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Czytaj książkę: «Justizmord », strona 3

Czcionka:

»Einen zeitlichen Irrtum halten Sie für ausgeschlossen?« fragte Dubois. »Vollkommen!«

»Einen Geheimzugang zu dem Zimmer gibt es nicht?«

»Es hat nur diese eine Tür, die zum Flur führt.«

Dubois wandte sich wieder an Dorothée und fragte:

»Sind Sie nach Ihrem Gatten zu Bett gegangen?«

»Er schlief schon.«

»Sie haben das Licht also gelöscht.«

»Ja.«

»Um ein Uhr vier?«

»Möglich. Ich weiß das nicht – oder doch – es schlug halb eins, – kurz bevor ich an der Balkontür stand.«

»Wieso standen Sie an der Balkontür um halb ein Uhr nachts?«

»Ich hatte sie gerade geöffnet.«

»Sind Sie gewöhnt, bei offenem Fenster zu schlafen?«

»Nein!«

»Wieso öffneten Sie es gerade an diesem Abend?«

»Mein Mann hatte mich darum gebeten.«

»Ich denke, der schlief bereits?«

»Als er mich bat, war er natürlich noch wach.«

»Und weshalb, glauben Sie, daß er gegen seine Gewohnheit gerade in dieser Nacht bei offenem Fenster schlafen wollte?"

»Mein Mann hatte mein Parfüm vergossen.«

»Es riecht jetzt noch danach,« sagte Harvey.

»Nicht mehr, als es bei einer Dame aus Paris zu riechen pflegt,« erwiderte Dubois, worauf der Amerikaner meinte:

»Frau Marot lebt in Marseille.«

»Wie kamen Sie denn dazu, das Parfüm umzustoßen?«

»Frau Marot sagte doch, daß ihr Mann es . . .«

»Ich muß Sie bitten, Mister Harvey, Frau Marot selbst antworten zu lassen. Also wer hat es umgestoßen?«

»Mein Mann!«

»Das Flakon stand aber auf Ihrem Nachttisch – es steht jetzt noch da.«

»Ich sagte ja, es war mein Parfüm.«

»Gut! Aber der Zwischenraum zwischen den beiden Betten beträgt fast einen Meter. Es ist daher beinahe unmöglich, daß Ihr Gatte von seinem Bett aus bis zu dem Flakon reichen konnte.«

»Er lag eben noch nicht im Bett, als er es umwarf.«

»Aber er schlief schon.«

»Frau Marot hat niemals behauptet, daß ihr Mann schon schlief, als das Flakon umfiel und sie das Fenster öffnete,« erklärte Harvey mit großer Bestimmtheit. Noch bestimmter aber klang die Antwort Dubois', der ihm befahl zu schweigen. Aber Harvey kehrte sich nicht daran, sondern fuhr unbekümmert fort: »Sie hat nur gesagt, daß er schlief, als sie zu Bett ging.«

»Also!« erwiderte Dubois. »Wenn sie um ein Uhr vier das Licht löschte, um ein Uhr acht der Schuß fiel, muß der Mörder spätestens ein Uhr sechs ins Zimmer gestiegen sein. Frau Marot hat also schon zwei Minuten, nachdem sie das Licht gelöscht hatte, so fest geschlafen, daß sie weder das Einsteigen durch das Fenster, noch das öffnen der Portiere bemerkt hat.«

»Ich schlief noch nicht fest – aber ich hatte die Augen geschlossen und lag im Halbschlaf.«

»Und wie hat der Mörder sich orientiert, in welchem der beiden Betten Ihr Gatte lag?«

»Das weiß ich nicht.«

»Um das und manches andre aufzuklären, muß ich außer dem Kellner auch Sie in Haft nehmen, Frau Marot.«

»Großer Gott!« rief Dorothée entsetzt und klammerte sich an Harvey. Der trat an Dubois heran und sagte:

»Herr Assessor, Sie wissen, wer ich bin. Ich hafte für diese Frau.«

Dubois überlegte einen Augenblick und erwiderte:

»Dann bin ich bereit, Frau Marot vorläufig auf freiem Fuß zu lassen – vorausgesetzt, Sie stellen eine Kaution und verbürgen sich mit Ihrem Ehrenwort, daß Frau Marot weder flieht, noch sich etwas antut.«

»Tun Sie es nicht, Mister Harvey!« rief Dorothée.

