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Czytaj książkę: «Wie Satan starb », strona 10

Czcionka:

»Ich ertrag’ das nicht.«

Frau Julie nahm sie am Arm und führte sie aus dem Zimmer; draußen sagte sie:

»Ich hoffte grade, daß seine gefühllose Art es Ihnen erleichtern würde.«

»Es stößt mich ab. Wie überhaupt der ganze Mensch. Bisher habe ich mich über ihn lustig gemacht. Seit gestern aber geht er mir auf die Nerven und verwirrt mein Gefühl.«

»Sehen Sie, Margot, das wollte ich ja. Sie müssen sich von all dem, was Sie seit gestern mit sich herumtragen, befreien und wieder zu sich zurückfinden.«

»Nein!« wehrte Margot ab. »Wenn es mich auch bedrückt, ich möchte es um alles in der Welt nicht missen Und nur, um mich zu überzeugen, ob es mehr Mitleid oder mehr Liebe ist, darum bitte ich Sie, lassen Sie mich noch einmal, wenn auch nur auf ein paar Minuten, zu ihm.«

»Ich tue es ungern,« erwiderte Frau Julie. »Aber ich darf es Ihnen wohl nicht abschlagen.« – Sie ließ sie los und sagte: »Ich gehe schnell voraus. Bitte, warten Sie an der Tür, bis ich Sie rufe.«

Peter sprang auf und kam Frau Julie entgegen. »Was sagt sie?« fragte er erregt.

»Sie hat den Wunsch, dich noch einmal zu sehen.«

»Leidet sie – noch immer?«

Frau Julie nickte und sagte:

»Ja.«

Da schloß Peter die Augen, ließ den Kopf sinken und sagte:

»Durch mich.«

»Darum mußt du alles versuchen, um sie herauszureißen. Ich bin sicher, daß sie dich liebt. Zeige dich anders, als du bist. Du wirst ihr nur helfen können, wenn du sie überzeugst, daß sie sich in dir und in allem, was dich angeht, getäuscht hat. Schone sie nicht! Denn je mehr du sie schonst, um so mehr vertiefst du alles in ihr. Schüttle sie ab! Kränke sie! – Es ist furchtbar, daß ich, deine Mutter, dir das raten muß, Peter. Aber bedenke, es geht um Glück und Gesundheit eines Menschen, dessen Inneres du unbedacht aufgewühlt hast. Du mußt ihr die Ruhe wieder geben.«

»Wenn es mir nur gelänge!« sagte Peter und nahm Frau Julie, die eben zur Türe wollte, bei der Hand. »Bleibe bei mir!« bat er. »Ich bin dann sicherer.«

»Gewiß! das war auch meine Absicht. Aber ich will sie rufen. Sie steht draußen und wartet.«

Frau Julie öffnete die Tür und rief auf den Gang hinaus:

»Bitte, Margot!«

Margot trat ein, den Blick zu Boden gerichtet. Peter umklammerte fest die Hand seiner Mutter. Ohne aufzusehen sagte Margot mit weicher Stimme:

»Da bin ich, Peter. – Um dich noch einmal zu sehen. – Ich werde versuchen, dich zu vergessen. – Aber ich werde nie glücklich sein.«

Peter ließ Frau Julie los und trat an sie heran. Er hob die Arme hoch und faltete die Hände über ihrem Kopf. Margot fühlte, wie sie zitterten. Leise sagte sie:

»Leg mir die Hände auf den Kopf, Peter.«

Er tat es.

Erst glitten die Hände lose über ihr Haar – Margot schloß die Augen – dann schmiegten sie sich fest an, schoben den Kopf nach vorn, führten ihn dicht an sein Gesicht – ihre Lippen berührten sich, preßten sich aneinander – und Frau Julie stand dabei, sah es und rührte sich nicht.

Nach einer Weile ließ Peter sie los. Er war weiß wie Wachs, taumelte ein paar Schritte zurück, führte die Hände vor das Gesicht und sagte mit zitternder Stimme:

»Und nun, Margot, geh! – geh! – Wir wollen es vergessen!«

»Wie?« fuhr Margot ganz entsetzt auf. »Du willst . . . du hast es doch gefühlt – es ist unmöglich! ganz unmöglich ist es!«

Peter stand unbeweglich und sagte:

»Es muß sein!«

»Muß? – Peter! Was nicht sein kann, muß auch nicht sein. – Verlange nichts Unmenschliches. Du kannst es so wenig wie ich.«

»Ich kann es,« sagte Peter tonlos.

