Czytaj książkę: «Die Rebellenprinzessin», strona 3

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Kapitel 3

Das erste, was ich spürte, war die Kälte.

Klamme, eisige Kälte, die mich bis auf die Knochen durchdrang. Vor meinen Augen nahm die Welt nur langsam Gestalt an. Mein Schädel dröhnte. Unscharf erkannte ich Stämme um mich herum, Blätter und Äste und Moos, auf dem ich lag.

Stöhnend setzte ich mich auf. Jeder Knochen meines Körpers schmerzte, als hätte mich ein Lastwagen überrollt und die Schürfwunden an Knie und Armen sprachen für sich.

Ich war im Wald. Nur langsam kehrte die Erinnerung zurück. Der Brief und das Gewitter, der Tornado, die Scheune und … der Wolf.

Tropfen berührten meine kalte Haut. Es regnete noch immer. Dann konnte ich nicht allzu lang bewusstlos gewesen sein. Suchend sah ich mich um. Keine Spur von meinem Fahrrad oder der Scheune, nicht einmal ein Waldweg war zwischen den himmelhohen Bäumen zu erkennen.

Ich musste irgendwo zwischen den Feldern und dem Elbow River sein, in dem schmalen Waldstück, das das Flussufer säumte. Hatte mich der Tornado bis hierher mitgerissen? Wahrscheinlich. Die abgerissenen Blätter und Zweige der umstehenden Bäume sprachen eine ziemlich eindeutige Sprache. Der nächste Windstoß, der sie aufwirbelte, ließ auch mich erzittern. Die Kälte schien meine durchnässte Kleidung zu Eis zu gefrieren.

Fröstelnd holte ich mein Handy aus der Innentasche meiner Jacke.

„Komm schon“, flehte ich, während das Display zum Leben erwachte, „Oh, bitte!“

Doch das Zeichen in der rechten oberen Ecke blieb bei seiner Aussage. Kein Empfang. Ich hätte heulen können. „Einmal“, fluchte ich, während ich das Handy zurück in meine Jackentasche steckte, „Ein einziges Mal hätte ich dieses Drecksding wirklich gebrauchen können. Und dann …“

Entkräftet rappelte ich mich auf. Die Muskeln in meinen Beinen schmerzten bei jedem Schritt, doch der immer stärker werdende Regen ließ mir keine Wahl. Ziellos irrte ich zwischen den Stämmen umher, unsicher, welche Richtung ich einschlagen sollte. Als der Wind schließlich auffrischte und mir die Tropfen direkt ins Gesicht trieb, beschloss ich, dass die Richtung egal war, solange ich einfach nur aus diesem gottverdammten Wald herauskam.

Also lief ich. Spornte meinen erschöpften Körper ein weiteres Mal an.

Mittlerweile knallten die eisigen Tropfen wie Neun-Millimeter-Geschosse auf mich nieder. Ich rannte. Hastete zwischen den Bäumen hindurch, in dem verzweifelten Versuch, mich dem Regen zu entziehen.

Gespenstisches Wispern stieg zwischen den Stämmen auf. Rauschen und Flüstern, wie von tausenden Stimmen, zwischen denen ich allein blieb. Immer lauter erscholl die seltsame Sprache zwischen den Blättern, zerteilte die Luft um mich herum mit einer messerscharfen Klinge. Äste brachen, schlugen vor mir auf den Weg, sodass ich Mühe hatte, auszuweichen. Ich hielt mir die Ohren zu, doch der Wald gab nicht auf. Er streckte seine Arme nach mir aus und riss blutige Striemen in meine Haut. Dornen gruben sich tief in meine Beine und versuchten mich festzuhalten. Und überall flogen Blätter durch die Luft; umhüllten mich wie eine Gewitterwolke und tanzten einen schaurigen Reigen. Der Wind frischte auf, fuhr mir durch das nasse Haar und versuchte, mich mit sich fortzutragen. Ich schrie. Schrie gegen den Wind an, versuchte die Stimmen in meinem Kopf zu übertönen, die Panik und Angst und Entsetzen in allen Sprachen der Welt flüsterten.

Ein Knall. Grollend und dröhnend zerriss er den Himmel und bohrte sich mit all seiner Kraft in die Erde. Donnernd folgte ein Zweiter. Blitze erhellten den Wald für Sekundenbruchteile, ließen sich von der grölenden Lautstärke des Donners begleiten.

Schützend erhob ich die Hände über dem Kopf und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, während ich um mein Leben rannte.