Aber der Amerikaner ging auf Dubois zu, streckte ihm die Hand hin und sagte:

»Ich stelle jede Kaution und verbürge mich mit meinem Ehrenwort!«

»Einverstanden!« erwiderte Dubois und schlug ein.

Zweiter Teil

1

Der Raum, in dem der Kellner aus dem »Hotel Excelsior Regina« in Nizza mit einer Hingabe, die sofort ins Auge fiel, den Frühstückstisch deckte, war kein Hotelzimmer. Nicht nur die Möbel, die Bilder an der Wand und der Flügel verrieten es. Die vielen Kleinigkeiten, für die der Franzose das hübsche Wort »les petits-riens« hat und die ein Zimmer erst wohnlich machen, zeugten von dem Charakter und dem guten Geschmack seines Bewohners.

Sicherlich war es keine Frau, die einem Gewerbe nachging oder sich gar mit Politik und gelehrten Sachen befaßte, die hier wohnte. Affen, Papageien und Skotch-Terriers aus Porzellan, Ceylon-Elefanten aus Ebenholz in allen Größen, seidene Puppen und unzählige seidene Kissen, Noten und Romane von Margueritte und Claude Anet, die überall herumlagen, ließen auf die Oberflächlichkeit eines weiblichen Bewohners schließen.

Dieser Eindruck wurde verstärkt, als die Zofe, eine bildhübsche, intelligente Person, mit einem Aschenbecher, auf dem die Reste einer nicht zu Ende gerauchten Havanna lagen, das Zimmer betrat und fragte:

»Bis wann ist Mister Harvey gestern abend wieder hiergeblieben?«

»Bis elf«, gab der Diener zur Antwort.

»Ich mag ihn nicht.«

»Er gibt zehn Frank Trinkgeld.«

»Jeden Abend?«

»Wenn er länger bleibt, gibt er zwanzig.«

»Ein feiner Mann – ganz mein Typ.«

»Frau Marots Typ scheint er nicht zu sein.«

»Weshalb hat sie sich dann mit ihm verlobt? – Kaum daß ihr Mann unter der Erde war.«

»Das geht uns nichts an.«

»Die beiden werden wohl schon früher etwas miteinander gehabt haben – als Herr Marot noch am Leben war.«

»Schweig'! – hier haben die Wände Ohren.«

»Mir doch gleich.«

»Was weißt denn du überhaupt von dem Mord?«

»Mehr, als du glaubst. – In dem Haus wird doch von nichts anderem gesprochen.«

»Da Frau Marot noch immer unter Mordverdacht steht, so ist das ganz natürlich.«

»Mich macht es verrückt – ich schlafe keine Nacht mehr.«

»Wenn du des Nachts Furcht hast, komm zu mir.«

»Ob ich da sicher bin?«

»Du fürchtest, ich rühr' dich an?«

»Wenn's nur das wäre.«

»Wovor hast du also Angst?«

»Daß du mir aus lauter Liebe den Hals umdrehst.«

»Ich bin kein Sadist.«

»Aber vielleicht ein – Mörder?«

»Was fällt dir ein?«

»Hast du vielleicht nicht in dem Verdacht gestanden, Herrn Marot ermordet zu haben?«

»In Verdacht kommen kann jeder. Man hat sich geirrt und das Verfahren eingestellt.«