Da fuhr Margot auf und sah ihn an.

»Du kannst es?« fragte sie entsetzt.

Peter nickte und sagte:

»Ja.«

»Das lügst du!« fuhr sie ihn an. »Auf Befehl deiner Mutter und deiner Aerzte lügst du das! Du kannst es nicht! Sei kein Feigling, Peter! Und wenn es sein muß, dann stirb! Ich sterbe mit dir!«

Peter bewegte den Kopf; langsam, hin und her. Dann sagte er ohne Klang in der Stimme:

»Ich will leben.«

Margot wankte ein paar Schritte zurück, wies zitternd mit dem Arm auf ihn und wiederholte:

»Du – willst – leben?«

Peter nickte und sagte kalt:

»Ja – ich!«

Da fiel ihr Kopf nach vorn über; sie wankte in den Knien, kroch zur Tür, hielt sich mit letzter Kraft an Frau Julie fest und hauchte:

»Freilich . . . dann . . .«

Peter stand steif und unbeweglich. Er wollte noch etwas sagen, den Arm bewegen, sie zurückhalten, auf sie zugehen – lahm, dachte er und begriff nicht, daß er nicht hinschlug.

Margot bewegte noch einmal den Kopf zu Peter hin, küßte ihn mit schmerzvoll-zärtlichem Blick und sagte:

»Hätte ich doch Aennes Mut.«

Dann drückte sie auf die Klinke, öffnete und ging.

Peter sah ihr erschrocken nach.

»Hätte ich doch Aennes Mut,« wiederholte er sich; dachte nach – ahnte, begriff.

Er starrte Frau Julie an, riß die Arme hoch, stürzte auf sie zu, öffnete den Mund und schrie laut:

»Mutter!«

Frau Julie fing ihn auf.

»Mein armer Junge!« sagte sie und zog ihn auf die Chaiselongue.

XIII

Lux ging auf Veranlassung von Frau Julie zum Obersten und bat ihn, Margot Rosen, die besonderer Umstände wegen plötzlich nach Deutschland zurückkehren müsse, bis Luzern begleiten zu dürfen.

»Was sind das für besondere Umstände?« fragte der Oberst ärgerlich und erstaunt. »Auf mich hat die Dame den denkbar besten Eindruck gemacht.«

»Es scheint sich herausgestellt zu haben, daß die beiden jungen Leute nicht zueinander passen.«

»Natürlich passen sie nicht zueinander!« stimmte der Oberst bei. »Dieser Reinhart ist ein Windhund, das weiß ich längst. Natürlich wird sie auf Widerstand bei ihm gestoßen sein. Genau wie ich. Dieser renitente Mensch ist eben für Vernunft unzugänglich!«

»Es sind doch wohl ernstere Differenzen,« sagte Lux.

»Keine Spur! Ich habe ja selbst mit der Dame gesprochen. Sie hatte die besten Absichten. Aber diesem Reinhart sitzen die Windbeuteleien eben im Blut. Da wird sie die Unmöglichkeit einer Besserung erkannt haben. Verdenken kann ich’s ihr nicht.«

»Reinhart steht noch stark unter dem Eindruck seiner Gefangenschaft,« verteidigte ihn Lux.

»Keine Entschuldigung!« widersprach der Oberst. »Strammer Dienst täte ihm not. Zunächst wird er mal seine drei Tage abbrummen!«

»Herr Oberst gestatten also, daß ich die Dame nach Luzern begleite?«

»Selbstverständlich! Das jehört sich so! Kennen Sie die Dame übrigens näher?«

»Sie ist mir durch Frau von Reinhart vorgestellt worden.«

»Wie heißt sie doch?«

»Margot Rosen.«

»Rosen?« wiederholte der Oberst. »von Rosen oder einfach Rosen?«

»Einfach Rosen,« erwiderte Lux.

Der Oberst verzog den Mund.

»Kennen Sie die Familie?« fragte er.

»Der Vater ist ein sehr reicher Mann.«

»Was ist er denn?«

»Ich glaube an der Börse oder so ähnlich.«

»Pfui Deibel. – Am Ende gar Jude?«

»Ich glaube, ja.«

»Na, hören Sie mal!« rief der Oberst empört und sprang auf. »Mit so etwas geben sich diese Reinharts ab! Ich bin dem Jungen jewiß nich jrün gesinnt. Aber das hat er als einziger Sohn seines berühmten Vaters doch wohl nicht nötig! Kein Wunder, daß sie nicht zusammen passen. Wäre ja auch sonderbar: der Sohn eines adligen und hohen königlich preußischen Beamten und eine Börsenjüdin! Nee, da kann ich ihm nich verdenken, daß er paßt.«

»Ich glaube nicht, daß das der Grund ist,« sagte Lux.

