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Frau Dirne

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Artur Landsberger

Frau Dirne

Erstes Kapitel

Eine gute, aber anrüchige Gesellschaft

Dieser Teetisch ist nicht zu überbieten,« flüsterte Frau Olga Herzog dem Grafen Scheeler zu, an dessen Arm sie den Salon der Frau Baronin von Waltner betrat.



»Fabelhaft!« näselte der und klemmte sich das Monocle fester ins Auge.



Frau Olga wandte sich um und rief – ihre Stimme war schrill und scharf –:



»Werner, so komm' doch!«



»Schlagt den Juden tot!« grellte die Stimme eines blaugelben Papageis, den Werner Herzog auf einer silbernen Stange trug.



»Wie reizend, daß Sie das entzückende Tier mitgebracht haben!« sagte Frau von Waltner und warf dem blaugelben Papagei ein Petitfour aus Schokolade zu.



Der kreischte, flatterte auf, fing und fraß. Die gelbe Creme, mit dem das Petitfour gefüllt war, glitt auf Werner Herzogs Cuttaway.



Baronin von Waltner und Olga reichten sich die Hände.



»Sie kennen meine Tochter und meinen Schwiegersohn?« fragte die Baronin und wies auf Heinz und Ina.



Rittmeister Mertens küßte Frau Herzog die Hand und sagte:



»Aber natürlich! Wir hatten ja im letzten Frühjahr das Vergnügen . . .«



». . . in Davos,« ergänzte Frau Olga. »Ihrer Frau Tochter verdanke ich die Bekanntschaft mit dem Grafen Scheeler.«



»Ich habe zu danken,« sagte der; und Ina Mertens, die gut gewachsen, schlank und, obgleich im Verblühen und beinahe zehn Jahre älter als ihr Mann, noch immer hübsch und von eigenem Reiz war, tat, als könne sie sich nicht daran erinnern und sagte:



»In diesem Sodom und Gomorrha lernt man so viele Menschen kennen . . .«



»Aber Ina,« parierte Heinz, »erinnerst du dich denn nicht mehr, daß du von Frau Herzog sagtest, sie habe ihren Mann noch besser dressiert als ihren Papagei?«



»Sei nicht so taktlos,« flüsterte Frau von Waltner ihrem Schwiegersohne zu. Ina berührte leise ihre Mutter und dachte: »so ist er immer;« warf ihrem Manne einen Blick zu, der ihn wie spitzige Nadeln traf, verzog den Mund und sagte lächelnd:



»Daß du doch immer spaßen mußt, Heinz.«



»Nun,« erwiderte Professor Reger, ein ansehnlicher und soignierter Mann in der Mitte der fünfziger Jahre, und wies auf Werner Herzog, der mit dem blaugelben Papagei auf der silbernen Stange, ratlos und servil und mit nicht gerade klugem Gesichtsausdrucke da stand – »die Hauptsache ist, daß diese Tätigkeit ihren Herrn Gemahl ausfüllt und befriedigt.«



Frau Herzog, der man nachsagte, daß sie einst schön gewesen sei und in einer europäischen Hauptstadt ein großes Haus ausgemacht habe, empfand den Spott, lächelte und sagte:



»Alles Gute, das man meinem Papagei erweist, erweist man mir. Und Sie werden nicht so unhöflich sein, zu bestreiten, daß selbst ein anspruchsvoller und kluger Mann darin seine Befriedigung finden kann.«



Das Erscheinen der hübschen Frau Mira und ihres Gatten Doktor Rießer ersparte dem Professor eine Antwort.



Frau Ina stellte vor und goß Tee ein; Schüsseln mit kleinen Kuchen, Torten und Sandwichs, silberne Schalen mit Früchten und Kompott gingen herum; ein Diener reichte Liköre und Heinz Mertens bot Zigarren, Zigaretten und Feuer an.



Frau Ina saß neben dem Grafen.



Als sie ihm mit der Gabel ein Sandvich mit Gänseleber reichte, zitterte ihre Hand. Er nahm das Brot von der Gabel und führte es, ohne es auf den Teller zu legen, in den Mund. Das geschah von ihm aus völlig unbewußt; sie aber empfand es wie eine zärtliche Berührung, hielt den Atem an und schloß für einen Augenblick die Augen. Tausend Jahre alt waren diese Scheelers!