»Auf Grund mangelnder Beweise.«

»Wo hast du das her?«

»Neue Tatsachen können die Situation jeden Augenblick ändern.«

»Das ist nicht auf deinem Mist gewachsen.«

»Man hat seine Verbindungen.«

»Vom Staatsanwalt Dubois hast du das.«

»Möglich!«

»Spitzel!«

»Dieb!«

Der Kellner fuhr zusammen – dann sagte er resigniert:

»Ach so!«

»Etwa nicht?«

»Das hat man dir also auch erzählt?«

»Ein ganz schlechter Kerl bist du.«

»Komm erst mal in Versuchung – und dann red'!«

»Ich habe den Schmuck der Gnädigen alle Tage in der Hand – ich habe ihn sogar schon einmal umgelegt – und in den Spiegel geschaut – du, das hättest du sehen sollen, wie ich darin aussah.«

»Und du hast trotzdem keinen Augenblick daran gedacht?« – Er machte die Bewegung des heimlich Beiseiteschaffens.

»Doch habe ich daran gedacht.«

»Siehst du!«

»Ich habe ihn sogar schon einmal eine ganze Nacht auf meiner Kammer gehabt.«

»Aber?«

»Am nächsten Morgen habe ich ihn wieder hingelegt.«

»Tut's dir leid?«

»Ich fürchte mich vor dem Gefängnis.«

»Bist du schon vorbestraft?«

»Was fällt dir ein?«

»Dann kannst du es riskieren.«

»Wieso?« fragte die Zofe erstaunt.

»Einmal darf jeder.«

»Steht das im Gesetz?«

»Beim ersten Mal, da bekommst du Bewährungsfrist – überhaupt, wo du noch so jung bist.«

»Ist das sicher?«

»Ich hab' es ja auch bekommen.«

»Aber daß Frau Marot dich dann zu sich genommen hat – das versteh' ich nicht.«

»Sie denkt wahrscheinlich: gebranntes Kind fürchtet das Feuer.«

»Oder . . .«

»Was oder?«

» Sie steckt mit dir unter einer Decke. – Na sag's schon! Ich verrat dich nicht.«

»Du spinnst wohl! – Die Frau hat eben Gewissen.«

»Was meinst du damit?«

»Sie sagt sich: wenn sie den Schmuck damals nicht hätt' herumliegen lassen, wär' ich nicht m Versuchung gekommen.«

»Hat sie dir das gesagt?«

»Wir sprechen nicht miteinander.«

»Jetzt lügst du.«

»Wenn du keine Zofe wärst – dich könnte man für einen Kriminal halten.«

»Dann passen wir ja zusammen«, erwiderte sie – und als er erstaunt fragte:

»Wieso?« gab sie ihm einen Nasenstieber und sagte:

»Trottel!«

Draußen ging die Glocke.

»Die Post«, sagte der Diener und ging hinaus.

Die Zofe sah ihm nach. Ihr Gesichtsausdruck schien verändert. Sie sah jetzt gar nicht wie eine Zofe aus.

»Der hat Marot nicht ermordet«, dachte sie und ging an die Arbeit.

2

Mit einem Berg von Briefen und Zeitungen kam der Diener ins Zimmer zurück. Er legte sie auf den Frühstückstisch.

»Das wird ja alle Tage mehr«, sagte die Zofe – und er erwiderte:

»Frau Marot wird auch alle Tage berühmter.«

»Nette Berühmtheit das!«

»Ob eine Dame der Gesellschaft, die aussieht wie Frau Marot, beim Reiterfest einen Rekord aufstellt, den Kanal durchschwimmt oder ihren Mann ermordet – das bleibt sich in der Wirkung gleich. In den Augen der großen Welt ist sie eine Berühmtheit.«

