ab.

»Ich jebe ja zu, die Jesellschaft ist jemischt,« erwiderte der Landrat, »aber als Aufsichtsratsmitglieder von A. W. Priester Leder engros haben wir uns nicht gut ausschließen können.«

»Ihr wißt ja, warum ihr’s tut,« erwiderte Peter. »Aber uns laßt bitte aus dem Spiel.«

»Ja, aber irgend etwas erwartet man von uns,« sagte der Landrat. »Und ich weiß, Priesters legen Wert darauf, daß eure Verlobung bei ihnen verkündet wird. Das spricht sich herum und hebt ihr jesellschaftliches Niveau – was sie übrigens verdammt notwendig haben.«

»Wenn es das ist,« erwiderte Peter, »das Vergnügen kann ihnen werden.«

»Dann darf ich also . . .?« fragte der Landrat.

»O nein!« lehnte Peter ab. »Du nicht. Das besorgen wir selbst. Und zwar in sehr feierlicher Form.«

»Ja, wie und wann?«

»Wenn das Fest auf seinem Höhepunkte steht. Sozusagen als Schlußapotheose.«

»Ihr habt das vorbereitet?«

»Bis in alle Details.«

»Wissen das Priesters?«

»Nein! Es soll für alle eine Ueberraschung sein.«

»Ausjezeichnet! Aber verkünden oder wenigstens andeuten kann man’s doch?«

»Gewiß! – Und zwar ist keiner geeigneter dazu als du,«  erwiderte Peter. »Wenn es soweit ist, dann sag’ ich’s dir.«

»Abjemacht!« sagte der Landrat und streckte Peter die Hand über den Tisch. Peter schlug ein.

»Man muß für seine dreißigtausend Mark jährlich Aufsichtsratsgelder doch wenigstens etwas leisten,« sagte der Landrat und trank sein volles Glas in einem Zuge aus. Im selben Augenblick stand Baron von Zobel auf und klopfte ans Glas.

»Meine Damen und Herren!« begann er. »Zusammengeschweißt in eiserner Zeit, da Deutschland zu seinem letzten großen Schlage ausholt, um seine Feinde in die Knie zu zwingen, reichen sich zwei Menschen, die die Liebe zusammenführt, die Hände fürs Leben. Sozusagen unter dem Donner der Geschütze knallen hier die Verlobungspfropfen« —

»Bravo!« rief ein Idiot.

»Große Taten sind vollbracht. Größere werden noch folgen« —

»Bravo!« riefen jetzt viele Stimmen.

»Unser herrlicher Kaiser . . .«

Alles erhob sich.

»Unsere großen Feldherren!«

Lautes Händeklatschen und Bravogeheul machte die weitere Rede unverständlich. Einzelne Worte, wie: »Tirpitz – Flotte – glänzende Zukunft – herrliche Zeiten —« hörte man noch, dann hob man den Redner auf den Stuhl und mit dröhnender Stimme schmetterte er in den Saal: »Unser allergnädigster Kaiser und Herr, hurra! hurra!! hurra!!!«

Die kleine Kapelle spielte »Heil dir im Siegerkranz«; die Männer warfen die Köpfe zurück, streckten die Brust heraus, daß die Frackhemden aus den weißen Westen traten, rissen die Mäuler auf, daß sie bis an die Ohren reichten und sangen das hohe Lied zu Ehren des Herrn, der ihnen mehr galt als Gott, als Haus und Hof, als Frau und Kinder. Und die Frauen spitzten die Münder und sahen verzückt zu ihren Männern auf, den freien und stolzen Vätern ihrer Kinder.