»Natürlich is er’s! Ihnen werden sie’s nich auf de Nase binden. – Aber der Arrest is ihm in Jnaden erlassen! Und die Börsenjüdin lassen Sie jefälligst allein nach Luzern fahren. Se wird unterwegs schon Anschluß finden.«

Lux griff‹ zu einer Lüge und sagte:

»Herr Oberst wissen doch, daß Fräulein Rosen in Basel von ihrem Onkel, dem Generalleutnant Grafen v. Steinitz, erwartet wird?«

Der Oberst sah ihn ganz verblüfft an.

»Wie? Was? Generalleutnant Graf v. Steinitz?« wiederholte er und streckte den Rücken. »Ihr Onkel, sagen Sie? Davon hatte ich ja keinen Schimmer. Das ändert die Sachlage natürlich vollkommen. – Selbstredend muß die Dame begleitet werden. Wenn irgend möglich bis Basel.«

»Wird das gehen, Herr Oberst?« fragte Lux strahlend.

»Selbstredend! Es muß gehn. Das heißt: Sie kommen natürlich jar nich in Frage. Höchst unpassend wäre das! Aber meine Frau wird sich das janz besondere Verjnügen machen und das jnädige Fräulein nach Basel begleiten.«

»Ich erlaube mir, Herrn Oberst jehorsamst darauf hinzuweisen, daß die Züge ungeheizt sind und die Grippe ständig zunimmt.«

»Das wird die Frau eines deutschen Obersten nicht abhalten, einer jesellschaftlichen Pflicht nachzukommen.«

Lux schlug die Hacken zusammen, grüßte und verließ verärgert den Oberst. —

Johann und Frau Julies Zofe packten Margot die Koffer.

»Sie werden es sehen, das bringt kein Glück, die beiden Menschen auseinander zu reißen,« sagte Johann.

»Wenn der junge Herr doch aber krank ist,« erwiderte die Zofe. »Und die Liebe ihn immer noch verrückter macht.«

»Stecken Sie Ihre vorlauten Nasen jefälligst in die Koffer,« sagte der Landrat, der eben ins Zimmer trat. »Wo ist das Fräulein?«

Johann wies auf die Tür des Nebenzimmers und sagte:

»Dort. – Das gnädige Fräulein hat sich jeden Besuch verbeten.«

»Habe ich Sie danach gefragt?«

»Da das Fräulein leidend ist, so halte ich es für meine Pflicht, dem Herrn Landrat das zu sagen, auch ohne gefragt zu sein.«

»Ihre Pflicht besteht darin, Befehle entgegenzunehmen und zu jehorchen.«

»Ich stehe nicht in den Diensten des Herrn Landrats.«

»Freuen Sie sich!« sagte der grob, und Johann neigte den Kopf ein wenig und erwiderte:

»Das tue ich auch.«

Ein wütender Blick des Landrats traf ihn. Johann verzog keine Miene. Der Landrat ging zur Tür, klopfte an, öffnete und ging hinein.

Margot lag auf der Chaiselongue. Sie wandte den Kopf ein wenig, blieb aber ruhig liegen.

»Ich nehme an,« begann der Landrat, »daß Sie auf meine Reisebegleitung keinen Wert legen.«

»Diese Annahme ist durchaus zutreffend,« erwiderte Margot.

»Immerhin ist unsere Familie, die Sie zu dieser Reise veranlaßt hat, Ihnen eine Erklärung schuldig.«

»Ich verzichte auf jedwede Erklärung.«

»Wir konnten natürlich nicht wissen . . .«

»Herr Landrat!« unterbrach ihn Margot bestimmt und richtete sich ein wenig auf. »Sparen Sie sich jedes Wort. Ich verlange weder eine Erklärung, noch eine Entschuldigung. Was hier vorgegangen ist, das geht außer Peter und mir niemanden etwas an.«

»Sie irren, mein Fräulein,« widersprach der Landrat. »Das jeht, da es das Renommee einer Familie betrifft, der auch ich anjehöre, uns allerdings an. Man weiß in Berlin, daß Sie mit mir hierher jereist sind. Man weiß auch, warum.«

»Das ist mir sehr gleichgültig.«

»Mag sein. Sie jehören ja schließlich auch keiner Familie mit Jahrhunderte altem Stammbaum an.«

»Stimmt! Und infolgedessen ersuche ich Sie, mich in Ruhe zu lassen.«

»Tut mir leid. Aber was ich zu sagen habe, muß jesagt werden. Wir müssen uns nämlich darüber einigen, was wir nach außen hin als Grund für das Nichtzustandekommen dieser Verbindung anjeben.«

»Das können Sie halten wie Sie wollen.«

»Es kommt darauf an, daß beide Parteien dasselbe sagen. Und ich darf wohl annehmen, daß Sie mit Rücksicht auf unsere Familie die Schuld auf sich nehmen.«

»Was für ’ne Schuld?« fragte Margot.