»Wie gescheit du plötzlich redest! Aber verraten hast du dich jetzt doch.«

»Ich wüßte nicht . . .«

»Da feststeht, daß Frau Marot weder den Kanal durchschwömmen hat, noch bei einem Reiterfest einen Rekord aufgestellt hat, so verdankt sie deiner Ansicht nach – und die ist mir in diesem Falle viel wert – ihre Berühmtheit lediglich dem Umstand, daß sie ihren Mann ermordet hat.«

»Ich rede mit dir überhaupt nicht mehr.«

»Vor zehn Minuten hast du mich noch eingeladen, dir nachts Gesellschaft zu leisten.«

»Aber nicht zum Reden – und über den dummen Mord schon gar nicht.«

Es klingelte zweimal kurz hintereinander.

»Der Herr Bräutigam!« sagte der Diener und ging hinaus, um zu öffnen.

Die Zofe trat eilig vor den Spiegel, holte Lippenstift und Puderquaste hervor, benutzte beide und brachte schnell ihr Haar in Ordnung.

Im selben Augenblick trat der Amerikaner ins Zimmer. Er schien die Zofe gar nicht zu sehen, beachtete sie jedenfalls nicht, sondern trat an den Frühstückstisch und sah sich die Post an.

Da die Zofe mit ihrem Bemühen, sich bemerkbar zu machen, kein Glück hatte, so sagte sie laut:

»Guten Morgen, Mister Harvey!«

Der erwiderte, ohne aufzusehen:

»Guten Morgen.«

»Haben Sie eine gute Nacht gehabt, Mister Harvey?«'

»Danke!«

»Ekel!« platzte die Zofe heraus.

Der Amerikaner wandte sich zu ihr um und fragte:

»Wer?«

Und da die kokett-schmollende Art, in der sie dastand und ihn ansah, keinen Zweifel über ihre Absichten und Gedanken ließ, so sagte er:

»Sie haben recht«, ging auf sie zu, nahm ihren Kopf in seine Hände und küßte sie herzhaft auf den Mund. Dann fragte er: »Ist's nun recht?«

»Sie gefallen mir«, sagte sie. »Obgleich ich Amerikaner sonst nicht leiden mag.«

Und er erwiderte mit leiser Ironie:

»Wenn Sie wüßten, wie stolz mich das macht.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte sie unsicher – »oder spielen Sie mit mir?«

Harvey küßte sie noch einmal auf den Mund. Leidenschaftlicher als ihr lieb war.

»Jetzt glaub' ich's«, sagte sie.

»Wo schlafen Sie?«

»Auf dem hinteren Flur – wenn man aus dem Schlafzimmer Ihrer Braut kommt, die dritte Tür links.«

Sie zog einen Schlüssel aus der Tasche und reichte ihn Harvey.

»Hier!« sagte sie, »für den hinteren Aufgang.«

Harvey nahm den Schlüssel, steckte ihn ein und fragte:

»Und wo haben Sie heute nacht geschlafen, Louise?«

»Mister Harvey!« erwiderte sie empört.

»Beim Staatsanwalt Dubois! – Wie?«

»Was denken Sie! – Der ist stark verheiratet.«

»Aber Sie treffen sich mit ihm?« fragte er weiter. »Zu welchem Zweck?«

»Er kneift mich höchstens mal in die Waden.«

»Was tut er?« fragte Harvey überrascht.

Louise hob kokett den Rock und sagte:

»Er behauptet, daß ich schöne Beine habe.«

»Und was zahlt er Ihnen?«

»Dafür – nichts.«

»Aber für Ihre Berichte – über die Vorgänge hier im Hause was Frau Marot den Tag über treibt – wen sie empfängt – was sie im Schlafzimmer spricht – weshalb sie diesen Diener, der sie als Kellner im Hotel Excelsior Regina be-stohlen hat, in ihr Haus genommen hat – für alles das bezahlt er Sie doch?«

»Es ist Pflicht eines jeden Staatsbürgers«, erwiderte Louise mit Pathos, »zur Aufklärung eines Kapitalverbrechens nach Kräften beizutragen.«

» . . . . sagt der Staatsanwalt Dubois.«

»Jawohl! und ich pflichte ihm bei.«

»Genau wie ich.«

»Sie?«-fragte Louise erstaunt.