Als die Kellner die Schokoladenbombe mit veritabler Schlagsahne in den Eßsaal trugen, lief den Gästen das Wasser im Munde zusammen. Selbst Frau Rosen, die aus Neid mit ihrer Bewunderung bisher zurückgehalten hatte, verlor ihre Beherrschung und rief:

»Frau Kommerzienrat, das ist die Piéce de résistance! Wie machen Sie das nur?«

»Hätten Sie Ihre Tochter meinem Sohne gegeben, so könnten Sie das alle Tage essen,« erwiderte Frau Priester, »und wenn der Krieg nochmals vier Jahre dauert.«

Dein Wort in Gottes Ohr, dachte Kommerzienrat Priester, beherrschte sich aber und sprach es nicht aus. Als aber Margot entrüstet meinte:

»Wie können Sie so etwas sagen, Frau Priester, noch vier Jahre!« da hielt es ihn nicht und er meinte:

»Wissen kann man es nicht. Jedenfalls: wir halten durch!«

»Wer!« fragte Margot.

»Wir, das Hinterland.«

Margot wollte etwas erwidern, aber Peter hielt sie zurück.

So war es denn nur Frau von Zobel, die fragte:

»Und die Front?«

»Steht bombenfest,« rief der Landrat von Moll. »Mein Vetter war vorige Woche im großen Hauptquartier Ludendorf« – alle Gesichter schnellten in die Höhe – »ist voller Siegeszuversicht. Je mehr Amerikaner nach Europa kommen, um so besser. Um so mehr können wir abknallen.«

Die meisten lachten laut auf; Frau Rosen legte Gabel und Löffel hin, lehnte sich in ihren Stuhl zurück und sagte schwärmerisch:

»Ueberhaupt: Ludendorf!«

Frau Kommerzienrat Priester schlug die Augen auf und erwiderte:

»Mir ganz aus der Seele gesprochen. Das ist ein Mann!«

»Den macht uns niemand nach,« sagte eine Dame.

Irgendwer brach noch eine Lanze für Tirpitz, Landrat von Moll propagierte für die deutsche Vaterlandspartei, der jeder halbwegs anständige Mensch beitreten müsse, die jungen Mädchen kicherten und stießen auf den Sieger von Longwy an, der Champagner floß in Strömen, die Stimmung war aufs höchste gestiegen, als Peter aufstand, laut an das Glas klopfte und also sprach:

»Festgenossen!

Während wir hier Feste feiern, als wären wir im tiefsten Frieden, geht draußen die Welt aus den Fugen. Der Tag wird kommen, wo sich das Gewissen von Millionen Toten, Verstümmelten und Ueberlebenden regt und stürmisch Rechenschaft von uns fordert, wo das Herz der Welt sich an uns wendet und fragt: Wart ihr gütig gegen die Armen? Habt ihr durch doppelte Rücksicht und Liebe auszugleichen versucht, was das Schicksal euch in reicherem Maße als ihnen beschert hat? Wart ihr nie hochmütig und habt ihr sie nie fühlen lassen, daß es euch besser geht als ihnen?«

»Hältst du eine Sonntagspredigt, Peter?« rief der Landrat von Moll.

»Der Kerl hat einen sozialen Fimmel,« flüsterte Baron von Posch seiner Braut zu. Die verstand das nicht, hielt es für einen Witz und lachte laut auf.

»Das ist doch sehr lustig,« rief beschwipst Kommerzienrat Priester. »Ich liebe die Kontraste.«

»Ich auch,« erwiderte seine Frau. »Je besser es einem geht, um so mehr muß man an die Armen denken: das erhöht den Genuß.«

»So ist es!« setzte sich Peter mit starker Stimme durch. »Und um diesen Genuß zu erhöhen und um ihm eine feste Form zu geben, werde ich mir, um auch etwas zur Unterhaltung beizutragen, erlauben, Ihnen einige lebende Bilder aus der Welt der Armen vorzuführen.«

»Himmlisch!« rief ein junges Mädchen. »Da bekommt man doch endlich mal etwas Amüsantes zu sehen.« »Ich habe noch nie arme Menschen gesehen,« rief eine andere. »Wie die wohl aussehen!«

Und eine dritte sagte:

»Ich fürchte mich,« und rückte dicht an ihren Tischnachbarn heran.

