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2. Verwaltungsgerichtsbarkeit und Gewaltenteilung, Verhältnis zu
politischen Staatsorganen und zur Verwaltung

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Der Gewaltenteilungsgrundsatz bildete ursprünglich, und über viele Jahrzehnte hinweg, den grundlegenden Ausgangspunkt des gesamten belgischen Verwaltungsprozessrechts und begründete die zurückhaltende Haltung des (Verfassungs-)Gesetzgebers bzgl. der Schaffung eines Staatsrats. Eine solche Institution war historisch doch (zu) eng mit der ausführenden Gewalt verwoben, denn in der damaligen Zeit lautete ein weitverbreiteter Grundsatz, dass „über das Handeln der Verwaltung zu richten, […] noch verwalten“[120] sei. Dies wurde durch ein Urteil des Appellationshofes Brüssel vom 14. August 1845 noch bekräftigt: „Eine Anordnung durch die rechtsprechende Gewalt, die einen Akt der Vormachtstellung einer der Gewalten gegenüber einer der anderen bedeutete, würde zu einem Übergriff in die Domäne oder die Zuständigkeiten dieser anderen Gewalt führen.“[121]

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Der Staatsrat ist im Staatsgefüge mit zahlreichen Aufgaben betraut; in ihm kreuzen sich gesetzgebende, ausführende und rechtsprechende Gewalt. Zwar ist er kein Organ der föderalen ausführenden Gewalt im engeren Sinne; allerdings besteht zu dieser eine enge natürliche und offensichtliche institutionelle Verbindung.[122] Das Studienzentrum für die Reform des Staates proklamierte, dass „[d]er zukünftige Gerichtshof für Verwaltungsstreitigkeiten ein Organ der ausführenden Gewalt sein wird. Gleichzeitig ist es unerlässlich, dass die Mitglieder dieses Gerichtshofes über vollständige Unabhängigkeit verfügen.“[123] Auch in der Rechtslehre wurde der Staatsrat von mehreren Autoren der Exekutive zugeordnet.[124] Im Gegensatz hierzu entschied der Verfassungsgerichtshof (damals noch Schiedshof) am 15. Mai 1996, dass „keine Vorschrift der Verfassung den Staatsrat den Organen der ausführenden Gewalt zurechnet“[125]. Dem ist zuzustimmen. Seit der Verfassungsänderung von 1993, in deren Zuge in einem Titel III das Bestehen des Staatsrats festgeschrieben worden ist, kann dieser nicht mehr im Umkreis der ausführenden Gewalt zugeordnet, sondern muss vielmehr als ein Organ sui generis betrachtet werden.[126] Die Befugnisse des Staatsrates sind folglich nicht mit denjenigen der Verwaltung zu vergleichen.

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Im Verhältnis zur Legislative hat der Staatsrat eine beratende Funktion. Gemäß Art. 1 KGSR erstellt die Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates vorab Gutachten zu Gesetzesvorhaben und ist damit an der Ausarbeitung der Normen der gesetzgebenden Gewalt auf föderaler Ebene wie auf regionaler und dezentraler Ebene als auch der exekutivischen Vorschriften Belgiens beteiligt.[127] Die Mitwirkung des Staatsrates an Gesetzen bereits im Entwurfsstadium dient dem Zusammenhalt des Staates.[128] Dabei setzt sich der Staatsrat gem. Art. 81 KGSR aus zwölf Staatsräten und bis zu zehn Beisitzern in vier jeweils einsprachigen Kammern zusammen. Somit spielt er einerseits eine tragende Rolle bei der qualitativen Verbesserung der Gesetzestexte; andererseits wacht er vorbeugend über die Vereinbarkeit der Gesetzesvorhaben mit höherrangigem Recht. Die Kontrolle erfolgt bereits vorab und betrifft Gesetzesvorhaben, Dekrete, Gesetzerlasse[129] und Rechtsverordnungen. Eine erwähnenswerte Ausnahme hiervon besteht hinsichtlich der Vorschläge für Verfassungsänderungen. Die Stellungnahme der Abteilung muss eingeholt werden, sofern eine Gesetzesänderung von einer Regierung initiiert wird (mit anderen Worten also bei Gesetzesentwürfen). Hiervon ausgenommen sind Gesetzesentwürfe, die den Haushalt, die Konten der öffentlichen Hand, öffentliche Anleihen, Vorgänge zu den Staatsgütern oder den Umfang der Streitkräfte zum Gegenstand haben. In Fällen besonders begründeter Dringlichkeit kann von dieser Anrufung abgesehen werden, wobei auch in diesen Fällen die Gesetzgebungsabteilung eine Überprüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung durchführen muss. Entwürfe für Erlasse sind grundsätzlich von der Gesetzgebungsabteilung zu prüfen. Bei Gesetzesvorschlägen, bei denen die Initiative für die Gesetzesänderung von einem oder mehreren Parlamentsmitgliedern ausgeht, muss ein Gutachten des Staatsrates hingegen nur dann eingeholt werden, wenn ein Drittel der Mitglieder der betroffenen Kammer beim Präsidenten einen entsprechenden Antrag stellt. Der Staatsrat kann die Entwürfe grundsätzlich vollumfänglich würdigen: Das betrifft Inhalt und Qualität der Formulierungen, die Übereinstimmung der verschiedenen sprachlichen Fassungen sowie Zuständigkeit und Normenhierarchie. Zweckmäßigkeitsbewertungen sind dem Staatsrat allerdings verwehrt. Somit trägt seine Gesetzgebungsabteilung aktiv zum Schutz der Rechtssuchenden und des Allgemeininteresses bei und stärkt gleichzeitig die Qualität der Normen. In ihrer beratenden Funktion besitzt die Gesetzgebungsabteilung kein Initiativrecht.

