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Czytaj książkę: «Lache Bajazzo», strona 9

Czcionka:

Neuntes Kapitel

Der Arzt trat an Carls Bett, nahm seine Hand und sagte:

»Nun, Doktor, wünschen Sie sich mal irgendwas recht Schönes.«

Carl bewegte kaum den Kopf.

»Wenn ich Ihnen nun aber sage, daß es in Erfüllung geht.«

»Ich will nichts!« sagte Carl.

»Sie werden doch irgendeinen Wunsch haben. Vielleicht, daß Sie sich nach irgend etwas sehnen.« Carl sah ihn groß an. »Nach einem Menschen vielleicht.«

Carl richtete sich auf und drückte dem Arzt die Hand.

»Woher wissen Sie das?« fragte er.

»Nun also! Wollen Sie den Menschen sehen?«

»Wie?« Carl zitterte heftig.

»Aber Sie müssen ganz ruhig bleiben, versprechen Sie mir das?«

Carl erregte sich immer mehr.

»Was ist denn? – Wo denn? – Doch nicht etwa?«

»Doch! doch! – Ich brauche nur hier auf den Knopf zu drücken,« er wies auf die elektrische Klingel, »dann tut sich die Tür auf und der Mensch, an den Sie Tag und Nacht denken, tritt ein.«

»So – so drücken Sie doch auf den Knopf,« drängte Carl, richtete sich hoch auf und sah zur Tür.

Der Arzt drückte auf die Klingel.

Atemlos still war es im Zimmer.

Die Klinke der Tür senkte sich langsam. Dann glitt die Tür behutsam ins Zimmer. Noch sah man nichts als einen Schatten, der von der Tür bis an das Bett reichte. Es war ein schmaler Strahl, der den Fußboden entlang lief, hell schimmerte und immer breiter wurde. Dann verschwamm plötzlich alles. Mit einem Male stand die Tür sperrangelweit auf; eine ganz in Weiß gekleidete Frau hob die Arme, der Körper eines Mannes schnellte aus dem Bett empor, stürzte auf die Frau zu, umklammerte ihre Knie und schluchzte laut wie ein Kind.

»Ueberstanden!« sagte der Arzt, ging aus dem Zimmer und schloß hinter sich die Tür. —

Carl lag wieder in seinem Bett und sah glücklich zu Agnes; die saß dicht bei ihm und hielt ihm die Hand.

»Nun ist alles gut,« sagte Carl.

»Nicht sprechen,« erwiderte Agnes. »Ich habe dem Arzt versprochen, daß du ganz ruhig liegst.«

»Jetzt bin ich ganz ruhig!«

»Aber auch mit dem Mund! Sonst fängt’s womöglich noch mal an.«

Er nickte nur.

»Das darfst du auch nicht.«

Er sah sie dankbar an. »Wie besorgt du bist,« sagte sein Blick.

Carl hätte Tage und Nächte so liegen und Agnes ansehen können.

Agnes aber konnte das nicht.

Schon nach wenigen Minuten dachte sie:

Wie lange soll ich so sitzen? Das kann ja nett werden! – Und sie überlegte, was sie inzwischen zu Hause versäumte. Erst dachte sie leise. Aber es dauerte nicht lange, und sie dachte laut. »Weißt du, wo ich jetzt wäre, wenn ich nicht bei dir säße? Im Tattersall! Heut ist Musikreiten. Uebrigens kennst du denn überhaupt meinen Vollblüter? Wie lange sind wir jetzt auseinander? Richtig! Vierzehn Tage! Dann kannst du ihn ja nicht kennen. Ich sage dir,« sie schnalzte mit der Zunge, »das ist ein Kerl! mach nur, daß du gesund wirst, dann reite ich ihn dir vor.«

»Wirst du das tun?«

Sie sah ihn an und fühlte, was sein fragender Blick zu bedeuten hatte.

»Gewiß! – Ueberhaupt, das ist alles ganz anders.«

»Wie ist es denn?« fragte Carl und drückte ihre Hand.

»Wenn du gesund bist, sprechen wir darüber.«

»Ich bin gesund, solange du bei mir bist.«

»Du glaubst, es wird dir nicht schaden?«

»Es kann mir nur gut tun.«

»Ja, sieh mal Carli, mir ist’s ja auch nicht leicht geworden – aber dieser gräßliche Mensch, du weißt ja, der alte Brand – du, den halt dir vom Halse, das rat ich dir – der hat’s hinter den Ohren – der ist nämlich schuld an allem.«

Carl zog die Stirn in Falten.