Unvermittelt blitzte ein Licht auf.

Etwas rechts von mir, zwischen den Bäumen. Nur für einen Augenblick. Und dann für einen zweiten. Eine Böe traf mich mit voller Wucht und riss mich zur Seite. Ich fing mich ab, stolperte weiter, fand das Licht. Und lief darauf zu.

Der Wald weitete sich. Konturen schälten sich aus den Schatten, hoben sich zwischen den Stämmen ab, bis ich schließlich erkannte, woher das Licht kam. Da war ein Fenster! Ein Haus!

Ich bot meine letzten Kräfte auf und setzte zu einem Endspurt an. Mit einem markerschütternden Knall prallte ich gegen die Tür, riss sie auf und stürmte ohne zu klopfen hinein.

*****

Ein spitzer Aufschrei empfing mich. Erschrocken knallte ich die Tür hinter mir ins Schloss und fuhr herum.

„Grannie?“ Eine Stimme erklang irgendwo über mir, dann polternde Schritte. Mein Blick erfasste eine Person am anderen Ende des Raums. Die Frau war vielleicht um die siebzig, mit hellgrauen Locken. Völlig perplex starrte sie mich an. Das Strickzeug war ihr vor Schreck auf den Tisch gefallen.

„Grannie, was ist passiert?“ Eine Gestalt rauschte an mir vorbei die schmale Holztreppe hinunter, wo sie zum Stehen kam. Der Blick der jungen Frau blieb an mir hängen. Schweigend taxierte sie mich.

„Ich … ich kann das erklären“, begann ich. Auffordernd blickte die junge Frau mich an, sagte jedoch kein Wort. Ich schluckte. „Ich habe mich verlaufen.“

Sie nickte, während sie an mir herabsah. „Darauf wäre ich von allein überhaupt nicht gekommen“, meinte sie säuerlich. Verwirrt folgte ich ihrem Blick über meine dreckige Jacke, in der sich ein halber Strauch verfangen hatte, bis zu meinen zerrissenen, schlammbespritzten Jeans. Meine Schuhe standen in einer großen Pfütze.

„Ich … Das tut mir leid.“ Ich wurde rot. „Dieses Gewitter da draußen … ich habe das Licht hier gesehen und bin …“ Ich verstummte, als ich die Miene der jungen Frau bemerkte. Na ganz toll, Eline, schimpfte ich in Gedanken, Sprich ruhig weiter in zusammenhanglosen Wortfetzen mit der Frau, deren Haus du gerade gestürmt hast. Macht bestimmt einen guten Eindruck.

„Ruby, Schätzchen“, schaltete sich da die ältere Frau ein, „Hör doch auf, sie so anzustarren. Das arme Ding hat doch wirklich niemandem etwas getan.“ Sie schien ihren Schock ganz gut überwunden zu haben. Erstaunlich flink kam sie auf mich zugelaufen. „Du musst doch ganz durchgefroren sein, Kleines. Wie heißt du?“

Unter dem neugierigen Blick der Frau wischte ich mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht. „Evangeline. Evangeline MacKay.“

Sie schenkte mir ein warmes Lächeln. „Herzlich willkommen bei uns, Evangeline. Mich kannst du Grannie nennen und das hier …“ Sie zeigte auf die junge Frau, die nur einige Meter entfernt stand. „Das ist meine Enkelin Ruby.“

„Rubina“, kam es sofort aus ihrer Richtung, „Nenn mich Rubina.“

Grannie neben mir schüttelte den Kopf, während sie mir eine Hand auf den Rücken legte. „Keine Sorge, Schätzchen“, murmelte sie gerade laut genug, dass Rubina es verstehen konnte, „So ist sie immer zu Fremden.“

Mit sanftem Druck lotste sie mich an den Tisch, an dem sie gerade noch gesessen hatte. Rubinas misstrauischer Blick lastete weiterhin auf mir und ich fühlte mich so unwohl, dass ich mich am liebsten auf der Stelle in Luft aufgelöst hätte.

