Generation müsy

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Anne Wizorek

Generation müsy

Der Rückzug ins Private ist gefährlich

Meine Generation ist vor allem eins: beschäftigt. Wir sind das kleine weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland, das stets in der Angst durch die Gegend huscht, irgendwo zu spät zu kommen und damit nicht alles zu schaffen. Wir sind »busy«. Und wenn wir nicht gerade »busy« sind, dann sind wir »müde«, weil uns das ständige Beschäftigtsein zu viel Kraft kostet. Meistens gibt es da noch nicht mal ein Entweder (»busy«) und ein Oder (»müde«). Vielleicht müssten wir also einfach davon sprechen, dass wir, nun ja, »müsy« sind? »Generation müsy« hieße es dann in den dazugehörigen Schlagzeilen, statt »Generation Y«.

Nun liegt es mir natürlich fern, den nächsten seltsamen Trendbegriff in die Welt zu setzen, der in entsprechenden Artikeln zu Tode analysiert wird. Denn egal, wie unsere Zustandsbeschreibung am Ende genannt wird: Die Geschwindigkeit im gefühlten Hamsterrad unseres Alltags nimmt nicht ab, sondern zu. Das ist Fakt. Wir sind ausgelaugt. Wir bräuchten alle Winterschlaf. Oder mindestens Urlaub. Geradezu exemplarisch zeigt sich das jedes Mal am Ende eines Jahres, wenn wir auf die Zeit »zwischen den Jahren« hinfiebern, die dort immer wie eine kleine Oase auf uns wartet. Bei Weitem nicht alle, aber immerhin einige bekommen dann eine Pause per Feiertag verordnet. »Dann kann ich endlich mal XYZ machen.« Und plötzlich sind es schon wieder so viele XYZ, dass das Wort »Freizeitstress« in den Sinn kommt. Allein dass es dieses Wort gibt, verursacht jedes Mal Gänsehaut.

Die To-do-Liste ist unsere Freundin und Feindin zugleich. Ohne sie würden wir untergehen, mit ihr sitzt aber auch die ganze Zeit das schlechte Gewissen im Nacken. Das ständige Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht auszureichen, nicht alles zu bewältigen. Aber woher lässt sich diese zusätzlich benötigte Kraft nur nehmen? Vor allem, wenn uns jetzt schon mehr abverlangt wird, als uns eigentlich zur Verfügung steht? Woher Zeit nehmen und nicht stehlen, kleines weißes Kaninchen?

Ohne Arbeit ergeben wir keinen Sinn, angeblich

Wir sind damit aufgewachsen, dass unsere Renten nicht sicher sind, sondern ein Running Gag. Wir kennen fast ausschließlich befristete Arbeitsverträge sowie den prekären Arbeitsmarkt, darüber schwebt permanent das Damoklesschwert namens »Hartz IV«, vor dem dich auch keine noch so gute Ausbildung bewahren kann. Und wenn du diesen Stempel vom Arbeitsamt erst mal hast, ist es fraglich, ob du das Stigma jemals wieder loswirst. Ohne Arbeit ergeben wir keinen Sinn, erfüllen unseren Zweck als Zahnrädchen nicht, das dabei immer noch flexibler werden muss, noch mehr Überstunden leisten und Qualifikationen erwerben soll. Dabei träumen wir doch alle (die einen laut, die anderen leise) davon, auszusteigen und nur noch unseren Interessen nachgehen zu dürfen. Wer das tatsächlich umsetzen möchte, muss es sich aber, im wahrsten Sinne des Wortes, leisten können.

Wir sehnen uns nach einer Stabilität, die für vorherige Generationen selbstverständlich war, die aber für uns keine Realität wird – trotzdem werden wir immer noch an diesem »Früher« gemessen. Es steckt eine besonders perfide Verlogenheit darin, erst solche benachteiligenden Strukturen zu etablieren und sich dann zu »beschweren«, dass niemand mehr die Kraft für Engagement außerhalb des Arbeitsumfelds findet. Denn im selben Augenblick, wie uns das Sozialnetz zerschnitten wird, wundert man sich in den älteren Rängen, woher denn diese verstärkten Wünsche nach Sicherheit kommen, und kritisiert sie gar als »Rückzug in das Biedermeier«. Der Trend zum Privaten und die erneute Hinwendung zu Backen, Handarbeit und Gärtnern werden belächelt, statt zu schauen, warum hier eigentlich die Flucht aus einem überwältigenden Alltag ergriffen werden muss – und wer dazu neben auslastenden Jobs überhaupt noch in der Lage ist. Die Finanzstärkeren von uns haben natürlich schon längst ein neues Marktsegment durch diese Bedürfnisse geschaffen: Zeitschriften wie Flow oder Landlust zelebrieren die Flucht ins Idyll und lenken mit aller pastelligen Kraft von den Krisen »da draußen« ab.

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