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Czytaj książkę: «Die neue Gesellschaft», strona 7

Czcionka:

Achtes Kapitel
Wie Berndts sich von ihrem Haus- und Lehrmeister zu emanzipieren suchten

Von dem Maestro aus ging Cäcilie in das Büro ihres Gatten.

»Ich muß mit dir reden,« sagte sie.

»Bitte,« erwiderte Leo, »Setzʼ dich!« – Und da sein Gewissen nicht das beste war, so beugte er sich über den Schreibtisch und rechnete in den Büchern. Das heißt: er tat so. In Wirklichkeit schoß ihm allerlei durch den Kopf, und er dachte: »wenn es nur erst heraus wäre.«

Aber Cäcilie sprach sehr schnell das erlösende Wort.

»Es handelt sich um Günther und Frida,« sagte sie.

Leo lachte.

»Warum lachst du?« fragte sie.

»Über die Zusammenstellung. Was hat unser Günther mit Linkes Frida zu schaffen?«

»Mehr als du denkst.«

Leo fuhr auf. »Allmächtiger!«

»Unsinn!« erwiderte Cäcilie. »Wie kannst du nur denken, bei den Kindern! Aber schon, daß sie überhaupt miteinander zusammenkommen, ist gesellschaftlich einfach unmöglich. Linkes sind kein Verkehr für Berndts.«

»Du lieber Gott, bei Kindern, da nimmt manʼs nicht so genau. Die bringt nachher das Leben schon auseinander.«

»Unsinn! Du wirst sie auseinanderbringen.« – Und nun erzählte sie, mit allerlei kleinen Zutaten, den Vorfall, den sie nach der Verständigung mit dem Maestro schon etwas milder beurteilte.

Leo hörte alles mit an und sagte:

»Du hast recht.«

»Nu also.«

»Aber Schuld hast du auch.«

»Was heißt das?« fragte sie gereizt. »Habe ich dir nicht immer, wenn du dich mit diesen Linkes in zu lange Gespräche einließest, gesagt: »Leo, Distanz!« – Der paar gesellschaftlichen Tricks wegen, die sie von Röhrens hatten, brauchte man mit den Leuten nicht intim zu werden. Domestiken bleiben eben Domestiken.«

»Wo sind wir schon mit ihnen intim geworden? Damit, daß wir ihnen hin und wieder ein Spielzeug, das der Junge zerbrochen hatte und in irgend eine Ecke schmiß, oder ein Stück Wäsche, die dir für Günther nicht mehr gut genug war, für ihre Frida überlassen haben, haben wir uns weiß Gott nichts vergeben. Was meinst du also?«

»Nu, ich meinʼ nur – so im ganzen.«

»Aber ich will dir sagen, was schuld daran ist.«

»Da bin ich wirklich gespannt.«

»Daß dir kein Verkehr gut genug für Günther war. Daß du jedesmal, wenn er einen neuen Freund anbrachte, sämtliche Auskunfteien in Bewegung gesetzt und nicht geruht hast, ehe nicht bei irgend einer Großtante oder sonst einem Verwandten des betreffenden Jungen ein schwarzer Punkt entdeckt war, wegen dessen Günther dann den Verkehr aufgeben mußte. Ich möchte die Auskunftsbüros unsertwegen nicht in Bewegung setzen! Ich glaube, vor lauter schwarzen Punkten würde dir schwindlig werden.«

»Eben darum!« erwiderte Cäcilie. »Wenn du Rothschild oder der Prinz von Taxis wärst, könnte Günther, ohne sich was zu vergeben, verkehren mit wem er wollte. So aber, bei den vielen schwarzen Punkten, kann er sich den Luxus nicht leisten und muß durch den Verkehr erst den Ausgleich schaffen.«

»Das ist mir zu hoch; das verstehʼ ich nicht.«

»Auch nicht nötig! Dafür sorgʼ ich schon. Machʼ du nur in deinen Konserven. Alles andere überlaßʼ mir.«

»Nu also, was willst du dann?«

»Daß du den Linke an die Luft setzt.«

Leo fuhr zusammen.