„Ruby, steh doch dort nicht so herum.“ Grannie wedelte mit der Hand. „Du siehst doch, dass sie ganz nass ist. Hol ihr frische Sachen.“

An der Art, wie Rubina die Lippen verzog, bevor sie sich umdrehte und die Treppe hinaufstieg, war nicht der leiseste Hauch von Freundlichkeit. Grannie schien das überhaupt nicht zu bemerken. „Na komm, Schätzchen, setz dich erst mal.“

Zögernd blieb ich stehen. „Ich … Ich will wirklich nicht stören“, startete ich halbherzig einen Versuch, „Wenn ich vielleicht einfach kurz ihr Telefon benutzen dürfte …“ Verständnislos sah Grannie mich an. „Wovon sprichst du, Kleines?“

„Ihr Telefon“, wiederholte ich, „Wenn ich kurz meine Eltern anrufen könnte …“

Genau in dem Moment stieß Rubina wieder zu uns, im Arm einen Stapel Kleidung.

„Das ist leider nicht möglich“, antwortete sie anstelle ihrer Großmutter barsch und drückte mir den Stapel in die Hand, „Links neben der Tür ist ein Raum, wo du dich umziehen kannst.“

Ich musste mich beherrschen, nicht direkt aufzuspringen. „Danke“, brachte ich gerade noch heraus, bevor ich so unauffällig wie möglich in besagtem Raum verschwand.

Erst, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, atmete ich durch. Wo zur Hölle war ich denn hier gelandet? Ein Haus ohne Telefon? Grannie schien ja nicht einmal zu wissen, was ein Telefon überhaupt war. Und dann dieser feindselige Blick Rubinas. Als wäre ich eine Serienkillerin, die ihre Großmutter entführen wollte. Ja, zugegeben, ich war einfach in ihr Haus gestürmt. Und mein Anblick musste auch nicht unbedingt vertrauenserweckend sein. Aber mich so zu behandeln? Ich schüttelte den Kopf. Es wurde höchste Zeit, dass ich hier wegkam.

Mit vor Kälte zitternden Fingern fummelte ich nach dem Smartphone in meiner Jacke. Es kam einem Wunder gleich, dass es noch immer funktionierte, doch als ich die Anzeige betrachtete, hätte ich trotzdem heulen können. Kein Empfang. Nicht ein einziger Balken. In welchem gottverlassenen Nest saß ich hier eigentlich?

„Evangeline?“ Das war Rubinas Stimme auf der anderen Seite der Tür. „Ist alles in Ordnung?“ Sie klang besorgt, allerdings ahnte ich, dass es ihr dabei weniger um mich ging als vielmehr darum, ob ich hier drin eine Bombe bastelte oder mein MG zusammensteckte. Wahrscheinlich hätte ich schon vor fünf Minuten fertig sein sollen.

„Mir geht’s gut“, gab ich schließlich zurück, „Ich brauche nur noch ein paar Minuten.“ Draußen herrschte einige Sekunden lang Stille, dann entfernten sich Rubinas Schritte. Erleichtert atmete ich auf und sah mich zum ersten Mal genauer im Raum um. Es schien eine Art Badezimmer zu sein, mit einem altmodischen Waschtisch, auf dem ein Krug voll Wasser und eine Schüssel standen. Die Ecke schmückte eine schlichte Bank und gegenüber gab es eine schmale Toilette. Alles in allem eher minimalistisch, aber ich hatte sowieso keine Zeit, mich länger hier aufzuhalten.

Auf der Bank legte ich die frischen Sachen ab, bevor ich endlich aus meiner nassen Kleidung schlüpfte. Im Licht der flackernden Öllampe betrachtet, sahen meine Sachen noch schlimmer aus als erwartet. Die Jeans war hinüber, das Shirt völlig verdreckt und meine Schuhe waren so durchnässt, dass es sich anfühlte, als stünde ich auf Schwämmen.

Seufzend breitete ich den tropfenden Stoff über die Bank und faltete anschließend den Stapel auseinander, den Rubina mir in die Hand gedrückt hatte. Er entpuppte sich als ein langer, schlichter Rock, in den eine helle Bluse und dünne Lederschuhe eingewickelt waren.

Altmodisch, war mein erster Gedanke, Wie in diesen Historiendramen, auf die Dad steht.

Doch ich stand hier in Unterwäsche und selbst wenn vor mir ein neonpinkes Paillettenkostüm gelegen hätte, wäre das um Längen besser gewesen als meine eigenen nassen, verdreckten und zerrissenen Klamotten. Also zögerte ich nicht lang, sondern schlüpfte in die angenehm trockenen Stoffe. Die Bluse war bequem und fiel locker über den Bund des Rocks und die Schuhe waren erstaunlich weich. Schnell kämmte ich mir noch mit den Fingern durch die nassen Strähnen und steckte mein Handy in den BH. Wenn diese Frauen nicht einmal wussten, was ein normales Telefon war, was würden sie dann wohl erst von einem modernen Smartphone halten?

