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Czytaj książkę: «Justizmord », strona 4

Czcionka:

4

Frau Dorothée und Harvey saßen am Frühstückstisch.

»Du trinkst doch eine Tasse Tee mit?« fragte Dorothée?

»Ich nehme einen Apfel – wenn du erlaubst.«

Er griff nach einem Caville – sie nahm ihn ihm aus der Hand und sagte:

»Ich schäle ihn dir,« – und mit einem Blick auf die vielen Briefe fuhr sie fort: »Dieser Berg von Post jeden Morgen.«

»Laß sie liegen! – Du verdirbst dir nur wieder den Tag.«

»Es kann doch mal etwas darunter sein, was einen auf die richtige Spur bringt.«

»Kannst du denn nicht zehn Minuten mal an etwas anderes denken?«

»Nicht, bevor der Mord restlos aufgeklärt ist.«

»Und wenn er, wie so viel Morde, unaufgeklärt bleibt?«

»Dann werde ich nie zur Ruhe kommen.«

Während Harvey die Morgenblätter las, war Dorothée mit der Lektüre der Briefe beschäftigt.

»Du hast recht,« sagte sie, »die Briefe werden immer verrückter. Hör' nur, was mir hier eine Frau aus Avignon schreibt: ,Eine Frau, die unter der Verständnislosigkeit, Dummheit und Roheit ihres Mannes leidet, aber nicht wie Sie, den Mut zur Tat aufbringt, drückt Ihnen bewundernd die Hand.' – Ist das nicht toll?«

»Wenn ein Tag im Jahr bestimmt würde,« erwiderte Harvey, »an dem jede Frau in Frankreich sich ungestraft ihres Mannes entledigen dürfte – liefen in Frankreich sehr bald nur noch Witwen herum.«

»Es wird immer hübscher!« rief Dorothée, die schon beim Lesen des nächsten Briefes war. Hier schreibt ein Fräulein Adèle Raymond aus Marquise: .Nachdem Sie durch die Ermordung Ihres Gatten eine Berühmtheit geworden sind, bitte ich höflichst um Ihr Autogramm.'»

»Unglaublich!«

»Und hier wieder mal ein Heiratsantrag: ,Ihr Bild in dem heutigen Abendblatt begeistert mich derart, daß ich mich vorurteilsfrei über Ihre Tat hinwegsetze und Ihnen die Hand zum Lebensbunde reiche. Bitte, klären Sie mich umgehend über Ihre Vermögensverhältnisse auf. lang=FR W. T. 7. Marseille, post restante'»

»Siehst du nun, wie gut es ist, daß wir verlobt sind?«

»Das ist ja unmöglich!«

»Was ist denn?« fragte der Amerikaner.

»Hör« nur!« – sie las von einem lila Bogen – »Sehr geehrte Frau Marot. Ich bin der einzige Mensch, der imstande ist, Sie aus Ihren Gewissensängsten zu befreien. Wenn Sie dahinterkommen wollen, wer der Mörder Ihres Mannes, ist, so kaufen Sie eine Muskatnuß, legen Sie diese unter Ihren linken Arm, arbeiten oder gehen Sie, bis Sie tüchtig schwitzen, so daß der Schweiß in die Muskatnuß zieht, dann zerreiben Sie die Nuß, mischen Nelken und Schlagbalsam darunter, und bestreichen Sie damit des Nachts Ihre Stirn. Im Traum wird Ihnen dann der Mörder Ihres Mannes erscheinen. Das Mittel ist in unserer Gegend vielfach angewandt, ist unfehlbar und ich erlaube mir Ihnen dafür zehn Franken zu liquidieren. Mit bestem Gruß Maria Lavoisier. Ambletteuse.«

»Du bekommst es fertig und wendest es an.«

»Ganz habe ich den Verstand ja noch nicht verloren.«

»Jedenfalls bist du zur Zeit die populärste Frau Frankreichs.«

Im selben Augenblick stürzte, ohne anzuklopfen, ein Mann im Cut mit hohem Hut und weißen Handschuhen ins Zimmer und rief:

»Was heißt Frankreichs? Wollen Sie mir mein Geschäft verderben? Dorothée Marot ist heute in Amerika genau so ein Schlager wie in Europa.«

»Wer sind Sie denn?« fragte Harvey.