»Ist das dein Ernst?«

»Nein.«

»Wozu sagst duʼs dann?«

»Um dich zu veranlassen, daß du ihm wenigstens den Kopf zurechtsetzt und ihm klar machst, wer er eigentlich ist.«

Leo überlegte.

»Ich will es tun,« sagte er nach einer Weile.

»Aber ich stelle eine Bedingung.«

»Nämlich?«

»Daß du dabei bist, wenn ich es ihm sage.«

Cäcilie erschrak. Aber Leo fuhr fort:

»Und falls er Einwendungen macht . . .«

»Die macht er bestimmt.«

»Eben darum.«

»Also, was soll ich dann tun?«

»Nichts weiter, als mir recht geben.«

Cäcilie verzog den Mund.

»Nu?« fragte Leo.

»Ich meinʼ nur,« erwiderte Cäcilie. »Eigentlich ist das deine Sache. Aber ich will es trotzdem tun.«

Leo drückte auf den Knopf der Klingel.

»Was tust du?« fragte Cäcilie zitternd.

»Ich lasse deinem Wunsche gemäß Linke kommen.«

»Jetzt?«

»Ja! warum nicht?«

»So Hals über Kopf war das auch nicht nötig.«

Im selben Augenblick klopfte es auch schon, Leo rief »Herein!«, die Tür ging auf und Franz Linke trat ins Zimmer.

Cäcilie wich einen Schritt zurück.

»Hören Sie, Linke,« begann Leo, »wir müssen einmal außerdienstlich ein paar Worte miteinander reden.«

Linke sah erstaunt erst Leo, dann Cäcilie an. Und da die verlegen zur Seite sah, so sagte er: »Gnädige Frau haben demnach wieder einen faux pas gemacht?«

Da faßte sich Cäcilie ein Herz, riß ihre ganze Energie zusammen, spannte alle Nerven an, sagte sich: jetzt oder nie! – wandte sich zu Linke und sagte:

»Ich nicht. Aber ein anderer!«

»So! so!« meinte Linke mit einem vorwurfsvollen Blick zu Leo und nickte mit dem Kopfe. »Na, hoffentlich ist es nicht zu arg.«

»O doch!« rief Cäcilie. »Es ist sogar sehr arg! Aber diesmal ist es keiner von uns. Uns braucht niemand mehr zu sagen, was sich schickt.«

Und da unverkennbar war, gegen wen das ging, so erwiderte Linke:

»Ich darf die gnädige Frau erinnern, daß ich mir nie erlaubt habe, unaufgefordert . . .«

»Ich weiß! ich weiß!« wehrte Cäcilie ab. »Aber das war einmal! Es ist nicht nötig, daß Sie uns daran erinnern. Wir haben Sie dementsprechend honoriert. Es hat also keiner dem andern zu danken.«

»Gewiß nicht,« bestätigte Linke.

»Nu also! Es wäre aber gut, wenn Sie dafür sorgten, daß auch innerhalb Ihrer Familie Verstöße gegen den gesellschaftlichen Takt möglichst unterblieben.«

»Was meinen Sie damit?« fragte Linke bestimmt.

»Daß Ihre Frida sich Dinge erlaubt, die ihr als Tochter eines . . .« —

Leo räusperte sich, Cäcilie besann sich, verstand, schluckte das Wort Domestiken, das sie so gern anwandte, herunter und sagte statt dessen: »herrschaftlichen Angestellten nicht zukommen.«

»Was hat sie sich erlaubt?« fragte Linke.

»Den jungen Herrn Günther gegen uns aufzuhetzen.«

Linke tat, als verstände er nicht, und fragte:

»Wen?«

»Wissen Sie nicht, wer Herr Günther ist?« erwiderte Cäcilie nicht gerade freundlich.

»Natürlich kenne ich Günther. Wie sollte ich das Milchkind meiner Frau nicht kennen?«

Cäcilie zuckte zusammen.