»Sehr einfach: es muß heißen, daß wir nicht wollten.«

Margot sah ihn verständnislos an.

»Oder haben Sie etwa vor, zu leugnen, daß Peter derjenige war, der zurückgetreten ist?«

»Sie langweilen mich!« sagte Margot ärgerlich und wandte sich ab.

»Es ist nicht meine Absicht, Sie zu unterhalten.«

»Sie sind ebenso aufdringlich wie taktlos.«

»Ich nehme Ihnen diese Beleidigungen nicht übel,« sagte der Landrat, »denn wie sollten Sie auch Verständnis für jemanden haben, der für die Intaktheit seines Namens und seines Standes ficht.«

»Sehr richtig!« erwiderte Margot. »Und da eine Verständigung zwischen uns absolut ausgeschlossen ist, so darf ich den Besuch wohl als beendet betrachten.«

»Das wird davon abhängen, ob Sie bereit sind, diesen Revers zu unterschreiben.«

Er reichte Margot ein Blatt, auf dem stand:

»Meine Reise nach der Schweiz zum Zwecke meiner Verlobung verlief ergebnislos, da sich der Regierungsassessor Dr. von Reinhart infolge der sozialen Kluft, die unsere Familie von der seinen trennt, aus der geplanten Verbindung keinen Segen versprechen konnte.«

»Was soll damit geschehen? Soll das in die Zeitungen und an die Anschlagsäulen?« fragte Margot.

»I Jott bewahre,« beteuerte der Landrat. »Das is lediglich eine Vorsichtsmaßregel. Das Papier wird in dem Familienarchiv deponiert und nur im Bedürfnisfalle hervorjeholt; beispielsweise, um sich jegen üble Nachrede zu schützen. Das braucht noch ja nich mal von Ihnen auszugehn. Irgendwer, der uns nich wohl will – na, heutzutage, wo man froh ist, wenn man unsereinem was am Zeuge flicken kann, da is das doch wahrhaftig kein unbilliges Verlangen.«

»Wissen Peter und seine Mutter etwas davon?« fragte Margot.

»Ja,« log der Landrat. Aber Margot wandte sich blitzartig zu ihm und brüllte ihm in das verdutzte Gesicht:

»Nein!«

Der Landrat stand verlegen und sagte:

»Erlauben Sie mal . . .!«

Margot sprang auf, knitterte das Papier zusammen und warf es ihm vor die Füße.

»Soll ich Ihnen sagen, wer Ihre Familie kompromittiert? Sie! Und wenn mich jemand fragt, warum aus der Ehe mit Peter nichts geworden ist, dann werde ich sagen: Ihretwegen! Weil ich mich trotz meiner Liebe zu Peter nicht entschließen konnte, in eine Familie hineinzuheiraten, zu der Sie gehören.«

»Das werden Sie nicht sagen!« forderte der Landrat mit zitternder Stimme.

»Und Sie werden sich wundern,« fuhr Margot fort, »wie schnell das herum sein wird.«

»Warum wollen Sie mir das antun?« fragte der Landrat plötzlich wie umgewandelt. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich die ganze Zeit über Ihrer Ehe mit Peter das Wort geredet habe. Meine Schuld ist es nicht. Sie dürfen sich also an mir nicht rächen. Das wäre unjerecht! Und unjerecht wollen Sie doch nicht sein.«

»Sie dürfen sich auf alles Schlechte von mir gefaßt machen!« erwiderte Margot. »Die einzige Chance, die Sie haben, daß ich Sie nicht überall lächerlich mache – Sie ahnen ja gar nicht, was für Beziehungen wir seit zwei Jahren haben – also Ihre einzige Chance ist, daß mir die Zeit leid tut, die ich auf Sie verwende.«

»Wir können uns doch vielleicht in irgendeiner Form verständigen,« sagte der Landrat.