»Ich muß es Ihnen immer wieder sagen,« wandte sich Baronin Waltner an ihren Nachbarn, den Professor Reger, und lorgnettierte ihn mit Wohlgefallen, »wie sehr Sie mich in jeder Bewegung an den vorzüglichen Marquis d'Ormilly erinnern. Sie sollten doch einmal unter Ihren Ahnen nachforschen.«



»Aber gnädigste Baronin,« erwiderte der Professor, »die Wiege meiner Vorfahren steht in Gleiwitz. Und wenn Sie mich französisch sprechen hörten, so würden Sie sich Antiphone in die Ohren stecken.«



»In meinem Hause verkehrte früher ein Chevalier de Pontignan, der im dritten Gliede mit den d'Ormilly's verwandt war,« sagte Frau Olga.



»Sie kennen ihn gewiß?« wandte sich Ina, deren Augen strahlten, an den Grafen Scheeler.



»Im Stammbaum meiner Mutter kommt er irgendwo vor,« erwiderte der Graf gleichgültig, und Inas Augen strahlten noch heller.



»Darf man wissen, für wen?« fragte Frau Mira und wies auf drei leere Sessel, die zwischen dem Teetisch und einer schmalen Anrichte standen. Der Tonfall, der lebhafte Blick und die ganze Haltung verrieten, daß es mehr als eine konventionelle Frage war.



»Für Erdt-Brückner's,« erwiderte Frau Ina und freute sich, als sie Frau Miras enttäuschtes Gesicht sah.



»Die machen wie immer erst große Toilette,« meinte Baronin Waltner, und Frau Olga spottete:



»Was die so große Toilette nennen. Hier ein Schleifchen, da ein Schleifchen; in jeder Farbe eins.«



»Und ein paar Ketten um den Hals, um die Taille und die Gelenke . . .« ». . . die nicht einmal schön sind,« fiel Frau Mira dem Professor ins Wort und schlug die Beine übereinander, so daß man mehr als nur die schlanken Gelenke sah; während Frau Ina, die fühlte, daß der Graf Frau Miras Bewegung folgte, die Füße unter den Tisch schob.



»Wird Frau Brückner uns etwas vorsingen?« fragte Professor Reger. »Für mich ist sie trotz ihres Alters noch heute in Deutschland die Erste.«



Es widersprach niemand. Nur Frau Mira sagte:



»Der Ansicht bin ich auch. Aber, daß sie uns etwas vorsingt, glaube ich nicht. Die Tochter liebt es nicht, daß sie sich vor ihren Mann stellt.«



»Sie meinen ihn verdunkelt?« fragte Frau Olga.



»Ja!« erwiderte statt Miras der Professor. »Er hat sich trotz seines starken Könnens noch immer nicht durchgesetzt. Und es mag für einen Mann auch nicht leicht sein, im Schatten seiner Frau zu stehen.«



»Ja aber,« warf Frau Ina ein, »diese Nelly ist doch Hedwig Brückners Kind aus erster Ehe. Die Mutter müßte ihr demnach doch näher stehen als der Stiefvater.«



»Müßte,« erwiderte Frau Mira. »Tut es aber nicht.«



Baronin Waltner wies zur Tür. Im selben Augenblick stockte das Gespräch. Frau Ina gab ihrem Manne ein Zeichen. Der sprang auf.



Erdt-Brückners hielten ihren Einzug. Wie ein nach qualvollen Versuchen von einem Photographen der siebziger Jahre gestelltes Bild. Vorn die allerliebste Frau Mathilde, eine Art Bovary, jenseits des gefährlichen Alters. Mit natürlicher Freundlichkeit nickte sie allen zu. Ein wenig zurück rechts daneben Nelly, ihre Tochter. Unscheinbar, aber mit einem hübschen Gesicht, das nicht erkennen ließ, ob sie schon verblüht war oder erst zu blühen begann. Auch Nelly lächelte; aber teils aus gêne, teils um als freundlich zu gelten und zu gefallen. Mutter und Tochter übersät mit Ketten, Münzen, Troddeln und Schleifen. Links von Nelly die hohe Gestalt Wolfgang Erdts. Ein feiner Kopf mit hoher Stirn, starker Nase, gewölbten Lippen und ein Paar Augen, mit denen man nicht recht etwas anzufangen wußte. Frau Mathilde schienen sie tief und verträumt; den Kollegen, die seinen Aufstieg fürchteten, bös und verbittert, den Frauen, die er unbeachtet ließ, herausfordernd und brutal, Nelly, die an ihn glaubte, durchgeistigt und genial, dem Unbeteiligten nichtssagend und dunkelbraun.



»Grade sprachen wir von Ihnen,« sagte Baronin Waltner.



»Schlechtes natürlich,« erwiderte Nelly.



»Das wird in unserem Hause niemand wagen,« beteuerte Frau Ina. »Wir unterhielten uns von dem eigenen Geschmack Ihrer Toiletten« – dabei nahm sie eine lila Kette, die Nelly um den Hals trug und die ihr bis auf die Knie herabhing, auf und sagte: »Wie apart. Diese Münze scheint die Imitation einer Reliquienkapsel aus dem fünfzehnten Jahrhundert, nur paßt sie nicht recht an diese undefinierbare Kette.«



»Wenn Sie sie Ihrer Sammlung einverleiben wollen,« sagte Nelly, die den Spott nicht spürte.