»Auch das liegt weit zurück,« sagte sie.

»Und doch erinnert man sich gern . . .«

»Wir nicht,« unterbrach ihn Cäcilie. »Es ist das eins jener notwendigen Übel, die man in Kauf nehmen muß.«

»Falsch!« sagte Linke. Und dies »falsch« erinnerte Leo und Cäcilie an die ersten Jahre ihres Aufstiegs, wo sie es bei jeder Gelegenheit von Linke zu hören bekamen.

Und wie damals, fragten beide wie aus einem Munde:

»Wieso?«

»Weil gute Familien« – und wie eine Ohrfeige traf der Nachdruck, den er auf das Wort »gute« legte, Cäcilie – »der Frau, die einst Mutterpflichten an einem ihrer Kinder erfüllte, Anhänglichkeit und Dankbarkeit bewahren.«

»Wie lange?« fragte Cäcilie.

»So lange sie leben.«

»Das hätte man wissen sollen, was man sich damit auf den Hals lädt.«

»Wieder falsch!« sagte Linke.

Leo und Cäcilie sahen ihn an.

»Denn von den guten Familien wird das nicht als Zwang empfunden. Es ist vielmehr ein ganz natürliches Gefühl, das freilich bei diesen Familien, in denen die Pietät eine große Rolle spielt, im Blute liegt.«

»Leo!« rief Cäcilie außer sich.

»Was ist dir?« fragte er besorgt.

»Es ist entsetzlich! Man lernt nie aus.«

Leo nickte mit dem Kopf und sagte:

»Das scheint mir auch.«

Linke machte eine Bewegung teilnahmsvollen Bedauerns.

Aber Cäcilie gab sich noch nicht geschlagen. »Ich sehe das ein,« sagte sie. »Ja, ich fühle sogar, daß darin etwas Wahres liegt. Im übrigen ist Ihrer Frau auch niemand zu nahe getreten. Die Tatsache aber, daß sie Günthers Amme war, gibt Ihrer Tochter nicht das Recht, meinen Sohn aufzuhetzen.«

»Ganz gewiß nicht,« bestätigte Linke.

»Also!« rief Cäcilie und wandte sich triumphierend an Leo. »Wer hat nu recht?«

Leo nickte und sagte: »Du!«

»Was gedenken Sie also mit ihr zu tun?« fragte sie Linke.

»Ehe ich sie strafe, muß ich wissen, was sie getan hat.«

»Das werden Sie! Wenngleich Ihnen mein Wort genügen sollte.«

Leo staunte. Die Bestimmtheit, mit der Cäcilie diesem Linke entgegentrat, bedeutete geradezu einen Programmwechsel. Er war es gewesen, der ihnen die Mysterien des gesellschaftlichen Verkehrs und des hochherrschaftlichen Haushalts erschlossen hatte. Seine Stellung war daher bis zu dieser Stunde mehr die eines Hausministers, der seinen Herrn die Kunst des Regierens lehrte. Und dem entsprach auch seine ganze Position. Über alles das setzte sich Cäcilie plötzlich mit einer kühnen Geste hinweg. Das bedeutete, daß die Zeit des Lernens vorüber, das Vögelchen flügge war. Und nun hieß es für den Lehrmeister, in die Grenzen zurück, die ihm von Haus aus gezogen waren. Leo bestaunte und bewunderte den Mut und die Gewandtheit, mit der Cäcilie sich dieser immerhin peinlichen Aufgabe unterzog.

Nicht die gleich starke Wirkung übte ihr Verhalten auf Linke. Er blieb in Ton und Haltung durchaus derselbe und sagte:

»Gnädige Frau vergessen, daß es sich um meine Tochter handelt.«

»Gottlob!« erwiderte Cäcilie. »Wenn es mein Kind wäre, wäre es anders erzogen.«

»Gnädige Frau haben auch weiter keine Beschäftigung und außerdem Lehrer und Gouvernanten zur Verfügung.«

»Keine Beschäftigung! Hast du gehört, Leo? —

Als wenn ein Haus auszumachen und gesellschaftlich eine Rolle zu spielen, keine Beschäftigung wäre! Eine andere freilich als die eines Domestiken.«

Linke wandte sich ab.