»Denn der würde immer wieder versuchen, wenn wir zusammen wären. Ich trau mich ja noch gar nicht so zu reden – aber schließlich: man muß doch wissen, was ist. Und dann hast du ja auch schon wieder Farbe.« Sie faßte ihn ins Gesicht. »Hu! Bist du heiß, Carli; du, das ist das Fieber – so!« Sie legte ihm die Hand auf die Stirn: »Kühl, nich?«

Er nickte zufrieden.

»Tut das gut?«

»Sehr!«

»Also dann paß mal auf. Ja, wo fang ich da an?« Sie dachte nach. »Sieh mal, du mußt ja selbst erst wissen, wie du’s dir denkst!«

»Wie du es dir wünscht.«

»Sieh mal, bei Estella, da war das was anderes. – Ich sehe doch, es ist nicht so einfach.«

Cläre, Werner und der Arzt traten ins Zimmer.

Agnes liest seine Hand los und stand auf.

»Bleib sitzen!« sagte Carl, und Cläre gab ihr ein Zeichen, auf das hin sie sich wieder setzte.

»Deine Hand!«

Sie legte sie wieder in seine.

Carl sah Cläre an, und sein Blick sagte:

»Verzeih! Aber ich kann nicht anders.«

Cläre nickte ihm zu und sagte:

»Ich weiß.«

Der Arzt nahm das Wort:

»Ja, lieber Holten, Ihre Frau möchte Ihnen, damit Sie ganz zur Ruhe kommen, sogar einen Vorschlag machen.«

Er schob zwei Stühle heran.

Cläre und der Arzt setzten sich. Werner blieb am Rand des Bettes stehen.

»Du weißt,« sagte Cläre, »ich will vor allen Dingen natürlich mal, daß du gesund wirst.«

»Nach der Richtung brauchen Sie sich keine Sorge mehr zu machen,« sagte der Arzt.

»Um so besser! Dann handelt es sich also nur noch um dein Glück. Und da scheint mir, daß dein Weg nun doch klar und deutlich vor dir liegt.«

Carl mühte sich, etwas zu sagen.

»Hör mich erst an,« bat Cläre. »Ich glaube, daß wir uns dann über alles schnell klar sein werden. Du bist mit allen deinen Gefühlen bei Agnes – nicht wahr, ich darf Sie so nennen?«

Agnes nickte und sagte:

»Das ist mir viel lieber.«

»Wie sehr du’s bist, das haben wir ja alle nun in diesen Tagen erfahren, vor deren Wiederkehr dich und uns alle ein gütiges Geschick bewahren möge.«

»Ein zweiter Anfall würde wahrscheinlich nicht so schnell vorübergehen,« meinte der Arzt.

»Sie hören, Agnes,« sagte Cläre und fuhr fort:

»Darum muß – das ist nur natürlich und du bist es dir schuldig – von heute ab Agnes an meine Stelle treten.«

Carl schloß die Augen. Agnes verzog keine Miene.

»Eine Verbindung, wie sie bis vor vierzehn Tagen bestand, das sehe ich ein, ist für alle unmöglich. Du reibst dich auf, von mir will ich dabei nicht reden, und Agnes entgleitet dir von neuem.«

Carl nickte.

»Ich habe nun den Eindruck, daß Agnes bereit ist, mit dir zusammenzugehen, wenn du ihr nicht nur deine Liebe gibst, sondern ihr auch vorwärts hilfst. Sie scheint sehr ehrgeizig. Ihre Liebe freilich – scheint mir – wirst du dir erst erringen müssen.« Sie machte eine Pause. »So, das ist das Erste, was ich dir sagen wollte, um dir den Schritt, den du jetzt tun mußt, zu erleichtern. – Was mich angeht: wir waren nun zwanzig Jahre lang treue Kameraden! Das vermischt sich nicht; auch nicht bei dir. Wir werden uns auch in Zukunft gute Freunde sein. Ich gehe fürs erste zu meinem Bruder nach Köln. Braucht ihr mich – und ich glaube, das wird gerade im Anfang, bis ihr ganz aufeinander eingestellt seid, der Fall sein, so ruft mich. Du vor allem, Carl, wirst mich vielleicht in der ersten Zeit nötig haben, und Agnes, Sie werden, nach alledem, hoffe ich, Vertrauen zu mir haben.«

Agnes schwieg.

»Das können Sie!« sagte der Arzt voll Ueberzeugung.

Auch Carl nickte, ohne aufzusehen.

»Ich bin solange für Sie,« fuhr Cläre fort, »als ich in eurer Verbindung sein Glück sehe. – So, das ist alles, was ich zu sagen habe.«

Der Arzt, der Cläre nicht aus den Augen gelassen hatte und längst merkte, daß sie am Ende ihrer Kraft war, stand auf, nahm ihre Hand und stellte sich vor sie hin. Cläre lehnte sich in den Stuhl zurück und schloß die Augen. Ihr Puls setzte für Augenblicke aus: die Schwäche ging schnell vorüber. Carl und Agnes bemerkten es kaum.