»Wir uns? Niemals! Zwischen uns besteht auch nicht die leiseste Gemeinschaft! Von Ihnen zu mir führt keine Brücke, ist eine Annäherung irgendwelcher Art völlig ausgeschlossen.«

»Ich bin bereit, Ihnen jedwede Ehrenerklärung zu geben.«

»Verzichte!«

»Ja, was haben Sie vor? Was wollen Sie tun?« Margot vergaß für Augenblicke ihren Kummer und amüsierte sich über den Feigling, dessen überhebliches Wesen so unvermittelt ins Gegenteil umschlug.

»Was ich vorhabe?« wiederholte sie und sah ihn herausfordernd an. »Das will ich Ihnen sagen. Ich schreibe einen Film ›Der Landrat auf Reisen‹, der über die ganze Welt geht und in dem Sie die Hauptrolle spielen. Ich kann Ihnen verraten« – und dabei wies sie auf einen verschlossenen Nähkasten, der auf dem Tische stand – »daß ich den Gedanken schon in Berlin hatte und daher alle Szenen während unserer Reise, die ich wirksam fand, und es waren viele, dort bereits verewigt habe.«

Der Landrat war leichenblaß geworden.

»Ich kaufe Ihnen den Apparat ab. Fordern Sie, was Sie wollen!« rief er und zog sein Scheckbuch aus der Tasche.

»Ich bin nicht käuflich,« erwiderte Margot. »Das heißt« – sie überlegte – »ich bin sehr teuer.«

»Fordern Sie!« drängte der Landrat, der mit entsetzten Augen vor ihr stand und ihr die Brieftasche vor das Gesicht hielt.

Margot konnte sich kaum des Lachens enthalten. Sie wies wieder auf den Nähkasten und sagte:

»Sie wissen ja, wir sind nicht so hoch geboren wie Sie, und finden daher im Arbeiten und Geldverdienen nichts Anrüchiges. Mit dem Film da, bei Ihrer Stellung und Ihrem Bekanntenkreise, verdiene ich ein Vermögen.«

Der Landrat, dem das Monokel längst aus dem Auge gefallen war und dessen Bügelfalte sich infolge der krummen Kniee und schlappen Haltung verflüchtete, winselte:

»Fordern Sie!«

Margot mußte fortsehen, um ihm nicht laut ins Gesicht zu lachen. Und sie erinnerte sich jetzt der klugen Frau Julie, die mit psychologischem Spürsinn den Landrat zu ihrer Aussprache über den Verzicht auf Peter hinzugezogen hatte, weil sie sich von seiner Gegenwart eine Milderung des ernsten Eindruckes versprach. Wie recht Frau Julie hatte, erkannte sie jetzt.

»Wissen Sie, an was Sie mich erinnern?« fragte sie ihn, und da er nur verzweifelt den Kopf schüttelte, so sagte sie:

»An einen verprügelten Hund, der statt zuzufassen und zu beißen, schön macht und winselt.«

Einen Augenblick lang schien sich so etwas wie Widerspruch in dem Landrat zu regen. Er zog die eingeknickten Kniee straff, die Bügelfalte markierte sich wieder und der Rücken machte einen schüchternen Versuch, sich zu strecken. Aber es blieb beim Versuch, denn der Anblick des Nähkastens ließ jeden Widerspruch aussichtslos erscheinen. Zum dritten Male wies er mit seinen ausdruckslosen Augen auf den Kasten, der auf dem Tische stand, und sagte:

»Fordern Sie!«

»Geben Sie her!« erwiderte Margot.

Erleichtert atmete der Landrat auf und reichte ihr die Tasche.

»Nehmen Sie sich selbst, was Sie für richtig halten.«

Aber Margot dachte nicht daran. Sie wandte sich zur Tür und rief:

»Johann!«

Johann trat ins Zimmer. Ein Blick überzeugte ihn, daß ein Kampf stattgefunden hatte, in dem der Landrat unterlegen war. Mit einem leichten Lächeln um den Mund gab er seiner Genugtuung Ausdruck und Margot verstand ihn.

»Johann!« sagte Margot, und überreichte ihm mit gleichgültiger Geste die Brieftasche des Landrats. »Geben Sie das dem Ortsvorsteher und sagen Sie ihm, es wäre ein Geschenk des Landrats von Moll für die Engelberger Armen und Waisen.«

Der Landrat glaubte, ihn rühre der Schlag.

»Wa . . . a . . . a . . .?« stammelte er.