»Haben der gnädige Herr noch Befehle?« fragte er Leo. Der wies auf seine Frau und sagte:

»Ich nicht.«

»Jawohl ich! Also, damit Sieʼs wissen, Ihre Tochter hat sich über das Violinspiel unseres Sohnes lustig gemacht.«

Linke verzog keine Miene.

»Aber damit nicht genug, hat sie auf den armen Jungen so lange eingeredet, bis er mir den Bogen vor die Füße geworfen und erklärt hat, nie wieder die Violine anrühren zu wollen.«

»Nicht möglich!« sagte Linke und strahlte über das ganze Gesicht.

»Wie finden Sie das?«

»Wenn ich offen sein soll, dann muß ich sagen: das ist ein Glück für alle!« erklärte Linke.

»Sie finden das am Ende noch richtig?« fragte Cäcilie entsetzt.

»Im Interesse Günthers durchaus!«

»Das kommt ihr nicht zu!« brüllte Cäcilie.

»An sich gewiß nicht! Aber gut gemeint hat sieʼs, und wenn sie sich vielleicht auch in der Form vergriffen hat – sie ist ein halbes Kind – die gute Absicht bleibt darum bestehen. Jedenfalls, ich kann sie darum nicht tadeln.«

»Das ist ja Aufruhr! Leo!« rief Cäcilie entsetzt.

»Wie kann sich Ihre Tochter in ihrer sozialen Position so etwas unserem Sohne gegenüber erlauben!«

»Der sozialen Unterschiede ist man sich in dem Alter wohl noch nicht in dem Maße bewußt,« erwiderte Linke.

»Schlimm genug! nicht wahr, Leo?«

Und Leo erwiderte:

»Ich muß auch sagen . . .«

Aber überzeugend klang das nicht.

»Vor allem aber glaube ich,« fuhr Linke in der Verteidigung Fridas fort, »daß in diesem Falle das musikalische Temperament meiner Tochter schuld hat. Ich weiß nicht, ob ich es sagen darf, aber da einmal die Rede davon ist: wir leiden alle unter Günthers Spiel. Von mir angefangen, bis hinab zum jüngsten Stalljungen.«

»Ich werde das ganze Personal an die Luft setzen!« brüllte Cäcilie.

»Damit wäre den Herrschaften nicht gedient,« erwiderte Linke in aller Ruhe.

»Was heißt das?« fragte sie wütend.

»Weil die Herrschaften ohne Personal auf der großen Besitzung kaum auskommen dürften. Gnädige Frau müßten also neue Dienerschaft engagieren. Ich glaube mich aber verbürgen zu können, daß es den Herrschaften mit der neuen Dienerschaft genau so ergehen würde.«

»Was sagst Du, Leo?«

Leo zog die Schultern hoch und erwiderte:

»Ich glaubʼ schon, er hat recht.«

»Eine nette Abhängigkeit!« rief Cäcilie.

»Ja,« sagte Leo, »in unserer Gartenhauswohnung konntest du den ganzen Tag über das Grammophon spielen lassen, ohne daß dir jemand was gesagt hätte.«

»Leo!« rief Cäcilie. »Beherrschʼ dich!«

Und Leo, der die Unarten seiner Frau angenommen hatte, machte eine typische Handbewegung und sagte:

»Nu, ich meinʼ nur.«

»Falsch! falsch! Herr Berndt!« rief Linke und wies auf Leos Hände, die mit gespreizten Fingern am Ärmelausschnitt der Weste lagen. »Das geht nicht! Sie fallen ja zurück! Seit Jahren hatten Sie das abgestreift.«

»Wenn schon,« erwiderte Leo und glich nun ganz wieder dem kleinen Detaillisten, der er vor zwanzig Jahren war.