»Ich habe mich gegen die Lösung gesträubt, Holten,« sagte Werner, »aber deine Frau hat mich überzeugt. Es ist auch nach meiner Ansicht die einzige Lösung.« Dann wandte er sich an Agnes:

»Nun kommt es nur noch auf Sie an.«

»Ich dachte mir schon, daß es so kommen würde,« sagte sie, »und habe daher mit Peter gesprochen, bevor ich fortfuhr.«

»Nun also,« sagte Werner, »dann sind also auch Sie bereit?«

»Das hängt davon ab, wie das nun sein soll,« erwiderte sie. »Ich meine, in welcher Form.«

»Das müßte Carl entscheiden.«

Carl sah zu Cläre.

Die nickte und sagte:

»Ja! Carl, das entscheide du!«

»Also Carli,« sagte Agnes, stand auf, lehnte sich an die Wand, »darin mußt du mir schon folgen. Sieh mal: ich bin jung und habe noch alles vor mir und muß doch auch an mich denken; und für dich ist es ja doch auch gleich. Für mich aber nicht. Das sagt die Geheimrätin auch und alle die anderen, die was verstehen und es gut mit mir meinen. Nicht wahr, Carli, das siehst du auch ein, denn ich gebe doch nun alles auf, na, du weißt ja! Und da Sie —« sie wandte sich an Cläre – »sowieso weg wollen und nach Köln gehen, so macht es auch für Sie nichts aus, wenn Carli mich heiratet und ich seine Frau werde.«

Cläre sagte nichts.

Eine Pause entstand. Dann sagte Werner:

»Das brauchte ja vielleicht nicht gleich zu sein; das könnte man dann vielleicht später . . .«

»Nein! nein!« unterbrach ihn Agnes erregt. »Du bist wie dein Vater! Aber das sag ich euch gleich, um als Krankenschwester . . .«

»Großer Gott!« rief Cläre, »was sind das für Gedanken!«

»Nun ja! Wenn Carli gesund geblieben wäre, hätte kein Mensch an mich gedacht. Und jetzt, da denkt jeder auch nur wieder an ihn. Aber ich will! Und wenn ich den Carli auch mag, darum tu ich’s doch nicht. Anders nicht!«

»Ja, Carl, da wirst du dich denn wohl entscheiden müssen!« sagte Cläre.

Carl sah sie an.

»Dazu müßten wir uns ja scheiden lassen.«

»Ja! Das müßten wir!«

»Nein! So etwas!« rief Agnes. »Auseinandergehen wollt ihr! An verschiedenen Orten leben wollt ihr auch! In Wirklichkeit also seid ihr geschieden. Was kann es denn da noch ausmachen, wenn ihr es euch bescheinigen laßt?«

»Das würden Sie vielleicht fühlen, wenn Sie einmal zwanzig Jahre lang mit einem Manne glücklich verheiratet waren und dann in die Lage kämen,« sagte Cläre.

»Ich würde vielleicht versuchen, ihn festzuhalten – ja! das schon! Lasse ich ihn aber laufen, dann käm’s mir auf den Laufpaß auch nicht an.«

Cläre war mit ihrer Beherrschung zu Ende.

»Ich glaube, ihr macht das miteinander ab,« sagte sie.

»Nur damit ihr’s wißt, ich bin mit allem einverstanden.«

Sie nahm Werners Arm und ging mit ihm hinaus. Der Arzt folgte.

Als sie draußen waren, sagte Agnes:

»Gott sei Dank! Ich weist nicht, woran es liegt, ich bin doch sonst nicht so, aber in ihrer Gegenwart, da fühl ich mich unbehaglich. Geht’s dir nicht auch so? – Ich versteh nicht, wie du das zwanzig Jahre lang ausgehalten hast. Das is alles so deutlich und überlegt. Ich bin doch auch bestimmt, und weiß, was ich will – aber bei mir, da kommt’s eben raus, wie’s mir gerade in den Sinn kommt; und ich denk nich viel nach und überleg nicht viel – aber bei ihr, da is alles so, als ob es – ja, wie sag ich nur? – Stein für Stein aufgebaut wäre; und nun steht’s da wie eine Mauer! Und wenn man dagegen anrennt – verstehst du? – bei mir, da wackelt’s, und ich stemm mich dagegen und tramps auf und sag: nein! nein! nein! Aber bei ihr, da rührt sich nichts, und wenn man da anrennt, da holt man sich Brüschen.«

»Gewiß!« sagte Carl. »Es ist wie du sagst. Gefühl und Ueberlegung, die gehen bei ihr ineinander, und das ist es, was ihrer Ueberzeugung diese Festigkeit gibt.«

»Ich könnte das nicht ertragen,« sagte Agnes. »Aber du mußt ja wissen. – Jedenfalls, so viel hab ich raus: daß sie dich beherrscht.«

»Das habe ich nie empfunden,« sagte Carl.