»Wie kommen Sie denn hier herein?« fragte Frau Dorothée empört.

»Dur* die Tür!«

»Sind Sie nicht der Direktor aus dem Hotel Excelsior Regina in Nizza?«

»Gewesen, gnädige Frau! Bis zum 15. April mittags. Als man die Leiche Ihres Gatten unauffällig aus dem Hotel geschafft hatte, setzte man mich an die Luft.«

»Was konnten denn Sie dafür?«

»Der Aufsichtsrat meinte, ich hätte statt der Polizei den Hotelarzt holen und statt Mord Herzschlag als Todesursache feststellen lassen sollen.«

»Was wäre uns alles dadurch erspart gegeblieben!« sagte Dorothée.

»Besser so! – Nie wären Sie so berühmt und ich Agent für Film und Variete geworden.«

»Ich verstehe,« sagte Harvey, »Sie wollen Frau Marot. . .?«

»Was heißt ich will? Ich habe!« Er zog ein Schriftstück aus der Tasche und rief: »Hier ist der Vertrag! Dreimonatige Tournee durch die Vereinigten Staaten. Pro Abend tausend Dollar. Die Luxuskabine auf der Lutetia ist für morgen belegt.«

»Für morgen?« fragte Dorothée – und der Direktor erwiderte:

»Heute geht leider kein Schiff mehr.«

»Sie glauben doch nicht etwa im Ernst, daß ich. . .?«

»Sie müssen!« erwiderte der Direktor, legte ihr den Vertrag vor und drückte ihr seine Füllfeder in die Hand. Dann legte er einen Schein auf den Tisch und sagte: »Hier haben Sie tausend Dollar Vorschuß.«

»Tollhaus!« sagte der Amerikaner und Dorothée erwiderte:

»So gern ich aus allem hier herauskäme – das würde ja wie eine Flucht aussehen.«

»Ich habe fünfzigtausend Franken Kaution für Sie hinterlegt. Also unterschreiben Sie!«

»Nicht eine Stunde früher, als bis der Mord restlos aufgeklärt ist.«

»Dazu ist nach Ihrer Rückkehr noch immer Zeit genug.«

»In welcher Rolle wollten Sie mich denn überhaupt dem amerikanischen Publikum zeigen?«

»Als Frau Dorothée Marot. Das ist heute ein Begriff – morgen vielleicht nicht mehr! Ziehen Sie sich an.«

»Wozu?«

»Für den Photographen, den ich um zehn Uhr herbestellt habe. – Sie können doch tanzen?«

»Wenig.«

»Das genügt bei Ihrer Berühmtheit und Ihren Beinen.«

»Was wissen Sie von meinen Beinen?«

»Im übrigen habe ich  einen Tanzmeister

engagiert, der Ihnen während der Überfahrt ein

paar Tänze beibringt.«

»Sie glauben doch nicht, daß ich im Trauerkleid vor das Publikum treten und tanzen werde?«

»Für so verrückt halte ich Sie nicht. Ich habe für zehn Uhr fünfzig Madame de Bryère mit den neusten Pariser Modellen bestellt.« – Plötzlich stutzte er, schien zu überlegen und sagte: »oder?

– Hören Sie, das ist eine Idee! das war noch nicht da! Sie tanzen als Witwe – Chopin – Beethoven

– Debussy – Meyerbeer – in schwarzen Gewändern.  Dem Toten zu Ehren.  Das schafft Ihnen Sympathien. Ich bringe Gutachten ärztlicher Autoritäten, daß Ihr Schmerz sich im Tanze löst wie bei den ändern in Tränen.«

»Sie wissen ja nicht, was Sie reden.«

»Ich stürze zu Frau Bryère und bestelle die Kostüme um« – rief er und verschwand.