»Ich sagʼs ja!« jammerte Cäcilie, und Leo

rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher und verbarg die Hände unter dem Tisch.

Damit hatte Linke Oberwasser, und Cäcilie gab die Partie verloren. An eine Kündigung dachte sie nicht mehr. Es zeigte sich wieder einmal: Linke war unentbehrlich. Es genügte der Versuch, seine Autorität ins Wanken zu bringen, und sofort setzte bei Leo die »Kontenance« aus; er fühlte sich frei, ließ sich gehen und verfiel wieder in seine alten Schwächen. Und wenn Cäcilie ehrlich gegen sich selbst sein wollte, dann mußte sie sich gestehen, daß auch der Widerstand, mit dem sie seit ihrem Aufstieg gegen die Äußerungen ihres Naturells ankämpfte, schon in dem Gedanken, daß Linke abtrat, merklich nachließ und wahrscheinlich ganz zusammenbrach, sobald sie sich endgültig seiner Kontrolle entzogen wußte. Linke gehen lassen, war also gleichbedeutend mit der Aufgabe eines unter schwerster Selbstbeherrschung erworbenen Besitzstandes gesellschaftlicher Kultur. Sie zog daraus die Konsequenz und lenkte ein:

»Wie gut, daß Sie achtgeben, Linke,« sagte sie freundlich.

Leo, der dem Stimmungswechsel nicht so schnell zu folgen vermochte, sah sie erstaunt an.

Ich möchte mir noch einen weiteren Hinweis erlauben,« war Linkes Antwort.

»Ich bitte sehr,« rief Cäcilie. »Nicht wahr, Leo, wie gut, daß wir ihn haben.«

Leo, der selbst bei Cäcilie bessere Übergänge gewohnt war, sah sie schief an und sagte:

»Ganz wie du meinst. Cäcilie.«

»Ich nehme an,« fuhr Linke fort, »Ihnen liegt daran, daß Günther, der ja nun immerhin Sekundauer ist, also allmählich den Anspruch hat, als junger Herr zu gelten . . .«

»Siehst du!« unterbrach ihn Cäcilie, »das ist ja das, was ich immer sage.«

»Eben, und darum muß er sich beizeiten Autorität verschaffen . . .«

Cäcilie nickte lebhaft mit dem Kopfe.

». . . und darf sich vor den Leuten nicht lächerlich machen.«

»Gott behüte!« rief Cäcilie, und Leo und Linke antworteten wie aus einem Munde:

»Falsch!«

Cäcilie führte die Hand vor den Mund und verbesserte:

»Ich wollte sagen, Sie haben ganz recht, das darf natürlich nicht sein.«

»Sehen Sie,« fuhr Linke fort, »eine Herrschaft kann bei der Dienerschaft beliebt, unbeliebt, ja, sie kann gefürchtet und sogar verhaßt sein – das alles macht nichts, Hauptsache ist, daß die Autorität bestehen bleibt; nur lächerlich darf sie sich nicht machen, dann ist es aus!«

»Natürlich!« bestätigte Cäcilie. »Sie haben ganz recht.«

»Sie glauben gar nicht,« fuhr Linke fort, welche Mühe ich die ganzen Jahre mit der Dienerschaft hatte und, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher, heute noch habe, um die gnädige Frau davor zu bewahren.«

Cäcilie wurde blaß. Leo spitzte den Mund.

»Wenn ich die gnädige Frau vielleicht öfter als es den Leistungen nach nötig schien, veranlaßt habe, den einen oder andern Dienstbotenwechsel vorzunehmen, glauben Sie mir, der Grund lag meist darin, daß einer der Domestiken,« er zog das Wort absichtlich breit, wie es Cäcilie tat, »der gar zu scharf zu beobachten, Wahrnehmungen zu machen und Vergleiche anzustellen begann, jenen ironischen Zug um den Mund bekam . . .«

»Ja! Sind wir denn so lächerlich?« rief Cäcilie entsetzt.