»Ja, weshalb glauben Sie, habe ich mich mit Frau Marot verlobt?«

»Deshalb . . . .?«

»Um hinter das Geheimnis dieses Mordes zu kommen.«

»Und ich dachte, Sie und Frau Marot stecken zusammen.«

»Hoffentlich haben Sie das dem Staatsanwalt noch nicht gesagt?«

»Die sonderbaren Gespräche, die Sie miteinander führen.«

»Und die Sie natürlich belauschen.«

»Es ist Pflicht eines jeden Staats . . . .«

»Das haben Sie schon einmal gesagt«, fiel ihr Harvey ins Wort.

Im selben Augenblick erschien hinter einer Portiere Dorothée, die sich, ohne daß Louise es merkte, mit Harvey verständigte und wieder verschwand.

»Demnach hätten Sie sich nur zum Schein mit Frau Marot verlobt?« fragte Louise.

»Mein Ehrenwort!«

Sie sah ihn ungläubig an und forderte den Beweis.

»Nichts leichter«, erwiderte Harvey und zog aus der Tasche ein Schriftstück, das er ihr mit den Worten: »Hier, schöne Louise! überzeugen Sie sich!« überreichte.

Sie hielt das Schriftstück zaghaft in der Hand und fragte:

»Was soll ich damit?«

»Es Ihrem Freunde Dubois in die Hände spielen.«

Louise entfaltete das Papier, las es mit Interesse, das sich von Zeile zu Zeile steigerte und fragte schließlich erregt:

»Wo haben Sie das her?«

Harvey trat nahe an sie heran und flüsterte ihr zu:

»Das steht ja darüber.«

Die Zofe las:

»Agentur Picard. Wir haben ermittelt, daß die faszistische Partei in der Nacht, in der Marot ermordet wurde, eine geheime Sitzung in der Pension d'Argovie in der Rue de Rivoli zu Nizza abgehalten hat.« – Louise brach ab und fragte: »Was besagt das? Soviel ich weiß, ist Herr Marot nicht in der Pension d'Argovie, sondern im Hotel Excelsior Regina ermordet worden.«

»Lesen Sie doch weiter!« erwiderte Harvey, und sie fuhr fort:

»An dieser Versammlung nahm auch der italienische Faszist Minotti teil, der auf Betreiben Marots hin Ende vorigen Jahres aus Frankreich ausgewiesen war. Wir haben festgestellt, daß Minotti mit dem aus Genua kommenden Expreß urn elf Uhr sechs Minuten abends mit falschen Papieren in Nizza eingetroffen ist, die Pension d'Argovie bereits vor Mitternacht wieder verlassen hat und mit dem D-Zug, der Nizza um ein Uhr zwanzig nachts verläßt, nach Italien zurückgekehrt ist.«

»Genügt Ihnen das?« fragte Harvey.

»Sie meinen, daß dieser Faszist . . .«

» . . . um sich an Marot zu rächen . . .«

» . . . nach Nizza gekommen ist.«

»Zweifeln Sie daran?«

Die Zofe dachte nach. Dann sagte sie:

»Wie konnte er wissen, daß Marot, der sich am Morgen des vierzehnten Mai noch in Marseille aufhielt, am Abend desselben Tages in Nizza sein würde?«

»Wußten Sie es etwa nicht?«

»Ich? – nein! – Woher sollte ich es wissen?«

»Ich meinte natürlich nicht Sie, sondern die Direktion des Hotels Excelsior Regina in Nizza – bei der ich uns telegraphisch angemeldet hatte.«

»Und Sie meinen, die Direktion des Excelsior Regina steht in Verbindung mit den Faszisten?«