»So lauf' ihm doch nach«, drängte Frau Dorothée – »und sag' ihm, daß ich nicht daran denke, diesen Wahnsinn mitzumachen.«

»Beruhige dich! Den Mann engagiere ich. Der wird Propagandachef für meine Tageszeitungen!«

5

Der Direktor konnte kaum aus dem Hause sein, da trug Dorothée, die mit Harvey noch immer am Frühstückstisch saß, dem Diener auf:

»Ich bin weder für den Herrn, der eben gegangen ist, wahrscheinlich aber wiederkommt, noch für einen Photographen oder eine Frau Bryère – noch überhaupt für irgend jemanden, sei es wer es wolle, heute vormittag zu sprechen. Ich will, ich muß endlich mal ein paar Stunden Ruhe haben.«

Der Diener sah Frau Dorothée etwas erstaunt an und sagte:

»Aber für den Coiffeur . . . sind gnädige Frau doch . . .?«

»Was für einen Coiffeur?« »Er sieht aus wie ein feiner Herr aus Paris.«

»Was will er?«

»Er erzählt so viel. Ich bin nicht recht klug geworden.«

»Vermutlich will er dich frisieren«, meinte Harvey.

»Diese Karte gab er mir, gnädige Frau.«

Harvey nahm die Karte und las: »François Robert, Coiffeur pour péniles dames. Hotel Excelsior Regina, Nice.«

»Der hat uns grade noch gefehlt«, rief Dorothée.

»Hat der dir nicht damals in Nizza die neue amerikanische Frisur gemacht?«

»Ja! aber eine ganz andere, als du mir beschrieben hattest.«

»Und du meinst, daß er deshalb . . .?« fragte Harvey verständnislos.

»Ich meine, daß du schon damals kein Interesse für mich hattest und« – ihr kam ein Gedanke – »mir diese Frisur nur aufredetest, um mich los zu werden. Das ist sehr verdächtig, lieber Freund«.

»Du mußt wirklich etwas für deine Nerven tun.«

»Die du ruiniert hast.«

»Darf ich den Coiffeur . . .?« fragte der Diener, um sich in Erinnerung zu bringen.

»Hinaus mit ihm!« rief Dorothée aber Mister Harvey riet:

»Hör' ihn dir an, Coiffeure wissen mehr als jeder andere Mensch.«

»Also, ich lasse bitten«, sagte Dorothée, die sich wieder in der Gewalt hatte.

Und durch die Tür trat gleich darauf in Talmieleganz tänzelnd und geziert: der Coiffeur François Robert.

Er verbeugte sich devot und stellte sich vor. »Wir wissen bereits«, sagte Dorothée.

François Robert richtete sich stolz auf und erwiderte:

»Sie kennen mich? Sie erinnern sich? Ich hatte die Ehre in der Nacht vom vierzehnten zum fünfzehnten April« er sah zu ihr auf und rief beglückt: »Oh! Sie tragen die Frisur noch immer! Ich bin sehr stolz – aber Sie gestatten« – er nahm aus der Tasche einen Kamm, trat an Dorothée, ehe sie es verhindern konnte, heran, zog eine blonde Locke auf die Stirn herunter und sagte: »So ist das Kunstwerk vollkommen.« Dann zog er aus der Tasche einen Handspiegel, hielt ihn Dorothée vor das Gesicht: »Bitte!«

Dorothée sah in den Spiegel, lächelte und sagte:

»Sie haben recht.«

»Haben Sie deshalb die Reise von Nizza nach Toulon gemacht«, fragte Harvey, »um Frau Marot diese Locke in die Stirn zu ziehen?«

»Die Trauer steht der gnädigen Frau vorzüglich«, erwiderte François. »Gnädige Frau erinnern sich, daß' ich schon damals prophezeite, wie gut Sie Schwarz kleiden müsse.«

»Ihr Wunsch hat sich leider schnell erfüllt«, sagte Dorothée – und Harvey fragte:

»Also, was wünschen Sie von Frau Marot?«

François trat an Frau Dorothée heran und sagte:

»Ihnen mein Beileid zum Verlust Ihres Gatten auszusprechen.«

»Wie kommen Sie dazu?«

»Das habe ich dem Staatsanwalt auch gesagt – was geht das mich an? Aber er ist anderer Meinung.«

»Der Staatsanwalt?« fragte Dorothée und Harvey fügte hinzu:

»Hat er Sie auch in diese Mordaffäre verwickelt?«

»Darüber hätte ich gern mit der gnädigen Frau unter vier Augen gesprochen.«

»Geheimnisse zwischen dir und diesem Coiffeur?«

»Ich wüßte nicht«, erwiderte Dorothée.

»Leider ist es so.«

»Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich der Verlobte Frau Marots bin.«

François verbeugte sich und sagte:

»Sehr erfreut – immerhin: verlobt ist nicht verheiratet.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Harvey scharf.

»Daß ich nicht weiß, wie weit die gnädige Frau Sie ins Vertrauen gezogen hat.«

»Das klingt ja sonderbar.«

»Ich finde auch«, stimmte Dorothée bei – und Harvey fragte:

»Wollen Sie sich nicht deutlicher erklären?«

»Die Diskretion ist die höchste Tugend eines Coiffeurs.«

»Das ist eine Phrase – reden Sie!« forderte der Amerikaner.

Aber François erwiderte lächelnd:

»So wenig wie dem Staatsanwalt wird es Ihnen glücken, mich zum Sprechen zu bringen.«

»Dorothée! Was bedeutet das?« rief der Amerikaner – und sie erwiderte:

»Wieso fragst du mich?«

Darauf sagte François:

»Ich wußte, daß ich mich auf Sie verlassen kann.«

»Wann hast du Herrn François Robert das letzte Mal gesehen?«

»Wie sonderbar du fragst!« erwiderte Dorothée.

Harvey wandte sich an François und fragte:

»Was wollte der Staatsanwalt von Ihnen wissen?«

»Was ich in der Mordnacht gesehen habe.«

»Nun und?«

»Laß uns allein!« forderte Dorothée. – Und da Harvey erstaunt, ja erschüttert schien, so fuhr sie fort:

»Du siehst doch, daß er in deiner Gegenwart nicht sprechen will.«

»Er macht sich wichtig!« sagte Harvey, sah François wütend an und ging hinaus.

6

Als Mister Harvey draußen war, fragte Frau Dorothée den Coiffeur, ohne ihm einen Platz anzubieten:

»Also, weshalb sind Sie gekommen?«

»Um Sie zu beruhigen.«

»Ich bin nicht aufgeregt.«

»Es wird zur Hauptverhandlung kommen.«

»Möglich.«

»Sie werden auf der Anklagebank sitzen.«

»Ausgeschlossen ist es nicht.«

»Es wird der größte Sensationsprozeß der letzten Jahre sein.«

»Dafür wird die Presse sorgen.«

»Sie werden für eine Woche lang im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen.«

»Grauenhaft!«

»Kein Blatt, das Ihr Bild nicht an sichtbarer Stelle bringt.«

»Ich werde so dicht verschleiert sein, daß von meinem Gesicht nichts zu sehen ist.«

»Nein!« rief François entsetzt: »Das werden Sie mir nicht antun.«

»Ja, was heißt denn das?«

»Ich habe Nächte lang wach gesessen und Ihren Kopf studiert.«

»Was haben Sie getan?« fragte Dorothée erstaunt.