§ 128 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Belgien › III. Funktion und Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 3. Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit

3. Stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit

a) In Bezug auf die ordentliche Gerichtsbarkeit

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Die Verfassung unterscheidet zweierlei Rechtsstreitigkeiten: solche über bürgerliche und solche über politische Rechte. Erstere fallen gem. Art. 144 Belg. Verf. stets in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichte.[130] Für Letztere sind gem. Art. 145 Belg. Verf. ebenfalls grundsätzlich die ordentlichen Gerichte zuständig, es sei denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich Ausnahmen festgelegt und die Entscheidung über diese Streitigkeiten einer Verwaltungsgerichtsbarkeit übertragen. Weitere Kategorien von Rechten gibt es nicht;[131] ein Recht ist somit stets entweder bürgerlich oder politisch.

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Die Unterscheidung erfolgt Jean Dabin gemäß wie folgt: „Bürgerliche Rechte sind die natürlichen und nicht-natürlichen, vom Gesetz anerkannten oder geschaffenen Rechte, die jedem Menschen, sei er Inländer oder Ausländer, unabhängig von seiner Eigenschaft als Staatsbürger zustehen und deren unmittelbarer Zweck gerade auf die eigenen und persönlichen Rechtsgüter des Einzelnen gerichtet ist“[132]. Demgegenüber sind politische Rechte „diejenigen [Rechte], die dem Träger dieser Rechte eine aktive Beteiligung an der Ausübung der Staatsgewalt einräumen und ihn als Mitglied des gebildeten politischen Gemeinwesens in den Genuss derjenigen Dienste bringen, welche die öffentliche Gewalt im Rahmen des Rechts leistet“[133].

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Die ordentlichen Gerichte haben nicht nur die ausschließliche Zuständigkeit bezüglich aller Streitigkeiten über bürgerliche Rechte, sondern darüber hinaus auch eine grundsätzliche Zuständigkeit in Bezug auf Streitigkeiten über politische Rechte.[134] Daher ist der Staatsrat grundsätzlich nur subsidiär und untergeordnet zuständig. Sofern eine Klage, die zu demselben Ergebnis führen kann, auch vor einem ordentlichen Gericht möglich ist, hat diese Vorrang. Dabei ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, dass der Staatsrat seit 1946 über die allgemeine Zuständigkeit verfügt, einseitige Verwaltungsmaßnahmen der verschiedenen Behörden für nichtig zu erklären.[135] Zum anderen kann eine Klage vor einem ordentlichen Gericht niemals eine Nichtigkeitserklärung einer Verwaltungsmaßnahme mit Wirkung erga omnes bewirken. Ordentliche Gerichte dürfen allgemeinen, provinzialen und örtlichen Erlassen und Verordnungen gem. Art. 159 Belg. Verf. lediglich die Anwendung versagen, sollten diese nicht gesetzeskonform sein.