Als ich das Bad wieder verließ, hörte ich die beiden miteinander diskutieren. Rubina gestikulierte wild, während Grannie vergeblich versuchte, sie zu beruhigen. Es dauerte höchstens Sekunden, bis sie meine Anwesenheit bemerkten und Rubina verstummte.

„Da bist du ja!“ Freudestrahlend winkte Grannie mich zu sich. Ich zögerte. Am liebsten wäre ich direkt wieder umgedreht. Oder im Erdboden versunken.

„Na komm.“ Grannie lächelte ermutigend. „Setz dich zu uns. Wir beißen schon nicht.“

Sie vielleicht nicht, entgegnete ich in Gedanken, Aber bei Ihrer Enkelin wäre ich mir da nicht so sicher.

Ich brachte gerade noch ein schmales Lächeln zustande – eher das Aufblitzen eines Lächelns – als ich mich zu ihnen setzte. Rubinas Blick fühlte sich an wie ein Todesstrahl, mitten durch meinen Kopf hindurch.

„Du bist sicher hungrig, Schätzchen.“ Als wäre das hier nichts anderes als ein gemütliches Familientreffen, machte Grannie sich fast sofort an einer offenen Feuerstelle an der linken Wand zu schaffen. Im flackernden Licht der Holzscheite erkannte ich einen großen Kupferkessel, aus dem sie etwas Flüssiges, sicherlich Suppe, in eine Schüssel schöpfte.

„Das haben wir gleich“, hörte ich sie noch murmeln, dann kam sie auch schon mit einem Löffel und der Schüssel zurück, die sie vor mir abstellte. „Lass es dir schmecken, Kleines. Es ist noch mehr da.“

Einen kurzen Moment lang starrte ich in die Flammen unter dem Kupferkessel und fragte mich, ob Zeitreisen nicht doch real waren. Aber spätestens als der köstliche Duft der cremigen Suppe meine Nase erreichte und mein Magen in freudiger Erwartung ein leises Gurgeln von sich gab, waren meine Zweifel Nebensache. Die Suppe war köstlich, heiß und mit einem unglaublichen Geschmack nach Apfel und Zwiebel. Sofort breitete sich angenehme Wärme in mir aus. Eine Gänsehaut überlief meinen durchgefrorenen Körper.

„Danke.“ Erst, als die Schüssel bis auf den letzten Rest leer war, brachte ich wieder ein Wort hervor. „Das war wirklich köstlich.“

Grannie lachte. „Freut mich, dass es dir geschmeckt hat, Schätzchen.“

„Und jetzt, wo du satt bist, Schätzchen, kannst du uns ja auch endlich erzählen, was du bei diesem Gewitter mitten im Wald gesucht hast.“ Rubinas Tonfall troff nur so vor Angriffslust. Grannie zischte etwas in ihre Richtung, doch Rubina ignorierte sie. Erwartungsvoll bohrte sie ihren Blick stattdessen in mich.

„Ich … also das ist eine ziemlich lange Geschichte … Ich bin sicher, Sie wollen nicht …“

„Wir haben Zeit“, fiel Rubina mir ins Wort und blickte zum Fenster, „Das Gewitter zieht so schnell nicht mehr weiter.“

„Und sag doch bitte Du zu uns, Schätzchen“, fügte Grannie hinzu. Ich nickte bloß, während ich Rubinas Blick zum Fenster folgte. Draußen heulte der Sturm noch immer und dicke Regentropfen klatschten an die kleinen Fenster des Hauses. Rubina hatte recht. So schnell würde ich hier nicht mehr wegkommen.

„Also dann …“ Meine Finger spielten unruhig am Saum der Bluse, während ich krampfhaft überlegte, wo ich anfangen sollte.

„Ich war im Wald“, begann ich schließlich, „Und … als ich nach Hause wollte, kam ich in dieses Gewitter. Ich … habe mich wohl irgendwie verlaufen.“

Jetzt sahen mich sowohl Rubina als auch Grannie skeptisch an.

„Verlaufen, also“, wiederholte Rubina. Sie drehte eine ihrer mahagonibraunen Locken zwischen den Fingern. „Aber wenn du dich hier nicht auskennst, solltest du nicht allein durch den Wald streifen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich war nicht … Ich meine, ich dachte, ich wäre nicht allein und den Weg kannte ich von –“

„Jemand war bei dir?“ Rubinas Frage brachte mich völlig aus dem Konzept. Ich konnte ihnen doch unmöglich von diesem Typen erzählen. Wahrscheinlich war er nicht mehr als eine Halluzination. Wie sollte ich das erklären, ohne komplett verrückt zu wirken?