»Ich werde Ihnen für die Tage der Hauptverhandlung eine Frisur machen, die Publikum und Gericht begeistern wird.«

»Und deshalb überfallen Sie mich hier am frühen Morgen?«

»Unterschätzen Sie die Bedeutung nicht, Madame. Eine schöne Frau beeinflußt ganz unbewußt Richter und Geschworene.«

»Ja, halten Sie mich denn auch für schuldig?«

»Ich erlaube mir kein Urteil. Ich weiß nur, daß ich Ihr Schicksal in diesen meinen beiden Künstlerhänden halte.«

»Wie können Sie das behaupten?«

»Sie gewinnen mit dem Coiffeur zugleich den Zeugen.«

»Was wissen denn Sie?«

»Selbst 'wenn ich nichts wüßte – man kann auch weniges so vortragen, daß es wie viel wirkt.«

»Eine Erpressung also.«

»Was für ein häßliches Wort.«

»Sie sind der zweiunddreißigste Zeuge, der mir zusetzt, obgleich er nichts weiß.«

»Ein Künstler wie ich versteht es, auch aus dem Nichts etwas zu machen.«

»Das ist ja furchtbar.«

»Ich brauche nur zu sagen, Sie seien mir an jenem Abend, als ich die Ehre hatte, Sie zu frisieren, durch Ihr Benehmen aufgefallen – Sie seien erregt gewesen, hätten sich über Ihren Mann beschwert und Drohungen gegen ihn ausgestoßen.«

»Das ist ja nicht wahr. Kein Wort von alle-dem ist wahr. Ich habe keine drei Worte mit Ihnen gesprochen – über meinen Mann schon gar nicht.«

»Wer kann das bezeugen?«

»Lump!«

François lächelte und sagte:

»Auch das wird man Ihnen nicht glauben. Denn ich habe Klientinnen, Namen von Klang, Dutzende – von denen ich so viel weiß, daß sie sich danach reißen werden, meinen Leumund zu bezeugen.«

»Schämen Sie sich denn nicht?«

François schien es zu überhören, streckte Frau Dorothée die Hand hin und sagte:

»Schlagen Sie ein, und ich werde vor Gericht bezeugen, daß die gnädige Frau an jenem Abend die Ruhe selber waren. Ich werde mich erinnern, daß ich beim Schlafengehen zu meiner Frau sagte: welch ein Glück für einen Mann, so eine Frau zu haben.«

Er ging auf sie zu, streckte die Arme nach ihr aus und sagte bettelnd:

»Dorothée!«

Die wich ein paar Schritte zurück, wehrte mit beiden Händen ab und rief wütend:

»Sagen Sie, was Sie wollen! Aber befreien Sie mich von Ihrer Gegenwart!«

François stutzte einen Augenblick, dann ließ er die Arme sinken und sagte mitleidig:

»Arme Dorothée!«

Dorothée stürzte zur Tür, rieß sie auf und rief:

»Hinaus!«

François schien durchaus nicht gekränkt. Er zog die Schultern hoch, blieb in der Tür stehen und flüsterte Dorothée zu:

»Falls Sie mich suchen – Hotel Mignon. Aber nur bis morgen.«

Dann ging er hinaus.

Sie hatte so laut gesprochen, daß Harvey erschien und fragte:

»Was war?«

»Das Übliche.«

»Erpressen also?«

»Ja!«

»Und was hast du gesagt?«

»Das hast du ja wohl gehört. Ich habe ihn hinausgeworfen.«

»Wieder ein Zeuge, der gegen dich aussagt.« »Ich will mit Erpressern nichts zu tun haben.«

»Diesen Luxus kann sich eine Frau, die unter dem Verdacht steht, ihren Mann ermordet zu haben, nicht leisten.«

»Ich habe ihn nicht ermordet!«

»Darauf kommt es nicht an.«

»Erlaube mal!« widersprach Dorothée und Harvey erwiderte:

»Ich werde es dir beweisen.«

7

Sie hatten sich noch nicht gesetzt, da läutete es – und der Diener meldete: »Herr Staatsanwalt Dubois.« »Dubois?« fragte Dorothée entsetzt.