Das elektrische Licht erlosch plötzlich und über die Schmalwand des Saales, etwas oberhalb des Parketts, spannte sich bühnenmäßig bis fast hinauf zur Decke eine breite Leinwand, auf die von einer Estrade gegenüber ein helles Licht fiel. Auf der erleuchteten Leinwand las man:

»Das Herz der Armen.«
ein soziales Drama

»Eine sonderbare Art, eine gute Gesellschaft zu unterhalten,« sagte Baron Posch und goß ein Glas Sekt herunter.

»Das muß ich auch sagen,« stimmte der Landrat bei. Aber Frau Julie, die aufgerichtet zwischen Peter und Margot saß, meinte:

»Das kann ich nicht finden. Statt der üblichen Operettendivas und Nackttänzerinnen, die einem für gewöhnlich bei Veranstaltungen zu wohltätigen Zwecken vorgesetzt werden, sollte man, um unser Gewissen wachzurütteln, immer Bilder aus dem Leben der armen Leute vorführen.«

»Da käme kein Mensch!« erwiderte Frau Rosen.

»Schlimm genug,« meinte Frau Julie. »Der Zweck solcher Veranstaltungen ist doch, zu helfen und zu heilen. Dazu aber muß man den Kranken zum mindesten doch sehen.«

»Sehr richtig!« stimmte ihre Tochter, Frau Rittergutsbesitzer von Zobel, zu: »Wenn man ein krankes Pferd im Stall hat, so wird man dem Tierarzt doch keine gesunde Kuh vorsetzen.«

»Ein vorzüglicher Vergleich,« erklärte Peter, »von dem aus man die ganze Wohltätigkeit reformieren sollte.«

Auf der Leinwand las man jetzt:

»Erstes Bild: Eine während des Krieges reich gewordene Berliner Familie.«

Und das blitzschnell darauf folgende Bild zeigte einen mit erlesenen Speisen und Getränken besetzten Tisch, an dem ein fettes Protzenelternpaar mit seinen zwei kaum erwachsenen, Töchtern saß. Diener in prunkvollen Livreen reichten die Speisen.

»Noch bewegt man sich ja in ganz guter Gesellschaft,« meinte die ahnungslose Frau Rosen.

Es folgte das zweite Bild: »Aristokrat und Menschenfreund.«

Ein Kavallerieoffizier mit Monokel, der dem Baron von Posch verteufelt ähnlich sieht, kommt, die Reitgerte in der Hand, betrunken nach Hause. Er wankt an den Tisch, öffnet ein paar Briefe, die Rechnungen, Mahnungen und Drohungen enthalten, zerknittert sie verdrießlich und wirft sie in den Papierkorb. Der Bursche müht sich, ihm die hohen, schmutzigen Reitstiefel auszuziehen. Da der Offizier ständig torkelt, so gelingt es dem Burschen nicht, worauf der Offizier ihn anbrüllt, mit der Reitgerte schlägt und aus dem Zimmer schmeißt. Dann wirft er sich mit Rock und schmutzigen Stiefeln ins Bett und löscht das Licht.

Die Gäste lachten laut auf.