»Sie unterschätzen die Rührigkeit und die Intelligenz dieser Leute. – Sie sind von allem unterrichtet, was sie wissen wollen.«

»Gewiß. – Und was diese Agentur da schreibt, klingt durchaus glaubhaft. Wenn dieser Minotti die Pension d'Argovie in der Rue de Rivoli wirklich schon vor Mitternacht verlassen hat . . .«

»Das steht nach dem Bericht außer Zweifel.«

» . . . und erst mit dem Nachtzug ein Uhr zwanzig Nizza verlassen hat . . .«

»Auch das ist festgestellt.«

» . . . So hätte er gut eine Stunde Zeit zur Ausführung des Mordes gehabt.«

»Also!« rief Harvey triumphierend aber die Zofe setzte ihr süffisantestes Lächeln auf und fuhr fort:

»Aber da der Expreß Nizza bereits um zwölf Uhr zwanzig verläßt und der Mord nachweisbar erst um ein Uhr acht geschehen ist, also nachdem Minotti bereits die Stadt verlassen hatte . . .«

In diesem Augenblick trat Dorothée, die das Gespräch mit angehört hatte, aus der Portiere, sah die Zofe scharf an und sagte:

»Erstaunlich! Diese Logik für eine Zofe.«

Louise fuhr zusammen.

»Und wie Sie mit dem Kursbuch Bescheid wissen.«

»Unsereins kommt auch herum.«

»Als Zofe«, fragte Dorothée – »oder als Frau Turel?«

Louise wurde leichenblaß, stand hilflos da und sagte:

»Wie kommen Sie darauf?«

Obschon diese Entlarvung im Einverständnis mit dem Amerikaner erfolgte, tat dem Amerikaner Frau Turel, die ihm schon als Hoteldetektivin in Nizza gefallen hatte, leid.

Er trat dicht an sie heran und sagte:

»Jedenfalls kleidet Sie die Zofentracht und die veränderte Frisur vorzüglich.«

Aber Frau Turel war in diesem Augenblick so wenig darauf eingestellt, Komplimente entgegenzunehmen, daß sie wie ein enttäuschtes Kind erwiderte:

»Mich hat noch niemand in dieser Verkleidung erkannt – nicht einmal Staatsanwalt Dubois.«

»Ein Beweis, daß Sie auf das falsche Pferd gesetzt haben«, erwiderte der Amerikaner.

»Wie meinen Sie das?« fragte Frau Turel.

»Daß wir schärfer sehen als der Staatsanwalt. – Sie sollten daher mit uns gehen – statt gegen uns.«

»Ich gehe weder für noch gegen jemanden. Ich habe mir aber in den Kopf gesetzt, den Mord an Marot aufzuklären.«

»Dasselbe Ziel verfolgen wir«, erklärte Dorothée – und sah dabei Frau Turel scharf an. Die hielt den Blick aus und fragte:

»Und weshalb hat dann Mister Harvey mich auf die falsche Spur gelockt?«

»Um Sie zu zwingen, endlich Farbe zu bekennen«, erwiderte Dorothée.

Frau Turel bekam einen roten Kopf, ging auf den Amerikaner zu und sagte wütend:

»Und obgleich Sie wußten, wer ich bin, haben Sie es gewagt, mich zu küssen?«

»Das grade hat den Reiz erhöht.«

»Eine nette Blamage.«

»Dafür gebe ich Ihnen jetzt die Schlüssel freiwillig zurück.«

Frau Turel nahm die Schlüssel und sagte:

»Damit wären Sie in die Kammer Ihres Dieners geraten.«

»Wieso meines Dieners?« fragte Harvey.

»Ich nehme an, daß Frau Marot ihn mit Ihrem Wissen engagiert hat – obschon sie beide wußten, daß er ein Dieb ist.«

»Grade, weil wir das wußten, haben wir ihn engagiert«, erwiderte Dorothée.