»Was denkst du!« widersprach v. Erdt, Frau Mertens stellt sich doch keine Imitationen in die Schränke!«



»Mir wäre das gleich,« erwiderte Nelly, »ich würde nur an hübschen Sachen Gefallen haben.«



»Jeder lebt seiner Kunst!« meinte Baronin von Waltner. »Sie dem Gesang, der Professor seinem Horaz, meine Tochter dem Sammeln alten Schmucks«.«



». . . und der Graf den Pferden,« ergänzte Frau Mira, die das Erscheinen Erdt-Brückners dazu benutzt hatte, ihren Platz mit einem neben dem Grafen zu vertauschen.



»Richtig!« nutzte Frau Ina die Gelegenheit und wandte sich an den Grafen, der gelangweilt zwischen den beiden Frauen saß und ein eisgekühltes Glas 1911er Menkow in den schmalen Händen hielt »mein Mann hat morgen früh Dienst; wenn Sie also seinen Schimmel reiten wollen – bewegt werden muß er – ihm erweisen Sie damit einen Gefallen.«



Der Graf vermied es, den Rittmeister anzusehen, dessen Gesicht er von ähnlichen Fällen her kannte. Dagegen dachte Frau Ina, als sie den verdutzt verlegenen Ausdruck ihres Mannes sah: wie peinlich den Anderen gegenüber, er sollte sich an derartige Fälle doch nachgrade gewöhnt haben.



Frau Mira, die Knie an Knie mit dem Grafen Scheeler saß und der im übrigen Bein Bein war, gleichgültig, ob es einem Grafen oder einem Chauffeur gehörte, hatte denn auch eine bissige Bemerkung auf der Zunge. Aber die Baronin las sie ihr von den Lippen und kam ihr zuvor, in dem sie sich laut an Professor Reger wandte und fragte:



»Nun Marquis, wie steht's mit der Theosophie? Werden wir Sie bald als den Unsern begrüßen können?«



»Ich bin ein Feind alles Halben,« erwiderte der Professor. »Man kann nicht Diener der Wissenschaft sein und sich gleichzeitig in diesem Lustgarten der Halbgebildeten ergehen.«



Die Baronin war gekränkt. Aber sie verstellte sich, stöhnte und sagte:



»Ja! ja! Ihr Protestanten!«

 



»Da hat Mama recht,« sprang ihr Frau Ina bei. »Die protestantischen Länder besitzen nicht die zum Glück eines wohlerzogenen Menschen unentbehrlichen Elemente: Galanterie und Frömmigkeit.«



»Dazu muß man an Gott glauben,« sagte die Baronin.



Der Professor, der alles das herbeigeholt und nicht logisch fand, stutzte. Aber als Frau Ina ihrer Mutter mit einer Geste, die beinahe feierlich war, erwiderte:



»Selbst wenn es keinen Gott gäbe, wäre die Religion doch heilig und göttlich,« da wußte er, daß man, wie so oft in diesem Hause, wieder einmal mit Bildung bluffte. Er kniff die Augen zusammen, zog die Zigarre in den rechten Mundwinkel, setzte sein sarkastisch-verbindliches Lächeln auf, sah die Baronin und Frau Ina scharf an und sagte:



»Gewiß! Gott ist das einzige Wesen, das zum Herrschen nicht einmal der Existenz bedarf.«



»Aber Sie werden doch zugeben,« erwiderte Frau Ina und senkte den Blick – »daß das Höchste im Leben, die Liebe, ohne den Glauben profan ist.«



»Was ist überhaupt Liebe?« stieß Frau Olga wie einen Seufzer hervor, und Frau Mira erwiderte prompt:



»Das Bedürfnis . . .«



». . . aus sich herausgehen,« beendigte unnötigerweise Frau Ina den Satz.



