Das Symphonische

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Armin Nassehi Das Symphonische Eine soziologische Perspektive auf die extremste Form des Musikalischen

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Armin Nassehi

Das Symphonische

Eine soziologische Perspektive auf die extremste Form des Musikalischen

Die Gesellschaft unmittelbar in der Musik vorzufinden, sie darin zu hören, wahrzunehmen, identifizieren zu können, ist wohl naiv. Zumindest muss man mehr hineinhören, als man aus ihr heraushören kann, wenn eine solche unmittelbare Analogie angestrebt ist. Sicher hört man in der Strenge mancher Barockmusik die Strenge der Zeit mit, und dies nördlich der Alpen anders als südlich. Und selbstverständlich hört man bei Arnold Schönberg im Übergang seines spätromantischen Friede auf Erden von 1907 zum zwölftönigen Ein Überlebender aus Warschau aus dem Jahr 1947 den Wandel von historisch imprägnierter Hoffnung hin zum Ende aller Hoffnungsmöglichkeiten nach der Schoah mit. Aber den Vorrang hat sogar hier das künstlerische Werk selbst, seine ästhetische Gestalt, die vor Überinterpretation ebenso geschützt werden muss wie vor einer ahistorischen Idee des Ästhetischen.

Weniger Vorsicht freilich bedarf es in umgekehrter Blickrichtung: Die Musik unmittelbar in der Gesellschaft vorzufinden, ist unstrittig. Sie findet nicht nur in ihr statt, sie vollzieht Gesellschaft. Sie ist nicht nur in ihr hörbar, sie ist eine Praxis, die sich mit der Gesellschaft selbst formt und verändert. Die Gesellschaftlichkeit der Musik besteht vielleicht gerade darin, dass man die Gesellschaft in ihr nicht unmittelbar hören kann. Das klingt widersinnig, aber diese Vorbemerkung ist eine Vorsichtsmaßnahme, um nicht dem Naheliegenden auf den Leim zu gehen: in den sechs vorliegenden symphonischen Werken von Beethoven bis Schmidt alle Vorurteile über ihre gesellschaftliche Vermittlung aufzufinden, die ohnehin auf der Hand liegen.

Als Kunst werden die Werke schon deshalb vor einer zu direkten Parallelisierung von Gesellschaft und Musik geschützt, weil die gesellschaftliche Funktion der Kunst darin besteht, auf die Form selbst aufmerksam zu machen. Unter Kunstverdacht geraten Phänomene dann, wenn sie in eine merkwürdige Widerständigkeit mit ihrer Umwelt geraten, wenn sie deutlich sichtbar machen, was fast alle anderen gesellschaftlichen Praktiken verschleiern wollen oder müssen: Sähe man dem Geld seine Konstruktionsprinzipien an, könnte man kaum mehr zahlen. Wäre die Fragilität mancher Machtkonstellation augenscheinlich, bräche sie zusammen. Träten die Absichten pädagogischen Handelns offen zutage, wäre die Beziehung von Lehrenden und Lernenden gestört. Und würde evident, dass die Gerechtigkeit des Rechts zumeist allein in der Konsistenz mit anderen juristischen Parametern liegt, könnte man ihr kaum mehr vertrauen. Die Kunst dagegen macht all das sichtbar – sie konterkariert das Porträt durch den sichtbaren Pinselstrich, sie macht als Literatur auf sprachliche Alternativen aufmerksam, sie hintertreibt die naturalistische Abbildung in der Fotografie und spielt mit Perspektiven im Film.

Die Musik, vor allem die Instrumentalmusik, steigert diese Visibilisierung ihres Gefüges – weil sie letztlich nur Form ist und damit vielleicht am radikalsten unter den Künsten. Nicht einmal die simpelste Musikform kann so tun, als sei sie etwas anderes als diese Form selbst. Die Musik macht ihre Anatomie nicht einfach sichtbar, sie ist auf die Form reduziert und exakt darin radikal – wenigstens als Kunstmusik.

Das Symphoniekonzert ist womöglich die extremste Form des Musikalischen, entstanden in dem historischen Moment jenes Autonom-Werdens der Kunst, das in der frühen Moderne auch andere Ausdifferenzierungsprozesse begleitet hat: die Emanzipation des Ökonomischen von anderen als wirtschaftlichen Zumutungen, die Hypostasierung des Staatlichen als Repräsentation der Gesellschaft und die Verselbständigung der Wissenschaft als Beantwortung von Fragen, die es ohne sie nicht gäbe. Die im Konzert dargebotene Symphonie ist neben dem Streichquartett der praktizierte Höhepunkt einer zumindest ästhetischen Autonomie der Musik, die eine merkwürdige Kombination aus Sparsamkeit und Fülle, aus Reduzierung und Steigerung erfährt.

Das Format des Symphoniekonzerts mit Sparsamkeit zu konnotieren, erscheint auf den ersten Blick widersinnig, denn es ist die wohl üppigste Form musikalischer Darbietung, was die Größe des Orchesters, aber auch die ästhetische Praxis angeht. Spätestens seit der Jahrhundertwende um 1800 gilt die Symphonie als Inbegriff des öffentlichen Konzerts und der bürgerlichen Aufführungspraxis für ein kundiges Publikum und geht weit über die intellektualisierte Form kammermusikalischer Praktiken hinaus. Das Symphoniekonzert ist gewissermaßen ein allgemeines Medium des Musikalischen, das große Musik in großer Besetzung mit großem Anspruch vor großem Publikum zelebriert. Es ist vielleicht die öffentlichste Musikpraxis, die vor der Erfindung und Etablierung der Tonträger möglich war. Tatsächlich entfaltet sich in ihm eine Fülle, die im Feld des Musikalischen keine weitere Entsprechung findet.

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