»Den hatte ich erwartet«, sagte Harvey, ging – als wäre er bei sich zu Haus – zur Tür, öffnete und sagte:

»Bitte, Herr Staatsanwalt!«

Auch Dubois schien über diesen Empfang erstaunt. Er trat ein, verbeugte sich – erst vor dem Amerikaner, dann vor Dorothée und sagte:

»Gnädige Frau! ich sehe mich leider genötigt, eine Haussuchung bei Ihnen vorzunehmen.«

Während Dorothée wütend die Hände ballte und scharf:

»Bitte!« sagte, fragte Harvey mit leichtem Spott:

»Etwas Neues, Herr Staatsanwalt Dubois?«

»Vielleicht, daß wir es hier finden«, erwiderte der.

»Glaubt man, ich halte den Mörder meines Mannes in meinem Hause versteckt?«

»Kaum. Aber vielleicht, daß wir hier Anhaltspunkte finden, die die Aufklärung beschleunigen.«

»Wir?« fragte Dorothée. »Sind Sie wieder von einer Eskorte Beamten begleitet?«

»Wir sind zu dritt – um so schneller werden Sie uns wieder los.«

»Und wann wird man aufhören, mich zu quälen?«

»Wenn alle, die in der Lage sind, die Aufklärung zu beschleunigen, ihre Pflicht täten«, erwiderte Dubois und sah dabei den Amerikaner an – »wir wären längst am Ziel.«

»Falls das ein Vorwurf gegen mich sein soll«, erwiderte Harvey, »weise ich ihn zurück.«

»Ich habe jedenfalls den Eindruck, daß Sie in diesem Kampf der Behörde gegen das Verbrechen zum mindesten nicht auf Seiten der Behörde stehen.«

»Ich hoffe, Sie noch heute vom Gegenteil zu überzeugen.«

»Sind Sie zu mir gekommen, Herr Staatsanwalt – oder zu Mister Harvey?« fragte Dorothée.

»Zu Ihnen natürlich. Und zwar bin ich durch die Mitteilung einer Frau von Larue . . .«

»Meiner einzigen Freundin . . .«

». . . darauf aufmerksam gemacht worden, daß Sie den Kellner aus dem Hotel Excelsior Regina, der Sie in der Mordnacht bestahl und den wir zu drei Monaten mit Bewährungsfrist verurteilten, als Diener bei sich aufgenommen haben.«

»Allerdings.«

»Das muß doch einen besonderen Grund haben?«

»Das hat es auch.«

»Wollen Sie ihn mir nennen?«

»Ungern.«

»Und weshalb nicht?«

»Weil ich nicht gern unhöflich bin.«

»Am Ende bin ich gar die Ursache?«

»Erraten, Herr Staatsanwalt! Denn wenn ich zu Ihnen das Vertrauen hätte, daß Sie den Mord aufklären, so brauchte ich mich nicht zu bemühen . . .«

»Sie bemühen sich?«

» . . . und mich mit Leuten zu umgeben, von denen ich annehme, daß sie in irgendeinem Zusammenhang mit dein Verbrechen stehen.«

»Sie glauben noch immer, daß dieser Kellner . . .?«

»Ich wüßte es längst, hätten Sie mir nicht den Weg versperrt.«

»Ich Ihnen?«

» . . . und mir auf sehr geschickte Weise eine Zofe aufgedrängt . . .«

»Ich hätte Ihnen . . .?« erwiderte Dubois – , aber Dorothée fuhr unbeirrt fort:

» . . . die, statt – wie ich es wollte – mit diesem Kellner eine Liebschaft anzuknüpfen, Mister Harvey nachstellt.«

Dubois schien empört, wandte sich an den Amerikaner und fragte:

»Ist das wahr?«

»Sie geben also zu, sie zu kennen?«

»Ich finde Louise reizend«, bestätigte Harvey. – »Und wenn ich nicht mit Frau Marot verlobt wäre . . .«

»Ich bin außer mir«, unterbrach ihn Dubois.