Der Rittmeister sah strahlend zu seiner Frau auf, und die Baronin sagte zu ihrer Tochter:



»Du meinst, um sich mit ihrem Opfer zu vereinigen.«



»Gewiß!« bestätigte die, »gewiß! Aber wie der Sieger mit dem Besiegten. Unter Wahrung der Vorrechte des Eroberers.«



»Siehst Du!« rief Frau Olga so unmotiviert wie möglich ihrem Manne zu, und der Papagei, der auf ihrer Schulter saß und nach dem vierten Petitfour und einem Gläschen Chartreuse fest eingeschlummert war, fuhr auf und schrie:



»Schlagt den Juden tot!«



Max Herzog sah verständnislos erst den Papagei, dann seine Frau an und sagte:



»Ich bin mir gar nicht bewußt . . .«



»Und doch,« fuhr die Baronin, ohne auf Frau Olgas Bluff zu achten, fort, »als langweilig in der Liebe habe ich immer empfunden, daß sie ein Verbrechen ist, bei dem man einen Mitschuldigen nicht entbehren kann.«



»Glänzend!« rief Frau Mira mit roten Wangen, und die Liebe, über deren Wesen und Betätigung sie Tage und oft auch die Nächte lang nicht nur nachsann, schien als Verbrechen ihr nun noch sonderbarer.



»Und wie stellt sich die Kirche zu dieser Liebe?« fragte Frau Ina, worauf die Baronin zur Antwort gab:



»Da sie nicht die Möglichkeit sah, sie zu unterdrücken, so hat sie sie wenigstens desinfizieren wollen und die Ehe geschaffen.«



»Ausgezeichnet!« rief Frau Mira. »Die Ehe als Desinfektionsanstalt. Sagen Sie,« wandte sie sich an ihren Nachbarn, den Grafen, der gelangweilt da saß, »haben Sie sie je als etwas anderes betrachtet?«



»Und doch,« beteuerte Ina und schlug die Augen zu dem Grafen auf, der indes keinerlei Notiz davon nahm, »ist die Liebe das Göttliche im Menschen.«



Der Rittmeister sah strahlend zu seiner Frau auf. Die Baronin widersprach.



»Dadurch, daß man sie Gott entzieht und auf die Menschen überträgt, entheiligt man sie. Darum sollte man in dem Menschen, zu dem es einen hinzieht, immer nur Gott lieben.«



»Das kommt praktisch ja wohl auf dasselbe hinaus,« sagte Nelly Brückner und sah verklärt Wolfgang v. Erdt an, der so gar nichts Göttliches hatte.



»Ein weites Feld, die Liebe,« meinte Mathilde Brückner, und der Professor, dem die Zeit gekommen schien, sagte breit:



»Sehr richtig! Jedenfalls ist sie mit dem Studium Bandelaires nicht erschöpft.«



Frau Ina wurde um einen Atom blasser und, um ihre Verlegenheit zu verbergen, nahm sie die schwere silberne Kanne auf und goß dem Grafen Tee ein, obgleich seine Tasse noch beinahe voll war.



Die Baronin hingegen hielt den Blick des Professors aus:



»Sie haben sich demnach auch viel mit Bandelaire beschäftigt?« fragte sie und tat unbefangen.



»Leider nicht mit dem gleichen Erfolge wie Sie,« erwiderte der. »Aber man hört ihn doch immer wieder gern.«



Frau Olga sah mit triumphierendem Lächeln Frau Ina an und sagte:



»Ach so! – Bei uns in Berlin bringt man sich jetzt seine Butterbrote mit, wenn man eingeladen ist. Man kann, scheint's, aber auch geistige Nahrungsmittel hamstern. Man steckt sie wie die Butterbrote zu sich und verzehrt sie in Gegenwart seiner Gäste, um die damit zu ärgern.



Mathilde Brückner sprang der Wirtin bei: »Ich verstehe nicht,« sagte sie, »wie eine geistvolle Unterhaltung, gleichviel ob sie aus Eigenem schöpft oder aus Fremdem, Sie ärgern kann. Schließlich bleibt es doch interessanter, zu erfahren, wie ein großer Mann über die Liebe dachte, als mit welchen hohen und höchsten Herrschaften Sie in gesellschaftlichem Verkehr stehen.«



Und Wolfgang v. Erdt, der wie alle wahren Künstler im Grunde seines Herzens materiell war – nur große Kinder sind es nicht! – setzte hinzu:



»Der Ärger, gnädige Frau, dürfte durch den Chartreuse und die Petitfour, die Ihr Liebling geschluckt hat, ausgeglichen sein.« – Und da Max Herzog daraufhin ein Fruchttortelette, das er eben in den Mund schieben wollte, auf den Teller zurücklegte, so wies Wolfgang v. Erdt mit seiner Riesentatze auf den Papagei und sagte: »Ich meinte natürlich den andern Liebling.«



Alles lachte, nur der blaugelbe Papagei, der spürte, daß er im Mittelpunkte stand, setzte sich zur Wehr und kreischte:



»Schlagt den Juden tot!«



»Kann er denn gar nichts anderes?« fragte die Baronin und glaubte damit Frau Herzog zu reizen.



Die aber hatte schon lange auf dies Stichwort gewartet.



»Reden Sie nur mit ihm!« trieb sie sie an.