»Ich würde niemals wagen, das zu behaupten,« erwiderte Linke. Und Cäcilie, der die Antwort genügte, rief befriedigt:

»Nu also!«

»Sie meinen also, daß Günther sich mit seinem Violinspiel lächerlich macht?« fragte Leo.

»Das meine ich allerdings,« erwiderte Linke. »Noblesse oblige!«

Cäcilie nickte. Leo war ehrlicher und fragte:

»Was heißt das?«

Linke gab die Erklärung.

Cäcilie sah Leo an und schüttelte den Kopf, als wenn sie sagen wollte: »Das wußtest du nicht?«

In Wirklichkeit sah sie in diesem Wahlspruch, von dem sie hier zum ersten Male hörte, einen Talisman, dank dem man auch an gefährlichen Klippen des gesellschaftlichen Lebens, ohne anzustoßen, vorübersteuerte.

Sie ging auf Linke zu und erklärte breit und feierlich:

»Ich weiß, was ich meiner Noblesse schuldig bin! Mein Sohn wird sich nicht lächerlich machen. Mein Wort darauf, daß er sein Lebtag lang keine Violine mehr in die Hand bekommt.«

Das wirkte auf Linke wie eine Erlösung. Zum ersten Male vergaß er sich und fiel aus der Rolle:

»Mensch! Wenn das wahr ist!« rief er und klatschte vergnügt in die Hände.

Cäcilie sperrte den Mund weit auf.

»Wa . . .?« entfuhr es ihr.

»Allmächtiger!« dachte Linke, der sich besann und wußte, jetzt gehtʼs ums ganze, um Stellung und Autorität. Erst lachte er einen Augenblick verlegen, dann sah er Cäcilie direkt ins Gesicht, nickte und sagte:

»Gut! gut! gnädige Frau! Ein wenig entsetzter noch, wenn ich bitten darf. Sie nähern sich durchaus der Vollendung. Vor ein paar Monaten hätten Sie für ein derartiges Verhalten eines Ihrer Domestiken, das in diesem Falle selbstredend nur einen lehrhaften Zweck hatte, noch nicht diese durchaus notwendige Empörung aufgebracht.«

Wieder lag ein stolzes Lächeln auf Cäciliens Gesicht, wieder zog sich ihr Mund breit, wieder sah sie triumphierend zu Leo und sagte:

»Man hat das im Gefühl.«

»So muß es sein!« erklärte Linke.

Und Cäcilie lächelte überlegen:

»Ich weiß, ich weiß!«

Linke ließ sie, aus guten Gründen, diesen Triumph auskosten.

Nach einer Weile sagte er:

»In diesem Falle hätte meine Tochter Frida durch ihr vorlautes Wesen demnach für alle Teile nur Gutes gestiftet.«

»An sich schon,« erwiderte Cäcilie. »Aber immerhin . . .«

»Wie meinen gnädige Frau?«

»Nu, ich meinʼ nur, an sich, da gehört es sich wohl überhaupt nicht. Ihre Frida, nicht wahr, und unser Günther, das ist doch keine Zusammenstellung.«

Linke verbeugte sich.

»Ich verstehe, gnädige Frau haben recht. Ich werde für eine Änderung Sorge tragen.«

Cäcilie blähte sich.

»Nu, Leo, was sagst du?« war die Frage, die ihr aus den Augen sprang. Und der Triumph machte sie übermütig. Sie reckte den Kopf stolz in die Höhe, so daß der feiste Nacken kaum noch Falten grub, spitzte den Mund und sagte:

»Überhaupt, Frida!«

»Hat sie etwa sonst noch . . .?« fragte Linke.

»Sie ist so dreist.«

Linke nahm sie in Schutz

»Das hat sie von mir,« sagte er. »Aber sie meint es nicht so.«

»Was haben Sie mit ihr vor?«

Linke verstand nicht.

