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Anno Dazumal

Im Spiegel des Universums

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Versuch

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Der Versuch

Ich war ein wenig aufgeregt, denn ich erwartete meine ersten Klienten. Eine Ich-AG hatte ich gegründet, nachdem ich meinen Prozeß vor Gericht verloren gehabt hatte. Der Versuch, meine Domina auf Schmerzensgeld zu verklagen, war zu meiner größten Verärgerung gescheitert und der nette Herr von der Arbeitsagentur hatte nur noch Lebensmittelmarken für mich übrig, so daß ich mich dazu entschloß, lieber gleich in den sauren als in den verfaulten Apfel zu beißen und so saß ich in meinem Büro und harrte der Dinge und Menschen, die da kommen sollten. Eine astrologische Paarberatung bot ich an und als das erste Pärchen den Raum betrat, merkte ich sofort, wer unbedingt zu mir gewollt hatte. Aus Datenschutzgründen müssen die Namen meiner Klienten natürlich anonym bleiben, doch er war sehr froh darüber, mich zu sehen und das lag nicht etwa daran, daß er schwul gewesen wäre und es nur noch nicht wußte. Nein, seine Freundin war es, die ohne Unterbrechung redete und sie war sichtlich empört darüber, daß er sie zu mir mitgeschleppt hatte, denn aus ihrer Sicht lief in ihrer Beziehung alles bestens. „Gut, er ist mir manchmal etwas zu still“, gab sie am Ende ihres Redeschwalls dann doch zu. Ich ließ mir von ihnen die Geburtsdaten inklusive genaue Geburtszeit geben und dann blinkte in meinem Kopf sogleich eine rote Warnleuchte, weshalb ich Folgendes verlauten ließ: „Meine lieben Leute, Ihr werdet das jetzt nicht gerne hören, aber Ihr Beide seid Opfer des traditionellen Widder-Krebs-Mißverständnisses. Das bedeutet, daß Deine Freundin als Krebs glaubt, daß Du sie so stürmisch liebst, dabei handelt es sich dabei lediglich um Deine Widder-Natur und daß Du andauernd fremdgehen mußt, gehört natürlich auch dazu, denn Du interessierst Dich für alle Frauen.“ Mit einem Mal war sie ganz ruhig und starrte ihn statt dessen haßerfüllt an. „So ist das also! Du gehst hinter meinem Rücken fremd! Wie kannst Du mir das nur antun?“ rief sie in den Raum. Er wollte etwas antworten, doch das ließ ich nicht zu, sondern erläuterte: „Der Widder-Mann als solcher ist ein Kerl, der leicht entflammt werden kann. Er gehört zu den Eroberern und in ihm arbeiten Sturm und Drang. Er läuft auch gerne mal mit dem Kopf gegen die Wand. Du dagegen bist ein Gefühlsmensch und lebst Deine Launen aus. Außerdem kannst Du durchaus anstrengend sein, weil Du immer nachfragst und auch ein bißchen geizig bist.“ „Das stimmt genau!“ rief er triumphierend, doch das gefiel mir auch wieder nicht. „Ihr Beide seid ein Paar und Ihr habt bestimmt schon turbulente Zeiten hinter Euch. Meinetwegen könnt Ihr ruhig noch zusammen bleiben, denn Deine Freundin hat ihren Aszendenten im Löwen, das heißt, daß Ihre Anlagen gut zu Deinem Widder, also Deinem Verhalten, passen. Allerdings unterscheidet Ihr Euch halt in Eurem alltäglichen Verhalten wie Tag und Nacht und habt da auch kein Verständnis füreinander. Du wiederum hast Deinen Aszendenten in der Jungfrau, was schon wieder recht gut zu ihrem Krebs und ihrem Löwen paßt, aber Du bist selbst innerlich zerrissen, weil Du einerseits treu sein willst, es aber nicht immer sein kannst. Der Mond ist bei Euch Beiden in der Waage und das macht die ganze Sache ebenfalls nicht unbedingt leichter, auch wenn die Waage als solche nach Frieden und Harmonie strebt. Nach meiner Skala kommt Ihr Beide auf 9,25 Punkte von theoretisch 18 möglichen, was für eine gute Freundschaft locker ausreicht, für eine langfristige Partnerschaft wohl eher nicht. In bestimmten Konstellationen paßt Ihr einfach überhaupt nicht zueinander und darüber solltet Ihr ernsthaft nachdenken, bevor Ihr Euch entscheidet“, riet ich ihnen. „Und was wäre dann meine Traumfrau?“ wollte er wissen, woraufhin er einen bösen Blick von ihr erntete, weil sie die selbe Frage auf den Lippen hatte, er ihr allerdings mal wieder zuvorgekommen war, was sie ja schon vom Sex her kannte. „Die Höchstpunktzahl bei Dir wären 15, das wäre dann die dreifache Löwe-Frau, aber das ist nur graue Theorie, denn so eine Frau gibt es erstens wahrscheinlich überhaupt nicht und zweitens wäre sie nur sehr schwer zu ertragen“, machte ich deutlich. „Und wie viele Punkte kann ich erreichen?