»Na, Dummchen,« wandte sich die Baronin an den Papagei, »was sagst denn Du zu alledem?«



Der Papagei machte einen schiefen Kopf und beaugte mißtrauisch die Baronin.



»Nicht wahr,« fuhr die fort, »die Theosophie erschließt der Menschheit neue Wege?«



Frau Olga machte mit der Schulter eine kurze Bewegung, die niemand sah, und der Papagei kreischte der Baronin ins Gesicht:



»Quatsch nicht!«



Damit war sein Repertoire erschöpft. Doch dem tiefsinnigen Beobachter wurde klar, daß dieser Sprachschatz für die Unterhaltung in einem sogenannten besseren Salon durchaus genügte.



Der Diener kam und reichte Frau Ina eine Karte.



»Haben Sie nicht gesagt, daß Besuch da ist?«



»Wenn gnädige Frau wenden wollen.«



Frau Ina wandte die Karte und las:



»Ich habe unbedingt und unaufschiebbar mit Ihnen zu sprechen.«



»Geh!« trieb ihre Mutter, die über ihren Nachbar hinweg schneller als sie Name und Text der Karte entziffert hatte, sie an.



Ina stand auf, entschuldigte sich und ging. Als der Graf ihr lässig die Hand reichte, wurde sie rot und zitterte in den Knien; den fragenden Blick ihres Mannes ließ sie unbeantwortet, zerknitterte die Karte und ging hinaus.



* * *

Der Diener hatte den alten Katz in den vorderen Salon geführt, der von dem erlesenen Geschmack Frau Inas und ihrer Mutter zeugte und auf Generationen alten Reichtum schließen ließ.



Katz zog den abgeschabten roten Glacéhandschuh von der rechten Hand, fuhr sich mit den ungepflegten Fingern durch das ergraute Haar, kaute an seinem Zigarrenstummel, musterte mit ein paar Blicken den Salon, ging auf ein kleines Schränkchen zu, in dem allerhand alter Schmuck aufgebaut war, schloß es auf, nahm einen breiten Platinring mit glitzernden Steinen heraus und steckte ihn sich in die Tasche. Dann zog er den abgeschabten roten Handschuh wieder auf.



Ungeduldig sah er zur Tür. Nebenan hörte man Schritte. Gleich darauf betrat Frau Ina den Salon.



Katz sagte ohne sich zu verbeugen:



»Guten Tag!«



Frau Ina bewegte leicht den Kopf, wies mit ihrer weißen schlanken Hand auf einen Stuhl und sagte:



»Bitte!«



Katz setzte sich, griff in die Tasche, legte ihr ein Papier vor und sagte:



»Unterschreiben Sie!«



Dabei schob er den abgekauten Zigarrenstummel, der nicht mehr brannte, in den anderen Mundwinkel, wobei die Asche auf den Tisch, dicht neben das Papier fiel.



Frau Ina, deren Gedanken noch bei dem Grafen und Miras schönen Beinen waren, überflog das Papier, verstand es nicht und sah Stanislaus Katz, der schmutzig und aus Lodz war, fragend an.



»Worauf warten Sie?« fragte der und hielt ihr die Füllfeder hin.



»Auf das Geld«, erwiderte sie.



»Es sind die Zinsen für das schuldige Kapital.«



Er legte seine Füllfeder neben das Papier.



Frau Ina rührte sie nicht an. Sie stand auf, nahm das Papier, ging damit zum Schreibtisch, nahm ihren Halter und unterschrieb.



Katz zerbiß wütend seinen Stummel und steckte seine Füllfeder wieder ein.



»Es klebt kein Dreck dran«, sagte er.



Frau Ina erwiderte:



»Aber Sünde.«



»Mein Beruf und Frömmigkeit vertragen sich nicht miteinander.«



»Um so mehr Grund hätten Sie, zur Beichte zu gehen.«



Katz wehrte ab. Mein Beruf fordert Diskretion. Oder wäre es Ihnen lieb, wenn ich dem Probst Weidner von Ihren Beziehungen zu dem Grafen . . .«



Frau Ina wurde kreidebleich, richtete sich auf und fuhr ihn an:



»Schweigen Sie!«



»Wenn ich im Beichtstuhl säße und er die Geldgeschäfte machte – vielleicht, daß Sie dann freundlicher zu mir wären.«



»Schweigen Sie!« wiederholte Frau Ina, und ihre Stimme überschlug sich. »Sie mischen irdische und weltliche Dinge – Sie versündigen sich!«



»Wir sind allein, und ich konstatiere Tatsachen.«



»Das sind Dinge, die mit unseren Geschäften nichts zu tun haben. Wenn ich im Guten auf Sie einzuwirken versuche, so brauchen Sie nicht ausfallend zu werden.«



»Ich bin ein Mensch, der mit beiden Füßen fest auf der Erde steht und kein Ohr für das Paradiesgeklimper hat.«



»Schlimm für Sie!«



»Jedenfalls ist die Hilfe, die ich Ihnen hier auf Erden leiste, zuverlässiger als die Versprechungen, die er Ihnen auf das Jenseits macht.«



»Sie tun es nicht aus Liebe!«



»Und er nicht aus Religiosität.«



Katz war aufgestanden und lehnte sich an den Schreibtisch, der dicht neben dem Sessel stand, auf dem Frau Ina saß. Sie hielt noch immer den Halter in der Hand.