Margot sah ihn an, rief Johann zurück und sagte:

»Ah so! natürlich! Sie möchten gern die Tasche zurückhaben. – Also nicht wahr, Johann, die Tasche bringen Sie zurück.« – Johann verbeugte sich und ging. – »Vermutlich ein Andenken,« wandte sie sich an den Landrat, der mit nach vorn überhängendem Kopf auf einen Stuhl gesunken war. – »Es fällt mir nicht leicht,« sagte sie, »auf den Film zu verzichten, aber der gute Zweck läßt mich den Verlust verschmerzen.«

Dem Landrat war es schwarz vor den Augen. Er sah und hörte nichts mehr. Auch als jetzt der Ortsvorsteher erschien, auf ihn zutrat, ihm die Hand schüttelte und glückstrahlend sagte:

»Herr Landrat! das war noch gar nicht da! Wie soll ich Ihnen danken? Die Armen und Waisen werden Ihnen noch heute gerührt ihren Dank abtragen,« da wehrte er nur mit einer kaum merklichen Bewegung des Kopfes ab.

Der Ortsvorsteher reichte ihm mit strahlenden Augen die leere Tasche und eine Quittung, auf der Margot las:

»Für die Engelberger Armen und Waisen von Herrn Landrat von Moll in hochherziger Weise Fr. 11700 und Mk. 23500 mit aufrichtigem Dank erhalten zu haben, bescheinigt:

Der Engelberger Ortsvorstand.«

Abermals wandte sich Margot ab, um nicht zu lachen. Die Summe, die für den Landrat ein kleines Vermögen war, machte auf sie keinen sonderlichen Eindruck. Aber die Tatsache belustigte sie ungemein.

Der Ortsvorsteher wandte sich mit seinem Instinkt an Margot und sagte:

»Gewiß haben wir auch Ihrer Fürsprache diese hochherzige Spende zu danken.«

Margot wehrte ab und erwiderte:

»Nein! nein! Der Landrat hat sich förmlich dazu gedrängt.«

Der Ortsvorsteher drückte noch einmal dem Landrat die Hand und fragte:

»Haben Sie vielleicht besondere Wünsche über die Art der Verwendung?«

Der Landrat schüttelte den Kopf. Der Ortsvorsteher ging. Johann meldete:

»Herr Oberleutnant von Lux wünscht das gnädige Fräulein zu sprechen.«

Margot wandte sich an den Landrat.

»Unsere geschäftliche Aussprache ist ja wohl beendet! Ich kann ihn also hineinlassen?«

Der Landrat erwiderte nichts, er steckte Brieftasche und Quittung zu sich, stand auf, schob sich an den Tisch, auf dem der Nähkasten stand, griff mit beiden Händen danach und ging, ohne sich von Margot zu verabschieden oder sie auch nur anzusehen, aus dem Zimmer.

In der Tür traf er mit Lux zusammen. Um ein Haar wäre der Kasten seinen Händen entglitten und all die Herrlichkeiten hätten sich auf die Erde ergossen. Glücklicherweise gab es nur eine kleine Erschütterung. Und als die Knäuel und Schachteln im Kasten zusammenschlugen, dachte er: jetzt ist der ganze Film ruiniert. Denn neugierig, ihn kennen zu lernen, war er doch. —

Lux, der blonde Husar, trat auf. So konnte man sagen, denn die Art, in der er ins Zimmer trat, hatte etwas durchaus Gemachtes. Margot fühlte das. Es schien, als wenn ihn tausend Kräfte vorwärts trieben und dann irgend etwas ihn im letzten Augenblick zurückhielt. Margot empfing ihn völlig ungezwungen.

»Ich höre,« begann Lux fast schüchtern, Sie verlassen uns schon wieder, gnädiges Fräulein.«

»Ja. Heute noch.«

»Ich bedaure das sehr.«

»Mir fällt es auch nicht leicht. Aber es muß sein.«

»Ich hatte die Hoffnung, Sie auf Wunsch von Frau Geheimrat von Reinhart nach Luzern begleiten zu dürfen.«

»Das wäre nett.«

Lux errötete.

»Was für ein netter Kerl!« dachte Margot.

»Der Herr Oberst«, fuhr er fort, »hat aber bestimmt . . .«

»Was hat denn der Herr Oberst darüber zu bestimmen, wer mich begleitet?« unterbrach ihn Margot.

»Er hat seine Frau damit beauftragt.«

»Dann bestellen Sie Ihrem Herrn Oberst, daß ich durchaus nicht verstünde, wodurch ich diese Fürsorge verdient hätte, im übrigen aber allein zu fahren wünsche.«

Lux erzählte jetzt den Hergang, der Margot belustigte und für den Husaren einnahm.