» . . . . der soziale Unterschied wäre für mich kein Hinderungsgrund.«

»Ihr Werk! Herr Staatsanwalt!« triumphierte Dorothée – und Dubois erwiderte:

»Das Mädchen ist mir als besonders anständig und zuverlässig empfohlen worden – und da riet ich, da ich zufällig hörte, daß Sie eine Zofe suchen . . .«

»Dazu ist sie von einer Neugier«, sagte Dorothée – »ganz unausstehlich.«

»Das ist keine Neugier, das ist Interesse«, erwiderte der Amerikaner – und Dubois, der seine Sicherheit immer mehr verlor, sagte:

»Ihre Zeugnisse sind vorzüglich.«

Dorothée trat dicht an ihn heran und sagte:

»Wenn die nur nicht gefälscht sind, Herr Staatsanwalt!«

»Wie kannst du glauben,« widersprach Harvey, »darauf steht doch Gefängnis » »Mir ist sie jedenfalls unheimlich.«

»Ich glaube,« sagte Dubois zaghaft, »Sie tun ihr unrecht.«

»Kennen Sie sie so genau?« fragte Dorothée.

»Sie fragen so sonderbar.«

»Vielleicht überzeugen Sie sich selbst einmal«, sagte Dorothée und läutete. Gleich darauf erschien der Diener, dem sie auftrug: »Rufen Sie Louise!«

»Louise kleidet sich an, gnädige Frau!«

»Am Vormittag?«

»Ich wundere mich auch.«

»Wo will sie denn hin?«

»Ich weiß nicht – aber . . .«

»Was aber?«

»Ich traue ihr nicht.«

»Sie haben doch als letzter Grund, das Mädchen zu verdächtigen«, sagte Dubois – und der Diener erwiderte:

»Ich verdächtige sie nicht – aber wenn gnädige Frau nach Ihrem Schmuck sehen wollten – bevor Louise geht . . .«

Er hatte es kaum ausgesprochen, da erschien Frau Turel. Sie hatte ihre Zofentracht abgelegt und trug ein einfaches, aber geschmackvolles Kleid, darüber einen offenen Pelz, in der Hand einen Suite case. Als sie Dubois sah, stutzte sie.

Mister Harvey half ihr über ihre Verlegenheit hinweg und sagte:

»Entzückend sehen Sie wieder aus. Aber in Zofentracht gefallen Sie mir eigentlich noch besser.«

»Ich verstehe nicht, daß du in einer solchen Situation noch scherzen kannst«, schalt Dorothée.

»Es ist mein Ernst«, erwiderte Harvey, wandte sich an Dubois und fragte: »Finden Sie nicht auch, Herr Staatsanwalt?«

»Ob ich was finde?« fragte der – und Dorothée erwiderte:

»Eine gewisse Ähnlichkeit?«

»Mit wem?«

»Mit Frau Turel.«

»Soo?«

»Ich finde, Louise ist viel hübscher«, meinte Harvey – »und dann: eine Frau, die Spionage treibt, könnte mir nicht gefallen.«

Dubois, der sah, daß seine Position unhaltbar war, erwiderte:

»Sie treiben ein Spiel mit mir.«

»Wir mit Ihnen?« fragte Dorothée. »Sollte es nicht umgekehrt sein?«

»Ich tue nur meine Pflicht.«

»Ihre Pflicht wäre es jetzt, mir eine neue Zofe zu verschaffen.«

»Sie wollen uns wirklich verlassen, Louise?« fragte Harvey.

»Sie wissen genau, daß ich Frau Turel bin.«

»Ich schon – , aber der Herr Staatsanwalt scheint sich noch nicht ganz klar zu sein.«

Dubois nahm eine stramme Haltung an, trat an den Amerikaner heran und sagte:

»Mister Harvey, Sie vergessen, wem Sie gegenüberstehen.«

»Ihre Schuld, Herr Staatsanwalt, da es Ihnen gefällt, uns irrezuführen.«

»Ich sagte schon einmal: was ich tat, geschah im Interesse der Aufdeckung eines Kapitalverbrechens, wofür Sie erstaunlich wenig Interesse zeigen.«

»Das scheint Ihnen nur so«, erwiderte Harvey und sah dem Staatsanwalt fest in die Augen.