»Nun, es interessiert mich natürlich zu wissen, was aus der Milchschwester meines Sohnes wird«

»Recht so!« sagte Linke und dachte: die Frau macht sich. Leo, dem die Störung in seiner Arbeit zu lange dauerte, meinte:

»Darüber braucht man sich doch wohl heutʼ noch nicht den Kopf zu zerbrechen.«

»Gnädige Frau haben nicht unrecht,« erwiderte Linke. »In ein paar Wochen ist sie mit der Schule fertig. Ihrer Begabung nach gehörte sie auf die Handelsschule.«

»Nu also!« sagte Leo. – »Dann wissen Sieʼs ja!«

»So einfach ist das nicht. Das kostet Geld!«

»Umsonst ist der Tod,« erwiderte Leo.

»Ich kann mir das bei meinem Gehalt nicht leisten.«

»Nanu?« rief Leo. »Ich glaube kaum, daß es in ganz Berlin noch einen Hausmeister gibt, der Ihr Gehalt bezieht.«

»Möglich,« gab Linke zu. »Aber der gnädige Herr vergessen, daß ich Funktionen verrichte, die im allgemeinen nicht zu den Pflichten eines Hausmeisters gehören. Ich gebe zu, es gibt welche, die nicht den zehnten Teil beziehen. Jeder aber hält sich die Dienerschaft, die er bezahlen kann.«

Cäcilie nickte zustimmend.

»Sie haben ganz recht, Linke!«

»Was heißt das?« fragte Leo ärgerlich.

»Sehr einfach!« erwiderte Cäcilie. »Wie oft soll ichʼs dir sagen: Noblesse oblige!«

Linke bewegte leicht den Kopf und meinte:

»Der gnädigen Frau sagt das der Instinkt.«

»Wer sagtʼs mir?« fragte sie ängstlich.

»Ich will damit sagen, daß man glauben könnte, der gnädigen Frau sei die Vornehmheit angeboren.«

»Was sagst du, Leo?« rief sie erfreut.

»Ich sehʼ voraus, die Handelsschule für Ihre Tochter muß ich zahlen.«

»Zu gütig!« erwiderte Linke und verbeugte sich. »Ich nehme das Anerbieten mit großem Danke an.«

Cäcilie streckte ihm, ohne sich zu ihm umzusehen, die Hand hin; Linke verbeugte sich tief; dann ging er hinaus.

»Ein feiner Mann!« sagte Cäcilie, als er draußen war.

»Hast du sonst noch was?« fragte Leo ungeduldig.

»Ja! Ich habʼ also nun dafür gesorgt, daß diese Frida, die im Grunde nichts anderes als ein besseres Portierskind ist, nicht mehr mit Günther in Berührung kommt. Sorgʼ du nun für anständigen Ersatz.«

»Was heißt das? Wie soll ich das machen?«

»Deine Sache!«

»Meine Sache sind Finanzierungen, Konserven, Leder und Felle engros. Ich besorgʼ den finanziellen Aufstieg, für den sozialen sorgʼ gefälligst du!«

»Ich habʼ mir gedacht, jetzt, wo doch die Violine wegfällt und er mehr Zeit . . .«

»Ein Segen,« unterbrach Leo. »Nun wird er endlich was von seiner Jugend haben.«

»Wie meinst du daß?« fragte Cäcilie.

»Daß er, wie ich vor dreißig Jahren, mit anderen Jungen die freien Nachmittage draußen im Freien verbringt.«

»Leo!« rief Cäcilie vorwurfsvoll. »Wie kannst du dich mit Günther vergleichen!?«

»Erlaubʼ mal . . .« wollte Leo widersprechen, aber Cäcilie wehrte ab.

»Nein! Das erlaubʼ ich nicht. An Deiner Vergangenheit solltest du nicht rühren, so wenig, wie ich an meiner. Und wenn du als Junge dich im Freien herumgetrieben hast, wovon ich bis zu dieser Stunde übrigens keine Ahnung hatte, so ist das der beste Beweis dafür, daß sich derartiges für Günther nicht gehört. Dazu haben wir ja unsern teuren Garten, damit der Junge nicht auf die Straße braucht.«

»Wie du meinst,« erwiderte Leo und machte sich auf dem Schreibtisch zu schaffen. »Ich denke nur, daß frische Luft und Bewegung ihm gut tun würden.«

Cäcilie lachte überlegen.