»Das haben Sie trefflich gemacht!« sagte sie. »Und ich bedaure jetzt wirklich, daß Sie mich nicht nach Luzern begleiten.«

»Hoffentlich bietet sich noch einmal eine Gelegenheit, Ihnen zu begegnen, gnädiges Fräulein.«

»Selbstredend. Sie brauchen mich nur zu besuchen, wenn Sie nach Berlin kommen. Das heißt, meine Eltern,« verbesserte sie schnell. »Sie gefallen mir und scheinen nicht zu jener Gattung von Junkern und Offizieren zu gehören, wie der Landrat.«

Lux faßte Hoffnung.

»Wenn Sie wüßten, wie mich das beglückt.«

»Es ist wirklich traurig, wie Sie und andre unter einer freilich großen Minderheit leiden müssen. Sie müßten sich zusammentun und öffentlich gegen Ihre Standesgenossen, die Deutschlands Niedergang auf dem Gewissen haben und sich trotzdem noch immer blähen, als wenn sie einer höheren Gattung Mensch angehören, Stellung nehmen.«

»Wenn Sie mich nur richtig werten,« platzte Lux heraus und staunte selbst über seinen Mut. »Was die Welt denkt, darauf geb’ ich nichts.«

Margot verstand. Sie sah Lux, und sein Blick sagte ihr, daß sie sich nicht irrte. Er gefiel ihr zu gut, um mit ihm zu spielen.

»Ich will Ihnen zuvorkommen,« sagte sie. »Es ist möglich, ich bilde es mir nur ein und Sie halten mich für arrogant und lachen mich aus. Tut nix! Jedenfalls, ich möchte, daß wir gute Freunde werden. Ich sagte Ihnen schon einmal: Sie gefallen mir, und Ihre Unterredung mit dem Obersten beweist mir, daß wir uns verstehn. Aber, Sie müssen wissen: Ich liebe Peter!« – Lux wurde blaß. – »Und nie, nie werde ich einen andern lieben. Ich kenne mich und weiß Bescheid.«

Lux senkte den Kopf und stand auf.

»Freilich . . . dann . . .« sagte er und trat an sie heran.

»Sie sind sein Freund?« fragte Margot.

Lux sah sie an und erwiderte:

»Ja! – Aber ich dachte, zwischen Ihnen wäre es aus! Ich hätte sonst schon Peters wegen nicht gewagt, zu sprechen.«

»Sie haben es ja nicht getan. Ich habe gesprochen; grade, um zu verhindern, daß Sie heute oder später mit mir davon sprachen. Weil ich Sie nicht verlieren, sondern als Freund gewinnen möchte. Ich sage es offen: auch Peters wegen. Um von ihm zu hören und zu wissen, wie es ihm geht. Aber unsere Freundschaft soll nicht einseitig sein. Auch Sie dürfen fordern, Lux, alles! was Sie wollen. Nur eins, was Ihrem Freunde gehört, nicht.«

Lux riß sich zusammen, nahm ihre Hand und küßte sie.

»Fräulein Margot!« sagte er fest und bestimmt. »Ich danke Ihnen! Sie dürfen auf mich zählen. In allem. Gegen meine Liebe will ich ankämpfen. Und es wird gehen, da es gehen muß.«

»Recht so!« erwiderte Margot.

»Und ich werde Sie nach Luzern begleiten! Auch ohne Urlaub!«

Johann meldete Herrn und Frau Oberst. Lux wollte gehen.

»Bleiben Sie!« forderte Margot.

Das Oberstenpaar begrüßte stramm und artig das jüdische Fräulein, von dem für sie ein Hauch des Geistes Sr. Exzellenz des Generalleutnants Grafen von Steinitz ausging.

Und als der Oberst ihr die Reisebegleitung seiner Gattin antrug, erwiderte Margot:

»Das ist sehr aufmerksam, Herr Oberst, fast zu aufmerksam. Aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen sagte, daß ein Freund meines Vaters, der Botschaftsrat Graf von Tatten, mich in Luzern erwartet.«

Der Oberst nahm sofort Haltung an, und seine Frau sagte:

»Oh!«

»Wie bitte?« fragte Margot.

»Wir wußten gar nichts von diesen Beziehungen,« sagte der Oberst, als wollte er sich entschuldigen.