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Darüber hinaus stellte sich heraus, dass bei einer umfangreichen Übertragung einer Fülle von Nichtigkeitsklagen in die Zuständigkeit des Staatsrates dieser auch eine Reihe bürgerlicher und/oder politischer subjektiver Rechte berühren konnte.[136] Daher bedarf es neben der Unterscheidung bürgerliche/politische Rechte des Weiteren der Differenzierung zwischen objektiven und subjektiven Rechten. Dabei hat der im Rahmen eines Kompetenzkonfliktes befasste Kassationshof im Grundsatzurteil Versteele[137] die bisher durch den Staatsrat vorgenommene Auslegung von dessen Zuständigkeiten verworfen. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt drehte sich um einen Streit über einen Rentenanspruch; es handelte sich also um ein Vermögensrecht und damit um die Begründung eines bürgerlich-rechtlichen Anspruches. Nach Auffassung des Kassationshofes ist „der Staatsrat nicht notwendigerweise zwangsläufig zuständig, bloß weil der Zweck einer Klage nach deren Wortlaut allein darauf gerichtet ist, die Nichtigkeitserklärung einer Verwaltungsmaßnahme zu erreichen, dieser also keine Zahlungsklage enthält“. Vielmehr ist es „im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung geboten, den eigentlichen Zweck der Klage zu bestimmen“. Auf diese Formulierung geht die von Teilen der Rechtslehre kritisch hinterfragte[138] Theorie des „eigentlichen Zwecks der Klage“ zurück, der Kompetenzkonflikte von Gerichtsbarkeiten bei Streitigkeiten bezüglich individueller Einzelakte zugrunde liegen.[139] Nach dieser Theorie muss der Staatsrat sich für unzuständig erklären, wenn der Kläger zwar an und für sich die Nichtigkeitserklärung eines Bescheides der Verwaltung begehrt, dabei jedoch das Ziel einer Verurteilung der Verwaltung zur Beachtung eines subjektiven Rechtes des Klägers verfolgt.[140] Dies ist grundsätzlich[141] der Fall, wenn die Verwaltung durch eine höher stehende Rechtsnorm vollständig gebunden ist und über keinerlei Ermessen verfügt,[142] etwa bei Verordnungen.[143] Bei der Feststellung des eigentlichen Zwecks der Klage sind sowohl der Antrag (petitum) als auch die Grundlage der Klage (causa petendi) zu berücksichtigen.[144] In einem anderen Fall hat der Kassationshof entschieden, dass auch die Anfechtung der Eintragung eines Ausländers in das Einwohnerverzeichnis einer Gemeinde nicht in die Zuständigkeit des Staatsrates fällt, da der Rechtsstreit unmittelbar ein subjektives Recht betrifft.[145]

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Seit dem La Flandria-Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1920[146] unterliegen die Verwaltungsbehörden ferner denselben Regelungen zur Schadensersatzpflicht bei unerlaubten Handlungen wie die Bürger. Infolgedessen kann eine rechtswidrig handelnde, d.h. sie bindende Vorschriften und Grundsätze oder eine allgemeine Sorgfaltspflicht verletzende[147] Behörde von einem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit verpflichtet werden, einen hierdurch entstandenen Schaden gem. Art. 1382 Code civil wiedergutzumachen. Der Kassationshof hat dahingehend bekräftigt, dass „eine Klage, mit der Schadensersatz in Geld wegen der Verletzung eines subjektiven Rechts – auch eines politischen – begehrt wird, in die alleinige Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fällt“[148]. „Es [handelt] sich [hierbei] nicht um eine Einmischung der Gerichte in die Ausübung der von Gesetzes wegen der betroffenen Behörde vorbehaltenen Befugnisse […], wenn die Gerichte zur vollständigen Wiederherstellung der Rechtsgüter des Geschädigten eine Wiedergutmachung durch Naturalrestitution anordnen und der Verwaltung Maßnahmen zur Beseitigung der schädigenden und rechtswidrigen Umstände auferlegen“[149].

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Damit können auch die ordentlichen Gerichte die Folgen einer rechtswidrigen Verwaltungsmaßnahme begrenzen.[150] Diese Anordnungsbefugnis gegenüber den Behörden unterliegt jedoch Grenzen: „Auch wenn keine Einmischung der Gerichte in die Ausübung der von Gesetzes wegen der zuständigen Behörde vorbehaltenen Befugnisse vorliegt, wenn die Gerichte zur vollständigen Wiederherstellung der Rechtsgüter des Geschädigten eine Wiedergutmachung durch Naturalrestitution anordnen und der Verwaltung Maßnahmen zur Beseitigung der schädigenden und rechtswidrigen Umstände auferlegen, so untersagt ihnen doch der allgemeine Rechtsgrundsatz der Gewaltenteilung, außerhalb dieser Fallkonstellation Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung zu erlassen und Rechtsakte der Verwaltungsbehörden abzuändern oder aufzuheben.“[151] Ob jede Rechtswidrigkeit grundsätzlich gleichbedeutend mit einem Verschulden ist, wird in der Rechtslehre und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.[152]

b) In Bezug auf die Verfassungsgerichtsbarkeit (insbesondere bezüglich Normenkontrolle und Wahlanfechtungen)