“ forschte sie. „Einen Moment, laß mich mal kurz nachdenken. Dein Idealpartner wäre dann wohl der dreifache Jungfrau-Mann und der würde bei Dir auf 14 Punkte kommen, aber im Grunde könnt Ihr froh sein, wenn Ihr Leute trefft, die mehr als 10 Punkte mit Euch zusammen erreichen“, wandte ich ein. „Was genau willst Du uns mit Deinen Worten eigentlich sagen?“ begehrte er daraufhin zu wissen. „Daß es da draußen noch jede Menge Leute gibt, die wesentlich besser zu Euch passen als Ihr zueinander. Aber es ist Eure Sache, ob Ihr lieber weiterhin das sichere Unglück erleben wollt, oder Euch auf die Suche nach dem unsicheren Glück macht“, erklärte ich. Das saß. Sie schluckten und sahen sich peinlich berührt an. Das, was sie schon immer geahnt, ja, vielleicht sogar längst gewußt hatten, hatte ihnen nun ein Unbeteiligter mitgeteilt und das beeindruckte sie dann doch. Ich spürte, daß ich vielleicht ein bißchen zu weit gegangen war, weshalb ich einräumte: „Natürlich könnt auch Ihr Beide eine glückliche Ehe führen und eine Familie gründen, allerdings dürft Ihr Euch halt nicht wundern, wenn irgendwann Schluß ist, weil einer von Euch jemanden gefunden hat, der besser zu ihr oder ihm paßt.“ Sie nickten. „Vielen Dank! Ich bin echt froh, daß wir hierher gekommen sind, auch wenn ich zuerst gedacht hatte, daß es sich mal wieder um eine von seinen üblichen Schnapsideen handeln würde“, bekannte sie. „Na ja, zugegeben, ich bin jetzt auch nicht unbedingt der große Guru; ich verfüge über eine Menge Halbwissen und interessante Theorien, aber die müssen nicht unbedingt alle stimmen. Jedenfalls kann ich Euch nur ein paar Ratschläge mit auf den Weg geben: Am besten sind für jeden Menschen Partner, die zwei Sternzeichen Abstand von einem selbst entfernt sind, das wären für ihn Wassermänner und Zwillinge, für Dich Stiere und Jungfrauen. Allerdings muß man auch den Aszendenten und den Mond beachten, von daher sind für ihn Löwe-Frauen besser und für Dich die Jungfrauen eher interessant als die Stier-Männer. Andererseits würde auch ein Zwilling ausgezeichnet zu Dir passen, fällt mir da gerade auf, ich glaube, einen Augenblick bitte, der würde sogar noch besser bei Dir abschneiden. Ja, genau, da haben wir es schon. Also, der dreifache Zwilling-Mann hätte bei Dir sage und schreibe 15 Punkte, also wäre der dann die Nummer Eins. Wie auch immer, es geht um Folgendes: Ich gehe davon aus, daß Eure Freunde in der Nähe Eurer eigenen Sternzeichen beheimatet sind, denn so ist es fast immer. Man sucht sich im Freundeskreis normalerweise Leute, die ähnlich denken wie man selbst, denn man will sich schließlich gut verstehen und nicht andauernd streiten. In der Partnerschaft sieht es da schon ein bißchen anders aus. Das liegt daran, daß da das Gleichheitsprinzip oft durch das Ergänzungsprinzip verdrängt wird, was aber auch nicht immer unbedingt ideal ist, der gesunde Mittelweg wäre die beste Lösung. Ja, das wäre es von meiner Seite erst mal gewesen. Ich hoffe, daß ich Euch weiterhelfen konnte und daß Ihr mich vielleicht sogar weiter empfehlt“, erwähnte ich, bevor ich mich von meinen beiden ersten Klienten verabschiedete. „Ach so, vom chinesischen Sternzeichen her würdet Ihr einigermaßen zusammenpassen, aber das nur so nebenbei“, rief ich ihnen hinterher. Das also war meine erste Sitzung gewesen und ich mußte zugeben, daß mich die ganze Sache nach wie vor sehr interessierte und faszinierte. Schon oft war ich auf den Friedhöfen der verschiedensten Städte unterwegs gewesen, natürlich immer tagsüber, denn ich fürchtete mich vor den Satanisten, und hatte dort die Geburtsdaten der Ehepaare verglichen und zueinander in Beziehung gesetzt. Wenig überrascht konnte ich feststellen, daß sich da meistens schon zwei Personen gefunden hatten, die ziemlich gut zusammenpaßten. Natürlich gab es auch jede Menge Ausnahmen, doch die bestätigten nur die Regel und außerdem wußte ich von den Leuten ja nur das Sternzeichen und das genügte lediglich für eine ziemlich oberflächliche Betrachtung. Wie auch immer, mein erster Arbeitstag verging wie im Fluge und so spazierte ich nach Feierabend gemütlich und entspannt nach Hause.