„Nein, ich … ich war allein.“

„Warum zögerst du dann?“, bohrte Rubina unerbittlich weiter, „Und was hast du allein im Wald zu suchen? Du sagst, du kennst dich hier nicht einmal aus.“ Grannie warf ihr zwar einen mahnenden Blick zu, unterbrach sie jedoch nicht.

„Ja, das … ich …“ Verzweifelt rang ich um eine Antwort. „Ich habe – nein, ich war – ich wollte mich mit jemandem treffen.“

Ich war heilfroh, als Rubina sich endlich zurücklehnte. Meine Antwort schien sie zufriedenzustellen, ja sogar zu erleichtern. „Ein Treffen also.“ Sie sah Grannie vielsagend an. Ihnen beiden schien etwas klar geworden zu sein, das sich mir noch nicht erschloss.

„Beim nächsten Mal solltet ihr einen anderen Treffpunkt wählen“, sagte Rubina schließlich.

„Der Wald ist gefährlich, Kindchen“, ergänzte Grannie und nahm meine Hände, „Du solltest vorsichtiger sein. Egal, wie viel er dir bedeutet, wenn er dich nur in diesem Wald treffen will, dann kann wenig Ehrenhaftes an ihm sein.“ Ich runzelte die Stirn. Was zum Himmel wollte sie mir denn damit … Dann verstand ich.

„Nein, es ist – “ Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig bremsen und mit zusammengepressten Lippen nicken. „Ja. Ich werde daran denken.“

Grannie lächelte. Da hatte ich gerade nochmal die Kurve gekriegt.

„Also, Schätzchen. Wenn du möchtest, kannst du die Nacht über hierbleiben. Das Gewitter wird sicherlich noch eine ganze Weile dauern.“

Obwohl ich damit hätte rechnen können, traf mich Grannies Angebot völlig unvorbereitet. „Das … das ist sehr nett von Ihnen –“

„Dir.“ Sie sah mich aufmunternd an.

Ich rang mir ein schmales Lächeln ab. „Richtig. Es ist sehr nett von … dir, aber … nur interessehalber … wie weit ist es denn von hier aus nach Calgary? Meine Eltern machen sich Sorgen, wenn ich nicht nach Hause komme und ich will ihnen auf keinen Fall zu Last –“

„Oh, nein. Nein, Schätzchen. Du fällst uns doch nicht zur Last.“

„Aber meine Eltern würden sicher gern wissen, wo ich bin. Wenn es nicht allzu weit ist, könnten sie mich vielleicht abholen.“

Rubina sah mich skeptisch an. „Dich … abholen?“, wiederholte sie langsam, „Bei diesem Wetter?“

Ich nickte. „Wenn Sie … ihr mir die Adresse hier sagen könntet …“ – und ich einen Ort in diesem Haus finden würde, an dem ich Empfang hatte – „… dann könnte ich meinen Eltern vielleicht Bescheid sagen.“

Jetzt lachte Rubina auf, laut und schallend. „Wie willst du das denn anstellen?“, prustete sie, „Telepathie?“

Ich zog die Brauen zusammen. „Nein, ich …“ Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass die beiden nicht zu wissen schienen, was ein Telefon war. „Ist egal“, winkte ich deshalb gleich darauf wieder ab, „Ich werde einfach …“ Krampfhaft überlegte ich, wie ich sie doch noch dazu bringen könnte, mir den Ort zu verraten, an dem wir uns befanden. Calgary musste doch höchstens eine halbe Stunde entfernt sein. Wenn ich nur die Richtung wüsste …

„Mach dir keine Sorgen, Schätzchen“, unterbrach Grannie meine Gedanken, „Deine Eltern werden schon zurechtkommen. Und morgen siehst du sie ja schon wieder und kannst ihnen alles erklären. Ich bin sicher, sie wären mehr als froh, zu hören, dass du diese Nacht sicher und im Trockenen verbracht hast.“

Ich konnte nicht anders. Ergeben nickte ich schließlich. „Das wären sie.“

„Na siehst du, Kleines.“ Grannie lächelte. „Dann zeige ich dir gleich das Gästezimmer. Du bist doch sicher müde, nicht wahr? Du siehst ziemlich erschöpft aus.“

„Ich …“

„Möchtest du noch einen Tee vor dem Schlafengehen? Ein Bad?“

„Grannie.“ Rubina war sichtlich genervt von den Angeboten ihrer Großmutter. „Bring sie doch einfach ins Gästezimmer. Ein warmes Bett sollte mehr als genügend sein. Wir sind doch schließlich keine Herberge für Verirrte –“

„Ruby!“ Kopfschüttelnd sah Grannie sie an.