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Der Verfassungsgerichtshof ist zuständig für die Normenkontrolle von Gesetzen der Föderation und der föderierten Teilgebiete. Dabei sind Prüfungsmaßstab die Kompetenzzuweisungsvorschriften, die von Titel II der Verfassung geschützten Grundrechte und Grundfreiheiten (Art. 8 bis 32 Belg. Verf.), der Grundsatz der Bundestreue (Art. 143 § 1 Belg. Verf.), der Grundsatz, dass Steuern nur durch ein Gesetz erhoben werden dürfen (Art. 170 Belg. Verf.), der Grundsatz der Steuergleichheit (Art. 172 Belg. Verf.) und das Prinzip des Schutzes der in Belgien befindlichen Ausländer (Art. 191 Belg. Verf.). Durch Normenkontrollverfahren wurden auch die Zuständigkeiten des Staatsrates sowie der Zugang zu diesem, insbesondere auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes, beeinflusst. Beispielsweise hat der Verfassungsgerichtshof 1996 eine rechtswidrige Ungleichbehandlung zwischen den Beamten der parlamentarischen Versammlungen und denjenigen der Verwaltungsbehörden festgestellt, insofern es Ersteren grundsätzlich verwehrt war, die von der einschlägigen parlamentarischen Versammlung erlassenen Verwaltungsmaßnahmen dem Staatsrat zur Prüfung vorzulegen. Daraufhin wurde die Zuständigkeit des Staatsrates durch ein Gesetz vom 25. Mai 1999 erweitert,[153] um diese ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu beseitigen.

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Darüber hinaus wurden auch die Zuständigkeiten des Kassationshofes in Ansehung der Beurteilung der vom Staat geschaffenen Organe durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes beeinflusst und verfeinert. Prüft der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, so kann er gleichzeitig würdigen, ob eine durch Gesetz geschaffene Einrichtung den Charakter eines Gerichtes hat oder nicht. Beispielsweise entschied der Verfassungsgerichtshof (damals: Schiedshof), dass die Überprüfungsinstanz in Fragen der Sicherheitsüberprüfung[154] ein unabhängiges Verwaltungsgericht darstellt.[155] Damit hat, beobachtet Nicolas Banneux, „der Schiedshof eine Rechtsprechung entwickelt, die nicht einen Kompetenzkonflikt löst (Abgrenzung der Zuständigkeiten des Kassationshofes), sondern die Verfassungsmäßigkeit der Zuweisung (oder Nichtzuweisung) einer Zuständigkeit für bestimmte Rechtsstreitigkeiten an eine der Gerichtsbarkeiten prüft“.[156]

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Durch das Bestehen der Verfassungsgerichtsbarkeit ist auch der Gesetzgeber darin beschränkt, nach eigenem Ermessen Streitsachen zu bestimmten Rechtsgütern durch Deklarierung derselbigen als politische Rechte einer bestimmten Gerichtsbarkeit zuzuweisen. Vielmehr „obliegt [es] dem Verfassungsgerichtshof, zu prüfen, ob der Gesetzgeber zu Recht stillschweigend davon ausgehen durfte, dass die betreffenden Rechte politische Rechte seien“[157]. In dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof die „politischen Rechte“ näher definiert und sie als Rechte umschrieben, die im Zusammenhang mit hoheitlichen Befugnissen oder mit der Daseinsvorsorge stehen.[158]

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In Wahlanfechtungsfragen hat der Staatsrat die Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Beschwerden über Gemeinde- und Provinzialwahlen (Art. 16 Abs. 1 Nr. 1o KGSR). Als Berufungsinstanz gegen Entscheidungen der jeweiligen für Wahlprüfungsbeschwerden zuständigen Kollegien in den Regionen Wallonien, Brüssel und Flandern verfügt die Verwaltungsgerichtsbarkeit dabei praktisch über dieselben Befugnisse wie die ordentliche Gerichtsbarkeit; sie nimmt eine umfassende Gesamtwürdigung des ihr vorgelegten Sachverhalts vor.[159] Im Zuge der Verfassungsänderung vom 6. Januar 2014[160] wurde hingegen dem Verfassungsgerichtshof die Zuständigkeit für weitere Rechtsstreitigkeiten übertragen, insbesondere mit Blick auf die Beschlüsse der Abgeordnetenkammer oder ihrer Gremien in Fragen der Überprüfung der Wahlkampfausgaben für Wahlen zur Abgeordnetenkammer.[161] Der Staatsrat ist im Rahmen dieser Beschwerden somit nicht zuständig.