»Wen wollten Sie damit bluffen?« fragte Frau Turel – und Harvey legte seine Hand auf ihre Schulter und flüsterte ihr zu:

»Wir hofften, daß Sie Ihre Kunst an ihm erproben würden, liebe Louise!«

»Ich bin nicht Ihre liebe Louise.«

»Dann also einfach: Louise!«

»Auch das nicht.«

»Sie haben sich als Zofe namens Louise bei Frau Marot verdingt.«

»Nun aber wissen Sie, daß ich Frau Turel bin.«

»Das wußten wir ja von Anfang an.«

»Dann wäre es Ihre Pflicht gewesen, mir das gleich zu sagen.«

»Jedenfalls ist Ihre Rolle hier nun wohl ausgespielt«, erklärte Dorothée.

»In diesem Hause schon.«

»Aber nein!« widersprach Harvey. »Sie haben sich für einen Monat fest verpflichtet und können erst am Fünfzehnten des nächsten Monats zum Ultimo kündigen.«

»Sie werden mir doch nicht zumuten . . .?«

»Ich mute Ihnen nicht mehr zu, als Sie sich selbst zugemutet haben.«

»»Was sollte ich jetzt noch hier?«

»Uns beobachten.«

»Das wäre wohl zwecklos – nun wo Sie wissen . . .«

»Haben Sie während Ihrer Zofenschaft mehr Material gegen Frau Marot oder gegen mich gesammelt?« fragte Harvey.

Frau Turel wandte sich an Dorothée und sagte:

»Gnädige Frau, ich bitte, lassen Sie mich gehen.«

»Wenn ich Sie jetzt gehen lasse,« erwiderte Dorothée, »so wird man es, wie alles, was ich tue, gegen mich auslegen und behaupten, ich entziehe mich einer Kontrolle, die der Staatsanwalt – über mich verhängt hat.«

»Bravo, Dorothée!« sagte Harvey.

»Im übrigen bin ich sehr zufrieden mit Ihnen.«

»Sie verhöhnen mich!«

»Und werde Ihr Gehalt am Ersten erhöhen.«

»Gnädige Frau!« rief Frau Turel wütend. »Ich habe mein Staatsexamen gemacht.«

»Ich bin stolz, eine so gebildete Zofe zu haben.«

»Ich diene nicht für Geld.«

»Wenn ich nicht irre, hatten wir hundert-fünfzig Frank Lohn vereinbart.«

»Die ich dem Verein für weibliche Strafentlassene überweise.«

»Sie gefallen mir immer mehr«, sagte Harvey – und Frau Turel erwiderte wütend:

»Es liegt nicht in meiner Absicht, Ihnen zu gefallen.«

»Lassen Sie bitte mein Bad ein!« befahl Dorothée.

»Sie können mich nicht gegen meinen Willen halten!« sagte Frau Turel verzweifelt und verließ das Zimmer.

3

Hinter der spöttischen Art, in der Mister Harvey Frau Turel behandelte, verbarg sich offenbar Wohlwollen und Interesse.

»Das hätten wir vielleicht etwas schonender machen sollen«, sagte er, als sie gegangen war – und Dorothée erwiderte:

»Wer schont denn mich?«

»Schließlich will sie ja nichts anderes als wir.«

»Als wir?« wiederholte Dorothée und sah Harvey forschend an.

»Ja! – Als du und ich. – Du fragst so sonderbar. – Mißtraust du etwa auch mir?«

»Ich begreife heute so wenig wie vor drei Wochen, weshalb du so darauf gedrängt hast, dich mit mir zu verloben.«

»Um dich zu entlasten.«

»Alle Welt folgert daraus, daß ich mich sehr schnell über den Tod Andrées hinweggesetzt habe.«

»Im Gegenteil! Die Welt sagt: wie würde Mister Harvey dieser Frau seine Hand reichen, wenn er nicht fest von ihrer Unschuld überzeugt wäre.«

»Mir geht es jedenfalls gegen das Gefühl.«

»Vor allem kann ich als dein Verlobter deine Interessen anders wahrnehmen.«

»Gerade der Eifer, mit dem du mir beistehst, Andrées Schulden und meine Rechnungen bezahlst und mir jeden Wunsch von den Lippen abliest, ohne je etwas von mir zu verlangen – sage selbst, muß das nicht meinen Verdacht erregen?«

»Alles, was ich für dich tue, ist noch zu wenig.«

»Das ist es ja grade, was mich bedrückt – und gegen dich einnimmt.«

»Wenn ich dir versichere, daß ich alles tue, um deinen Schmerz abzukürzen.«

»Beantworte mir eine Frage.«

»Jede!«

»Seit wann kennst du Frau Turel?«

»Was soll das, Dorothée?«

»Ich habe das Gefühl – aber nein! Du mußt Nachsicht mit mir haben – der Tod meines Mannes – der sinnlose Verdacht, daß ich mit diesem Morde etwas zu tun habe.«

»Was meinst du? – Sprich dich aus.«

»Daß diese Frau Turel dir nahe steht – näher als ich.«

»Sie gefalle mir. Der Eifer, mit dem sie sich in den Fall hineinkniet – diese Zähigkeit – diese Selbstverleugnung . . .«

»Sonderbar, daß selbst ein Mann wie du die Frauen so wenig kennt.«

»Was willst du damit sagen?«

»Daß es nur zwei Dinge gibt, für die eine Frau sich opfert. In erster Linie natürlich für Geld – in zweiter für einen Mann – niemals aber für eine Sache.«

»Du glaubst, daß Frau Turel . . .?«

» . . . einen Mann deckt oder . . .«

»Oder?«

., . . . sich selbst.«

»Und dieser Mann wäre am Ende ich?«

»Vielleicht.«

»Dorothée!! – Das wagst du mir . . .«

»Mit dem gleichen Recht, mit dem du mich verdächtigst.«

»Ich . .'. verdächtige dich?«

»Ja, glaubst du denn, ich fühle nicht genau, daß ich diese Verlobung, diese Teilnahme, dies Interesse – ja, alle Opfer an Zeit und Geld, die du mir bringst, nur dem Verdacht verdanke, Andrée ermordet zu haben?«

»Das ist ja furchtbar, Dorothée, in was du dich da hineingeredet hast!«

Dorothée schien jetzt völlig unbeherrscht.

»Manchmal«, fuhr sie fort, »weiß ich selbst nicht mehr, hast du ihn ermordet oder ich?«

»Dorothée!«

»Wenn du mich liebtest und ihm versprochen hättest, du nimmst ihn nach Paris – es war seine Sehnsucht fast mehr als meine, und er hing an

seinem Beruf – er hätte mich freigegeben – glaubst du nicht?«

Harvey war dicht an Frau Marot herangetreten, legte seine Hände auf ihre Schultern und sagte:

lang=FR font-family: »Dorothée! Du redest irre!«

Frau Marot erschrak, wich entsetzt zurück und rief:

»Großer Gott! Was habe ich gesagt?«

»Wenn dich jemand hört!«

»Ich habe ihn nicht ermordet.«

»So wenig wie ich.«

,Jch habe ihn lieb gehabt.«

»So beruhige dich, Dorothée! Ich verspreche dir, daß alles bald ein Ende hat.«

»Und unsere Verlobung?«

»Ist im selben Augenblick gelöst, in dem die Mordaffäre geklärt ist.«

Dorothée hatte sich wieder in der Gewalt. Sie gab ihm die Hand und sagte:

»Ich danke dir – und vergiß, was ich gesagt habe.«

»Das ist längst geschehen«, erwiderte Harvey, legte den Arm um Dorothée und führte sie an den Frühstückstisch.