Doch dann war da wieder die Stimme Adolf Hitlers in meinem Kopf, die mir die unsinnigsten Befehle gab, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Schon oft hatte ich mich gefragt, warum sich der Führer ausgerechnet mein Hirn ausgesucht hatte, um darin herumzuspuken. Als ich ihn mal darauf angesprochen und nachgeforscht hatte, warum er nicht in den Köpfen der Neonazis herumgeistere, meinte er nur, dort wäre ihm zu viel Luft und viel zu viel Platz. Jedenfalls hatte ich da so einen Schreihals in meinem Kopf, der mir so manchen Floh ins Ohr setzte. Er zwang mich dazu, meine polnische Putzfrau zu demütigen, indem ich mehr Müll verursachte als es meine Art war und er verlangte von mir, daß ich Deutsch dachte. Außerdem war da immer dieser Ohrwurm in meinem Kopf, den ich nicht mehr los wurde und der ging so: „In einem rassereinen Land, vor gar nicht allzu langer Zeit, da war ein Führer sehr bekannt, den vergötterten alle weit und breit. Und dieser Führer den ich meine, der heißt Hitler, kleiner, frecher, schlauer Adolf Hitler, Hitler irrt durch seine Welt, vergast und zerstört wen und was ihm nicht gefällt. Wir treffen heute unseren Führer Adolf Hitler, diesen tollen Prachtburschen Adolf Hitler, Hitler alle fürchten Hitler, Hitler, Hitler, Hitler, Hitler, Hitler, er trinkt nur braunes Bier.“ Ja, wer solche Lieder in seinem Schädel andauernd hören durfte, der brauchte keine anderen Hobbys, doch da bekam ich plötzlich eine SMS, in der mir meine Nichte mitteilte, daß sie Gott sei. Danach fühlte ich mich erleichtert und erlöst, denn jetzt brauchte ich mir keine Sorgen mehr machen, daß ich selbst eventuell der Auserwählte sein könnte und nach Bruder Hitler war mir mein Titel „Gottes Onkel“ schon wesentlich lieber. Klar, natürlich wußte ich, daß das nur eine weitere manische Phase im Leben meiner kleinen Nichte war, doch das störte mich nicht, denn ich sponn den Gedanken weiter und kam auf Folgendes: „Eigentlich ist ja das der Traumjob schlechthin. Stell Dir vor, Du bist Gottes Onkel: Du bist quasi allmächtig, trägst aber keinerlei Verantwortung. Kannst tun und lassen was Du willst und alle finden Dich cool. Wenn irgendwas schiefläuft, dann bleibt nichts an Dir hängen, denn Du bist ja nur der Onkel von Gott. Doch mal angenommen, Gott hätte tatsächlich einen Onkel. Würde der sich nicht auch ein bißchen überflüssig vorkommen?“

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