c) Verfassungsdimension der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Bedeutung der Grundrechte in der Verwaltungsrechtsprechung

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Eine bedeutende Rolle[162] spielt die Gesetzgebungsabteilung des Staatsrates bei der allgemeinen Würdigung der Verfassungsmäßigkeit der ihr vorgelegten Gesetzesentwürfe und -vorschläge sowie der Entwürfe für Dekrete und Gesetzerlasse.[163] Die von ihr erstellten Gutachten können als „Gesetzessprechung“ (légisprudence) bezeichnet werden. Obwohl nicht all diese Entwürfe der Gesetzgebungsabteilung zur Einholung eines Gutachtens vorgelegt werden müssen, nimmt der Staatsrat auch zu Entwürfen für königliche Erlasse, Regierungserlasse und Ministerialerlasse Stellung. Grundsätzlich sind nur die Entwürfe für Dekrete, Gesetzeserlasse und Rechtsverordnungen, d.h. für verbindliche Rechtsnormen mit allgemeiner Geltung, vorzulegen.

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Im Gegensatz hierzu wacht die Verwaltungsstreitsachenabteilung des Staatsrates über die Vereinbarkeit von Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen mit dem Verfassungsrecht (einschließlich der Grundrechte und Grundfreiheiten).[164] Dabei ist zu unterscheiden, ob bereits das Gesetz, das die ausführende Gewalt zum Erlass einer Verwaltungsmaßnahme ermächtigt, oder lediglich der Erlass derselbigen selbst verfassungswidrig ist. Im ersten Fall muss der Staatsrat auch die der erlassenen Verwaltungsmaßnahme zugrunde liegende Gesetzesnorm selbst mittelbar hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit überprüfen; im zweiten Fall besteht ein weiterer Bewertungsspielraum.[165]

d) Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gerichtsbarkeiten

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Gem. Art. 158 Belg. Verf. wacht der Kassationshof (als oberstes ordentliches Gericht) über die Einhaltung der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gerichten und entscheidet hierüber bei Streitigkeiten zwischen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und den anderen Gerichtsbarkeiten. Seiner Auffassung zufolge ist „einzig der Kassationshof zuständig, über Zuständigkeitskonflikte zu befinden. Diese ihm von der Verfassung zugewiesene Aufgabe besagt, dass er eine Kontrollfunktion über die jeweiligen Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit und des Staatsrates ausübt.“[166] Damit sieht Belgien – anders als Frankreich[167] – kein ad-hoc-Gericht in Form eines Kompetenzkonflikthofes vor. Gemäß den KGSR entscheidet somit der Große Senat des Kassationshofes mit Blick auf die Zuständigkeit auch über Beschwerden gegen die Urteile des Staatsrates. Art. 33 KGSR sieht vor, dass Beschlüsse der Verwaltungsstreitsachenabteilung, nicht über die Klage erkennen zu können, weil diese in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte falle, und Entscheidungen über die Abweisung eines Einwands der Nichtzuständigkeit vor den Kassationshof gebracht werden können.

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Eine solche Zuständigkeitsklage setzt voraus, dass die Frage nach der Zuständigkeit des Staatsrates bereits von diesem entschieden worden ist.[168] Bejaht der Kassationshof – entgegen der Auffassung des Staatsrates – dessen Zuständigkeit, wird die Sache an die Verwaltungsstreitsachenabteilung zurückverwiesen. Bei der erneuten Behandlung berät diese in einer anderen Zusammensetzung. Sie hat dabei der Auslegung des Kassationshofes zu folgen.

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Die Befugnisse des Kassationshofes sind im Rahmen der Zuständigkeitsklage beschränkt: „Der Gerichtshof überprüft nicht, ob der Staatsrat zu Recht oder zu Unrecht bejaht oder verneint hat, dass eine Handlung der Verwaltung deren Amtsbefugnisse überschritten habe, einen Ermessensmissbrauch darstelle[169] oder eine wesentliche Formvorschrift oder eine Vorschrift, deren Nichtbeachtung zur Nichtigkeit der Handlung führt, verletzt habe; […] seine Aufgabe besteht im Wesentlichen in der Prüfung, ob die vor dem Staatsrat erhobene Klage in den Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit fiel oder nicht.“[170] Rügt der Kläger die Verletzung einer bürgerlich-rechtlichen Vorschrift (z.B. einer gesetzlich oder vertraglich vorgesehenen Dienstbarkeit) vor dem Staatsrat, so birgt dies nach der Versteele-Rechtsprechung[171] das Risiko, dass er hierdurch eine negative Zuständigkeitsentscheidung bewirkt.[172]