»Zerreißen Sie den Wisch«, sagte er und beugte sich zu ihr.



Sie warf den Halter hin und schob ihm das Blatt zu.



»Zerreißen Sie's!« wiederholte er mit belegter Stimme und griff nach ihrer Hand.



»Was fordern Sie?« fragte sie leise.



»Nicht mehr als das letzte Mal.«



Sie beugte sich in den Sessel zurück und schloß die Augen. Katz nahm den Stummel aus dem Mund, schob sich zwischen Sessel und Schreibtisch, stemmte die Arme auf die Lehne und drückte seine Lippen auf Frau Inas Mund. – Zwei Sekunden lang – dann schob sie ihn zur Seite und sagte:



»Genug! Mein Mann ist da.«



Katz, der außer Atem war, lächelte und meinte spöttisch:



Der kommt – doch nicht – ohne daß – Sie ihn rufen.«



Dann trat er zur Seite, atmete auf, nahm das Papier, zerriß es, warf es in den Papierkorb und sagte:



»Man ist bescheiden«, und lachte laut auf. Dann fügte er leise hinzu: »und doch nicht dumm.«



Das klang so herausfordernd, daß sich Frau Ina, die noch immer ihr Spitzentuch vor den Mund hielt und sich damit die Lippen betupfte, in ihrem Sessel aufrichtete und zu ihm umwandte.



Katz zog den Mund breit, griente, wies auf den Papierkorb und fragte:



»Was war der Schein wert?« Frau Ina fuhr auf: »Sie haben mich betrogen!«



»I Gott bewahre!« erwiderte er. »Höchstens Sie mich.«



»Was bedeutet das?«



»Der Schein war richtig ausgestellt über viertausendfünfhundert Mark Zinsen, die Sie mir schulden.«



»Nun also.«



»Aber, was war er wert? Wovon wollten Sie zahlen?« – Er sah sich im Zimmer um. »Alles, was in der Wohnung steht, alles, was Sie am Leibe haben, gehört mir. – Nur Sie noch nicht.«



Frau Ina sprang auf.



»Ich rufe meinen Mann!«



Katz schüttelte in aller Ruhe den Kopf.



»Das tun Sie nicht. Denn Sie wissen genau, der kann's nicht ändern. – Im übrigen: weiß er von alle dem was?«



»Nein.«



»Wovon glaubt er, daß das Geld für Ihren Luxus und Ihre Gesellschaften herrührt?«



»Er ist ein Kind, das nicht nachdenkt und mir blind vertraut.«



»Wollen Sie ihm nicht reinen Wein einschenken?«



»Sie sagten doch eben selbst, er kann's nicht ändern.«



»Aber am Ende muß er seine Dispositionen treffen.«



»Er tut seinen Dienst – basta!«



»Wenn Sie fallieren, wird er den Dienst quittieren müssen.«



»Ich? – Wie meinen Sie das?«



»Daß ich einzutreiben und zu versteigern gedenke.«



Frau Ina fuhr auf:



»Sie wollen mich ruinieren?«



»Das haben Sie selbst getan. Für Ihre gesellschaftlichen Ambitionen hätten Sie eine Rente von hundertundfünfzigtausend Mark benötigt. Wenn ich nicht irre, beträgt das Gehalt eines Rittmeisters aber nur sechstausend Mark.«

 



»Damit hätte ich in einem Gartenhaus in einer Dreizimmerwohnung verkümmern können.«



»Ich gebe zu, daß das schade gewesen wäre. – Sie waren klug und haben wenigstens ein paar Jahre lang Ihr Leben genossen.«



Frau Ina wandte sich jetzt beinahe flehend zu ihm:



»Und nun wollen Sie mich untergehen lassen?«



»Ich habe Ihnen geholfen, solange Sie mir Sicherheit boten. Die aber ist erschöpft.« – Er beugte sich wieder zu ihr und sagte flüsternd: »Sie kennen meine Liebhabereien.«



Frau Ina schloß die Augen.



»Sie sprachen mir davon«, hauchte sie.