»Verlaß dich drauf! Ich kenn mich aus. Du siehst ja: daß es mit euch aus ist, das weiß sie. Kein Kunststück, sich da in Positur zu werfen und zu sagen: Ich trete zurück! Ich verzichte! Auf das, was man verloren hat, verzichtet sich’s leicht. Aber so sind sie. Außen, da tun sie groß; aber da innen, wo der Stachel sitzt, da bohren sie. Sie gibt dich frei, aber wie? Sie hält dich an der Strippe, und soweit sie die Strippe losläßt, darfst du frei herumlaufen; nicht einen Schritt weiter; dann zieht sie an und sagt: Was? Ich bin deine Frau! – die andere?« sie zog verächtlich die Schultern hoch und sprach täuschend in Cläres Ton – »ich glaube, ich habe dir nun lang genug deine Freiheit gelassen.«

Carl schüttelte den Kopf.

»So ist sie nicht!« sagte er bestimmt.

»So oder so!« sagte Agnes. »Du mußt dich entscheiden. Hast du mit deinem Leben abgeschlossen: gut! So bleib, wo du bist! Glaubst du, daß du noch einmal leben und jung sein kannst, und gefall ich dir, so reiß dich los!«

»Ich fühle, daß mich alles zu dir zieht, Agnes! Ich glaube auch an dies neue Leben und habe nur einen Wunsch, daß du immer um mich bist.«

»Nun also! – Wenn du weißt, was du willst, worauf wartest du? – Ich will dir sagen: ich dräng mich nicht auf, das hab ich nicht nötig. Und wärst du’s nicht gewesen – zu einem anderen, und wenn man mir zehnmal die Ehe versprochen hätte, wär ich nicht gekommen. Ich will auch keinen anderen als dich! Aber nun sag ich nichts mehr. Nur das noch: Wenn ich jetzt geh und habe dein Wort nicht, dann siehst du mich nicht mehr!«

Carl erschrak und setzte sich auf. »Agnes!« sagte er stehend, streckte die Arme aus und sagte: »Komm!«

»Du willst es tun?« fragte sie.

Er nickte nur.

Da streifte sie blitzschnell die Handschuh ab, riß den Hut vom Kopf, warf ihn zur Seite, stürzte zu ihm aufs Bett, rief:

»Carli!«

und warf sich in seine Arme. Er umschlang sie und drückte sie fest an sich, dachte nicht mehr an Cläre, sagte nur immer:

»Agnes, mein Weib! Mein schönes, junges Weib!« und dazwischen wiederholte er mehrmals: »Leben! – leben! – leben!« —

»So!«

sagte Agnes nach einer Weile und erhob sich, ging zum Spiegel, brachte ihr Haar in Ordnung und spritzte aus einem Flakon, das auf dem Waschtisch stand, ein paar Tropfen auf ihre Bluse. Dann trat sie wieder an Carls Bett, streckte ihm die Hand hin und sagte:

»Ich gratuliere!«

Carl nickte ihr zu und sagte:

»Danke!«

Sie schob den Stuhl direkt ans Bett und sagte vergnügt:

»So! Nun bin ich deine Braut! Wem teilen wir’s mit? Wann machen wir Hochzeit?«

»Bald!«

»Wo? Wen laden wir ein? – Herrgott, was gibt es jetzt alles zu tun? Wo werden wir wohnen? Hier natürlich nur während des Sommers. Was meinst du, wie nenn ich mich? Agnes Holten – oder Agnes Holl-Holten? – Und weißt du, was du mir zur Hochzeit schenkst? Ein Stück mit einer Riesenrolle, die schreibst du mir auf den Leib. Ueberhaupt, als mein Mann mußt du für mich sorgen, und bei allem, was du schreibst, an mich denken. – In ein paar Jahren, da muß ich in der ganzen Welt berühmt sein. Dadurch wirst ja du auch noch berühmter – und unsere Bilder – zusammen natürlich, die muß man überall sehn. Gott, wird das schön! Denk dir, wenn man dann reist, und jeder staunt uns an und weiß, wer wir sind. Carli! Ich bin ja so glücklich!«

Und wieder fiel sie ihm um den Hals; wieder schlang er seine Arme um sie, drückte sie an sich und rief:

»Agnes, mein Weib! Mein schönes, junges Weib!«

Dann erhob sich Agnes wieder und trat vor den Spiegel, brachte ihr Haar in Ordnung und spritzte aus dem Flakon, das auf dem Waschtisch stand, ein paar Tropfen auf ihre zerdrückte Bluse.