Bild drei erschien: »Die glücklichen Armen.«

Ein junges Mädchen, das niemand anders als Berta Linke ist, sitzt in einem einfachen Zimmer und unterrichtet in der Schule zurückgebliebene arme Mädchen. Güte und Nachsicht stehen ihr im Gesicht geschrieben, und man sieht es auch den Kindern an, mit welcher Verehrung und Liebe sie an ihrer Lehrerin hängen. Mutter Linke, eine einfache alte Frau, deckt inzwischen den Mittagstisch. Leise, um nicht zu stören, stellt sie auf den blitzblank geputzten Holztisch Teller und Gläser. Der Unterricht ist zu Ende, die Kinder packen ihre Sachen zusammen. Vater Linke im Arbeitskittel erscheint. Er begrüßt erst die Alte, dann mit besonderer Herzlichkeit seine Tochter. Mutter und Berta helfen den Kindern beim Anziehen und sorgen dafür, daß sie die Mäntel ordentlich schließen. Ein besonders armselig und elend aussehendes Kind hat nichts außer einer alten Mütze. Berta behält es da, nimmt es zu  sich an den Tisch und teilt mit ihm ihr Essen. Der vierte Platz am Tisch ist noch leer. Die Tür geht auf und der Sohn kommt. Herzliche Begrüßung. Auch er gibt von seiner kargen Mahlzeit dem Kinde ab. Dann zieht er eine Zeitung aus der Tasche, reicht sie seiner Schwester und weist auf ein Inserat:

»Vornehme Familie sucht Lehrerin im Deutschen für ihre beiden erwachsenen Töchter. Berlin W. 1150.«

Sie besprechen es miteinander. Berta scheint nicht recht zu wollen, aber die Mutter redet ihr zu. Schließlich willigt Berta ein. Der Bruder bringt ihr Hut und Mantel. Man merkt ihr an: eine innere Stimme hält sie zurück. Auf Drängen der Eltern geht sie schließlich.

»Was soll das?« rief der Baron laut in den Saal. »Ich protestiere! Das ist ja . . .«

»Pst!« rief Peter, und alle Gäste, die den Zusammenhang noch nicht herausspürten, folgten dem Beispiel und forderten Ruhe.

Der Baron fuchtelte mit den Armen; seine Braut und Frau Kommerzienrat Priester suchten ihn zu beruhigen:

»Das ist ja alles nur auf der Leinwand.« sagte die Braut »Das lebt ja nicht.«

Aber der Baron schüttelte den Kopf und goß wieder ein Glas Sekt herunter.

Es folgte das nächste Bild:

»Der von seinen Gläubigern bedrängte Offizier entschließt sich zu einer Geldehe.«

Er liegt in seidenem Pyjama neben seiner Mätresse auf einem breiten Diwan und verhandelt mit einer geschäftigen Vermittlerin, die ihm aus ihrem wohlassortierten Lager Photo nach Photo reicht, die er eingehend betrachtet und dann an seine Mätresse weitergibt. Die liest nur die Rückseiten der Photos, auf denen groß die Zahlen der Mitgift prangen.

»Pia Peu!« rufen interessiert die Gäste und weisen auf die Mätresse, die gerade die Arme um den Offizier schlingt.

Der stark bezechte Kommerzienrat, der zwar keine Kinotheater besuchte, aber Pia Peu von seinen Besuchen beim Baron Posch her kannte, stieß seinen Schwiegersohn, den er noch immer Baron nannte, an und fragte:

»Sag’ mal, Baron, is das nicht . . . up . . .« rülpste er – »die . . . die . . . up . . . kleine . . . fesche . . . Pi . . . Pi . . .?«

»Laß mich zufrieden!« wehrte der Baron ab und stürzte wieder ein Glas Sekt herunter.

Auf der Leinwand saß inzwischen die bereits als Lehrerin engagierte Berta Linke zwischen den Protzentöchtern, denen sie in Gegenwart der brillantengeschmückten Frau Mama Unterricht erteilte. Im Nebenzimmer vermittelte die geschäftige Dame inzwischen die Bekanntschaft zwischen dem Vater und dem Baron. Es war ein zahlenmäßiges Handeln und Feilschen, bis man sich schließlich auf eine Million Mitgift einigt. Die Frau Mama wird aus dem Nebenzimmer geholt und dem Baron vorgestellt; sie prüft ihn einen Augenblick mit der Lorgnette und wirft sich ihm dann mit dem Ausruf: »Mein Schwiegersohn!« an den Hals.