»Sehr richtig! Und für diese Bewegung werde ich sorgen. Günther wird tanzen lernen.«

»Warum nicht reiten?«

»Hättʼ ich gesagt, reiten, hättest du gefragt: Warum nicht tanzen. – Aber ich will dir trotzdem sagen, warum: weil tanzen ungefährlicher und gleichzeitig Mittel zum Zweck ist.«

»Das verstehʼ ich nicht.« »

»Was verstehst du denn überhaupt außer deinen Geschäften? Ich willʼs dir sagen: Weil er zum Tanzen Menschen braucht. Und für einen Jungen, der gut aussieht, ist es viel leichter, in einen feinen Tanzstundenzirkel zu kommen, als für Erwachsene in feine Gesellschaft.«

»Davon verstehʼ ich nichts.«

»Ich merkʼs.«

»Darüber mußt du mit deinem Bruder Alfred reden, der schreibt sich mit seinen Artikeln in jeden Kreis hinein, in dem er verkehren will. Der bringtʼs noch ʼmal zum Minister.«

»Beruhige dich!« erwiderte Cäcilie. »Ich paßʼ schon auf, daß die Kirche im Dorfe bleibt. Ich sehʼ ihm auf die Finger. Er ist ein ausgezeichneter Schrittmacher für Günther. Er soll ruhig in die Höhʼ wachsen. Wenn die Kirschen reif sind, ist Günther erwachsen und pflückt sie selbst.«

Leo sah zu ihr auf und sagte:

»Was für ʼne geschwollene Sprache! Aber du wirst schon machen.«

»Gewiß! Aber das mit der Tanzstunde machst du!«

»Ich werdʼ mit Alfred reden.«

»Nein! Das wirst du nicht! Er darf nicht merken, was ich bezwecke. Aber ich will dir einen Tipp geben. Röhrens.«

Leos Gesicht wurde nicht schlauer.

»Was ist mit ihnen?« fragte er.

»Du weißt, daß sie längst wieder obenauf sind.«

»Willst du dir einen neuen Korb holen?«

»Mit Günther ist das was anderes.«

»Versuchʼs!«

Cäcilie schüttelte den Kopf.

»Etwa ich?« fragte Leo.

»I Gott bewahre!« – sie sah zur Tür, machte eine Kopfbewegung und sagte: »Er!«

»Linke?«

Cäcilie nickte.

»Er kennt die Leute und versteht mit ihnen umzugehen.«

»Dafür verlangt er doch wieder ein Extrahonorar.«

»Selbstredend!« erwiderte Cäcilie.

Linke wurde noch einmal gerufen. Cäcilie trug ihm ihr Begehren vor. Er hörte es an und verzog keine Miene. Als sie geendet hatte und Linke noch unbeweglich stand, fragte Leo:

»Kostenpunkt?«

Linke wandte sich ab und sagte:

»Pfui!«

»Was ist?« fragten beide.

Linke wandte sich zur Tür.

»Ich bittʼ Sie, bleiben Sie!« bat Cäcilie.

»Dann bitte ich die gnädige Frau, nicht zuzulassen, daß man mich kränkt.«

Leo und Cäcilie standen hilflos.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, den Verkehr zwischen Ihrem Herrn Sohn und den Röhrenschen Kindern zu vermitteln.«

»Oh!« sagte Cäcilie.

»Mich dafür bezahlen zu lassen, wäre geschmacklos.«

Cäcilie sperrte den Mund weit auf.

Leo schlug mit der Hand auf den Tisch und rief: »Da kennʼ sich nu einer aus!«

»Die gnädige Frau versteht mich,« erwiderte Linke.

Cäcilie hatte keine Ahnung. Sie sah unsicher zur Erde, bewegte leicht den Kopf und sagte nicht eben laut:

»Noblesse obliege.«