»Ein reicher Amerikaner hat mir für die Mantelschließe des heiligen Ludwig von Frankreich, die der Probst Weidner in Verwahrung hat, über eine Million geboten.«



»Ich sagte Ihnen doch schon, die Jahreszahl 1234 fehlt; das Email ist ersetzt.«



»Beidem ließe sich abhelfen.«



Frau Ina zitterte jetzt am ganzen Körper; mit ihren Händen machte sie Bewegungen, als wenn sie einen Rosenkranz zwischen den Fingern hielte.



»Wenn Sie sich aus religiösen Bedenken scheuen, es heimlich zu entwenden,« drang Katz in sie, »mit dem Probst Weidner ließe sich schon ein Abkommen treffen.« – Frau Ina zuckte zusammen. – »Schließlich haben Sie ihn ja in der Hand. Ein Keuschheitsgelübde wiegt schwerer als ein Ehegelübde. Ihr Gatte verzeiht Ihnen; der Bischof ihm nicht. – Verschaffen Sie mir die Schließe, so gebe ich Ihnen die Mittel für weitere fünf Jahre in diesem Stil. Sie hätten Ruhe vor mir! Bedenken Sie, was das heißt! – Und die Absolution von ihm haben Sie, wenn Sie wollen, im voraus.«



Frau Ina wurde schwarz vor den Augen. Sie konnte die Gegenstände nicht mehr unterscheiden. Nur die Hände mit den abgeschabten roten Handschuhen, mit denen er vor ihrem Gesicht herumgestikulierte, empfand sie wie zuckende Flammen, die drohend vor ihr auflohten und ihr den Atem nahmen. Wie um sich zu befreien, griff sie plötzlich nach diesen zuckenden Händen, riß sie nach unten, sprang auf und rief:



»Nein! nein!! – dann werde ich lieber Ihre Geliebte!«



Katz sah eine Weile in ihr erregtes Gesicht. Sie ließ seine Hände los und stand ihm dicht gegenüber. Er kniff die Augen zusammen, schnalzte mit der Zunge und sagte:



»Ich möcht' schon. Aber den Luxus kann ich mir nicht leisten.« – Er sah sie frech an. – »Und dann: ich teil' nicht gern. Das reizt zu Vergleichen. Und ich weiß, ich bin nicht schön.«



Frau Ina glitt auf den Sessel zurück und schloß die Augen.



»Dann geben Sie mir Gift!« hauchte sie.



»Unsinn!« erwiderte Katz. »Was hätte ich davon? Tun Sie mir die Liebe und werden Sie nicht sentimental. Das steht Ihnen nicht. Was mich an Ihnen so reizt, ist der Heiligenschein, mit dem Sie Ihre bewußte Gemeinheit verdecken. Sie haben Talent genug, um nicht unterzugehen.«



»Geben Sie mir Gelegenheit, es zu nutzen.«



Katz tat, als dächte er nach, dann schlug er mit der Hand auf den Tisch und sagte:



»Ich hab' etwas! – Auf den ersten Blick werden Sie sagen: nein! Aber dann wird es Ihnen eingehen; ganz allmählich. Genau, wie es mir eingegangen ist. Denn Ihre Moral, von allem religiösen und gesellschaftlichen Nimbus entkleidet, bewerte ich ungefähr gleich hoch wie meine.«



»So sagen Sie schon!« drängte Frau Ina.



Katz setzte sich, stützte den Arm auf den Schreibtisch und sagte: »Diese Art Geldgeschäfte, wie ich sie nun schon seit zehn Jahren betreibe, ohne auf den grünen Zweig zu kommen, reiben mich auf. Ich habe daher beschlossen, mein Leben auf eine solide Basis zu stellen. Sie allein können mir dazu verhelfen.«



Frau Ina sah ihn erstaunt an.



»Ja, Sie wollen doch nicht etwa, daß ich mich scheiden lasse und Ihre Frau werde?«



»Das wäre nach allem, was ich über Sie weiß, unsittlich. Aber vor allem: ich sprach von einer soliden Basis.«



»Was wäre das?«



Katz beugte sich zu ihr, sah ihr fest in die Augen und sagte bestimmt:



»Sie müssen ein Bordell übernehmen.«



Frau Ina schnellte zurück und erwiderte laut:



»Sie sind verrückt!«



»Auf die Antwort war ich vorbereitet. Sie ist weder originell, noch schreckt sie mich. –

Sie werden das Bordell übernehmen,

 so wahr ich Stanislaus Katz heiße. Schon, weil Ihnen gar keine Wahl bleibt.«



»Ja, sind Sie toll? Weil Sie mir mit ein paar Hunderttausend Mark ausgeholfen haben, glauben Sie ein Recht zu haben . . .«