Aber sie trat nicht wieder an Carls Bett, sondern nahm ihren Hut und setzte ihn auf, nahm die Handschuh und fragte, während sie sie überstreifte:

»Also wann darfst du aufstehen?«

»Da dank dir die Krisis vorüber ist – heute!«

»Fein! Also dann bist du übermorgen in Berlin! Da haben wir Ruhe, alles zu besprechen. – So, Carli,« dabei zog sie sich den anderen Handschuh über, »in zwanzig Minuten geht mein Zug; das mit deiner Frau erledigst du, alles andere mach ich. – Grüß sie, falls ich sie nicht mehr sehe, und sag ihr – verflixt!« sie mühte sich gerade, den obersten Knopf ihres Handschuhs zu schließen – »es tät mir leid! Aber das sei mal so im Leben. Na, du wirst schon wissen.« – Dann trat sie wieder an sein Bett, gab ihm die Hand und nickte ihm zu:

»Das wär dann alles. Also bis morgen! Leb wohl!«

Carl saß aufrecht im Bett und sah ihr nach. Sie war schon in der Tür, da kehrte sie um.

»Richtig! Beinah hätt’ ich’s vergessen.« Sie ging ins Zimmer zurück, nahm vom Tisch ein Stück Papier und eine Feder, tauchte sie ein und ging damit ans Bett.

»So! Bitte, schreib!«

Carl hielt den Halter in der Hand und fragte:

»Was soll ich schreiben?«

»Das ist gleich.«

Er sah sie erstaunt an.

»Schreib: Am Tage unserer Verlobung, Carl Holten.«

Carl schrieb.

»Hebst du dir das auf?« fragte er freudig und reichte ihr das Papier.

»Quatsch! Das ist für meine Zofe, die sammelt Autogramme.«

Im selben Augenblick war sie auch schon aus der Tür.

Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Carl Holten an Cläre

Liebste Cläre!

Es war Dein Wunsch und Wille, Dir erst zu schreiben, wenn eine neue Arbeit von mir fertig ist. Vielleicht, daß das meine Arbeit beflügelt hat. Jedenfalls kann ich schon heute, drei Monate nachdem mein Leben so plötzlich eine neue Wendung nahm, melden, daß ich ein neues Stück, dem ich den Titel »Frau Agnes« gab, soeben vollendet habe.

Ich hätte Dir gern, wie früher, jede Szene nach ihrer Erstehung gelesen, mich Deiner Anregung, Deiner Teilnahme, Deines Rats erfreut. Vielleicht, daß Du uns über kurz oder lang doch einmal näher kommst. Ich denke so oft auf meinen Wanderungen, wenn ich an eine schöne Stelle komme: hier könnte sie wohnen, und wir könnten gute Kameradschaft halten. Agnes, die klug und verständig ist, wenn auch etwas eigenwillig, würde sich gewiß freuen; und sie hätte an Dir eine Stütze, der sie mehr vielleicht noch als ich bedarf.

Denn Du begreifst, daß an sie tausenderlei Dinge herantreten, in denen ich sie nicht beraten kann, da mir dafür Zeit und Verständnis fehlen. – Also, erwäg’s mal!

Mit diesen Zeilen aber will ich Dich bitten, am Mittwoch, den zweiundzwanzigsten, in Berlin zu sein. Ich werde – und zwar, weil Agnes es sich wünscht, nicht bei uns, sondern im Hause des Geheimrats Weber, dessen Frau Agnes eine gute Freundin ist, – mein neues Stück lesen. Es wäre mir schmerzlich, wenn Du da fehltest. Ja, ich habe das Gefühl, als gäbe mir Deine Anwesenheit erst das Vertrauen und die Sicherheit, die den Erfolg verbürgen.

Eine Einladungskarte der Familie Weber lege ich bei.

Ich drücke Dir, liebe Cläre, in treuer Gesinnung die Hand.

Von Agnes beste Grüße
Carl.

Cläre Holten an den alten Brand

Lieber Freund!

Bitte, lesen Sie beiliegenden Brief und sagen Sie mir schnell, ob es nach Ihrer Ansicht für Carl gleichgültig, fördernd oder im Hinblick auf seinen ehelichen Frieden gar bedenklich ist, wenn ich seinen Wunsch erfülle.

Auch heute kann ich mich den in Ihrem Briefe geäußerten Ansichten nicht anschließen. Daß der Erfolg jedes Unrecht ausgleicht und daß die Welt daher zu dieser Frau hält, die schön und jung ist, finde ich zu natürlich, als daß ich es verurteilen könnte.