„Ist schon in Ordnung“, schaltete ich mich schnell ein, „Ich brauche kein Bad. Ich würde einfach gern schlafen gehen, wenn das Ihnen … euch nichts ausmacht.“

„Oh, natürlich nicht, Kleines, natürlich nicht.“ Grannie lächelte mild. „Ich zeige dir das Zimmer. Ruby?“ Grannie stand auf. „Holst du schnell noch ein frisches Laken und ein Handtuch für Evangeline?“

Alles andere als begeistert sah Rubina ihre Großmutter an, folgte schließlich aber wortlos ihrer Anweisung.

„Na komm, Schätzchen“, wandte sich Grannie daraufhin wieder mir zu, „Unser Gästezimmer ist zwar nicht besonders eindrucksvoll, doch wie sagt man so schön: Klein, aber fein.“ Sie schmunzelte und deutete zur Treppe.

„Da entlang, Liebes.“

*****

Ich stand am Fenster. Draußen stürmte es noch immer. Das stetige Prasseln des Regens wirkte von hier drinnen eigenartig beruhigend. Und auch die Blitze und einzelnen Donnerschläge hatten an Gefährlichkeit verloren. Jetzt war es fast, als wäre ich einfach nur ein Außenstehender, ein Beobachter hinter einer Glasscheibe, die Welt dahinter seltsam fremd und unbekannt.

Trotz der offensichtlichen Ablehnung, die Rubina mir entgegenbrachte, war ich froh, nicht mehr da draußen sein zu müssen. Das Zimmer, das Grannie und Rubina mir für diese Nacht überlassen hatten, war tatsächlich nicht besonders groß, doch für ein schmales Bett, einen Stuhl und einen kleinen Waschtisch reichte es allemal. Grannie hatte sogar angeboten, die altmodische Öllampe, die in der Mitte des Raumes hing, anzuzünden, doch ich hatte dankend abgelehnt.

Kurz darauf war Rubina mit den frischen Laken und einem Handtuch eingetroffen und obwohl ich Grannie erklärt hatte, dass ich das Bett auch allein machen könnte und sie wirklich schon genug für mich getan hätten, hatte Grannie in ihrer typisch-großmütterlichen Art darauf bestanden, das Bett selbst zu beziehen.

Als sie sich etwas später beide zurückgezogen hatten, hatte ich sie noch lange unten streiten gehört. Ich verstand nichts Konkretes, doch Rubina war so aufgebracht, dass ich einige Male beim Klang ihrer Stimme zusammenzuckte. Ich war fast sicher, dass es dabei um mich ging, doch ich konnte noch immer nicht verstehen, warum sich Rubina mir gegenüber so feindselig verhielt. Außer unerwünscht in dieses Haus zu platzen – in Todesangst wegen des Gewitters, wohlbemerkt – hatte ich ihr doch nichts getan.

Ich schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Schließlich war es nur eine Nacht und der einzige Stuhl in diesem Zimmer klemmte unter der Klinke der Tür – nur, um sicherzugehen.

Ich warf einen Blick auf die Uhrzeit meines Smartphones. 23:07 Uhr. Grannie und Rubina waren bereits vor einer halben Stunde zu Bett gegangen und das Haus lag seitdem in Stille. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, wie alles nur dermaßen hatte schieflaufen können.

In einem Moment folgte ich der Einladung meines mysteriösen Stalkers und im nächsten übernachtete ich mutterseelenallein bei völlig Fremden in einer Hütte am Ende der Welt. Warum hatte ich den blöden Brief auch öffnen müssen, anstatt ihn einfach anzuzünden und das Papier brennen zu sehen?

Ich seufzte. Himmel, ich hatte mich noch nie so allein gefühlt. Ich konnte nur hoffen, dass bei Tageslicht alles besser aussah und ich den Rückweg nach Calgary fand. Für diese Nacht jedenfalls war ich am Ende. Nicht nur mein Körper, auch mein Verstand sehnten sich nach Schlaf, nach der Dunkelheit des Vergessens – zumindest für einige Stunden.