»Ich bin weder toll, noch maße ich mir irgendein Recht an. Ich weiß nur, daß Sie weder in ein Kloster, noch in ein Bureau mit Schreibmaschine und Registratur passen. Sie können auf Grund von Veranlagung und Erziehung auf das Leben nicht verzichten. Sie haben also die Wahl, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen oder Grande Kokotte zu werden. Beides keine Annehmlichkeiten. Nun fügt es der Zufall, daß mir eins der ersten europäischen Bordells an die Hand gegeben ist, aus dem sich bei geschickter Leitung Millionen herauswirtschaften lassen. Es gibt neben der Post und Eisenbahn kein sichereres und lukrativeres Unternehmen.«



»Ich wünsche Ihnen Glück! Aber was soll ich dabei?«



»Ich habe mein Lebtag niemanden betrogen. Aber ich mache Geldgeschäfte; bin also eine anrüchige Person; bekomme daher nie die Konzession. Meinen Bekannten, die besser beleumdet sind, kann ich das Geschäft nicht vorschlagen, sonst machen sie's selbst. Aber Ihr Ruf ist der denkbar beste. Bei Ihnen verkehrt die erste Gesellschaft. Und wenn man bei den Recherchen bis hinauf zum Probst Weidner gehen sollte – Ihnen sagt niemand etwas Schlechtes nach.«



»Es handelt sich demnach nur . . .«



». . . um Ihren Namen«, bestätigte Katz. »Aber ich erwarte, daß Neugier, Lust und vor allem die Chance, ein Vermögen zu erwerben,« – in Frau Inas Augen blitzte es auf – »Sie weitertreiben.«



Frau Ina fieberte in der Aussicht, ein Vermögen zu erwerben, ohne daß ihr der Graf ewig unerreichbar blieb. Aber dies Konventionelle saß in ihr so fest, daß sie ganz automatisch sagte:



»Davor schützt mich der gute Geschmack und die Kinderstube.«



»Darum gerade handelt es sich. Denn die möchte ich, um auf diesem Gebiete etwas Neues, Originelles und daher Konkurrenzloses zu bieten, dem Unternehmen dienstbar machen.«



»Und wie denken Sie sich daneben meine gesellschaftliche Position?«



»Darauf erwidere ich: das ist Ihre Sache! Denken Sie darüber nach, wie Sie es anstellen, daß Sie trotzdem Dame bleiben. In der internationalen Gesellschaft gibt es Frauen, die von Hand zu Hand gehen und doch fest im Sattel sitzen, wie es Frauen gibt, die sich durch einen einzigen Rülps Zeit ihres Lebens unmöglich machten.«



Und wie lange Zeit lassen Sie mir, über diesen grotesken Vorschlag nachzudenken?«



»Das hängt zunächst davon ab, wie lange Sie sich den Luxus gestatten können, ohne meine Zuschüsse zu leben.«



In diesem Augenblick trat die Baronin am Arme ihres Schwiegersohnes ins Zimmer.



»Du hast Gäste, Ina!« sagte sie mit leichtem Vorwurf. Ina tat, als überhörte sie und stellte Katz vor.



Die Baronin zwang sich ein Lächeln ab und sagte:



»Meine Tochter hat mir von Ihnen erzählt. Sie interessieren sich für alten Schmuck?«



»Oh, dann muß ich Ihnen unsere Sammlung zeigen«, erbot sich der Rittmeister eifrig. »Wir haben Stücke, die bis ins elfte Jahrhundert zurückgehen.«



»Herr Katz kennt sie«, sagte Frau Ina schneidend.



»Aber in welchem Zusammenhange sie mit unserer Familie stehen, wie wir mit jedem einzelnen Stücke sozusagen verwachsen sind, was uns den Besitz mit jeder Generation wertvoller macht, das wissen Sie nicht!« ereiferte sich der Rittmeister.



»Herr Katz ist kein Genealog«, unterbrach ihn Frau Ina, »er ist Sammler.«



»Ich muß deinem Manne recht geben,« sagte die alte Baronin; »ich werde nie begreifen, wie man Freude am Sammeln von Schmuck fremder Familien haben kann. Da lege ich mir denn doch lieber gleich eine Sammlung von Wertpapieren an; das ist doch wenigstens praktisch, und unpersönlich ist das eine genau so wie das andere.«



»Aber das Kennertum hat doch auch seine Berechtigung«, erwiderte Katz.



»Wenn man Geschäfte damit macht,« sagte die Baronin, »gewiß! für Juweliere. Für uns aber kommt allein der Affektionswert in Frage.« – Sie gab ihrem Schwiegersohn ein Zeichen; er trat eilfertig an sie heran u