Viel mehr verdrießen mich jene, die früher seine Freundschaft suchten, jetzt aber die Sittenapostel spielen und über ihn herziehen. Mir erweisen sie damit keinen Dienst, daß sie ihm das Leben verleiden. Ich fühle, daß er ohnedies mit sich zu tun hat. Und so lange ich ihn nicht anklage, hat niemand das Recht, sich zum Richter gegen ihn aufzuwerfen.

Soviel auf Ihren Brief, bester Freund, der gewiß – wie alles, was von Ihnen kommt – gut gemeint war. An Werners Besuch denke ich gern zurück. Er soll es wahr machen und öfters kommen. Er versteht es besser als andere, sein Mitleid zu verbergen. Und das ist es, was mir seine Gegenwart besonders lieb macht.

In Freundschaft Ihre
Cläre Holten.
*

»Ich habe ganz frech Einladungen an Leute geschickt, die wir gar nicht kennen,« sagte Frau Geheimrat Weber zu ihrem Mann; und der erwiderte:

»Das sieht dir ähnlich.«

»Ich bitt dich, Holten ist ein Name, auf den rauf man sich alles erlauben kann.«

»Er hat aber ausdrücklich darum gebeten, daß man ihm keine fremden Gesichter gegenübersetzt. Das geniert ihn.«

»Dann soll er kein Dichter sein! Das gehört zum Beruf. Im übrigen handeln wir nur in seinem Interesse, wenn wir ihm seine Menschenscheu abgewöhnen; dann wird Agnes sich nicht mehr so viel, wie jetzt, ohne ihn zeigen.«

»Dafür solltest du, als ihre Freundin, überhaupt sorgen. Den besten Ruf hat sie so nicht.«

»Sie steht auf dem Standpunkt, daß sie sich, zumal seitdem sie Holtens Frau ist, als Künstlerin alles erlauben kann.«

»Innerhalb gewisser Grenzen trifft das wohl auch zu.«

»Ich glaube, daß gerade unsere Kreise«, erwiderte die Alte und sah ihren Mann spöttisch an, »schuld daran sind, wenn diese Grenzen nicht gerade eng sind.«

Der Geheimrat stellte sich dumm und sagte:

»Möglich —« dann sah er sich im Salon und in den Nebenräumen um, schnüffelte in alle Ecken und sagte:

»Sehr hübsch hast du das wieder gemacht.« Er stand jetzt an einem Podium, das an der Wand des letzten von vier ineinandergehenden Räumen errichtet war, stieg hinauf und trat an den Vortragstisch, der vorn in der Mitte stand. Ein seidener Perser in matten Farben bedeckte ihn. Darauf stand eine Sévresvase, aus der ein Tuff Orchideen emporblühte.

Er zählte die Sessel, die vor dem Podium standen: »Zwei, vier, sechs, sieben mal zwei, vier, sechs, acht, zehn, zwölf – das macht vierundachtzig. Das ist ja schon eine kleine Premiere. Du hast doch nicht etwa die Kritik geladen?«

»Nein! Da es nichts anderes sein soll als ein Höhepunkt in meinen wöchentlichen literarischen Tees, so mußte der private Charakter bewahrt bleiben. Das hindert natürlich nicht, daß es als gesellschaftliches Ereignis in der Presse gewürdigt wird. Dafür habe ich gesorgt.«

»Ich bewundere deine Geschicklichkeit.«

»Das ist aber auch das Einzige, was du tust. Eine andere Hilfe in diesen Dingen habe ich an dir nicht.«

Der Diener meldete die ersten Gäste.

Innerhalb einer Viertelstunde waren die Räume voll.

Cläre kam mit den beiden Brands. In der Diele traf sie mit Carl und Agnes zusammen. Die Bangigkeit und Unruhe, mit der Carl und Cläre diesem Wiedersehen entgegengelebt hatten, war im selben Augenblick, in dem sie sich gegenüberstanden, geschwunden. Alles, was sie in der Zwischenzeit erlebt, gedacht und gefühlt hatten, was sich von Tag zu Tag zu einem festeren Gebilde zusammenschloß, alles das, glaubten sie, würde im Augenblick des Wiedersehens mit mächtiger, unbezwinglicher Gewalt hervorbrechen. Die fremde Umgebung, der Lärm ringsum, das laute Sprechen und Kommen der vielen Menschen, das neugierige Sich-drängen an den Türen – das alles schuf eine Unruhe und eine Fülle der Gesichte, der gegenüber sich jedes Gefühl verschloß. Sie legten die Hände ineinander, drückten sie, sagten sich »guten Tag« und hatten es kaum ausgesprochen, als ein Schwarm fremder Menschen auf Carl einstürmte und ihn von ihrer Seite riß. Aehnlich erging es Agnes, die neben ihm stand und gerade die Hand ausstreckte, um Cläre zu begrüßen.