Erschöpft zog ich schließlich die dünnen Lederschuhe aus und hüllte mich dann, so wie ich war, in die Decke. Wärme umhüllte mich und ich schloss die Augen, vergrub mein Gesicht tief in dem weichen Kissen und atmete den klaren Geruch nach weißem Stoff.

Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, wieder zuhause zu sein, in meinem knarzenden Bett, in meinem sternenbeschienenen Zimmer, in unserem kleinen Haus.

Wenn ich die Augen nicht öffnete, konnte ich mir Ceds Zimmer neben meinem vorstellen, seinen kleinen Körper, der sich unter seinen Atemzügen sanft hob und senkte. Wenn ich die Augen nicht öffnete, konnte ich mir die leisen Stimmen meiner Eltern vorstellen, die unten im Wohnzimmer saßen, Wein tranken und bis tief in die Nacht hinein redeten, während der Fernseher im Hintergrund lief.

Wenn ich die Augen nicht öffnete …

*****

Ich hatte nicht bemerkt, dass ich eingeschlafen war. Als ich aufschreckte, wusste ich nicht, wo ich war. In meinem Kopf hallten die letzten Worte aus meinem Traum wider. Er darf dich nicht finden.

Ich wusste nicht, warum ich wach geworden war; das Haus lag vollkommen still da. Trotzdem raste mein Puls.

Verdammter Alptraum.

Leise stand ich auf und schlich zum Waschtisch. Die zart bemalte Keramikschüssel, die darauf stand, war mit Wasser gefüllt. In der glatten Oberfläche spiegelte sich mein Gesicht.

Meine blaugrauen Augen geschwollen vom Schlaf, mein blondes Haar noch immer – oder schon wieder – zerzaust, bot ich einen erbärmlichen Anblick.

In diesem Moment schwor ich mir, so etwas nie wieder zu tun. Nie wieder auf blöde Streiche oder Halluzinationen oder was immer es mit diesem Typen und dem Brief sonst auf sich hatte, hereinzufallen. In der Dunkelheit war es leichter, mir einzugestehen, wie viel Angst ich wirklich hatte. Ich wollte einfach nur noch nach Hause.

Plötzlich erzitterte mein Gesicht. Das Wasser bewegte sich, sandte Wellen kreisförmig von der Mitte zum Rand und zurück. Was war das?

Dann ein dumpfer Knall. Ich erstarrte. Ein weiterer Knall. Mein Herz schlug schneller. Vorsichtig schlich ich zur Tür und zog den Stuhl unter der Klinke hervor. „Grannie?“, fragte ich leise, „Rubina?“ Keine Antwort.

Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit und spähte hinaus in den Flur. Wieder ein dumpfer Knall. Das Haus erzitterte. Aber im Flur war niemand zu sehen. Ich trat nach draußen und schloss die Tür behutsam hinter mir. „Rubina?“, fragte ich noch einmal, „Grannie?“ Wieder keine Antwort.

Ich ging auf die Treppe zu. Durch ein kleines Fenster am anderen Ende des Flurs fiel helles Mondlicht. Ich setzte einen Fuß auf die erste Stufe. Die Wand erzitterte abermals unter einem Knall.

Was passierte hier?

Zögernd stieg ich weiter nach unten. Auf der vierten Stufe blieb ich stehen; von hier konnte ich den Wohnraum gerade so überblicken. Gebückt versuchte ich den Auslöser für die immer wiederkehrenden Stöße zu entdecken.

Mein Blick blieb an zwei Gestalten hängen. Rubina in einem dunklen Mieder und engen Hosen stand breitbeinig und mit zwei Händen an einer langen Klinge vor Grannie, die - wie ich bei genauerem Hinsehen feststellte - ebenfalls ein Schwert hielt. Ein Schwert?

Ich war unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie erstarrt haftete mein Blick an den beiden Frauen. Grannie, mit ihren weißen Locken und dem steinernen Gesichtsausdruck. Ihre Hände zitterten, hielten das Schwert nicht ganz gerade. Neben ihr Rubina, das Schwert fest umklammert, kein Zittern, keine Angst. Angst wovor?

Ein weiterer Knall erschütterte das Haus. Die Tür ächzte in den Angeln.

Mir wurde flau im Magen.

Was zur Hölle ging hier vor?

Meine Hände zitterten. Der nächste Knall ließ mich zusammenzucken.

Was war da draußen? Was war hinter der Tür?

Mein Puls raste. Die Stille war geladen. Überall pulsierte die Energie, den kleinen Funken erwartend, der das Feuerwerk entzünden würde. Ich hielt den Atem an. Jeder Muskel meines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Das Herz schlug gegen meine Rippen.

*****

Die Stille zerriss in einem ohrenbetäubenden Knall. Metall klirrte. Splitter schossen wie Kugeln durch den Raum. Das kleine Haus erzitterte bis auf die Grundmauern. Ich unterdrückte einen Schrei.

Ein Loch prangte dort, wo vor wenigen Sekunden noch die Tür gewesen war. Der abrupte Luftzug löschte das letzte Glühen des Feuers. Durch den Rahmen fluteten einzelne Streifen weißen Mondlichts, die eine riesige Silhouette umrissen.

Ich sah zu Rubina und Grannie. Überraschung ließ ihre Gesichter erbleichen. In Grannies Miene spiegelte sich Furcht, doch das Schwert lag nun fest in ihrer Hand. Rubina presste die Kiefer aufeinander. Ihre Knöchel am Griff des Schwertes traten weiß hervor.

Der Schatten im Türrahmen wuchs. Zentimeter um Zentimeter schälten sich seine Konturen aus der Dunkelheit. Nachtgraues Fell, das im Mondlicht seidig glänzte. Ein muskulöser Körper. Pranken mit scharfen Krallen, die ein schauerliches Kratzen auf dem alten Holzboden erzeugten. Die spitzen Ohren waren aufgestellt, lauschten jeder Bewegung, jedem Atemzug.

Langsam bewegte es sich auf die beiden Frauen zu, die Lefzen nach oben gezogen, sodass man die messerscharfen Zähne im Mondlicht weiß schimmern sah. Ein Knurren ertönte, das mir durch Mark und Bein fuhr. Jede Faser meines Körpers vibrierte.

Kalte Mordlust blitzte in den grellgelben Augen auf. Wie versteinert saß ich auf der Treppe, unfähig auch nur einen einzigen Finger zu bewegen. In Zeitlupe beobachtete ich die Bestie, die ihren riesigen Körper anspannte und ihr Gewicht auf die Hinterbeine verlagerte.

Ich öffnete meinen Mund zu einem stummen Schrei.

Die Bestie sprang.

Plötzlich ging alles so schnell. Der gewaltige Wolf warf sich direkt auf Rubina.

„Ruby!“ Grannies Schrei zerfetzte die Luft.

Rubina rollte sich zur Seite. Die Bestie krachte auf den Boden, dahin, wo vor wenigen Sekunden noch Rubina gestanden hatte. Rubina erhob ihre Klinge und riss eine klaffende Wunde in die ungeschützte Seite der Bestie. Dickes rotes Blut ergoss sich in Strömen über das Fell. Das Wesen grölte vor Schmerz und rappelte sich auf. Es fokussierte Rubina, bewegte sich direkt auf sie zu.

Sie wich zurück an die Wand, näher und näher. In ihrem Gesicht spiegelte sich bleiche Angst. Ein letztes Verharren, ein letztes Luftholen, dann stürzte sich die Bestie auf sie. Berge von Fleisch und Muskeln begruben Rubina unter sich.

Ein unmenschlicher, fast animalischer Schrei durchschnitt die Luft. Mit erhobenem Schwert stürzte Grannie sich auf die Bestie. Ihre Klinge drang mitten in den gewaltigen Körper. Die Bestie brüllte, bäumte sich auf, während Grannie das Schwert tiefer in ihren Körper trieb. Blutige Ströme rannen über das glänzende Fell.

Rasend vor Wut fuhr die Bestie herum. Wie eine lästige Fliege schüttelte sie Grannie einfach ab, bevor sie auf sie losging.

Du musst ihnen helfen!, schrie eine Stimme irgendwo in meinem Kopf, Hilf ihnen, verdammt!

Doch ich konnte nicht. Angst lähmte mich wie ein Gift. Sie verteilte sich schleichend in meinem Körper und ich konnte nichts tun, außer zuzusehen, wie das Monster nun Grannie in die Enge trieb.

Eine Bewegung in meinem Augenwinkel ließ mich den Kopf drehen. Rubina war aufgestanden. Riesige Krallen hatten tiefe Wunden in ihre helle Haut gerissen. Gesicht und Hände waren blutverschmiert, ihre Klinge tropfte rot. In ihrer Miene war jedoch keine Spur von Schmerz zu sehen. Nur Ruhe, tiefe konzentrierte Ruhe und das Funkeln lodernder Wut in ihrem Blick.

12,85 zł