»Aber der Graf wird sich wundern,« fuhr Margot fort, »daß Sie ihn durch Ihr Reiseverbot um das Vergnügen bringen, seinen Freund, den Oberleutnant von Lux wiederzusehen.«

»Wie? Was? Lux! Sie sind ein Freund des Herrn Grafen . . .?«

»Zu Befehl, Herr Oberst!«

»Selbstredend begleiten Sie das gnädige Fräulein und sagen dem Herrn Botschaftsrat, daß es mir eine besondere Freude mache, ihm diese kleine Aufmerksamkeit bereiten zu dürfen.«

Oberleutnant von Lux klappte die Hacken zusammen.

»Es tut mir sehr leid,« sagte die Frau Oberst, »daß wir bei unserem kurzen Aufenthalt keine Möglichkeit hatten, Sie bei uns zu sehen.«

»Nun, ich denke,« zog Margot sie auf, »wir werden uns in Deutschland wiedersehen; Sie verkehren doch wohl auch bei dem Herrn Kriegsminister?«

Der Oberst legte die Hände an die Hosennaht, sperrte den Mund weit auf und sagte:

»Ich?« während seine Frau, der man ansah, daß sie log, lebhaft nickte und erwiderte:

»O ja!«

»Na also!« erwiderte Margot, wechselte leise ein paar Worte mit Lux und sagte:

»Uebrigens, ich habe noch eine Bitte, Herr Oberst?«

»Gnädiges Fräulein haben nur zu befehlen.«

Die Frau Oberst lächelte ehrfurchtsvoll.

»Es handelt sich um die Freunde von Leutnant Lux,« sagte Margot. »Sie hätten auch gern Urlaub nach Luzern.«

»Selbstredend jewährt, wenn Sie sich für die Herren verwenden,« erwiderte der Oberst. – Und als er sich zwei Stunden später am Bahnhof mit einem Riesenstrauß von Margot verabschiedete, nahm er zu seinem Erstaunen wahr, daß ein volles Dutzend junger Offiziere auf Grund seiner generellen Erlaubnis mit nach Luzern fuhr. —

Am nächsten Morgen beim ersten Frühstück reichte die Frau Oberst ihrem Manne mit langem Gesicht und spitzen Fingern eine Ansichtskarte aus Luzern.

Er las:

»Bester Oberst! Nochmals schönsten Dank, daß Sie den kleinen Lux und die andere bunte Horde mit mir nach Luzern ließen. Wir sitzen beim Schampus, ruddeln über Sie und Ihre Frau und amüsieren uns himmlisch. Haben Ihnen die Ohren nicht geklungen? Und was ich noch sagen wollte: das mit meinen Beziehungen zu dem Kriegsminister und dem Grafen Tatten war natürlich Bluff. Ich kenne sie kaum den Namen nach. Wie sollte ich kleines Berliner Judenmädel auch zu so ›fürnehmem‹ Verkehr kommen, wie der Berliner sagt. Das höchste, was bei uns verkehrt, sind ein paar jüdische Einjährige von der Kavallerie. Sie können sich also vorstellen, wie sehr sich meine Eltern freuen werden, Sie und die Frau Oberst bei sich zu sehen. Herzlichen Gruß.

Margot Rosen.«

Der Oberst bekam einen dunkelroten Kopf, sprang auf und schrie laut:

»Kanaille!«

Dann rief er die Ordonnanz und brüllte die an:

»Brust raus! Hacken zusammen! Kopf hoch! Höher! Noch höher! – Hände an die Hosennaht. Knie beugt! Arme streckt! Knie hebt! Laufschritt auf der Stelle: Marsch! Marsch! – Stillgestanden! – Laufschritt! Brust heraus! Eins, zwei, eins, zwei! Kehrt! Marsch!«

Und so ging es zwanzig Minuten lang. Dann schmiß er die Ordonnanz aus dem Zimmer; ging ans Fenster, öffnete es, atmete auf, rief seinen Adjutanten und erteilte den Befehl: »Sämtliche Offiziere, die gestern nachmittag mit Urlaub nach Luzern sind, erhalten drei Tage Stubenarrest, weil sie sich in nicht standesgemäßer Gesellschaft in einem öffentlichen Lokal jezeigt haben!«

»Zu Befehl, Herr Oberst!«

»Mütze! Stock!« rief er der Ordonnanz zu. »Herr Leutnant,« wandte er sich an den Adjutanten, »Sie begleiten mich! Ich werde die Zimmer der Mannschaften inspizieren. Die Jesellschaft fühlt sich hier, scheint’s, wie zu Haus. Der muß man mal wieder in Erinnerung bringen, was Disziplin heißt.«

Und mit dröhnendem Schritt verließ er mit dem Adjutanten, der wie ein Stückchen Unglück neben ihm herschritt, seine Wohnung.