»Kommen Sie!« sagte der alte Brand zu Cläre. »Es ist besser so!« Er nahm ihr die Sachen ab und ging mit ihr hinein. Zierliche Kärtchen mit einem B, die zu dem Stil der Möbel paßten, zeigten, daß die vorderen Reihen belegt waren. Es waren nur achtundzwanzig Stühle, von denen die meisten bereits besetzt waren. Und die Neugier, mit der alle Augen auf diese Plätze gerichtet waren, bewies, daß es bekannte Persönlichkeiten waren, die sie inne hatten. Ihnen wies der Geheimrat auf einen Wink seiner Frau hin persönlich die Plätze an. Peter hatte als einziger gedankt.

»I wat! Was soll ich denn da vorn?« hatte er gesagt. »Ich muß einen Eckplatz haben, damit ich raus kann, wenn’s öde wird.«

Und der Geheimrat, dessen Platz vorn in der ersten Reihe neben dem von Agnes lag, hatte ihn auf die Schulter geklopft und gesagt:

»So möcht’ ich’s auch haben!«

Alle anderen aber, die der Geheimrat auf die ersten Reihen wies, nahmen die Auszeichnung dankbar an. In den Mittelpunkt des Interesses gerückt, fühlten sie sich beobachtet, verloren ihre natürliche Haltung, zierten und spreizten sich, soweit der enge Raum es zuließ. Und wer nicht nur mit den Augen sah, dem schien’s, als wenn ihre Rücken breiter, ihre Köpfe länger und – doch das sahen nur wenige – ihre Nasen spitzer würden.

Als Cläre mit Brands absichtlich in das letzte Zimmer trat, gab die Frau Geheimrat, deren geübtem Auge nichts entging, ihrem Manne ein Zeichen. Der alte Brand sah es und winkte ab. Der Geheimrat verstand, und Brand und Cläre nahmen auf einer der letzten Reihen Platz.

Plötzlich erklang Liszts Ungarische Rhapsodie 12.

Im selben Augenblick brach das Gespräch ab, und alle setzten sich. Nur die Frau Geheimrat stand seitwärts vom Podium, am Eingang des letzten Saals, der tiefer in die Wohnung führte und durch den bisher noch niemand eingetreten war. Der Geheimrat war verschwunden. Alle wußten: von da würde der Dichter kommen.

Das Orchester hatte eben den ersten Satz beendet. Niemand sah, daß die Frau Geheimrat in den Nebenraum hinein ein Zeichen gab. Das Orchester setzte zum zweiten Satze ein – die Frau Geheimrat trat zur Seite, und es erschien Agnes, am Arme des Geheimrats.

Das Publikum klatschte laut, viele sprangen auf, einige jubelten ihr zu. Agnes dankte, indem sie unbefangen in den Saal nickte.

Sie trug ein Kleid aus kornblumblauer Seide mit Leibchen aus elfenbeinfarbiger Tüllspitze – und sah prachtvoll aus! Sie nahm in der Mitte der erster Reihe neben dem Geheimrat Platz. Rechts von ihr setzte sich die Alte.

Als das Orchester den zweiten Satz beendet hatte, trat der Direktor des Neuen Theaters auf das Podium und sprach:

»Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie namens der Wirtin. Ihr künstlerischer Geschmack hat uns auch in diesem Winter wieder Nachmittage erleben lassen, die uns unvergeßlich bleiben werden. Wir haben —« und nun verlas er, einem Wunsche der Frau Geheimrat folgend, das ganze Programm dieses Winters und schloß: »Den erlesensten literarischen Leckerbissen aber hat man uns bis zuletzt aufbewahrt. Sie alle wissen, welch seltener Genuß uns heute erwartet. Carl Holten wird seine neueste Bühnenschöpfung zu Gehör bringen. Das Drama lautet ›Frau Agnes‹ und dabei machte er nach der Richtung hin, wo Agnes saß, eine leichte Handbewegung, die keinem entging, so daß die gar nicht nötig gehabt hätte, auffällig auf ihrem Sessel hin und her zu rücken. »Es erübrigt sich wohl,« fuhr er fort, »um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten. Ich will nur sagen, daß der Dichter den Wunsch hat, sein Drama ohne Unterbrechung zu Gehör zu bringen. Den ersten Akt wird der Dichter, den zweiten Ernst Becker vom Neuen Theater, den dritten wieder der Dichter lesen.«

Dann trat er ab.

Das Publikum klatschte. Weshalb es klatschte, wußte es nicht.

Der Direktor nahm auf der ersten Reihe neben dem Geheimrat Platz. Er saß kaum, da trat Carl, ungelenk und befangen, in den Saal. Die Gäste brachen bei seinem Anblick in lauten Jubel aus. Diese Begeisterung, fühlte man, kam aus dem Herzen. Carl errötete, stieg auf das Podium, vergaß die Verbeugung, setzte sich, schlug das Manuskript auf, lächelte und sah, da der Jubel anhielt, in den Saal.

Irgendwer rief »Pst!« Andere folgten – der Lärm ließ nach – schließlich klatschten nur noch wenige – dann war es still.

Carl blätterte, beugte sich über sein Manuskript und las:

»Frau Agnes, ein modernes Drama . . .!«

Er las verständlich, eindringlich und mit Leidenschaft. Anfangs scheu, später schien er die Menschen um sich zu vergessen, wurde warm, begleitete seine Rede mit Gebärden, die die Wirkung seines Vortrags stärkten und vertieften.

Als er mit dem ersten Akt zu Ende war, setzte starker Beifall ein.

»Wie finden Sie’s?« sagte der alte Brand.

»Warten wir ab,« erwiderte Cläre.

Carl stand jetzt auf und verbeugte sich. Der Beifall wuchs. Diener trugen einen Sessel und einen Stuhl aufs Podium. Den Stuhl stellten sie rechts vom Tische auf, den Sessel links, an der Seite, wo die Orchideen standen. Die Diener verschwanden. Der Direktor erschien wieder auf dem Podium. Carl setzte sich. Der Beifall ließ nach – wurde schwach, verstummte.

»Meine Damen und Herren,« sagte der Direktor. »Wenn ich Sie in Ihrer tiefen Ergriffenheit, in die der erste Akt des Dramas uns alle versetzt hat, störe, so geschieht es, um Ihnen zu sagen, daß sich eine Künstlerin von Rang bereit gefunden hat, im zweiten Akt die Rolle der Frau Agnes zu lesen.« – »Bravo!« riefen ein paar Stimmen. – »Wer diese Künstlerin ist, werden Sie gleich sehen.«

Und unter lautem Jubel trat Agnes auf das Podium, verbeugte sich ein paar Male und setzte sich dann links von den Orchideen, die glänzend zu ihrem schwarzen Haar standen, in den Sessel. Ihr gegenüber saß der Geheimrat. Ungezwungen lehnte sie sich zurück, schlug die Beine übereinander, zog ein Manuskript hervor, beugte noch einmal lächelnd den Kopf.

»Mache!« sagte der alte Brand; begriff aber, daß ringsum alle nur noch Augen für Agnes hatten.

Das Interesse für sie war so groß, daß man vergaß oder nicht für nötig hielt, Ernst Becker, obschon er ein Liebling der Frauen war, zu begrüßen. Er setzte sich rechts neben den Tisch, bat Carl um das Manuskript, legte es vor sich auf den Schoß und sah gekränkt und verächtlich auf die Menschen.

Agnes gab Carl ein Zeichen. Carl gab es an Ernst Becker weiter. Der nahm das Manuskript hoch und las. Einige sahen’s, brachen ihr Gespräch ab und setzten sich. Und als Ernst Becker zum zweiten Male umblätterte, war es wieder ruhig im Saale

Es schien, daß die Aufmerksamkeit, die beim ersten Akte schon nach der Mitte hin merklich abgeflaut war, jetzt, beim zweiten Akt, länger anhielt. Agnes brachte Leben und Farbe, indem sie sich nicht mit dem Vortrag begnügte, sondern mehrmals aufstand und richtig Theater spielte. Nach solchen Szenen setzte regelmäßig der Beifall ein.

Der alte Brand sagte leise zu seinem Sohne:

»Ich kann mir nicht helfen. Ich bin ganz objektiv, aber das ist Mache!«

»Mich fesselt’s,« sagte Werner.

»Dich fesselt das Weib!«

Cläre schwieg. Sie sah nur immer Carl an.

Nach dem zweiten Akt nahm der Jubel kein Ende. Carl, Agnes und Becker mußten sich immer wieder verbeugen. Es war apart und reizend, wie Agnes das tat, ohne sich aus dem Sessel zu heben. Sie beugte den Oberkörper kaum merkbar nach vorn, bewegte lächelnd den Kopf, bis er unter den Orchideen stand, verharrte in dieser Stellung mehrere Sekunden und glitt dann mit halbgeschlossenen Augen wieder in den Sessel zurück. Niemand konnte sagen, ob das Absicht oder Zufall war. Der Beifall war jedenfalls groß und galt – das fühlte auch Carl – in gleicher Weise ihr wie dem Stück.

Neben Werner brüllte ein Herr mehrmals »Hoch!« und sagte dann zu seiner Dame:

»Sowas ist nur auf der Bühne möglich!«

Und die Dame stöhnte, während sie mit begeistertem Lächeln wie toll in die weißen Hände klatschte: